Kitabı oku: «Mit der Wut des Überlebens», sayfa 4

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Draußen drängte sich ihr übergangslos das lärmende Treiben auf, mit dem sich das Lager oben auf dem Absatz immer noch ausweitete. Sie wandte sich zum Fluss, schlenderte den schmalen Fußweg hinunter, war gallig bis unter die Haarwurzeln. Mit Geld oder ohne Geld: Für diese Kerle zählte sie einfach nicht! Gebrauch nach Bedarf! Ulrichs Bitte gestern Abend: Sie war nahe dran gewesen. Und jetzt das!

Der Fluss zog träge an ihr vorbei, lenkte ihren Blick hinüber zur aufgebrochenen Stadtmauer, ließ sie einen Augenblick sinnen. Jetzt verhandelten diese Männer über ihr Geld, vollkommen ungeniert!

Die Lippen zornig aufeinander gepresst, trat sie gegen einen hochstehenden Grasbüschel, kreuzte die Arme vor der Brust. Geld! Geld für Mann! Ein schlechter Tausch! Sie würde das Geld nie so verwerten können, wie sie es wollte! Die würden sie immer abhängig halten. Sie stierte ins graue, ruhig quirlende Wasser. Wie Ulrich schon sagte, „In diesem Geschäft gibt es keine Frauen!“ Und es war ihr nur zu klar, dass niemand von diesen Männern etwas daran ändern wollte. Nur Männer verhandelten! Sie hob ihre Augen abrupt aus dem Wasser, sah zur Mauer hinüber. Dann brauchte sie eben einen Mann für´s Geld. Ulrich! Ihre Augen verengten sich: Ulrich! Sollte er ruhig verhandeln, aber die Bedingungen würde sie in Zukunft festlegen.

Was hatte dieser eingebildete Eberlein noch gesagt: Woher das Geld kommt, ist mir egal. Die Bedingungen müssen stimmen! Und das hatte sie in der Hand – wenn sie Ulrich in der Hand hatte!

Zufrieden und ein wenig hintergründig lächelnd setzte sie sich auf den Bootsrand. Die beiden waren garantiert noch am Essen, geduldig zusehen würde sie ihnen dabei nicht! Aber es interessierte sie jetzt schon, zu welchen Bedingungen Ulrich ihr Geld verlieh, sicher verlieh!

Sie ließ sich Zeit, folgte sinnend dem gleichmäßigen Strömen des Wassers, vermied es, zur Stadt hinüber zu sehen.

Was waren diese Männer nur borniert! Sie hatte das Geld, aber verhandeln wollten sie nicht mit ihr. Ein Mann musste es sein, der ihnen gegenübersaß! Dass dieser vielleicht in ihrem Auftrag und mit ihrem Geld verhandelte, spielte keine Rolle, wenn nur die Augen, in die sie beim Verhandeln blickten, einem Mann gehörten. Ein spöttisches, leicht hochmütiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie drückte sich vom Bootsrand hoch.

Als sie sich endlich wieder an ihren Platz setzte, nahmen die beiden von ihrer Rückkehr nur insofern Kenntnis, wie man eben auf eine Bewegung reagiert, die sich am Rande des eigenen Sichtfeldes ereignet. Im nächsten Moment aber sah Ulrich noch einmal zu ihr hinüber, ganz kurz nur, interessiert, forschend, nachdenklich. Es hatte sich etwas geändert, und er hatte es bemerkt.

Gleichzeitig bemerkte sie die Veränderung, die sich am Tisch vollzogen hatte. Der Teil des Rituals, in dem Freundlichkeiten ausgetauscht wurden, war deutlich vorbei. In diesem Teil kreuzten die beiden hochwachsam ihre Klingen. Fochten mit allen Mitteln, um dem anderen ihren eigenen Vorteil abzutrotzen.

Eberlein saß wohlgesättigt, mit hochrotem Kopf, leicht nach hinten gelehnt in seinem Stuhl und redete. Er war nicht der Mann, der lange Umwege machte oder um etwas bat. Er forderte kurzerhand die „bescheidene Summe“ von zweitausendsiebenhundert Gulden. Grundlage seiner Rechnung war, dass selbstverständlich die gleichen Kreditbedingungen galten, wie sie bei früheren Krediten zwischen ihm und Ulrichs Vater ausgehandelt worden waren: „Fünf vom Hundert aufs Jahr!“

Ulrich verzog keine Miene, sah ihn nachdenklich an, nickte dann wie zustimmend vor sich hin.

Euer letzter Kredit über viertausendfünfhundert Gulden kostete euch ‚sieben vom Hundert‘ aufs Jahr.“

Ihr verwahrt die Verträge?“ Eberlein legte seinen Kopf leicht schräg, hatte die kleinen Augen in gespielter Empörung weit aufgerissen.

Alle!“

Ulrichs Gelassenheit begann den anderen zu reizen. Einen Moment rutschte er auf seinem Stuhl herum, ruckte dann vor, fuhr ungeduldig mit der Hand durch die Luft:

Das ist ja Schnickschnack! Die Verträge der letzten Jahre hervorzukramen! Wer da gestorben ist, wird auch nicht mehr lebendig. Also macht mir jetzt ein vernünftiges Angebot, so wie euer Vater es gemacht hätte, und wir sind uns einig!“

Mein Vater ist ein vorsichtiger Mann! Er hätte euch zweitausendsiebenhundert Gulden zu ‚sieben vom Hundert‘ angeboten, wenn ihr ...“ Eberleins Kopf ruckte in den Nacken, der Mund öffnete sich wie in drohendem Abwarten, „...für diese Summe ein entsprechendes Pfand leisten könntet.“

Seid ihr noch ganz bei Trost?“ Der kleine, dicke Mann schien beinahe die Fassung zu verlieren, ruckte vor, soweit ihm das sein Bauch genehmigte, fuchtelte mit der Hand über dem Tisch, „Seit Jahren nehme ich Geld von euch und zahle es pünktlich zurück! Ihr habt an mir schon Unsummen verdient. Und jetzt kommst du kaltschnäuzig daher, bietest mir das Geld einer Frau zu einem Zins an, der in diesen Zeiten absoluter Wucher wäre! Und dann willst du noch ein Pfand von mir?“ Er wandte sich ihr zu, die Augen im Zorn zusammengezogen, „Ihr behaltet euer Geld!“ Zurück zu Ulrich, „Und ich werde mich wohl nach einem anderen Verleiher umsehen!“ Schwer ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen, sprang aber nicht auf, wie sie es eigentlich erwartet hätte.

Einen Moment lang war nur das druckvolle Schnauben Eberleins zu hören. Ulrich sah ihn derweil ruhig an, abwartend.

Ulrich!“ Bemüht ruhig legte er seine Unterarme und seine kleinen, aber sehr fleischigen Hände auf den Tisch. „Die Zeiten sind nicht mehr wie vor zwei – drei Jahren. Es gibt nichts mehr zu verpfänden, kein Familiensilber, kein Schmuck. Der Krieg hat alles gefressen.“ Auf dem Tisch griffen seine Hände so fest umeinander, dass der Druck Fleisch und Nägel weiß werden ließ.

Aber wenn die Geschäfte nicht weitergehen ...“ Sein Mund blieb offen, so als dächte er den Satz lieber nicht zu Ende.

Ulrich bewegte sich ruhig an den Tisch, stützte den freien Arm auf, sah den anderen mit leicht vorgerecktem Kopf geradeheraus an, „Herr Eberlein, was soll ich denn machen? Es ist vollkommen ohne Bedeutung, ob das Geld von der Frau kommt oder von Izaak Goldberg. Die Zeiten sind unsicher, das Geld ist teuer oder nichts mehr wert. Ohne Pfand gibt kein Verleiher auch nur einen Gulden aus der Hand.“ Er löste sich von der Tischplatte, lehnte sich ruhig wieder zurück. „Ich bin sicher, ihr habt das alles schon selbst überlegt, bevor ihr hierher kamt. Habt ihr nicht vielleicht doch noch einen letzten Trumpf im Ärmel, der mir die Entscheidung erleichtern könnte?“

Den anderen verließ jetzt endgültig alle Energie, alle Dynamik, die ihn seit seiner Ankunft gekennzeichnet hatte. Seine kleinen Schweineaugen müde auf die jetzt schlaff daliegenden Hände gerichtet, schüttelte er schwach sein rundes Haupt, „Der Eberlein besitzt nichts mehr von all den Werten, die er früher locker anbieten konnte. Mein Wagen, meine Pferde und mein Anwesen sind das Einzige was mir geblieben ist.“ Er lehnte sich langsam zurück, ließ die Fingerspitzen auf der Tischkante liegen, „Und einige gute Aufträge, die du beleihen könntest, die ich aber so lange nicht bedienen kann, wie mir das Geld für den Voreinkauf fehlt.“

Ulrich presste seine vollen Lippen aufeinander, nickte verstehend, ließ seine Augen blicklos aus dem Gesicht des anderen auf dessen Brust und Bauch gleiten.

Therese stand auf, löste sich von ihrem Stuhl, „Ulrich, ich möchte mit dir reden!“

In aller Ruhe wandte er sich ihr zu, erstaunt zunächst, dann abrupt ablehnend: „Über dieses Geschäft gibt es nichts zu reden, absolut nichts!“

Wer sagt denn, dass ich über dieses Geschäft mit dir reden möchte? Aber ich muss dennoch mit dir reden!“ Sie wandte sich um, ging entschlossen zum Ausgang.

Sie war gerade aus dem Haus, als Ulrich sie schon einholte, ihr zornsprühend den Weg verstellte. „Was glaubt ihr, wer ihr seid? Mich in diesem Ton aufzufordern. Lasst euch das nicht noch einmal einfallen! Ich eigne mich nicht zum Laufburschen für Beuteweiber!“

Sie schnappte nach Luft! Wie ein auf Spannung gebrachter Bogen spannte sich ihr Körper, spannte sich jeder noch so kleine Muskel. Dann ließ sie die Schultern sacken. Gerade noch voller Zuversicht, musste sie jetzt schon wieder um Fassung kämpfen.

Das saß, Ulrich! Mach, was du willst!“ Sie ging einfach an ihm vorbei, während er hinter ihr druckvoll die Luft aus der Nase stieß.

Wollt ihr mich nicht wenigstens sagen, worüber ihr hier draußen mit mir reden wolltet?“

Ich habe euch gar nichts mehr zu sagen!“ Sie redete ohne einzuhalten oder sich umzuwenden.

Sie erreichte das Boot, stand eine Zeit lang still mit verschränkten Armen, sah ins Leere, dachte nichts!

Irgendwann überkam sie das Gefühl, unendlich matt zu sein, so als hätte der Fluss ihre Energie mit fortgetragen. Augenblicke später schon lag sie in ihrem Bett, vergaß die Welt.

4. Teil Ein Überfall und Liebe auf einem Kirchturm

Sie schuldete es ihrer Lagerzeit, dass sie schon beim schwächsten, ungewöhnlichen Geräusch aus dem Schlaf erwachte und auch sofort hellwach war. Sie hob den Kopf von ihrer Bettstelle, horchte angestrengt in die Dunkelheit. Irgendwo im Haus ging etwas vor sich, was sonst nicht da war.

Das Lager, oben, auf dem Absatz fiel ihr ein. Die Befürchtung des Wirts, dass es Ärger geben würde.

Es hörte sich nach mehreren an, die dort am Werke waren, die dort unten schwer trugen und dabei die Füße nicht ganz vom Boden hoben. Und sie bemühten sich, leise zu handeln.

Ihr Gewand lag auf der Truhe. Sie orientierte sich leicht in der Dunkelheit, war gerade angekleidet, als sich neben ihr die Tür zu Ulrichs Zimmer einen Spalt weit öffnete. Ein Zischlaut ertönte, im nächsten Moment noch einer. Das Ereignis des frühen Abends war ihr wieder gegenwärtig; sie dachte nicht daran, sich von der Stelle zu bewegen. Wieder das Zischen, etwas lauter jetzt,

Ich bin wach!“ Sie flüsterte hart und kurz.

Gut! Im Hause stimmt was nicht! Gebt auf euch Acht. Ich lasse die Türe jetzt auf!“

Ihr fiel nichts Passendes ein, was nicht bissig geklungen hätte, also schwieg sie, hörte nach einem Augenblick Stille, wie er sich von der Tür weg in sein Zimmer bewegte.

Sie tastete nach dem Messer, einer großen, scharfen Waffe in einem verzierten Lederköcher, einem Geschenk Mikolas. Seit sie das Kloster verlassen hatten, trug sie es ständig am Körper, lag es immer in ihrer Reichweite. Verteidigen musste sie sich bisher noch nicht damit.

Draußen knarrte die Holztreppe. Alle Stufen knarrten, sie wusste es und konnte sich so fast ausrechnen, wann jemand das Ende der Treppe erreicht hatte.

Konzentriert horchte sie in die Dunkelheit. Stand neben der Truhe, von der Tür verdeckt wenn diese aufging und war fest entschlossen, nicht noch einmal in eine Lage zu geraten, in der andere mit ihr machten, was sie wollten.

Vor ihrer Tür herrschte jetzt Stille, das Knarren der Treppe hatte aufgehört. Sie zog ihr Messer, brachte beide Hände hinter den Rücken, wartet gespannt bis in die Haarspitzen.

Es blieb still. Nichts knarrte, nichts rührte sich, aber sie wusste dass dort jemand stand und horchte. Sie blieb, wo sie war, lauschte angestrengt und schrak zusammen, als im nächsten Moment ihre Tür aufgerissen wurde.

Ein Kerl, eher klein, in Pluderhosen, derbem Wams und langen, am Kopf anliegenden Haaren, sprang herein, stellte in der Bewegung eine einfache Laterne auf den Boden und war schon an ihrem Bett. Er griff ins Leere, wirbelte sofort suchend herum, entdeckte sie im schwachen Kerzenlicht an der Wand und war mit drei schnellen Schritten bei ihr. Ein Frettchen! Der Kerl erinnerte sie an ein Frettchen! Selbst sein schmales Gesicht mit den kleinen Augen und dem Schnauzbart, das er wild vorstreckte: ein Frettchengesicht!

Alles in ihr konzentrierte sich auf den einzigen, richtigen Moment, der sofort kam, als er, dicht vor ihr stehend, in ihr Haar griff, grob daran riss. Sie überlegte nicht das wohin oder wie, spürte nur das erstaunlich weiche Eindringen des Stahls, wiederholte die Bewegung ein zweites Mal, zwanghaft und unbewusst geführt.

Das Frettchen vor ihr stand jetzt ganz still, öffnete sich, so als würde es krampfhaft tief Luft holen. Sie schob den Kerl grob an die Seite, stürmte an ihm vorbei zur Tür, rannte die Treppe hinunter. Weiter kam sie nicht!

Exakt gegenüber der Treppe, saß der Fremde, der tags zuvor neben der Tür gesessen hatte. Jetzt saß er breit, geradezu lässig da, die Füße weit von sich gestreckt. Saß dort wie die letzte, unüberwindliche Instanz! Er war ein großer Mann, an dem alles groß, breit und kraftvoll war, sein dunkles, krauses Kopf- und Barthaar vollendete den Eindruck wuchernder Vitalität. Im Gegensatz zu den üblichen Pluderhosen der meisten Soldaten und Söldner, trug er eine blank gescheuerte Lederhose, die in Höhe der Waden in den weiten Schaftstiefeln verschwand. Eine ebensolche Lederweste trug er über sein rostrotes Hemd, die Ärmel bis über die Ellenbogen hochgekrempelt. Halb lehnte er gegen einen der groben, schweren Tische, auf dem zwei Kerzen hell brannten und auf dem er seinen Arm gut abstützen konnte. Im Licht der Kerzen schimmerte matt der Lauf einer schweren Reiterpistole, die ihren Bewegungen folgte und fortwährend auf ihren Körper zeigte.

Auf der anderen Seite des Tisches der Wirt, Hände und Füße an den Stuhl gefesselt, zeigte er ein Gesicht, in dessen harten Zügen sich alle Bitternis der Welt widerzuspiegeln schien.

Und offensichtlich hatte der Kerl hinter der Pistole sein Vergnügen. Er betrachtete sie entspannt lächelnd, aber wortlos, wie einen hübschen Gegenstand, über dessen genaue Verwendung er sich noch nicht im Klaren war.

Hinter ihr polterte jemand die Treppe herunter, wurde langsamer, sie wandte nur den Kopf. Ulrich stand, ebenfalls eine Pistole in der Hand, auf der unteren Stufe, sortierte die Situation.

Ulrich mit Pistole? Sie hatte keinen Schuss gehört.

Nimm ja deinen Grips zusammen und lege das schöne Ding vorsichtig auf den Boden!“ Bisher hatte Hühne seine Haltung um keinen Deut geändert, jetzt fror er sein Lächeln ein, seine großen dunklen Augen blitzten gefährlich wachsam.

Und schon im nächsten Augenblick kam Spannung in seinen Körper, setzte er sich aufrecht, „He! Vorsichtig habe ich gesagt!“ Seine raue Brüllstimme füllte den Raum bis in den letzten Winkel, passte zu seinem breiten, groben Gesicht.

Wenn du etwas probierst, du ungehobelter Pinkel,“ Er beugte sich leicht vor, schob Ulrich spöttisch sein Gesicht entgegen und sprach gequetscht durch die Zähne. „dann werde ich deiner Frau den schönen Bauch wegschießen.“ Langsam richtete er sich auf, nahm die alte Sitzhaltung wieder ein und grinste Ulrich höhnisch, mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Du bist ein Pinkel! Ein arroganter, ungehobelter Pinkel!“ Die schwere Waffe wechselte von ihrem Bauch zu Ulrichs Bauch. „Wie du gestandene Frauen behandelst! – Ich habe das gehört heute Abend. – Alleine dafür müsste man dir eine überbraten!“ Ulrich stand jetzt neben ihr, und sie glaubte zu spüren, wie es in ihm brodelte, aber er konnte die Provokation einordnen und blieb äußerlich gelassen.

Der andere warf einen schnellen Blick die Treppe hinauf, setzte sich dann wieder aufrecht. „Pass auf Pinkel! Es macht mich nervös, dass meine Leute nicht wieder herunterkommen. Was war da los?“

Ulrich zog die Mundwinkel nach unten, zuckte mit der Schulter.

Der andere sah zu ihr, prüfend, wieder zurück zu Ulrich, „Weißt du nicht! Aber du kommst mit einer Waffe herunter!“ Seine leicht verengten Augen versprachen für den Fall nichts Gutes. Einen langen Augenblick sah er sie nachdenklich an, wechselte dann unvermittelt wieder zu Ulrich.

Pass auf!“ Er rutschte auf dem Stuhl herum, als suche er für das Folgende eine sichere Sitzposition. „Ich mache jetzt einen Handel mit dir!“ Ulrichs Gesicht spannte sich. Er wollte etwas entgegnen, der andere wischte abfällig mit der Hand durch die Luft, wies mit den Augen zur Waffe, „Zur Zeit habe ich die besseren Argumente! Also: Ich habe heute Nachmittag mitbekommen, wie du den Eberlein fertig gemacht hast. Ein grundanständiger Händler aus Quedlinburg. Ich kenne ihn gut. Er hat euch vertraut und über all die Jahre mit euch verhandelt, dafür hast du ihn heute ruiniert.“

Sein Gesicht nahm einen lauernden Ausdruck an, „Ich schlage dir jetzt einen Handel vor, den du nicht ablehnen kannst – du verstehst! Die Bedingungen für diesen Handel diktiere ich dir!“ Sein Blick schweifte ab zur Treppe, kam kurz zurück, deutlich irritiert. Hinter ihnen polterte es. Jemand fiel die Treppe hinunter, er schaute an ihnen vorbei, und dann war es plötzlich dunkel!

Ulrichs Hand umspannte ihren Arm, zog sie hinter sich her zum Ausgang. Sie hörte den Kerl brüllend fluchen, dachte an die Pistole, erwartete den Schuss, und dann waren sie draußen.

Runter zum Fluss!“ Ulrich ließ sie los, rannte mit Riesenschritten voraus, so dass sie ihn bald in der Dunkelheit nicht mehr erkennen konnte. Das Gewand bis über die Knie hochgezogen, hetzte sie hinterher, konnte sich nur mit Mühe an den aus der Dunkelheit auftauchenden Sträuchern orientieren. Hinter ihr lief noch jemand, lief mit schwer stampfenden Schritten, keuchend. Aber er war schneller als sie, kam rasch näher. Endlich hob sich vor ihr der hellere, hier und da glänzende Fluss von der Dunkelheit ab. Mit kürzer werdendem Atem erkannte sie Ulrich neben dem Boot.

Ulrich hatte das Boot schon vom Ufer ins Wasser gezogen, wartete, half ihr, als sie mehr rutschend und fallend das Boot erreichte. Kraftvoll schob er es rasch in die Strömung, zog sich etwas ungeschickt selbst ins Boot und steuerte mit einem Ruder weiter hinaus auf den Fluss.

Hinter ihnen erreichte der Kraftmensch den Bootsplatz. Fluchte, dass die Steine rot anliefen. Ein gewaltiger Schuss ließ sie zusammenzucken, ließ sie mit allen Sinnen horchen und fühlen, und dann war für einen Augenblick Stille!

Über die Brücke!“ Dem Klang nach hatte er sich schon wieder abgewendet, rannte den Weg zurück, „Lauft über die Brücke! Lasst sie ja nicht in die Stadt!“

Eine Stimme für Jericho!“ Ulrich versuchte das Boot nicht der Strömung zu überlassen, lag fast in Rückenlage und quetschte den Satz zwischen den Zähnen durch.

Für Jericho?“ Sie beugte sich fragend vor.

Damit übertönt der spielend Posaunen und Trompeten!“

Die Luft war nicht allzu kühl, legte sich feucht auf die Haut, roch modrig.

´Das hatten wir alles schon mal!´ Der Gedanke schoss ihr durch den Kopf, ließ sie leise lächeln. Es waren aber doch Fortschritte zu erkennen. Ihre Lage war heute nicht so hoffnungslos wie damals, und diesmal war sie mit heiler Haut davongekommen.

Sie tastete, fühlte ihr Messer an seinem gewohnten Platz.

Mit Verwunderung dachte sie daran, wie einfach es gewesen war, einen Menschen zu töten. Er hatte nicht einmal geschrien. Sie stierte in die Dunkelheit. Schuldig fühlte sie sich nicht. Was hätte sie sonst tun sollen? Außerdem wusste sie ja, was mit ihr geschehen wäre, hätte sie nicht gehandelt.

Ulrich ächzte jetzt bei dem Bemühen, das Boot aus der Strömung an Land zu steuern. Bäume und Sträucher konnte sie in ihren Umrissen schon klar erkennen, aber immer noch bewegten sie sich schnell an ihnen vorüber. Der Fluss drängte sie weiter, schob sie auf die Brücke zu.

Unvermittelt hörte der Schub unter dem Boot auf, Ulrich hatte es geschafft. Einen Moment glitt das Boot ohne Ruderschlag dahin, scheuerte dann über den Grund.

Ulrich sprang ins Wasser, wollte das Boot noch ein Stück weiter an Land ziehen, da schlug vor ihnen ein Hund an. Nur kurz erst, dann aber wütend und andauernd.

Mist, verdammter!“ Ulrich schob das Boot zurück in die Strömung. Noch ein ganzes Stück von ihnen entfernt waren Stimmen zu hören, ein merkwürdiges Grummeln, einer rief dem anderen etwas zu, bekam Antwort.

Die sind jetzt schon auf der Brücke und haben den Hund gehört. Jetzt müssen wir´s packen oder sie packen uns!“

Er ließ das Boot still mit der Strömung gleiten, versuchte Umrisse am Ufer zu erkennen, um sich zu orientieren.

Ah Mann! Wir fahren auf das kleine Wehr zu!“

Sie richtete ihr Ohr in die angegebene Richtung, in die sie jetzt langsam, aber unablässig trieben: Leise noch, aber unmissverständlich deutlich rauschte es zu ihnen herüber.

Jetzt müssen wir raus!“ Er legte sich wieder kraftvoll in die Riemen, steuerte das Boot zum Ufer, quetschte zwischen den Zähnen durch: „Hoffen wir mal, dass wir nicht in die Traufe kommen.“

Am Ufer glitten sie unter die Zweige einer überhängenden Weide, die dort stand, als wäre sie für ihr nächtliches Abenteuer gepflanzt worden.

Einen Moment hielten sie das Boot ans Ufer gedrückt, rührten sich nicht vom Fleck. Aber in ihrer direkten Umgebung gab es offensichtlich niemanden.

Bleibt noch einen Augenblick. Wartet ruhig!“ Er hatte das noch im Wasser liegende Boot verlassen, bevor sie überhaupt etwas entgegnen konnte.

Still saß sie da, hörte das Glucksen des Wasser, nicht weit entfernt rauschte das Wasser über das Wehr, und plötzlich überkam es sie: Es dauerte viel zu lange! Vorsichtig erhob sie sich, wollte das Boot verlassen, da stand er wieder vor ihr.

Ich glaube, ich habe es! Kommt, rasch!“ Er half ihr aus dem schwankenden Boot, schob dieses dann mit Macht weit in die Strömung zurück und zog sie hinter sich her. Zuerst hatte sie den Eindruck, über eine kleine Wiese zu laufen, konnte dann aber sehr schnell die überall herumliegenden Trümmerteile erkennen. Übergangslos hetzten sie gleich darauf zwischen Schuttbergen und den Resten von Häuserwänden hindurch.

Seht ihr überhaupt etwas? Ihr rennt hier durch, als wäret ihr hier zu Hause!“

Das wäre mein Traum! Nein, ich sehe nicht mehr als ihr! Aber ich hänge an meinem Leben. Und ich habe die Burschen eben gehört, die sind schon ziemlich nah!“ Er zog sie durch eine Öffnung in etwas hinein, augenblicklich war es absolut dunkel.

Wir sind hier in einem Kirchturm! Schaut nach oben! Ihr seht das Loch! Von dort hängt das Glockenseil herunter. Die Glocke wurde gestohlen und wohl mit dem Seil heruntergelassen. Das Seil muss uns halten.“

Sie sah hinauf, und schon das nur mit Grausen: Die Öffnung erschien ihr - kaum erkennbar - wohl haushoch über ihr!

Ulrich, ich mache alles Mögliche, aber ich kann nicht am Seil klettern!“

Er griff nach dem Seil, war offensichtlich entschlossen, „Dieser Turm ist unsere Rettung oder unsere Falle. Aber eine andere Möglichkeit sehe ich nicht! Und jetzt wird es Zeit!“ Er hob das Seil soweit an, dass sie es anfassen konnte.

Hier unten am Seil ist ein dicker Knoten! Zieht euch mit den Armen hoch, stellt euch auf den Knoten und haltet euch ganz fest!“ Er ließ das Seil los, sie führte aus, was er gesagt hatte, es ging!

So machen wir es! Ich klettere hoch, ihr steigt dann wie gerade auf den Knoten und ich ziehe euch nach oben. Schaut nach oben, nicht nach unten und haltet euch so fest ihr könnt! Also: Nur da oben haben wir eine Möglichkeit!“

Ein ganzes Stück weg vom Turm rief jemand, rief, als habe er etwas entdeckt, ein anderer antwortete, war offenbar schon etwas näher.

Es muss gelingen!“ Sie spürte, wie er sich an ihr vorbei nach oben zog. Sah auf das schattenhafte Rechteck über ihr, bangte. Draußen rief wieder jemand – schon sehr nahe; wie viele da wohl nach ihnen suchten. Ulrich tauchte merkwürdig hin- und herzappelnd in dem Rechteck auf, war schon verschwunden.

Sie musste mehrmals greifen, bis sie das schwingende Seil zu fassen bekam, stellte sich auf den Knoten und hielt sich fest und hatte plötzlich Sorge, dass ihr vor Zittern der Knoten unter den Füßen entgleiten könnte.

Fertig?“ Er wartete ihre Antwort nicht ab, hatte ihr Gewicht gespürt und zog sie ziemlich schnell vom Boden weg in die Höhe. Dann stockte das Ganze einen Augenblick. Sie ruckte ein kleines Stück wieder abwärts, klammerte sich fest an ihr Seil, sah zur Öffnung hinauf. Und wieder ging es weiter, langsamer jetzt, ein kleineres Stück, und wieder einen Augenblick Stillstand. Die Öffnung war jetzt nur noch eine Mannshöhe über ihr, sie hörte Ulrich keuchen, es dauerte länger als sonst und das Seil begann sich langsam zu drehen. Sie schloss die Augen, legte den Kopf gegen das Seil, klammerte sich fest und verbot sich, den Gedanken, wie tief der Boden jetzt unter ihr war, weiter zu denken. Das Seil ruckte! Und dann war sie oben! Machte rasch einen Schritt zur Seite, weg von der Öffnung, und setzte sich dann einfach hin.

Sie zitterte immer noch am ganzen Körper, sah Ulrichs Schatten, der vorsichtig eine riesige Luke umlegte und die Öffnung so verschloss.

Er setzte sich ein kurzes Stück weg von ihr an die Mauer, schnaufte immer noch. Sie wagte erst mal nicht, sich weiter zu bewegen, zog die Beine an, legte die Unterarme auf die Knie und den Kopf darauf, horchte auf ihre Umwelt.

Schon im nächsten Augenblick fuhr ihr Kopf wieder hoch, sah sie zu Ulrich, der sein Schnaufen unterdrückte, den Zeigefinger vor den Mund hielt.

Unter ihnen, unten im Turm, da war jemand, hatte auf einen Stein getreten oder ihn geräuschvoll an die Seite getreten. Jetzt brummte er ruhig vor sich hin, blieb aber wo er war. Sie wagte kaum zu atmen, bewegte sich kein Haar breit und starrte an die dunkle Wand gegenüber.

Der unter ihnen brummte im Dunkel vor sich hin, brummte wie ein zufriedener Bär, schien sich in dem dunklen Raum unter ihnen wohl zu fühlen.

Dann, ohne Vorwarnung, von draußen und unterhalb von Ulrich:

He, Lafall! Bist du noch da drin?“

Der unter ihnen brummte weiter, ohne in besonderer Weise zu reagieren.

Von der anderen Seite des Turmes, langsam und triefend: „Vielleicht hat er sie ja gefunden. Wer weiß, was der jetzt da drinnen macht!“

´Der da drinnen´ zeigte keinerlei Reaktion, brummte in dem dunklen Loch weiterhin zufrieden vor sich hin, schien entschlossen, die Welt zu ignorieren.

He, Lafall! Komm jetzt endlich da raus!“

Das Brummen unter ihnen riss schlagartig ab, „Ja! Verdammt noch mal! Könnt ihr Arschlöcher einen nicht mal in Ruhe scheißen lassen! Mein Gott! Endlich mal scheißen in aller Ruhe, ganz für sich allein, von niemandem gestört! Und dann kommt ihr Arschlöcher: Lafaal! –Lafaal!“

Das letzte ´Lafaal´ ließ erkennen, dass er dabei war, den Turm wieder zu verlassen. Und dann hörte man ihn auch schon draußen, während die anderen über ihn lachten und sich alle in Richtung Stadt entfernten.

Ihr Kopf beugte sich wieder nach vorn auf die Arme, ihr schräg gegenüber atmete Ulrich kraftvoll durch Mit geschlossenen Augen folgte sie den Stimmen, die sich entfernten, die immer leiser wurden und endlich nicht mehr zu hören waren.

Um sie herum herrschte Schweigen, als wären sie allein auf der Welt. Sie saß in einem Kirchturm, hoch über dem Boden, unbemerkt von der Welt und nur von Schweigen umgeben.

Sie ließ sich einfach nach hinten sinken, lag dann mit geschlossenen Augen da, hörte Ulrich an der Wand atmen.

Ihr war nicht kalt. Die Wärme des Tages hielt sich offenbar hier oben im Turm. Wenn sie die Augen öffnete, konnte sie nicht weit über sich undeutlich die Balken der Turmhaube erkennen. Sie folgte den Balken mit den Augen, kam bis zu einer Stelle, an der ein Stück Dachhaut fehlte und sich das Draußen etwas heller abhob.

Wir werden hier die Nacht über bleiben müssen.“

Hm.“ Ihr Blick glitt an den Balken herunter , musste sich hart zur Seite wenden, erkannte seinen dunklen Umriss, eine Armlänge von ihr entfernt.

Sie lag auf dem Boden neben ihm, sah wieder nach oben, erwog nicht, sich aufzusetzen, hörte ihn ruhig atmen. Er war um einige Jahre jünger als sie.

Woran denkst du?“ Sie hörte seine Stimme leise, sehr warm, spürte, dass er sie erreichte.

Ah, mir gingen die Kerle da draußen durch den Kopf.“

Die Kerle. – Die sitzen schon wieder in der Herberge. Wir haben das ganze Reich für uns.“

Sie wandte sich wieder hart zur Seite, sah zu ihm auf, einige Atemzüge lang schweigend. „Und du, woran denkst du?“

Ich denke, ich möchte dich jetzt endlich küssen!“ Leise gesprochen hing Ulrichs Satz einen Augenblick über ihr in der Stille.

Das könnte dich das Leben kosten!“

Sie sagte das genauso leise, bewegte sich nicht um Haaresbreite.

Er legte sich dicht neben sie, ohne sie zu berühren, stütze seinen Kopf auf die Hand.

Das solltest du dir überlegen. Ohne mich kommst du nicht wieder hier runter.“

Sie wandte sich ihm zu, konnte dunkel seine Umrisse ausmachen, hörte ihn leise atmen, roch seinen Körper, schwieg einfach.

Er beugte sich zu ihr herunter, „Dann werde ich jetzt mein Leben riskieren.“

Ihr Körper verspannte sich, ihre Hand tastete, keinem bewussten Befehl gehorchend, nach dem Messer.

Er hielt einen Augenblick inne, ließ nur seine Hand langsam durch ihr Haar gleiten, sanft über ihre Schläfe, ihre Wange streichen, ließ sie dort liegen.

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