Kitabı oku: «Nacht über der Prärie», sayfa 3
»Hallo!«
»Hallo! Versteht Ihr etwas von einem Wagen?«
Der Mann blinzelte das Mädchen an. »Von einem solchen Wagen wie dem dort? Na, wollen mal sehen. Aber Ersatzteile habe ich für den nicht.«
Queenie war ärgerlich, dass der Wagen ihres Vaters verächtlich gemacht wurde. Doch musste sie sich wohl oder übel freuen, dass ihr jemand helfen wollte.
Der Mann klappte die Motorhaube auf und erwartete von Queenie nichts weiter, als dass sie geduldig und ohne dazwischenzureden zusah, wie er Teilchen für Teilchen durchprüfte.
Die Benzinleitung war jedenfalls verstopft. Der Mann pustete durch. Das Kabel, das die Batterie verband, war auch locker.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Wer da zuletzt an dem Motor war … hat ihn wohl mehr in Unordnung gebracht als in Ordnung.« Er schaute mit einem vorwurfsvollen Blick auf Queenie.
In Queenie stieg auf einmal ein Verdacht auf. Wenn diese Banditen in der Zeit, in der ihr Bruder schon betrunken war, sich an dem Motor zu schaffen gemacht hatten …?
»Ist noch ein weiterer Schaden zu finden?« fragte sie schüchtern.
»Scheint nicht. Also gute Fahrt.« Der Mann klappte die Motorhaube wieder zu. Queenie fuhr vorsichtig an. Der Motor gehorchte wieder.
»Stop«, befahl jedoch der Mann, als er umherschaute. »Es geht los. Das warten Sie hier ab.«
Queenie wusste, was er meinte, denn die ersten Hagelkörner prallten bereits auf die Scheiben. Sie blieb im Wagen, der Mann sprang in seine Bude. Das Unwetter prasselte mit der Gewalt herab, die für das Indianermädchen nichts Neues war. Wasser und Hagel schlugen und klatschten. Es war durch die Scheiben nichts mehr zu sehen, auch der Scheibenwischer konnte dem Wasser und Hagel nicht mehr Herr werden. Wie blind saß Queenie auf ihrem Führersitz und hörte das Heulen, Klatschen, Prasseln des mächtigen Unwetters, das nahezu auch das Gehör verschlug.
Als die Panne eintrat, hatte sie ihren Wagen noch etwas zur Seite fahren können, etwa anderthalb Meter, so dass er nicht vom Verkehr gefährdet war. Es zeigte sich, dass sie damit Glück gehabt hatte. Denn in dem dunklen, regentrüben Wetter raste jetzt ein anderer Wagen mit hoher Geschwindigkeit an dem ihren vorbei. Sie hatte das Gefühl, dass eine Gefahr an ihr vorübergezogen war, und wartete mit Ruhe, bis das Wetter sich ausgetobt hatte.
Der Mann in der Cowboykleidung schaute aus seiner Bude heraus und nickte noch freundlich hinterher, als Queenie mit ihrer alten Karosse in einen immer sanfter werdenden, bald ganz nachlassenden Regen hineinfuhr und auf der nassen Straße sicher steuerte.
Nach dieser Begegnung konnte Queenie erst wieder Menschen treffen, wenn sie die Agenturgebäude erreichte, von denen aus sie dann noch viele Meilen bis zu der väterlichen Ranch zu fahren hatte. Das Land war öde und leer.
Queenie wagte nicht mehr, ein hohes Tempo aufzunehmen. Sie fuhr fast gemächlich auf der einsamen Straße, die durch die Prärie führte, vorbei an Bachbetten, in denen plötzlich wieder Rinnsale flossen, vorbei an den abgestorbenen Bäumen, die der Winter mit Sturm und Kälte getötet hatte, über eine kleine Brücke mit dem Blick auf einen Zaun, der ein Ranchgelände abgrenzte. Vieh war nicht zu sehen. Es hatte vor dem Unwetter in den Bodensenken Schutz gesucht. Das Hagelwetter schien nur ein Vorbote weiterer Stürme gewesen zu sein. Queenie schaute nach dem unheilverheißenden Horizont. Ein Fasan kreuzte die Straße. Die Tiere einer verlassenen Fasanerie hatten sich auf der freien Prärie fortgepflanzt. Das Mädchen hatte rücksichtsvoll gebremst.
Der Motor stotterte erneut. Queenie fuhr noch langsamer. Aber da so lange alles gut gegangen war, ließen sich ihre Nerven nicht mehr aufstören. Die Agentur war schon nahe.
Am späten Nachmittag lenkte Queenie in die Straße mit den Vorgärten, den Einfamilienhäusern und den einstöckigen Bürohäusern ein, in denen der Superintendent und seine Verwaltung sowie der Stammesrat und das Stammesgericht arbeiteten. Jetzt waren die Büros allerdings schon geschlossen. Die Straße lag fast leer. Zwei Fußgänger verschwanden auf Nebenwegen. Queenie hatte nicht erkannt, wer es war.
Als Queenie mit ihrem Wagen an dem kleinen Laden mit dem vielverheißenden Namen »Supermarkt« vorbeikam, meldete sich ihr Hunger, und sie erinnerte sich, dass sie etwas Geld bei sich trug. So hielt sie an, schloss den Wagen wieder ab, steckte den Schlüssel zu sich – alles dies mit mehr Bedacht als sonst – und trat ein. Außer ihr befanden sich nur noch drei Kunden in dem Selbstbedienungsladen. Sie nahm einen der Einkaufswagen, fuhr damit um den einzigen Warenstand herum, bewunderte leckere Dinge und kaufte schließlich etwas tiefgekühltes Fleisch für Eltern und Geschwister und ein Päckchen Vollkornbrot für sich selbst. Als sie bezahlte, begrüßte die Kassiererin sie offensichtlich erfreut. Queenie kannte die Frau an der Kasse flüchtig von früheren Einkäufen her. Sie war eine Weiße, allerdings nur beinahe eine Weiße, da sie ein paar Tropfen Indianerblut in den Adern hatte.
Als Queenie sich zum Gehen wandte, stockten ihr plötzlich die Glieder. Sie konnte für eine Sekunde nichts wahrnehmen und nichts denken. Als sie wieder bei sich war, erkannte sie durch die große lichte Scheibe hindurch die Gestalt von Joe King, genannt Stonehorn. Er schaute nicht in den Laden hinein, sondern am Laden vorbei nach Osten, wo die Straße auf einem Hügel zu enden schien und der Himmel darüber schon dunkelte. King musste in dem Hagelwetter draußen gewesen sein, denn seine schwarzen Jeans waren bis über die Knie nass, das weiße Hemd war klatschnass und klebte am Körper, und nass war auch der Cowboyhut.
Da es auffällig gewesen wäre zu zögern, verließ Queenie mit ihrem Päckchen den Laden und ging schnell auf ihren Wagen zu. Da geschah genau das, was sie aus innerer Verwirrung hatte vermeiden wollen.
Joe King hatte sich umgewandt. Er kam auf sie zu, sagte »Hallo!« mit der Stimme, die sie seit ihren frühen Schuljahren kannte und nie vergessen hatte, und schien einen Augenblick zu warten, was sie nun tun werde. Das Blut schoss ihr in die Wangen, denn es machte sie verlegen, von Joe King angesprochen zu werden. Die Kassiererin – mindestens die Kassiererin – beobachtete diese Begegnung, und vielleicht glaubte sie, Queenie habe das so eingerichtet.
»Hallo!« antwortete Queenie scheinbar leichthin.
Joe King mit seinen merkwürdigen Augen aber zwang sie zu einem antwortenden Blick, und in diesem Blick lag alles von einsamer Weite und unschuldigem Kindertraum, von Geheimnis und Mitwissen und auch von Bekenntnis des Gefühls, was in Queenie geschlafen hatte und doch nicht erstorben war.
Joe King lächelte ein wenig, mit jener Überlegenheit, die Queenie schon als Kind bis aufs Blut gereizt und doch stets von neuem angezogen hatte.
Nun musste es wohl geschehen – denn es war durchaus nicht unvorbereitet, und Queenie begriff diese Seite der Sache sofort –, dass von jenseits des Fahrdammes ein zweites »Hallo!« erklang, von einer breiten Stimme getragen. Wenn Queenie hätte tun können, was sie am liebsten getan hätte, so hätte sie irgendeinen Riesen gezaubert, der die beiden jungen Männer mit ihren harten Schädeln aneinanderstieß oder ihnen auch kaltes Wasser über den Kopf sprühen ließ, bis sie zu dem kamen, was Queenie als Vernunft zu bezeichnen pflegte. In Ermangelung eines solchen Zauberriesen tat sie, als habe sie nicht begriffen, dass auch dieses zweite Hallo ihr galt. Sie huschte zu ihrem Wagen, schloss etwas ungeschickter und umständlicher auf als sonst, schob sich auf den Fahrersitz, warf das Päckchen neben sich und startete, so schnell der alte Wagen es eben erlaubte. Als sie auf höhere Beschleunigung ging, schaute sie doch noch für einen Moment zu Joe King zurück. Es schien ihr, dass er sie verachtete und vollständig abtat ob ihres albernen Teenagerverhaltens. Der Wagen machte einen Sprung. Sie bekam kühle Hände und musste fest zupacken, um nicht zu zittern.
Was sie gemacht hatte, erschien ihr jetzt falsch. Sie hätte sich selbst zerreißen mögen. Entweder hätte sie für Joe Partei nehmen müssen, so einfach und ohne alle Scheu, wie sie es als Kind einmal getan hatte. Oder sie musste sich verhalten wie eine Häuptlingstochter, die wusste, dass man kein Schauspiel vor anderen Leuten gab … die wusste, dass man das eine Hallo so ruhig und selbstverständlich beantwortete wie das andere. Aber sie war nicht rund und nicht ausgeglichen, wie Ella behauptet hatte, oder war vielleicht der Ring, der alles zusammenhielt, zerbrochen? Ihr Denken und Fühlen zuckte, kräuselte sich und schlug gegeneinander wie Wasser unter streitenden Winden. Sie erinnerte sich daran, was Elk zu ihr gesagt hatte. Das … das … das sind die Kumpane … von Joe … King.
Queenie fuhr den Hügel hinauf, hinter sich die Sonnenscheibe, die im gelben Dunst schwebte. Steil ging es wieder hinab, dann linker Hand in den Weg hinein, der schon nicht mehr als Straße bezeichnet werden konnte. Das Mädchen musste Willen und Gedanken wieder auf das Steuer konzentrieren. Haufen von Hagelkörnern lagen noch in den tiefen Wegfurchen. Das Gras flatterte unter den Böen, die langstieligen Blütenkolben der Yucca spielten frech im Wind. Ausgetrocknete Büsche, ohne Blätter, mit den Wurzeln ausgerissen, tanzten mit dem Staub über das Gelände. Das alles war Queenie vertraut gewesen, aber heute erschien es neu, angreifend und gefüllt mit Rätseln, die wie schwarze Kerne aus Fruchtkapseln hervorkommen und sich verbreiten konnten, um neue Rätsel hervorzubringen.
Der Motor gehorchte überraschend gut. Queenie fuhr, wie sie auch zu reiten pflegte, mit leichter Hand steuernd, mit raschem Ruck, mit genau berechneter Wendung, wenn ein Hindernis auftauchte. Diesen Weg zu fahren, auf dem sich Queenie jetzt befand, bedeutete eine Art von Artistenkunst. Sie war mit vierzehn Jahren eine solche Artistin am Steuer geworden. Ohne solches Geschick konnte man von der Ranch nicht mit dem Wagen zur Schule oder zur Agentur kommen. Es war eine durchschnittliche mittlere Fähigkeit des modernen Prärie-Indianers, sagte sie vor sich hin, als ihr Ella und das Gespräch am Abschiedsmorgen des Ferienbeginns wieder einmal einfielen. Queenie gewann ihre Selbstsicherheit zurück, die sie nach ihrer Begegnung mit Joe King verloren zu haben fürchtete. Sie besaß die Fähigkeiten, die hier gebraucht wurden.
Der Sturm heulte plötzlich auf. Es wurde finster, und das Mädchen brach alle Gedanken ab. Sie war schon zu weit von der Agentur entfernt und dem Haus des Vaters noch nicht nahe genug, um von irgendeinem Menschen Hilfe erwarten zu können. Jetzt galten nur noch der Sturm und das baumlose Land und ein bisschen Leben, das sich behaupten wollte.
Nacht in der Prärie
Queenie umklammerte das Steuerrad. Ihre Kräfte reichten kaum mehr aus, um es festzuhalten. Der Sturm fauchte von den Wüsten Mexikos und Arizonas bis hinauf in die Eissümpfe des kanadischen Nordens; es war ein Land wie für den Sturm geschaffen, sein Reich. Er orgelte nicht in den Bäumen; ihr klägliches Geäst war für ihn nichts als ein unwürdiges Spielzeug, das er entblätterte und brach. Mit dem Staub spielte er und mit den Wolken, er drehte sie durcheinander, dass das Untere nach oben, das Obere aber nach unten kam. Dächer warf er in die Luft und polterte mit ihnen wieder auf den Boden. Durften sie ihn hindern? Sein Bruder war der Blitz, der vom Himmel zur Erde fuhr, und er heulte gegen das Gebrüll des Donners, das nicht gewaltiger sein konnte als die Stimme des Präriesturms.
Queenie sah den Weg nicht mehr. Das Tageslicht konnte noch nicht erloschen sein. Aber Staub und Wolken ließen es nicht mehr durchdringen. Wieder brachen Wassermassen herunter; sie trommelten auf das Dach des Wagens, die Scheiben trieften. Der Weg wurde im Umsehen ein Bach, ein reißender Bach. Er nahm Erde mit, grub sich neue Betten und lehmige Canyons bis zu einem Meter Tiefe, wusch die Erde unter den Rändern weg und spritzte unter dem Wagen. Queenie bremste, aber sie hatte sich schon zu weit gewagt im unübersichtlichen, schlüpfrigen, ausgewaschenen Gelände. Der Wagen rutschte und stellte sich schief. Er war mit einem Hinterrad in einer tiefen, glitschigen, wasserdurchspülten Furche hängengeblieben.
Aus.
Queenie fand sich damit ab, in der Lage, in die sie jetzt geraten war, mindestens einige Stunden aushalten zu müssen. Sobald das Unwetter vorüberging, wollte sie zu Fuß zur väterlichen Ranch laufen und – nicht zur Freude des Vaters – berichten, wo der Wagen steckte. Wenn sie des Abends nicht mit dem Bruder nach Hause kam, wie die Eltern erwarteten, so machten sich Vater und Mutter darum wahrscheinlich noch nicht viel Sorgen. Sie nahmen sicher an, dass die Geschwister vor dem Unwetter irgendwo rechtzeitig haltgemacht hatten. In einer solchen Situation nahm auch die ärmste Indianerfamilie zwei junge Menschen für eine Nacht auf.
Es wurde Queenie erst unheimlich zumute, als der Sturm nicht nachließ, sondern mit hinterlistigen Böen und Wirbeln begann. Hin und wieder hob er den Wagen an, als ob dieser nichts weiter als eine Streichholzschachtel sei. Etwas schlug heftig gegen die Windschutzscheibe. Queenie konnte nur erraten, dass es ein großer Ast gewesen war. Der Bach auf dem Weg hatte sich vertieft, der Wagen sank weiter ein, das Wasser rauschte schon bis zur Tür herauf. Wenn Queenie nicht genau gewusst hätte, dass sie auf einem Weg gefahren war, hätte sie geglaubt, aus Versehen in einen Fluss geraten zu sein. Die Nacht war schwarz, stumpf, ohne Glimmen, ohne Schimmer. Das Wasser rauschte in dem neu gefundenen Bett, der Sturm pfiff und spielte mit sich selbst, und Queenie war allein. Ihre Füße wurden nass. Dann hob es sie, als ob eine übermenschliche Faust den Wagen mit allem, was darin war, gepackt habe. Aus Wasser und Erdfurchen hob der Sturm das Gefährt und warf es gegen einen Abhang. Queenie hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und den Kopf zwischen die Knie gedrückt.
Als das Rollen, Holpern, Schlagen und Überschlagen aufhörte, rollte sie sich wieder auseinander und stellte fest, dass der Wagen auf dem Dach lag; die Räder in der Luft, wie eine auf den Rücken gefallene Fliege. Es war noch einmal alles gut gegangen. Der Sturm hätte den Wagen auch mitnehmen und irgendwo zerschmettern können. Queenie richtete sich in der neuen Lage ein. Sie hatte einige Prellungen davongetragen. Das tat nichts. Alles, was nicht unmittelbar ans Leben ging, erschien ihr jetzt schon angepasst und erträglich. Jedenfalls hatte der Sturm sie aus dem Bach herausgeholt!
In dem Augenblick, in dem Queenie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, schoss eine neue Flutwelle in das Prärietal hinein.
Queenie arbeitete an dem Fenster, um aus dem Wagen, in dem sie zu ertrinken fürchtete, noch hinauszugelangen. Mit dem Griff eines feststellbaren Taschenmessers, das sie auf Reisen stets bei sich trug, versuchte sie eine Scheibe einzuschlagen, da die Kurbeln nicht funktionieren wollten.
Zerkratzt, mit zerrissenen Kleidern, deren Fetzen nass am Körper klebten, stand sie endlich außerhalb des Wagens, bis über die Knie im Wasser. Ihr Haar flatterte im Sturm. Sie wusste nicht, wie sie sich halten sollte. Der Winddruck warf sie fast nieder, und sie musste jeden Augenblick befürchten, dass der Sturm sie so wie vorher den Wagen ergreifen und irgendwohin schleudern würde. Sie stand in der Sturmrichtung, das war gefährlich. In ein Quertal hätte sie sich retten müssen, aber nun war alles zu spät. Es blieb nichts übrig, als zu atmen, solange sie vermochte. Wenn sie einen Schritt zu machen versuchte, glaubte sie den Halt zu verlieren, selbst wenn sie sich an dem Wagen festklammerte. Der Boden unter dem Wasser war schlüpfrig und hatte Löcher. Der Sturm war zu gewaltig.
Die Anstrengung war für das Mädchen sehr groß. Ihre Knie zitterten. Auch mit dem Rücken gegen den Sturm gewandt, konnte sie nur noch schwer atmen. Es schwindelte ihr, und sie war so erschöpft, dass ihr alles gleichgültig werden wollte. Sie dachte aber noch: Es ist feige aufzugeben. Ich will kämpfen, solange ich noch denken kann, noch denken kann … noch denken … kann … Vater … ja … Mutter … ja, ja … noch denken …»Stonehorn!« schrie sie hinaus. Er war nicht der einzige, der wissen konnte, wo sie hingefahren war und wann sie gefahren war, aber er war der einzige, von dem sie erhoffte, dass er … ja, dass er … ihr vielleicht … gefolgt … und dass er dem Sturm widerstehen …
»Stonehorn!« Der Sturm wehte ihr das Wort vom Munde weg. Aber dann kam wirklich der, den sie gerufen hatte.
Seine Arme packten sie, als ob sie leicht wie ein Kind sei, und sie spürte den menschlichen Körper wie das Leben selbst, das sie liebte. Er trug sie ein gutes Stück weit, sie wusste nicht, wie lange oder wohin, aber sie war so vollständig geborgen, dass sie zu denken aufhörte und kein Gefühl mehr mit einem Wort hätte bezeichnen können.
Die Gewalt des Sturms schien nachzulassen. Der Mann hatte sie wohl in ein Seitental getragen; auch diese Vorstellung war mehr Instinkt für sie als Bewusstsein. Ihr Kopf sank zurück. Sie fand irgendeinen Halt dafür, und sie schlief ein.
Als sie wieder erwachte, verstand sie erst nicht, wo sie war, aber sie hatte doch soviel Gefühl dafür, dass sie die Stille nicht mit einer Frage zerriss. Ihre Lider öffneten sich nur halb, und sie fand kein Licht, aber auch nicht mehr das stumpfe Schwarz. Ein Stern glänzte matt zwischen letzten Nebeln, abfließendes Wasser rauschte, der Wind strich über die Gräser, die er gepeitscht hatte. Sie lächelte, denn sie spürte jetzt, dass ihr Kopf an der Schulter eines Menschen lag. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, und sie sagte noch immer nichts. Aber sie spürte von neuem das Leben und dass sie nicht gestorben und nicht zwischen schmutzigen Wassern verreckt war.
Als er sie an sich zog, sacht erst, dann mit seiner ganzen Kraft, schien ihr erfüllt zu sein, was sie verborgen vorgefühlt und in scheu gehüteten Träumen gesehen hatte, und die erste Leidenschaft ihres jungen Körpers und ihrer jungen Seele vereinten sich so mit der unbändigen Leidenschaft des Mannes, dass ihr alle Schmerzen Seligkeit wurden.
»Inya-he-yukan«, sagte sie leise, deutlich, andächtig, als sie auf der nassen Wiese lag und wieder Mond und Sterne leuchten sah. Seine Augen waren merkwürdig, aber sie glaubte, alles, was darin verschlossen war, auch in sich verschließen zu können. Sie konnte warten; die Seligkeit kannte keine Zeit.
Sie bemerkte erst jetzt, dass er keine Kleider trug, sondern nur den ledernen Lendenschurz nach alter Indianerart, am Gürtel ein Stilett, am Schulterhalfter zwei Pistolen. Nahebei weidete ein Pferd, das ebenso triefendnass war wie die beiden ersten Menschen in der Urzeit der Prärie. Sie lächelte, und auf seinem Gesicht erschien auch ein Lächeln, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte; es war freundlich, in sich vollendet und ohne allen Spott.
»Weißt du noch?« sagte sie. »Ich habe einen kleinen Kaktus … da gepflückt, wo du mich das erste Mal in die Arme genommen hast. Ich war elf Jahre alt, und du warst sechzehn … und du warst noch einmal sitzengeblieben. Das Flaggengelöbnis hast du immer wieder falsch aufgesagt, und bei Mr Teacock wolltest du überhaupt nicht sprechen.«
»Er war von einem Menschen so weit entfernt wie ein Ziegenbock von meinem Pferd.«
»Und du hattest ihn – den andern meine ich – verprügelt, dass die Fetzen flogen. Es war ein früher Sommer wie jetzt, und die weiße Rose begann zu blühen. Die Wasser kamen, der Schnee schmolz. Du hast mich gefragt, ob ich deine Braut werden will … und ich wusste nicht, wie das ist … Dann bist du gegangen, aber du hast gesagt, du kämest wieder.«
Er vermochte nicht viel zu antworten.
»Du hast meinen Namen gerufen«, sagte er. »Du bist der erste Mensch, der nach mir gerufen hat, seit meine Mutter starb.« Er riss sie wieder an sich, und sie wollte in ihrem Leben niemals mehr etwas anderes sein als Tashina, die Frau des Inya-he-yukan und die Mutter seiner Kinder.
Es war noch immer Nacht.
Tashina krümmte sich, als ob ihr jemand ein Messer in die Eingeweide gestoßen habe, denn sie hörte eine Stimme, schmutziges Gift war diese Stimme.
»Jetzt ist es aber genug mit deiner Idylle, Chief, wahrhaftig, jetzt kommen wir dran …«
Stonehorn war schneller aufgesprungen, als Tashina überhaupt denken konnte. Er schlug dem Burschen mit der Handkante gegen die Kehle, dass er stürzte und ohne einen Laut liegenblieb. In der Linken hatte Stonehorn schon das Stilett. Er warf es jetzt seiner rechten Hand zu, aber der zweite Kerl war nicht mutig genug, um anzunehmen, und rannte weg. Stonehorn warf ihm das Stilett in den Rücken, so dass er zusammenbrach, und riss eine Pistole heraus. Doch kam er nicht zum Schuss. Er lag schon im Gras, als auf der anderen Seite der erste Revolver knatterte und die Geschosse über ihn hinwegpfiffen.
Mit einem Sprung kam er dann auf, schneller, als der andere neu zielen konnte, und schoss. Die Antworten kamen von links und von rechts; es mussten mindestens noch drei Banditen sein, die ihn aufs Korn nahmen, vielleicht auch vier. Er hatte beide Pistolen zur Hand und wechselte den Platz, suchte neue Deckung. Tashina konnte ihn nicht mehr sehen. Sie saß still im Gras und lauschte; ihre Augen waren auf das Pferd gerichtet, bei dem Stonehorn vielleicht noch andere Waffen hatte oder mit dem er vielleicht fliehen konnte. Zwischen den Hügeln peitschten Schüsse in schneller Folge. Das Gefecht zog sich hin. Kein Wort, kein Ruf wurde mehr laut. Es ging auf Leben und Tod, verbissen, mit äußerstem Hass. Banditen gegen Banditen, dachte Tashina eine Sekunde, aber dann war das weg, und sie fühlte und dachte nichts mehr als … Stonehorn …
An Tashinas Körper klebten die nassen Fetzen. Ihre Hände zitterten, als sie das Taschenmesser feststellte, so dass sie es als Stoßwaffe gebrauchen konnte. Sie umklammerte den Griff und verbarg die Schneide. Wenn ein Verbrechen an ihr geschehen sollte, wollte sie sich wehren, und wenn sie sich nicht mehr wehren konnte, wollte sie nicht überleben.
Das Feuergefecht war für einen Augenblick zum Stillstand gekommen. Wahrscheinlich hatten alle Deckung voreinander genommen. Es ertönten scharfe Pfiffe; das waren die Signale von Stonehorns Feinden. Einmal kreischte es auf: »Schwein und Verräter!« Als Antwort kam ein Schuss.
Am Eingang des kleinen Seitentals, in dem Tashina saß, erschien ein Mann, und obgleich Tashina in der Nacht die Farben seiner Kleidung nicht unterscheiden konnte, wusste sie sofort, dass es der Weiße mit dem braun-roten Hemd war, den sie in der Halle des Flughafens von New City gesehen hatte. Aus den Rufen und aus den Richtungen, aus denen Schüsse fielen, machte sie sich ein Bild von dem Stand des Gefechts. Offenbar hielten zwei oder drei Stonehorn in Schach. Sie feuerten immer wieder, und er antwortete sparsam. Er konnte seine Deckung offenbar nicht mehr verlassen. Ein weiterer seiner Feinde, und das musste der Mann im braun-rot karierten Hemd sein, sollte ihn umgehen und aus dem Hinterhalt niederschießen.
Aber als er Tashina vor sich hatte, kam diesem Karierten ein anderer, noch gemeinerer, wenn auch weniger kluger Gedanke. »He! Komm her, Stonehorn, du Schlappschwanz, ich hab hier dein Täubchen …«
Tashina begriff, dass sie jetzt dazu dienen sollte, ihren Mann aus der Deckung herauszuholen.
Sie erhob sich, um rascher handeln zu können. Tashina wollte sich nicht ergeben.
Dem Kerl im braunkarierten Hemd erschien das Mädchen schön, wenn er es auch nur als Schattenriss in der Nacht sehen konnte.
»Moment,..«, in seinem Tonfall klang ein Zwinkern mit. »Nachher! Ich servier dir Stonehorn zum Frühstück.«
Er wurde sich seiner ursprünglichen Mordaufgabe wieder bewusst und huschte weiter.
Tashina ließ die Messerklinge in die Erde sausen und wagte es, auf eine ganz andere Weise den Feind anzugreifen, um ihren Mann zu retten.
Der Karierte hatte das Gefühl, dass ihm eine Raubkatze von hinten in den Nacken sprang. Gewicht und Schwung brachten ihn, der von dieser Seite auf nichts gefasst gewesen war, zum Sturz. Der Revolver fiel ihm aus der Hand. Tashina hatte die Waffe schon, ehe er sich besinnen konnte. Sie zielte, als er sich aufrichtete. Auf der Ranch des Vaters hatte sie Waffen handhaben gelernt.
»Hands up!«
Als er nicht gehorchen wollte, schoss sie sofort. Er lag im Gras, und im Übermaß der Erregung und Erleichterung, auch in der Absicht, ihren Mann zu verständigen, stieß sie den schrillen Siegesruf ihrer Vorfahren aus.
Ein kurzer ähnlicher Schrei antwortete. Stonehorn lebte noch, und es schien, dass es ihm gelungen war, seinen Standort noch einmal zu wechseln. Seine Gegner hatten wohl eine Sekunde zu lange auf Tashinas Schuss und ihren schrillen Schrei gehorcht.
Das Feuergefecht setzte wieder ein. Aber jetzt war es einer, der die anderen jagte.
Endlich wurde es still.
Dann ertönte ein einzelner Pfiff. Er klang nicht schrill, sondern melodisch. Das Pferd setzte sich in Bewegung. Sicher galoppierte es seinem Herrn zu.
Tashina sah Inya-he-yukan in dieser Nacht nicht mehr. Lautlosigkeit legte sich über zerstörte Wege, niedergedrücktes Gras, gebrochene Bäume, lehmgefärbte Bäche … und über die Toten.
Tashina überlegte mit jener kühlen Berechnung, mit der sie den Raum für ein Bild einzuteilen pflegte, wenn die Leidenschaft der Intuition das Gesicht, dem sie Ausdruck geben wollte, schon geschaffen hatte.
Stonehorn war fortgeritten. Er hatte kein Wort mehr zu ihr gesagt, vielleicht keines mehr sagen können, wenn er noch jemand zu verfolgen hatte. Aber sie war seine Frau, und also musste er glauben, dass sie nun entschlossen genug sein würde, das Richtige zu tun. Tashina hätte versuchen können, nach den Toten zu sehen, aber der Gedanke daran kam ihr in diesem Augenblick nicht.
In einer Unwetternacht hatten Banditen ein scheußliches Verbrechen geplant und waren dafür mit dem Tode bestraft worden. Es erschien ihr im Grunde alles sehr einfach, und was hier geschehen war, ging auch niemanden etwas an als Inya-he-yukan und Tashina. Jedermann würde froh sein, in dieser Sache nicht weiter forschen zu müssen. Jedermann würde aufatmen, weil solche Banditen niemanden mehr bedrohen konnten.
Tashina warf den Revolver weg. Sie machte sich aus den nassen Fetzen wieder eine Kleidung zurecht und lief auf einen Hügel, ohne mit ihren Mokassins dabei viel Spuren zu hinterlassen. Von der Hügelkuppe aus orientierte sie sich. Sie wollte zu ihrem Wagen zurück und sehen, was davon noch übriggeblieben war.
Sie fand den Wagen. Das Wasser war im Sinken und Abfließen. Es gelang ihr, das Päckchen mit Fleisch und das Vollkornbrot herauszuholen, mit einiger Mühe schließlich auch ihr Köfferchen. Sie packte die Päckchen in den Koffer und machte sich zu Fuß auf den Weg zu der Ranch ihres Vaters. Die Luft war ganz ruhig, die Morgendämmerung zog herauf. Am Himmel leuchtete der Morgenstern, das sah Tashina als ein gutes Zeichen an. Von Übermüdung spürte sie nichts mehr. Sie lief schnell und ausdauernd. Zu Fuß war leichter voranzukommen als mit dem Wagen. Am schnellsten würde Stonehorn mit seinem Pferd sein. Es war ein prächtiges Tier, das hatte Tashina auch in der Nacht erkannt.
Ihr Mann lebte. Eine andere Gewissheit brauchte sie nicht.