Kitabı oku: «Verteidigung in der Hauptverhandlung», sayfa 9
Anmerkungen
[1]
BGH 15, 287, 290; 32, 345, 350; 36, 294, 295.
[2]
BGH wistra 2003, 382, 383; OLG Celle NStZ 1983, 233; differenzierend Meyer-Goßner/Schmitt Einleitung Rn. 150 und NStZ 2003, 169 ff.
[3]
BGH 20, 292, 293.
[4]
BGH 22, 307.
[5]
OLG Zweibrücken StV 1998, 66.
[6]
BGH wistra 1986, 69.
[7]
LR-Gollwitzer § 260 Rn. 102 f.
[8]
BGHSt 13, 268, 273; 20, 333, 335; nicht aber, wenn noch umfangreiche Erörterungen zur Schuldfrage notwendig sind, vgl. BGHSt 44, 209, 218; BGH NStZ-RR 1996, 299.
[9]
BGH NStZ-RR 2005, 259.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen
VIII. Zuständigkeitsrügen
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 1. Allgemeines
1. Allgemeines
86
Das Gesetz unterscheidet zwischen der sachlichen (§ 1 ff.), der örtlichen (§ 7 ff.) und der herkömmlicherweise als funktionell bezeichneten Zuständigkeit der Strafgerichte.[1] Die sachliche Zuständigkeit betrifft die Verteilung der Strafsache nach ihrer Art und Schwere auf die erstinstanzlichen, unterschiedlich besetzten Gerichte verschiedener Ordnung.[2] Die örtliche Zuständigkeit bestimmt, welches Gericht erster Instanz unter mehreren sachlich zuständigen Gerichten sich mit der Sache zu befassen hat.[3] Unter dem Begriff der funktionellen Zuständigkeit, den das Gesetz nicht kennt, werden alle Zuständigkeitsregelungen zusammengefasst, die nicht zur sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit gehören.[4] Die Rügemöglichkeiten des Verteidigers und die prozessualen Folgen bei Unzuständigkeit des Gerichts sind je nach der Art der von der Rüge betroffenen Unzuständigkeit unterschiedlich.
Anmerkungen
[1]
Zur Überprüfung der Zuständigkeit bei der Vorbereitung der Hauptverhandlung s. auch Schlothauer Hauptverhandlung, Rn. 224 ff.
[2]
Roxin § 7 A I.
[3]
KK-Scheuten § 1 Rn. 3.
[4]
KK-Scheuten § 1 Rn. 4.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 2. Rüge der sachlichen Zuständigkeit
2. Rüge der sachlichen Zuständigkeit
87
Die sachliche Zuständigkeit[1] hat das Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen (§ 6). Um die Unzuständigkeit in der Revision geltend machen zu können, bedarf es daher keiner Rüge des Angeklagten. Allerdings sind die Möglichkeiten in der Revisionsinstanz sehr beschränkt. Die Entscheidung eines höheren statt eines niedrigeren Gerichts ist unschädlich,[2] wenn nicht Willkür vorliegt, insbesondere offensichtliche Gesetzwidrigkeit.[3] Hält das Gericht nach Beginn der Hauptverhandlung die sachliche Zuständigkeit eines Gerichts höherer Ordnung für begründet, so verweist es die Sache durch Beschluss an das zuständige Gericht (§ 270 Abs. 1). Ein Einstellungsurteil nach § 260 Abs. 3 kommt in diesem Fall nicht in Frage. Dagegen schließt § 269 in Abweichung von § 6 die Abgabe der Sache an ein Gericht niederer Ordnung aus, wenn das Verfahren bereits eröffnet ist. Ein Gericht niederer Ordnung ist der Strafrichter im Verhältnis zum Schöffengericht.
Anmerkungen
[1]
Einen Überblick bieten Helm JA 2006, 389 und Wolf JR 2006, 232.
[2]
BGH 21, 334, 358; NStZ 1981, 296.
[3]
BGH StV 1995, 620; BGH NStZ 2009, 404: Meyer-Goßner/Schmitt § 270 Rn. 20.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 3. Rüge der örtlichen Zuständigkeit
3. Rüge der örtlichen Zuständigkeit
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Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts ergibt sich in erster Linie aus den Gerichtsständen des Tatortes (§ 7), des Wohnsitzes oder Aufenthaltsortes (§ 8) und des Ergreifungsortes (§ 9). Sind danach mehrere Gerichtsstände örtlich zuständig, so kann die Staatsanwaltschaft wählen, bei welchem Gericht sie Anklage erheben will, so lange ihre Auswahl nicht auf unsachlichen, sich von gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht.[1] Der Gerichtsstand der Ergreifung, der hauptsächlich bei Auslandstaten von Bedeutung ist, steht grundsätzlich gleichwertig neben den anderen Hauptgerichtsständen.[2] Er gilt auch für andere Straftaten, die der Beschuldigte vor seiner Ergreifung begangen hat, auch wenn er nicht wegen dieser Taten ergriffen wurde.[3] Bei Auslieferung des Beschuldigten aus dem Ausland ist der Ort des Grenzübergangs maßgebend.[4] Die örtliche Zuständigkeit prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen (§ 16 S. 1). Danach darf es seine Unzuständigkeit nur auf entsprechenden Einwand des Angeklagten hin feststellen. Dieser kann allerdings nur bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden (§ 16 S. 2, 3), spätestens im Anschluss an die Erklärung zu seiner Aussagebereitschaft.[5]
89
Muster 3 Rüge der örtlichen Zuständigkeit
An das
Landgericht
…
In der Strafsache
gegen …
rüge ich die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts X.
Mein Mandant ist angeklagt, seine Verlobte in H. durch Beibringung von Gift ermordet zu haben. Er wurde festgenommen, als er das Haus der Getöteten verließ. Die Staatsanwaltschaft hat jedoch nicht am Tat- und Ergreifungsort Anklage erhoben, sondern am Ort seiner Inhaftierung. Der Aufenthalt in der Untersuchungshaftanstalt B. begründet jedoch weder einen Wohnsitz noch den gewöhnlichen Aufenthalt eines Angeklagten.
Ich beantrage daher, das Verfahren durch Urteil gemäß § 260 Abs. 3 StPO einzustellen und den Haftbefehl gegen meinen Mandanten aufzuheben.
90
Hält das Gericht die Rüge für begründet, stellt es das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 durch Urteil ein. Eine Ausnahme soll nach der Rechtsprechung des BGH gelten, wenn ein bestehendes Prozesshindernis kurzfristig behebbar ist. Dann könne es „zweckmäßig“ sein, das Verfahren auszusetzen oder zu unterbrechen,[6] eine Auffassung, die nur schwer mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist. Eine Abgabe oder Verweisung an ein örtlich zuständiges Gericht ist, anders als bei §§ 6, 6a, im ersten Rechtszug ausgeschlossen.[7] Das Rechtsmittelgericht verweist die Sache nach § 328 Abs. 2 und § 355 an das örtlich zuständige Gericht, auch wenn dieses nicht zu seinem Bezirk gehört,[8] falls der Beschuldigte den Einwand der örtlichen Unzuständigkeit in der ersten Instanz erhoben hat.[9]
Anmerkungen
[1]
H.M.; z.B. OLG Hamm NStZ-RR 1999, 16 m.w.N.
[2]
Meyer-Goßner/Schmitt § 9 Rn. 1; a.A. OLG Hamm NStZ-RR 1999, 16; Heghmanns StV 2000, 279.
[3]
BGH NStZ-RR 2007, 114.
[4]
BGH NStZ-RR 2007, 114.
[5]
BGH NStZ 1984, 128.
[6]
BGH StV 2000, 347, 348.
[7]
BGHSt 23, 82.
[8]
OLG Hamm wistra 2006, 37; Meyer-Goßner/Schmitt § 328 Rn. 6; SK-Frisch § 328 Rn. 18; a.A. KMR-Brunner § 328 Rn. 24.
[9]
BGHSt 11, 131.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 4. Rüge der funktionellen Zuständigkeit
4. Rüge der funktionellen Zuständigkeit
91
Auch die funktionelle Zuständigkeit prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen, danach nur noch auf Einwand des Angeklagten. Zum spätest möglichen Zeitpunkt gilt das bei der Rüge der örtlichen Zuständigkeit Gesagte. Hält das Gericht die rechtzeitig geltend gemachte Rüge für begründet, verweist es die Sache durch Beschluss gemäß § 270 Abs. 1 S. 1, 2 an das zuständige Gericht.
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Muster 4 Rüge der funktionellen Zuständigkeit
An das
Landgericht
…
In der
Strafsache gegen …
rüge ich namens und in Vollmacht des Angeklagten die funktionelle Zuständigkeit der allgemeinen Strafkammer und beantrage gemäß § 270 Abs. 1 S. 2 StPO die Verweisung an die zuständige Wirtschaftsstrafkammer.
Die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer ergibt sich aus § 74c Abs. 1 Nr. 6 GVG. Auch wenn dem Angeklagten im vorliegenden Fall lediglich ein fortgesetzter Betrug in Tateinheit mit Untreue vorgeworfen wird, so sind doch zur Beurteilung der Sache besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens erforderlich. Wie sich aus der Anklageschrift ergibt, wirft die Staatsanwaltschaft meinem Mandanten gerade den „raffinierten Missbrauch“ der schwer zu durchschauenden Mechanismen des Wirtschaftslebens vor. Zur Beurteilung dieses Vorwurfs ist daher nach dem Gesetz die Wirtschaftsstrafkammer berufen.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › VIII. Zuständigkeitsrügen › 5. Taktische Überlegungen
5. Taktische Überlegungen
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Ob der Verteidiger die Zuständigkeitsrüge erhebt, ist eine Frage des konkreten Einzelfalls. Jeder Angeklagte wird es vorziehen, vom unzuständigen Gericht eine zweijährige Bewährungsstrafe zu erhalten anstatt vom zuständigen Richter eine dreijährige Freiheitsstrafe. Der Blick des Verteidigers sollte also immer darauf gerichtet sein, welche Folge seine Zuständigkeitsrüge zeitigt. Er muss wissen, an welches Gericht die Sache gelangen wird, falls seine Rüge Erfolg hat bzw. wohin eine neue Anklage erhoben wird, falls sein Einwand zu einem Einstellungsurteil führt. Hier hilft nur das Studium der Geschäftsverteilungspläne weiter und, falls der Verteidiger die im „Erfolgsfalle“ zuständigen Richter nicht kennt, eine Erkundigung bei Kollegen. Zu bedenken ist auch, dass eine durchgreifende Zuständigkeitsrüge in der Regel zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führt. Besonders bei inhaftierten Mandanten kann dies ein ausschlaggebender Gesichtspunkt sein. Selbstverständlich müssen alle diese Umstände bereits vor der Hauptverhandlung abgewogen und mit dem Mandanten besprochen werden. Der Verteidiger darf auf keinen Fall der Versuchung nachgeben, wegen einer noch so begründeten Rüge die Mandanteninteressen hintanzustellen.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen
IX. Besetzungsrügen
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 1. Allgemeines
1. Allgemeines
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Mit der Besetzungsrüge kann der Angeklagte geltend machen, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt und er selbst damit seinem gesetzlichen Richter entzogen. Die Rüge steht in engem Zusammenhang mit § 338 Nr. 1, wonach in einem solchen Fall grundsätzlich ein absoluter Revisionsgrund vorliegt. Für die Verhandlung beim Amtsgericht gilt dies uneingeschränkt. War dagegen nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, soweit entweder die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, der form- und fristgerechte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen, ein Unterbrechungsantrag nach § 222a Abs. 2 abgelehnt worden ist oder das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit es nach § 222b Abs. 2 S. 2 festgestellt hat. In allen anderen Fällen ist die Revisionsrüge wegen der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts ausgeschlossen. In dieser Wirkung liegt vor allem die Bedeutung der Besetzungsrüge.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 2. Besetzungsmitteilung
2. Besetzungsmitteilung
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Findet die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Landgericht oder dem Oberlandesgericht statt, so ist die Gerichtsbesetzung spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen (§ 222a Abs. 1 S. 1). Die Mitteilung muss nicht unbedingt unmittelbar nach dem Aufruf der Sache erfolgen; es genügt, wenn dies vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache geschieht.[1] Die Mitteilung kann durch den Vorsitzenden aber auch schon vor Beginn der Hauptverhandlung erfolgen (§ 222a Abs. 1 S. 2), wobei für den Angeklagten die Mitteilung an seinen Verteidiger zu richten ist. Diese Mitteilung gibt dem Verteidiger die Möglichkeit, die Besetzung des Gerichts zu prüfen und ggf. die Besetzungsrüge zu erheben. Die im Gesetz aufgeführten Richter sind namentlich zu benennen. Soweit keine Verwechselungsgefahr mit anderen bei demselben Gericht tätigen Richtern besteht, genügt die Angabe des Nachnamens. Ferner ist die Eigenschaft zu bezeichnen, in der die einzelnen Personen an der Verhandlung mitwirken. Der Richter, der den Vorsitz führt, ist kenntlich zu machen, nicht aber der Berichterstatter.[2] Im Übrigen genügt die Bezeichnung als Schöffe, Ergänzungsrichter oder Ergänzungsschöffe.
96
Ist die Besetzung des Gerichts vor der Hauptverhandlung mitgeteilt worden, so kann der Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung nur bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden (§ 222b Abs. 1 S. 1). Der Einwand dient dabei ausschließlich dem Zweck, dem Angeklagten die Revisionsrüge nach § 338 Nr. 1 zu erhalten.
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In der Praxis nicht selten ist die Änderung der Besetzung zwischen dem Zeitpunkt der Mitteilung an den Verteidiger und dem Beginn der Hauptverhandlung. In diesem Fall ist die geänderte Besetzung spätestens zu Beginn der Hauptverhandlung mitzuteilen (§ 222a Abs. 1 S. 3). Stellt der Verteidiger zu Beginn der Hauptverhandlung überrascht fest, dass die aktuelle Besetzung nicht der mitgeteilten entspricht, so wird er genau zu überlegen haben, ob er vom Vorsitzenden sogleich Auskunft über die Änderung und deren Grund erbittet. Schweigt er und vergisst der Vorsitzende, die Änderung rechtzeitig mitzuteilen, bleibt der absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung erhalten.
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Hat der Vorsitzende den Zeitpunkt der rechtzeitigen Mitteilung verpasst und hat die Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache bereits begonnen, so ist dieser Fehler nicht „heilbar“, etwa durch Neubeginn und Wiederholung der Hauptverhandlung.[3] Trotz nunmehr erfolgter Besetzungsmitteilung besteht auch in diesem Fall die Rügemöglichkeit gemäß § 338 Nr. 1.
Anmerkungen
[1]
BVerfG NJW 2003, 3545; BGH NJW 2001, 3062.
[2]
Meyer-Goßner/Schmitt § 228 Rn. 7.
[3]
BGH DAR 1998, 175; Meyer-Goßner/Schmitt § 222a Rn. 6.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 3. Unterbrechungsantrag zur Überprüfung der Besetzung
3. Unterbrechungsantrag zur Überprüfung der Besetzung
99
Ist die Besetzungsmitteilung dem Verteidiger später als eine Woche vor Beginn der Hauptverhandlung zugegangen, so kann das Gericht auf Antrag die Hauptverhandlung zur Prüfung der Besetzung unterbrechen, wenn dies spätestens bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache verlangt wird (§ 222a Abs. 2). Selbstverständlich ist der Unterbrechungsantrag auch vor der Hauptverhandlung zulässig. Es können allerdings taktische Gründe dafür sprechen, damit bis zur Hauptverhandlung zuzuwarten. Da die Unterbrechung der Hauptverhandlung zur Überprüfung der Besetzung im Ermessen des Gerichts liegt, wird der (lästige) Antrag häufig abgelehnt werden, und die Besetzungsrüge bleibt für die Revision erhalten.[1] Im Übrigen gäbe ein Verlegungsantrag vor der Hauptverhandlung auch deshalb keinen Sinn, weil sich durch die spätere Terminierung auch die Gerichtsbesetzung, insbesondere die Beteiligung der Schöffen, ändern könnte.[2]
100
Die beantragte Dauer der Unterbrechung sollte der Verteidiger so bemessen, dass ihm zumindest die insgesamt vom Gesetz vorgesehene Überprüfungsfrist von einer Woche zur Verfügung steht.[3] In jedem Fall ist die Frist so zu bestimmen, dass die Prüfung aller tatsächlichen Vorgänge möglich ist, die für die Besetzungsfrage von Bedeutung sind.[4]
101
Muster 5 Unterbrechungsantrag zur Besetzungsüberprüfung
An das
Landgericht
…
In der Strafsache
gegen …
b e a n t r a g e
ich, die Hauptverhandlung zur Prüfung der Gerichtsbesetzung gemäß § 222a Abs. 2 StPO für die Dauer von mindestens 1 Woche zu unterbrechen.
Die Gerichtsbesetzung für die heutige Hauptverhandlung wurde mir erst unmittelbar vor dem Termin mitgeteilt. Damit steht mir die nach § 222a Abs. 2 StPO vorgesehene Wochenfrist zur Überprüfung der Besetzung der Richterbank nicht zur Verfügung.
Die beantragte Unterbrechungsdauer entspricht der vom Gesetz vorgesehenen Frist. Sie ist angemessen und im vorliegenden Fall auch erforderlich.
102
Lehnt das Gericht den Antrag auf Unterbrechung ab, so bleibt der Verteidigung die spätere Rüge nach § 338 Nr. 1 erhalten. Entspricht die Dauer der Unterbrechung nicht dem Antrag des Verteidigers, muss er, um mit der späteren Revisionsrüge nicht ausgeschlossen zu sein, den Antrag auf Unterbrechung nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung wiederholen und darlegen, dass die Zeit der Unterbrechung für eine ordnungsgemäße Überprüfung der Gerichtsbesetzung nicht ausgereicht habe.[5]
Anmerkungen
[1]
Vgl. Schlothauer Hauptverhandlung, Rn. 240.
[2]
Meyer-Goßner/Schmitt § 222a Rn. 19.
[3]
So z.B. BGH 29, 283; weitergehend Ranft NJW 1981, 1477, der stets eine zusätzliche Woche für angemessen hält.
[4]
BGH NStZ 1988, 36.
[5]
BGH StV 1987, 3; StV 1987, 514.
Teil 3 Beginn der Hauptverhandlung › IX. Besetzungsrügen › 4. Überprüfung der Besetzung
4. Überprüfung der Besetzung[1]
a) Berufsrichter
103
Die Überprüfung der Gerichtsbesetzung besteht zunächst darin, das hierfür notwendige „Material“ zu beschaffen. Dem Verteidiger müssen der Geschäftsverteilungsplan des Gerichts für das entsprechende Geschäftsjahr und sämtliche Präsidialbeschlüsse, die sich mit den Änderungen des Geschäftsverteilungsplans befassen, vorliegen.
Hinweis
Die Geschäftsverteilungspläne der Landgerichte und Oberlandesgerichte findet der Verteidiger in der Regel im Internet auf der Homepage des jeweiligen Gerichts. Vorsichtshalber sollte er sich aber bei der Überprüfung der Gerichtsbesetzung bei der Geschäftsstelle auch noch die jüngsten Präsidialbeschlüsse zeigen lassen, die möglicherweise im Internet noch nicht eingestellt sind.
104
Das Recht auf Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan einschließlich der ändernden und ergänzenden Präsidialbeschlüsse ergibt sich aus § 21e Abs. 9 GVG. Es empfiehlt sich, die entsprechenden Unterlagen auszudrucken und sich rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung mit der Besetzungsfrage zu befassen. Dies gilt vor allem dann, wenn die Besetzungsmitteilung rechtzeitig erfolgt ist, damit der Besetzungseinwand fristgerecht erfolgen kann. Sind nicht alle Präsidialbeschlüsse bereits im Internet abzurufen, ist ein Antrag auf Einsicht zu stellen.
105
Muster 6 Antrag auf Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan
An den
Herrn Präsidenten
des Landgerichts
…
In der Strafsache
gegen …
b e a n t r a g e
ich Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan des laufenden Geschäftsjahres einschließlich der ändernden oder ergänzenden Präsidialbeschlüsse und bitte darum, mir Kopien hiervon zu überlassen.
106
Das Gesetz und der im GVG vorgesehene Geschäftsverteilungsplan müssen, so eindeutig und genau wie möglich, die zuständigen Richter bestimmen.[2] Der Anspruch des Angeklagten auf seinen gesetzlichen Richter (vgl. § 16 S. 2 GVG) hat Verfassungsrang (Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG). Der Inhalt und die Handhabung des Geschäftsverteilungsplans haben sich hieran messen zu lassen. Bei der Besetzung der Spruchkörper ist generell so eindeutig wie möglich festzulegen, welche Richter zur Entscheidung des einzelnen Falles berufen sind und wer im Vertretungsfall an ihre Stelle tritt.[3] Auch die Art der Verteilung auf die verschiedenen Spruchkörper eines Gerichts muss eindeutig geregelt sein.
107
Die Einrichtung von Spezialspruchkörpern ist zulässig, wenn ihre Zuständigkeit sich nach abstrakten Merkmalen bestimmt (z.B. nach der Art des Delikts).[4] Auch ein sogenanntes „rollierendes System“, bei dem die Zuständigkeit nach Eingangszahlen wechselt, die über mehrere Jahre hinweg im Voraus festgelegt sind, ist nicht rechtswidrig.[5]
108
Die Überbesetzung der Kollegialgerichte ist zulässig. Ein Spruchkörper darf daher auch mehr Mitglieder haben als für eine Entscheidung in voller Besetzung benötigt wird, wenn dies für eine geordnete Rechtspflege unvermeidbar und vom Vorsitzenden Richter zu bewältigen ist.[6] Die frühere Rechtsprechung, wonach die Zahl der Richter dadurch begrenzt war, dass der Spruchkörper in Sachen, bei deren Entscheidung die größte Anzahl seiner Mitglieder mitwirken muss, nicht in zwei völlig personenverschiedenen Sitzgruppen gleichzeitig tagen durfte,[7] ist überholt. Die Große Strafkammer beim Landgericht darf also auch neben dem Vorsitzenden mit drei Beisitzern besetzt sein.[8] Zulässig ist auch die praktisch häufig geübte Zuteilung an mehrere Spruchkörper. Auch der Vorsitz in mehreren Spruchkörpern ist möglich, sofern der Vorsitzende seine Aufgaben ausreichend wahrnehmen kann.[9]
109
Der Geschäftsverteilungsplan muss auch die Vertretung bei vorübergehender Verhinderung regeln. Voraussehbare Verhinderungsfälle, z.B. in der Haupturlaubszeit, sind bereits bei Aufstellung des Geschäftsverteilungsplans zu berücksichtigen.[10] Nur bei offensichtlicher Verhinderung aus tatsächlichen Gründen (z.B. bei Krankheit, Urlaub, kurzfristige Abordnung o.Ä.) ist die geschäftsplanmäßige Vertretung ohne weiteres zulässig. Bei Verhinderung durch Überlastung eines Richters bedarf diese der Feststellung durch den Gerichtspräsidenten, die vor der Hauptverhandlung, spätestens aber im Rahmen des Verfahrens nach §§ 222a, 222b ergehen muss.[11] Fehlt eine solche Entscheidung über die Verhinderung des Richters, ist das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt.[12] Wegen weiterer Einzelheiten zu Fragen der Gerichtsbesetzung ist auf die Kommentierungen zu § 16 und §§ 21a–21j GVG zu verweisen.
110
Einen Spezialfall der Gerichtsbesetzung regelt § 76 Abs. 2 GVG. Entgegen der grundsätzlichen Besetzungsregelung des § 76 Abs. 1 GVG, wonach die Strafkammer mit drei Richtern und zwei Schöffen besetzt ist, beschließt die große Strafkammer bei der Eröffnung des Hauptverfahrens, also stets durch drei Berufsrichter ohne Mitwirkung der Schöffen,[13] dass sie in der Hauptverhandlung mit zwei Richtern und zwei Schöffen besetzt ist, wenn sie nicht als Schwurgericht zuständig ist (Nr. 1), keine Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, deren Vorbehalt oder die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten ist (Nr. 2) oder nach dem Umfang oder der Schwierigkeit der Sache die Mitwirkung eines dritten Richters nicht notwendig erscheint (Nr. 3). Umstände, die für die Bedeutsamkeit der Sache sprechen, sind etwa die große Zahl der Angeklagten und der vorgeworfenen Straftaten, die große Zahl der Zeugen und sonstiger Beweismittel, der erhebliche Umfang der Akten und die lange Dauer des Verfahrens. Die Schwierigkeit der Sache kann sich vor allem aus der schwierigen Beweissituation und der Komplexität der aufgeworfenen Sach- und Rechtsfragen ergeben.[14] Bei der Entscheidung über die Besetzung nach § 76 Abs. 2 GVG hat die Kammer einen weiten Beurteilungsspielraum, der nur dann in unvertretbarer Weise überschritten ist, wenn das Gericht objektiv willkürlich gehandelt hat,[15] so etwa bei einer Anklage mit Hunderten von Anklagepunkten gegen einen nicht geständigen Angeklagten.[16] Nach § 76 Abs. 3 GVG ist die Mitwirkung eines dritten Richters in der Regel notwendig, wenn die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird[17] oder die große Strafkammer als Wirtschaftsstrafkammer tätig wird. Will der Verteidiger einen Verstoß gegen § 76 Abs. 2 GVG in der Revision rügen, muss auch diese Beanstandung geltend gemacht werden,[18] selbst wenn die Gerichtsbesetzung nach § 222a nicht mitgeteilt worden ist.[19]
111
Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Präsidialbeschlüsse, die den jeweils für ein Jahr zu beschließenden Geschäftsverteilungsplan vorzeitig ändern. Regelmäßig besteht der Grund für derartige Beschlüsse in der starken Auslastung oder Überlastung der Spruchkörper. Mit einer Entscheidung des 3. Strafsenats des BGH[20] wurde gegenüber der früheren recht großzügigen Rechtsprechung ein „Kurswechsel“ hin zur genaueren Rechtmäßigkeitsprüfung bei Geschäftsverteilungsplänen eingeläutet.[21] Nimmt das Präsidium während des laufenden Geschäftsjahres eine Änderung der Geschäftsverteilung vor, so muss der Änderungsgrund im Beschluss des Präsidiums oder einem Protokoll festgehalten werden, damit überprüfbar ist, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die nur ausnahmsweise zulässige Änderung der Geschäftsverteilung vorlagen. Der Präsidiumsbeschluss muss so detailliert begründet sein, dass eine Prüfung seiner Rechtmäßigkeit möglich ist; denn (auch) von Verfassung wegen sind Regelungen der Zuständigkeit, anders als deren Anwendung, nicht lediglich am Maßstab der Willkür, sondern auf jede Rechtswidrigkeit hin zu prüfen.[22] Hinzuweisen ist auf das Erfordernis genauer Begründung bei der Annahme der Überlastung einer Strafkammer und der damit verbundenen Umverteilung von Verfahren[23] oder der Einrichtung von Hilfsstrafkammern,[24] bei der Einzelzuweisung von Verfahren ohne Gesamtkonzept zur Entlastung der Strafkammer[25] oder bei einer Ad-hoc-Bestellung eines außerordentlichen Vertreters.[26] Die Forderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in all diesen Fällen Änderungen des Geschäftsverteilungsplans detailliert zu begründen und deren Notwendigkeit nachvollziehbar darzulegen, gibt dem Verteidiger erhöhte Chancen für eine erfolgreiche Besetzungsrüge.[27] Allerdings kann das Präsidium die fehlende Begründung der Geschäftsverteilungsplanänderung bis zur Entscheidung über die Rüge nachholen und dadurch den ursprünglichen Mangel heilen.[28]