Kitabı oku: «Stein mit Hörnern», sayfa 6
Die anderen
Es war Abend, und Queenie Tashina King lief ohne Eile den Hang hinter dem alten Blockhaus hinauf zu der Höhe, wo sturmzerstörte Kiefern mit neuen Trieben ihr Leben behaupten wollten.
Das alte Gras war durch Winterkälte und Schnee schlaff gemacht und niedergedrückt. Die ersten frühen Sonnentage und das aus dem Brunnen quellende Wasser riefen aber schon hellgrüne Halme aus dem Boden, zarte, neugierige Spitzen, die noch nicht dicht standen. Tashina lief barfuß. Sie konnte die Hänge und Wiesen überschauen und brauchte sich nicht vor Schlangen zwischen Gras und Kraut zu fürchten. Aber sie erinnerte sich an eine Sommernacht, in der Joe Inya-he-yukan King einer Schlange den Kopf zertreten und seine Frau Tashina in seine Arme gerissen hatte. Er hatte sie zu der Höhe und zu den Kiefern hinaufgetragen. Die Grillen hatten das Lied der in Dunkelheit versinkenden Prärie gesungen.
Das Licht der Sterne hatte geleuchtet, das Licht der Sterne leuchtete. Der Mond war silbergolden, und wenn alle weißen Männer mit allen ihren Künsten zu ihm hinauffuhren, so konnten sie ihn doch nicht finden. Sie fanden nur eine Wüste, doch sein Geheimnis fanden sie nicht. Tashina aber sprach mit dem Mond, der ihren Vätern und Vorvätern und auch der Nacht geleuchtet hatte, in der ihr Kind gezeugt worden war.
Es lag unter ihrem Herzen, groß und schwer, und sie hatte schon gefühlt, wie es sich rührte. Bis zu den Nerven ihrer Finger, bis in die Wärme ihrer Wangen spürte sie das Schwingen des neuen Lebens, sanftes, gewisses Schwingen.
Sie gewann die Höhe und wusste selbst nicht, warum sie von dort nicht zurück in das Tal schaute, das ihr so vertraut war, zu Haus und Pferden, zu den Gräbern geliebter und verhasster Toter, zu den Fenstern, hinter denen Kinder und Pflegekinder schliefen, oder hinüber zu den weißen Felsen, die auch in der Nacht noch hell waren. Sie schaute nicht dorthin, wo ihr Leben gebunden war. Sie stand auf der Höhe und blickte nach der anderen Seite, wo der Himmel tiefdunkel wurde und nichts mehr zu spüren war vom letzten Glanz der versunkenen Sonne, wo aber aus der Dunkelheit an einem neuen Morgen der neue Tag hervorkommen würde.
Wo sie hinschaute, gab es nicht Tal und Berg, nicht Straße und Friedhof, nicht Haus und Korral. Unbezwungen, ohne Ordnung, dehnten sich die Wellen der Wiesen und verschwammen in eins mit den Lüften. Es war alles noch offen, ungestaltet, auf das Künftige wartend und das Vergangene heimlich in sich bergend.
Tashina legte die Hände auf den Leib, in dem sie das neue Leben schützte, ihr Leben, Inya-he-yukans Leben, das Leben eines Kindes, eines Indianers, eines Menschen, in der Prärie gezeugt, aufwachsend künftig zwischen Not und Hoffnung, Gefahren und Liebe. Sie wartete am kommenden Tag auf das Wunder, von dem auch die klügsten Geister noch nicht wussten, ob es eine Frau sein würde oder ein Mann, zart oder stark, glücklich oder unglücklich, liebend oder hassend, lange lebend oder bald vergehend.
Aber Tashina, die schon Mutter war, wusste, dass sie wiederum Mutter sein würde. Sie hatte keine Angst vor den Schmerzen.
Sie sah die Weite der Prärie, sie fühlte die Kälte der heraufziehenden Nacht, die ihr Blut rascher zu pulsen zwang, sie spürte den Duft der Erde, des Wassers, die von fernher ziehenden Wellen des Windes, und ihre Füße fühlten das schlaffe Gras, grüne Spitzen, stachlige Blätter. Sie war eins damit. Mit dem Wind kam ein letztes dumpfes Brüllen der Büffel, abendlicher Ruf. Tashina sandte ihn in Gedanken zu ihrem Mann, der als Traum neben ihr stand: »Inya-he-yukan«– das hieß »Stein hat Hörner«, die weißen Männer sagten Stonehorn, Steinhorn, oder Stone with horns, Stein mit Hörnern. Das galt alles gleich, eins wie das andere, für seine nicht bezwingbare Seele. Sein Körper aber lag in Schienen und Binden, ausgestreckt und geradegerichtet, in künstlicher Luft, im genormten Bett einer unter vielen andern, hineinsinkend in eine neue Zimmernacht, vor sich den Morgen mit Gefäßen und Instrumenten und fremden Geistern, die mit seinem Körper ihr künstliches Spiel treiben konnten.
Tashina schloss die Augen und sandte ihre Gedanken dem Mann zu. Wenn das Kind geboren war, wollte sie es ihm bringen.
Nach zehn Tagen wollte sie es ihm zeigen.
Dann weckte die Freude seine eigenen Heilkräfte.
Die Luft der Prärie zog durch ihre Lungen. Langsam, sicher, kräftig ging sie den Hang wieder hinunter, grüßte die Pferde, lächelte die Hunde an und betrat die kleine Blockhütte, in der sie die letzte Nacht vor der Geburt verbringen wollte.
Die Zwillinge schlummerten schon dicht beieinander. Auf der zweiten Bettstatt lagen die Pflegekinder, Wakiya und Hanska, die den Vater verloren hatten und ihre Mutter, deren Geist erkrankt war, nie wiedersehen würden. Tashina hatte sich gewünscht, dass in dieser letzten Nacht die Kinder alle zusammen und bei ihr sein sollten. Sie hörte das Atmen der Schlafenden; darin war auch der Atem, und es schlug darin der Puls des Mannes, den sie liebte.
Queenie Tashina King schlummerte ein und schlief ruhig.
Am Morgen erwachte sie nach ihrer Gewohnheit sehr früh. Die Zwillinge hatten die Augen noch geschlossen, ihre braunen Wangen waren rund, schlafwarm. Hanska, zwölfjährig, träumte; vielleicht gewann er ein Rodeo auf Bronc sattellos wie sein Pflegevater Joe Inya-he-yukan King im vergangenen Herbst. Wakiya, dreizehn Jahre, war auf und kam zu seiner Pflegemutter Tashina.
Sie strich ihm über das Haar. Er war schon ein verständiger Junge.
»Was kann ich tun, Mutter Tashina?«
»Mach mir den Wagen fertig, Wakiya.«
Der Junge lief hinaus.
Tashina weckte und versorgte die jüngeren Kinder. Sie trug das Frühstück auf, rief Wakiya herein und aß und trank mit allen Kindern zusammen an dem rohen Holztisch. Es gab keine Unruhe und kein Schelten, nur Stille und Aufmerksamkeit.
Tashina fühlte in sich noch in alter Weise die Menschenwürde gemeinsamer Mahlzeiten, und sie erzog ihre Kinder zur Achtung davor. Wo ein Indianer war, da war er ganz, nicht mit den Lippen hier, mit den Gedanken dort. Gemeinsames Essen war gemeinsames Leben.
Als alle satt waren, machte Queenie sich bereit und fuhr mit Wakiya in dem zweisitzigen Cabriolet den furchenreichen Feldweg hinunter, die betonierte Talstraße entlang, der Agentursiedlung und dem Krankenhaus zu, in dem sie entbinden wollte.
Sie hatte noch Zeit. Es war nicht nötig, dass sie sich sogleich in dem Hospital meldete. Es gab vorher noch viel zu tun.
Wakiya blieb im Wagen. Queenie ging in das Bürohaus der Dezernenten und suchte Mrs Carson, verantwortlich für das Wohlfahrtswesen, auf. Es warteten einige alte Leute, aber Mrs Carson entdeckte, als sie einen Besucher einließ, Queenie, die im Korridor stand, und bat sie vorzugsweise sogleich zu sich herein.
Queenie machte vor der Barriere Halt, aber Mrs Carson hatte sich in den letzten Jahren angewöhnt, Indianer, die sie persönlich kannte, in den Raum diesseits der Barriere hereinzulassen. So bat sie Queenie zu sich, und die junge Frau nahm auf dem Stuhl dem Schreibtisch gegenüber Platz.
»Womit kann ich Ihnen helfen, Mrs King?«
»Haben Sie schon gehört, ob mein Gesuch Aussicht hat?«
»Alle Aussicht. Es muss den Amtsweg gehen, das wissen Sie ja. Aber es scheint mir sicher, dass Ihnen der Zuschuss bewilligt wird. Der Stammesrat hat befürwortet, Dr. Sligh hat ihn befürwortet, ich habe ihn befürwortet, sogar Mr Shaw hat ihn befürwortet. Der Gesundheitsdienst wird also Ja sagen. Sie erhalten dann als Zuschuss für die Kosten der Privatklinik beziehungsweise der privaten ärztlichen Behandlung, in der sich Ihr Mann befindet, die Summe, die im Indian Hospital auf ihn individuell entfallen würde. Ich vermute, etwa zwanzig Dollar pro Tag. Die allgemeinen Kosten und spezielle Arztkosten können natürlich nicht aufgeteilt werden.«
»Danke. Sie meinen, es ist sicher?«
»Sicher. Seien Sie unbesorgt.«
Queenie atmete auf und verabschiedete sich höflich. Mrs Carson öffnete und schloss die Barriere wieder, ehe sie die Tür für den nächsten Besucher aufmachte. Es sollte kein Unbekannter feststellen können, dass sie die angeordnete Barriere zuweilen als unnütz und peinlich empfand.
Queenie King winkte draußen Wakiya zu, dann schlugen ihre Gedanken und ihre Füße einen anderen Weg ein. Sie ging zu dem Gerichtsgebäude.
Crazy Eagle, der blinde Richter, war um diese Zeit stets in seinem kleinen Dienstzimmer zu finden, sofern nicht eine Verhandlung stattfand. Queenie traf ihn und seine neue Helferin, Erika Cramer, an. Sie wurde auch hier in freundlicher Weise empfangen und konnte ihr Anliegen sogleich vorbringen.
»Ich habe eine Bitte, Mr Crazy Eagle. In den nächsten zehn Tagen bin ich in der Klinik. Auf der Ranch sind wir zu wenig Leute. Joe hat für zwei oder drei gearbeitet. Er ist nicht da. Robert ist ein tüchtiger Bursche, er wird schon mit den Büffeln fertig. Er sitzt im Gefängnis. Von der Schulranch wollen wir niemanden für unsere Arbeit heranziehen, sonst heißt es, wir nutzen die Schüler aus. Mary Booth ist Rancherin, Mutter und Mitglied des Stammesrats. Sie kann nicht unsere Ranch noch mit versorgen. Zwei Büffelkühe werden kalben, vielleicht eben jetzt in diesen Tagen. Dr. Eivie war nicht nur Menschenarzt, er war auch Tierarzt. Er hat uns immer geholfen. Aber Dr. Sligh versteht nichts von Rindern und Büffeln, und so sind wir auf uns allein angewiesen. Kann Robert ein paar Tage Urlaub erhalten? Wenn er anschließend seine Strafe weiter absitzt? Es sind noch fünf Tage Haft übrig. Ich brauche ihn aber jetzt, sofort, weil ich heute in die Klinik gehe.«
Crazy Eagle wartete lange mit der Antwort. Queenie konnte die Gedanken hinter den toten Augen nicht erkennen und wartete in verborgener Ungeduld. Endlich war der Stammesrichter entschlossen.
»Es gibt eine Möglichkeit, Mrs King. Aber sie hängt nicht nur von mir, sie hängt ebensowohl von Robert selbst ab. Er hat sich in den ersten Tagen gut geführt, obgleich er offenbar überhaupt nicht einsieht, warum und wofür er bestraft wird. Aber vorgestern hat es einen Zusammenstoß zwischen ihm und unserem kleinen Polizisten gegeben. Wenn ich streng verfahren wollte, müsste ich über Robert eine Zusatzstrafe verhängen. Ich habe das davon abhängig gemacht, ob er sich entschuldigt. Bis heute war er dazu nicht bereit. Ich kann seine Widerspenstigkeit nicht mit einem Hafturlaub beantworten, das sehen Sie ein, Mrs King. Ich könnte aber Ihrem Wunsch entgegenkommen, wenn Sie Robert dazu bringen, sich zu entschuldigen.«
»Was hat er angerichtet?«
»Er hat unseren Polizisten ein Dickhornschaf genannt.«
»Einen Freund von Bighorn?«
»So etwa ist es zu erklären.«
»Darf ich Robert sprechen?«
»Sie haben ein berechtigtes Interesse daran, ihn zu sprechen. Er ist Ihr Angestellter; ich werde ihn herbringen lassen. Vielleicht gelingt es Ihnen, zum Guten zu wirken.«
Queenie saß auf einem einfachen Stuhl. Die Lehne stützte ihren Rücken.
Als Robert gebracht wurde, schaute er sie mit Trauer und Fragen an. Der große Polizist stand neben ihm. Queenie erhob sich.
»Robert,«– Queenie Tashina benutzte jetzt die Stammessprache, während sie mit Crazy Eagle Englisch gesprochen hatte –, »Robert, es geht um die Büffel und um die Büffelkühe, die kalben werden, und darum, dass Mary nicht allein damit fertig wird. Joe hat die Büffel wieder auf unsere Prärie gebracht. Ich möchte ihm sagen können, dass alles gut damit geht. Aber ich muss jetzt in das Hospital, und dann ist überhaupt niemand mehr da, der den ganzen Tag über auf das Vieh und auf die Pferde achtet. So geht es nicht. Ich weiß mir nicht mehr zu helfen. Ich muss dich bitten, dass du sagst, du habest den kleinen Polizisten zu unrecht ein Dickhornschaf genannt. Dann kannst du die Tage bei uns daheim sein, bis ich wiederkomme.«
Robert verzog das Gesicht und überlegte nicht weniger lange, als der Richter überlegt hatte. Er war ein prächtiger Bursche, groß und stark, mit offener Miene. Jedermann konnte darin lesen, wie schwer es ihm wurde, eine Unwahrheit zu sagen. Der kleine Polizist war ein Dickhornschaf. Das war noch das beste, was Robert glaubte von ihm sagen zu können. Vielleicht meinte er, dass man um der ganzen Wahrheit willen sogar noch viel Ärgeres über diesen kleinen Mann sagen müsse. Aber die Büffel … und Joe … und vor ihm stand Queenie mit durchsichtigen Wangen und flehenden Augen … Robert machte eine Bewegung, als ob er irgendeine Schlange abwürge.
»Also, er ist kein Dickhornschaf. Ich habe es zu unrecht gesagt. Wahrhaftig, ich habe es zu unrecht gesagt. Ich hätte es nicht sagen sollen.«
Queenie neigte den Kopf. Der Dank lag auf ihren Lippen, Robert atmete ihn ein, ohne dass sie ihn aussprach. Das Blut stieg ihm bis zu den Schläfen.
Erika Cramer nahm die entschuldigenden Worte zu Protokoll. Der große Polizist lächelte, verborgen, wie sein Dienst es ihm gebot.
Als die junge Frau in die Entbindungsanstalt aufgenommen worden war, erinnerte sie sich daran, dass sie drei Jahre zuvor in dem gleichen Raum gelegen hatte, ganz im Weißen; zwischen weißen Wänden, Türen und Fensterrahmen, im weißen Bett, vor einem noch unbekannten Erlebnis. Aber nun wusste sie schon, was kommen würde, und richtete sich darauf ein. Sie dachte an Joe, der auch in einem solchen Bett lag. Sie wollte ihm die Freude machen, das schönste und stärkste seiner Kinder zu gebären.
Im gleichen Raum lagen noch zwei Frauen, ältere Frauen. Die eine, Mrs Whirlwind, hoffte auf das zweite Kind. Es war ihr und ihrem Mann zu einsam daheim geworden, nachdem sie die Tochter Susanne in ein Schulinternat außerhalb der Reservation gegeben hatten. Die andere Frau, Florence Bighorn, erwartete das elfte Kind, die vierzehnte Geburt. Beide Frauen schauten mit Wohlwollen auf Queenie Tashina King. Sie freuten sich, dass es eine so schöne junge Indianerin gab. Margot Crazy Eagle, die gazellenäugige Schwester, kam zu den Frauen, von denen jede auf ihre Art Aufmerksamkeit anzog und beanspruchte. Oberarzt Barn machte seine Visite.
Queenie erinnerte sich an Piter Eivie, an sein freundliches, rundes Gesicht und an die Art und Weise, in der sie sich mit ihm über alles hatte aussprechen können, auch über die Frage, was ein Indianer in einer Klinik der weißen Geister fühlte und dachte. Aber mit Barn scherzte sie nur.
»Was soll es denn werden? Ein Junge?«
»Haben wir schon, Dr. Barn.«
»Ein Mädchen also?«
»Haben wir auch schon, Doktor.«
»Sie waren ja fleißig. Und was muss nun vermehrt werden? Bestand an Jungen? Bestand an Mädchen?«
»Die Frage ist noch nicht dringend, Doktor. Die stellen wir nach dem achten Kind.«
Queenie sagte es heiter, aber ihre eigenen Worte hatten für sie versteckte Spitzen und Stacheln, denn sie wusste nicht, ob sie je noch einmal ein Kind von Joe würde haben können.
»Die Indianer sterben nicht aus, das ist sicher. Und auch ein Glück. Was werden Sie denn als Nächstes malen?«
»Prärie.«
»Landschaft? Das wäre neu.«
»Für mich, ja, wäre es neu.«
»Und was reizt Sie daran?«
»Eben die Prärie.«
»Was ist daran zu sehen?«
»Nichts.«
»Und was reizt Sie daran?«
»Eben das Nichts.«
»Wenn Sie das Bild zustande bringen, denken Sie an mich?«
»Ich vergesse nicht, Sie darauf aufmerksam zu machen.«
»Ausgezeichnet.«
»Es könnte aber sein, dass mein einstiger Lehrer, James Clark, ein solches Bild als Beute haben möchte.«
»Beute?«
»Ja. Beute seines Sieges.«
»Sieges?«
»Über mich, seine Meisterschülerin.«
»Erklären Sie, bitte.«
»Clark ist für das Chaos, das Nichts – aus dem allein, wie er behauptet, das Werden kommen kann. Er wollte mich einmal lehren, das Nichts zu sehen.«
»Und jetzt haben Sie es entdeckt?«
»Ja.«
»In der Prärie?«
»Ja.«
»Sie haben nicht unrecht. Es ist ein schauderhaftes Nichts hier ringsum.«
»Nichts – köstlich und wunderbar, Dr. Barn. Verborgener Schatz.«
»Sie sprechen als Indianerin.«
»Die aus dem ›Nichts‹ der Prärie geworden ist.«
»Sie treiben ganz hübsch Ihr Spiel mit uns.«
»Ich bin fröhlich, Doktor.«
»Scheint so. Was freut Sie?«
»Zuviel gefragt, Dr. Barn!«
An dem gleichen Tage noch erschien Dr. Sligh, der Chefarzt, obgleich die Entbindungsanstalt nicht sein Aufgabengebiet war. Die anderen beiden Patientinnen wunderten sich nicht. Queenie King war keine gewöhnliche Frau. Sie war eine geborene Halkett, sie war eine King geworden, und sie war eine Malerin. Die ganze Reservation war stolz auf sie. Die Ärzte sollten sich wohl um sie kümmern.
Auch war sie schön. Ja, schön war sie auch.
Mrs Whirlwind nahm allerdings an, dass ein Teil des ungewöhnlichen ärztlichen Interesses ihr selbst als der Frau des größten indianischen Ranchers gelte.
Sligh richtete sein Gesicht auf das routinierte Lächeln ein, das er bei Visiten zur Ermunterung der Patienten zu zeigen pflegte, kümmerte sich um Mrs Whirlwind, um Mrs Bighorn und endlich auch um Queenie King.
»Wie ich höre, ist bei Ihnen alles in bester Ordnung, Mrs King. Also voraussichtlich schon heute nacht?«
»Ja.«
»Wie soll es denn heißen? Joe?«
»Nein. Einen Namen gibt man nicht so schnell weiter.«
»Aber Altvater Joseph hat schon vor zweitausend Jahren gelebt. An den denken Sie nicht?«
»Ich bin keine Maria, Doktor, und meine Kinder werden keine Heiligen sein.«
»Ich weiß nicht, Mrs King – Sie könnten das Modell zu einem Heiligenbild abgeben. Viel eher als Miss Booth, die den Namen Maria trägt und wie Martha aussieht.«
Queenie schaute auf die weiße Decke. Sie wollte den Schatten nicht sehen, der vor ihre Augen gegangen war.
»Müde?«
»Ja, müde, Dr. Sligh.«
Der Chefarzt sagte zu den beiden anderen Patientinnen noch ein freundliches Wort und entfernte sich.
Queenie hätte darüber nachdenken können, wie Dr. Sligh wohl zu der Bemerkung über Mary Booth gekommen war und warum er eine solche Bemerkung gerade jetzt machen musste. Aber sie wollte die Ruhe der Gedanken, mit denen sie die kommende Nacht erwartete, nicht stören. Als die Sonne unterging und der Himmel in einem linden Farbenspiel vom Tage Abschied nahm, wurde Queenie aus dem Zimmer und in den Raum geholt, in dem die Geburt vor sich gehen konnte. Sie hatte die ersten Wehen schon hinter sich. Die Hebamme erwartete sie und war zufrieden mit ihr, denn die junge Mutter war gehorsam und tapfer.
Als der Morgen graute, durfte Queenie ihr braunhäutiges Kind küssen, ehe es auf die Säuglingsstation gebracht wurde. Sie selbst lag erschöpft und zugleich wie neugeboren in ihrem Bett. Sie dachte an Joe.
An dem für Besuche freigegebenen Nachmittag drängte es sich von Freundschaft und Freude um Queenie Tashinas Bett. Die Kinder waren alle gekommen; die Jungen hatten auch die Zwillinge mitgebracht. Robert erschien, ernsthaft und verlegen, aber durch das allgemeine Gespräch bald aufgemuntert. Bob und Melitta, einst Schüler der Schulranch, tauchten auf, mit ihnen auch Percival, ihr Mitschüler, nunmehr Cowboy bei Mr Whirlwind. Yvonne, jetzt Mrs Charles Morning Star, brachte Grüße und Blumen. Die Rektorin von Queenies ehemaliger Schule, Mrs Holland, ließ sich sehen, mit ihr kam Mr Ball, Wakiyas Klassenlehrer. Mrs Carson schaute auf eine Minute herein und hatte Zeitschriften mitgebracht.
Es war eine lebhafte kleine Feier der lebhaften kleinen Freuden. Ihre tiefe Freude deckte Queenie zu, so wie sie ihren Körper unter der bezogenen Decke barg.
Sie hatte keinen Besuch mehr erwartet, als doch noch jemand kam und trotz der strengen Hospitalordnung nach einigem Disput auch für kurze Zeit hereingelassen wurde.
Queenie lächelte Mary Booth entgegen, der Besitzerin der Nachbarranch und steten Hilfe für die King-Ranch, besonders nun, da Joe nicht zu Hause sein konnte.
Mary war von Sligh zutreffend beschrieben worden. Sie glich der arbeitsbelasteten Martha der biblischen Geschichte, war kräftig, von voller Figur, jetzt, da sie ihr Kind säugte, noch voller als sonst. Sie hatte breite Hüften, starke Arme, und ihre Hände waren wie aus einem Stück damit geformt. Sie konnte es mit einem Cowboy aufnehmen. Ihre Stimme klang fest und derb. Nie hatte sie sich gescheut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen.
Mary war die erste Frau, die auf der Reservation die Würde eines Ratsmannes erhalten hatte.
Doch stand sie nicht voll Würde am Bett der jungen Mutter, sondern schüchtern und unsicher, mit einem kleinen bittenden und ungewissen Lächeln, ob sie noch habe kommen dürfen. Mit den andern zusammen hatte sie sich nicht zu dem Besuch aufgemacht, denn die Ranches durften nicht allein gelassen werden.
Als Queenie sie darum bat, setzte sie sich auf einen Besucherstuhl und legte die Hände in den Schoß, was ihr ungewohnt war. Sie gruppierte sie daher ein paarmal um.
»Was machen die Büffel, Mary?«
»Eine Kuh hat schon gekalbt. Alles ist gut gegangen. Robert hält sich ordentlich. Der Stier wird aber gefährlich, er hat zweimal angegriffen. Wir werden ihn wohl abschaffen müssen. Wir haben die ganze Büffelherde schon auf die entferntere Weide getrieben; im Tal, so nahe zu Haus und Straße, ging es nicht länger.«
Mary sprach nicht mehr schüchtern und unsicher, sie sprach trocken anordnend, sobald es um Ranch und Arbeit ging.
»In ein paar Tagen fahre ich zu Joe, Mary.« Das war Queenies Flucht aus der Situation, Marys Anordnungen einfach hinnehmen zu sollen.
»Dann, Queenie, frage Joe, was er denkt. Aber der Stier ist gefährlich geworden; wir müssen ihn abschaffen, ehe ein Unglück geschieht. Vielleicht können wir ihn mit Fell und Fleisch so gut verkaufen, dass das Geld für einen neuen, ganz jungen reicht und noch etwas darüber hinaus bleibt. Schade, dass Joe nicht da ist. Der Stier muss erschossen werden. Das wäre etwas für Joe.«
»Für andere Burschen ja nun auch. Es ist aber schade um das herrliche Tier und alle Erinnerungen. Behalten wir die Hörner?«
»Wenn einer, der das Fell nimmt, nicht auch die Hörner dazuhaben will.«
Queenie stopfte das Kissen unter den Nacken, so dass sie den Kopf höher halten und Mary gerade anschauen konnte. Sie zog die Mundwinkel ein wenig herunter.
»Hast du denn schon Käufer, Mary?«
»Ja, das Fell will Elisha Field nehmen, das wird ein schönes Dekorationsstück in seiner Gastwirtschaft.«
»Wer ist das, Elisha Field?«
»Der Nachfolger von O’Connor in der Kneipe von New City. Er ist aber ein ordentlicher Mann; er gibt keinen Brandy an Reservationsindianer.«
»Das Fell in eine Kneipe? Muss das sein?«
»Field knausert nicht. Vielleicht nimmt er uns auch weiterhin Fleisch ab. Vielleicht nimmt er auch jetzt gleich das Büffelfleisch dazu, und wir kommen auf unsere Rechnung. Ich habe einen jungen Stier gesehen auf der Ranch, von der Joe auch den alten geholt hat – den schon etwas zu alten, aber Joe hat sich damals davon bestechen lassen, dass das Tier aussieht wie der Leitstier einer Herde von zehntausend Stück in der guten alten Zeit. Es wird jetzt zu bösartig. Man kann es nicht mehr auf der Weide haben.«
Queenie wartete mit der Antwort, um ihre Kräfte zu sammeln. Es hatte sich ein Gewicht auf sie gelegt.
Schließlich kam sie mit ihren Gedanken wieder zum Vorschein. »Mary, die Büffelzucht soll doch auch dafür da sein, das Kunstgewerbe auf unserer Reservation zu entwickeln. Stell dir vor, wieviel Geld wir für eine Büffelhaut erhalten werden, wenn sie gegerbt und kunstgerecht bemalt ist. Das Zwanzigfache mindestens!«
»Aber viel später.«
»Warum drängt es so? Nur wegen des jungen Büffelstiers?«
Mary wiegte den Kopf, und dann strich sie mit den Händen die Knie.
»Das junge Tier wäre jetzt gerade günstig zu bekommen. Wir behalten sogar noch Geld übrig. Ich will nicht sagen, dass sich eine solche Gelegenheit nicht wieder bietet. Aber ich möchte auch Field nicht verärgern, denn ein stetiger Kunde in der nächsten Stadt ist für einen Rancher mehr wert als irgendeiner in der Ferne, an den man ein einziges Mal teuer verkaufen kann. Und brauchst du nicht jetzt Bargeld, Queenie? Für Joe – für Klinik und Arztkosten?«
»Nein, im Augenblick noch nicht. Ich habe Auftrag gegeben, das Bild von Rotadlermädchen zu verkaufen, und ich bekomme Zuschuss vom Gesundheitsdienst. Ich kann also noch warten. Die große Summe später wäre mir wichtiger als die kleinere jetzt.«
»Du fährst zu Joe. Lass uns nichts entscheiden, ehe er gesprochen hat. Aber du musst ihm sagen, dass wir den Stier nicht länger auf der Weide haben können. Das Tier müsste schon weg, ehe Robert wieder ins Gefängnis geht.«
»Ich werde es Joe sagen.«
Mary stand auf. »Also, dann schlaf gut, Queenie. Und mach dir keine Sorgen. Auf den Ranches ist sonst alles in Ordnung.«
Mary wirtschaftete allein auf der Ranch, die sie von den Eltern übernommen hatte. Sie arbeitete mit den Kings, deren Ranch auf der Talseite gegenüber lag, auf das engste zusammen. Auch die Übernahme von Pachtland war aufeinander abgestimmt. Joe King und Mary Booth hatten die Schulranch, die Nachbar der King-Ranch war, miteinander geleitet. Nun hing alles an Mary allein. Queenie war auch auf einer Ranch aufgewachsen und verstand etwas von der Arbeit. Aber Marys Kräfte und ihre Erfahrungen im Umgang mit Lehrlingen und mit Viehhändlern hatte sie nicht. Sie war eine Malerin geworden. Seit Joe in der Klinik lag, blieb Mary die Stütze und der Grundstein aller Arbeit mit Mensch und Vieh auf den Ranches.
Queenie überwand sich, Mary noch nach etwas anderem zu fragen als nach der Arbeit.
»Mary, wie geht es deinem Kind?«
»Es wächst und gedeiht. Ich hab vor vier Monaten in dem gleichen Bett gelegen wie du jetzt, Queenie.«
Queenie nickte Gute Nacht.
Mary ging.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, zog Queenie Tashina die Decke bis über die Stirn. Ihre Augen waren nass. Ihr Körper zog sich zusammen.
Mary hatte in dem gleichen Bett gelegen.
Auch ihr Kind war Joes Kind.
Queenie hatte das immer gewusst. Aber nun war es ihr körperlich zu nahe, und sie meinte, es nicht ertragen zu können. Nach einer schlaflosen Nacht vermochte sie ihrem Säugling nur wenig Milch zu geben. Die Schwester wunderte sich.
»Sie haben zu viel Besuch gehabt, Mrs King. Wenn nur die Besuche fortbleiben wollten. Nun, in ein paar Tagen haben Sie es geschafft und machen selbst Besuch …«
»Bei meinem Mann, ja.«
»Eine so große Reise?«
»Ja – ja.«
Als der Tag kam, an dem Queenie die Klinik mit ihrem Neugeborenen verlassen konnte, wurde sie von Mary Booth und Wakiya in einem alten, aber etwas größeren Wagen abgeholt, als es das schnelle Sportcabriolet der Kings war. Daheim in dem neuen Haus und auch in der alten Blockhütte, die der kleine Erdenbürger so wie alle anderen Kings schon am ersten Tag seiner Einkehr bei der Familie mit seinen noch völlig unwissenden Augen sehen musste, fand sich alles um ihn ein, was zu den drei Ranches gehörte: die Geschwister, die Pflegegeschwister, Robert und die Rancherlehrlinge, auch Mary mit ihrem kleinen Sohn, der zu lachen anfing und, wie alle Babys zu tun pflegten, zu Queenie strebte. Queenie war junge Königin, und die junge Königin lachte und bewirtete ihre Gäste. Sie trug ein neues, ein weißes Kleid. Sie wollte damit Joe überraschen, aber nun hatte sie es kurzerhand schon für den Empfang ihrer Gäste in der alten Blockhütte angezogen, überzeugt, dass kein Fleck es beschmutzen könne. Ihre Brust war voll und rund, ihre Haut durchblutetes Braun, wie neu geschaffen. Ihr schwarzes langes Haar lag glänzend, glatt. Sie war schön. Das machte sie gesund. Staunend schauten ihre Pflegesöhne Wakiya und Hanska auf eine Mutter, die ihnen rein, liebevoll, liebenswert und rätselhaft wie der Mond erschien.
Am nächsten Tag schon startete Queenie. Sie hatte das Dach des Wagens geschlossen, aber die Luft konnte an diesem Frühlingstag nicht anders sein als kühl, erfüllt von dem Duft aller treibenden Kräfte. So drang sie auch durch Tür, Fenster und Leinwand.
Abends erreichte Queenie ihr Ziel. Sie fand am Stadtrand Unterkunft in einem Motel, das ihr empfohlen worden war, schlief, wie von Schwingen getragen, und erwachte mit der Sonne und der ersten leisen Unruhe des Kindes. Am hohen Vormittag fuhr sie vor dem Portal der Klinik vor. Weiß wie Schnee und strahlend wie Sonnengeglitzer, trat sie ein. Der Pförtner, die Stationsschwester, der Assistenzarzt, der ihr begegnete, staunten alle auf ihre Weise. Diese Mutter und ihr Kind waren etwas anderes als der Alltag, und sie waren etwas anderes als »schmutzige« Indianer. Queenie hatte gewusst, welches Äußere sie zur Schau tragen wollte. O ja, sie hatte es sehr genau gewusst. Der Erfolg gab ihr recht. Der Assistenzarzt begleitete sie. Es war nicht ganz ersichtlich, warum, vielleicht hätte sie den Aufzug nicht sogleich gefunden oder sich in den Zimmernummern nicht ausgekannt.
Die Tür zum Krankenzimmer brauchte er nicht zu öffnen, denn sie stand wie üblich offen. Vor Queenie lag das Zimmer, das sie schon kannte, standen die vier Betten, je zwei rechter und linker Hand. Rechter Hand in dem ersten, der Tür zunächst, lag Joe, auf dem Rücken ausgestreckt, die Arme und Hände genau gerade gerichtet. Am Hals war das Ende einer Schiene zu sehen. Die schlanken, abgemagerten Hände, der lange, schmale Schädel, das schwarze Haar, das ausgemergelte indianische Gesicht hoben sich als Kontrast von dem genormten weißen Bett ab. Aus halbgeöffneten Augen schaute Joe Queenie und dem Kind entgegen.
Neben dem Bett stand schon ein Stuhl bereit.
Queenie setzte sich. Sie hielt das Kind so, dass Joe das braunhäutige Gesichtchen, die kleinen Fäuste, die in zufriedenem Schlaf geschlossenen Lider sehen konnte.
Seine Züge veränderten sich, er lächelte mit der zarten Liebe, mit der ein indianischer Vater sein Kind begrüßt.
Queenie traten vor Freude die Tränen in die Augen. Sie schämte sich nicht, und sie wusste, dass Joe Freudentränen erkannte. Die beiden spielten mit den Augen miteinander. Sie spielten Melodien, die nur ihr inneres Ohr hörte, Trommeln in Nacht und Wind, Singen der Männer, Stampfen der Tänzer, Rauschen des heiligen Baumes, wiegendes Gras, wiehernde Pferde, Galopp über die Erde, mächtige Sonne, verblutend am Abend, auferstehend am Morgen. Besiegtes Volk, dürres Land, müden Sinn, wiedererwachenden Mut, Liebe der Menschen, Kinder um Vater und Mutter, lachend, weinend, wachsend, fragend, Mann und Frau in der Nacht. Tashina und Inya-he-yukan brauchten eine Stunde, um zu hören und zu verstehen, was in ihren Augen verborgen schimmerte und was in ihren Ohren ohne Laut erklang. So lange blieben sie beide still und regungslos, und das Kind schlief. Sie vergaßen, dass sie nicht allein waren, denn in Wahrheit waren sie allein.