Kitabı oku: «Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union», sayfa 14

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b) Grundrechtsträger und -adressaten

[176] Die Unionsgrundrechte gelten zunächst für alle Unionsbürger, d.h. die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, sowie alle juristischen Personen, die ihren Sitz im Gebiet der EU haben. Ein entsprechender Grundrechtsschutz ist daneben den natürlichen und juristischen Personen aus Drittstaaten zu gewähren, soweit sie in gleicher Weise wie die Unionsangehörigen durch unionsrechtliche Maßnahmen betroffen werden176. Eine derartige Ausweitung der Trägerschaft von Unionsgrundrechten kann darauf gestützt werden, dass der Vertrag über die Europäische Union die Verpflichtung zur Achtung der Grundrechte unter den einleitenden Gemeinsamen Bestimmungen (Art. 6 EUV) aufführt und damit deren universellen Geltungsanspruch zum Ausdruck bringt.

[177] An die Unionsgrundrechte gebunden sind zunächst und vor allem die EU-Organe. Das Handeln der EU-Organe wird am Maßstab der Unionsgrundrechte gemessen. Allerdings wird den EU-Organen bei ihrem Handeln vom EuGH ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt, der die Kontrolldichte nicht unerheblich begrenzt. Deshalb wird dem EuGH immer wieder vorgeworfen, dass diese Beschränkung auf der „Grundrechtsbilanz“ des EuGH einen „hässlichen Fleck“ hinterlasse177. Dieser Vorwurf ist jedoch nicht gerechtfertigt. In der EU-Rechtsordnung ist, wie in der deutschen Rechtsordnung auch, im Falle eines bestehenden Ermessens die gerichtliche Kontrolle auf die Überprüfung des Vorliegens von Ermessensfehlern begrenzt: Zu unterbinden sind Rechtsfehler, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung und Ermessensfehlgebrauch. Eine weitere Grenze für die Überprüfung von Unionsmaßnahmen am Maßstab der Unionsgrundrechte besteht im Hinblick auf Unionsmaßnahmen, die Entscheidungen des UN-Sicherheitsrates auf EU-Ebene umsetzen178. Diese Maßnahmen sind der Rechtmäßigkeitskontrolle durch die europäische Gerichtsbarkeit entzogen. Dies schließt auch die Überprüfung am Maßstab der Unionsgrundrechte ein; einziger Prüfungsmaßstab für diese Umsetzung sind die zwingenden Regeln des allgemeinen Völkerrechts, zu denen auch die universell geltenden Menschenrechte gehören179.

[S. 128]

[178] Die Mitgliedstaaten sind insoweit an die Unionsgrundrechte gebunden, als sie im Anwendungsbereich des EU-Rechts handeln. Dies ist unbestritten der Fall bei der Durchführung und beim Vollzug des EU-Rechts durch die Mitgliedstaaten180 und bei der Einschränkung der Grundfreiheiten durch nationales Recht im Rahmen des unionsrechtlichen Schrankenvorbehalts181. Darüber hinaus wird eine derartige Bindung angenommen bei einer Gefährdung eines unionsrechtlich gewährleisteten Rechts durch nationales Prozess- und Verfahrensrecht182. Allerdings haben zwei jüngere Urteile des EuGH zur Frage der Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten zu heftiger Kritik in der Literatur und zu einer Klarstellung durch das BVerfG geführt. In seinen Urteilen „Akerberg Fransson183 und „Vinkov184 hat der EuGH klargestellt, dass die Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten bereits dann eintrete, wenn eine nationale Regelung in den „Geltungsbereich“ des Unionsrechts falle, was neben der klassischen Durchführung des Unionsrechts auch dann anzunehmen sei, wenn „es andere Anknüpfungspunkte an dieses Recht gibt“. An dieser weiten Auslegung entzündet sich der Streit. Es wird dem EuGH vor allem vorgehalten, dass er über den insoweit eindeutigen Wortlaut des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, der gerade nur von „Durchführung“ spreche, hinausgehe und sich damit eine umfassende Regelzuständigkeit in Grundrechtsfragen anmaße185. In seinem Urteil zur Antiterrordatei186 hat das BVerfG deutlich gemacht, dass die Urteile des EuGH nicht in einer Weise verstanden und angewendet werden dürfen, nach der für eine Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatsächlicher Auswirkungen auf dieses ausreichend sei. Dies würde den Schutz und die Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Grundrechte in einer Weise gefährden, die die Identität der durch das Grundgesetz errichteten Verfassungsordnung in Frage stellen würde, womit sich die Urteile des EuGH als Ultra-vires-Akte darstellen würden. Allerdings sieht das BVerfG dies in der Auslegung in den fraglichen Urteilen durch den EuGH als nicht gegeben an, da der EuGH im Urteil „Akerberg Fransson“ selbst ausdrücklich darauf hinweist, dass die GRCh nur in „unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb[S. 129] derselben Anwendung findet“. Es bleibt abzuwarten, ob der EuGH diese Vorgabe des BVerfG aufnehmen wird und zur Klarstellung vielleicht doch noch auf den Auslegungsvorschlag von Generalanwalt Cruz Villalón in der Rs. „Akerberg Fransson“ zurückkommt, der Art. 51 Abs. 1 S. 1 CRCh im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses versteht: als Regel habe danach zu gelten, dass die Kontrolle von Handlungen der öffentlichen Gewalt der Mitgliedstaaten, bei denen ein Wertungsspielraum besteht, Sache der Mitgliedstaaten im Kontext ihrer verfassungsmäßigen Ordnung ist; die Anwendung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten und damit die Verlagerung der Grundrechtsgewährleistung auf die EU bilde hierzu die Ausnahme. Insoweit soll es auf den Grad des Zusammenhangs zwischen dem grundsätzlich angewendeten Unionsrecht und der Ausübung hoheitlicher Befugnisse des Staates ankommen, wobei zwischen der mehr oder weniger nahen „causa“ und der reinen „occasio“ zu unterscheiden sei.187

[179] Die nationalen Stellen unterliegen damit einer zweifachen Grundrechtsbindung, der aus dem EU-Recht und der aus dem nationalen Recht. Bei Zweifeln über Inhalte und Tragweite des Unionsgrundrechts steht den nationalen Richtern das Vorabentscheidungsverfahren zur Verfügung188. Noch offen ist hingegen die Frage, ob den Unionsgrundrechten auch eine Drittwirkung in dem Sinne zukommt, dass sie ihre Wirkungen auch im Verhältnis von Privaten untereinander entfalten. Anerkannt ist eine solche Drittwirkung für das Recht auf Gleichbehandlung, sie ist darüber hinaus auch in allen anderen Fällen vorstellbar, in denen sich das Rechtsverhältnis zwischen den fraglichen privaten Parteien nach EU-Recht richtet.

c) Schutzbereich der Grundrechte

[180] Der Schutzbereich der Grundrechte ergibt sich aus der konkreten Grundrechtsnorm selbst, der notfalls unter Anwendung der im EU-Recht geltenden Auslegungsmethoden189 näher bestimmt werden muss. Allerdings hat der EuGH lange Zeit auf die Beschreibung des Schutzbereichs eines Grundrechts weitestgehend verzichtet190; erst in jüngerer Zeit ist er dazu übergegangen, den Schutzbereich eines Grundrechts vor allem unter Hinzuziehen der vergleichbaren Norm der EMRK näher zu beschreiben191. Es ist davon auszugehen, dass der EuGH in seiner zukünftigen Rechtsprechung zur Grundrechtecharta diesen Weg verstärkt beschreiten und den Schutzbereich der betroffenen Grundrechtsnormen näher bestimmen wird.

[S. 130]

d) Grundrechtseingriff

[181] Unter „Eingriff“ ist jede Verkürzung des Schutzbereichs durch hoheitliche Maßnahmen oder – soweit eine Drittwirkung der Grundrechte angenommen werden kann – durch Privatpersonen zu verstehen, wobei auch mittelbare Auswirkungen auf den Schutzbereich erfasst werden192.

e) Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs

[182] Die Grundrechtecharta enthält in Art. 52 eine allgemeine Schrankenregelung, die für alle Grundrechtsgewährleistungen gleichermaßen gilt und sich eindeutig an der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zur Einschränkbarkeit von Grundrechten orientiert. Danach hat sich der Geltungsanspruch der Grundrechte zum einen in die Struktur und Ziele der Union einzufügen193 und ist zum anderen in Einklang zu bringen mit den sich aus dem Allgemeinwohl ergebenden Sachzwängen, ohne dabei den Wesensgehalt der Grundrechte anzutasten194.

[183] Dieser Schrankenvorbehalt führt zu folgenden drei Schranken, an denen Eingriffe in Unionsgrundrechte zu messen sind:

(1) Gesetzesvorbehalt: Jeder Eingriff der öffentlichen Gewalt in die Grundrechte einer natürlichen oder juristischen Person bedarf einer Rechtsgrundlage195.

(2) Geweinwohlvorbehalt: Grundrechtseingriffe können durch die dem Allgemeinwohl dienenden Ziele der EU gerechtfertigt werden. Anerkannt als Gemeinwohlziele sind etwa: Verbraucherschutz196, Schutz der menschlichen Gesundheit197, Durchsetzung des Wettbewerbsrechts198.

(3) Schranken-Schranken: Die einem Gemeinwohl dienenden Maßnahmen müssen, um einen Grundrechtseingriff rechtfertigen zu können, zunächst verhältnismäßig sein, d.h. sie müssen zur Erreichung des zulässigerweise mit der fraglichen Maßnahme verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein, und die auferlegten Belastungen müssen in einem angemessenen Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen199. Zudem dürfen diese Maßnahmen nicht den Wesensgehalt des geschützten[S. 131] Grundrechts antasten200.

[184] Die Parallelen zur deutschen Schrankensystematik im Bereich des Grundrechtsschutzes sind auffällig; gleichwohl darf diese Systemverwandtschaft nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Ausfüllung dieser Maßstäbe, insbesondere die Abwägung der Interessen, allein nach unionsrechtlichen Gesichtspunkten erfolgt.

f) Einzelne Grundrechtsverbürgungen201
aa) Würde des Menschen

[185] (Titel I, Art. 1–5 GRCh): Sie ist, wie im Grundgesetz auch, in Art. 1 GRCh niedergelegt und strahlt als fundamentales Grundrecht aus auf alle anderen Grundrechte. Einschränkungen der Menschenwürde sind unzulässig, da diese den Wesensgehalt aller Grundrechte prägt. Weitere fundamentale Rechte, welche alle Ausprägungen der Menschenwürdegarantie enthalten, finden sich in den Art. 2–5 des Titels I der GRCh. Hierzu zählen insbes. das Recht auf Leben (Art. 2 GRCh) und die Garantie der körperlichen und geistigen Unversehrtheit (Art. 3 Abs. 1 GRCh). Der EuGH hat sich bisher nur in einzelnen Fällen mit diesen Grundrechten befasst. So sah er das Verbot von gewerblich veranstalteten Spielen mit simulierten Tötungshandlungen an Menschen unter Hinweis auf den Schutz der Menschenwürde als Bestandteil der öffentlichen Ordnung für unionsrechtskonform an und erklärte folglich den mit dem Verbot verbundenen Eingriff in die Waren- bzw. Dienstleistungsverkehrsfreiheit als gerechtfertigt202. Ferner hat der EuGH entschieden, dass der menschliche Körper zwar keine patentierbare Erfindung sein darf, es aber gleichwohl keinen Verstoß gegen die Menschenwürde bedeutet, wenn Bestandteile des menschlichen Körpers als Teile einer wissenschaftlichen oder technischen Erfindung zum Gegenstand einer Patentanmeldung gemacht werden203.

bb) Freiheitsrechte

[186] (Titel II, Art. 6–19 GRCh): Die Freiheitsrechte sind umfassend im Titel II der Grundrechtecharta gewährleistet. Neben den bisher bereits im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH geschützten wirtschaftlichen Freiheiten lehnt sich der Katalog der Freiheitsrechte in der Grundrechtecharta sehr stark den durch die EMRK geschützten Freiheitsrechten an.

[187] (1) Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 6 GRCh): Dieses Grundrecht ist vor allem als Verfahrensgrundrecht bei Freiheitsentziehungen und -beschränkungen von Bedeutung. Rechtsprechung des EuGH liegt zu diesem Freiheitsrecht noch nicht vor.

[S. 132]

[188] (2) Achtung des Privat- und Familienlebens (Art. 7 GRCh): Hierunter fallen neben der Privatsphäre und dem Familienleben im engeren Sinne204 auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sowie die Unverletzlichkeit der Wohnung. Inzwischen werden Betriebs- und Geschäftsräume vom Schutzbereich mitumfasst205. Auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung wird garantiert (Art. 8 GRCh).

[189] (3) Ehe und Familie (Art. 9 GRCh): Die Ehe setzt eine Verbindung zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts voraus206. Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, wie sie in Deutschland durch das Lebenspartnerschaftsgesetz geschützt werden, sind keine Ehen im Sinne des Grundrechts. Dagegen wird von Art. 9 GRCh weder untersagt noch vorgeschrieben, Personen gleichen Geschlechts einen der Ehe entsprechenden Status zu verleihen207.

[190] (4) Kommunikationsfreiheiten (Art. 10–12 GRCh): Als Erstes wird, wie in allen Verfassungen der Mitgliedstaaten auch, die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit durch Art. 10 Abs. 1 GRCh geschützt208. Da diese Freiheiten dem durch Art. 9 EMRK garantierten Recht entsprechen und Art. 52 Abs. 3 GRCh für diesen Fall beiden Gewährleistungen die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite zuweist, muss bei der Anwendung des Art. 10 GRCh auch Art. 9 Abs. 2 EMRK gewahrt werden. Dort heißt es: „Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekennen, darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die öffentliche Sicherheit, zum Schutz der öffentlichen Ordnung, Gesundheit oder Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“ Das Recht auf Wehrdienstverweigerung wird in Art. 10 Abs. 2 GRCh zwar normiert, aber insoweit wird auf die einzelstaatlichen Gesetze verwiesen. Das dem Art. 10 EMRK nachgebildete Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit (Art. 11 GRCh) ist vom EuGH mehrfach bestätigt worden209. Abzuleiten ist aus dieser Rechtsprechung, dass die Meinungsfreiheit „eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft“ darstellt und in dieser Funktion als allgemeiner[S. 133] Rechtsgrundsatz in der EU-Rechtsordnung Geltung beansprucht210. Auch die Versammlungsfreiheit211 und die Vereinigungsfreiheit212 werden in einem Grundrecht (Art. 12 GRCh) gewährleistet. Betont wird hier auch die Bedeutung der Parteien für die demokratische Willensbildung und -vermittlung. Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

[191] (5) Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (Art. 13 GRCh) sowie Bildung (Art. 14 GRCh): Art. 13 GRCh schützt die Freiheit von Kunst und Forschung und achtet die akademische Freiheit. Art. 14 GRCh gewährleistet das Recht auf Bildung sowie den Zugang zu beruflicher Ausbildung und Weiterbildung. Dabei wird die Unentgeltlichkeit des Pflichtschulunterrichts (Abs. 2) einerseits, aber auch die Freiheit zur Gründung von (privaten) Lehranstalten (Abs. 3) ausdrücklich geregelt.

[192] (6) Berufsfreiheit (Art. 15 GRCh) und unternehmerische Freiheit (Art. 16 GRCh): Die Berufsfreiheit umfasst sowohl die Aufnahme eines Berufes als auch dessen Ausübung213. Dazu gehört auch die freie Wahl des Arbeitgebers214. Diese Rechte müssen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Hinblick auf die soziale Funktion und Bedeutung der geschützten Rechtsgüter und Tätigkeiten gesehen werden215. Folglich sind die Anforderungen an Beschränkungen der Berufsaufnahme besonders streng216. Beschränkungen der Berufsausübung sind demgegenüber eher möglich und werden lediglich daraufhin überprüft, ob „die mit den Bestimmungen verfolgten Ziele dem Gemeinwohl dienen, ob sie keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Situation ... Einzelner ... darstellen und ob der Rat die Grenzen seines Ermessens nicht überschritten hat“217. Die Wertigkeit dieser Interessen muss umso größer sein, je näher die betreffende Maßnahme an die Freiheit der Aufnahme[S. 134] und damit der Wahl eines Berufs heranreicht218. Art. 15 GRCh spricht auch von einem „Recht, zu arbeiten“, was aber nicht als einklagbarer Anspruch auf Arbeit zu verstehen ist.

Im Rahmen der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit werden neben der allgemeinen Wirtschaftsfreiheit auch die Entfaltungs- und Dispositionsfreiheit geschützt (Art. 16 GRCh). Für diese Freiheiten gelten allerdings weitreichende Schranken, die durch einfache Allgemeinwohlüberlegungen konkretisiert werden können. Im Ergebnis werden diese Freiheiten damit nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeit unter Beachtung ihres Wesensgehalts garantiert219.

[193] (7) Eigentumsrecht (Art. 17 GRCh): Die Regelung des Eigentumsrechts in der Grundrechtecharta basiert auch weiterhin auf der Feststellung des EuGH, wonach das Eigentumsrecht „in der EU-Rechtsordnung gemäß den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten gewährleistet wird, die sich auch im Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention widerspiegeln220. Das bedeutet, dass auch auf EU-Ebene das Eigentumsrecht keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen kann, sondern im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden muss. Deshalb kann das Eigentumsrecht Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen „tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Union entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antastet“221. Dem Eigentumsschutz unterfallen sämtliche wohlerworbenen vermögenswerten Rechte, d.h. sowohl das Sacheigentum als auch Vermögensdispositionen und die damit verbundenen vermögenswerten Interessen, etwa bei Investitionsmaßnahmen222. Auch das geistige Eigentum in der Form von Immaterialgüterrechten, wie Urheberrechte, Patent- und Markenrechte, Warenzeichen oder Gebrauchsmuster, wird geschützt (Art. 17 Abs. 2 GRCh). Nicht geschützt sind jedoch „bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten“223. Auch ein Eigentumsrecht an einem „Marktanteil“, den ein Unternehmen zu einem bestimmten Zeitpunkt besessen hat, besteht nicht, „da ein solcher Marktanteil nur eine augenblickliche wirtschaftliche Position darstellt, die den mit[S. 135] einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt ist“224. Im Rahmen der konkreten Prüfung unterscheidet der EuGH zwischen Entziehung des Eigentums und Einschränkung seiner Nutzung. Ein Entzug des Eigentums ist nur bei Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeinwohls und auch nur gegen Entschädigung zulässig225 (so jetzt ausdrücklich Art. 17 Abs. 1 Satz 2 GRCh). Beschränkungen der Nutzung des Eigentums sind dagegen in geringerem Maße geschützt. Sie können durch jedes dem Allgemeinwohl dienende Ziel gerechtfertigt werden und unterliegen damit im Wesentlichen nur einer Verhältnismäßigkeitsprüfung, wobei allerdings stets zu beachten ist, dass der Wesensgehalt des Eigentumsrechts nicht angetastet wird226. Einen Eingriff in den Wesensgehalt des Eigentumsrechts nimmt der EuGH etwa an, wenn überhaupt keine alternative Nutzung der Eigentumsposition verbleibt227.

[194] (8) Asylrecht, Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung (Art. 18, 19 GRCh): Die Aufnahme des Asylrechts unter die Grundrechte ist neu. Die EMRK enthält keine entsprechende Regelung, und auch die Mitgliedstaaten gewähren Rechte im Asyl nur nach den Regelungen der Genfer Flüchtlingskonvention. Vor diesem Hintergrund dürfte auch aus Art. 18 GRCh kein subjektives Recht auf Asyl ableitbar sein. Vielmehr ergeben sich daraus für die Mitgliedstaaten lediglich Respektierungs- und Schutzpflichten nach Maßgabe der Genfer Flüchtlingskonvention zugunsten von Personen mit anerkanntem Flüchtlingsstatus. Eine weitere Ausgestaltung des Asylrechts ist darüber hinaus im Rahmen der Wahrnehmung neuer Kompetenzen der EU auf diesem Gebiet (Art. 77 ff. AEUV) zu erwarten. Kollektivausweisungen sind unzulässig (Art. 19 GRCh). Hiermit soll gewährleistet werden, dass jeder Ausweisungsbeschluss gesondert geprüft werden muss. Die Umstände, unter denen nicht abgeschoben oder ausgewiesen werden darf, sind in Art. 19 Abs. 2 GRCh geregelt; sie knüpfen an die Rechtsprechung des EuGMR an228.

[S. 136]

[195] (9) Allgemeine Handlungsfreiheit: Der Grundrechtekatalog enthält wie auch die EMRK kein allgemeines Auffanggrundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie es etwa in Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht angelegt wurde. Der EuGH hat allerdings betont, dass „in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder natürlichen oder rechtlichen Person einer Rechtsgrundlage [bedürfen] und [...] aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen gerechtfertigt sein [müssen]; diese Rechtsordnungen sehen daher, wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung, einen Schutz gegen willkürliche oder unverhältnismäßige Eingriffe vor“229.