Kitabı oku: «Handbuch Hamburger Polizei- und Ordnungsrecht für Studium und Praxis», sayfa 3

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e) Prinzip der gegenseitigen Anerkennung

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Mit dem Vertrag von Lissabon wurde die gegenseitige Anerkennung zur rechtlichen Grundlage für die gesamte justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Art. 82 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1 AEUV. Als Konsequenz daraus, dass das Straf- und Strafverfahrensrecht in den EU-Mitgliedstaaten weiterhin sehr unterschiedlich konzipiert ist, steht der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung justizieller Entscheidungen im Mittelpunkt der EU-Strategie. Danach muss eine in einem Mitgliedstaat rechtmäßig ergangene justizielle Entscheidung in jedem anderen Mitgliedstaat als solche anerkannt werden.46 Die unionsweite Anerkennung nationaler gerichtlicher Entscheidungen soll die im Bereich der Rechtshilfe traditionell bestehenden, zeitaufwändigen Hindernisse abbauen und so eine effektive grenzüberschreitende Strafverfolgung ermöglichen.47

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Dabei wird vorausgesetzt, dass „ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht“.48 Auf dieser Annahme basieren insbesondere der Europäische Haftbefehl49 und die Europäische Ermittlungsanordnung (dazu A.II.1.i.).50

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Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die gegenseitige Anerkennung ohne weitreichende Angleichung der Strafrechtssysteme der Mitgliedstaaten und ohne Garantie unabdingbarer Verfahrensrechte für die Beschuldigten die Gefahr birgt, dass grundlegende Verteidigungsrechte verkürzt werden oder verloren gehen.51 Der Einzelne sei regelmäßig der „Leidtragende des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung“.52 Nur ausnahmsweise – etwa bei der Verwirklichung des „ne bis in idem“-Grundsatzes – wirke das Prinzip zugunsten des Beschuldigten.53

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Dass das „gegenseitige Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme“ eine Fiktion ist und seit einiger Zeit in diesem Zusammenhang (teilweise) von einem wachsenden Misstrauen gesprochen werden kann, belegen Entscheidungen zahlreicher mitgliedstaatlicher Gerichte,54 sowie diejenigen des EuGH55 zum Europäischen Haftbefehl. Das Recht des Europäischen Haftbefehls wird daher derzeit als „Brennglas harter Integrationskonflikte innerhalb der EU“56 bezeichnet. So tendiert sowohl die aktuelle Rechtsprechung des EuGH57 als auch die des BVerfG58 und anderer nationaler Gerichte hier inzwischen zu einer „Abschwächung“ der gegenseitigen Anerkennung bei extremen Ausnahmefällen. Faktisch wird damit das gegenseitige Vertrauen durch einen „europäischen Ordre-public“ (EuGH)59 bzw. einen „nationalen Ordre-public“ (BVerfG) begrenzt (s. A.II.1.g.).

Auch wenn Norwegen nur ein mit der EU assoziierter Staat ist, soll hier wegen der möglichen Vorbildwirkung das aufsehenerregende Urteil des norwegischen Verwaltungsgerichts vom 27. 02. 2020 Erwähnung finden, wonach sich Norwegen aus Protest gegen die umstrittenen rechtsstaatlichen Reformen in Polen aus einem mit Mitteln des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) finanzierten Justizprogramm zurückzieht. Die politische Kontrolle über die Gerichte in Polen sei so weit fortgeschritten, dass es sich nicht mehr rechtfertigen lasse, sich an solch einer Zusammenarbeit zu beteiligen.60

f) Verfassungsfeste Integrationsschranke

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Strafrecht und Polizeirecht gehören zum Wesenskern staatlicher Souveränität, denn Strafen und sicherheitsbehördliche Zwangsmaßnahmen betreffen das Grundverhältnis von Staat und Bürger.61 Beide Rechtsgebiete zählen daher im Kern zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.62 „Die Wahrung eines gehaltvollen nationalen Grundrechtsschutzes“ stellt hier die „verfassungsänderungsfeste Integrationsschranke“ dar.63 Den EU-Mitgliedstaaten muss deshalb laut Urteil des BVerfG zum Vertrag von Lissabon:64

„ein ausreichender Raum zur politischen Gestaltung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Lebensverhältnisse“ bleiben. „Dies gilt insbes. für Sachbereiche, die die Lebensumstände der Bürger, vor allem ihren von den Grundrechten geschützten privaten Raum der Eigenverantwortung und der persönlichen und sozialen Sicherheit prägen, sowie für solche politische Entscheidungen, die in bes. Weise auf kulturelle, historische und sprachliche Vorverständnisse angewiesen sind, und die sich im parteipolitisch und parlamentarisch organisierten Raum einer politischen Öffentlichkeit diskursiv entfalten. Zu wesentlichen Bereichen demokratischer Gestaltung gehören unter anderem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Einnahmen und Ausgaben einschl. der Kreditaufnahme sowie die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Eingriffstatbestände, vor allem bei intensiven Grundrechtseingriffen wie dem Freiheitsentzug in der Strafrechtspflege oder bei Unterbringungsmaßnahmen (…) .“

g) Ordre-public-Vorbehalt

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Im gesamten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts gilt der sog. Ordre-public-Vorbehalt, Art. 72 AEUV. Danach bleibt die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit unberührt.65 Art. 72 AEUV ist eine Vorgabe für die EU, ihre Kompetenzen nach Titel V dergestalt wahrzunehmen, dass die nationale Zuständigkeit für die Wahrung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der öffentlichen Sicherheit unberührt bleibt; insoweit ist Art. 72 AEUV eine Kompetenzausübungsschranke für die EU.66 Dabei bleibt nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten selbst unberührt, sondern deren Wahrnehmung als Konsequenz aus der Kompetenzübertragung auf die EU in den Bereichen Justiz und Inneres durch Titel V AEUV.67 Die EU besitzt keine Exekutivfunktion im Bereich des Polizeirechts in den Mitgliedstaaten und könnte polizeiliche Maßnahmen derzeit mangels eigener Vollzugsbeamten ohnehin nicht ergreifen. Nach den Ausführungen des BVerfG zum Lissabon-Vertrag („verfassungsfeste Integrationsschranke“, s. A.II.1.f.) erscheint fraglich, ob die Bundesrepublik an einer echten polizeirechtlichen Befugnisübertragung in größerem Umfang überhaupt mitwirken dürfte.68 Die EU darf nach Art. 72 AEUV insbesondere nicht durch Rechtsetzung in diesem Bereich auf die Befugnisse der Mitgliedstaaten einwirken.69

Diesen Grundsatz sahen einige mitgliedstaatliche Parlamente z. B. verletzt bei der DSRL-JI (dazu A.II.2.b.).70 Hierdurch würden Mitgliedstaaten zur Anpassung des innerstaatlichen Polizei- und Strafverfahrensrechts gezwungen.71

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Art. 72 AEUV ist aber auch dahingehend zu verstehen, dass die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Schutz der inneren Sicherheit gewisse Ausnahmen von EU-Grundsätzen erlauben. Art. 72 AEUV erhält insoweit die Bedeutung eines Rechtfertigungsgrundes für Abweichungen von EU-Grundsätzen.72 So können Mitgliedstaaten, auf Art. 72 AEUV gestützt, z. B. Binnengrenzkontrollen bei ernsthafter Gefährdung der inneren Sicherheit bis zu zwei Jahre wieder einführen, Art. 25 VO 399/2016.73

So wurden Binnengrenzkontrollen bei kulturellen oder politischen Großereignissen – etwa dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 – durchgeführt, um gewaltbereite Besucher fernzuhalten, aber auch in der sog. Flüchtlingskrise 2015/16 aufgrund massiver Zuwanderung74 und während der Corona-Pandemie 202075.

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Für die Zuständigkeit des EuGH findet sich in Art. 276 AEUV die Entsprechung zum Ordre-public-Vorbehalt aus Art. 72 AEUV. Aus der Zuständigkeit des EuGH ausgenommen sind gem. Art. 276 AEUV diejenigen Maßnahmen der Polizei, die nach Art. 82–89 AEUV getroffen wurden, weil sie im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung und der inneren Sicherheit stehen.76 Die Beschränkung der Zuständigkeit des EuGH gilt – anders als Art. 72 AEUV – nicht für den gesamten Bereich des RFSR.

Binnengrenzkontrollen fallen aber unter Art. 77 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 lit. e AEUV (2. Kapitel in Titel V) und darauf bezieht sich Art. 276 AEUV nicht. Der EuGH kann so die Zulässigkeit von polizeilichen Maßnahmen im Zusammenhang mit Binnengrenzkontrollen überprüfen.77

h) Sog. Notbremse und Verstärkte Zusammenarbeit

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Nach Art. 82 Abs. 3 AEUV bzw. Art. 83 Abs. 3 AEUV kann ein einzelner EU-Mitgliedstaat ein Gesetzgebungsverfahren zu Themen des RFSR per sog. Notbremse anhalten. Dies erfolgt, indem er unter Berufung auf grundlegende Aspekte der nationalen Strafrechtsordnung beantragt, dass der Europäische Rat befasst wird. Dabei muss der EU-Mitgliedstaat begründen, welche grundlegenden Aspekte seiner Strafrechtsordnung betroffen sind. Hierbei ist im Einzelnen darzulegen, was die spezifischen Unverträglichkeiten für die nationale Strafrechtsordnung ausmachen.78 Daraufhin wird das Gesetzgebungsverfahren im Rat ausgesetzt und der Europäische Rat befasst. Der Europäische Rat ist gem. Art. 68 AEUV das für die strategischen Leitlinien für den RFSR zuständige Organ und muss dann eine Aussprache durchführen. Er hat ab der formalen Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens im Rat vier Monate Zeit, um ein Einvernehmen über den Entwurf herbeizuführen und diesen an den Rat zur Annahme zurück zu verweisen. Kommt es im Europäischen Rat zu einem Einvernehmen, setzt der Rat das Gesetzgebungsverfahren fort. Diese sog. Notbremse sorgt trotz der grundsätzlichen Geltung des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens dafür, dass ein Mitgliedstaat im Ernstfall verhindern kann, überstimmt zu werden, und sichert damit auch den Einfluss der nationalen Parlamente auf ihre Regierungen.79

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Kommt es im Europäischen Rat zu keinem Einvernehmen, hat eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten erleichterten Zugang zur sog. Verstärkten Zusammenarbeit. Binnen vier Monaten ab der formalen Aussetzung des Gesetzgebungsverfahrens im Rat muss diese Absicht gem. Art. 82 Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 AEUV bzw. Art. 83 Abs. 3 UAbs. 2 Satz 1 AEUV dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission angezeigt werden. Mit dieser Mitteilung gilt die Ermächtigung, die nach Art. 20 Abs. 2 EUV und Art. 329 Abs. 1 AEUV erforderlich ist, als erteilt. Eine Gruppe von mindestens neun Mitgliedstaaten kann nun nicht mehr an der sog. Verstärkten Zusammenarbeit gehindert werden.

i) Gesetzgebungskompetenzen und Entstehung eines europäischen Rechts der inneren Sicherheit

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Trotz der Feststellung einer „verfassungsfesten Integrationsschranke“ (s. dazu A.II.1.g.) durch das Bundesverfassungsgericht und trotz der Verankerung des Ordre-public-Vorbehalts (s. dazu A.II.1.f.) im Primärrecht der EU, unterliegt das Recht im Bereich des RFSR seit dem Vertrag von Lissabon einer zunehmenden Europäisierung.80 Während das Recht der EU/EG zunächst primär auf Polizeikooperation ausgerichtet war, hat sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel vollzogen hin zu einer Annäherung der mitgliedstaatlichen Sicherheitsrechtsordnungen.81 Dies geschah durch die Auflösung der mit dem Vertrag von Maastricht eingeführten Säulenstruktur und der damit einhergehenden Überführung der einschlägigen Artikel in den Titel V AEUV mit dem Vertrag von Lissabon (s. dazu A.II.1.a.) sowie die Einführung weiterer Kompetenzen der Union, etwa zur Ergreifung von Maßnahmen gegen Terrorismusfinanzierung, Art. 75 AEUV, der polizeilichen Zusammenarbeit, Art. 87 AEUV, sowie der Verhängung von Wirtschaftssanktionen, Art. 215 AEUV.82

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Der Vertrag von Lissabon sieht nun zu einigen ausgewählten Themen ausdrücklich eine Harmonisierung in Form von Mindeststandards vor, zum Beispiel bei der Zulassung von Beweismitteln, bei den Individualrechten im Strafverfahren und beim Opferschutz, Art. 82 Abs. 2 AEUV. Auch bei der Festlegung von Minimumstandards bei Straftaten „in Bereichen besonders schwerer Kriminalität“ ist eine Harmonisierung möglich. In Art. 83 Abs. 1 AEUV werden genannt: „Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität“.

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Die EU kann zudem die nationale Kriminalprävention fördern, ohne jedoch harmonisieren zu dürfen, Art. 84 AEUV.

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Eurojust hat den Auftrag, die Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den nationalen Behörden zu unterstützen und zu verstärken, die für die Ermittlung und Verfolgung von schwerer Kriminalität zuständig sind, wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten betroffen sind oder eine Verfolgung auf gemeinsamer Grundlage erforderlich ist, Art. 85 Abs. 1 Satz 1 AEUV. Eurojust stützt sich dabei auf die von den Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol durchgeführten Operationen und gelieferten Informationen, Art. 85 Abs. 1 Satz 2 AEUV. Erstmals ist auch die Kompetenz vorgesehen, Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten oder nationalen Stellen die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen vorzuschlagen, Art. 85 Abs. 1 lit. a AEUV.

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Art. 86 AEUV sieht die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) vor. Im Jahr 2017 wurde dieses Ziel von 20 Mitgliedstaaten in Form der sog. Verstärkten Zusammenarbeit nach Art. 86 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV (s. A.II.1.g.) umgesetzt. Inzwischen beteiligen sich hieran 22 Mitgliedstaaten.83 Die EUStA mit Sitz in Luxemburg soll im November 2020 ihren Betrieb aufnehmen. Am 14. 10. 2019 hat der Europäische Rat Laura Codruţa Kövesi als erste Europäische Generalstaatsanwältin ernannt.84 Die EUStA wird als erste unabhängige und dezentrale Staatsanwaltschaft der EU befugt sein, Straftaten gegen den EU-Haushalt wie beispielsweise Betrug, Korruption und schweren grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und vor Gericht zu bringen, Art. 86 Abs. 1, Abs. 2 AEUV.

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Gesetzgebungskompetenzen im Bereich polizeiliche Zusammenarbeit bestehen für Unterstützungs- und Koordinationsaufgaben für die mitgliedstaatlichen Behörden.85 Hier geht es um die Gewinnung und Verarbeitung von Informationen, Art. 87 Abs. 2 lit. a AEUV, die Unterstützung in der Aus- und Weiterbildung, die Zusammenarbeit beim Personalaustausch sowie im Hinblick auf Ausrüstungsgegenstände und die kriminaltechnische Forschung, Art. 87 Abs. 2 lit. b AEUV, und gemeinsame Ermittlungstechniken zur Aufdeckung schwerwiegender Formen organisierter Kriminalität, Art. 87 Abs. 2 lit. c AEUV.

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Eine Intensivierung der operativen polizeilichen Zusammenarbeit ermöglicht Art. 87 Abs. 3 AEUV. Bislang erfolgt die operative Zusammenarbeit insbesondere im Wege der grenzüberschreitenden Observation, der grenzüberschreitenden Nacheile, des Austauschs von Verbindungsbeamten, der Bildung gemeinsamer Ermittlungsgruppen und kontrollierter Lieferungen.86 Nun stellt die RL (EU) 2014/41 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen Regelungen zur Beweiserhebung in grenzüberschreitenden Fällen zur Verfügung. Danach kann der Anordnungsstaat eine Ermittlungsanordnung erlassen, aufgrund derer der Vollstreckungsstaat zur Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen verpflichtet wird.87 Dabei gilt der GrundSatz der gegenseitigen Anerkennung, Art. 82 AEUV (dazu näher A.II.1.e.).

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Die primärrechtliche Grundlage für die Tätigkeit von Europol findet sich seit dem Vertrag von Lissabon in Art. 88 AEUV. Danach hat Europol den Auftrag, „die Tätigkeit der Polizeibehörden und der anderen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie deren gegenseitige Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der zwei oder mehr Mitgliedstaaten betreffenden schweren Kriminalität, des Terrorismus und der Kriminalitätsformen, die ein gemeinsames Interesse verletzen, das Gegenstand einer Politik der Union ist, zu unterstützen und zu verstärken“.

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Die in Art. 16 Abs. 2 AEUV geschaffene Kompetenz für den Datenschutz und den freien Datenverkehr hat sich als (nicht unumstrittenes) Einfallstor für eine teilweise Harmonisierung des mitgliedstaatlichen sicherheitsrechtlichen Datenschutzrechts erwiesen (dazu ausführlich A.II.1.b.).88 Unter Rückgriff auf Art. 16 Abs. 2 AEUV hat die EU im Rahmen des sog. Europäischen Datenschutzpakets 2016/1889 mitgliedstaatliches Datenschutzrecht, insbesondere das der Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden durch die DSRL-JI, teilharmonisiert.90

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Inzwischen ist im RFSR ein komplexes europäisches Recht der inneren Sicherheit entstanden, ein Nebeneinander von nationalstaatlichem Recht, supranationalem Recht und Völkerrecht.91 Dies hat spürbare Auswirkungen in mehreren Rechtsbereichen, so z. B. im Staatsorganisationsrecht, bei den Grundrechten, im Polizeirecht, Strafprozessrecht oder Datenschutzrecht. So dürften etwa nach der Teilharmonisierung des Datenschutzrechts für die mitgliedstaatlichen Gefahrenabwehr- und Strafverfolgungsbehörden durch die DSRL-JI (s. dazu A.II.2.) die so geschaffenen mitgliedstaatlichen Normen künftig wohl z. T. an den Unionsgrundrechten zu messen sein. Auf eine Vollharmonisierung im Bereich der DSGVO hat das BVerfG Ende 2019 mit einer geradezu spektakulären Rechtsprechungsänderung reagiert: Es überprüft die Anwendung vollharmonisierten Rechts durch die deutsche Gewalt nun am Maßstab der Unionsgrundrechte (dazu näher A.II.2.c.). Auf die Kompetenzverteilung im Deutschen Bundesstaat hat die Rechtsentwicklung im RSFR ebenfalls Einfluss: Hier ist ein Trend zur „Entförderalisierung“92 durch Kompetenzverlust der Bundesländer zu verzeichnen, indem der Spielraum der Bundesländer für die Regelung des Polizeirechts durch europäische Regelungen verkleinert wird.93 Auf die Frage, wer die Gesetze vollzieht (Bund oder Länder), wirkt sich die zunehmende „Transnationalisierung“ ebenfalls aus: Denn Anlaufstellen für europäische Kooperationen sind meist Bundesbehörden, als zentrale Knotenpunkte internationaler Vernetzung der Polizeibehörden.94

2. Sekundärrechtliche Anforderungen nach der Datenschutzreform 2016: Die Richtlinie (EU) 2016/680 (DSRL-JI)
a) Vorbemerkung

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In der Rechtsetzungspraxis im Bereich des RFSR am meisten Anwendung finden die unmittelbar und allgemein geltenden Verordnungen, die Richtlinien, die hinsichtlich der Ziele verbindlich sind und zunächst von den Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht umgesetzt werden müssen, sowie die Beschlüsse der EU-Organe. Auf Grundlage der primärrechtlichen Zuständigkeiten der EU im Bereich des RFSR wurde eine Vielzahl von Verordnungen und Richtlinien erlassen.

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Wegen der besonderen Bedeutung für die Europäisierung des Rechts der inneren Sicherheit wird hier die DSRL-JI (Richtlinie [EU] 2016/680 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI)95 als Teil der Datenschutzreform von 2016 kurz behandelt. Diese soll „zur Vollendung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beitragen“96.

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Die DSRL-JI ist Teil eines Datenschutzreformpakets, das auch die deutlich bekanntere Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)97 umfasst. Um die DSRL-JI umzusetzen, waren/sind sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene hunderte betroffene Gesetze anzupassen, so etwa das Bundeskriminalamtsgesetz98, das Bundesdatenschutzgesetz99, die Strafprozessordnung100, das Bundespolizeigesetz101 und viele mehr. Auch auf Ebene der Länder waren zahlreiche Datenschutz- und Polizeigesetze102 anzupassen.

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692 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783415068582
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