Kitabı oku: «Die Engel der Madame Chantal», sayfa 2
Kapitel 3
Chantal war nun herrlich frei und ungebunden. Sie hatte sich vorgenommen, künftig noch überlegter und planvoller vorgehen.
Zwei oder maximal drei profitable Dates pro Woche würden reichen. In den Zeiten dazwischen musste sie ihr Wissen erweitern und verfeinern. Ein schöner Körper allein durfte nicht mehr ihr alleiniges Kapital sein.
Sie war vierunddreißig. Damit war sie zwar noch nicht alt. Aber in Frankfurt oder in den anderen großen Städten wuchs die Konkurrenz in einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Außerdem hatte sie erkannt, dass die besonders spendablen Kunden in Frankfurt jenseits der vierzig oder gar der fünfzig angesiedelt waren. Und diese Klientel war nicht ausschließlich an Sex interessiert. An den Wochenenden die Zeit nur im Bett zu verbringen – das hatte sich als wenig praktikabel erwiesen. Die reiferen Männer wollten mit ihr etwas unternehmen. Hierbei hatten ihre Klienten recht klare Vorstellungen von einer kompetenten Begleiterin. Sie wollten mit ihr ins Theater gehen oder zu Geschäftsessen. An den Abenden waren sie daran interessiert, sich zu unterhalten oder unterhalten zu werden. Viele hatten geschäftliche oder private Probleme, die sie sich von der Seele reden wollten.
Chantals Sprachkenntnisse waren exzellent. Sie konnte sich gut ausdrücken und war extravertiert. Aber das war es auch schon. Was wusste sie über Kultur, Wirtschaft und Politik? Viele Männer, aber auch Frauen, wünschten sich eine attraktive Begleiterin mit Ausstrahlung, Parkettsicherheit, Charme, Humor und mit einem gewinnenden Auftreten.
Unzweifelhaft waren das wichtige Voraussetzungen, um künftig noch erfolgreicher zu sein. Männer mit Geld, viel Geld, erwarteten das. Unabhängig davon: Sie, Chantal, wollte endlich auch stolz auf sich selbst sein dürfen. Künftig würde sie darauf bestehen, „Madame Chantal“ genannt zu werden. Das sollte ihr Markenzeichen werden.
Herrjeh. Auch für ihren Körper musste sie mehr tun als bislang. Hierbei war es nebensächlich, dass sie im Grunde genommen Sport hasste. Ihre Haut musste straff sitzen. Schließlich gab es noch junggebliebene Klienten; Männer, die auf 18-Loch-Golfanlagen zuhause waren; Männer, die eine Fitness-Anlage neben ihrem Schwimmbad installieren ließen; Männer, die sich aufgestauten Frust aus dem Leib vögeln lassen wollten. Da durfte sie nicht schlappmachen.
Ihre neue Sedcard mit aussagefähigen Aufnahmen von Sven unterschied sich gravierend von ihrem ehemaligen Auftritt. „Madame Chantal“ selbst hatte die Texte kreiert – und ihre Seele mit einfließen lassen. Über Geld wollte sie später nicht mehr sprechen. Niveau hatte seinen Preis.
Der Geschäftsführer von „Rendezvous“ entschuldigte sich bei „Madame Chantal“ gerne. Die Anfragen übertrafen jegliches Vorstellungsvermögen. Mehr denn je oblag es „Madame Chantal“ ihre Wahl zu treffen und Termine zu vereinbaren.
Ihre neue Freiheit begann mit einem äußerst ungewöhnlichen Ereignis. Die volle Tragweite sollte sich erst viele Jahre später erweisen.
Wie in all den Jahren zuvor hatte sich Chantal auf ihren nächsten Kunden informell und mental vorbereitet. Bereits als sie sich in das Portrait des Harald Lambers zu vertiefen versuchte, schrie eine Stimme in ihr:
»Dieses Treffen darfst du nicht auf die leichte Schulter nehmen!«
Das volle Haar und der gepflegte Vollbart dieses Mannes waren bereits grau meliert. Trotzdem wirkte der vierundfünfzigjährige Inhaber eines Chemie-Unternehmens jung und agil. Chantal konzentrierte sich auf seine Augen mit den buschigen Augenbrauen darüber. Diese Augen blickten energisch und anpackend in die Welt. Doch sie sah darin auch eine leichte Traurigkeit und Verletzlichkeit.
Seven und der Privat-Detektiv hatten ganze Arbeit geleistet. Aus fünfzehn Seiten ging hervor, dass dieser Mann eine äußerst bizarre Kindheit hatte. Sein Vater war einer jener Arbeitstiere nach dem Zweiten Weltkrieg; fordernd und unnachsichtig. Die Mutter liebte Kultur und Musik. Sie achtete auf die notwendige Ruhe und Harmonie in der Familie. Der Nachkriegspionier starb früh, und Harald wurde ins kalte Wasser geschleudert.
Umsatz und Gewinn von HARLAM-CHEM explodierten in den letzten fünfzehn Jahren. Die zehn Jahre jüngere Frau Isolde kam aus begütertem Hause. Vor zwei Jahren zog sie mit dem gemeinsamen Sohn Edward, er war bereits vierundzwanzig Jahre alt, aus der großen Villa im Frankfurter Nordend aus. Sie war in den letzten Jahren vollauf damit beschäftigt gewesen, ihre Erbschaft, die Eltern waren beide bei einem Autounfall ums Leben gekommen, mit vielen Männerbekanntschaften in vollen Zügen zu genießen. Harald ersäufte seine Enttäuschung in Arbeit. Frauenbekanntschaften tauchten in seinem Leben fortan nicht mehr auf; zumindest waren diese nicht in Erfahrung zu bringen gewesen. Harald Lambers galt als äußerst durchsetzungsfähig, spielte Golf und liebte Musik; vornehmlich klassische Musik.
Sie trafen sich in einem großen und altehrwürdigen Hotel in Würzburg; unweit der Marienburg und mit Blick über die Weinberge hinunter zum Main.
Chantal erkannte ihn von Weitem.
Mit einem »Einen schönen Tag Herr Lambers«, ging sie lächelnd auf ihn zu, und hauchte dem erwartungsvoll dreinblickenden Mann ein zartes Küsschen auf beide Wangen.
Fast theatralisch wich er zwei Meter zurück. Mit betont beeindruckter Miene musterte er das vor ihm stehende Wesen. Er ließ sich Zeit; viel Zeit.
»Es gefällt mir, was ich sehe. In Natura sind sie noch weitaus schöner als auf dem Foto«, sagte er mit einer warmen Stimme, die ganz und gar nicht zu einem Manager passte.
»So direkt hat mir das bislang noch kein Mann gesagt«, flötete Chantal. »Lachen Sie jetzt nicht, wenn ich rot wie ein Teenager werde. Oh Gott. Dieser Tag verspricht interessant zu werden.«
»Dieses Wochenende!«
»Entschuldigung. Natürlich dieses gesamte Wochenende«, verbesserte sie sich. »Das Wetter verspricht himmlisch zu werden. Da es in erster Linie Ihr Wochenende ist, sollten Sie mich überraschen, was wir gemeinsam daraus machen.«
Er schlenderte mit ihr durch die Residenz. Gemeinsam bestaunten sie den in voller Blüte stehenden riesigen Residenzgarten.
Nein. In die Innenstadt wollte die attraktive Frau nicht so gerne. Stattdessen besichtigten sie die Marienburg, um sich anschließend auf die große Terasse des Hotels zu setzen. Sie ließen ihre Blicke hinunter zum Main und auf die Stadt gleiten.
Und irgendwann, wie sollte es anders sein, dachte Chantal, brachte er das Gespräch auf sein Unternehmen.
»Ich bin tief beeindruckt«, sagte Harald einige Stunden später. »Wie ist es möglich, dass Sie in so kurzer Zeit so viel Wissen sammeln konnten. Sie kennen sogar meine wichtigsten Wettbewerber. Man könnte fast auf die dumme Idee kommen, einer Mata Hari gegenüber zu sitzen.«
Chantal versuchte, dankbar und gleichzeitig etwas verlegen zu lächeln.
»Hm. Mata Hari. Ich weiß jetzt nicht, ob ich mich geehrt fühlen soll.«
»Das dürfen Sie. Das dürfen Sie«, lachte der Grauhaarige.
»Wie auch immer«, fuhr Chantal fort. »Meine Freunde auf Zeit dürfen ruhig das Gefühl haben, dass ich sie respektiere, indem ich mich mit ihnen, ihrem Leben und ihrem Umfeld auseinandersetze. Es wäre doch schlimm, wenn ich mich mit dem Manager eines Mineralölkonzerns nur über Kleider oder Fußball unterhalte.«
»Oder mit dem Inhaber einer Geflügelschlachterei«, lachte Lambers.
Chantal verschränkte ihre schmalen Finger ineinander.
»Dazu würde es erst gar nicht kommen«, sagte sie mit plötzlich ernster Miene.
»Oh. Wie darf ich das verstehen?«
»Weil ich mit einem solchen Mann nicht so locker plaudern könnte. Mit Sicherheit würde ich mit ihm nicht ein Bett teilen wollen.«
Lambers rückte lachend seinen Sessel ein Stückchen näher.
»Holla. Ich bin jetzt mehr als erstaunt. Eine Frau mit Prinzipien?!«
Chantal legte ihre beiden Zeigefinger vor ihren Lippen, und senkte leicht den Kopf.
»Es wäre jetzt nicht schön gewesen, wenn Sie statt „Frau“ einen anderen Begriff gewählt hätten.«
Fast blitzartig legte der Mann seine rechte Hand sanft und beschwichtigend auf den Arm seiner attraktiven Begleiterin. Er blickte ihr dabei tief in die Augen. Chantal entnahm aus seinen Augen ein bittendes Entsetzen.
»Wenn ich so denken würde, säßen wir nicht beieinander. Bitte nenne mich Harald.«
Ein offenes Lächeln huschte über das Gesicht der Begleiterin.
»Einverstanden Harald. Der Kunde ist König.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort:
»Darf ich zu diesem Thema abschließend bemerken, dass ich nur Männer begleite, die mir sympathisch sind. Meine Kunden haben ein Anrecht auf eine möglichst unbelastete und reine Seele. Nur dann kann ich ganz und gar Madame Chantal sein; eine offene, ehrliche und kompetente Begleiterin - und eventuell Liebesdienerin. Eventuell; das bedeutet, dass ich mir die Freiheit nehme, nur dann mit Männern das Bett zu teilen, die mir zumindest weitestgehend sympathisch sind. Klingt das verrückt?«
»Nein. Nein.« Harald drückte Chantal einen Kuss auf die Hand. »Das ist für mich eine Bestätigung, die richtige Wahl getroffen zu haben … seit langer, langer Zeit.«
Die routinierte Escort-Dame verstand es, das Gespräch sanft und glaubhaft in eine andere Bahn zu lenken. Während des erlesenen Abendessens, in einer verschwiegenen Ecke der weitläufigen Lokalitäten des Hotels, unterhielten sie sich fast ausschließlich über Musik; über Edward Grieg, über die zehn wichtigsten Stationen der Moldau von Smetana, über die vier Jahreszeiten von Vivaldi und viele andere Komponisten.
Und erst zur fortgeschrittener Stunde gingen sie in das große Doppelzimmer mit dem riesigen Bett.
Als Chantal mit einem aufreizenden Negligé in das Bett schlüpfte, stellte sie fest, dass Harald in einem einfallslosen, fast altbackenen Schlafanzug auf sie wartete.
Es hämmerte und arbeitete in Chantals Kopf.
Diese Situation kannte sie nur von reifen Herren. Oder von Männern, die es spannend machen wollten. Das unterschied diese Alterskategorie von jungen Draufgängern, die mit hochgezogenen Augenbrauen darauf warteten, dass sie sein bereits erigiertes Glied mit einem „Wow“ bewunderte. Sie erfand immer wieder neue Namen für diese Wunder der Natur. Oder sie entschied sich dann einfach, jauchzend diesen Himalaja zu besteigen. Manche Kerle grunzten wie Bären, schrien vor Freude, bejubelten ihren Körper, wollten es später unbedingt noch einmal unter der Dusche machen - wollten ihre Fantasien in vollen Zügen ausleben – bis sie nur noch mit offenem Mund und geschlossenen Augen darauf warteten, dass Chantal deren unfassbare Kräfte glaubhaft lobte. Dann, erst dann, waren sie vollends glücklich.
Jeder Kunde hatte das Anrecht darauf, individuell „bedient“ zu werden.
Wortlos kuschelte sie sich nun an den Schlafanzugträger. Sie wartete zunächst darauf, dass er ihr vielleicht ein Signal geben würde. Schließlich war er der König dieses Abends und dieser Nacht. Er, dieser König, entlohnte sie schließlich königlich.
Doch. Verdammt. Davor hatte sie sich immer gefürchtet! Das war Gift für ihren Job, den sie so sehr liebt; den sie in den letzten Jahren zunehmend genoss. Dieser Mann, in seinem grässlichen Schlafanzug, war ihr im Laufe des Tages und vor allem während des Abends sympathisch geworden – sogar mehr als das.
»Reiß‘ ihm diesen dämlichen Schlafanzug vom Leib. Lass‘ deiner Frivolität freien Lauf. Zeig‘ ihm, dass du eine Hure bist!«, schrie sie in sich hinein. »Zeig‘ vor allem dir, dass du nichts anderes als eine Liebesdienerin bist; eine einfallsreiche und professionelle Hure!«
Oft hatte sie sich gefragt, ob es unerklärliche Schwingungen gab zwischen ihr und ihren Kunden. In den meisten Fällen waren es hilfreiche Schwingungen und Signale.
»Oh Gott, lass‘ diesen Abend und diese Nacht ebenso verlaufen, wie die vielen, vielen anderen auch«, wünschte sie sich leicht zitternd – und schaltete das Licht aus.
Als ob dieser Mann ihre Gedanken und Wünsche mitgehört hatte, nahm er sie in die Arme. Er genoss es. Das fühlte sie.
Viele Minuten lag sie schweigend in seinen Armen. Eine knisternde, fast unheimliche Stille waberte durch den Raum. Sie schmiegte sich an seine Schulter; empfand wohlige Wärme.
Plötzlich fühlte sie seinen Atem. Wollte er ihr einen Kuss geben? Oder wollte er ihr etwas sagen?
Und dann glaubte sie, diesen Satz zu hören. Er flüsterte diesen Satz. Es war ein warmes und wohliges Flüstern. Seine Stimme zitterte leicht; war bittend, fragend, ehrlich:
»Ich würde mich unendlich glücklich schätzen, wenn du mich heiraten würdest.«
Auf alles war Chantal an diesem Abend vorbereitet. Aber nicht auf diese Frage; nicht auf diese Szene.
Fast ruckartig richtete sie sich im Bett auf, um fast gleichzeitig das Licht wieder einzuschalten.
Um nichts auf der Welt wusste sie, wie sie sich in den nächsten Sekunden verhalten sollte; was sie sagen würde, sagen musste, sagen durfte.
Nach unendlich vielen Sekunden entschied sie sich für den Angriff. Im Extremfall würde sie einen Kunden verlieren; einen sympathischen Kunden. Sie war immer bereit gewesen, mehr zu geben, als dies viele ihrer Kunden für möglich gehalten hatten. Viele Kunden hatten in den letzten Monaten nicht nur ihren Körper gespürt, sondern auch ihr Herzblut. Mitunter war sie bereit gewesen, ihnen für ein paar Stunden oder auch für ein paar Tage, Einblick in ihre Seele zu gewähren. Das kam allerdings äußerst selten vor. Aber manchmal passierte es eben. Ihre Kunden dankten es ihr. Und kamen immer wieder.
Zunächst entschied sie sich für ein dunkles Lachen, das ganz tief aus ihrem Körper herausbrach. Danach sprang sie aus dem Bett. Breitbeinig stellte sie sich in die Mitte des Raumes.
»Schau mich an!«, schrie sie mit ausgebreiteten Armen.
»Ich bin eine Hure. Gutgut. Ich bin eine teure Hure. Eine interessante und vielleicht sogar eine geistreiche Hure. Aber ich bin eine Hure.«
Harald hatte sich ebenfalls im Bett aufgesetzt. Er lachte.
»Einverstanden. Dann liebe ich eben eine Hure. Ich habe das Gefühl, dass ich dich mehr liebe, als ich jemals einen Menschen geliebt habe.«
Chantal zerriss ihr teures Negligé und schleuderte es durch den Raum.
»Bin ich so hässlich, dass du noch nicht einmal versucht hast, mit mir zu schlafen?!«
Harald stand auf, und ging auf die Nackte zu. Er nahm sie in die Arme. Er drückte sie sanft an sich.
»Du bist wunderschön. Du hast eine wahnsinnig erotische Ausstrahlung. Gerade deshalb wollte ich nicht mit dir schlafen … bevor ich meinen ganzen Mut aufgebracht habe, um dir diese Frage zu stellen.«
Er gab ihr einen Kuss auf die Lippen und blickte in ihre Augen.
»Ich liebe deinen Körper. Aber noch wichtiger ist für mich diese Madam Chantal, von der du heute Nachmittag auf der Terrasse gesprochen hast. Du bist eine intelligente, fantasievolle, empfindsame und warme Frau. Du bist all das, was ich bei Isolde immer vermisst habe.«
»Entschuldige Harald. Ich habe weiß Gott viel Fantasie. Wir kennen uns erst seit ein paar Stunden. Wir haben uns beim Abendessen angeregt unterhalten. Dann hast du deinen tollen Schlafanzug angezogen, krabbelst ins Bett – und machst mir einen Heiratsantrag. Stelle dir einmal eine solche Szene in einem Film vor. Würdest du da nicht lachen oder zumindest herzhaft schmunzeln. Bitte. Bitte. Sage mir, dass das jetzt ein Scherz von dir war. Bitte!«
Harald starrte die Entgeisterte ratlos an.
»Eigentlich wollte ich dir das schon während des Abendessens sagen«, sagte er leise und zuckte mit den Schultern.
Chantal riss sich wieder los.
»Ich habe mit … Ach was, ich habe sie nicht gezählt«, schrie sie mit wilden Handbewegungen.
»Ich habe mit unendlich vielen Männern geschlafen. Daran würdest du doch immer denken müssen, wenn du mich in den Arm nimmst. Das würde ich sogar verstehen.«
Tränen kullerten über ihre Wangen. Gleichzeitig versuchte sie zu lachen.
»Das ist der Frankenwein. Der ist tückisch. Harald Lambers, du bist ein Spinner.«
»Ich sehe das völlig anders. Isolde war eine Hure. Sie ist immer noch eine Hure. Dagegen bist du eine Heilige … zumindest für mich. Wir sollten morgen noch einmal in aller Ruhe darüber sprechen. Bist du damit einverstanden?«
Behutsam lotste er die nackte, lachende und weinende Frau wieder ins Bett zurück. Dort schmiegte sie sich zitternd an den Verliebten.
»Nein. Damit warten wir nicht bis morgen«, schluchzte Chantal.
»Ich finde dich sympathisch, sehr sogar. Aber ich habe mir geschworen, niemals zu heiraten. Ich könnte nicht mehr in den Spiegel schauen. Mein Spiegelbild würde mich immer anschreien:
»Jetzt hast du es geschafft. Bislang warst du eine Liebesdienerin, eine Konkubine oder eine gutaussehende Escort-Begleiterin. Jetzt, nach vielen Jahren, bist du eine Nutte, die nicht nur ihren schönen Körper, sondern auch ihre verdammte Seele verkauft hat. Willst du das?! Kannst du das verantworten? Kannst du mich nicht ein bisschen verstehen?«
Stille entstand im Raum.
»Entschuldige. Das war wahnsinnig dumm von mir, dich so völlig unvorbereitet …«
Harald beugte sich zur immer noch zitternden Frau hinüber. Sanft streichelte er über ihre Wangen.
»Du bist doch eine kluge Frau. Was würdest du uns in dieser blöden Situation raten?«
Blitzartig richtete sich Chantal im Bett auf. Während sie Harald hastig sowohl das Oberteil als auch die Hose des Schlafanzuges auszog, quietschte sie fast wie ein junges Mädchen:
»Mit einem angezogenen Mann spreche ich heute kein einziges Wort mehr. Und ich rate dir, ab jetzt auch nicht mehr zu denken. Jetzt werden zwei andere miteinander kommunizieren. Dieser Bursche da …« sie fasste zwischen die Beine des völlig verdutzten Mannes … »muss doch ausgehungert sein. Ab heute nennen wir die beiden Akteure Cäsar und Cleopatra. Einverstanden?«
Es erklang ein Lachen, begleitet von einem »Hm. Hm.«
»Was heißt hier hm hm?!«
»Du hast mir doch verboten zu sprechen«, quetschte Harald zwischen den fast geschlossenen Lippen hervor.
Chantal schickte ihre Hände suchend auf die Reise. Bereits nach wenigen Sekunden begann sie leise zu kichern:
»Schau einer an. Cäsar nimmt schon eine kriegerische Haltung ein. Aber nimm dich in Acht mein Freund. Du solltest Cleopatra nicht unterschätzen.«
Es war eine lange Nacht geworden. Und am Morgen, die Sonnenstrahlen blinzelten interessiert durch die halbgeschlossenen Lamellen der großen Fenster, ging Cleopatra noch
einmal auf Erkundungsreise.
Am Frühstückstisch saß ein leicht lädierter und glücklicher Harald. Chantal wirkte munter und aufgekratzt. Schmunzelnd bearbeitete sie mit einem Löffelchen ihr Frühstücksei.
»Dein Vorschlag von gestern war alles andere als durchdacht. Künftig zusammen unter einem Dach – über Wochen, Monate oder gar Jahre. Das kann ich nicht verantworten. Das wäre geschäftsschädigend. Dein Unternehmen braucht einen ausgeschlafenen Kämpfer.«
Harald ließ seine Tasse klirrend auf die Untertasse sinken. Seine Mimik verfinsterte sich schlagartig.
»Willst du mir damit sagen, dass …«
Weiter kam er nicht. Chantal warf ihm mit einem schelmischen Lächeln ein Küsschen über den Tisch.
»Sei friedlich oh Gebieter des wackeren Cäsar. Ich möchte damit lediglich vorschlagen, dass wir uns jedes zweite Wochenende sehen. Dann bleibt unsere Liebe jung und prickelnd. Dann holst du dir Kraft und neue Inspirationen. Dann sind wir alle glücklich.«
»Und ich wache jeden Morgen auf, und starre auf einen leeren Platz neben mir.«
Chantal tätschelte die Hand des traurig Dreinblickenden und lächelte ihn dabei verliebt an.
»Ach was. Dann erinnerst du dich an die zurückliegenden Tage und Nächte. Und gleichzeitig freust du dich auf unser nächstes gemeinsames Wochenende. Du wirst sehen, das Leben wird bunt, abwechslungsreich und herrlich.«
»Habe ich eine andere Wahl?«
»Selbstverständliche gibt es immer Alternativen. Gib mir den Laufpass. Suche dir eine Andere. Die Welt ist voll von Frauen, die dich gerne heiraten und ausnehmen würden.«
Sie machte eine Kunstpause, und setzte dabei ihren geübten Schmollmund auf.
»Aber … dann wären wir traurig - Cleopatra und ich.«
Erneut machte sie eine kurze Pause, um leise fortzufahren:
»Was haben wir zu verlieren. Vielleicht werden wir auf diese Weise alt und glücklich.
Vielleicht sehe ich das in einem oder in zwei Jahren auch völlig anders.«
Dieser letzte Satz war entscheidend. Er entschied über eine Freundschaft, die über viele Jahre Bestand haben sollte – bis zum Tod von Harald Lambers. Aber das war Jahre später; sechzehn Jahre, um genau zu sein.
Es wurde noch ein wunderschöner Sonntag. Bevor sie sich am Abend verabschiedeten, rang Harald seinem Engel auf Zeit ab, ihn am darauffolgenden Wochenende in seiner Villa im Frankfurter Nordend zu besuchen; ausnahmsweise bereits schon am Freitagabend.