Kitabı oku: «Strafrecht Allgemeiner Teil», sayfa 10
3. Aberratio ictus
189Der Begriff aberratio ictus (wörtliche Übersetzung: „Abirren des Pfeils“) bezeichnet den Fall des Fehlgehens der Tat.[199] Eine aberratio ictus liegt vor, wenn der vom Täter erwünschte Erfolg nicht bei dem von ihm anvisierten Objekt, sondern bei einem anderen, in der Tatsituation nicht anvisierten Objekt eintritt. Sind das getroffene und das anvisierte Tatobjekt wie im folgenden Beispielsfall tatbestandlich ungleichwertig, entspricht es allgemeiner Auffassung, dass die aberratio ictus beachtlich sein muss:[200] A will O erschießen, der gerade mit seinem Hund spazieren geht. A zielt auf O, trifft aber nur dessen Hund tödlich. – Eine vollendete Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) bzgl. des Hundes scheidet mangels Vorsatzes aus. Da kein Mensch gestorben ist, liegt auch kein vollendeter Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB), sondern nur ein versuchter Totschlag (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) vor. Da die fahrlässige Sachbeschädigung straflos ist, zieht die Tötung des Hundes in dieser Konstellation keine strafrechtliche Haftung nach sich.
190Umstritten ist die Behandlung der aberratio ictus, wenn verfehltes und getroffenes Tatobjekt, wie im folgenden Beispielsfall, tatbestandlich gleichwertig sind: A will B, der gerade mit seinem Freund O spazieren geht, erschießen. A zielt auf B, trifft aber stattdessen den O tödlich. – Nach einer teilweise in der Literatur vertretenen Auffassung soll die aberratio ictus in diesen Fällen den Vorsatz unbeeinflusst lassen, weil dieser den tatbestandsmäßigen Erfolg nur nach seinen gattungsbedingten Merkmalen umfassen müsse.[201] Da A im Beispielsfall einen anderen Menschen töten wollte und dies auch tatsächlich getan hat, hätte er sich hiernach gemäß § 212 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Dass sich der tatbestandliche Erfolg bei einer anderen Person realisiert hat, als vom Täter gewollt, ist nach dieser Ansicht unerheblich. Teilweise wird demgegenüber vertreten, bei der aberratio ictus handle es sich um einen Unterfall des Irrtums über den Kausalverlauf, so dass es darauf ankäme, ob das Fehlgehen vorhersehbar war (dann lässt es den Vorsatz unberührt) oder nicht (dann ist |67|das Fehlgehen beachtlich).[202] Nur wenn man im Beispielsfall davon ausgeht, dass damit zu rechnen war, dass der Schuss nicht den B, sondern den O treffen würde, wäre A somit auch nach dieser Auffassung nach § 212 Abs. 1 StGB zu bestrafen.
191Die überwiegende Auffassung geht demgegenüber zutreffend davon aus, dass die aberratio ictus in Fällen der tatbestandlichen Gleichwertigkeit nach den gleichen Kriterien zu behandeln ist, wie bei tatbestandlicher Ungleichwertigkeit, der Täter also hinsichtlich des anvisierten Tatobjekts allenfalls wegen Versuchs und hinsichtlich des tatsächlich getroffenen Objekts allenfalls wegen eines Fahrlässigkeitsdelikts zu bestrafen ist.[203] Denjenigen Autoren, die für eine Unbeachtlichkeit der aberratio ictus bei tatbestandlicher Gleichwertigkeit eintreten, ist entgegenzuhalten, dass sie durch eine bloße Fiktion den Vorsatz zum Erfolg ziehen.[204] Dem Täter, der bereits ein bestimmtes Tatobjekt individualisiert hat, wird unterstellt, sein Vorsatz erstrecke sich auf ein beliebiges Objekt einer bestimmten Gattung. Gerade wenn es um die Verletzung von Leben und Gesundheit geht, ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine deutliche Konkretisierung des Tatobjekts vorliegt und aufgrund der Höchstpersönlichkeit der geschützten Rechtsgüter nicht unterstellt werden kann, dem Täter ginge es schlicht darum, ein Objekt der Gattung „Mensch“ zu verletzen. Gegen den Ansatz, der die aberratio ictus nach den Kriterien des Irrtums über den Kausalverlauf behandeln möchte, ist darüber hinaus einzuwenden, dass er dem Anwendungsbereich der aberratio ictus nicht hinreichend Rechnung trägt. Erkennt der Täter, dass ein Fehlgehen der Tat wahrscheinlich ist, und handelt trotzdem, wird er häufig auch hinsichtlich des tatsächlich getroffenen Objekts vorsätzlich handeln, so dass gar kein Fall der aberratio ictus vorliegt. Wenn etwa A im Beispielsfall erkennt, dass sein Schuss auch den O treffen könnte, sich hiermit jedoch abfindet, weil er den B unbedingt töten möchte, so handelt er auch hinsichtlich des Todes des O mit dolus eventualis, so dass er im Fall des Fehlgehens der Tat unproblematisch aus § 212 Abs. 1 StGB bestraft werden kann. Das Abstellen auf die Vorhersehbarkeit des Fehlgehens hilft also letztlich nicht weiter.
192Den Besonderheiten der aberratio ictus entspricht es somit nur, wenn man die Konkretisierung auf ein bestimmtes Tatobjekt stets als wesentlich für den Vorsatz ansieht, so dass ein Fehlgehen der Tat unabhängig davon zum Vorsatzausschluss führt, ob anvisiertes und tatsächlich getroffenes Tatobjekt tatbestandlich gleichwertig oder ungleichwertig sind. Anders zu entscheiden ist nur, wenn der Täter die Möglichkeit des Fehlgehens und damit auch die Verletzung des Zweitobjekts in seinen Vorsatz aufgenommen hat. Da hierfür im Ausgangsfall keine Anhaltspunkte bestehen, hat sich A im Hinblick auf B wegen eines versuchten Totschlags (§§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB) und |68|im Hinblick auf O wegen einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) schuldig gemacht.
4. Error in persona vel obiecto
193Von der aberratio ictus abzugrenzen ist der error in persona vel obiecto, der Irrtum über die Identität der Person oder des Tatobjekts. In dieser Konstellation trifft der Täter zwar das von ihm anvisierte Tatobjekt, irrt sich jedoch über dessen Identität oder Eigenschaften.[205] Beim error in persona vel obiecto handelt es sich unproblematisch um einen beachtlichen Tatbestandsirrtum i.S.v. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, wenn vorgestelltes und tatsächlich angegriffenes Objekt tatbestandlich nicht gleichwertig sind.[206] Wenn also A den Hund seiner Nachbarn erschießt, den er in der Abenddämmerung für den Liebhaber seiner Frau gehalten hat, ist er nicht wegen vorsätzlicher Sachbeschädigung (§ 303 Abs. 1 StGB) zu bestrafen, da sich sein Vorsatz nicht auf die Zerstörung oder Beschädigung einer fremden Sache bezog.
194Sind vorgestelltes und angegriffenes Tatobjekt tatbestandlich gleichwertig, liegt im Fall des error in persona vel obiecto demgegenüber ein unbeachtlicher Motivirrtum vor.[207] Daher ist A im folgenden Beispielsfall wegen vorsätzlich begangenem, vollendetem Totschlag (§ 212 Abs. 1 StGB) zu bestrafen: A will B töten. Er lauert ihm in der Dunkelheit auf, hält aber den herannahenden O, der B der Statur nach ähnlich sieht, für B. A schießt auf O, der auf der Stelle tot ist. – Anders als bei der aberratio ictus verfehlt A hier nicht das anvisierte Objekt. Vielmehr trifft er es, dieses hat nur eine andere als die vorgestellte Identität. Sein Vorsatz war aber auf das tatsächlich getroffene Objekt konkretisiert. Da sich der Vorsatz gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB nur auf die Umstände des gesetzlichen Tatbestandes beziehen muss und es nicht auf die Beweggründe und Ziele des Täters ankommt, wirkt sich seine Fehlvorstellung an dieser Stelle nicht aus.
195Schwierigkeiten kann die Abgrenzung zwischen aberratio ictus und error in persona vel obiecto bereiten, wenn der Täter das angegriffene Objekt nicht optisch wahrnimmt.[208] Dies ist etwa in den viel zitierten Sprengfallen-Konstellationen der Fall: A will B durch einen Sprengsatz töten. Er bringt unter einem PKW, der vor der Garage des Hauses von B steht, eine Granate an, die beim Losfahren zünden soll. A geht davon aus, dass der PKW dem B gehört und von diesem benutzt wird. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um das Fahrzeug von Bs Nachbarn O. Als O losfährt, zündet die Granate; |69|O wird dabei getötet.[209] – Zwar könnte man erwägen, einen Tötungsvorsatz des A abzulehnen, weil dieser die Gefahr, dass ein anderer als B den PKW nutzen würde, nicht erkannt hat. Doch liegt nur ein error in persona vor: A hat das getötete Opfer „durch das zur Sprengfalle umfunktionierte Fahrzeug mittelbar individualisiert“.[210] Es wurde der Vorstellung des A entsprechend derjenige getötet, der den PKW benutzt. Auf die Person, die sich dem geplanten Ablauf entsprechend verhält, ist der Tötungsvorsatz konkretisiert. In diesem Fall liegt bei fehlender optischer Wahrnehmung des angegriffenen Objekts eine als Motivirrtum unbeachtliche Identitätsabweichung vor. A handelt also mit Tötungsvorsatz bzgl. O. Ebenso wäre dementsprechend zu entscheiden, wenn eine Briefbombe von einer anderen Person als dem Adressaten geöffnet wird.
196Denkbar ist zuletzt auch ein Zusammentreffen von aberratio ictus und error in persona:[211] A möchte O töten und lauert diesem am Straßenrand auf. Als B sich dem A nähert, hält dieser ihn aufgrund der schlechten Sichtverhältnisse für O und gibt einen Schuss ab. Der Schuss verfehlt jedoch den B, prallt an einer Straßenlaterne ab und trifft den O, der sich gerade dem Ort des Geschehens nähert, ohne von A wahrgenommen worden zu sein. – Obgleich A hier im Ergebnis diejenige Person getroffen hat, die er töten wollte, ist er nicht wegen eines vollendeten vorsätzlichen Tötungsdeliktes zu bestrafen. Im Zeitpunkt der Tathandlung (Abgabe des Schusses) war sein Vorsatz allein auf den B konkretisiert. Da er hinsichtlich eines Fehlgehens der Tat und der Tötung einer anderen Person nicht mit dolus eventualis handelte, liegt eine aberratio ictus vor, die trotz Gleichwertigkeit von anvisiertem und tatsächlich getroffenem Tatobjekt beachtlich ist (vgl. bereits Rn. 192). Somit ist A nur wegen eines versuchten Tötungsdeliktes in Bezug auf B und ggf. wegen einer fahrlässigen Tötung in Bezug auf O zu bestrafen. Treffen aberratio ictus und error in persona in einem Fall zusammen, ist dieser folglich nach den für die aberratio ictus geltenden Grundsätzen zu lösen.
5. Leitentscheidungen
197BGHSt 14, 193, 194f.; Späterer Erfolgseintritt (hierzu auch schon Rn. 185ff.): Die Täterin steckt einer Bekannten Sand in den Mund, bis sie diese für tot hält. Um die Spuren der Tat zu beseitigen, wirft sie die Bekannte in eine Jauchegrube. Tatsächlich war diese zu diesem Zeitpunkt lediglich bewusstlos, ertrinkt jedoch in der Jauchegrube. – Die Täterin hat durch die erste Tathandlung ein vorsätzliches Tötungsdelikt verwirklicht. Dass ein bereits für tot gehaltenes Tatopfer erst durch eine Beseitigungshandlung verstirbt, lässt den Vorsatz nicht entfallen, da sich dieses Geschehen im Rahmen des nach |70|allgemeiner Lebenserfahrung Vorhersehbaren bewegt und insoweit ein unbeachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf vorliegt.
198BGHSt 23, 133, 135f.; Unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Der Täter möchte eine Bekannte töten und ergreift hierfür ein Messer. Als er mit dem Zustechen beginnt, wird er infolge einer Affektamnesie zurechnungsunfähig. Die Bekannte verstirbt infolge des wiederholten Zustechens. – Trotz der Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt des Zustechens bejahte der BGH die Voraussetzungen eines vorsätzlichen vollendeten Tötungsdeliktes. Der Täter habe bereits vor dem Eintritt der Zurechnungsunfähigkeit mit der Tatausführung begonnen. Dass das Zustechen im Zustand der Schuldunfähigkeit erfolgte, stelle eine unwesentliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, da ein Nichteintreten der Affektamnesie allenfalls zur Folge gehabt hätte, dass der Täter weniger schnell und weniger häufig zugestochen hätte.
199BGHSt 34, 53, 54f.; Aberratio ictus: Der Täter fährt mit seinem Auto auf den Liebhaber seiner ehemaligen Freundin zu, um diesen zu töten. Der Liebhaber springt rechtzeitig zur Seite und wird nur leicht gestreift. Stattdessen wird die hinter ihm stehende Freundin vom Auto erfasst und schwer verletzt. Hiermit hat der Täter nicht gerechnet. – Bzgl. des Liebhabers hat sich der Täter wegen versuchten Totschlags, bzgl. der Freundin lediglich wegen fahrlässiger Körperverletzung strafbar gemacht. Wirkt sich die Tat ohne Verwechslung des Angriffsobjekts an einem anderen Menschen aus (aberratio ictus), so liegt diesbezüglich eine vorsätzliche Tatbestandserfüllung allenfalls dann vor, wenn der Täter weiß, dass dieser Erfolg eintreten kann, und er dies billigend in Kauf nimmt.
200BGHSt 38, 32, 34ff.; Wesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Ein deutscher Staatsangehöriger erwirbt in Marokko 15 kg Haschisch und übergibt diese einem Drogenkurier zwecks Einführung in die BRD. Während einer Übernachtung in Spanien wird dem Kurier das Haschisch von einem Dritten entwendet, der dieses anstelle des Kuriers in die BRD einführt. – Die Einfuhr der Drogen durch den Dritten ist nicht vom Vorsatz des Erwerbenden umfasst. Für ihn war nicht ersichtlich, dass das Haschisch unabhängig vom Einfluss- und Herrschaftsbereich des Kuriers in die BRD eingeführt werden würde, so dass eine wesentliche Abweichung vom vorgestellten Kausalverlauf vorliegt.
201BGHNStZ 2001, 29, 30; Unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs: Die Täterin versetzt einer bereits schwer verletzten Bekannten mit Tötungsabsicht mehrere wuchtige Messerstiche. Beim letzten Stich bleibt das Messer so fest im Gesicht der Bekannten stecken, dass die Täterin es nicht mehr herausziehen kann. Da sie die Bekannte für tot hält, berichtet sie ihrem Freund von dem Geschehen, der darauf beschließt, die Spuren der Tat zu beseitigen. Als er bemerkt, dass die Bekannte noch lebt, schlägt der Freund zunächst mit einer Wasserflasche auf ihren Kopf ein und würgt sie anschließend bis zur Regungslosigkeit. Ob die Bekannte an den Folgen der (den Sterbevorgang möglicherweise verkürzenden) Schläge mit der Wasserflasche oder nach diesen Schlägen in Folge der Messerstiche durch Verbluten verstirbt, kann nicht festgestellt|71| werden. – Die Täterin ist strafbar wegen eines vorsätzlich begangenen, vollendeten Tötungsdeliktes. Dass die genaue Todesursache nicht eindeutig festgestellt werden kann, ist für die objektive Erfolgszurechnung unerheblich, da die Täterin in jedem Fall eine bis zum Todeseintritt fortwirkende Ursache gesetzt hat, die durch das Eingreifen ihres Freundes nicht abgebrochen wurde. Dass die Täterin irrig davon ausging, die Bekannte sei bereits nach dem letzten Zustechen ums Leben gekommen, ist für die Bejahung des Tatbestandsvorsatzes ohne Bedeutung, da sich der Geschehensablauf im Rahmen des nach allgemeiner Lebenserfahrung Voraussehbaren bewegt und mithin eine unwesentliche Abweichung des Kausalverlaufs vorliegt. Der Freund der Täterin hat sich demgegenüber lediglich wegen eines versuchten Tötungsdeliktes strafbar gemacht, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein Verhalten für den Todeseintritt nicht ursächlich geworden ist.
VI. Exkurs: HIV-Fälle und strafrechtlicher Tatbestand
202Besondere Schwierigkeiten bereitet in der Fallbearbeitung häufig die Behandlung der sog. „HIV-Fälle“, in denen der Täter in Kenntnis seiner HIV-Infizierung ungeschützten Geschlechtsverkehr mit seinem Sexualpartner hat, ohne diesen über seine Erkrankung aufzuklären. Problematisch ist bereits die Frage nach dem einschlägigen Tatbestand. In Betracht kommen sowohl Körperverletzungs- als auch Tötungsdelikte, die für eine Vollendungsstrafbarkeit jedoch voraussetzen, dass der Täter durch sein Verhalten ursächlich einen bestimmten Erfolg herbeigeführt hat. Somit wäre erforderlich, dass die Infizierung einer anderen Person mit dem HI-Virus nachweislich auf dem Geschlechtsverkehr gerade mit dem Täter beruht. Insbesondere in der Konstellation mehrfach wechselnder Sexualpartner ist es in der Praxis jedoch regelmäßig nicht möglich, die Infizierung auf einen ganz bestimmten Geschlechtsverkehr zurückzuführen. Zumindest bei Anwendung des in dubio pro reo-Grundsatzes wird die für die Vollendungsstrafbarkeit erforderliche Kausalität daher häufig zu verneinen sein. Möglich bleibt in diesem Fall jedoch eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung bzw. Tötung.
203Da die Versuchsstrafbarkeit einen Tatentschluss und damit vorsätzliches Handeln voraussetzt (vgl. noch Rn. 621ff.), spielt bei den HIV-Fällen weiterhin die Abgrenzung zwischen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit eine erhebliche Rolle. Der BGH bejaht im Fall des ungeschützten Geschlechtsverkehrs bei Kenntnis der eigenen HIV-Infizierung in der Regel vorsätzliches Handeln des Täters, allerdings nur hinsichtlich eines Körperverletzungsdeliktes. Trotz der grundsätzlich sehr niedrigen Infektionsgefahr eines einzigen ungeschützten Sexualkontakts sei dieser dennoch geeignet, das Virus zu übertragen, was vom Täter billigend in Kauf genommen werde.[212] Jedoch sei ein |72|Tötungsvorsatz zu verneinen, da hinsichtlich der Tötung eines Menschen eine besondere innere Hemmschwelle bestehe und zu Gunsten des Täters davon ausgegangen werden müsse, dass er auf zukünftige – derzeit noch unbekannte – Heilungsarten vertraue oder gehofft habe, das AIDS-Virus werde bei seinem Partner überhaupt nicht ausbrechen.[213] Von dieser Annahme ausgehend ist in den HIV-Fällen in der Regel eine Strafbarkeit wegen versuchter Körperverletzung anzunehmen.
204In der Literatur wird die vom BGH vorgenommene Spaltung des Vorsatzes überwiegend abgelehnt. Eine Auffassung lehnt unter Berufung auf die minimale Infektionsgefahr eines einzigen ungeschützten Sexualkontakts (0,1–1 %) sowohl den Körperverletzungs- als auch den Tötungsvorsatz ab, da dem Täter nach allgemeiner Lebenserfahrung diese minimale Infektionsgefahr bewusst sei.[214] Andere bejahen sowohl den Körperverletzungs- als auch den Tötungsvorsatz, weil der Täter sich zur Erreichung seines Zieles („Geschlechtsverkehr“) mit der erkannten und ernst genommenen Gefahr einer tödlichen Infizierung des Partners abgefunden habe, weshalb nicht nachvollziehbar sei, entsprechend der Ansicht des BGH zwar den Vorsatz des Täters, das Opfer zu infizieren, zu bejahen, den Tötungsvorsatz aber zu verneinen.[215]
VII. Tatbestandsannex: Objektive Bedingung der Strafbarkeit
1. Bedeutung und Einordnung im Straftataufbau
205In wenigen Ausnahmefällen enthalten die Strafnormen des Besonderen Teils objektive Merkmale, die nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein müssen. Es handelt sich um sog. objektive Bedingungen der Strafbarkeit, die nach der Feststellung des subjektiven Tatbestands als Tatbestandsannex zu prüfen sind.[216] Ob – was selten vorkommt – eine objektive Bedingung der Strafbarkeit zur Straftat gehört, ergibt sich durch Auslegung der Vorschriften des Besonderen Teils. Eine objektive Bedingung der Strafbarkeit ist z.B. in § 231 Abs. 1 StGB (Beteiligung an einer Schlägerei) der Tod oder die schwere Körperverletzung. Die Prüfung des Tatbestandes von § 231 Abs. 1 StGB beschränkt sich mithin auf die Feststellung, dass der Täter an einer Schlägerei bzw. an einem Angriff mehrerer beteiligt war und diesbezüglich mit Vorsatz gehandelt hat. Erst hieran anschließend ist festzustellen, dass durch die Schlägerei bzw. den Angriff objektiv der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung verursacht wurde. Auf die subjektive Einstellung des Täters hinsichtlich der schweren Folge kommt es für seine Strafbarkeit nicht an.
206|73|Weitere objektive Bedingungen der Strafbarkeit sind bspw. in § 186 StGB (Üble Nachrede) die Nichterweislichkeit der Wahrheit und in § 323a Abs. 1 StGB (Vollrausch) die Begehung einer rechtswidrigen Tat im Rauschzustand. Die objektive Bedingung der Strafbarkeit ist wie folgt in den Straftataufbau zu integrieren:
Tab. 5:
207Objektive Bedingung der Strafbarkeit im Straftataufbau
1. | Tatbestand |
a) objektiver Tatbestand | |
b) subjektiver Tatbestand | |
2. | Objektive Bedingung der Strafbarkeit |
3. | Rechtswidrigkeit |
4. | Schuld |