Kitabı oku: «Die Schiffe der Waidami», sayfa 4

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„Tamaka war schlau genug, Lanea zu raten, Captain Makani ihren Bestimmungsort erst auf offener See zu eröffnen.“ Bairani ging mit wenigen Schritten zu Stout und legte ihm eine eiskalte Hand auf die Schulter, die den hartgesottenen Piraten erschauern ließ.

„Finde Jess Morgan für mich, Stephen!“

Stephen Stout knurrte erwartungsvoll.

Jess Morgan also! Das war eine interessante Neuigkeit, die Bairani ihm eröffnet hatte. Im Stillen rieb er sich zufrieden die Hände. Seit er zurückdenken konnte, hatte er diesem Kerl mit Misstrauen gegenübergestanden; bereits als er noch als kleiner Junge bei Bairani seine Vorbereitungszeit verlebt hatte, war Jess ihm als widerspenstig und rebellisch aufgefallen. Er hatte sich immer geweigert, sich unterzuordnen. Bairani hatte ihm verboten, in seiner wenigen freien Zeit, die ihm zur Verfügung stand, an den Strand zu gehen, und doch hatte er es immer wieder getan und dabei diesen seltsamen Glanz in den Augen gehabt. Selbst als ihn Bairani zur Strafe durch ihn, Stephen, hatte verprügeln lassen, hatte er noch geheimnisvoll gelächelt. Das Lächeln war erst verschwunden, als er den damals zehnjährigen Jungen ausgepeitscht hatte; aber der Glanz in seinen Augen war unverändert geblieben.

Stephen hatte ihn für diesen ungeahnten Widerstand gehasst. Jess hatte ihn trotzig angesehen, während er kaum noch in der Lage gewesen war, auf seinen eigenen Beinen zu stehen. Er war vor ihm auf die Knie gesunken und hatte ihn aus brennenden Augen angesehen. „Eines Tages werden wir uns ebenbürtig gegenüberstehen“, hatte der Junge leise gesagt. Er hatte mit den Tränen gekämpft, aber das Zittern in seiner Stimme hatte dennoch nicht über die deutliche Drohung darin hinwegtäuschen können. Und Stephen Stout sah diese Drohung immer wieder aufs Neue in den eisblauen und mitleidlosen Augen, wenn er Jess Morgan begegnete. Ein sicheres Versprechen, das es irgendwann einzulösen galt, obwohl Morgan sich eigentlich nach der Tätowierung nicht mehr daran erinnern durfte, da diese alles aus dem Gedächtnis löschte, was jemals zuvor geschehen war.

Jahre später waren sie sich bei einem Überfall auf eine kleine Küstenstadt begegnet, an der sie beide beteiligt gewesen waren. Stout dachte hasserfüllt daran, wie er auf dem Marktplatz einen Mann hatte foltern lassen, um von ihm zu erfahren, wohin die Einwohner ihre Wertsachen geschafft hatten. Der Mann hatte am Ende noch nicht einmal mehr die Kraft gehabt, seine Qualen in die Welt zu schreien, als Jess Morgan erschienen war. Er war in seiner arroganten Art über den Platz marschiert, hatte sein Messer gezogen und dem Spaß, den er und seine Männer bis dahin gehabt hatten, mit einem glatten Schnitt ein viel zu plötzliches Ende bereitet und den Mann von seinen Qualen erlöst.

Wenn er von Bairani freie Hand bekäme, würde er Jess Morgan jagen, und dieser würde am eigenen Leibe erfahren, wie sehr er es genoss, einen Mann langsam sterben zu sehen; für ihn würde er sich etwas ganz Besonderes ausdenken und ihm beweisen, dass er äußerst kunstfertig in der Lage war, einen Mann tagelang leiden zu lassen.

Er erwachte aus seinen Gedanken wie aus einem Traum, dabei traf sein Blick auf den hämischen Gesichtsausdruck des Obersten Sehers.

„Mir scheint, dass du den nötigen Jagdtrieb für diesen Auftrag besitzt.“

„Soll ich ihn töten?“

„Nein, auf keinen Fall! – Zuerst wirst du ihn nur beobachten. Ich will wissen, ob er sich nun von uns abgewandt hat oder nicht. Solltest du den Beweis für einen Verrat finden …“, Bairanis Augen funkelten ihn gefährlich an, „… dann bring ihn hierher. Was du unterwegs mit ihm anstellst, ist mir völlig gleichgültig, - solange du ihn in einem Zustand von einigermaßen kräftiger, körperlicher Verfassung ablieferst. Das, was ich mit ihm dann vorhabe, wird seine ganze Kraft kosten. Glaube mir, Stephen, er wird mehr Qualen erdulden, als irgendjemand vor ihm – und sie werden nicht nur körperlicher Art sein.“ Bairani lächelte auf eine sadistische Weise, die Stout das Gefühl vermittelte, dass er noch in den langerwarteten Genuss seiner Rache kommen würde. Er wusste, wie grausam Bairani war, und er leckte sich voller Vorfreude über die wulstigen Lippen.

„Das Mädchen! Was passiert mit dem Mädchen?“

„Bring sie unversehrt hierher. Die Götter halten auch für sie ihr Schicksal bereit.“ Der Oberste Seher wechselte einen geheimnisvollen Blick mit Sagan, der sich die ganze Zeit schweigend in den Schatten der Höhle aufgehalten hatte; ein stolzes Lächeln quittierte diesen vertrauensvollen Blickwechsel.

„Verabschiede dich jetzt, mein Sohn. Das Auge der Göttin wird dich wohlwollend auf deinem Weg beobachten.“ Bairanis Lächeln hatte etwas Strahlendes, doch die Augen blickten wieder völlig leblos auf Stout, der sich vor ihm verbeugte und dann die Höhle verließ.

Als Stouts Schritte verklungen waren, wandte sich Bairani an Sagan, der nun zögernd wie ein verängstigter Hund aus der Nische trat.

„Veranlasse, dass im Dorf das Gerücht gestreut wird, Tamaka habe Ronam und seine Tochter getötet und wäre deshalb noch in der Nacht geflüchtet.“

Sagan beeilte sich, zu nicken, und rannte davon, um den Auftrag seines Herrn auszuführen.

Begegnung

Ein stetiger Wind aus Nordosten trieb die Monsoon Treasure mit vollgeblähten Segeln zügig voran.

Captain Jess Morgan stand neben seinem Ersten Maat auf dem Achterdeck. Cale Stewart hatte soeben die Vorräte überprüft. „Unsere Wasserfässer sind so gut wie leer, und wir haben nur noch ein wenig Dörrfleisch an Bord. Das Obst, auf das du so viel Wert legst, ist auch ausgegangen. Wir werden so nicht mehr bis nach Changuinola gelangen, Jess. Auf der Karte befindet sich aber nicht weit von hier eine Insel, wir sollten dort an Land gehen und zumindest ein wenig jagen und Frischwasser auffüllen.“

„Gut, Cale. Lass Kurs setzen.“ Jess nickte zustimmend. “Sind auf der Karte irgendwelche Ansiedlungen verzeichnet?“

„Hm, ein paar Fischerdörfer könnten sich dort befinden.“

„Dann lass uns einkaufen.“ Jess grinste den Mann unbeschwert an. „Den Männern wird ein wenig Abwechslung gut tun.“

Cale Stewart runzelte die Stirn: “Wir werden dort, wenn es überhaupt eine Fischersiedlung gibt, keine großen Reichtümer vorfinden, Jess.“

„Die Männer brauchen ein wenig Spaß und es ist einfacher, den Fischern die Vorräte abzunehmen.“ Jess lächelte ihn unschuldig an. „Ein paar Männer müssen trotzdem jagen gehen, wir brauchen einen abwechslungsreichen Speiseplan, sonst wird uns Hong nur madigen Schiffszwieback reichen.“

Der Erste Maat seufzte und kratzte sich grinsend am Hinterkopf. „Aye, Sir, diese Drohung lässt mich auch ein Waisenhaus überfallen.“ Die beiden Männer lachten sich übermütig an, und Cale wandte sich ohne ein weiteres Wort ab. Er beeilte sich, Jintel die Anordnungen weiterzugeben. Kurz darauf bellte die etwas heisere Stimme des Profos über Deck, und die Männer sputeten sich, den Befehlen nachzukommen.

Nach gut einer halben Tagesreise erreichten sie die Insel, die von einer üppigen Vegetation überwuchert war. Jess befahl, die Insel zu umsegeln, nachdem er in einer seichten Bucht einen Trupp Männer zum Jagen ausgesetzt hatte.

Das kleine Fischerdorf schmiegte sich an die hinter ihm aufragenden Steilwände. Eine große Hütte lag etwas versetzt zwischen zehn weiteren, etwas kleineren Hütten und schien über diese zu wachen.

Jess Morgan schob sein Spektiv zusammen und ließ die Boote aussetzen. Jintel würde mit drei weiteren Männern als Wache zurückbleiben.

Den Männern des Landungstrupps stand die Vorfreude in die Gesichter geschrieben, als sie zügig in die Boote abenterten. Jess stellte sich in den Bug des ersten Bootes, während Cale Stewart das zweite übernahm. Voller Schwung wurden die Riemen durch das klare Wasser der fischreichen Bucht gezogen und trieben die Boote auf den friedlichen Strand zu.

Einige Fischerboote dümpelten im Wasser. Am Strand waren Netze auf Gerüsten zum Trocknen ausgebreitet, und ein paar Fischer flickten ihre Netze. Kinder spielten zwischen den Hütten und sahen den Ankömmlingen voller Neugierde entgegen.

Die Fischer ließen ihre Arbeit sinken und wandten sich den Booten misstrauisch zu. In diese Gegend verirrte sich selten ein ehrbares Handelsschiff und an dem bunt zusammengewürfelten Haufen, der sich jetzt näherte, ließ nichts auf friedliche Händler schließen.

Zuerst war es nur wie ein Hauch, der sich warnend über die Hütten und die Menschen legte, dann aber eindringlich anschwoll und die Bedrohung greifbar machte. Angst breitete sich aus, getragen von der kalten Erkenntnis, dass sie so gut wie wehrlos waren. Eilig wurden die Kinder in die Hütten gezogen, deren bis dahin offene Türen sofort fest geschlossen wurden.

Währenddessen hatten die Boote das Ufer erreicht. Jess und seine Männer sprangen in das knöcheltiefe Wasser. Die groben Stiefel wühlten den feinsandigen Untergrund auf, und das bis dahin so klare Wasser trübte sich ein. Sie wateten, die Boote hinter sich herziehend, an Land.

Mit einer geschmeidigen Bewegung zog Jess sein Schwert aus der Scheide und sah, wie seine Leute ebenfalls ihre Waffen zückten.

Ein älterer Mann ging entschlossen auf ihn zu und wollte sich ihm in den Weg stellen. Seine grauen Augen richteten sich auf die hochgewachsene Gestalt von Jess Morgan, der seinem Blick kalt begegnete und seinen Weg unverändert fortsetzte. In einer demonstrativ friedlichen Geste streckte der Mann dem näherkommenden Piraten seine Handinnenflächen entgegen, in der Hoffnung, er würde wenigstens einen Moment innehalten, um ihn anzuhören. Doch noch bevor der Alte seinen Mund öffnen konnte, um die hastig zurechtgelegten Worte an den Eindringling zu richten, schnitt ihm eine kaum wahrnehmbare Bewegung mit dem Schwert das Wort ab. Ohne einen Laut brach er zusammen. Feinkörniger Sand bestäubte sein Gesicht, als Jess Morgan gelassen an ihm vorüberschritt.

Er lenkte seine weitausholenden Schritte zielstrebig auf die große Hütte. Hier musste der Anführer des Dorfes leben und diesem würde er jetzt einen Besuch abstatten.

Die anderen Fischer hatten den skrupellosen Mord mit blankem Entsetzen beobachtet und stellten sich in Abwehrhaltung gemeinsam den Piraten entgegen. Ihre Hände griffen nach allen erreichbaren Waffen; Stöcke wurden drohend geschwungen, Bootshaken emporgereckt. Doch die Angst stand ihnen in die fassungslosen Gesichter geschrieben.

Unbewegt betrachtete Jess die Männer und lächelte dann:

„Im Interesse eurer Familien bitte ich darum, auf Gegenwehr zu verzichten. Es wird niemandem ein Leid geschehen. Wir bessern hier nur unseren Proviant auf und werden wieder in See stechen. - Sollte uns jemand davon abhalten wollen, werden wir eure Kinder zu Waisen machen und das ganze Dorf niederbrennen.“ Seine klare Stimme war deutlich bis in den hintersten Winkel der Bucht zu vernehmen und ließ nicht in den geringsten Zweifel daran, dass er es ernst meinte.

Die Piraten bildeten eine lange Reihe hinter ihm und schauten erwartungsvoll auf die bleichen Gesichter der Fischer. Die Entschlossenheit, die anfangs noch in ihren Gesichtern gestanden hatte, war einer tiefen Resignation gewichen. Ihr Mut war gesunken, als sie den alten Mann hatten fallen sehen, und sie ließen ihre notdürftigen Waffen sinken.

Cale Stewart tauchte direkt hinter Jess auf: „Durchsucht das Dorf nach Vorräten und allem, was wir gebrauchen können.“

Sofort teilten sich die Männer auf und machten sich an ihr Werk, das Dorf zu plündern.

Jess ging nun weiter, ein wenig darüber verwundert, dass sich noch kein Anführer an ihn gewandt hatte. Offensichtlich schien sich dieser in seiner Hütte zu verkriechen und die Konfrontation mit ihm zu scheuen. Er lächelte verächtlich, als er eine Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Instinktiv riss er seinen Schwertarm hoch und blockte damit den Hieb eines Schwertes ab, das plötzlich auf ihn niederstieß. Er drehte sich geschmeidig um, packte mit der freien Hand seinen Angreifer und riss ihn aus seinem Hinterhalt heraus. Ein älterer Mann taumelte hervor. Jess wollte gerade mit seinem Schwert zustoßen, als ihn ein gellender Schrei in der Bewegung innehalten ließ.

„Nein!“ Eine schlanke Frau stand in der offenen Tür der Hütte und starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Der Anblick der Frau, der Klang ihrer Stimme kam ihm auf seltsame Weise vertraut vor. Verwirrt runzelte Jess die Stirn. In diesem Augenblick durchfuhr ein scharfer Schmerz seine Mitte. Zischend stieß er den Atem aus und starrte ungläubig auf den Mann, der ihn aus schreckgeweiteten Augen ansah. Seine Hand, in der eben noch ein Schwert gewesen war, war nun leer und zitterte. Jess blickte an sich herunter und sah nur den Schwertgriff aus seinem Bauch ragen. Langsam brach er in die Knie und schaute den Mann mit dem Versuch eines spöttischen Lächelns in die Augen.

Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag. Dieser Mann, dieser Fischer, sah aus, wie sein um Jahre gealtertes Ebenbild. Seine eigenen eisblauen Augen starrten ihn aus seinem eigenen, scharfgeschnittenen, von Falten gezeichneten Gesicht entgegen. Ein Bild drängte sich in sein Bewusstsein. Ein Bild von diesem Mann, um viele Jahre jünger, wie er stolz auf seinem Boot stand. Er winkte einem kleinen Jungen zu, der am Strand an der Hand seiner Mutter stand und wild hinter ihm her schrie, dass er mitwolle. Das Bild wich schwarzen Schleiern. Jess erbrach einen Schwall hellroten Blutes.

„Das ist nicht möglich“, flüsterte sein Gegenüber und stand wie gelähmt.

„Jess?“ Die Frau war auf ihn zugetreten und blickte ihm forschend in die Augen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als sie auf das Schwert schaute. Sie presste ihre Fäuste an die Wangen und ein schrilles Schluchzen entwich ihrem Mund.

Wie aus dem Nichts erschien Cale Stewart an der Seite von Jess und wollte sich auf den Mann stürzen. Jess hob mit letzter Kraft seinen Arm, der schwer und fremd an seiner Seite herunterhing. Schwarze Blitze zuckten vor seinen Augen. Er musste seine ganze Anstrengung darauf richten, dass seine Worte vernehmlich über seine Lippen flossen:

“Halt, nein. ... Bring mich ... fort von hier, der ... Über - fall wird ab - gebrochen.“ Schwerfällig, aber entschlossen legte er beide Hände um den Knauf und zerrte das Schwert mit einem verzweifelten Ruck aus seinem Körper heraus. Ein unmenschlicher Schrei prallte gegen die Felswände, die hinter der Hütte wie ein Schutzwall aufragten, und wurde von dort fortgeschleudert, zurück auf das Meer, von wo die Piraten gekommen waren.

Blitze zuckten stärker vor Jess‘ Augen, und für einen Moment verschwamm alles um ihn herum. Blut lief in einem feinen Rinnsal aus seinem Mundwinkel und tropfte von dort auf sein Hemd. Ein Hustenanfall erschütterte seinen Körper, als ein Schwall hellroten Blutes sich in den feinen, weißen Sand ergoss und ihn durchtränkte.

Cale ergriff seinen Captain unter den Armen und richtete ihn auf. Fassungslos sprang sein Blick zwischen dem Fischer, Jess und der Frau hin und her. Fragen stürzten auf ihn ein, doch es war nicht der rechte Augenblick dafür.

Die Frau, die trotz ihres Alters immer noch ein schönes und warmherziges Gesicht hatte, war zu ihrem Mann geeilt und hatte ihren Arm um ihn gelegt. Beide standen sprachlos Seite an Seite, während der Frau die Tränen in Strömen über das Gesicht liefen. Nicht der Angriff der Piraten machte diese beiden Menschen sprachlos, sondern die gleiche Fassungslosigkeit, die auch von Cale Stewart Besitz ergriffen hatte.

Jess lachte verzweifelt auf, als er schwer auf seinen Ersten Maat gestützt, dem Paar den Rücken zukehrte.

„Das ... nennt man ... dann wohl ... I - ronie des Schick - sals.“ Seine Beine gaben plötzlich vollends unter ihm nach und er stürzte haltlos in den aufstiebenden Sand. Cale beugte sich über ihn und zog sein Hemd über den Kopf. Er knüllte es zusammen und presste es, ohne große Hoffnung, auf die stark blutende Wunde.

Von der Monsoon Treasure erklang plötzlich die Schiffsglocke, deren Schlagen schrill wie ein panischer Vogel über das Wasser zu ihnen flog.

*

Jintel, der mit drei Männern an Bord der Monsoon Treasure zurückgeblieben war, verfolgte besorgt das Geschehen an Land. Er konnte es nicht fassen, dass der Captain gerade von einem einfachen Fischer mit seinem Schwert niedergestreckt worden war.

Wie hatte ein gewöhnlicher Mann, ohne große Kampferfahrung, ausgerechnet Jess Morgan so überraschen können?

Im gleichen Augenblick vernahm er auch schon das sprudelnde Geräusch, das aus dem Schiffsinnern zu ihm heraufdrang. Eine dunkle Vorahnung bemächtigte sich seiner. Laut fluchte er: “Raul! Komm, wir sehen unter Deck nach dem Rechten. Ich fürchte, wir haben ein Leck.“ Beide Männer rannten mit Riesensätzen den Niedergang hinunter und rissen die Hauptluke auf. Sie sprangen in das untere Deck. Dort wurde das Sprudeln immer lauter und durchdringender. Sie hatten jetzt keine Zeit zu verlieren.

„Läute die Schiffsglocke, und dann mach mit Sam und Kadmi die Lenzpumpen klar.“

Raul nickte und beeilte sich, wieder auf das Hauptdeck zu gelangen. Jintel lief weiter in die Bilge, getrieben von der unheilvollen Befürchtung, die sich sofort seiner bemächtigt hatte und zur Eile anspornte. Als er den stickigen Raum wenige Augenblicke später betrat, fand er dort ein großes Leck, durch das das klare Wasser der Bucht in gurgelnden Sturzbächen unaufhaltsam in das Schiff drang!

*

Der Kopf von Cale Stewart flog zwischen der Monsoon Treasure und der zusammengesunkenen Gestalt seines Captains hin und her. Jess hatte inzwischen das Bewusstsein verloren und lag erschreckend leblos auf dem blutdurchtränkten Sand. Seine Gedanken jagten in fieberhafter Eile hinter seiner Stirn, bevor er entschlossen seine Stimme hob:

„Rückzug! – Sofort zurück zur Treasure.“

Der Befehl schallte unmissverständlich über den Strand. Die Piraten ließen überrascht, aber ohne zu zögern ihre Waffen sinken und zogen sich langsam zum Wasser zurück.

Dan und Rachid stürzten atemlos an Cales Seite und hoben voller Betroffenheit die schlaffe Gestalt ihres Captains auf.

“Das sieht böse aus, Cale!“ Rachid pfiff leise durch die Zähne.

Die unausgesprochene Frage hing zwischen ihnen. Die Antwort darauf schob sich wie eine dunkle Sturmwolke davor.

„Wir müssen ihn schnell aufs Schiff bringen.“

Die drei Männer rannten, soweit es ihnen unter diesen Umständen möglich war, mit ihrer Last auf die Boote zu. Die ersten Crew-Mitglieder zogen diese bereits in tieferes Wasser.

Behutsam wurde Jess zwischen die Ruderduchten gebettet, bevor Cale, Dan und Rachid in das Boot stiegen. Ohne Zeit zu verlieren, ruderten sie so schnell sie konnten auf den Dreimaster zu. Bildete Cale sich das nur ein oder hatte die Monsoon Treasure eine gefährliche Schieflage? Er runzelte argwöhnisch die Stirn und schaute dann auf Jess, der inzwischen eine ungesunde graue Gesichtsfarbe angenommen hatte. Seine Augen waren fest geschlossen und kleine Schweißperlen bedeckten seine Stirn, die Cale besorgt mit seiner flachen Hand fortwischte.

Die Überfahrt dauerte viel länger, als er erdulden konnte, und er war erleichtert als die Bordwand endlich beruhigend und greifbar vor ihnen aufragte. Die Männer drängten auf das Schiff und brachten Jess in seine Kajüte. Diffuses Licht kroch durch die Fenster des Heckkastells in das Innere. Staubteilchen badeten sich in den Lichtstrahlen, bevor sie zu Boden sanken.

Noch bevor sie den Captain in seine Koje legen konnten, drängte sich Hong mit all seiner Autorität, die er als Feldscher ausstrahlte, dazwischen. Mit knappen Befehlen wies er die Männer an, Jess in die Koje zu betten.

„So, und jetzt macht, dass ihr hier verschwindet. Ich brauche Ruhe!“, scheuchte er sie ohne weiteres Federlesens aus der Kajüte.

Behutsam entfernte der Chinese das blutdurchtränkte Hemd, das Cale auf die Wunde gepresst hatte, und inspizierte diese mit ruhigem Blick. Der Blutstrom ließ kaum eine genauere Betrachtung zu, und Hong und Cale Stewart konnten sehen, wie das Leben, Tropfen für Tropfen, mit grausamer Beständigkeit aus ihrem Captain herausrann.

*

„Wir müssen uns sofort um die Treasure kümmern. Wenn sie sinkt, ist er nicht mehr zu retten“, stellte Cale besorgt fest.

Er drehte sich auf dem Absatz herum und rannte in die Bilge, um das Leck persönlich zu prüfen. Der Anblick traf ihn wie ein Schlag. Wenn sie nicht sofort das Schiff an Land brachten, um dort das Leck auszubessern, war es nur eine Frage der Zeit, wann sie auf dem Meeresgrund landen würden. Die Männer an den Lenzpumpen arbeiteten mit übermenschlicher Anstrengung und würden dies auf die Dauer nicht lange durchhalten. Der Erste Maat sprang die Stufen hoch, um wieder auf das Hauptdeck zu gelangen.

„Jintel, wir nehmen die Treasure in Schlepp und müssen sie sofort am Strand kielholen. Beeil dich, die Zeit läuft uns davon!“ Cale sah den Zweifel in den Augen des Profos schimmern. Das Leben von Jess Morgan stand auf Messers Schneide, ihm war auf natürliche Art nicht mehr zu helfen. Hong war ein Künstler, wenn es darum ging, Wunden wieder zusammenzuflicken, aber er war kein Zauberer. Er konnte nur das Unabwendbare hinauszögern, dem Tod ein paar Atemzüge mehr abringen, mehr nicht. Jetzt lag alles in ihren Händen und hing von der unglückseligen Verbindung zwischen dem Captain und der Monsoon Treasure ab. Wenn sie die Treasure an Land schafften, wenn sie es möglich machten, sie rechtzeitig zu reparieren, konnten sie auch Jess retten, der mit einer Verwundung kämpfte, die jeden normalen Mann bereits in das Reich der Toten geschickt hätte.

„Dann werden sich die faulen Kerle hier mächtig ins Zeug legen müssen!“

Die harschen Worte des Profos wischten jeden Zweifel in Cale beiseite. Es war ihre einzige Chance, und diese würden sie nicht ungenutzt verstreichen lassen. Jintel begab sich sofort in eines der Beiboote und trieb die Rudermannschaften vor Ort an, wie er es noch nie zuvor getan hatte.

*

Drei Tage später stand Cale am Strand und betrachtete unzufrieden den Fortschritt der Reparaturarbeiten. Es hatte bereits einen guten halben Tag gedauert, bis sie die Monsoon Treasure endlich an den Strand gezogen hatten. Seitdem waren die Arbeiten am Rumpf kaum vorangeschritten, da sie nicht genügend Holz zur Verfügung hatten. Einige Männer der Besatzung hatten sich am frühen Morgen aufgemacht, um nach McPhersons Anweisungen geeignete Bäume zu suchen und zu fällen. Doch bis jetzt hatte er kein Lebenszeichen mehr von ihnen erhalten. Cale fluchte leise vor sich hin. Er ließ seinen Blick über das verwaiste Dorf gleiten.

Die Bewohner des Fischerdorfes hatten die Vorgänge voll Misstrauen beobachtet, hatten aber nicht versucht, sie zu stören oder gar daran zu hindern. Das gesamte Dorf wirkte nun wie ausgestorben, als hätten sich seine Bewohner in das Hinterland zurückgezogen. Überraschend öffnete sich die Tür zu der großen Hütte, in deren Öffnung die Frau erschien, die Jess mit seinem Namen angesprochen hatte. Cale war sich fast sicher, dass ein unglückseliger Zufall sie auf die Eltern von Jess Morgan hatte treffen lassen. Der Mann, der sich hinter ihr aus der Hütte schob, besaß eine solch verblüffende Ähnlichkeit, dass er der Vater sein musste. Cale schüttelte den Kopf über die Situation und fragte sich, was in diesen Menschen vorgehen musste. Mehr als ein Jahrzehnt war ihr Sohn spurlos verschwunden und kam zurück, um als Pirat das eigene Dorf zu plündern.

Misstrauisch erkannte Cale, dass beide ihre Schritte in seine Richtung gelenkt hatten und sich vorsichtig näherten. Das Gesicht der Frau wirkte bleich und angespannt, während der Mann sie entschlossen an die Hand nahm und Cale gelassen entgegensah. Cale konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren. Der Blick aus eisblauen Augen, der jeden anderen sicherlich einschüchtern konnte, war der gleiche, den Jess Morgan so oft nutzte.

Der Fischer blieb in einiger Distanz stehen.

„Verzeiht, aber wir möchten uns nach dem Befinden Eures Captains erkundigen.“ Seine Stimme klang fest, während seine Frau mit zusammengepressten Lippen neben ihm stand. Ihre Hände umklammerten in einem verzweifelten Griff die Hand ihres Mannes, als wäre sie das Einzige, was sie aufrecht hielt. Der Blick ihrer weit aufgerissenen Augen war bittend auf Cale gerichtet.

Cale seufzte innerlich und überlegte, was er ihnen antworten sollte. Wenn er ihnen berichtete, dass er heute Morgen mit ihrem Sohn gesprochen hatte, der bei Bewusstsein war und sich bereits wieder in der Koje aufrichten konnte, würde er ihnen wahrscheinlich den nächsten Schlag versetzen. Nur jemand, der mit dem Teufel im Bunde stand, konnte eine solche Verletzung überleben, geschweige denn, sich so schnell davon erholen. Er ging davon aus, dass Jess spätestens in einer Woche, wenn die Treasure bis dahin fertiggestellt war, wieder völlig genesen sein würde. Dies war für jeden normalen Mann undenkbar. - Allerdings, was konnte noch schlimmer sein, als seinen eigenen Sohn niederzustechen? Cale räusperte sich und tat einen Schritt auf die beiden zu.

„Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, er wird es überleben.“

Der Mann nickte unmerklich, während die Frau ihn erwartungsvoll ansah.

„Es wird wohl problematisch werden, das richtige Holz für Euer Schiff herbeizuschaffen. Wir werden Euch helfen.“ Sein Blick wanderte über den Rumpf der Treasure. „Einige Dorfbewohner sind bereit, Holz zu besorgen, wenn Ihr versprecht, uns anschließend sofort zu verlassen.“ Sein Blick wurde hart, als Cale ihm danken wollte, und der Fischer hob abwehrend eine Hand.

„Dankt uns nicht, lasst uns nur in Frieden hier leben!“ Er wollte sich abwenden, doch die zarten Hände seiner Frau hielten ihn bestimmend zurück. Ein unwilliges Knurren entrang sich seiner Kehle, und er runzelte ablehnend die Stirn.

„Jess, bitte.“ Die Frau sah ihn energisch an. Cale konnte seine Überraschung nicht verbergen, als er hörte, dass der Mann den gleichen Namen trug. Dies war jedoch recht üblich in der Gegend und nichts Außergewöhnliches, trotzdem verdeutlichte es erneut die Absurdität der Situation.

Widerwillig sah ihn der Fischer an. Es war unverkennbar, wie er mit sich kämpfte, bevor er sprach: „Ist es möglich, ihn zu sehen?“

Cale hatte mit solch einem Ansinnen gerechnet, trotzdem war er ehrlich verblüfft. Das Gesicht der Frau war wieder flehentlich auf ihn gerichtet. Unruhig knetete sie ihre Finger, die sie zögernd von der Hand ihres Mannes gelöst hatte. Ihre Lippen formten stumm, aber voller Leidenschaft eine Bitte, die er auch ungehört vernahm. Ihr Mann stand unbeugsam neben ihr. Seine Frage war zwar unwillig erfolgt, doch hatte sie die gleiche Sehnsucht zum Inhalt. Cale schluckte schwer.

„Ich denke, das ist in seinem momentanen Zustand keine gute Idee.“ Cale schüttelte bedauernd den Kopf und biss sich auf die Lippen. Was sollte er ihnen denn anderes sagen? Ihr Wunsch war verständlich, aber seine Erfüllung nicht möglich. Aufatmend verfolgte er, wie die beiden sich verlegen von ihm verabschiedeten und dann langsam, Hand in Hand, über den Strand zu ihrer Hütte zurückkehrten. Cale nahm sich vor, Jess bei seinem nächsten Besuch von der Begegnung zu berichten. Sollte Jess selbst entscheiden, schließlich war es seine Vergangenheit, die ihn einholte.

*

Während sich die Sonne erst langsam aus ihrem nassen Bett hinter dem Horizont erhob, betrat Cale voller Neugier die Kapitänskajüte. Zu seiner Überraschung saß Jess schon auf der Kante seiner Koje, während Hong konzentriert seine Wunde untersuchte.

Jess lächelte ihm entgegen und wartete geduldig, bis Hong einen frischen Verband um seinen Bauch geschlungen hatte. Er wirkte völlig entspannt, und nichts erinnerte mehr an die schwere Verwundung vor ein paar Tagen. Es war nicht das erste Mal, dass Cale Zeuge der wundersamen Heilung von Jess Morgan wurde, aber immer wieder versetzte ihn diese Art der Zauberei in Erstaunen. Manchmal hatte es sogar etwas Beängstigendes an sich, und Cale fragte sich, welchen Preis sein Freund für diese Gabe bereits gezahlt hatte und noch zahlen würde. Er musste an die gestrige Begegnung denken und wollte gerade Jess davon berichten, als dieser unvermittelt aufkeuchte und mühsam nach Luft rang. Cale wollte zu ihm stürzen, doch der kleine Chinese hielt ihn mit einem entschiedenen Kopfschütteln zurück.

„Schick … sie … weg. Sofort!“ Jess presste die Worte gequält hervor und griff sich krampfhaft an sein Herz. Seine Augen weiteten sich für einen winzigen Moment in Fassungslosigkeit und richteten sich hilfesuchend auf Cale, der ihn besorgt ansah. Er konnte nicht begreifen, was hier gerade geschah und sah irritiert zu Hong, der seine Hand beruhigend auf die Schulter seines Captains legte.

„Du musst dich ihnen stellen, Jess. Es hält den Genesungsprozess auf.“

Cale konnte nur verständnislos zwischen dem Chinesen und Jess hin und her starren. Der Atem seines Freundes normalisierte sich wieder und die ungewohnte Panik, die für einen winzigen Bruchteil von ihm Besitz ergriffen hatte, schien Jess wieder losgelassen zu haben. Trotzdem wirkte er seltsam verwirrt und unruhig und war damit nicht der Einzige im Raum, wie Cale sich im Stillen eingestand.

„Schick sie fort, Cale!“ Die Stimme von Jess hatte ihre übliche Festigkeit zurückgewonnen. Mit dunkel umwölkten Augen sah er auf seinen Ersten Maat.

„Die Fischer stehen wieder vor dem Schiff.“ Hong setzte ungeduldig zu einer Erklärung an. „Die Strömungen der beiden, insbesondere die der Frau, verursachen in Jess offenbar eine Art körperlicher Schmerzen.“ Der Chinese richtete sich auf und warf seinem Patienten einen mürrischen Blick zu, den dieser in seiner üblichen Art ignorierte, und Hong ein unwilliges Brummen entlockte. Sorgfältig sammelte er seine Sachen ein und ordnete sie in eine lederne Tasche, die er immer gewissenhaft hütete und niemanden sonst aushändigte.

„Sie wollen dich sehen, Jess.“ Cale überlegte einen Moment, bevor er fortfuhr und von seiner Begegnung mit ihnen erzählte.

Jess schüttelte entschieden den Kopf und ließ sich zurück auf seine Koje sinken. Er wirkte von einem Augenblick zum anderen vollkommen erschöpft.

„Ich kann ihre Qualen spüren.“ Jess schloss seine Augen und holte tief Luft, bevor er fortfuhr. „Sie treffen mich mit ihren Gefühlen, ihrem Schmerz bis – in mein Herz.“ Seine Augen öffneten sich und starrten dumpf an die Decke.

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