Kitabı oku: «Die Engel der Madame Chantal», sayfa 3
Kapitel 4
Die Fahrt zurück nach Frankfurt legte Chantal wie in Trance zurück. Nein. Mit Harald wollte sie nicht fahren. Sie war mit dem IC gekommen, und hatte die Rückfahrt gebucht. In 75 Minuten würde sie am Hauptbahnhof Frankfurt aussteigen. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Ist das ein Zeichen, dass du langsam alt wirst?«, schimpfte sie in sich hinein. Noch nie in ihrem Leben hatte sie länger als eine halbe Stunde über ein zurückliegendes Date nachgedacht. Vor einem Treffen – das war etwas ganz anderes. Da benahm sie sich wie ein Rassepferd vor einem wichtigen Rennen. Hinterher war der Ausklang angesagt; das Runterfahren. Eine Ausnahme war, wenn sie glaubte, einen Fehler gemacht zu haben; daraus lernen zu müssen. Oder wenn sich ein Kunde total danebenbenommen hatte; wenn sie die Lage vor dem Treffen total falsch eingeschätzt hatte.
Doch heute? Jetzt? Hätte sie sich anders entscheiden sollen? Blödsinn. Die Tür stand weiterhin offen. Aber eine enge Verbindung? Am Ende sogar eine Hochzeit? Und was dann?
Eigentlich fing das richtig schöne Leben erst an. Zwei oder drei Dates in der Woche. Normalerweise kultivierte Männer; spendable Männer. Schöne Hotels und exquisites Essen. Das alles aufgeben? Für einen einzigen Mann? Für Harald?
Aber warum, zum Teufel, quetschten sich ausgerechnet jetzt Szenen eines Treffens dazwischen? Vielleicht weil es eine grenzwertige Erfahrung war; am vergangenen Mittwoch, im Holiday Inn.
Er hieß Udo Althoff, war 45 und hatte ein großes Architektur-Büro in Mainz. Ja. Er war ein gutaussehender Mann; fast ein Model-Typ. Doch dieser stattliche Mann war von der Natur auch stattlich ausgestattet worden. Sie konnte sich des Eindruckes nicht erwehren, dass er nur kam, um sich abzureagieren; als wolle er einen Wettbewerb der Stellungen gewinnen. Dabei wurde er laut und vulgär. Mein Gott, dachte sie währenddessen viele Male. Dieser Kerl kann doch nur seltenblöd sein. Das hätte er doch weitaus billiger haben können. Okay. Er entschuldigte sich anschließend; sogar viele Male. Und er bestand darauf, ihr quasi als eine Art Schmerzensgeld, zwei Fünfhundert-Euro-Scheine in die Hand zu drücken. In drei Stunden hatte sie 2 500 Euro „verdient“. Trotzdem war sie geneigt, die zwei Fünfhundert-Euro-Scheine auf den Tisch zu legen, und ihm eine Adresse ihrer vielen Freundinnen von früher zu nennen. Doch sie hatte sich vorgenommen Stil zu zeigen. Ein nächstes Date würde es nicht geben. Sie verabschiedete sich sogar mit einem lächelnden Küsschen.
Wollte eine Stimme in ihr vielleicht zu verstehen geben, dass sie das alles hinter sich lassen könnte … wenn, wenn sie Harald heiraten würde. Er würde sie auf Händen tragen. Fraglos. Er war mehr als wohlhabend. Und er hatte Niveau.
»Er. Er. Er«, fauchte sie in sich hinein.
»Oh ja. Er ist sympathisch. Nein. Das stimmt so nicht. Ich liebe ihn. Zumindest habe ich mir das eingebildet; bilde es mir immer noch ein! Bislang habe ich noch keinen Mann geliebt. Das will ich auch in Zukunft nicht tun. Dafür bin ich nicht geschaffen. Ich brauche diesen verdammten Sex; schönen Sex; guten Sex. Dieses erregende Knistern bei immer anderen Männern; interessanten Männern. Irgendjemand … da oben … oder wo auch immer … muss sich etwas dabei gedacht haben, mich so zu programmieren. Ich will nicht lügen müssen. Ich will nicht betrügen müssen. Wir werden sehen wie es weitergeht; was das Schicksal für mich, vielleicht für uns, vorgesehen hat.
Am Freitag-Nachmittag war sie überrascht und beeindruckt. Zur Straßenseite hin wirkte die Villa mit ihren beiden Türmchen und den hohen Fenstern mit den graugrünen Fensterläden eher wie ein trutziges Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen. Doch das war, wie sich rasch herausstellen sollte, nur Fassade.
In der riesigen und hohen Eingangshalle, mit dem geschwungenen und großzügigen Aufgang zum ersten Stock, dominierten zwei große und lachende Buddha-Statuen. Im überdimensionierten Salon hätte sich ihr Zwei-Zimmer-Appartement mit Sicherheit in einer Ecke des Raumes niedlich ausgemacht. An der Rückseite des altehrwürdigen Gebäudes war ein moderner Anbau entstanden. Die gigantische Fensterfront ließ einen Blick in den Japan-Garten mit vielen riesigen Bonsai-Gewächsen und einem Teich mit Brückchen zu.
Ein schmaler Pfad führte zu einem verwunschenen Häuschen in der hintersten Ecke des Grundstückes. Wie sich später herausstellte, wohnte dort der Gärtner des Vorbesitzers.
Sie hatte zwar schon von solchen Bauten im Nordosten von Frankfurt gehört. Aber das hier übertraf alle ihre Erwartungen.
Chantal begrüßte Harald mit einem innigen Kuss, um lachend anzufügen:
»Okay mein Freund. Du siehst eine beeindruckte Chantal. Wenn du das vorhattest, dann ist dir das gelungen. Trotzdem. Für mich zählt nur der Mensch Harald Lambers. Heute wird mir bewusst, warum ich bislang alle Einladungen in Privatwohnungen kategorisch ausgeschlagen habe.«
»Umso mehr freut es mich, dass du dich heute zu einer Ausnahme durchgerungen hast. Darf ich dich kurz durch das etwas zu groß geratene Wochenendhaus führen?«
Das Erdgeschoss wurde vom Salon mit offenen Kamin, einem Küchentrakt, dem Esszimmer mit Blick auf die Gartenanlage, Toiletten und einem Ruheraum eingenommen. Im Seitentrakt befand sich ein Schwimmbad. Die Fensterfronten reichten bis zum Boden. Hinter der Dusche und einer Sauna befand sich ein Fitness-Raum und ein Whirl-Pool.
Im Ersten Stock, und das fiel Chantal sofort auf, gab es zwei große Schlafzimmer; jedes mit einem Doppelbett. Dazwischen waren begehbare Kleiderschränke installiert worden; wie eine symbolische Mauer. Von jedem Schlafzimmer aus war ein überdimensioniertes Badezimmer zu erreichen. Im Seitentrakt, quasi über dem Schwimmbad, befanden sich drei weitere, große Zimmer; jeweils mit einem kleinen Bad und Toilette.
»Eine einzige Frage«, säuselte Chantal, letztlich doch sichtlich beeindruckt. »Das hier ist erkennbar dein Schlafgemach. Entschuldige die neugierige Frage: Ist das noch …« Sie hüstelte »… jungfräulich?«
Harald wurde von einem Lachanfall geschüttelt. Er hielt sich eine Hand vor den Mund, um sein Glucksen und Prusten zu unterdrücken.
Chantal musterte ihn ärgerlich und leicht pikiert.
»Entschuldige mein Schatz«, sagte er lachend. »Aber fast exakt diesen Satz habe ich heute Nacht im Traum gehört. Davon bin ich dann aufgewacht. Ich habe mich sogar im Bett aufgesetzt, und in die Dunkelheit hineingestarrt. Eine Stimme in mir hat gewettet, dass ein solcher oder ähnlicher Satz niemals von dir kommen würde. Okay. Okay. Die andere Stimme hat gewonnen. Was für ein Wahnsinn.«
»Jetzt ist es aber gut«, sagte Chantal mit süßsaurer Miene. »Ich wundere mich selbst über diese total bescheuerte Frage. Wenn ich das nächste Mal bei meinem Seelenklempner bin, werde ich …« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Quatsch. Ich sehe jetzt schon seine hochgezogenen Augenbrauen. Er wird auf die Uhr schauen und fragen, ob ich Zeit mitgebracht habe, viel Zeit.«
Der lachende Hausherr nahm die Escort-Dame in die Arme.
»Warum, um alles in der Welt, hast du ihm diese bescheuerte Frage gestellt?«, schimpfte sie in sich hinein. »Ausgerechnet eine Frau, und noch dazu eine Edel-Hure, die in vielen hundert Betten, zusammen mit zuvor wildfremden Männern … hat diese Frage gestellt. Du musst total bescheuert sein!«
»Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich im Moment freue«, schmunzelte Harald. »Ich liebe dich für diese herrliche Frage.«
Danach blickte er lange in diese dunklen und schönen Augen mit den langen Wimpern.
Diese Augen blitzten im Moment feurig und ein wenig angriffslustig, während sich in seine Augen kleine Tränen geschlichen hatten; lachende Tränen; glückliche Tränen.
»Mein Gott. Es fehlen mir die richtigen Worte, dir zu sagen …«
Er schob er seinen Gast, fast ein wenig theatralisch, von sich, und brummte mit einem gespielten Lachen:
»Ich hasse dich. Ich hasse dich. Ich hasse diese beschissene Welt.«
Doch eine Sekunde später klammerte er sich an Chantal, um schluchzend zu seufzen:
»Aber ich habe mir, ich habe uns, versprochen, dass ich dir diese Frage nicht mehr stellen werde.«
Nach vielen Sekunden der Stille hellte sich seine Miene zunehmend auf.
»Selbstverständlich habe bislang nur ich in diesem Bett geschlafen. Das musst du mir glauben.«
Plötzlich fühlte Harald eine Hand, ihre Hand. Die Finger tasteten sich klopfend und kriechend nach unten; fast wie auf einem Klavier. Die schlanken Finger öffneten vorsichtig den Reißverschluss der Hose, um danach weitere Zonen zu erkunden.
»Was sagst du dazu Cäsar? Weihen wir dieses schöne Schlafzimmer gemeinsam ein? Entjungfern wir es. Lass dieses Bett und diesen Raum sehen und hören, was die beiden zueinander sagen. Das wird sich in diesem Raum einbrennen – für ewig.«
Nach der „Einweihung“ schwammen sie ein paar Runden im erstaunlich großen Schwimmbad und plantschten ausgelassen. Immer noch nackt hüpfte Chantal anschließend ausgelassen durch den Japan-Garten. Sie wollt unbedingt jeder Statue ein Küsschen aufdrücken. Wenn Harald nicht das Flutlicht eingeschaltet hätte, wäre sie vielleicht auf einen Igel getreten, der sich entrüstet bemerkbar machte. Das hier war bislang sein unumschränktes Reich gewesen.
»Ich habe dich bislang noch nicht gefragt, wo du eigentlich wohnst«, sagte Harald später vor dem flackernden Kamin. Er hatte seinen Gast gebeten, nackt zu bleiben, da er sich an ihr nicht sattsehen konnte. Selbst das Kaminfeuer schien Gefallen an diesem Bild zu haben. Das warme Licht verzauberte diese langen schwarzen Haare, diese herrlichen Brüste und diesen Körper, den viele Maler nicht schöner hätte verewigen können.
»In der Miquelallee. Dort habe ich mir ein Zwei-Zimmer-Appartement gekauft. Nach hinten raus, wo es nicht so laut ist. Nur damit du es weißt: Ich habe dort kein Doppelbett. Ein Besuch in dieser Bude lohnt sich also nicht.«
Am anderen Vormittag bestand Harald darauf, mit Chantal shoppen zu gehen. Er wollte ihr ein Abendkleid schenken.
»Ich will dich heute Abend ausführen«, hatte er mit vielsagender Miene gesagt, während er herzhaft in ein Brötchen biss.
»Wohin?«
»Heute Abend will ich der ganzen Welt zeigen, dass ich wieder glücklich bin.«
Er blickte ihr liebevoll in die Augen.
»Ich will mich mit dir sehen lassen. Ein bisschen mit dir angeben. Ist das schlimm?«
»Am Ende laufen wir dort deiner Isolde über den Weg?«
Harald zuckte mit den Schultern und blickte mit einem spitzbübischen Grinsen an die Zimmerdecke.
Am diesem Vormittag besuchten sie gemeinsam noch ein riesiges und exquisites Möbelhaus. Aufmerksam und schweigsam beobachtete er Chantals Regungen – und machte ab und zu einige Aufnahmen mit seinem Smartphone.
»Jetzt, wo wir dein Bett eingeweiht haben, möchtest du doch nicht ein neues Bett kaufen. Oder?«, fragte Chantal irritiert.
»Dann werden wir das neue Bett ebenfalls voller Hingabe erneut einweihen«, feixte der Gutgelaunte.
In der Tat wurde es ein interessanter und denkwürdiger Abend.
Die mit Abstand meisten Blicke richteten sich auf den Mann im hellen Smoking. Aber noch mehr auf seine Begleiterin mit ihrem aquamarinfarbenen und enganliegenden Abendkleid, das bis zu ihren schwarzen Peeptoe-Pumps reichte. Ihr Dekolletee war nahe daran, als Waffenscheinpflichtig eingestuft zu werden; eingerahmt von ihren langen schwarzen Haaren.
Selbstverständlich fehlte Isolde an diesem Abend nicht. Sie war in Begleitung eines blöde dreinblickenden Burschen gekommen, der darauf achtete, dass sein Alkoholspiegel nicht zu sehr nach unten sackte. Mit begieriger Freude und mit halboffenem Mund blickte er in Chantals gewagten Ausschnitt. Natürlich blieb das, und noch vieles andere an diesem Abend, Isolde nicht verborgen. Ihre giftigen Blicke flirrten durch den großen Saal.
Dass Harald diese große Show genoss, war mehr als offensichtlich. Er dachte nicht im Traum daran, dies zu verbergen. Chantal gab sich große Mühe, Teil dieses gelungenen Auftrittes zu sein. Als der Hauptakteur warten wollte, bis die Gedemütigte wutentbrannt das Weite suchen würde, flüsterte Chantal:
»Das ist die völlig falsche Strategie mein Schatz. Ich werde dir jetzt das Ohrläppchen anknabbern, und … na ja, lasse dich überraschen. Alle sollen sehen, dass es mir wichtig ist, dich so bald wie möglich ins Bettchen zu bugsieren.
Wenige Minuten später begann Chantal mit dem Schauspiel. Das Abendkleid war mit einem langen Seitenschlitz versehen. Isolde stand wie angewurzelt. Sie sah, wie sich Chantals Knie leicht zwischen Haralds Beine nach oben schob. Sie sah die großen und erregten Augen ihres Ex-Ehemannes. Sie beobachtete, wie Harald diesen deutlichen Hinweis mit einem erwartungsvollen Grinsen zur Kenntnis nahm. Sie sah, wie er diesem, aus ihrer Sicht aufgetakeltem Weib, sanft über den wohlproportionierten Po strich.
Aus den von Sven übergebenen Unterlagen hatte Chantal entnommen, wie übel diese Frau diesem Mann mitgespielt hatte. Deshalb, und nur deshalb, sah sie es nun für angebracht, sich noch einmal nach diesem Weib umzudrehen – und ihr mit wissendem Grinsen zuzuzwinkern. Im Taxi gab Harald seiner attraktiven Begleitung einen zarten Kuss auf die Wange und seufzte lachend:
»Haach. Das war der schönste Abend in meinem Leben. Ich kann dir gar nicht sagen, wie ich die liebe. Für diesen Auftritt werde ich mir etwas ganz Besonderes einfallen lassen.«
Der Taxifahrer schmunzelte.
»Aber du bist dir darüber im Klaren, dass dieser Auftritt auch kontraproduktiv für dich sein könnte«, sagte Chantal leicht besorgt.
»Ich habe gesehen, dass einige Gäste Aufnahmen mit ihren Smartphones gemacht haben. Was werden deine Mitarbeiter und vor allem deine Kunden denken? Mit Sicherheit werden sie wissen wollen, wer heute Abend an deiner Seite im Mittelpunkt des Abends gestanden hatte. Für sie ist und bleibt selbst eine Edel-Kurtisane eine …«
Hier im Taxi wollte sie diesen Satz nicht zu Ende bringen.
»Das sehe ich differenzierter. Für meine Reputation war es nicht gerade förderlich, dass Isolde mir über Jahre Hörner aufgesetzt hat.« Begleitet von einigen leisen Lach-Salven fuhr Harald fort:
»Viele Kunden werden mich höllisch beneiden. Ich habe fast ausschließlich Kunden und keine Kundinnen. Ich kann mir vorstellen, dass einige alles daransetzen werden, deine Adresse oder deine Telefon-Nummer ausfindig zu machen. Um meine Mitarbeiter mache dir keine Gedanken. Ich würde selbst meinen Finanzchef fristlos feuern, wenn er sich negativ äußern würde. Und das weiß er … Und die anderen auch.«
Harald sollte Recht behalten.
Einige Tage später hatte Chantal den bayerischen Geschäftsführer von „Rendezvous“ in der Leitung.
»Guten Tag Madame Chantal. Sie haben mich in Verlegenheit gebracht. Sie wissen, dass ich bislang auf Ihre Wünsche bezüglich ihrer Termingestaltungen Rücksicht genommen habe. Aber es kann auch nicht in ihrem Interesse sein, wenn wir neue äußerst solvente Kunden an unsere Wettbewerber verlieren.«
»Das sollten Sie mir etwas näher erklären.«
»Weiß der Teufel, was Sie am letzten Wochenende in Frankfurt angestellt haben. Am besten ist, dass ich Ihnen die zwanzig wichtigsten Anfragen, ihre Person betreffend, zumaile. Ich muss dieses Mal darauf bestehen, dass Sie mich umgehend zurückrufen, nachdem Sie diese Unterlagen gesichtet haben.«
Chantal musste schmunzeln, als sie sich die Kunden-Profile verinnerlicht hatte.
»Okay Herr Moosbacher«, eröffnete sie zwanzig Minuten später das Telefonat.
»Ich will es kurz machen.«
Die Stimme der angesehensten Begleiterin des „Rendezvous“ war freundlich aber auch
äußerst bestimmend:
»Qualität geht doch auch Ihnen vor Quantität. Ich werde mich selbst mit fünf Herren in
Verbindung setzen. Diese Namen maile ich Ihnen in fünf Minuten zu. Darüber hinaus werde ich mich mit Iris und Manuela in Verbindung setzen. Sie werden die restlichen Männer kontaktieren, und ihnen liebevoll verständlich machen, dass ich momentan indisponiert bin. Gleichzeitig werden sie diesen Personen den Mund wässrig machen.
Sie können sich auf mich und meine Freundinnen verlassen. Ist das in Ihrem Sinne?«
»Madame Chantal. Sie sind ein Schatz. Genauso machen wird das«, war die seufzende und erleichterte Antwort des Geschäftsführers.
Einige Minuten später telefonierte Chantal mit Iris und Manuela.
Und anschließend setzte sie sich mit ihren fünf neuen Kunden in Verbindung. Diese waren überglücklich, mit der Dame ihres Herzens einen Termin vereinbaren zu dürfen.
Es war das erste Mal in ihrem Leben, das die professionelle Begleiterin anschließend
fluchte wie ein Pferdekutscher. Sie verstand sich selbst nicht mehr.
»Mein Gott. Du bist doch stolz darauf, Liebesdienerin zu sein. Wo ist dein Kampfgeist geblieben?! Früher hättest du über fünf Kunden in zwei Wochen gelächelt«, schimpfte sie in sich hinein. Augenblicklich verbesserte sie sich. Es waren fünf Kunden zusätzlich zu ihren vier Terminen, die sie zuvor fest vereinbart hatte; darunter drei Stammkunden.
Neuerdings konnte sie am besten nachdenken, wenn sie sich auf eine verschwiegene Bank am Rande des Hauptfriedhofes setzte. Dort war es fast still inmitten dieser pulsierenden Stadt.
Nach zwei Stunden lächelte sie kopfschüttelnd. Einige Friedhofsbesucherinnen musterten die attraktive Frau irritiert. Darüber musste Chantal erneut schmunzeln. »Die Arme«, dachten sie vielleicht. »Was muss sie wohl durchgemacht haben.«
Wenn sie gewusst hätten, dass diese lächelnde Frau gerade dabei war, sich die Männer der kommenden zwei Wochen vor ihrem geistigen Auge zu projizieren, würden sie sicher kopfschüttelnd das nächste „Wasserhäuschen“ ansteuern, um sich eine Flasche Wodka oder Gin zu kaufen.
Was war plötzlich anders? Was hatte dieser Mann, Harald, an sich?
Diese und viele andere Fragen konnte sich die leicht Verzweifelte beim besten Willen nicht beantworten. Aber erneut beantwortete sie sich die mit Abstand wichtigste Frage:
Nein. Auch für Harald würde sie ihren Job nicht aufgeben. Niemals. Es musste einen Zwischenweg geben; wie immer der auch aussehen würde.
Auf dieser Parkbank des Hauptfriedhofes entschied Chantal nach langen Überlegungen, dass ausgerechnet ein Dekan ihr nächster Kunde sein solle. Erneut lächelte sie wieder in sich hinein. Jaja, auch ein Geistlicher war ein Mann. Auch ein Geistlicher brauchte ab und zu eine „Auszeit“.
»Oh mein Gott. Nein. Ein Wochenende ist selbstverständlich äusserst schwierig«, schnaufte Dr. Balduin Haberlein.
»Am Sonntagnachmittag. Oder am Abend. Das geht.«
Er hatte eine sonore und angenehme Stimme.
»Entschuldigung. Wie darf ich Sie korrekt ansprechen? Oder anders: Wie möchten Sie gerne angesprochen werden?«, fragte Chantal.
»Ich finde Ihren Namen – Madame Chantal – hinreißend, wenn ich das sagen darf. Nennen Sie mich bitte zunächst Bruder Balduin. Wie klingt das?«
»Hinreißend Bruder Balduin«, lachte die Escort-Expertin. »Das mit dem Termin- Vorschlag am Sonntag war natürlich ein kleiner Scherz von mir. Selbstverständlich habe ich gewusst, dass insbesondere der Sonntag-Vormittag …« Sie lachte leise, und fügte hinzu:
»Dafür entschuldige ich mich. Machen Sie bitte einen Vorschlag.«
Der Dekan lachte jetzt auch.
»Ich stelle mit großer Zufriedenheit fest, dass Sie Humor haben. Umso mehr freue ich mich jetzt auf unser Rendezvous.«
Gerne kam Bruder Balduin nach Frankfurt. Ein Treffpunkt in Bayern oder Franken war aus seiner Sicht ungünstig, wie er es ausdrückte.
Spätestens an dieser Stelle ärgerte sich Chantal darüber, bislang den Vorschlag des Rendezvous-Geschäftsführers abgelehnt zu haben, zusammen mit ihren Kolleginnen eine große Villa auf dem Lande anzumieten oder gar zu kaufen. Ihr Steuerberater hatte ihr ohnehin angeraten, ihre weiß Gott nennenswerten Einkünfte sinnvoll anzulegen. Ein solches Objekt wäre steuerlich sogar absetzbar gewesen. Auch einen Fahrdienst und einen Sicherheits-Experten durfte sie künftig nicht mehr als völlig abwegig einstufen. Politiker, Manager oder gar Geistliche mussten verständlicherweise Wert darauflegen, nicht in eine missliche Lage gebracht zu werden. Auch das wäre zum Großteil steuerlich absetzbar gewesen.
Wie auch immer: Bruder Balduin reiste mit dem ICE an. Im InterContinental hatte Chantal eine Suite mit Blick auf den Main gebucht. Sie erwartete ihren Gast in der Hotelhalle. Es war ein sonniger Dienstag-Nachmittag im August.
Es hatte sich als äußerst schwierig erwiesen, viel Erhellendes über Dr. Balduin Haberlein in Erfahrung zu bringen. Sie musste also improvisieren und alle ihre Antennen ausfahren. Aber worüber unterhielt man sich mit einem Dekan? Sie kicherte in sich hinein, als sie in Erwägung zog, mit ihm zu beten. Das wäre einmal etwas Neues.
Nein. Bruder Balduin sah nicht danach aus, als sei er zum Beten gekommen. Schon von Weitem winkte er, und zog sein kleines fahrbares Köfferchen hinter sich her. Chantal hatte sich lange über die Aufnahme gebeugt, die ihr zugemailt worden war. Deshalb war sie nun nicht überrascht.
Die Haarpracht des Dekans war einer auffälligen Glatze gewichen. Er hatte ein rundliches Gesicht, trug eine randlose Brille und einen kurz geschnittenen, grauen Vollbart. Seine relativ kleinen blauen Augen blickten Chantal frech und unternehmungslustig an.
Er ließ es sich nicht nehmen, ihr ein kleines Küsschen auf die Wange zu hauchen.
»Grüß Gott Madame Chantal. Suchen Sie sich einen neuen Fotografen«, sagte er.
»Sie sind eine der schönsten Rosen, die ich jemals gesehen habe. Ich liebe Rosen über alles liebe.« Er zog die Luft tief in seine Lungen und schloss dabei die Augen.
»Und wie sie duftet, diese Rose.«
Chantal blinzelte den Kirchenmann gespielt irritiert an.
»Bruder Balduin. Sie scheinen mir ein ganz Schlimmer zu sein.«
»Und diese dunkel-samtige Stimme; wie die einer Oboe. Sie müssen wissen …«
»… dass die Oboe Ihr Lieblings-Instrument ist. Nicht wahr?«, gluckste Chantal.
Der lustige Dekan strich mehrere Male über seinen grauen Bart.
»Das wird jetzt ganz ganz schwierig«, flüsterte er.
»Im Moment habe ich das Gefühl, dass die noch so verlockendste Speise reine Zeitverschwendung wäre. Was meinen Sie, Madame Chantal?«
»Im Grunde genommen ist diese Frage ganz einfach zu beantworten. Auf unserem Zimmer lasse ich mich überraschen, wie viel Appetit Sie mitgebracht haben. Danach stärken wir uns bei einer himmlischen Speise. Ich habe einen dezenten Tisch reserviert. Und danach … danach lasse ich mich überraschen, wieviel Fantasie Bruder Balduin noch so entwickelt. Wenn Ihnen danach ist – ich habe eine CD mit Orgelmusik eingepackt. Toccata und Fuge in d-Moll. Das Orgelstück Fantasia von Mozart. Bei Orgelmusik. Oh mein Gott. Das wäre für mich einmal eine völlig neue Erfahrung.«
Der glatzköpfige Gast richtete seinen Blick gespielt nach oben.
»Du meinst es heute gut mit mir. Ich überlasse es dir, ob du inzwischen einen Spaziergang machst«, flüsterte der Dekan lachend.
Bruder Balduin hatte Fantasie mitgebracht und Kraft, viel Kraft. Chantal war einige Male leicht besorgt. Sie hatte sich in Erinnerung gerufen, dass dieser Geistliche bereits 62 Jahre alt war. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn sein Herz vor lauter Glück ins Stolpern geraten wäre. Sie tröstete sich damit, dass das InterContinental auf Diskretion bedacht war. Es sei denn, der Marketingmanager des Hotels brauchte eine Schlagzeile, die selbst einigen Imamen in Turkmenistan Anlass zum Schmunzeln gegeben hätte.
»Das nächste Mal plane ich zwei oder gar drei Tage ein«, sagte der höchst zufriedene Kirchenmann am darauffolgenden Spät-Vormittag zum Abschied.
»In Ordnung Bruder Balduin. Interessieren würde mich schon, was ihr großer Boss da oben über ihre Freuden so denkt. Wir beide gehen doch davon aus, dass er sogar in dieser Sekunde ein wachsames Auge auf uns wirft. Blamieren sollten wir ihn auf keinen Fall.«
Der glatzköpfige Dekan grinste über das ganze Gesicht.
»Ich verspreche Ihnen mutig zu sein. Nachdem ich mich unter unsere größte Glocke gestellt habe, werde ich mit ihm sprechen. Wenn er dann die Glocke nicht nach unten donnern lässt, gehe ich davon aus, dass ich auch das nächste Mal mit seinem Segen komme. Ich werde ihm auf alle Fälle danken. Und selbstverständlich werde ich beten.«
»Dann beten Sie bitte auch für mich. Einverstanden?«
»Selbstverständlich«, sagte Bruder Balduin. Doch dieses Mal mit einer ernsten Miene.
»Unabhängig davon würde er sich ganz bestimmt freuen, wenn auch Sie ab und zu mit
ihm sprechen. Ich bin fest davon überzeugt, dass er sich darüber freuen würde.«
»Ich verspreche es Ihnen«, lachte Chantal.
Noch am gleichen Tag versuchte sie ihr Versprechen, in die Tat umzusetzen. Hierbei wurde ihr bewusst, dass sie das noch nie in ihrem Leben getan hatte. Ihr fiel ein, dass sie weder ihre Mutter noch ihren Stiefvater beten sah; außer nach dem Tod des kleinen Gerard.
Doch plötzlich … in diesem Moment … als sie ihre Hände faltete, stockte ihr Atem. Ihr
Puls raste.
Mit geschlossenen Augen dachte Chantal nach. Sie war eine intelligente Frau. Davon war sie überzeugt. Sie war gesund. Erst vor wenigen Wochen hatte sie sich einem Gesundheits-Check unterzogen.
»Alles bestens« hatte der Professor gesagt. Er war ein Schelm und fügte grinsend hinzu:
»Sie können noch viele, viele Männer so richtig glücklich machen.«
Quasi als Gegenleistung machte sie diesen nicht mehr ganz jungen Professor glücklich. Nach mehreren Runden machte sie sich leichte Sorgen. Zum Abschied wollte sie ihm den Rat geben, sich … Doch er winkte lachend ab.
»Wenn es an der Zeit ist, werde ich Sie zu mir nach Hause einladen. Ich kann mir keinen schöneren Tod wünschen. Petrus wäre mit Sicherheit irritiert, einer höchst zufriedenen und grinsenden Seele die Pforte zu öffnen.«
Ihr Puls raste weiter. Und trotzdem musste sie noch immer lächeln.
»Chantal, es wird höchste Zeit, dass du zu einem Seelenklempner gehst«, versuchte sie in sich hineinzulächeln.
»Du hast doch nicht umsonst diese beschissenen Fachbücher über Psychologie gelesen. Da gibt es andere Gründe; andere Schranken. Denk nach. Denk nach! Da muss es noch andere Gründe geben.«
Herrjeh. Da gab es doch dieses Drama. Damals. Oh ja. In ihrer Kindheit war es ein größeres Drama gewesen. Sie, oder ein Mechanismus in ihr, hatte es bewusst und nachhaltig verdrängt – weil sie damals darüber nicht sprechen wollte.
Ihre Familie war katholisch. Wie die meisten Familien in und um Freiburg. Während ihrer Vorbereitungen auf die Kommunion hatte sie dieser Pfarrer, er hieß Pfisterer, nach dem Unterricht in die Sakristei gelotst. Er wollte sie anleiten, mit Gott zu sprechen.
Dazu müsse sie jedoch eine reine Seele haben, hatte er damals glaubhaft geflüstert. Der kleine Slip würde dabei nur im Wege sein - sagte er damals. Er half ihr dabei, ihn auszuziehen. Sie zitterte wie Espenlaub. Sie war nicht aufgeklärt. Das machte man damals nicht. Aber dass da etwas ganz und gar nicht stimmte, wurde ihr wenige Minuten später bewusst. Schreiend und tränenüberströmt stürzte sie aus der Kirche. Der kleine Slip blieb in der Sakristei zurück. Viele Stunden traute sich nicht nach Hause. Selbstverständlich hatte sie nicht den Mut, mit ihrer Mutter zu sprechen. Über solche Sachen sprach man damals nicht. Unabhängig davon: Wer hätte ihr auch geglaubt. Ein Pfarrer, ein Lehrer, ein Richter oder andere Honoratioren machten so etwas nicht. Niemals. Das musste ihre Freundin Hannah, die kleine Lügnerin, erfahren. Hannah war ihre einzige und beste Freundin.
Nach der Kommunion, Chantal war das einzige Mädchen, dass damals weinte, setzte sie keinen Fuß mehr in eine Kirche. Warum? Darüber hatte sie später nie wieder nachgedacht.
Oh Gott. Und in der vergangenen Nacht hatte sie mit einem Geistlichen geschlafen. Es hatte ihr sogar Freude bereitet. Und nun, heute, versuchte sie zu beten.
Sie kam sich plötzlich vor wie ein kleines Mädchen. Sie wusste nicht mehr, wie man das macht. Sie versuchte sich, damit zu beruhigen, dass sie die Natur mit all diesen Herrlichkeiten liebte und bewunderte; dass sie nie hinterlistig war, niemand betrogen oder bestohlen hatte. Vielmehr hatte sie mit Inbrunst Liebe gegeben – und natürlich auch empfangen. Das hatte Gott oder die Schöpfung so eingerichtet. Also konnte dies alles nicht falsch sein. Okay okay. In Gottes Namen. Dafür hatte sie Geld bekommen. Aber das hatte sie sich verdient. Das war ihr Job.
Zwei Wochen später; Chantal hatte ihre Rendezvous-Liste „abgearbeitet“, führte Harald sie zu einem Hochhaus in der Wintersbachstraße am Bornheimer Hang. Sie respektierte seine Bitte, in den nächsten zehn Minuten keine Fragen zu stellen.
Mit einem gespielten Pokerface drückte er auf den Knopf zum 22. Stock. Der Aufzug fuhr leise und rasch nach oben. Dort angekommen, holte er einen Schlüssel aus seiner Jackentasche.
»Zuerst will ich dir den Ausblick zeigen«, sagte er mit einem Lächeln. Gemeinsam betraten sie den Balkon. Es war ein sonniger Tag im August.
»Wahnsinn. Das ist ja eine wahnsinnig schöne Aussicht«, entfuhr es Chantal.
In Richtung Süden, am Fuße des Hochhauses, lag der Günthersburgpark. Weiter dahinter sah sie den Frankfurter Zoo, die Innenstadt, den Main, Sachsenhausen und Offenbach. Da waren die vielen anderen Hochhäuser. Der Blick reichte heute bis nach Neu-Isenburg und den Flughafen Frankfurt. Und weiter im Westen konnte sie das Main-Taunus-Zentrum erkennen. Noch weiter, in Richtung Nordwesten, war im Dunst der Taunus auszumachen.
»Das ist himmlisch. Gehört diese Wohnung Dir? Das würde mich nicht überraschen.«
»Du musst mir schon etwas mehr zutrauen mein Engel.« Harald ließ sich Zeit. Offensichtlich wollte er es spannend machen.
»Öffne deine Hand«, bat er.
Chantal zuckte artig mit den Schultern. Sie öffnete ihre rechte Hand. Plötzlich fühlte sie etwas Hartes, Stählernes in ihrer Hand. Blitzschnell erkannte sie einen Schlüssel. Sie sah, wie Harald ihre Hand mit seinen beiden Händen sanft und theatralisch zudrückte.