Kitabı oku: «Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46», sayfa 4

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Die Schwierigkeiten mit dem Tatbestand „Angriffskrieg“

Der Versailler Friedensvertrag mit seinen Bestimmungen über die individuellen Verantwortlichkeiten für den Angriffskrieg und Kriegsverbrechen wurde in Nürnberg als rechtliche Begründung für das Statut des IMT erstaunlich wenig angeführt. Auch Jackson geht nur en passant darauf ein.69 Allerdings war der Anklagepunkt „Verbrechen gegen den Frieden“ in der Arbeitsteilung der Ankläger ja dem britischen Vertreter zugeteilt worden. In seiner Rede geht Jackson dennoch mit einiger Ausführlichkeit auf die Fragen der Legitimität von Kriegen ein. Er blickt auf die Geschichte der Lehre vom gerechten Krieg bei Thomas von Aquin und Hugo Grotius und bedauert deren Verabschiedung durch die „nichtswürdige Doktrin“70 des Völkerrechts im Zeitalter des Imperialismus, das jeden Krieg als Ausdruck legitimen staatlichen Handelns betrachtete. Nachdem er „Schreckensherrschaft und Kriegsvorbereitung“ sowie „Angriffsversuche“71 dargestellt hat, kommt er ausführlicher zum „Angriffskrieg“.72 „Ganz allgemein gesehen, wird unsere Beweisführung ergeben, daß sich die Angeklagten alle zu irgendeiner Zeit gemeinsam mit der Nazi-Partei zu einem Plan zusammengetan hatten, von dem sie wohl wußten, daß er nur durch den Ausbruch eines Krieges in Europa verwirklicht werden konnte.“73 Jackson sieht die Angeklagten als Vertreter einer nationalistischen, militaristischen, von Rassenhass geprägten imperialistischen Politik.74 Hier macht er den Unterschied zu anderen Nationen aus, die ja durchaus auch von imperialistischer Gewalt oder von Rassenhass geprägt seien. Das Spezifische, und Illegale des Krieges (nicht des Unterdrückungs- und Vernichtungsprogramms) der Nazis besteht für ihn in seiner besonderen politisch-militärischen Zielsetzung, nämlich in der Herrschaft über das europäische Festland, um „Lebensraum“ und Ressourcen zu gewinnen, was die direkte Unterdrückung und Ausbeutung anderer Völker bedeutete, einschließlich der Vernichtung der Juden.75

Angesichts Jacksons völkerrechtlicher Generallinie, die „Folgerichtigkeit“ des Angriffskriegs vom Programm der NSDAP bis zum Angriff auf die Sowjetunion nachzuweisen, treten die historischen Fragen nach dem politischen Kontext dieser Expansionspolitik zurück. Rechtlich gesehen sind sie für ihn ohne Relevanz, und so streift er sie nur am Rande. Welche falschen Signalwirkungen gingen zum Beispiel von der zögerlichen Politik der Westmächte angesichts der Rheinland-­Besetzung 1936 oder vom Münchner Abkommen von 1938 aus? In Jacksons Argumentationslinie sind solche Ereignisse nur ein weiterer Baustein im langen Plan für den großen Angriffskrieg. Der Überfall auf die Tschechoslowakei im März 1939 ist ihm immerhin den Kommentar wert: „Wieder war der Westen bestürzt, aber er fürchtete den Krieg.“76 Das Fehlen einer umfassenderen Sicht auf die Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs haben Historiker Jackson und überhaupt dem IMT häufig vorgeworfen.77

Solche Einwände übersehen allerdings, dass es am IMT nicht um eine historische Gesamtbewertung ging, sondern um die Feststellung von internationalen Rechtsverstößen. Noch so naive oder fehlgeleitete Versuche, den drohenden Krieg zu vermeiden, gehören dazu nicht. Sie sind auch kein rechtliches Argument zur Entschuldigung eines Angriffskriegs und gehörten insofern auch nicht in Jacksons Beweisführung. Das gilt selbst für den von Jackson kurz angesprochenen,78 und von der Verteidigung und großen Teilen der Öffentlichkeit immer wieder angeführten Nichtangriffspakt Hitler-Deutschlands mit der Sowjetunion von 1939. Zwar machte dieses Geheimabkommen die Sowjet­union objektiv zum Mittäter des Angriffskriegs und ihre Position als Ankläger in Nürnberg unglaubwürdig,79 den deutschen Angriffskrieg damit aber nicht weniger völkerrechtswidrig. Dass das Gericht Fragen nach dem Ribbentrop-Molotow-Pakt nicht zuließ, gehört dennoch zu den fragwürdigsten Details des Prozesses.

Eine zweite letztlich nicht beantwortete Frage war die nach dem Endziel der NS-Eroberungspolitik. Bezog sie sich auf „die Weltherrschaft“ oder auf ein europäisches Imperium? Was das Ziel im Kern ideologisch (Rassenpolitik, Antibolschewismus) oder eher klassisch imperialistisch? Welchen Wandlungen war diese Politik unterworfen? Auch solche Fragen musste sich Jackson als Strafverfolger nicht unbedingt stellen. „Die genauen Grenzen ihres Ehrgeizes brauchen wir nicht zu umschreiben, denn ein Angriffskrieg war und ist gegen Vertrag und Gesetz, gleichgültig ob es um einen großen oder einen kleinen Einsatz geht“, erklärte er.80 Sie werden aber relevant, wenn es ihm darum geht, das Einmalige des NS-Angriffskriegs auch im Vergleich zu anderen Eroberungskriegen herauszuarbeiten, zumal wenn er im Sinne der Verschwörungsanklage die Zielgerichtetheit und das Element einer verbrecherischen Planung im großen, staatlichen Maßstab zeigen will, das, was er als „Verbrechen gegen die Gemeinschaft der Völker“81 bezeichnet. Dies war nicht unproblematisch, denn Nazi-Deutschland war nicht der erste Staat, der zum Großreich werden wollte. Bei ihrer völkerrechtlichen Legitimierung der nationalsozialistischen Expansionspolitik hatten sich Hitler selbst82 und namhafte NS-Juristen wie Carl Schmitt,83 Friedrich Berber84 oder auch der Nürnberger Verteidiger Hermann Jahrreiß85 nicht zuletzt auf die US-amerikanische Monroe-­Doktrin bezogen, die sie von der Postulierung einer Einflusssphäre zu einer imperialen Großraumpolitik in Analogie zur NS-Eroberungspolitik umfälschten.

Jackson geht auf diese „Antworten auf Roosevelt“ natürlich nicht ein, ebenso wenig auf die Frage nach der Legitimität kolonialer Eroberungskriege, obwohl hier durchaus ein Dissens zwischen der Roosevelt’schen Vision einer neuen Weltordnung und Frankreichs und Großbritanniens Beharren auf der Rechtmäßigkeit ihrer Kolonialimperien bestand. Wenn Jackson allerdings sein Bedauern über die Entwicklung vom universellen, naturrechtlich begründeten Völkerrecht eines Grotius hin zum imperialistischen Völkerrecht, das eben Kriege gegen „unziviliserte Völker“ grundsätzlich rechtfertigte,86 ernst meinte, wäre hier eine deutlichere Sprache angebracht gewesen, die sich freilich, wie so Manches im Prozess, aus diplomatischen Rücksichten verbot.87 Diese Fragen blieben aber, trotz der Vermeidung durch die Ankläger, im Verfahren auf die eine oder andre Weise präsent.

Jackson konzentrierte sich hier jedenfalls, streng in der Rolle des Juristen, darauf, die Kombination von Planung, verbrecherischen Zielen und gesellschaftlicher wie wirtschaftlicher Wucht herauszuarbeiten, mit der Deutschland den Krieg plante und durchführte. Der Rechtsbegriff, den er dafür in das IMT einführte, ist die „Verschwörung zur Führung eines Angriffskrieges“.

Die Schwierigkeiten mit dem Tatbestand „Verschwörung“

Für diese Beweisführung waren allerdings die tatsächlich in Nürnberg vor Gericht stehenden Angeklagten nur bedingt geeignet. Sind sie wirklich die Anstifter und Rädelsführer, die Europa mit gewalttätiger Rechtlosigkeit überzogen haben?88 “Conspiracy” war erst im Frühjahr 1945 auf die Tagesordnung gekommen. Im erwähnten Memorandum vom 22. Januar 1945 wurde Präsident Roosevelt für die Jalta-Konferenz als Anklagepunkt die Beteiligung und Durchführung der Angeklagten an einem verbrecherischen Gesamtplan von Anfang an empfohlen. Vor allem die Franzosen wandten sich auf der Londoner Konferenz aber zunächst entschieden gegen dieses ihrer Rechtsordnung fremde Konzept.89 Nach heftigem Streit einigte man sich aber dennoch auf die Formulierung des Art. 6 des IMT-Statuts, die „Verschwörung“ zwar nicht als eigenen Anklagepunkt bzw. Straftatbestand aufführt, aber doch als Nachsatz zu den drei materiellen Anklagepunkten:90

„Anführer, Organisatoren, Anstifter und Teilnehmer, die am Entwurf oder der Ausführung eines gemeinsamen Planes oder einer Verschwörung zur Begehung eines der vorgenannten Verbrechen teilgenommen haben, sind für alle Handlungen verantwortlich, die von irgendeiner Person in Ausführung eines solchen Planes begangen worden sind.“

“Conspiracy” bildete für Jackson die notwendige Klammer zwischen allen Angeklagten als „Nazi-Verschwörern“ und den einzelnen Personen, die mehr oder eben auch weniger mit dem Angriffskrieg zu tun hatten. Die Bedeutung des Begriffs war mehrschichtig. Zum einen sah man anfangs darin eine Möglichkeit, die Verbrechen der Nazis gegen die eigene Bevölkerung auch vor dem Krieg als Teil der Verschwörung mit zu erfassen. Zum andern schien der Punkt auch wichtig für die Anklage der NS-Organisationen als verschwörerischen kriminellen Vereinigungen für die Durchführung der NS-Verbrechen. Schon in London zeichnete sich allerdings ab, dass der Verschwörungsvorwurf nur auf das Verbrechen gegen den Frieden angewendet würde. Nach Jacksons emphatischer Betonung des Verschwörungstatbestands in seiner Eröffnungsrede verlor das Konzept, auch wegen des Desinteresses der übrigen Ankläger, immer mehr an Bedeutung und spielt auch im Urteil eine untergeordnete Rolle. Obwohl alle Angeklagten auch der Verschwörung beschuldigt wurden, verurteilte das Gericht am Ende nur acht der 21 Angeklagten deswegen.91

Verbrechen von Deutschen an Deutschen

Was war das Ziel dieser groß angelegten Verschwörung? In Jacksons Sicht in erster Linie der Eroberungskrieg, auch wenn es ihm nicht notwendig schien, dessen Ziele genauer zu definieren, da ja der Angriffskrieg unabhängig davon schon ein Verbrechen war.92 Das Konstrukt der Verschwörung erlaubte ihm aber auch, Verbrechen der Nazis vor dem Krieg, einschließlich der Verbrechen gegen die deutsche Bevölkerung selbst, in die Anklage einzubeziehen:

„Wohl lassen sich geographisch und zeitlich die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zusammenfassen und unterscheiden: einmal innerhalb Deutschlands vor und im Kriege, und zum anderen in den besetzten Gebieten während des Krieges. In den Plänen der Nazis aber waren sie nicht voneinander getrennt. Sie gehören zu dem einheitlichen und fortlaufend betriebenen Plan, Völker und Einrichtungen auszurotten, von denen einmal der Sturz ihrer „neuen Weltordnung“ ausgehen könnte. Wir betrachten daher in unseren Darlegungen diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit als Ausdruck eines einheitlichen Planes der Nazis…“93

In London hatte er Ende Juli hinter verschlossenen Türen in dieser Frage sehr viel härter argumentiert und erklärt, dass „die Art, wie Deutschland seine Bewohner behandelt, oder wie irgendein anderes Land seine Einwohner behandelt,“ die USA so wenig anginge wie es umgekehrt keinem andern Land zustehe, sich in die inneren Probleme der USA einzumischen. Auch die Judenvernichtung werde erst zu einer Angelegenheit von internationaler Bedeutung, wenn sie als Teil der Planung für einen illegalen Krieg zu betrachten sei. Andernfalls, so Jackson, „denke ich, haben wir keine Grundlage, uns mit diesen Verbrechen (“atrocities”) zu beschäftigen.94 In der gleichen Sitzung ließ Jackson auch ein Motiv erkennen, das ihn zu dieser restriktiven Haltung bewog: „In unserm eigenen Land gibt es gelegentlich einige bedauerliche Umstände, wo Minderheiten unfair behandelt werden.“95 Anschließend betonte er ausdrücklich, dass selbst die Konzentrationslager nur deswegen Gegenstand internationalen Rechts sein könnten, weil sie der Vorbereitung oder Durchführung des illegalen Kriegs dienten.

In der Nürnberger Rede setzt Jackson die Betonungen anders. Die Bedenken, dass durch eine von der Kriegsverschwörung losgelöste Anklage von NS-Verbrechen gegen deutsche Juden oder Oppositionelle ein auch für die Ankläger gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden könnte, werden nicht mehr ausgesprochen. Stattdessen werden diese Verfolgungen ausführlich vorgetragen, um die ganze Grausamkeit der Angeklagten zu illustrieren. Aber sie bleiben eingebettet in den großen verschwörerischen Plan der Nazis, den “Nazi Plan”.

Der Nazi Master Plan

Die Vorstellung von einer umfassenden Verschwörung zur Begehung der NS-Verbrechen war ein zentrales Anliegen von Jacksons Anklage. Wie ein roter Faden durchzieht Jacksons Anklage die Rede von einem gemeinsamen Plan und überhaupt von Plan und Plänen:

„Es ist nicht meine Aufgabe in diesem Prozeß, mich mit den einzelnen Verbrechen zu beschäftigen. Ich habe mich mit dem gemeinsamen Plan oder der Absicht des Verbrechens zu befassen und will mich nicht bei einzelnen Verstößen aufhalten. Ich habe nur zu zeigen, in welchem Umfange sich diese Verbrechen zugetragen haben; und ferner, daß diese Männer hier in den verantwortlichen Stellen waren, daß sie die Pläne und die Entwürfe erdacht haben, für die sie daher verantwortlich sind, wenn die tatsächliche Ausführung auch anderen überlassen blieb.“

Dieser gemeinsame Plan war die Verschwörung, an deren Nachweis den Amerikanern vor allem gelegen war, um die Anklage in den eigentlichen substantiellen Anklagepunkten zu untermauern. Aber die ständige Rede vom Plan war nicht nur prozesstaktisch. Dass die Nazis ihre Verbrechen planmäßig begingen, hat Jackson geradezu obsessiv beschäftigt und empört. Die Grundidee dafür ist, wie so Vieles, schon in den Dokumenten, die das OSS vorbereiten ließ, zu finden. Es war Herbert Marcuse, der mit Datum vom 7. August 1945 ein für OSS-Erfordernisse außergewöhnlich umfangreiches Dokument unter dem Titel “Nazi Plans for Dominating Germany and Europe: The Nazi Master Plan” vorlegte.96

Während des IMT wurden mehrmals filmische Dokumente als Beweismittel eingebracht. Zur Feststellung der individuellen Schuld der Angeklagten trugen sie wenig bei, sie sollten vor allem die Gesamtsicht der Ankläger auf das verbrecherische System der Nationalsozialisten sichtbar und auch psychologisch wirkungsvoller als die ermüdende Verlesung der Dokumente machen. Die Grundlage dafür bildete Art. 19 des Londoner Statuts, der ausdrücklich bestimmte, dass das Gericht nicht an die üblichen Beweisregeln gebunden sei, sondern „jedes Beweismaterial, das ihm Beweiswert zu haben scheint,“ zulassen konnte. Neben dem bekannten Film “Nazi Concentration Camps”, den Jackson schon am 29. November 1945 vorführen ließ, und dessen Bilder noch heute prägend für die Grausamkeiten des NS-Terrors sind, war dies vor allem der vierstündige Film “The Nazi Plan”, den die amerikanische Anklage am 11. Dezember 1945 präsentierte. Auch diese Filme wurden von einem Team des OSS produziert, das dazu renommierte Regisseure beizog.97

Jackson nahm in seiner Rede auf beide Filme Bezug. Von dem in aller Eile zusammengeschnittenen KZ-Film sagte er voraus, dass er den Zuschauern den Schlaf rauben werde. Aber die „Beweisstücke, die wir vorlegen, werden überwältigend sein“, fuhr er fort, und schloss sich dabei ein: „Ich gehöre zu denen, die während des Krieges die meisten Greuelgeschichten mißtrauisch und mit Zweifel aufgenommen haben.“98

Der Film über den “Nazi Plan” sollte im Gegensatz dazu auch die konkrete Verantwortlichkeit einzelner Angeklagter untermauern. Dank ihrer Eitelkeit hätten sich die Angeklagten gerne selbst ins Bild gesetzt, erklärte Jackson. „Wir werden Ihnen ihre eigenen Filme zeigen. Sie werden ihr eigenes Gehaben beobachten und ihre eigene Stimme hören, wenn die Angeklagten Ihnen von der Leinwand her noch einmal einige Ereignisse aus dem Verlauf der Verschwörung vorführen werden.“ Nach den Eindrücken des Gefängnispsychologen waren die Angeklagten von sich selbst bei der Vorführung von “The Nazi Plan” begeistert.99 Doch bei diesem Film ging es weniger um den psychologischen Effekt als um die visuelle Untermauerung der Verschwörungsanklage. Tatsächlich folgt der Film in seinem Aufbau, den der Hilfsankläger James Donovan (nicht zu verwechseln mit dem OSS-Chef William Donovan, der bereits abgereist war) vor der Vorführung erläuterte,100 in etwa der Gliederung des langen Dokuments von Marcuse mit dem fast identischen Titel. Ob Marcuses Text dabei direkt das Drehbuch des Films beeinflusste, ist bisher nicht dokumentiert, im Vor- und Abspann gibt es keinen Hinweis. Da diese Texte der R&A-Abteilung aber direkt mit Blick auf die Prozessvorbereitung geschrieben wurden, liegt es nahe, dass sich die Autoren, darunter Budd Schulberg, an Marcuses Gliederung orientierten, auch wenn die Struktur des Films natürlich wesentlich von dem verfügbaren Filmmaterial abhing. Wie Budd Schulbergs Nichte Sandra berichtet, wurde der Film am Ende “Hand in Hand” von den Regisseuren und dem Anklägerteam zusammengestellt.101 Jedenfalls entsprach er in mehrerer Hinsicht Jacksons Prozessstrategie: Er ließ die Nazis für sich selbst sprechen, selbst auf das erwähnte Risiko hin, dass sie sich daran ergötzten, und verzichtete auf Kommentar. Er erzählte die Geschichte des Nationalsozialismus als Geschichte einer großen Verschwörung, eben des Nazi Plans, und er führte in Gestalt von Roland Freisler das Bild eines Richters vor, gegenüber dem sich das Nürnberger Gericht als vollkommenes Gegenbild verstand und gesehen werden wollte.

Der Film macht noch ein Weiteres deutlich: Wenn Jackson ihn ausdrücklich einsetzt, um die Verschwörer bei ihren eigenen verschwörerischen Taten zu „zeigen“, wird klar, dass der Begriff der “Conspiracy” in der deutschen Übersetzung als „Verschwörung“ zu semantischen Missverständnissen führen musste, die die Plausibilität dieses Anklagepunkts weiter minderten. Denn an dieser Verschwörung war ja offenbar nichts Heimliches, sie fand vor Aller Augen statt. Insofern war die Rede vom “Plan” oder “Nazi Master Plan” zweifellos treffender für das, was Jackson im Sinn hatte und was mit dem juristischen Begriff der Conspiracy im Kern gemeint ist.

Die Opfer der Verschwörung: Arbeiter, Christen, Juden

Begründung und Erläuterung der Anklagepunkte bilden den Hauptteil der Rede. Aber im Unterschied zur Anklageschrift stellt Jackson an den Beginn eine ausführliche Schilderung des Weges der NSDAP an die Macht. Das ist aus Gründen der Chronologie und auch im Sinne der Verschwörungsthese naheliegend. Er will – wiederum mit den Kriterien des Juristen und nicht denen des Historikers – die verbrecherischen Züge herausarbeiten: Nicht dass eine Partei die nationale Selbstbestimmung gegen die Versailler Verträge auf ihre Fahnen schreibt, ist sein Vorwurf, sondern dass von Anfang an klar war, dass sie die Revision von Versailles und die weitergehenden Ziele unbedingt und notfalls mit Aufrüstung und Krieg102 durchsetzen will; dass Juden von Anfang an unter diskriminierende Gesetze fallen und aus öffentlichen Ämtern entfernt werden sollen; dass die Zeitungen von Anfang an als Systempresse angegriffen werden; dass gegen Gemeinschaftsschädlinge gehetzt wird; dass der Glaube an die germanische Rasse als neue Religion durchgesetzt werden soll. Die NSDAP ließ sich nicht auf die Konkurrenz der Parteien in einer pluralistischen Demokratie ein, sie verfolgte ihre Ziele notfalls gewaltsam. Jackson verweist auf die Doppelstrategie von Gewalt und parlamentarischem Weg. Das erste Ziel im Rahmen des Gesamtplanes war der totalitäre Polizeistaat,103 das nächste die Befestigung der Nazi-Macht, dann die Herrschaft über Europa.

Neben dem Parteiprogramm, der Schrift „Mein Kampf“ und den tatsächlichen Stationen von Machtergreifung, Terror und Kriegsvorbereitung identifiziert Jackson den „Vernichtungsplan des Nazi-­Programms“104 am deutlichsten in einem brieflichen Statement des Generaloberst von Fritsch vom 11. Dezember 1938, in dem dieser drei zu gewinnende Hauptschlachten benennt.105 Jackson gliedert seine Analyse analog zu diesen drei vom deutschen General markierten Gruppen.106 Er stützt sich also auf eine eher marginale Äußerung, die sicherlich die NS-Ideologie kennzeichnet, aber kaum beanspruchen kann, die Entwicklung der NS-Politik maßgeblich beeinflusst zu haben und gewiss keine bedeutende historische Quelle darstellt.

Der amerikanische Liberale Jackson scheut sich, direkt die Organisationen der Arbeiterbewegungen in Deutschland zu nennen und spricht lieber etwas zu allgemein von „den Arbeitern“. Auch der Bolschewismus als der von den Nazis deklarierte Hauptfeind kommt in der Rede nicht vor. Aber ohne Zweifel war ein Hauptziel des Nationalsozialismus, die SPD und vor allem die KPD auszuschalten. Auch der indirekte Bezug auf die Organisationen der Arbeiterbewegungen als internationale und damit nicht-nationalistische und nicht-­militaristische, sondern eher pazifistische Strömungen ist plausibel, ebenso wie der auf das Judentum als den „Hauptfeind“ in der ideologischen Schlacht. Das Ziel des Planes, so Jackson, konnten die Nationalsozialisten hier nahezu ganz erreichen, geschätzte 60 Prozent der europäischen Juden seien ermordet worden.107 In der Rede kommen hier auch schon detaillierte Zahlen und Beispiele vor: Vernichtung der Juden in Litauen, nachgewiesen durch den Bericht des Gebietskommissars von Sluzk vom 30. Oktober 1941,108 Vernichtung des Warschauer Ghettos, nachgewiesen durch Stroops Bericht,109 usw.

Schwerer nachvollziehbar ist die herausragende Bedeutung, die Jackson der Verfolgung der christlichen Kirchen, auf einer Ebene mit der Arbeiterbewegung und mit dem Judenmord, beimisst. Die christlichen Kirchen sollten, so das Ziel der Nationalsozialisten, keine Macht über die Deutschen mehr haben. Das Christentum ist vielfach mit Recht als einer der geistigen Hauptgegner beschrieben worden.110 Aber waren die Kirchen damit schon zum Hauptfeind neben Judentum und Arbeiterbewegungen geworden? Jacksons Beispiel aus Baden-Württemberg ist schwach und erscheint eher zufällig.111 Der NS-Staat schloss mit dem Vatikan 1933 ein Konkordat ab, sodass die Katholische Kirche in Deutschland in ihrer institutionellen Funktionalität bestehen bleiben konnte – trotz der oft scharfen Auseinandersetzungen und der Verfolgung einzelner Priester.112 Auch die Evangelischen Landeskirchen blieben als Institutionen unangetastet; das Projekt „Deutsche Christen“ scheiterte letztendlich. Die „Bekennende Kirche“ konnte nicht wirklich ein Machtfaktor werden.113 Was Jackson bewog, den christlichen Kirchen im Rahmen der Darstellung der Entwicklung der Nazi-Verschwörung so großen Platz in seiner Rede einzuräumen, ist nicht nachgewiesen, es sei denn man nähme für bare Münze, dass er der Aufzählung des Generals Fritsch’s folgte. Die von ihm viel herangezogenen R&A Analysen des OSS enthalten Derartiges jedenfalls nicht, sieht man von einer knappen Liste bei Marcuse ab, der unter den verfolgten Gruppen nach den Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftern ebenfalls „militante Priester“ beider Kirchen aufzählt.114

Den größten Raum und die größte Emphase reserviert Jackson bei seiner Beschreibung des Nazi Plans jedoch den Juden. Fast ein Sechstel seiner gesamten Rede ist den „Verbrechen gegen die Juden“ gewidmet, mit dem er nach der Pause am Nachmittag des 21. November seine Rede fortführt. Diese besondere Hervorhebung der „meisten und wildesten Verbrechen“ der Nazis, wie Jackson gleich eingangs die Judenverfolgung bezeichnete, ist umso bemerkenswerter, als diese gar nicht in seinen eigentlichen Aufgabenbereich, die Darstellung der Verschwörung, fielen. Entgegen der später im Prozess allgemein akzeptierten Beschränkung des Verschwörungsvorwurfs auf die Kriegsvorbereitung bezieht Jackson hier noch sehr klar die Vernichtung der Juden mit ein:

„Die Verschwörung oder der gemeinsame Plan, die Juden auszurotten, wurde so überlegt und gründlich betrieben, daß dieses Ziel der Nazis trotz der deutschen Niederlage und trotz ihrem Sturze weitgehend erreicht worden ist.“115

Wie kaum an einer anderen Stelle seiner Rede zeigt Jackson hier auch persönliche Gefühle, wenn er sich direkt an die Richter (und indirekt an Alle) wendet und erklärt, es falle ihm schwer, in die Gesichter von Menschen zu blicken, die solcher Taten fähig waren. Doch gerade dieses Zugeständnis an seine eigene emotionale Reaktion und die der Zuhörer ist ihm sogleich Argument für seine prinzipielle Linie, Emotionen aus dem Verfahren soweit als möglich herauszuhalten. „Wenn ich diese Greueltaten mit eigenen Worten wiedergäbe, – sagt er – würden Sie mich für maßlos und unzuverlässig halten.“ Und „glücklicherweise“ brauche man kein anderes Zeugnis als das der Deutschen selbst, um diese Verbrechen nachzuweisen. Und damit ist Jackson zurück im sicheren Geleis der dokumentarischen Beweisführung. Mit für die Zeit beachtlicher Detailkenntnis zeichnet er dabei nicht nur die Geschichte des deutschen Antisemitismus und dessen fortschreitender Radikalisierung nach, sondern nennt auch Zahlen, die erstaunlich nahe an denen liegen, die später die historische Forschung ermittelt hat. Inhaltlich folgt er dabei, wie oben gezeigt, den Analysen Neumanns.

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