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3. Verteidigungstaktik

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Der Verfolgung der Verteidigungsstrategie dienen verteidigungstaktische Schritte. Die Möglichkeiten sind vielfältig und in weit höherem Maße vom aktuellen Verfahrensablauf in der Hauptverhandlung abhängig als die Verteidigungsstrategie. Während diese im Wesentlichen im Voraus geplant werden kann, ja muss, und einen Wechsel nur bei ganz entscheidenden Änderungen im Verfahrensablauf erfahren darf, erfordern jene häufig eine schnelle und entschlossene Reaktion des Verteidigers. Ablehnungsanträge etwa können – schon aus prozessualen Gründen – nicht lange aufgeschoben werden; dasselbe gilt z.B. für Protokollierungsanträge, die Wahrnehmung von Erklärungsrechten, den Verzicht auf Beantragung der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen u.Ä.

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Die Verteidigungstaktik hat sich der Verteidigungsstrategie ebenso unterzuordnen, wie diese im Dienste des Verteidigungszieles steht. Besteht dieses z.B. in einem hochkomplexen Wirtschaftsstrafverfahren darin, dem Angeklagten eine tatsächlich zu verbüßende Freiheitsstrafe zu ersparen, so kann, wenn eine Vereinbarung hierüber zu akzeptablen Bedingungen nicht zu erreichen ist, eine mögliche erfolgversprechende Strategie in einer weiteren Verkomplizierung des Verfahrens in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht liegen, um am Ende zu einem Urteil zu gelangen, das entweder durch Reduktion der Anklagepunkte auch im Strafmaß für den Angeklagten akzeptabel ist, oder das so revisionsanfällig geworden ist, dass das Gericht zu einem Urteil bereit ist, von dem es annehmen kann, der Angeklagte werde es ohne Durchführung der Revision akzeptieren. Mögliche taktische Mittel zur Komplizierung des Verfahrens sind vornehmlich Beweisanträge, prozessuale Rügen, Protokollierungsanträge oder die (in der Praxis allerdings nicht sehr häufige) Ablehnung von Richtern oder Sachverständigen. Welcher taktische Schritt zur Verfolgung einer Verteidigungsstrategie und damit zur Erreichung des Verteidigungsziels notwendig ist, ist jedoch eine Frage des konkreten Einzelfalls und entzieht sich jeder verallgemeinernden Beantwortung.

Teil 2 Allgemeines › V. Verteidigungsziele – Strategie und Taktik in der Hauptverhandlung › 4. Exkurs: Ein wenig Psychologie

4. Exkurs: Ein wenig Psychologie

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Der Verteidiger muss wissen, dass in weitaus größerem Ausmaß als gemeinhin vermutet, psychische Faktoren, die den Beteiligten zumeist nicht einmal bewusst sind, auf die Entscheidungsfindung des Gerichts Einfluss haben.[4] Grundlage dieser Annahme sind die Ergebnisse zahlreicher psychologischer Experimente, die – zunächst ohne jeden Bezug zum Strafprozess – seit vielen Jahren durchgeführt und publiziert worden sind. Zu nennen sind vor allem die Erkenntnisse von Daniel Kahnemann, die dieser, teilweise gemeinsam mit seinem Kollegen Amos Tversky, seit den frühen 1970er Jahren veröffentlicht hat[5], und Leon Festinger[6], dessen Theorie von der kognitiven Dissonanz zum festen Bestand sozialpsychologischer Erkenntnisse gehört.[7]

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Da eine ausführliche Darstellung psychologischer Forschungsergebnisse zu diesem Themenkreis an dieser Stelle schon aus Platzgründen nicht möglich ist, soll lediglich punktuell auf solche Erkenntnisse verwiesen werden, die von der Verteidigung im Rahmen der Hauptverhandlung ggf. fruchtbar gemacht werden können. An den Unzulänglichkeiten menschlicher Informationsgewinnung und -verarbeitung, „kognitiven Verzerrungen“, kann der beste Verteidiger nichts ändern. Möglicherweise hilft aber deren Kenntnis, ihre Auswirkungen, soweit sie zu Lasten des Angeklagten gehen, abzumildern.

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Den vermutlich wichtigsten und bestens experimentell abgesicherten, bei der Urteilsfällung wirkenden psychischen Mechanismus stellt der sogenannte Ankereffekt dar. Darunter versteht die Psychologie einen Effekt, der beim Schätzen und Beurteilen von Quantitäten auftreten kann. Er bezeichnet die Assimilation eines numerischen Urteils an einen vorgegebenen Vergleichsstandard, der zwar nicht zwangsläufig, aber durchaus auch unabhängig von dessen inhaltlicher Relevanz wirkt.[8] Der Vergleichsstandard zieht wie ein „Anker“ die endgültige Schätzung oder Beurteilung in seine Richtung.[9] Zwar handelt sich bei diesem Effekt um ein allgemeines Phänomen, die Wirksamkeit im juristischen Kontext ist aber ebenfalls zuverlässig nachgewiesen.[10] Der Ankereffekt ist äußerst robust und wirkt sogar auch dann, wenn die Versuchspersonen um die Beliebigkeit des vorgegebenen Ankers wissen. Auch berufliche Kenntnisse ändern die Wirksamkeit nicht.[11] So zeigen erfahrene Strafrichter denselben Effekt wie Rechtsreferendare, mit dem einzigen Unterschied, dass sich die Richter in ihrem Urteil sicherer fühlen.[12]

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Experimente belegen, dass der erste Anker wirkt. „Gegenanker“ bleiben weitgehend wirkungslos. In einer nicht veröffentlichten Studie wiesen Englich und Rost[13] nach, dass alleine die Änderung der Reihenfolge bei den Schlussvorträgen von Staatsanwalt und Verteidiger das Urteil entscheidend beeinflusst.[14]

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Misslich für die Verteidigung ist die Erkenntnis, dass Ankereffekte weder durch Aufklärung noch durch besonders starke Motivation entscheidend korrigierbar sind.[15] So bleibt in der Hauptverhandlung lediglich die Möglichkeit, an den Stellen, an denen die Fallkonstellation und das Gesetz dies zulassen, selbst den Anker zu setzen, an dem sich das Gericht orientieren soll. Dabei kann der Verteidiger natürlich nicht, wie beim Tversky/Kahnemann’schen Glücksrad, ohne Zusammenhang mit dem konkreten Fall Zahlen in den Raum werfen, ohne sich bei den übrigen Prozessbeteiligten lächerlich zu machen. Seine Vorstellungen von dem zu erwartenden Ergebnis sollten also solide begründet werden. In der Hauptverhandlung bieten sich für entsprechende Ausführungen das Opening Statement (hierzu Rn. 233 ff.), im weiteren Verlauf die Begründung von Beweisanträgen, Erklärungen nach § 257 Abs. 2 und Verständigungsgespräche i.S.v. § 257c an. Prinzipiell wäre auch das Plädoyer hierfür geeignet, doch fühlen sich die Gerichte durch den Wortlaut des § 258 und eine darauf fußende lange Tradition genötigt, dem Staatsanwalt zuerst das Wort für die Schlussvorträge zu erteilen, aus psychologischer Sicht ein entscheidender Nachteil für die Verteidigung.[16] Zwingend ist die gesetzliche Regelung nicht,[17] so dass also durchaus ein Antrag auf Änderung der vorgesehenen Reihenfolge gestellt werden kann.[18] In der Berufungshauptverhandlung ist die Reihenfolge der Schlussvorträge in § 326 S. 1 zwar anders geregelt, doch wiegt hier gegen den berufungsführenden Angeklagten der „Anker“ des erstinstanzlichen Urteils in der Regel schwerer. Hier kann aber die gesetzlich nicht zwingend vorgeschriebene Berufungsbegründung (§ 317) helfen (vgl. Rn. 761).

Anmerkungen

[1]

Sommer 3. Kap. Rn. 24 nennt die psychische Entlastung, den eigenen moralischen Anspruch oder auch nur den Willen zur Förderung der Wahrheitsfindung als mögliche Geständnismotive, die der Verteidiger zu akzeptieren habe.

[2]

Zu den Fällen, in denen selbst bei Einstellungsmöglichkeit im Vorverfahren die Hauptverhandlung angestrebt wird, vgl. Gillmeister Erledigung des Strafverfahrens S. 39.

[3]

Schlothauer Hauptverhandlung, Rn. 17.

[4]

Zur Einführung sei empfohlen Wilhelm Fehlerquellen bei der Überzeugungsbildung (Eröffnungsvortrag des 38. Strafverteidigertages 2014); ders. Wahrheit im Strafprozess (Vortrag auf dem 40. Strafverteidigertag 2016).

[5]

Hierzu gehören: Tversky/Kahnemann Urteile unter Unsicherheit: Heuristiken und kognitive Verzerrungen (im Original erschienen in Science 1974, Bd. 185); Kahnemann/Tversky Entscheidungen, Werte und Frames (Erstveröffentlichung in American Psychologist 34, 1984). Die beiden Arbeiten sind leichter zugänglich im Anhang von Kahnemann Schnelles Denken, langsames Denken (Originaltitel: Thinking, fast and slow), 2011, zu finden.

[6]

Festinger A Theory of Cognitive Dissonance, 1962.

[7]

Hierzu auch Gerson Recht auf Beschuldigung S. 156 f.; Geipel Kap. 16 Rn. 75; Bender/Nack/Treuer Rn. 158 ff.; Jansen Rn. 368 ff.

[8]

Zum Ankereffekt ausführlich auch Schweizer Kognitive Täuschungen vor Gericht, Zürich 2005, im Internet abzurufen unter http://www.decisions.ch/dissertation/diss_ankereffekt.html.

[9]

Das bekannteste Experiment zum Nachweis des Ankereffekts stammt von Tversky und Kahnemann, das Kahnemann wie folgt beschreibt: „Amos (Tversky) und ich haben einmal ein Glücksrad manipuliert. Es war mit einer Markierung von 1 bis 100 versehen, aber wir hatten es so konstruiert, dass es nur auf 10 oder auf 65 stehen blieb. Wir rekrutierten Studenten der Universität Oregon als Teilnehmer unseres Experiments. Einer von uns stand vor einer kleinen Gruppe, drehte das Rad und forderte sie auf, die Zahl aufzuschreiben, bei der das Rad stehen blieb, was natürlich entweder bei der 10 oder der 65 der Fall war. Dann stellten wir ihnen zwei Fragen: Ist der Prozentsatz afrikanischer Staaten unter den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen größer oder kleiner als die Zahl, die Sie gerade aufgeschrieben haben? Wie hoch ist Ihrer Einschätzung nach der Prozentsatz afrikanischer Staaten in den Vereinten Nationen? … Die mittleren Schätzwerte derjenigen, die 10 bzw. 65 sahen, beliefen sich auf jeweils 25 bzw. 45 %.“ (Kahnemann Schnelles Denken, langsames Denken, S. 152).

[10]

Hiermit hat sich in Deutschland insbesondere Birte Englich befasst, vgl. z.B. Englich S. 309-313.

[11]

Englich/Mussweiler/Starck Playing dice with criminal sentences: The influence of irrelevant anchors on experts´ judicial decision making, in: Personalitiy and Social Psychology Bulletin 2006, 32 (2) 188 ff.

[12]

Mussweiler/Englich Subliminal anchoring: Judgmental consequences and underlying mechanisms, Organizational Behavior and Human Decision Processes 98 (2005) 133–143, im Internet abrufbar unter: www.hf.uni-koeln.de/data/dppsenglich/File/PDFSStudien/obhdp98.pdf.

[13]

Englich/Rost The Reason why the Defense has no Chance: Anchoring – Effect Contra Argument Quality in the Courtroom (2006); mitgeteilt und referiert von Traut/Nickolaus StraFo 2015, 485, 491.

[14]

Für eine bestimmte Straftat forderte der Verteidiger 6 Monate, während der Staatsanwalt 3 Jahre beantragte. Plädierte der Staatsanwalt zuerst, kam es zu einer durchschnittlichen Verurteilung von 23,92 Monaten, bei umgekehrter Reihenfolge zu 19,76 Monaten.

[15]

Englich S. 312.

[16]

Englich/Mussweiler/Starck The Last Word in Court – A Hidden Disadvantage for the Defence, Law and Human Behaviour 2005, 705 ff.

[17]

Meyer-Goßner/Schmitt § 258 Rn. 8.

[18]

Für eine Änderung des § 258 sprechen sich Traut/Nickolaus StraFo 2012, 485 ff. aus.

Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung

Inhaltsverzeichnis

I. Verhinderung des Verteidigers

II. Verspätung des Verteidigers

III. Einlasskontrollen

IV. Sitzordnung

V. Fesselung des in Haft befindlichen Angeklagten

VI. Probleme mit der Amtstracht des Verteidigers

VII. Einwendungen gegen das Verfahren insgesamt

VIII. Zuständigkeitsrügen

IX. Besetzungsrügen

X. Ablehnungsanträge

XI. Aussetzungsanträge

XII. Anregungen zur Verfahrenseinstellung

XIII. Sonstige Anträge bei Verhandlungsbeginn

XIV. „Opening statement“

Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › I. Verhinderung des Verteidigers

I. Verhinderung des Verteidigers

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Die Terminierung der Hauptverhandlung, die im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden liegt, führt immer wieder zu Problemen mit dem Gericht.[1] Zwar besteht nach einhelliger Meinung kein Rechtsanspruch des Verteidigers auf Terminabsprache.[2] Dennoch ist das Gericht, um das Recht des Beschuldigten auf einen Beistand seiner Wahl zu wahren, verpflichtet, sich ernsthaft um eine Terminabsprache mit dem Verteidiger zu bemühen.[3] Da vor allem in Haftsachen die Pflicht des Gerichts nach vorausschauender Planung angenommen wird,[4] sollte sich der Verteidiger rechtzeitig darum kümmern, den Hauptverhandlungstermin mit dem Vorsitzenden abzusprechen und bereits vergebene oder sonst nicht in Betracht kommende Termine bekannt zu geben. Dies ist besonders dann empfehlenswert, wenn in einem größeren Verfahren zahlreiche Termine festzusetzen sind. Falls die Terminanberaumung dem Zufall überlassen bleibt, sind Terminverlegungsanträge und der damit verbundene Aufwand vorprogrammiert. Ein Gericht, das diese Probleme vermeiden will, wird sich meist ohnehin vor der Terminierung an den Verteidiger wenden. Geschieht dies nicht, empfiehlt sich die rechtzeitige telefonische, besser noch schriftliche Bitte, die Terminierung mit dem Verteidiger abzusprechen. Kein vernünftiger Richter wird sich hiergegen wehren oder berechtigte Terminwünsche des Verteidigers unberücksichtigt lassen.

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Die Möglichkeiten, gegen eine bereits erfolgte ungünstige Terminbestimmung vorzugehen, sind begrenzt.[5] Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Verlegung.[6] Die herrschende Meinung erachtet die Beschwerde zwar wegen § 305 S. 1 für unzulässig, macht aber bei Rechtswidrigkeit und dadurch eingetretener selbstständiger Beschwer eine Ausnahme.[7] Allerdings wird die Terminierung selbst nur auf Ermessensfehler hin überprüft. Bei der Ausübung seines Ermessens hat der Vorsitzende insbesondere Rücksicht auf die Interessen der Verfahrensbeteiligten, die Terminplanung des Gerichts und das Gebot der Verfahrensbeschleunigung zu nehmen.[8] Dabei hat das Gericht sich ernsthaft zu bemühen, Terminnöte des Verteidigers zu beseitigen.[9] Als zu berücksichtigender Grund für eine Verhinderung des Verteidigers gilt grundsätzlich dessen Urlaub,[10] in einer Haftsache jedoch nicht unbedingt die Teilnahme des Wahlverteidigers an einer Fortbildungsveranstaltung.[11] Gerade in Haftsachen gibt die Rechtsprechung grundsätzlich der Verfahrensbeschleunigung Vorrang vor den Terminwünschen des Verteidigers.[12] Dem muss der Verteidiger allerdings in geeigneten Fällen entgegentreten. Denn als Grundrechtsträger sollte letztlich der Angeklagte selbst entscheiden, ob er eine Verfahrensverzögerung in gewissem Umfang zugunsten seines Rechts auf freie Verteidigerwahl hinnehmen will.[13] Dieser Grundsatz gilt freilich nur dann, wenn hierunter nicht Mitangeklagte zu leiden haben, insbesondere bei Haftsachen. Der Verteidiger muss daher bei der Übernahme des Mandats eine offenliegende Terminkollision bedenken.[14]

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Ermessensfehlerhaft ist die Ablehnung eines Terminverlegungsantrags jedenfalls dann, wenn sie überhaupt keine nähere Begründung enthält,[15] oder wenn der Vorsitzende trotz der mehrfachen Bitte des Verteidigers um Terminabsprache keinen Versuch unternommen hat, eine Terminkollision zu vermeiden.[16] In einem solchen Fall kommt neben der Beschwerde auch ein Antrag auf Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit des Richters in Betracht.[17] Meist wird der Fall jedoch so liegen, dass der Verteidiger aufgrund der kurzfristigen Terminbestimmung keine Möglichkeit mehr hat, deren Rechtmäßigkeit vor der Hauptverhandlung überprüfen zu lassen. Bestand wegen des späten Zeitpunkts der Mandatierung keine Gelegenheit, auf die Terminierung Einfluss zu nehmen, oder hat das Gericht die Wünsche des Verteidigers nicht berücksichtigt, und ist ein daraufhin gestellter Verlegungsantrag entweder nicht rechtzeitig beschieden oder gar abgelehnt worden, bleibt bei nicht zu behebender Verhinderung häufig keine andere Möglichkeit, als dem Mandanten die Beauftragung eines Kollegen zu empfehlen. Will der Mandant dies nicht, und muss das Gericht von einem Nichterscheinen des Verteidigers ausgehen, läuft er allerdings Gefahr, dass ihm vom Gericht ein Pflichtverteidiger beigeordnet wird, der den Termin wahrnehmen kann. Ist die Verteidigung nicht notwendig i.S.v. § 140, muss der Angeklagte damit rechnen, dass das Gericht auch ohne Verteidiger verhandelt. Nicht selten geschieht dies sogar in Fällen notwendiger Verteidigung; nämlich dann, wenn das Gericht davon ausgeht, der Angeklagte werde das Urteil akzeptieren und womöglich ohne Beratung eines Verteidigers auf Rechtsmittel verzichten.

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Auch wenn der Angeklagte grundsätzlich das Recht hat, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens verteidigen zu lassen,[18] so hat er doch gemäß § 228 Abs. 2 keinen Anspruch auf Aussetzung der Verhandlung bei Verhinderung seines Verteidigers.[19] Hat sich der Mandant in einem solchen Fall entschieden, den Verhandlungstermin alleine wahrzunehmen, so sollte ihn der Verteidiger auf die Möglichkeit eines Antrags auf Aussetzung der Hauptverhandlung gemäß § 265 Abs. 4 hinweisen[20] und einen solchen Antrag für seinen Mandanten vorbereiten. Zwar gebietet bereits die prozessuale Fürsorgepflicht des Gerichts diesen Hinweis;[21] doch dürfte bei einem Gericht, das die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nicht angenommen hat und überdies einen Verlegungsantrag des Wahlverteidigers abgelehnt hat, kaum damit zu rechnen sein, dass es sich mit dem Hinweis auf die Möglichkeit eines Aussetzungsantrags freiwillig zusätzliche Probleme schafft. Der Mandant sollte weiter dahingehend beraten werden, dass er seinen Antrag durch Gerichtsbeschluss entscheiden lassen sollte, auch wenn dies für die Revisionsrüge des unverteidigten Angeklagten zu Recht nicht als notwendig erachtet wird.[22] Die fehlerhafte Ablehnung eines Aussetzungsantrages stellt eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung gemäß § 338 Nr. 8[23] und eine Verletzung der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts[24] dar.

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Ist die Ladungsfrist des § 217 Abs. 1 von mindestens 1 Woche für den Angeklagten (§ 216) oder den Verteidiger (§ 218) nicht eingehalten, so kann gemäß § 217 Abs. 2 bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache die Aussetzung der Verhandlung verlangt werden (vgl. hierzu Rn. 169 ff.). Das Unterbleiben der Ladung des Verteidigers, der sich rechtzeitig bei Gericht legitimiert hat, was nicht die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht voraussetzt,[25] begründet in der Regel die Revision,[26] wenn nicht der Verteidiger bei Beginn der Ladungsfrist zuverlässige Kenntnis vom Verhandlungstermin hatte.[27] Dies gilt auch, wenn von dem Verstoß nur einer von mehreren Verteidigern betroffen ist,[28] es sei denn, die Aufgaben des betroffenen Verteidigers seien erkennbar nach dem Willen des Angeklagten von dem erschienenen Verteidiger übernommen worden.[29] Bei Fortsetzung einer unterbrochenen Hauptverhandlung ist allerdings keine förmliche Ladung erforderlich, daher auch nicht die Einhaltung einer Ladungsfrist.[30]

Anmerkungen

[1]

Ausführlich hierzu Krumm StV 2012, 177.

[2]

Vgl. BGH NStZ 2007, 163; StV 2007, 169.

[3]

BGH StV 2009, 565; OLG Bamberg StraFo 2011, 232.

[4]

Vgl. OLG Oldenburg StraFo 2008, 26.

[5]

Vgl. Neuhaus StraFo 1998, 94 ff. und Kropp NStZ 2004, 668 ff.

[6]

Vgl. OLG Braunschweig StV 2008, 293.

[7]

OLG Dresden NJW 2004, 3196; OLG Hamm StV 2004, 642; OLG Nürnberg StV 2005, 491; OLG Stuttgart Justiz 2006, 8; LG Görlitz StraFo 2006, 315.

[8]

BGH NStZ-RR 2007, 81; OLG Hamm StV 2004, 642.

[9]

BGH B. v. 24.6.2009, 5 StR 181/09.

[10]

Vgl. OLG Frankfurt StV 1997, 402.

[11]

BGH StV 2007, 169; hier wird wohl im Einzelfall anderes zu gelten haben.

[12]

Vgl. hierzu BVerfG NStZ 2006, 460; StV 2007, 366; KG StRR 2008, 442; OLG Köln StV 2006, 463; OLG Hamburg NJW 2006, 2792; OLG Hamm NJW 2006, 2788.

[13]

Leipold Das strafprozessuale Beschleunigungsgebot, S. 636, 640.

[14]

OLG Frankfurt/M. NStZ-RR 2014, 250.

[15]

LG Koblenz StV 1996, 254.

[16]

LG Berlin StV 1995, 239.

[17]

Vgl. hierzu LG Mönchengladbach StV 1998, 533; OLG Bamberg NJW 2006, 2341.

[18]

Vgl. BGH NJW 2006, 2788; OLG München NJW 2006, 711; LG Braunschweig StV 2014, 335.

[19]

So bereits BVerfG NStZ 1984, 176; vgl. auch OLG Braunschweig StV 2008, 293.

[20]

Meyer-Goßner/Schmitt § 229 Rn. 12.

[21]

OLG Düsseldorf StV 1982, 559.

[22]

OLG Stuttgart StV 1988, 145.

[23]

BGH StV 1995, 57.

[24]

BayObLG StV 1995, 10; OLG Düsseldorf StV 1995, 69.

[25]

OLG Bamberg NJW 2007, 393.

[26]

OLG München NJW 2006, 1366; OLG Bamberg NJW 2007, 393.

[27]

BGH NStZ 1995, 298; OLG München NJW 2006, 1366.

[28]

BGH NStZ 1995, 298; OLG Köln NStZ-RR 2001, 140.

[29]

BGH NStZ 2005, 646; BGH NStZ 2006, 461.

[30]

BGH NStZ-RR 2003, 98.

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