Kitabı oku: «Arztstrafrecht in der Praxis», sayfa 42
b) Fehlende Kausalität des Aufklärungsmangels
aa) Hypothetische Einwilligung
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Der Arzt haftet für einen Aufklärungsmangel auch dann nicht, wenn der Patient bei gehöriger Aufklärung die tatsächlich durchgeführte Maßnahme nicht abgelehnt, sondern ihr zugestimmt („hypothetische Einwilligung“ s. auch § 630h Abs. 2 S. 2 BGB) hätte.[660] „Gedankliche Voraussetzung der hypothetischen Einwilligung ist stets die Hypothese einer ordnungsgemäßen, insbesondere auch vollständigen Aufklärung“[661]
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Der Einwand des Arztes, der Patient hätte in der konkreten Situation in jedem Fall, das heißt, auch bei ordnungsgemäßer Durchführung der Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, wird teilweise unter dem Aspekt der „Kausalität des Aufklärungsfehlers“,[662] teils unter dem Gesichtspunkt des „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ (der hypothetischen Einwilligung) behandelt.[663] Es handelt sich bei diesen drei Begriffen um verschiedene Umschreibungen derselben Sachproblematik. Inhaltlich geht es darum, dass die unterlassene Aufklärung für die Durchführung des Eingriffs relevant („kausal“) geworden sein muss, d.h., Aufklärungsmängel können die Strafbarkeit des Arztes wegen Körperverletzung nur begründen, wenn der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Diese für den ärztlichen Heileingriff entwickelten Grundsätze sind nach Auffassung des BGH[664] auf die spezialgesetzlich in § 8 Abs. 2 S. 1 u. S. 2 TPG geregelten Aufklärungspflichten bei Lebendorganspenden nicht anwendbar, „weil dies dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden“ widerspräche.
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Bezüglich der dogmatischen Einordnung (Prüfungsebene), der inhaltlichen Voraussetzungen, Reichweite und Rechtsfolgen dieser Verteidigungsposition des Arztes bestehen unterschiedliche Auffassungen. Der BGH lässt zutreffend die Rechtswidrigkeit[665] entfallen, im Schrifttum wird die hypothetische Einwilligung teils als „unbeachtliche Reserveursache“ und damit gänzlich bedeutungslos qualifiziert,[666] teils die Tatbestandsmäßigkeit,[667] (wegen fehlender „Kausalität“ des Aufklärungsmangels), oder Rechtswidrigkeit,[668] (wegen fehlenden Erfolgsunrechts der Tat bzw. fehlenden normativen Zurechnungszusammenhangs, weil die objektiven Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes vorliegen)[669] verneint. Es würde zu weit führen, auf die angedeuteten dogmatischen Konstruktionen im Einzelnen einzugehen, zumal praktische Konsequenzen je nachdem, ob man die Tatbestands- oder Rechtswidrigkeitslösung befürwortet, in den hier einschlägigen Fällen nicht ersichtlich sind.[670] Alle Autoren, soweit sie der hypothetischen Einwilligung des Patienten Bedeutung beimessen, kommen zu dem Ergebnis, dass diese jedenfalls eine vollendete Körperverletzung ausschließt. Dies bedeutet im Falle fahrlässiger Körperverletzung Straffreiheit[671], wenn also der Arzt z.B. aus Unwissenheit oder Unachtsamkeit den Patienten nur unzureichend aufgeklärt und damit irrig die Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes „Einwilligung“ angenommen hat (sog. Erlaubnistatbestandsirrtum, der nach § 16 Abs. 1 StGB (analog) zu behandeln ist, siehe Rn. 501).
Wenn jedoch der Arzt die Patienteneinwilligung durch Täuschung[672] oder Drohung herbeigeführt hat, liegt keine fahrlässige, sondern eine vorsätzliche Körperverletzung vor. Das Haftungskorrektiv der hypothetischen Einwilligung beseitigt dann zwar auch die „(Quasi-)Kausalität zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten“ (bewusste Fehlinformation des Patienten) und der Einwilligung bzw. den Erfolgsunwert der Tat, doch bleibt ein haftungsrelevanter Handlungsunwert übrig, der seit der Einführung der Versuchsstrafbarkeit in § 223 Abs. 2 StGB am 1.4.1998 die Strafbarkeit des Arztes im Falle einer „erschlichenen Einwilligung“ wegen versuchter Körperverletzung ermöglicht. Gleiches gilt, wenn der Arzt den Patienten bewusst überhaupt nicht aufklärt, weil er darin nur eine Beunruhigung des Patienten oder in der Aufklärung nur eine unsinnige, von „den Juristen“ erdachte Rechtspflicht sieht. Der BGH hat die Möglichkeit einer Versuchsstrafbarkeit in der einschlägigen Entscheidung vom 15.10.2003[673] (Fall einer durch Täuschung erlangten Einwilligung, siehe Rn. 562) allerdings nicht erörtert, sie dürfte auch meist am Vorsatznachweis scheitern, da die Einlassung des Arztes kaum zu widerlegen sein wird, er habe darauf vertraut, der Patient hätte auch in Kenntnis des wahren Sachverhalts in den von ihm durchgeführten Eingriff eingewilligt und nicht darauf bestanden, von einem anderen Arzt operiert zu werden.[674]
bb) Nachweis der hypothetischen Einwilligung
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Während in der Zivil- und Strafrechtsjudikatur der Haftungs- bzw. Strafbarkeitsausschluss – unbeschadet aller konstruktiven Unterschiede – weitestgehend anerkannt ist, besteht hinsichtlich des Nachweises der hypothetischen Einwilligung (der Kausalität des Aufklärungsmangels) zwischen beiden Rechtsgebieten ein erheblicher Unterschied.
cc) Zivilverfahren
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Nach § 630h Abs. 2 S. 2 BGB kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte – diese Behauptung kann der Patient in Zweifel ziehen durch plausible Darlegung eines ernsthaften Entscheidungskonfliktes, indem er z.B. nachvollziehbar vorträgt, „dass ihn die Frage, ob er die Maßnahme in dem konkreten Umfang tatsächlich durchführen soll, ernsthaft und nachhaltig in einen inneren Konflikt versetzt hätte.“[675] Wird der Einwand der hypothetischen Einwilligung von der „Behandlerseite“ nicht erhoben, geht das Zivilgericht auf die Plausibilität eines Entscheidungskonflikts beim Patienten indes nicht ein.[676]
Im Zivilprozess trifft den Arzt die „Behauptungs- und Beweislast dafür, dass sich der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung zu der tatsächlich durchgeführten Behandlung entschlossen hätte“.[677] – dabei wird aber bei der Prüfung der hypothetischen Einwilligung nur eine Aufklärung über solche Risiken zugrunde zu legen sein, die sich tatsächlich verwirklichten.[678] Der BGH hält auch unter Geltung des § 630h Abs. 2 BGB an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, „dass den Arzt […] für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann (trifft), wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte“[679]
dd) Strafverfahren
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Im Strafprozess trifft die Beweislast dagegen Gericht und Staatsanwaltschaft, d.h. „dem Arzt ist nachzuweisen“, dass bei sachgerechter „Aufklärung die Einwilligung unterblieben wäre“.[680] Da in Strafverfahren uneingeschränkt der Grundsatz in dubio pro reo gilt, wirken sich verbleibende Zweifel, wie denn der Patient entschieden hätte, zugunsten des Arztes aus, d.h. im Zweifel ist zu Gunsten des Arztes davon auszugehen, „dass die Einwilligung bei ordnungsgemäßer Aufklärung erfolgt wäre“.[681]
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In der Praxis ist dieser Unterschied der Beweislastverteilung außerordentlich bedeutsam, wie die zitierten BGH-Entscheidungen und der Alltag vor Gericht zeigen. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, dass für den Ausschluss der Strafbarkeit nicht irgendwelche denkbaren, abstrakt-theoretischen Zweifel ausreichen, sondern „vernünftige“, d.h. auf konkreten Tatsachen beruhende Zweifel dafür vorliegen müssen, dass bei sachgemäßer Aufklärung der Patient in die betreffende ärztliche Maßnahme eingewilligt hätte.[682] Sind die diesbezüglichen Feststellungen eindeutig, „ist für die Annahme kein Raum, die Rechtswidrigkeit habe entfallen können, weil der Eingriff de lege artis durchgeführt wurde und der Patient bei wahrheitsgemäßer Aufklärung in die durchgeführte Operation eingewilligt hätte“.[683] Kommt der Einwand der hypothetischen Einwilligung dagegen nach dem Sachverhalt in Betracht, „ist auf das konkrete Entscheidungsergebnis des jeweiligen Patienten abzuheben“.[684] Maßgebend ist dabei nicht, ob „er sich ohnehin hätte operieren lassen müssen oder dass ein vernünftiger Patient eingewilligt hätte (BGH NJW 1984, 1397; Eser a.a.O.)“.[685] Dass der durchgeführte Eingriff „im Ergebnis“ dem Willen und der Interessenlage des Patienten entsprochen hat, ist ebenso wie dessen nachträgliche Erklärung, z.B. als Zeuge im Strafverfahren gegen den Arzt, ein wichtiges Indiz für die hypothetische Einwilligung,[686] doch ist „bei der Befragung des Patienten dessen „Äußerung und Begründung einer Würdigung zu unterziehen“, die erkennen lassen muss, dass die Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt aus seiner Sicht „bei Aufdeckung des wahren Sachverhalts eine nachvollziehbare und mögliche Schlussfolgerung“ war“.[687]
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Beispiel:
Wenn z.B. zwei Behandlungsmethoden – die Rektoskopie und die Coloskopie- in Betracht kommen, das Risiko eines tödlichen Zwischenfalls beim Colon-Kontrastmitteleinlauf jedoch insgesamt geringer ist, hat beim Fehlen anderer Untersuchungsmethoden der Einwand des Arztes Gewicht, dass der Patient, der über die Möglichkeit einer Perforation des Darmes nicht aufgeklärt worden ist, in die Darmkontrastmitteluntersuchung eingewilligt hätte. Dasselbe gilt, wenn es aus medizinischer Sicht keine Behandlungsalternative gibt. Kommt dagegen im konkreten Fall eine sinnvolle Alternative oder der Verzicht auf den Eingriff in Betracht, weil keine akute Gefahr für den Patienten bestand, so sind dies tatsächliche Umstände, die im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung an der hypothetischen Einwilligung zweifeln lassen, doch kommt es entscheidend auf die persönliche Interessenlage des Patienten und die Überzeugungskraft seiner Darlegungen (soweit möglich) an.
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Zu beachten ist dabei allerdings, dass der Patient – und im Strafverfahren die Staatsanwaltschaft – zur Überzeugung des Tatrichters substanziiert darlegen, d.h. plausibel machen muss, warum er im Falle pflichtgemäßer Aufklärung aus seiner Sicht – insbesondere, wenn nur eine einzige therapeutische Möglichkeit gegeben war – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte, aus dem heraus die von ihm behauptete Ablehnung der Behandlung im damaligen Zeitpunkt nachvollziehbar wird.[688] Da im Rahmen der Plausibilitätsprüfung allein maßgebend „die persönliche Entscheidungssituation des konkreten Patienten“ aus der Sicht ex-ante ist, muss er im Regelfall persönlich zu seiner seinerzeitigen gesundheitlichen Situation, seinen Überlegungen und Beweggründen vor der Entscheidung zu dem Eingriff angehört werden.[689] Kann diese Anhörung nicht mehr stattfinden und lassen auch die äußeren Umstände keinen sicheren Schluss zu, geht dies zu Lasten des Patienten[690] bzw. der Anklage. Für die Darlegung eines Entscheidungskonflikts „sind vom Patienten bzw. seinen gesetzlichen Vertretern keine genauen Angaben zu verlangen, wie er sich wirklich verhalten hätte; er kann und soll lediglich einsichtig machen, dass ihn die vollständige Aufklärung über das Für und Wider des ärztlichen Eingriffs ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er zustimmen sollte oder nicht“.[691] Dabei hängt die Plausibilität nicht davon, ob sich der Patient entgegen ärztlichem Rat für oder gegen eine Maßnahme entschieden hätte. So ist beispielsweise die bewusste Inkaufnahme des (tödlichen) Risikos einer weiteren Gehirnblutung im Falle der Nichtoperation durchaus nachvollziehbar, wenn die Operation die Gefahr heraufbeschwört, mit starken Behinderungen den Rest des Lebens zuzubringen.[692] Im Zivilprozess unterliegt der Nachweis der hypothetischen Einwilligung „strengen Voraussetzungen, damit nicht das Recht des Patienten auf Aufklärung auf diesem Weg unterlaufen wird“.[693] Auch im Strafrecht plädieren manche Autoren für eine „enge“ Handhabung der Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung,[694] um keine Schutzlücken (für das Selbstbestimmungsrecht) entstehen zu lassen. Demgegenüber ist jedoch geltend zu machen, dass dieser Einwand des Arztes seine Anerkennung „vor dem Hintergrund fortlaufend erweiterter Aufklärungspflichten“ gefunden hat und dazu dient, seine „Haftungssituation erträglich zu gestalten“.[695] Abgesehen davon kennt der strafprozessuale Beweisgrundsatz in dubio pro reo keine Einschränkungen.
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Die Rechtsfigur der „hypothetischen Einwilligung“ darf nicht mit dem Rechtfertigungsgrund der „mutmaßlichen Einwilligung“ (siehe dazu Rn. 576) verwechselt werden.[696] Dieser greift nur dann ein, wenn „eine wirkliche (und wirksame) Einwilligung des Betroffenen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand eingeholt werden könnte (Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung)“.[697] Dagegen ist in den Fällen der hypothetischen Einwilligung der Patient zu befragen, zu informieren und nach sachgerechter Aufklärung seine Zustimmung einzuholen, was jedoch pflichtwidrig unterblieb. Darüber hinaus kann „das Urteil über die mutmaßliche von dem über die hypothetische Einwilligung des Betroffenen abweichen“, wie Kuhlen zutreffend hervorhebt, da die Beweisanforderungen unterschiedlich sind. „So ist eine hypothetische Einwilligung im Strafrecht bereits dann anzunehmen, wenn sich nicht ausschließen lässt, dass die Zustimmung erteilt worden wäre“, während „an die Feststellung des vermutlichen Willens bei der mutmaßlichen Einwilligung zum Teil strengere Anforderungen gestellt werden“.[698]
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Der in zivilrechtlichen Streitigkeiten bisweilen erhobene Einwand, trotz der fehlenden Einwilligung sei kein Schaden entstanden, da im Falle der Nichtvornahme des Eingriffs oder der Behandlung der Zustand des Patienten schlechter geworden bzw. der Tod früher eingetreten wäre, ist im Strafrecht nur für die Strafzumessung von Bedeutung. Für die Frage, ob der Arzt „durch Fahrlässigkeit“ die Körperverletzung oder den Tod eines Menschen verursacht hat, spielt dieses zivilistische Verteidigungsargument keine Rolle. Denn da nach der Rechtsprechung jeder ärztliche Heileingriff – unabhängig vom medizinischen Erfolg oder Misserfolg – auch bei vitaler Indikation tatbestandlich eine Körperverletzung darstellt, fehlt bei mangelnder Aufklärung der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung.
19. Irrtumsprobleme im Rahmen der Einwilligung
a) Tatbestandsirrtum
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Glaubt der Arzt zu Unrecht, den Patienten ausreichend informiert zu haben, oder geht er fälschlicherweise davon aus, dass der Patient bereits aufgeklärt sei oder darauf verzichtet habe, nimmt er irrig die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes „Einwilligung“ an. Dasselbe gilt,
• | wenn der Arzt z.B. irrig von der Urteilsfähigkeit bzw. Freiwilligkeit der Erklärung des Einwilligenden[699] aufgrund falscher Sachverhaltsannahme ausgeht, |
• | die in Rede stehenden Behandlungsalternativen für „äquivalent“, also ohne gewichtige Vor- und Nachteile, hält, |
• | ein ihm bekanntes Risiko für extrem selten und daher nicht als aufklärungspflichtig ansieht, |
• | irrtümlich den Eingriff statt beim Patienten X beim Patienten Y durchführt[700] |
• | die Rechtzeitigkeit der Aufklärung auch noch am Tag des stationären Eingriffs bejaht[701] |
• | oder auf die Ordnungsgemäßheit des Einsatzes von ihm verwendeter Arzneimittel – trotz fehlender arzneimittelrechtlicher Zulassung – vertraut und deshalb die Erforderlichkeit einer Unterrichtung des Patienten hierüber nicht erkennt[702]. |
Die irrige Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts (der tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes) wird nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre im Schrifttum wie ein Tatbestandsirrtum nach § 16 Abs. 1 StGB behandelt.[703] Dies bedeutet: Der Arzt darf nicht wegen vorsätzlicher, sondern allenfalls wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft werden, wenn sein Irrtum vermeidbar war, d.h. sich dem Arzt Bedenken hinsichtlich seiner Annahme (ausreichende Aufklärung ist erfolgt) hätten aufdrängen müssen. Ein anschauliches Beispiel hierfür bietet die Entscheidung des BGH vom 22.5.1981[704]:
„Deshalb hätte der Angeklagte sich bei der gegebenen Sachlage mit den vom Landesmedizinaldirektor vorgelegten Einwilligungserklärungen der Patientin und ihres Amtsvormunds nicht begnügen dürfen […] Eine kurze telefonische Vergewisserung bei Frau D., ob sie sich darüber klar sei, dass die Sterilisation medizinisch nicht notwendig ist, wie auch die – für diese durchaus verständliche – Frage, ob sie wisse, dass sie keine Kinder mehr bekommen könne, hätten dem Angeklagten genügt, den Mangel der vorgelegten Erklärung zu erkennen. Mit Recht nimmt die Strafkammer deshalb eine Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Angeklagten und damit fahrlässige Körperverletzung an.“
Dasselbe gilt, wenn der Operateur die postoperativen (nahezu zwangsläufigen) Folgen des Eingriffs nicht erkannt und deshalb den Patienten darüber auch nicht aufgeklärt hat[705] oder wenn der Arzt über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrundes der mutmaßlichen Einwilligung irrt, z.B. die Operationserweiterung (Eileiterunterbrechung bei Kaiserschnitt) im vitalen Interesse der Patientin für medizinisch indiziert erachtet (weil eine erneute Schwangerschaft für Mutter und Kind angesichts der vollständigen Verwachsung der Gebärmutter mit der Bauchdecke und der Blase lebensbedrohlich wäre) und dabei irrigerweise annimmt, die Betroffene hätte bei rechtzeitiger Befragung ihre Zustimmung dazu erteilt. Dasselbe gilt, wenn der Arzt irrig davon ausgeht, der Patient hätte „bei vorheriger Befragung der Erweiterung“ des Eingriffs zugestimmt.[706] Die irrige Annahme, im Interesse und in Übereinstimmung mit dem mutmaßlichen Willen der Patientin zu handeln, ist ebenfalls kein Verbotsirrtum, sondern wie ein Tatbestandsirrtum in Analogie zu § 16 Abs. 1 StGB zu bewerten.[707]
b) Verbotsirrtum
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Dagegen würde es einen bloßen Verbotsirrtum nach § 17 StGB darstellen, wenn der Arzt in Kenntnis aller Sachverhaltsumstände lediglich über die rechtlichen Grenzen der Einwilligung irrt, also z.B. glaubt, er benötige grundsätzlich die Einwilligung des Patienten in die Operation nicht, falls diese indiziert ist und er kunstgerecht handle, oder wenn er „das Fehlen des Einverständnisses für möglich, den Eingriff aber für zulässig hält, weil er medizinisch geboten ist“.[708] Dasselbe gilt,
• | wenn der Arzt eine unwirksame Einwilligung (z.B. infolge Drohung oder mangelnder Einsichtsfähigkeit) für wirksam erachtet,[709] |
• | wenn er irrig glaubt, er brauche keine Einwilligung, da die Aufklärung dem Patienten durch die damit verbundenen psychischen Belastungen nur schade, |
• | wenn er irrig davon ausgeht, die von den Eltern des Kindes aus religiösen Gründen gewünschte Beschneidung sei rechtmäßig,[710] |
• | wenn er „ganz allgemein annimmt, es sei dem Arzt bei jeder Operation gestattet“, diese bei einem durch sie aufgedeckten neuen Befund „beliebig auszudehnen“,[711] |
• | wenn der Arzt das fehlende Einverständnis des Patienten erkennt oder doch zumindest für möglich hält, den Eingriff aber dennoch für rechtlich zulässig erachtet, weil ihm dieser aus medizinischer Sicht sinnvoll und geboten erscheint (Irrtum über die Grenzen seines Rechtfertigungsgrundes).[712] |
Ein Verbotsirrtum liegt ferner vor, wenn der Arzt die Sittenwidrigkeit des geplanten Eingriffs unzutreffend beurteilt.[713]
Der Vorsatz der Körperverletzung bleibt in allen diesen Fällen unberührt, bei Unvermeidbarkeit des Irrtums entfällt die Schuld, bei Vermeidbarkeit kann die Strafe gemildert werden (§§ 17, 49 StGB). Grundsätzlich dürfte allerdings „selbstherrliches, also vorsätzliches Handeln eines Arztes ohne Rücksicht auf den mutmaßlichen Willen des Patienten“ die Ausnahme bilden.[714] „Eigenmächtige Heilbehandlung aufgrund eines entsprechenden Verbotsirrtums muss daher nur dann in Betracht gezogen werden, wenn hierfür besondere Anhaltspunkte bestehen. Das zur Wahrung der Persönlichkeit des Patienten erforderliche Selbstbestimmungsrecht darf nicht in der Weise überzogen werden, dass es sich gegen ihn kehrt. Dies aber wäre die Folge, wenn Ärzte aus Furcht vor einem für sie nicht mehr überschaubaren Risiko strafrechtlicher Verfolgung bei einem zur Einwilligung nicht fähigen Patienten eine dringend gebotene und in aller Regel dem Willen des Patienten entsprechende Operation oder Operationserweiterung unterließen“.[715]