Kitabı oku: «Die Engel der Madame Chantal», sayfa 4
»Das ist ab sofort deine Wohnung«, sagte er leise.
In diesem Moment erschloss sich ihr der Sinn dieser Worte nicht so recht. Wie in Trance ließ sie sich durch die Wohnung führen. Sie war riesig. Sie war wunderbar eingerichtet. Im Schlafzimmer erkannte sie dieses große Doppelbett und den riesigen Spiegelschrank. Jaja. Jetzt dämmerte es ihr, warum Harald diese Möbel mit seinem Smartphone aufgenommen hatte. Und dann … dann fühlte sie ihre Beine nicht mehr.
Das Bett war weich. Sie spürte, wie Harald über ihre Wangen strich.
»Entschuldige bitte«, flüsterte er. »Ich habe mich wie ein Schuljunge benommen. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass dir das so nahegehen könnte. Ich wollte dir eine große Freude bereiten. Das habe ich dir doch versprochen. An diesem Abend. Im Taxi. Du kannst dich doch daran erinnern?«
Er legte sich zu ihr auf das Bett. Er zog sie sanft an sich.
»Sag‘ mir, dass du dich wenigstens ein bisschen freust. Zumindest ich habe mich wie ein Pennäler gefreut, als ich das hier eingerichtet habe.«
Chantal gab Harald einen herzhaften Kuss.
»Du bist ein Barbar. Deine Chantal so zu erschrecken.« Sie setzte einen Schmollmund auf. »Um ehrlich zu sein. Ich hätte nicht gedacht, dass mich etwas so umhaut. Mach‘ dir also keine Vorwürfe.«
Stille entstand im Raum.
»Wie groß ist die Wohnung eigentlich? Die muss ja ein Vermögen gekostet haben. Du Spinner. Für eine Konkubine so viel Geld auszugeben.«
»Sag so etwas nie wieder. Bitte. Du bist inzwischen ein Teil meines Lebens. Quatsch. Du bist der wichtigste Teil meines Lebens geworden. Das musst du mir glauben.«
Kapitel 5
Chantal verglich die Zeit mit den vielen Musikstücken, die sie zusammen mit Harald genossen hatte. Sie lässt dich träumen, wie bei Peer-Gynt. Sie lässt dich über den Tau des Morgens gehen. Sie lässt dich sogar über den Wolken schweben. Doch die Zeit hat auch Bässe und dunkle, rabenschwarze Töne. Bislang war sie von großen Paukenschlägen verschont geblieben. Eine Stimme in ihr sagte, dass sie sich in den kommenden Jahren auf einige Veränderungen einstellen musste. Die Zeit würde dann den Schmerz sanft wie mit einer Decke aus Schnee zudecken, und auf den nächsten Frühling warten. Das hoffte Chantal zumindest. Die Zeit sprudelt dich hinweg, nimmt dich mit, donnert dich hinab über die Felsen – wie bei Smetana. Dann trägt sie dich wieder auf den Wellen dahin. Aber die Zeit ist auch ein Schurke, ein Dieb ein hässlicher Geselle. Auch das musste Chantal in den nächsten Jahren ertragen.
Doch zunächst waren da die herrlichen und wunderbaren Jahre.
Harald trug sie auf Händen. Doch, und da machte Chantal sich nichts vor, hing er ab und zu in den Seilen … wenn er wusste, dass sie an einem Wochenende wieder einmal „unterwegs“ war; mit einem anderen Mann in irgendeinem Bett lag; irgendwo in Deutschland. Manchmal begleitete sie ihre Kunden auch ins Ausland; war eben mal schnell in London, Monaco, an der Riviera – oder weiß der Teufel wo. Aber Harald, ihr Anker, hatte diese Qualen bislang nie spüren lassen. Dafür liebte sie ihn.
Harald war ihr wichtig. Für ihn nahm sie sich Zeit; legte sich sogar mit dem Geschäftsführer der immer größer gewordenen Escort-Gesellschaft an. Mit Harald fuhr sie in die Toskana. Dort wanderten sie durch die Weinberge bei Montaione. Ihr Weg führte sie an viele Schauplätze der Musikstücke von Edward Grieg, Smetana, Mozart und Strauss. Er mietete ein Haus an einem der unendlichen vielen Seen in Kanada. In den Süden zog es Harald nicht. An den Winterabenden lagen sie, oft nackt, vor dem Kamin, hörten Musik und tranken Rotwein.
Sie gab ihm Kraft für sein Unternehmen. Zumindest hatte er dies viele Male gesagt. Eines Tages lud er sie sogar ein, um ihr jede Ecke dieses Unternehmens zu zeigen. Er und seine Chemiker waren erstaunt, wie schnell Chantal alle Zusammenhänge erfasste.
Es sollte ihr Geheimnis bleiben, dass sie einige Geschäfte, große Geschäfte, angebahnt hatte – auf ihre ureigene Weise. Das glaubte sie Harald schuldig zu sein.
Noch nie zuvor hatte sie mit einem Chinesen geschlafen, der nur ihretwegen einige Male nach München flog. Er, Mister Lin-Lin, bestand darauf, dass sie bei der Einweihung eines Joint-Venture-Unternehmens in Tianjin anwesend war. Eine jüngere Chinesin, Lin-Lin gab vor, dass sie seine Schwester sei, beäugte Chantal äusserst interessiert. Sie konnte damals nicht wissen, dass diese Frau noch eine Rolle in ihrem Leben spielen sollte; allerdings nur eine indirekte Rolle.
Harald weinte vor Glück beim Erstauftrag eines großen Unternehmens in Lyon. Marlon Larousse war ein ekelhaftes Wesen. Aber das musste Harald nicht wissen.
Vor einem halben Jahr bat der Rendezvous-Geschäftsführer Chantal zu einem Grundsatzgespräch, wie er es nannte, nach München. Er bat sie inständig, nicht so viele Anfragen abzulehnen. In seiner bayerischen Art begann er ihr sogar zu drohen. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund und lachte:
»Moosbacher, du Schelm. Was meinst du, was passiert, wenn ich zusammen mit fünf meiner besten Freundinnen zur Konkurrenz gehe. Du solltest künftig deine Zähne mit Wasser und nicht mit Weizenbier putzen. Sei lieb. Und denke vor allem nach, bevor du wieder einmal den bayerischen Raufbold spielen willst.«
Selbstverständlich entschuldigte sich Sepp Moosbacher. Chantal brauchte ab und zu ihre Auszeit. Zwei Dates pro Woche. Ab und zu ein Wochenende. Mehr hatte sie sich nicht vorgenommen. Mehr sollten es unter keinen Umständen werden.
Doch immer wieder musste sie für einige Stammkunden eine Ausnahme machen.
Da war vor allem Eric Conzen. Er war Inhaber einer Hotel-Gruppe in Wiesbaden. Seine
Frau wollte seit Jahren nichts mehr von Sex wissen. Ab und zu bat sie den Lebenslustigen sogar, endlich mal wieder zu seiner Chantal zu gehen. Denn danach war er wieder wie ausgewechselt.
Ähnlich verhielt es sich bei Ronald Rehfeldt, dem Geschäftsführer einer Sektfirma. Er litt unter den Allüren seiner Frau. Ihr gehörte das Unternehmen. Das ließ sie ihn allzu oft wissen. Ronald war trotz seiner 55 Jahre ein äusserst anstrengender Liebhaber. Er spielte wöchentlich mehrere Male Tennis und Golf.
Und da waren noch ihre lieben Freundinnen – Iris und Manuela. Auch sie verdienten Pflege. In letzter Zeit saßen sie wieder oft beieinander. Lachend und quietschend tauschten sie Erfahrungen aus. Dass ihr sowohl Iris als auch Manuela einiges sorgsam verschwiegen, hätte sich Chantal niemals vorstellen können.
Mit zwei Bereichen hatte sich Chantal noch nie persönlich auseinandergesetzt. Domina-Dienste waren ihr bislang ein Gräuel. Schließlich wollte sie Freude bringen. Einem Kunden bewusst Schmerzen zufügen? Das überstieg ihre Fantasie. Darüber hinaus, das war der Hauptgrund ihrer Ablehnung, war es ihr wichtig, ihre Seele nicht unnötig zu belasten. Für diese Dinge war sie einfach nicht geschaffen.
Vor einigen Wochen hatte ihr Iris gebeichtet, sich sukzessive dieser dunklen Welt verschrieben zu haben. Ihre Erzählungen öffneten nun Chantal völlig neue Welten und Sichtweisen.
Da schlurfte zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende eines Konzerns im Zweireiher heran. Dessen Aufgabe war es, Ziele zu erfüllen. Seelenlose Durchsetzungsfähigkeit war gefragt. Ohne sich dessen bewusst zu sein, knechtete er auch seine Familie; konnte einfach nicht abschalten. Frau und Kinder hielten ihn deshalb auf Abstand; hassten ihn sogar. Im Laufe der Jahre hatte dieses, im Grunde genommen bedauernswerte Wesen, alles unternommen, damit seine Seele, wie mit Säure, zerfressen wurde. Er, und viele andere Teufel in Menschengestalt, wollten deshalb dafür bestraft, erniedrigt und ebenfalls geknechtet werden.
»Morgen habe ich ein solches Gespenst bei mir«, sagte Iris mit einem bitteren Lachen. »Willst du dir das mal anschauen?«
Sie hatten bereits einige Gläser Wein getrunken. Chantal war deshalb so leichtsinnig gewesen, die starke Frau zu mimen.
»Vielleicht kann sogar ich noch etwas lernen«, hatte sie gegluckst.
Oh ja. Sie lernte etwas dazu. Für Neugierige, auch das gehörte zum Konzept ihrer Freundin, gab es ein Loch in einem Bild.
Genau genommen blickte sie durch das Auge eines lachenden Teufels; eines Bildes, das an der Wand der Folterkammer angebracht war.
Zuerst erkannte sie Iris nicht. Sie hatte sich in eine hauteng anliegende Lederkleidung gezwängt, die in hochhackigen Stiefeln mündete. Für ihren stattlichen Busen, daran erkannte sie ihre Freundin, gab es eine Aussparung. Im Grunde genommen war es ein extrem ordinärer Anblick, der durch eine schwarze Maske noch verstärkte wurde. Bereits das war eine schaurige Szene. Doch damit nicht genug. In ihrer rechten Hand schaukelte eine Lederpeitsche mit vielen, langen Enden. Mit der linken Hand führte sie an einer dicken Leine einen nackten Mann herein. Nein. Er ging nicht. Er kroch. Und er war korpulent. Sein Bauch schleifte fast am Boden.
»Du hast dich heute wieder einmal wie ein Schwein verhalten. Richtig?!«, schrie sie und schlug auf den Rücken des dicken Mannes ein. Die Peitschenhiebe klatschten vernehmlich.
»Jaja. Ich war ein Schwein. Ich gebe es zu. Du musst mich bestrafen.«
»Was war das? Ich habe dich nicht verstanden? Du grunzt bereits wie ein Schwein.«
»Schlag‘ mich. Bestraf‘ mich. Ich hab’s verdient«, schrie das dicke Wesen.
Und wieder schlug die Lederfrau zu. Viele Male klatschte es vernehmlich. Die Striemen zeichneten sich auf dem Rücken des Mannes ab. Er wandte sich und schrie:
»Ja. Ja. Jaaaa! Ich liebe dich.«
»Du sollst mich nicht lieben. Du sollst mich hassen. Sag‘ es. Ich will es hören.«
Und wieder klatschen die Peitschenhiebe.
»Ja. Ja. Ich hasse dich. Ich hasse dich. Jaaa.«
Chantal vergrub die Augen in ihre Hände. Dieses gruselige Schauspiel wollte sie sich nicht länger ansehen. Nach vielen Sekunden, in denen sie das Klatschen der Peitsche immer und immer wieder hörte, zwang etwas in ihr, doch wieder durch dieses kleine Loch zu starren.
Sie sah, dass die Lederfrau ihren rechten Stiefel unter den Bauch des Mannes schob. Weit nach hinten. Und erneut klatschte es; lauter; viele Male.
»Du hast wieder gesoffen, du Schwein. Gib es zu! Das Zeug muss raus!«
Chantal wollte sich angeekelt abwenden. Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass ihr dies nicht gelang. Sie war wie gelähmt. Ihre Hände zitterten.
Viele Sekunden später zog das Lederwesen den Stiefel wieder zurück.
»Schau dir das an!«, schrie es. »Und du willst ein Mensch sein?! Du bist kein Mensch! Du bist ein Stück Vieh! Dafür muss ich dich bestrafen! Siehst du das ein?!«
»Ja. Jaaa«, winselte das Wesen. Es blickte nach oben, zur Maske der Lederfrau; schuldbewusst.
Chantal hielt sich entsetzt die Hand vor dem Mund. Der Stiefel war feucht. Nein. Er war nass.
»Leck‘ das ab! Sofort!!!«
Chantal schloss die Augen, als sie wieder die Peitschenhiebe hörte. Aber etwas in ihr zwang sie, die Augen wieder aufzureißen. Der Gedemütigte kroch auf allen Vieren heran.
Er beugte sich über den Stiefel, und begann …
Nein. Nein. Nein. Das war zu viel. Das konnte sie nicht länger ertragen.
Die Voyeurin presste ihre Hand vor den Mund. Laut würgend stürmte sie aus der dunklen Kammer. Zitternd saß sie eine Zeitlang im Büro ihrer Freundin. War das wirklich ihre Freundin? War das soeben Iris? Die gleiche Iris, mit der sie schon so viel erlebt hatte?
Chantal wollte weinen; musste weinen; erlösend weinen. Doch es kamen keine Tränen;
so sehr sie sich bemühte. Sie war im Begriff, sich zu übergeben. Sie stürzte zur Toilette. Es würgte sie. Doch nichts. Auch das gelang ihr nicht. Sie wankte wieder ins Büro zurück. Dort saß sie immer noch, wie erstarrt, als Iris mit ihrer Peitsche hereinkam. Sie wirkte müde und ausgewrungen. Doch sie lachte.
»Bist du noch ganz sauber?!«, entfuhr es Chantal. »Wie kannst du nach einer solchen Scheiße noch lachen?«
Iris gab ihrer Freundin einen Kuss auf die Wange.
»Ich ziehe mich jetzt rasch um. Bin gleich zurück. Und dann gehen wir zusammen einen trinken«, sagte sie gutgelaunt, und verließ das Büro. Das dumpfe Stapfen der Stiefel war noch lange zu hören; bohrte sich in Chantals Seele.
Minuten später, es war eine Ewigkeit, kam Iris zurück. Sie hatte sich in enge Jeans und eine Bluse mit tiefem Ausschnitt gezwängt. Es hatte den Anschein, dass ihr großer Busen nach Luft schnappte, um der Enge zu entfliehen.
»Komm«, säuselte die wie von Zauberhand verwandelt wirkende Freundin, und hakte sich bei Chantal unter.
»Es wartet eine kleine Überraschung auf dich.«
Neben dem unscheinbaren Haus mit den sechs Folterkammern, wie Iris zuvor berichtet hatte, befand sich ein kleines und modern eingerichtetes Café. Die Frau mit dem stattlichen Busen steuerte zielsicher auf einen Tisch in der Ecke zu. Dort saß ein adrett gekleideter Mann. Der sicher sündhaft teure, maßgeschneiderte Zweireiher milderte die Korpulenz des grinsenden Wesens raffiniert ab.
»Stanislav. Darf ich dir meine Freundin Chantal vorstellen«, begrüßte Iris den Korpulenten. Dieser erhob sich lächelnd, verbeugte sich artig vor Chantal, und gab ihr einen angedeuteten Handkuss. Fast devot blickte er dabei nach oben.
»Chantal? Doch nicht etwa die Madam Chantal?«, fragte er mit ekelhaft heller Stimme.
Chantal nickte einige Male; fast automatisch. Der Versuch eines Lächelns misslang ihr.
»Das freut mich außerordentlich, Sie einmal persönlich kennen zu lernen«, sagte der Dicke. In dieser Antwort schwang etwas mit, das sie aufhorchen ließ. Doch darüber wollte, darüber konnte sie plötzlich nicht weiter nachdenken.
»Ach du Scheiße«, schrie es in ihr. Erst jetzt erkannte sie den Mann, den sie noch vor wenigen Minuten gesehen hatte – in der Folterkammer. Wie in Trance ließ sie sich auf einen modernen und ungemütlichen Sessel sinken. Wie in Trance sah sie, dass dieses dicke Wesen sich schmunzelnd zu Iris hinüberbeugte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu drücken. Mit leiser Stimme flüsterte er:
»Du warst wieder einmal himmlisch. Ich danke dir.«
Kapitel 6
Drei Wochen später wartete eine weitere Überraschung auf Chantal, als sie mit Iris und Manuela in einem noblen Restaurant saßen.
»Ich habe dich vor drei Wochen nicht wiedererkannt«, seufzte Chantal und blickte Iris vorwurfsvoll in die Augen. »Warum tust du dir diese Sauerei an?«
»Das ist eine verdammt gut bezahlte Dienstleistung. Wenn ich es nicht mache, streichen andere Ladies das schöne Geld ein.«
Die Domina-Expertin strich sichtlich belustigt mit beiden Händen über ihr mittellanges blondes Haar.
»Und du steckst diese ganze Scheiße so mir nichts dir nichts weg? Das glaub‘ ich dir nicht!« Chantal zuckte mit den Schultern, und zog ihre Augenbrauen nach oben.
Iris lehnte sich in den gemütlichen Sessel zurück. Ihr Gesichtsausdruck verwandelte sich schlagartig. Sie wirkte enttäuscht.
»Im Grunde genommen bist du die Patin dieser Sauerei, wie du meine gutbezahlte Passion zu nennen pflegst.«
»Iiich?! Entschuldige. Du bist doch nicht ganz sauber.« Chantal war kurz davor, sichtlich verärgert aufzuspringen.
»Wir sind Liebesdienerinnen. Was wir tun, müssen wir mit Leib und Seele tun. Unsere Kunden müssen nicht nur körperlich, sondern auch darüber hinaus zufriedengestellt werden.« Der Zeigefinger der Domina richtete sich anklagend auf Chantal. »Das waren vor zehn Jahren deine Worte. Unter dem Strich hast du das aus mir und Manuela gemacht, was wir heute sind. Dafür bin ich dir dankbar.«
»Blödsinn! Ich habe niemals an Peitschenhiebe oder andere ekelhafte Spielchen gedacht.«
»Du scheinst das letzte Mal, in diesem Café, du erinnerst dich, nicht richtig zugehört zu haben«, blaffte Iris. »Du selbst hast doch gehört, dass sich dieser Fettwanst bei mir bedankt hat. Er hat mich dabei angehimmelt. Ich habe ihm eine Last von seiner verdammten Seele genommen.«
»Mir zittern noch heute die Knie«, stöhnte Chantal, und blickte hilfesuchend nach oben.
Die Augen von Manuela flitzten zwischen ihren beiden Freundinnen hin und her.
»Du bist doch so stolz darauf, eine intelligente und kluge Frau zu sein.«
Iris faltete ihre Hände, und drückte sie an ihren großen Busen.
»Du hast dich doch in diese Wälzer über Psychologie vertieft. Da drin steht mit Sicherheit, dass es sich bei diesen Kerlen um halbe Irre handelt. Auf alle Fälle sind es arme Schweine. Selbst gute Seelenklempner stoßen da an ihre Grenzen. Viele dieser armen Wesen fangen irgendwann an zu saufen. Oder sie knüpfen sich einfach auf. Ist dir das lieber? Dann rücken andere Spinner nach, und die Welt dreht sich weiter.«
Iris grinste ihre zunehmend nachdenklich dreinschauende Freundin mit zugespitzten Lippen an. Hierbei rieb sie ihren Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Es gibt Tage, da lassen diese armen reichen Schweinchen weitaus mehr springen als deine Kunden. Und das will weiß Gott was heißen. Natürlich hast du recht, dass ich mir dieses schöne Geld manchmal hart verdienen muss.« Sie lachte dunkel auf, verschränkte ihre Hände hinter dem Kopf und lehnte sich genüsslich zurück.
»Zugegeben. Ab und zu gehe ich danach in eine Disco. Dort reiße ich mir einen Burschen auf, der danach aussieht, als hätte er viel Hunger im Gepäck. Dann lasse ich mich so richtig durchvögeln, und habe das Gefühl, wieder neunzehn zu sein.«
»Zum Schluss auf dem Rücksitz von einem alten Karren«, kicherte Chantal.
Ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie sich wenig feinfühlig verhalten hatte.
»Klar. Das kommt schon mal vor. Zur Not lege ich mich auf die Motorhaube. Auf alle Fälle lasse ich die Kerle arbeiten. Sie bekommen ihren Spaß schließlich kostenlos. Danach lasse ich mich zuhause von einer Flasche Gin inspirieren und schaue mir eine alte Schnulze an. Und am anderen Tag kaufe ich mir ein tolles Kleid.«
»Wozu brauchst du ein neues Kleid? Ich habe dich in letzter Zeit nur in Jeans und gewagten Blusen gesehen?«
Ich sammle eben neue Kleider. Irgendein Hobby muss schließlich jeder haben.«
»Ach du lieber Himmel.« Chantal presste kurz ihre beiden Hände vor den Mund.
»Was hast du eigentlich mit den Männern angestellt, die ich zu dir weitergeleitet habe? Ich hoffe, dass du sie nicht so empfangen hast.« Sie musterte Iris auffällig von oben bis unten.
Diese hob blitzschnell abwehrend beide Hände.
»Siehst du. Um die zu vernaschen, habe ich mich selbstverständlich in mein neuestes Kleid gezwängt. Oder in ein Kleid, das ich aus deiner Sedcard kenne. Keine Angst. Die sind alle hochzufrieden und müde von dannen gezogen.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Glaube ich zumindest«.
Als sie sah, dass Chantal ihren Kopf nachdenklich hin und her bewegte, fügte sie keck hinzu:
»Sei doch einmal ehrlich. Es war doch mehr als auffällig, dass du mir nur Interessenten zugeschustert hast, die eindeutig nur auf deinen Körper scharf gewesen sind. Also habe ich diesen Männern viel Körper gegeben. So gesehen kannst du ganz beruhigt sein.«
»Dann kann ich dir auch weiterhin …?«
»Mir schon«, lächelte Iris und spielte süffisant mit ihren Lippen. Dabei schielte sie fragend in Richtung der Freundin, die bislang das Schauspiel sichtlich genossen hatte.
Manuela zuckte mit treuherziger Mimik ihre Schultern.
»Ich hab‘ mir eine schwarze und langhaarige Perücke zugelegt. Außerdem bin ich bei dir quasi in die Lehre gegangen. Damit ich nicht so viel Konversation führen muss, habe ich meine anderen Werte ins Spiel gebracht. Nur einen von deinen Kunden musste ich an die frische Luft setzen. Sei heilfroh. Der Kerl hätte wunderbar in das Kabinett von Iris gepasst.«
»Oh mein Gott«, prustete Chantal entsetzt. »Warum sagst du mir das erst jetzt?!«
Manuela spitzte ihre Lippen.
»Vielleicht weil ich deine Seele nicht belasten wollte. Vergiss es einfach.«
Die drei Freundinnen blickten sich einige Sekunden schweigend an. Es schien, als würden in diesem Moment die gleichen Gedanken durch ihre Köpfe rauschen.
Früher wussten sie mehr voneinander. In den ersten Jahren hatten sie sich wie Geschwister gefühlt. Wobei: Chantal war nicht nur vier Jahre älter. Sie war immer reifer, intelligenter, weitaus kreativer und einfühlsamer gewesen. Ihr konnte man alles anvertrauen. Diese große Schwester tadelte ab und zu. Manchmal tobte sie sogar. Zumindest in den ersten Jahren. Es waren wahnsinnig arbeitsreiche Jahre. Aber es waren herrliche Jahre.
Chantal war für Iris und Manuela immer ein Vorbild gewesen. Ihr versuchten sie nachzueifern. Doch irgendwann mussten sie sich eingestehen, dass es sinnvoller war, ihren eigenen Stil zu entwickeln, und ihre eigenen Wege zu gehen.
Chantals Augen tasteten Manuela ab. Sie hatte sich in den letzten zwei Jahren optisch verändert. Früher trug sie lange und wunderschöne blonde Haare. Erstaunlicherweise passte ihre moderne Kurzhaarfrisur zu ihrem völlig neuen Auftritt. Während sie früher in ausgesucht modischen Kleidern und abenteuerlichen High Heels auftrat, war sie sukzessive, wie Iris auch, in enge Jeans geschlüpft, und trug dünne Blusen. Unter ihnen zeichneten sich dezente Muskelpakete ab. Sie joggte unermüdlich, spielte Squash und war oft in Fitness-Studios zu sehen. Während Iris‘ Busen zunehmend bedrohlichere Formen annahm, schienen Manuelas Brüste kleiner geworden zu sein. Chantal hatte zufällig gelesen, dass dies indirekt möglich war. Durch bestimmte Formen des Krafttrainings wird das Fettgewebe in
den Brüsten in Muskeln umgewandelt. Die Brüste erscheinen kleiner und vor allem fester.
Verdammt. Ihr Instinkt hatte sie verlassen. Vor wenigen Wochen führte sie ihr Weg wieder einmal in Svens Foto-Studio. Genau genommen war es auch ihr Studio. Vor Jahren hatte sie fast zweihunderttausend Euro in dieses Studio gesteckt. Sven hatte deshalb darauf bestanden, dass sie als Mitinhaberin auftrat. Das war gut für das Image. Auf alle Fälle fielen ihr damals wahnsinnig schöne Aufnahmen von Frauen auf. Sie entdeckte auch Aufnahmen von Manuela; in engen Jeans, im Kostüm, im Streifenanzug, wie diese von taffen Managerinnen getragen wurden – und Manuela mit einer modischen Brille.
»So etwas trägt man heute«, hatte Sven gesagt – und dabei vielsagend gegrinst. Selbstverständlich wusste er, dass Manuela ihre Freundin war. Höchstwahrscheinlich ging er davon aus, dass sie sich austauschten. Sven war diskret und keine Plaudertasche.
Manuela kannte ihre ältere Freundin. Inzwischen gelang es ihr, in deren unendlich vielen Mimiken lesen zu können. Zumindest glaubte sie das. Deshalb stand sie auf, um Chantal einen Kuss auf den Mund zu geben. Danach setzte sie sich wieder. Ihre beiden Freundinnen erkannten sofort, dass jetzt ein längerer Monolog auf sie wartete.
»Schon als Kind habe ich gerne mit Barbie-Puppen gespielt. Gut. Das war bei Mädchen nicht ungewöhnlich. Es war zunächst auch nicht ungewöhnlich, dass ich mit Tatjana schmuste. Aber als Fünfzehnjährige war das dann nicht mehr ganz so alltäglich. Irgendwann bekam Tatjana Hausverbot – und ich Prügel. Natürlich wusste ich damals noch nicht genau warum. Meine Eltern waren katholisch; sehr katholisch sogar. Als Valentin, ein Nachbarjunge, alles daransetzte, mit mir Hausaufgaben zu machen, oben in meiner Bude, war die Welt für sie wieder in Ordnung. Ich sah gut aus. Die Kerls schlugen sich wegen mir die Nase blutig. Das hat mir natürlich imponiert. Allerdings hielt ich mich dann doch an die etwas älteren Burschen. Von denen konnte ich noch etwas lernen. Ich lernte schnell und viel.
Als mich meine Eltern einsperren wollten, riss ich einfach aus. Ich hatte die Nase voll. Nach Frankfurt war es nicht weit. Und irgendwann haben wir uns dann kennengelernt.
Soweit so gut. Vor ungefähr einem Jahr war da dieses Urvieh. Er roch nach Geld und stank nach Schweiß. Ich will es kurz machen. Der Kerl hat mich mächtig verdroschen. Einige Wochen zuvor habe ich mir einen Notknopf installieren lassen. Das war meine Rettung.
An diesem Abend bin ich dann durch die Bars gezogen. Erst nach vielen Minuten habe ich festgestellt, wo ich da hineingeraten bin. Dort saßen Frauen; nur Frauen. Okay. An diesem Abend war ich froh gewesen, keinen Mann mehr zu sehen. Irgendwann hat sich dann eine Frau mit einschmeichelnder und sonorer Stimme, in etwa so wie deine, an meinen Tisch gesetzt. Wir haben uns unterhalten. Ich habe getrunken und geheult. Und irgendwann, dazwischen fehlt mir ein Stück Film, lag ich dann in einem Bett – zusammen mit dieser Frau. Sie hat mich gestreichelt und liebkost. Keine Ahnung, was sie an diesem Abend noch mit mir angestellt hat. Auf alle Fälle roch sie gut. Und ich glaubte zu schweben.
Ich hab‘ sie nie wieder gesehen. Aber ich wusste, dass es himmlisch war. Davon wollte ich mehr bekommen. Eine Frau, sie saß im Vorstand einer Bank, hat mich dann gefragt, was ich bislang gemacht habe. Sie war mehr als großzügig. Noch heute ist sie meine Stammkundin. Sven hat Aufnahmen von mir gemacht und ich habe diesem Mooshammer mitgeteilt, dass ich an ein anderes Ufer geschwommen bin. Er hat gelacht und meinte, dass es im Raum Frankfurt eine diesbezüglich riesige Nachfrage gibt.
Natürlich habe ich mich bereit erklärt, auch Termine in München oder Düsseldorf wahrzunehmen.«
Manuela strich sich viele Male über ihre kurzen Haare und über ihr Gesicht. Chantal blickte zu Iris hinüber. Diese starrte gedankenverloren auf ihre langen, roten Fingernägel. Fraglos kannte sie diese Geschichte bereits.
»Und warum erzählst du mir das erst heute?«, durchbrach Chantal die eingetretene Stille.
Manuela zuckte schuldbewusst mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Vielleicht habe ich mich geschämt. Mensch. Wir drei. Das war doch ein Heer von Männern. Die haben wir glücklich gemacht, würdest du jetzt sagen.«
Sie blickte an die Zimmerdecke, und blies lachend Luft durch ihre geschlossenen Lippen.
»Jetzt habe ich auf Ladies umgesattelt.« Sie richtete ihren Blick zu Iris hinüber.
»Und die da drüben vermöbelt dicke, dünne und reiche Männer.«
»Ich vermöble keine Männer. Ich mache sie glücklich. He, wie du deine Damen glücklich machst.« Sie lachte hell auf.
»In Ordnung: Ich mache sie auch etwas ärmer. Aber nur ein klitzekleines Bisschen «
Jetzt lachte auch Chantal:
»Was sind wir ein verrückter Haufen nicht mehr ganz taufrischer Weiber. Zwischen euch Beiden komme ich mir jetzt allerdings schrecklich normal vor.«
Manuela zwinkerte mit verschlagener Miene Chantal zu.
»Ich werde dich jetzt gleich an deiner verwundbaren Stelle packen.«
»Soso. Und die wäre?«
»Geld und eine gewöhnungsbedürftige Moralvorstellung. Was sonst. Das hast du verdient. Dir ist es mit Sicherheit nicht bewusst, dass du uns immer das Gefühl vermittelt hast, die Gralshüterin der Moral zu sein.«
Chantal beugte sich angriffslustig nach vorn.
»Ach Gottchen. Wo hast du diesen tollen Begriff aufgeschnappt. Den muss ich mir unbedingt aufschreiben.«
»Lass‘ diese überhebliche Scheiße. Sag‘ mir lieber, ob ich einigen zahlungskräftigen Frauen deine Nummer geben darf. Ich sag’s nur ungern. Aber für einige, aus den höheren Rängen, bin ich einfach zu doof. Die wollen auch mal hochgeistiges Zeug von sich geben – und obendrein auch noch verstanden werden.«
Stille entstand in der lauschigen Ecke des noblen Restaurants.
Iris und Manuela tauschten interessierte Blicke aus. Es schien, als hätten sie mit den Streichhölzern gespielt, und warteten nun voller Vorfreude auf den ersten Funken - oder gar auf ein herrliches Feuerchen.
»Ich werde es mir überlegen«, flüsterte Chantal leise. »Aber ihr kennt mich. In den letzten Jahren bin ich noch nie unvorbereitet in den Krieg gezogen. Das ist ein völlig neues Terrain für mich. Da kann man mit Sicherheit eine Menge falsch machen.«
Manuela schnellte aus ihrem Sessel, tänzelte zu Chantal hinüber, und gab ihr einen innigen Kuss.
»Ich persönlich werde dich in die Geheimnisse der einzig wahren Liebe einweihen.«
Mit gespieltem Lachen und einem Seufzer blickte Chantal zur Decke des Raumes.
»Ach ihr Götter da oben. Ist das jetzt eine Verlockung oder eine Warnung?«