Kitabı oku: «Nacht über der Prärie», sayfa 2
Queenie
Die Klimaanlagen waren in Betrieb, und es herrschte in den Räumen der Kunstschule jene gemäßigte, immer gleichbleibende Kühle, an deren Unnatürlichkeit Queenie sich erst hatte gewöhnen müssen.
Sie war erwacht, aber draußen war es noch dunkel. Der Brunnen, auf den sie vom Bett aus schauen konnte, war abgestellt. In den Bäumen rauschte der Nachtwind. Queenie hörte es, obgleich die Fenster geschlossen bleiben mussten. Sie hatte die Augen offen, und ihre Gedanken spielten zwischen Traum und klarem Bewusstsein.
Am vergangenen Abend hatte die Abschlussklasse das bestandene Examen gefeiert. Die Schüler und Schülerinnen der elften Klasse waren dabeigewesen. In Queenies Erinnerung zogen die Vorgänge noch einmal vorüber. Im kommenden Sommer wollte sie selbst unter denjenigen sein, die das Examen bestanden hatten und die Schule verließen. Dann würde auch sie den weiten Talar und die Kappe mit den vier Ecken tragen, die an das alte Zauberzeichen der vier Weltecken erinnerte.
»Unsere Vorfahren«, hatte der Sprecher der Klasse gesagt, »sahen den Mond und die Sonne, das Wasser und die Erde. Von ihnen lernten sie ihre Geheimnisse und ihre Kunst. Wir haben Lehrer. Wir haben gelernt. Wir werden weiterlernen. Wenn wir aber vergessen sollten, dass wir Indianer sind, so wird unsere Kunst leer werden, unsere Hände werden fahrig sein, unsere Augen trüb. Darum vergesst eure Väter und Mütter nicht, und nicht den Mond noch den Wind, nicht die Erde und nicht die Quellen. Ihr müsst wissen, woher ihr eure Kraft zieht. Ich habe gesprochen.«
Draußen rauschte es in den Wipfeln. Es war drückend heiß, selbst in der Nacht, und Wirbelstürme standen bevor.
Bis Mitternacht war Unruhe gewesen. Die Schüler und Schülerinnen hatten getanzt. Die Verwandten und Freunde, die zu der Abschlussfeier gekommen waren, hatten geplaudert. Hin und wieder hatte ein kleines Kind geweint, ehe es einschlief. Die Familien brachten alles mit, Kind und Kegel; wer sollte sich daheim auch ihrer annehmen, und auf die Mutter wollte keiner der Schüler an diesem Festtag verzichten. Aber jetzt, kurz vor Anbruch der Morgendämmerung, war es still rings um die großen Anlagen und die Gebäude der Kunstschule. Die meisten Gäste hatten mit ihren Wagen oder mit dem Bus die kleine Stadt im Süden schon wieder verlassen. Queenie träumte mit offenen Augen.
Sie hatte am Abend zwei Entscheidungen gefällt, und beide erschienen ihr richtig, je mehr sie darüber nachdachte. Sie verkaufte das Bild nicht. Dieses Bild verkaufte sie nicht. Der Mann, der es hatte haben wollen, war ein Interessent. Aber ein Mann der Geheimnisse war er nicht. Sie konnte ihm das Bild nicht geben. Nie.
Mochte er zufrieden sein mit dem Gemälde, auf dem der Schild auf rotem Grund dem Betrachter in die Augen sprang. Er hatte es teuer bezahlt. Indianische Künstler waren in Ausdruck und Technik ungewöhnlich früh reif. Wahrscheinlich hegte der Käufer auch die Hoffnung, sich mit dem hohen Preis für das erste ein moralisches Anrecht auf das zweite Bild zu erwerben.
Nein. Tashina hatte gesprochen.
Vielleicht hätte Queenie nachgegeben. Aber dieses zweite Bild hatte nicht Queenie gemalt, die den weißen Männern und Frauen von der Schönheit altindianischer Kunst neu erzählen wollte. Dieses zweite Bild war das Bild Tashinas, die in Queenie verborgen war und von der die Lehrer nichts wussten. »Ich befehle meinem Gesicht, eine Maske zu werden. Meine Gefühle sind verwundbar. Sie müssen bedeckt bleiben …« Dieser Zweizeiler war gedruckt, aber Queenie hatte nie gestanden, dass er aus ihren Gedanken geboren war. Sie hatte ihn auf einen Zettel mit Druckbuchstaben aufgeklebt, und diesen Zettel hatte sie Conny finden lassen. Conny glaubte zu wissen, was er zu tun habe. Er hatte sich bereit gefunden, ein solches Gedicht auf seinen Namen zu nehmen, obgleich die Lehrer nun Geheimnisse in seinem vordergründigen Empfinden vermuteten, zu denen er nie Zugang hatte. Queenie lächelte.
Waren Männer dumm?
Waren Künstler eitel?
Das Bild mit den offenen Händen verkaufte sie nicht. Der Lehrer meinte, dass es eine Studie sei, eine Skizze. Sie hatte dazu genickt und hatte nicht nur den Schleier ihres Schweigens über diese Hände gebreitet. Sie hatte den Geheimnisschleier geknüpft, der nach den Mythen, in denen sie erzogen war, alles schützte und barg, was mit dem Heiligen Geheimnis in Berührung stand. Der Lehrer hatte seine Überraschung gezeigt. »Originell«– sie hörte seine Stimme noch –, »höchst eigenartig, die Verbindung von zwei ganz verschiedenen Techniken: Öl … und Stoff.«
Schleier über die offenen Hände. Tashina wollte ihre Hand offen hinhalten. Aber das sollten nur die sehen, die es verstehen konnten.
Für das Gemälde mit dem Schild hatte sie soviel Geld erhalten, dass ihr fast schwindelte. Soviel Geld auf einmal sahen Vater und Mutter und die Geschwister für ihre harte Arbeit nie. Sie freute sich darauf, ihnen die Hand zu öffnen. Aber das würde nur die einfache Bewegung dieser einfachen Hand sein, die sie zuerst gemalt hatte. Die anderen Hände hatten anderes und noch viel mehr zu geben. Die anderen Hände waren größer. Diese, die das Geld geben konnte, war die kleine.
Queenie wechselte den Wachtraum und lachte auf einmal vor sich hin. Walt hatte eine Wette verloren. Er war ein hübscher Bursche, eben so frech, dass er reizvoll wirkte, und so schüchtern, dass man ihn liebhaben musste. Er konnte Spaß machen, und er konnte sentimental sein, je nachdem, ob ein Mädchen sich das wünschte. Viele Mädchen hatten sich an ihn geschmiegt und sich von ihm umarmen lassen; er war auch ein gewandter Tänzer. Mit großer Liebe und allen Wirrnissen, die dadurch entstehen konnten, hatte er nie etwas zu tun gehabt. Am hübschesten sah er aus, wenn er den Twist tanzte oder wenn er mit ernster Miene, die Zungenspitze ein wenig aus den Lippen hervorgedrängt, vor dem Bild stand, das nie der ganz große Wurf werden wollte … Walt hatte gewettet, dass es ihm gelänge, Queenie in die Arme zu nehmen. Sie hatte das nicht gewusst. Queenie war unbefangen gewesen. Walt holte sie zum Tanz, Walt plauderte mit ihr, Walt machte sie heimwehkrank und wieder fröhlich. Auf einmal waren sie allein im Garten. Der Wind rauschte noch nicht in den Bäumen, die Wagen parkten noch, aus dem Saal klang Musik, alte indianische Musik mit neuen Instrumenten. Walt wollte Queenie an sich ziehen … Sie packte sein Kinn und stieß ihn mit gestrecktem Arm zurück, mit einem so kräftigen Schwung, wie es der Tochter eines Ranchers zukam. Walt wirkte komisch mit dem nach hinten gebogenen Kopf. Queenie hatte lachen müssen. Ella, Queenies Freundin, und zwei Schüler, die an der großen Glastür des Gebäudes standen, hatten mitgelacht. Walt war abgezogen.
Ella war zu Queenie gelaufen und hatte ihr die Sache mit der Wette gestanden.
»Du bist merkwürdig«, hatte Ella dann wie nebenbei gesagt. »Ich habe gewusst, dass du dich nicht umarmen lässt. Warum eigentlich nicht?«
Queenie hatte nicht geantwortet. Sie war nur vom Lachen zum Lächeln übergegangen. Jetzt, im Wachtraum, erlebte sie das Ganze noch einmal. Sie spürte noch einmal das Vergnügen, mit dem sie Walt den Kopf zurückgebogen hatte, was ihn so komisch aussehen ließ.
Queenie streckte sich. Sie wusste, dass sie einen ebenmäßigen Körper hatte, glatte, weiche Glieder und eine Haut, so braun wie die Nuss, wenn sie eben reif wird. Sie hatte die schwarzglänzenden Haare nicht gelockt, und sie legte kein Rouge auf die Lippen. Aber sie hatte sich einen rohseidenen japanischen Schlafanzug gekauft, weil sie schön sein wollte, schön wie der Teufel, wenn er achtzehn wird.
Ella wurde jetzt auch wach. Die beiden Mädchen bewohnten zusammen ein Zimmer. Sie schliefen auf weichen Betten unter leichten Decken, der Boden war mit einem hellen Teppich belegt, die Wände mit einer stillen, schweigsamen Farbe abgeschattet, auf der die Bilder sprechen konnten. Durch die Fenster und die durchlässigen Gardinen drang der erste Morgenschimmer. Ella betrachtete ihre Freundin Queenie lange und eindringlich, und Queenie hielt den Blick mit freundlicher Miene aus, denn sie war von einer allgemeinen, unbestimmten wohltuenden Erwartung erfüllt. Heute war der erste Ferienmorgen … heute durfte sie packen … heute würde sie beginnen, nach Hause zu fahren, den weiten Weg aus dem Süden in die nördliche Prärie … fort von den spanischen Häusern mit den flachen Dächern und den schwer duftenden, bunten Gärten, hin zu den Holzhütten und graugrüner, endloser Weite.
Ella vermochte die Natur dieser Freude nicht ganz zu verstehen. Ella war im Süden daheim, und ihr Elternhaus war ein Lehmbau auf den kahlen Felsen, von denen man über Mais, Schafe und Wüste blicken konnte. Aber in Queenies Heimat gab es nicht Schafe, sondern ungesattelte Pferde und schwarze Rinder, nicht Mais, sondern ein paar Kartoffeln oder Korn, und die Hütten waren nicht aus Lehm, sondern aus Holz; sie standen auf den Hügeln oder in den Tälern, die das harte Büschelgras bewuchs. Die Freundschaft der beiden Mädchen war etwas Neues; sie wussten es und freuten sich daran. Ihre Stämme, Büffeljäger und Maisbauern, wohnten weit voneinander entfernt, und dennoch beschimpften sie einander auch jetzt noch, wie es vor Jahrtausenden die Nomaden und die Ackerbauern taten, obgleich die Büffeljagd längst der Vergangenheit angehörte und von Kriegen nicht mehr die Rede war.
Ella hatte ein eigentümlich flaches Gesicht, als ob Stirn, Mund, Augen, Nase ein Einziges bildeten. In Queenies Zügen unterschied sich alles deutlicher.
»Das Merkwürdige bleibt«, sagte Ella, ihre Gedanken abschließend, »dass bei dir alles so verschieden ist und doch in Harmonie.«
Die Mädchen verständigten sich auf englisch, denn keine kannte die Stammessprache der anderen.
Queenie hatte die Decke beiseite geschoben und sich zusammengekuschelt wie eine junge Katze. »Du siehst es nicht richtig, Ella. Bei mir ist nichts verschieden. Es ist alles eine Einheit, weil es alles in der Mitte ist … durchschnittlich, würde Mr Lazy Eye sagen, weil er nicht weiß, was das ist, eine Mitte. Ich bin ein mittleres Mädchen, mittelgroß, unauffällig, weil mein Körper und meine Glieder und meine Augen eben so sind, wie sie nach den Maßen sein sollen – mittelbegabt, weil ich das sehe, was ein Mädchen der Prärie seit vielen hundert Sommern und Wintern eben zu sehen und zu erkennen pflegt, und weil ich imstande bin, die genaue Hälfte von dem zu begreifen, was die weißen Männer und Frauen uns erzählen. Vielleicht kommt es auch daher, dass mein Vater eine mittlere Ranch hat, in der sich alles die Waage hält, das Vieh, die Pferde, die Kartoffeln, das Gärtchen, die Mutter und die Kinder. Ich habe nicht viel und auch nicht wenig gelernt. Ich bin nicht die beste, aber auch nicht die schlechteste Tänzerin.«
»Aber du bist wie eine Kugel, rund, in sich geschlossen, deshalb bist du vollkommen, und das macht uns alle verrückt.«
Queenie lachte wieder. Sie hatte das volle Lachen der Jugend, nicht mehr und nicht weniger. »Wenn ihr keinen triftigeren Grund habt, verrückt zu werden –!«
»Die Burschen träumen von dir, Queenie. Ich bewundere dich, dass du so standhaft bleibst.«
»Ich bin nicht tugendhaft, Ella. Es hat nur der noch nicht zu mir gefunden, der mich verführen kann. Und was das Runde betrifft … du bist viel runder als ich.«
»Weiche mir nicht aus. Ich will zufällig einmal ernsthaft sein. Ich bin rund, ja, von Natur, ganz und gar, und es geht bei mir alles zusammen, das Alte und das Neue, die Geheimnisse und das Wissen, die guten Katchina, unsere Ahnen und Geister, die aus der Erde kommen, und Christus, der aus dem Grabe steigt, der Mais und die Kunst. Es ist alles ein großes buntes Spiel. Aber das ist es bei dir nicht. Du hast irgendeinen starken Reifen, mit dem du das, was nicht zusammengehört, zusammenzwingst … aber wiederum zwingst du es so leicht, als ob keine besondere Kraft dazu gehörte, oder deine Kraft ist so stark, dass das Schwere ein Spiel wird …«
»Hör auf, Ella, du spinnst.«
»Und du fängst dich in den feinen Fäden. Was ist das?«
Ella hielt einen kleinen vertrockneten Kaktus in die Höhe. Queenie glitt aus dem Bett, und ehe Ella es sich versah, war ihr der Kaktus aus den Fingern gewunden. Queenie zuckte vor Zorn. Es lagen ihr Worte auf den Lippen, die die Freundschaft für immer zerstören würden. Aber sie sprach sie nicht aus.
Sie verwahrte den Kaktus in einem kleinen Lederbeutel, dann lief sie hinüber in den Baderaum und ließ sich die Brause eiskalt über den Rücken rinnen. Sie musste etwas wegwaschen. Hatte Ella spioniert? Oder hatte sie etwa selbst diesen Kaktus achtlos liegengelassen, nachdem sie die Stachelspitzen in ihre Haut gedrückt hatte? Sie spürte ihren eigenen Körper auf einmal auf eine neue Art. Sie musste Abschied nehmen von der Zeit, in der sie noch ein Kind gewesen war oder noch das Kind gespielt hatte.
Als Queenie in das Zimmer zurückkam, ging Ella in das Bad. Danach war von dem Kaktus und von dem, was sich darum abgespielt hatte, nicht mehr die Rede.
Um acht Uhr fünfundvierzig standen die Mädchen und Jungen mit ihrem wenigen Gepäck an der Haltestelle und warteten auf den Überlandbus.
Begegnungen
Für die letzte Strecke ihrer Reise hatte Queenie sich zum ersten Mal in ihrem Leben eine Flugkarte gekauft. Zwar hatte sie ursprünglich alles Geld des »Interessenten« ihren Eltern bringen wollen, aber dann war sie der Versuchung erlegen und hatte einige Dollars abgezweigt. Sie hatte ihre Flugkarte schon von der Kunstschule aus vorbestellt und den Eltern geschrieben, dass sie einen Tag früher in New City eintreffen werde. Zur elterlichen Ranch ging zwar keine Post, aber Queenie hoffte, dass ihr Bruder Henry in diesen Tagen, in denen Post von ihr erwartet werden konnte, zur Agentursiedlung ritt und auf dem Postamt nachfragte.
Nun saß sie in der Propellermaschine der Frontier Airlines, die in ihrem Namen die Erinnerung daran bewahrten, dass die Orte, die sie anflogen, vor noch nicht langer Zeit Grenzgebiet zwischen Wildnis und Zivilisation gewesen waren und in blutigen Jahren zum Wilden Westen gezählt worden waren.
Queenie hatte einen Fensterplatz. Tief unter ihr dehnte sich schon heimatliches Land, endlose Prärie unter dem Nachthimmel; nur hin und wieder erschien für das Auge der Zaun einer Ranch, noch seltener eines der einsamen Häuser. Die Sandfurchen an den Präriehügeln, in denen im Frühling und nach Gewittern das Wasser herunterschoss, lagen ausgetrocknet und gaben dieser Prärie, die schon seit Tausenden und Abertausenden von Jahren bestand, etwas Aufgerissenes, Bloßes und Wildes. Nur zweimal erkannte Queenie Gruppen schwarzer Punkte, das war schwarzes Vieh, und es waren Büffel, die wieder gezüchtet wurden, weil sie die Unbilden von Witterung, Sturm, Schnee, Hitze am besten überstanden, das karge, harte Gras, wenn nicht mit Lust, so doch ohne Widerwillen weideten und neben dem Fleisch das wertvolle Fell lieferten.
Queenie schloss die Augen, und für einen flüchtigen Augenblick wurde sie ganz Tashina. Sie träumte davon, wie Hunderttausende von Büffeln über die Hügel und Täler gezogen waren und Tausende von braunhäutigen Jägern das heilige Tier erlegt hatten, um Nahrung, Kleidung, Zelte zu gewinnen. Dann waren die Watschitschun gekommen, diese Geister in Menschengestalt, die sich Weiße nannten, und sie hatten mehr Wild erlegt, als sie brauchten. Mit ihren Repetiergewehren hatten sie die Büffelherden nicht gejagt, sie hatten gemetzelt. Tashinas Großväter hatten um ihr Land gekämpft, aber sie waren besiegt worden. Die weißen Männer hatten die Prärie, die Wälder, Berge und Flüsse geraubt. Sie hatten New City gebaut und der Erde das Gold aus dem Leibe gerissen. Die großen Häuptlinge waren gefallen, ermordet worden, gestorben, und von manchen kannten ihre Kinder und Kindeskinder nicht einmal das Grab. Die Nachkommen lebten nun auf dürrem Land, das man ihnen als Reservation übriggelassen und immer wieder beschnitten hatte. In allem mussten sie den weißen Männern, dem Superintendenten und seinen Beamten, gehorchen; für jeden Schritt brauchten sie die Erlaubnis und das Geld der weißen Männer; arm waren sie trotz aller Renten und verbrieften Verträge, und sie wurden gehalten wie Unmündige.
Auf Geheiß der weißen Männer aber besuchte Queenie die Kunstschule für Indianer. Sie wollte nicht undankbar sein, denn sie genoss dort, fern der Reservation, eine gute Ausbildung und ein gutes Leben. Aber sie wollte eine Indianerin bleiben, wie der Sprecher der Schüler bei der Schulabschlussfeier gesagt hatte, und sie wollte einmal denen helfen, die darbten.
Queenie wurde wieder wach.
Ein heller rötlicher Schimmer spielte durch ihre Lider, und als sie die Augen öffnete, sah sie unter sich die Prärie in dem Leuchten der hervorkommenden Sonne und in Richtung des Fluges schon die waldigen Berge, an deren Fuß die Gründer von New City sich vor einem Jahrhundert angesiedelt hatten. Autos fuhren, für den Blick von oben so klein wie Spielzeug, Schornsteine rauchten, Scheiben blitzten, Dächer zeigten ihre Konturen mit Licht und Schatten.
Queenie musste den Sicherheitsgurt anlegen, das Flugzeug setzte zur Landung an. Noch schwirrten die Propeller, das Flugzeug setzte auf und rollte aus.
Queenie hatte nicht gewusst, dass der Flug trotz einer Tornadowarnung vor sich gegangen war. Sie ahnte nicht, wie der Pilot jetzt aufatmete. Sie bedauerte nur ein wenig, dass der Flug schon zu Ende war. Als letzte der sieben Passagiere stieg sie aus, das Köfferchen in der Hand. Ihr Geld hatte sie in einem Brustbeutel verwahrt. Es war noch immer sehr viel. Die Eltern würden sich freuen.
Als Queenie frische Luft nicht nur durch den Filter bezog, sondern eingehüllt war von Staub und Wind, von dem Duft vertrockneter Erde und vertrockneten Grases, von einem Hauch wilder Kakteenblüten, wenn auch vermischt mit den Gerüchen der Stadt und der Motoren, da wusste sie auf einmal ebensoviel, wie der Pilot gewusst hatte: Es roch nach kommendem Sturm. Am blauen Himmel standen über den ziehenden Wolken unbewegliche Wolkenstreifen, und auf irgendeine Weise war die Atmosphäre gelb.
Queenie lief durch die Ein- und Ausgangshalle des bescheidenen Flughafens. Unter den wenigen Wartenden fielen ihr drei Gestalten auf von jenem Typ, den sie nicht gerne sah. Obgleich die Kerle still an der Wand lehnten und niemandem Aufmerksamkeit zu zollen schienen, fühlte sich das Mädchen von ihnen beobachtet. Sie wich nicht aus, schlug auch die Augen nicht nieder, sondern verhielt sich, als ob sie nichts Auffälliges bemerkt habe und nichts beabsichtige, als den Flughafen zu verlassen. Aber sie hätte, befragt, jeden der drei schon genau beschreiben können. Der kleinste, ein Weißer, mochte 1,78 m oder 1,80 m groß sein und etwa zwanzig Jahre alt. Er trug Bluejeans, wie es allgemein üblich war, und ein braunrot kariertes Hemd dazu, was nicht eben für Geschmack zeugte. Seine Stulpenstiefel waren von billigem Leder, aber reich verziert, sein Cowboyhut war fleckig, der Rand verbogen. Seine beiden Kumpane lehnten ebenso unbeweglich wie er an der Wand. Diese beiden waren Indianer. Ihre Kleidung war genau die gleiche wie die des Weißen, nur in den Farben unterschied sie sich. Sie hatten zu den dunkelblauen Hosen rot-blau karierte Hemden an.
Noch schlanker und um zwei Handbreit länger, wirkten ihre Figuren schlaksig. Die Haltung der drei war die von Menschen, die herumlungern und lauern. Der Weiße steckte sich eine Zigarette an, als Queenie an ihm vorüberging. In seinen Augen blitzte dabei etwas auf, was das Mädchen beunruhigte. Die beiden jungen Indianer verhielten sich scheinbar völlig gleichgültig.
Queenie war kein ängstliches Mädchen, doch war sie froh, als sie nach Verlassen der Halle schon den alten Ford ihrer Familie unter den wenigen parkenden Wagen stehen sah. Daheim hatte man also die Nachricht, dass sie mit dem Flugzeug und daher einen Tag früher in New City ankommen werde, rechtzeitig erhalten.
Der Wagen war eine alte Karre mit alten Reifen, mit hoher Karosserie, mit abgenutzten Bezügen. Er hatte einmal fünfzig Dollar gekostet, und nicht einmal das war er wert gewesen, denn er hätte verschrottet werden müssen, wenn der indianische Rancher ihn nicht gekauft hätte. Doch liebte Queenie dieses unansehnliche Gefährt.
Der Motor hatte noch nie gestreikt, und der Wagen hatte über furchenreiche Wege oder ganze ohne Weg schon halsbrecherische Touren gefahren. Queenie liebte ihn wie früher ein Indianer das struppige Reitpferd, das zäher war als alle glatt gebürsteten Dragonergäule.
Am Steuer saß Queenies sechzehnjähriger Bruder. Sie hatte ihn sofort erkannt und war sogleich entschlossen, ihm irgendeinen Schabernack zu spielen, denn er war in sich zusammengesunken und schlief offenbar so fest, dass er nicht einmal das Brummen der Flugzeugmotoren gehört oder bemerkt hatte, dass die Fluggäste aus der Halle kamen.
Queenie öffnete die Wagentür leise, setzte sich neben den schwarzhaarigen Burschen und stellte ihr Köfferchen auf den Rücksitz. Sie machte es sich bequem.
Henry schlief weiter.
Queenie erschrak plötzlich tief. In ihrer Freude, den Bruder zu treffen, mit ihm nach Hause zu fahren – und ihm vielleicht einen Possen zu spielen –, hatte sie ihren Wahrnehmungen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt; sie hatte sie nicht in Gedanken umgesetzt. Aber jetzt, am Platz neben dem Steuer, konnte sie es vor sich selbst nicht mehr leugnen: Der Bruder roch nach Alkohol. Er schlief offenbar einen sehr tiefen Rausch aus.
Noch nie hatte Henry getrunken. Queenies ganze Familie gehörte zu der Partei der Nichttrinker auf der Reservation und lag mit den Trinkern in Feindschaft. Wie war es möglich geworden, dass Henry …! Jetzt, an diesem Tag, an dem er den Wagen steuern musste. Woher hatte er das Geld bekommen? Wer … wer hatte ihn verführt?
Queenie saß einen Augenblick nicht nur stumm, sondern steif, wie gelähmt, auf dem abgenutzten Polster.
Den Indianern auf der Reservation war es verboten zu trinken. Wer hatte es gewagt, an Henry auszuschenken?
Am offenen Fenster der Wagentür erschien ein dunkles Gesicht über einem blau-rot karierten offenen Kragen.
»Lass mich ans Steuer, Queenie, ich fahre dich.«
Um die Mundwinkel spielte ein Zug, vor dem Queenie graute. Sie drängte den Körper des Bruders blitzschnell beiseite, ließ den Motor an, gab Gas, fuhr rückwärts und dann voran, was der Motor hergab. In der Morgenfrühe waren die Straßen noch leer.
Der ungebetene Gast am Wagenfenster hatte beiseite springen müssen, um nicht überfahren zu werden. Das war ihm nicht schwergefallen. Er war ein Bursche, der schnell zu reagieren verstand.
Queenie bog um zwei Straßenecken und horchte, ob sie von einem anderen Wagen verfolgt wurde.
Nein, es kam ihr niemand nach.
Sie verlangsamte auf dreißig Meilen.
Das Mädchen versuchte zu überlegen. Wenn irgendein Polizeibeamter bemerkte, dass ihr Bruder betrunken war, kam Henry ins Gefängnis. Indianer aus der Reservation wurden für Trunkenheit schwer bestraft.
Sie hielt an einer unbeobachteten Stelle an und schob Henry, der nicht aufwachte, auf ihren bisherigen Platz, so dass sie nun Raum für sich am Steuer hatte.
Das ging alles schnell. Aber nun rührte Henry sich auf einmal – und es bestand die Gefahr, dass er halbwach in seinem Zustand zu randalieren begann. Es war sein erster Rausch, und Queenie wusste vom Hörensagen, was ein Betrunkener anrichten konnte. Der Weg zur Reservation war noch weit.
Sie bog in eine Ausfallstraße ein und hielt auf die Vorstadt zu, wo die Slums der indianischen Kolonie lagen. Dort kannte sie einen jungen Priester, und diesen wollte sie um Rat fragen.
In den kleinen Hütten, wo die kinderreichen Familien wohnten, und ringsumher war in der Morgenfrühe schon Leben.
Die Frauen waren mit Eimern unterwegs, manche mit dem Wagen und Fässern, um von dem weit entfernten Brunnen Wasser zu holen. Die Leitung war nicht bis zu der Siedlung gelegt. Queenie hielt bei einer der Hütten. Die Kinder schauten neugierig und zugleich scheu auf sie, aber da Queenie eine Indianerin war und mit den Mädchen und Jungen in ihrer Muttersprache sprechen konnte, erfuhr sie bald, was sie wissen wollte. Der junge Priester und seine Frau waren zum Brunnen gefahren. Sie mussten aber bald wieder zurück sein.
Queenie brach der Schweiß aus, während sie wartete. Es war am frühen Morgen schon heiß, doch das war es nicht, was sie störte. Sie hatte Angst, einfach Angst. Der Alkoholgeruch, den der Körper des Bruders ausströmte, quälte sie.
Elk, so hieß der Gesuchte, kam bald zurück, doch dem Mädchen war die Wartezeit wie eine böse Ewigkeit erschienen. Er begriff sofort, was hier zu tun war, brachte Henry in sein Haus und bat Queenie, ebenfalls einzutreten. Sie verschloss den Wagen und steckte den Schlüssel ein, eine ungewöhnliche Vorsichtsmaßnahme.
Sie setzte sich mit der Frau in der kleinen Hütte auf das Bett, das zugleich die einzige Sitzgelegenheit bot, und berichtete alles, was sie erlebt hatte und vermutete. Elk stand in seinen abgetragenen Arbeitskleidern vor den Frauen. Den Betrunkenen hatte er einfach auf den Bretterboden gelegt.
Queenie beschrieb noch einmal genau die drei verdächtigen Gestalten. »Ich glaube«, schloss sie, »dass sie Henry beschwatzt und betrunken gemacht haben, und nun warteten sie auf mich. Wahrscheinlich hat Henry ihnen von mir erzählt. Vielleicht hat er ihnen auch gesagt, dass ich viel Geld nach Hause bringen würde.«
»Es sind üble Burschen.« Elk sprach langsam und war bemüht, seine große Besorgnis nicht in seiner Stimme spürbar werden zu lassen. »Die Kumpane von Stonehorn.«
Queenie senkte den Kopf und schaute zu Boden. Aber sie fühlte dabei, wie Elk sie von der Seite beobachtete, und sie senkte den Kopf noch tiefer, als ob sie einen Schlag in den Nacken entgegennehmen müsse und doch alle ihre Empfindungen verbergen wollte.
»Er war hier«, sagte Elk.
Queenie fuhr auf. Sie hatte vergessen, dass sie sich beherrschen wollte.
»Sie hätten ihn nicht hinauswerfen sollen, damals. Jetzt ist alles schwer – verzweifelt schwer.«
Queenie starrte Elk an.
»Er hat nach dir gefragt.«
Queenie sagte nichts. Aber sie dürstete danach, dass Elk mehr berichten werde.
Elk sah das glühende Gesicht. »Liebst du ihn, Queenie? Du warst damals, als er gehen musste, noch ein Kind – fast – ja, fast – noch – ein Kind. Seine Kumpane heute sind üble Burschen.«
Elk wiederholte die letzten Worte mit einer Härte, mit der er auch gegen sich selbst zu kämpfen schien.
Queenie verwandelte sich wieder. Sie glaubte Elk zu hassen, weil er gewagt hatte, von ihrem Gefühl zu sprechen. Wie schamlos waren alle Worte! Das Blut ging ihr zum Herzen zurück, sie wurde blass statt rot. Ihre Haltung und ihr Ausdruck wiesen darauf hin, dass sie um nichts besorgt sei als um ihren Bruder.
Elk verstand. Er glaubte wenigstens zu verstehen.
»Willst du hierbleiben, Tashina?«
Nahm er etwa an, dass Queenie Halkett auf Joe King warten werde?
»Ich bleibe nicht. Ich will heim.«
»Henry kannst du nicht mitnehmen.«
Das Mädchen zuckte hilflos mit den Schultern. »Kann ich das Geld hierlassen?«
»Du kannst Henry und das Geld hierlassen. Aber ich kann dich nicht fahren, und meine Frau kann dich nicht fahren. Wir müssen zur Arbeit gehen.«
»Ich fahre allein.«
»Das ist nicht gut, Tashina.«
»Ich kann hier nicht mit Henry sitzenbleiben. Der Vater muss alles erfahren, ehe es ein anderer hört. Ich fahre.«
Queenie stand auf.
Elk und seine Frau sagten kein Wort mehr. Mögen Wakantanka, das Große Geheimnis, und ihr Schutzgeist sie behüten, dachten sie. Sie waren Christen, aber sie dachten noch in den Worten und Vorstellungen ihrer Väter.
Queenie übergab Elk den Lederbeutel mit der hohen Geldsumme und räumte auch noch einen Teil ihres Köfferchens aus.
Dann eilte sie zum Wagen, der Motor sprang an, und sie fuhr auf die laute Weise, die dem alten Gefährt allein noch möglich war, die Landstraße bei der Siedlung entlang, dann auf einem Umweg zu der betonierten Straße, die um den Fuß der bewaldeten Hügel herum in Richtung der Reservation führte.
Weit und breit waren kein Wagen und keine Behausung zu sehen. Der Wind wehte kräftig.
Queenie dachte jetzt nicht mehr darüber nach, was die Banditen unterdessen unternommen haben konnten oder was sie planten. Sie beschäftigte sich nur mit Steuer und Straße, und sie holte alles aus dem Motor heraus, was herauszuholen war. Mehr als fünfzig Meilen die Stunde gab er nicht her.
Der Wagen bockte. Vielleicht war die Benzinleitung durch feinen Sand verstopft, vielleicht funktionierte eine Kerze nicht, vielleicht war die Batterie locker. Queenie konnte nur noch vorsichtig und langsam fahren.
Die Wolken am Horizont versprachen ein Hagelwetter. Ehe es herunterschlug und alle Sicht unmöglich machte, wollte das Mädchen noch zu einem bewohnten Platz. Es gab allerdings auf der ganzen Strecke nur einen einzigen, das Schaustellungsgelände »Crazy Horse«. Die Schaustellung war um diese Zeit noch nicht offen, aber da sie in den nächsten Kalendertagen eröffnet zu werden pflegte, war vermutlich schon ein Wächter da.
Queenie horchte auf ihren Wagen, fuhr langsam und stetig und beruhigte sich selbst, als sie das große Zeltstangengerüst und die Bretterwand erkennen konnte, die ein Fort darstellen sollte. Sie kam nicht mehr ganz heran, etwa dreihundert Fuß vorher blieb der Wagen stehen.
Queenie stieg aus, schloss ab, steckte den Schlüssel ein und ging mit ihren modern nachgeformten Mokassins schnell bis zu dem Gelände und der kleinen Bude, in der sie einen Wächter oder einen Pförtner vermutete. Die Tür war jedoch verschlossen.
Queenie wartete einige Zeit, da der Mann vielleicht einen Rundgang machte, und es zeigte sich, dass sie richtig vermutet hatte. Ein Mann von mittleren Jahren in Cowboykleidung erschien, und als er das Mädchen warten sah, steuerte er auf sie zu.