Kitabı oku: «Nur dämlich, lustlos und extrem?», sayfa 3
MENTALE VERARBEITUNGEN
Phänomene wie die genannten existieren für das Subjekt nicht nur in der Außenwelt. Sie werden – ebenso wie Vorstellungen von sich und anderen – auch in bestimmter Art und Weise innerlich abgebildet: Jede*r macht sich ein Bild von ihnen. Diese mentalen Abbilder der Realität oder dessen, was für Realität gehalten wird, haben die Funktion, Wahrnehmungen und Erlebensweisen ikonografisch und figurativ im Erfahrungshaushalt abzulegen, sie dort einordenbar zu machen und für den kommunikativen Austausch über die von ihnen repräsentierten Phänomene zu »präparieren« (vgl. auch Moscovici 1988). Auf sie lässt sich intuitiv und ohne langes Überlegen assoziativ zurückgreifen. Auf leicht zugängliche Weise ist mit ihnen so Komplexität zu reduzieren. Insofern strukturieren diese mentalen Repräsentationen die gemachten Erfahrungen, treffen aber auch Vorentscheidungen zum einen über die Einordnung neu auftretender Eindrücke, zum anderen für das Aufsuchen neuer Erfahrungen. Sie wirken somit selektiv auf potenzielle Deutungen von Wahrgenommenem sowie auf die Wahl von Optionen, die in Handlungs- und Verhaltenshorizonten aufscheinen.
Problematisch, ja unter Umständen demokratiegefährdend werden sie dann, wenn sie komplizierte Sachverhalte nur holzschnittartig nachzeichnen, Schwarz-Weiß-Malerei betreiben, scharf konturierte Freund-Feind-Gegensätze skizzieren, damit auf Ambivalenzen, Nuancen und Differenzierungen verzichten und so Pauschalisierungen Vorschub leisten, die solche Bilder verfestigen und sich gegenüber Veränderungen widerständig zeigen. Tendenzen dazu, mentale Repräsentationen so anzulegen, werden dadurch begünstigt, dass diese gesellschaftlich großräumig vagabundieren, von vielen, insbesondere deutungsmächtigen Gesellschaftsmitgliedern geteilt werden und deshalb zunehmend als »normal« betrachtet werden können. Wo sich z. B. vermeintlich »typische« Vorstellungen von »den Juden«, »den Flüchtlingen« oder »den Muslimen« verbreiten und stabilisieren, wird unvoreingenommenes Urteilen erschwert und stattdessen eine Ordnungspraxis verstärkt und zementiert, die an den schon vorhandenen Deutungsangeboten andockt und im Lebensverlauf neu auftauchende Erfahrungen nach deren Mustern einsortiert. Der Aufenthalt in Filterblasen und Echokammern der sozialen Medien scheint diese Tendenz deutlich zu begünstigen, weil hier die Konfrontation mit dem anderen ausbleibt und immer wieder die gleichen Mentalitätsbestände umgeschlagen werden.
PERSÖNLICHE KOMPETENZEN
Die subjektive Erfahrungsverarbeitung wird zudem bestimmt von individuellen Fähigkeiten, die sich mit dem Begriff der Selbst- und Sozialkompetenzen fassen lassen: von der Sensibilität für die Wahrnehmung eigener Bedürfnisse und der Bedürfnisse anderer, von Empathievermögen, Impulskontrolle, Reflexivität, ausgebildeten Toleranzen gegenüber Frustrationen, Ambivalenzen und Ambiguitäten, Dialogfähigkeit, Fähigkeiten zu verbaler Konfliktregulierung u. Ä. m. Die eigene Lebenserfahrung lehrt diesbezüglich: Solche Kompetenzen sind weder angeboren noch fallen sie vom Himmel. Sie sind vielmehr Produkte der Erfahrungen, die jemand macht. Werden Erfahrungen gemacht wie selbstwirksam sein zu können, zugehörig zu sein, anerkannt und wertgeschätzt zu werden, Teilhabechancen zu erhalten, eigenes Handeln als sinnvoll zu erleben und sinnliche Bedürfnisse genussvoll befriedigen zu können? Und wird die Erfahrung gemacht, dies gemeinsam mit anderen sowie zugleich in Respekt wahrendem Austausch und verhandlungsbasiertem Abgleich mit ihnen umsetzen zu können? Erfährt die Person also solche Formen der Bedürfnisbefriedigung als funktional für die eigene Lebensgestaltung im Kontext kollektiver Lebensgestaltungspraxis? Oder macht sie die Erfahrung, dass eher rücksichtslose Selbstdurchsetzung, z. B. mittels Gewalt, »Treten nach unten«, und das Verfolgen von Partikularinteressen, z. B. nationalistische Vorteilsmaximierung, sie gesellschaftlich und persönlich voranbringt?
Im Übrigen hängt von den persönlichen Kompetenzen und zur Verfügung stehenden Ressourcen zur Einordnung von Erfahrungen sowie zur Artikulation gesellschaftlicher Interessen auch ab, inwieweit politische Anliegen überhaupt als solche begriffen und dann auch entsprechend geäußert werden. Dasselbe gilt dafür, inwieweit soziales Engagement in den kleinen Lebenswelten des Alltags, etwa wechselseitige Unterstützung in der Nachbarschaft, Aktionen zum Erhalt einer sauberen Umwelt oder Mitgestaltungen des kulturellen Lebens vor Ort bzw. in jugendkulturellen Szenen, überhaupt als politisch verstanden werden und damit auch bei quantitativen Befragungen Eingang in die Antworten finden. Gerade bei eher bildungsungewohnten Jugendlichen aus unteren Schichten bleibt das Politische ihrer sozialen Zusammenhänge und Vollzüge hinter einem engen Politikbegriff oft verborgen und kommt in Fragebogenstudien nicht explizit zum Vorschein.
FAZIT UND PERSPEKTIVEN
Jugend macht Politik. Sie macht sie, wenn sie sich aktiv einmischt. Sie macht sie aber auch, wenn sie Politik Politik sein lässt und dort den Dingen ihren Lauf lässt. »Man kann nicht nicht kommunizieren« – so heißt ein berühmt gewordenes Axiom des bekannten Kommunikationswissenschaftlers und Psychotherapeuten Paul Watzlawick (vgl. z. B. Watzlawick 2016). In analoger Weise ließe sich formulieren: »Man kann nicht nicht politisch sein.« Politisch zustande gekommene Regelungen öffentlicher Belange betreffen jede*n. Manche davon selber mitbewirkt zu haben oder gegen sie lautstark und demonstrativ aufzubegehren, ist nicht politisch relevanter, als sie zu akzeptieren und sich mit ihnen abzufinden. Letzteres allerdings führt auf Dauer in Machtlosigkeit: Wer nichts macht, nutzt seine Macht nicht; jene Macht, die potenziell darin liegt, sich im oben erwähnten Sinne Hannah Arendts »mit anderen zusammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln«.
Wenn wir politische Entscheidungen demokratisch treffen wollen, ist breite politische Beteiligung vonnöten, also ein Politikmachen und Macht nutzen im Sinne Hannah Arendts. Daher sind für den Bestand und die Weiterentwicklung von Demokratie Antworten auf die Frage unabdingbar, wie Mitsprache, Mitentscheidung und Mitwirkung für alle, insbesondere aber für die nachwachsenden Generationen, befördert werden können – auch gerade bei jenen, die von Politik Abstand halten und Demokratie mit Teilnahmslosigkeit oder Misstrauen begegnen. Dafür müssen Lebensgestaltungsoptionen weiter geöffnet werden, damit diese dann auch in Demokratiegestaltung münden können. Erweiterte Möglichkeiten dazu, weitgehend selbst über die persönlichen Lebensbedingungen verfügen und die dafür zu treffenden Entscheidungen mit anderen Menschen diskursiv abstimmen zu können, befördern demokratische Mitwirkung. Der neueste Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung unterbreitet dazu eine Reihe von Vorschlägen für unterschiedliche gesellschaftliche Sphären und im Schwerpunkt für bedeutsame Bildungsbereiche, in denen sich junge Leute bewegen (vgl. Bundesministerium 2020). Wer sich nicht durch den über 600 Seiten starken Berichtsband quälen will, findet auch im vorliegenden Buch einige Hinweise. Hier kommen sie nicht von titelgeschmückten und mit institutionellen Weihen versehenen Expert*innen, sondern von jungen Leuten selbst. Sie erzählen ihre eigene Geschichte, wie sie Politik für sich entdeckt haben. Die Vielfältigkeit, in der sie dies getan haben und weiterhin tun, zeigt auf, dass Politik(machen) beim Nachrichten gucken oder beim Wählen und Gewähltwerden weder anfängt noch aufhört.
1 Lorena (17) in diesem Band.
LITERATUR
Arendt, Hannah: Macht und Gewalt. 14. Auflage. Piper, München 2000.
Besand, Anja/Overwien, Bernd/Zorn, Peter (Hrsg.): Politische Bildung mit Gefühl. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2019.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: 16. Kinder- und Jugendbericht. Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter. Bundestagsdrucksache 19/24200. Berlin 2020. Online: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/16-kinder-und-jugendbericht-162238 [12.11.2020].
Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit 1. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1977.
Holzkamp-Osterkamp, Ute: Psychologische Motivationsforschung, Bd. 1 und 2. Campus, Frankfurt a. M. 1975, 1976.
Möller, Kurt u. a.: »Die kann ich nicht ab!« Ablehnung, Diskriminierung und Gewalt bei Jugendlichen in der (Post-)Migrationsgesellschaft. VS, Wiesbaden 2016.
Möller, Kurt/Neuscheler, Florian: Abschlussbericht zur Evaluation der Beratungsstelle Hessen – Religiöse Toleranz statt Extremismus. Esslingen 2018. Online: https://violence-prevention-network.de/wp-content/uploads/2019/02/Abschlussbericht-Evaluation-Beratungsstelle-Hessen.pdf [12.11.2020].
Moscovici, Serge: »Notes towards a description of social representation”, in: European Journal of Social Psychology 3, 1988, 211–250.
Shell Deutschland Holding (Hrsg.): Jugend 2019. Eine Generation meldet sich zu Wort. Beltz, Weinheim und Basel 2019.
Watzlawick, Paul: Man kann nicht nicht kommunizieren. Das Lesebuch. Zusammengestellt von Trude Trunk. 2., unveränd. Aufl. Hogrefe, Göttingen 2016.
Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Soziologie. Herausgegeben von Johannes Winkelmann. 5. Aufl. (Erstaufl. 1922). Mohr, Tübingen 1985.
Foto: Carmen Maurer
#bunt, laut und kreativ
»›Kapitalismus ist scheiße‹ ist ein bisschen stumpf«
Carl (22), Ruben (22)
Student für Erneuerbare Energien und Student der VWL, Mitglieder der Punkband Xylospongium
Könnt ihr ein bisschen was über eure Band erzählen?
Carl: Im Prinzip kennen wir uns, also der Großteil von uns, aus der Schulzeit. Zwei von uns waren in einer Klasse, der Bassist und ich. Ruben war eine Stufe über uns. Wir haben uns auf ’ner geilen Klassenfahrt nach Paris kennengelernt. Wir haben noch ’nen Sänger gesucht, und dann hab ich an den Ruben denken müssen, weil wir öfter mal zusammen in ’ner Kneipe waren. Ich hab ihn dann einfach gefragt, ob er Bock hat, mit uns mal zu singen. Ruben hatte vorher keinerlei musikalische Ambitionen. [lacht] Aber die haben wir ihm dann eingeimpft. Dann haben wir angefangen zu spielen, relativ früh auch mit eigenem Material, und uns von Anfang an nicht auf Coversongs beschränkt. Klar, für ’nen Kneipengig brauchts natürlich ein paar Gassenhauer, aber wir haben eigentlich gleich von Anfang an eigenes Zeug gemacht. So hat sich das bis heut stetig entwickelt, und wir haben in der letzten Zeit total viele coole Konzerte spielen dürfen. Ende 2017 haben wir Paul, meinen Bruder, mit ins Boot geholt, weil unser erster Schlagzeuger es zeitlich nicht mehr geschafft hat. Wir haben uns gut entwickelt als Band. Wir haben schon diverse Sachen abgeklappert, wofür andere Bands deutlich länger brauchen. Wir haben coole Festivals, Slots und so gewonnen. Anfang 2019 haben wir unser erstes Album aufgenommen. Es hätte keiner gedacht, dass wir in vier Tagen elf Songs aufnehmen können, aber es hat geklappt. Wir haben dann zwar für das Produzieren von dem Album ungefähr ein ganzes Jahr gebraucht, aber im November sind wir damit fertig geworden, haben ein kleines Indie-Label aus Hamburg, Sportklub Rotter Damm heißen die, gefunden und vor ein paar Tagen ’ne Single rausgehauen. Anfang Mai kommt dann das Album raus. Das war eine schwere Geburt, aber ich bin zufrieden. Es ist nix, wofür man sich schämen muss. Ich find, es klingt gut.
Euer Bandname ist ziemlich außergewöhnlich – Xylospongium. Was steckt hinter diesem Namen?
Carl: [lacht] Das war meine Idee. Hab mir gedacht: Na, für ’ne Punkband wäre doch eigentlich Klobürste ganz witzig. Das war mir aber ’n bisschen zu einfältig, irgendwie subordinär, mit Pippi-Kacka-Witzen und so, das ist dann doch nicht unser Niveau. Deshalb hab ich schlicht gegoogelt, obs ’n geileres Wort für ’ne Klobürste gibt. Ich bin dann auf den römischen Vorläufer der Klobürste, das Xylospongium, gestoßen. Mit dem haben die Römer allerdings nicht die Schüssel, sondern sich den Hintern geputzt. Also eigentlich ist es eher der geschichtliche Vorläufer des Toilettenpapiers, aber es sieht aus wie ’ne Klobürste: Es ist ein Stock mit einem Schwamm dran. Und dann haben wir einfach gedacht: Okay, fuck it, wir nehmen jetzt einfach das als Bandnamen! Dass ich bei der Geburt der Idee auf dem Klo saß, erklärt sich wahrscheinlich von selbst. [lacht] Dieses Latein-Ding, keine Ahnung, das hat …
Ruben: … schon voll den intellektuellen Anstrich.
Carl: Als Gymnasiastenband braucht man schon was Intellektuelles. Und der Bandname ist super googelbar. Wenn du den eingibst, landest du nur bei uns und auf dem Wikipedia-Ticket vom Xylospongium.
Ein gutgelaunter Fan hat eure Musik mal als »Sophisticated Punk« bezeichnet. Wie seht ihr das?
Ruben: Das stimmt. Wir haben 2016 ein Konzert im Merlin in Stuttgart gespielt. Danach kam ein Typ zu mir, der war schon Ü40, wenns reicht. Der hatte schon gut einen drin und hat uns voll gefeiert: »Mensch, gibts noch junge Leute, die so ’ne Mucke machen?« usw. Also der war schon sehr, sehr gut gelaunt. Und da unterhält man sich auch gerne mit solchen netten Menschen, ein bisschen Fanmanagement machen und so. Und dann meinte der halt: »Was ihr macht, das ist sophisticated Punk.« Das hat der einfach so gesagt. Und ich muss ganz ehrlich sagen, ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, was das Wort »sophisticated« bedeutet. Aber wir haben das quasi postwendend als unsere Genrebezeichnung übernommen, weil wir das cool fanden. Ich hab dann mal nachgeschaut, was das bedeutet. Ich mein, der Typ hatte vollkommen recht. [lachen] »Raffiniert«, »mit doppeltem Boden«, »nachgedacht« und einfach: »Da steckt mehr dahinter, als man im ersten Moment glauben könnte«, und so ist es halt. Carl hat sich früher immer gewehrt zu sagen: Wir machen Punk. Weil gerade, was die Gitarrenkünste angeht, besteht echter Punk aus zwei Akkorden, wenn es hochkommt. Und das machen wir ja nicht. Wir machen handwerklich schon gute Musik. Und es ist nicht nur irgendwie »Bullenschweine« und »auf die Fresse« und so. Obwohl man dem Ganzen schon auch seinen Charme abgewinnen kann.
Weil du gerade so typische Wortfetzen aus Punk-Texten zitierst: Wie wichtig ist euch der Inhalt eurer Texte?
Ruben: Schon wichtig. Carl und ich schreiben ja die Texte. Die haben schon ’nen hohen Stellenwert für uns. Es ist nicht so, dass wir die Texte als Musikfüller schreiben. Bei mir ist es so: Ich hab irgendwas, was mich beschäftigt. Das kann alles Mögliche sein: irgendwas aus meinem Privatleben, aber auch irgendwas Gesellschaftliches, Zeitgeschichtliches, was mich bewegt. Meistens gehts damit los, dass ich irgend ’ne Punchline hab oder irgendeine Zeile, die in meinem Kopf vorkommt, und dann schreib ich darum ’nen Text. Damit will ich was aussagen, und ich will auch, dass möglichst viele Leute hören, was ich da schreibe, ich möchte meine Meinung, die ich dort vertrete, verbreiten.
Carl: … und er wills als Medium benutzen, um seine Botschaften nach außen zu tragen, zu präsentieren. Was für mich auf jeden Fall ’ne elegante Möglichkeit ist, weil ich kann mir nicht unbedingt vorstellen, auf einem politischen Parteitag eine Brandrede zu halten. Für mich ist tatsächlich die Musik ein gutes Mittel, auch auf humorvolle Art und Weise politische, soziale Themen zu behandeln. Wir definieren uns nicht als politische Band. Wir haben auch nicht ausschließlich politische Songs, aber wir verarbeiten die Themen, die uns wichtig sind. Und das sind dann zwangsläufig auch politische Themen, in einem Großteil der Songs auf jeden Fall.
Wie wichtig ist euch, dass nicht nur ’ne Message rüberkommt, sondern dass sie auch »kultiviert« rüberkommt? Man könnte, gerade bei Punk, ja auch sagen: Hauptsache Message und Hauptsache laut, oder?
Ruben: Ich find es gar nicht blöd, wenn Leute ihre Message auf einen Punkt bringen und sagen: »Wir müssen hier jetzt nicht viel nachdenken. Kapitalismus ist scheiße.« Ich find so was nicht schlecht, aber es ist ein bisschen stumpf. Man kann es eleganter machen.
Carl: Haben wir aber auch, solche Songs. [lacht] So Plakatzeugs.
Ruben: Ja, aber ich versuch immer, ’ne Geschichte zu erzählen und ’ne Handlung reinzubringen. Wir wollen mehr aussagen, als man vielleicht auf den ersten Blick meinen könnte.
Carl: Wir haben ’nen Song, der heißt: »Versauft doch euer scheiß Geld!« Wenn du den Titel liest, denkst du, das wäre ein Kandidat für ein Zwei-Akkorde-Punkrock-Ding. Aber das ist gar nicht so. Die Kapitalismuskritik, die da angesprochen wird, ist ganz versteckt – außer in dem Titel.
Ein anderer Titel heißt »Gierig währt am längsten«. Um was geht es da?
Carl: Im Prinzip ist es ein kapitalismuskritisches Lied. Gerade hier in Stuttgart gibt es relativ viele größere Firmen, die sehr, sehr viel Geld erwirtschaften. Wobei eben das soziale Gefälle in Deutschland da ist. Das sieht man ja jetzt total, durch Corona kommts plötzlich raus. Jetzt merken alle: Oh, der Krankenpfleger, die Lehrerin, die Kassiererin an der Supermarktkasse, die sind ja völlig unterbezahlt. Im Gegensatz zu den Leuten beim Daimler, die sich darüber aufregen, dass sie dieses Jahr nur ’ne Prämie von 5.000 Euro bekommen. Und im Prinzip gehts um diese Gier, die für mich total präsent ist in der deutschen Industrie.
Für mich ist tatsächlich die Musik ein gutes Mittel, auch auf humorvolle Art und Weise politische, soziale Themen zu behandeln.
Durch Corona merken alle: Oh, der Krankenpfleger, die Lehrerin, die Kassiererin an der Supermarktkasse, die sind ja völlig unterbezahlt.
Versauft doch euer Scheißgeld
Früher oder später stellen wir uns dieselbe Frage, wohin mit all dem Geld?
VW-Aktien sind bestimmt grade billig oder warte ich, bis der Goldpreis fällt?
Es gibt so viele Möglichkeiten, so viele Optionen, wer sagt mir, welche meiner Hedgefonds sich jetzt wirklich lohnen?
Ich sehne mich nach Sicherheit und Wertstabilität, doch plötzlich dein geiler Tipp, ein Mann von Welt, der was versteht!
Ich steck’s nicht in ’nen Socken, ich bring’ es nicht zur Bank, es gibt nachhaltigere Werte, dem Himmel sei Dank!
Ich tätige ausgiebige Investitionen.
Es gibt wenige Dinge, die sich wirklich noch lohnen.
Dann versauft doch euer Scheißgeld!
Alles klar, wo geht’s zur nächsten Bar?
Nach der Rettung jeder Bank sind wir bekanntlich im gelobten Land.
Nur Milch und Honig sind was für Memmen, da könnt ihr euch noch so viel unter eure Nägel klemmen.
Das Kapital schön abgefüllt in Flaschen mit Verschluss, dem Finanzberater hinterm Schalter einen Abschiedskuss!
Ich sehne mich nach Sicherheit und Wertstabilität, doch plötzlich dein geiler Tipp, ein Mann von Welt, der was versteht!
Ich steck’s nicht in ’nen Socken, ich bring’ es nicht zur Bank, es gibt nachhaltigere Werte, dem Himmel sei Dank!
Ich tätige ausgiebige Investitionen.
Es gibt wenige Dinge, die sich wirklich noch lohnen.
Dann versauft doch euer Scheißgeld!
Alles klar, wo geht’s zur nächsten Bar?
© Xylospongium, 2017 ∙ Musik & Text von Carl Oestreich
Gierig währt am längsten
Früher wurde uns immer gesagt, man wird für Gutes belohnt.
Doch unsere Welt hat das offensichtlich nicht verstanden und wir sind das gewohnt.
Überall in den hohen Etagen die gleichen Phrasen.
Alle klammern sie an ihren Sesseln fest, denn:
Gierig währt am längsten, wir haben nichts zu verschenken.
Immer mit der Ruhe. Was soll dieses ganze hysterische Getue?
Macht euch keine Sorgen. Wir sichern die Welt von morgen.
Und so banal das klingt, das weiß heute jedes Kind.
Ihr denkt wohl immer noch, es ist keine Frage der Zeit.
Sondern nur die nach dem guten Willen und Schonungslosigkeit.
So viele offene Fragen, doch wer wird schon was sagen?
Wenn man bedenkt, wer diesen Karren lenkt.
Gierig währt am längsten, wir haben nichts zu verschenken.
Immer mit der Ruhe. Was soll dieses ganze hysterische Getue?
Macht euch keine Sorgen. Wir sichern die Welt von morgen.
Und so banal das klingt, das weiß heute jedes Kind.
Ihr habt uns um unsere Zukunft geprellt.
Die Suppe, die wir auslöffeln dürfen, die haben wir nicht bestellt.
© Xylospongium, 2017 ∙ Musik & Text von Carl Oestreich
Der Konzertticketschwarzmarkt fährt in die Hölle
Ich sitze hier wie so viele um Punkt zehn.
Doch diese Seite gibt mir was zu verstehn.
»Es tut uns leid, da können wir gar nichts machen.«
Sagt mir die nette Frau, ich muss weinen und lachen.
»Unsere Kunden sehen das eben als Wertanlage, so ist das nun mal heutzutage!«
Ich kann das nicht glauben und will das nicht verstehn.
Ich wollte doch nur die Ärzte sehen!
»Aber keine Sorge, normalerweise ist das kein Problem.
Schauen Sie doch einfach bei unserer Ticketbörse rein.«
Alles klar, denk ich mir, vielleicht hast du ja Glück und seh’ vor meinem inneren Auge schon, wie ich die 100-Euro-Scheine zück’.
Es ist ja jetzt nicht so, als wär’ das alles super günstig.
Da muss ich wohl noch mal zum Daimler in die Nachtschicht gehen.
Der Konzertticketschwarzmarkt fährt in die Hölle. Fahr zur Hölle.
Das nächste Mal bin ich einfach schnell, doch der Konzertticketschwarzmarkt goes to hell.
© Xylospongium, 2018 ∙ Musik & Text von Carl Oestreich