Kitabı oku: «Markus Blume führt dich durch die Zeit», sayfa 4

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„Das hast du nun davon, Zerner!“

Die Tür schwang auf, Ralf stürzte ins Zimmer. „Oh mein Gott, Markus, was ist denn hier los?“

„Der kleine Verräter hier wollte nicht zuhören! Er hat mich angegriffen! Übelste Beschimpfungen musste ich ertragen!“

Mein Adrenalinspiegel sank endlich, meine Beine und mein Körper begannen zu zittern. Ich war fertig mit mir – und auf dem Weg in eine andere Zeit.

Mein Zimmer füllte sich. Ich musste das Gebäude auf der Stelle wegen dieser Tätlichkeiten verlassen. Na und! Meine Habseligkeiten unter dem Arm, verließ ich mein altes Leben. Im Fahrstuhl traf ich meinen alten Freund H. W. Norbert. Sein Blick fiel auf meine Nase.

„Die ist aber dick, Markus. Hast du etwa mit Jansen geboxt?“

„Nein, alter Junge, mit jemand anderem. Bis dann!“

Die Straße war voller Leben. Junge Menschen im Jetzt gingen durch das Licht der Sonne. Ich ordnete meine zerrissenen Gedankenfetzen. Es war schwierig.

*

Meine ordentliche Kündigung wurde in eine fristlose umgewandelt. Mein Trotz war stärker als meine Angst: Ich war jetzt ich – allein. Na und?

In der U-Bahn spürte ich die Menschen um mich herum stärker als sonst. Die Unbekannten der Unterwelt, Reisende, die fremden Zielen entgegenfuhren. Meine Augen waren geschlossen. Ich hörte den Klang fremder Stimmen, die wellenartigen Geräusche im Zug. Es tat gut, jetzt nicht Ich zu sein, sondern nur ein Teilchen zwischen anderen. Hier lebte eine andere Kultur als unter der Sonne – sonderbare Wesen, Verhaltensregeln einer anderen Spürbarkeit des Seins. Markus, du bist schon wieder ganz der Alte. Ein Lächeln im Spiegel des Tunnels, mit meinen eigenen Augen. Ich weiß.

Ich betrachtete meine Begleiter. Ein Mann las seine Abendzeitung wie das Dossier eines Geheimdienstes, ängstlich, dass jemand neben ihm ein einziges Wort stehlen könnte. Ich war da anders: Meine Zeitung ließ ich die anderen oft mitlesen, aber auch nicht immer: Nicht jeder Nachbar war ein wirklicher. Die Menschen lesend zu betrachten war eine Erquickung: Da gab es Schnellleser, Langsamleser, Ritualleser und Kaumleser, viele Arten traf man hier an.

Der Kaumleser ist eine seltene Gattung; schlafend schafft er schon die erste Seite nicht. Der Ritualleser nimmt sein Buch wie eine Bibel in die Hand und versucht den letzten Seitenanschlag zu spüren, den er gelesen hat, um mit dem Aufschlagen fortzufahren. Der Langsamleser schaut immer auf die Uhr und verliert das Geschehen um ihn herum nie aus den Augen. Mein liebster Kandidat aber ist der Schnellleser: Stoppuhrgleich versucht er, jede Lesung mit einem besseren Quotendurchschnitt zu gewinnen …

Markus? Was ist? Wir müssen raus!

Leopoldplatz, umsteigen in die U 9, zwei Stationen bis Osloer, dann wieder umsteigen in die U 8, dann zwei Stationen bis Residenzstraße. Endlich aussteigen, der Sonne entgegen!

Die Oberwelt hatte mich wieder. Dieser Abschnitt da unten war Vergangenheit: verlorener Job, gewonnen eine andere Welt. Ich muss mich finden, hörte ich. Neue Schritte in eine unbekannte Zeit. Bäume rauschten, bunter Blätterwald, Blumen am Wegesrand. Herzzerreißend war der Tag, was mir die Zukunft wohl bringen würde? Komm, Markus, wir schaffen das! Nimm dich zusammen, wir brauchen Kraft für das, was vor uns liegt!

Der Haustürgriff grüßte mich wie einen alten Kumpel, kalt war seine Berührung, aber herzlich. Im Treppenhaus das schwache Licht der Abendsonne, leise Musik. Wohlriechende Düfte riefen in meiner Trüffelnasse Verlangen hervor, Magensäfte meldeten sich rebellisch: Wir haben Hunger!

Die Wohnung im ersten Stock. Als ich den Löwenkopf zog, erklang ein schnarrendes Klingeln. Heinz machte auf. „He, wie siehst du denn aus, Markus? Bist du etwa gestürzt?“

„Nein. Wo ist Prinz?“

„Draußen mit meiner Frau, im Park. Am See.“

Ich ging durch den Park, da sah ich die beiden schon von weitem auf einer Bank. Die Begrüßung war eine Freude, wie am Morgen. Zu dritt gingen wir den Weg Richtung Heim. Wilhelmine war eine schweigsame Frau. Prinz ging uns immer einen Augenblick voraus. Abschied im Treppenhaus, ihr Blick fragend auf mich gerichtet. Schweigend ging sie zurück in ihre Wohnung.

Ich war müde und fertig, fühlte den Schlaf, aber der Hunger, ein wütender sogar, stellte seine Forderungen. Ich gab mich geschlagen.

In dieser Nacht gegen zwei weckte mich Prinz, er zog an meiner Decke. Schweiß bedeckte meinen Körper. Na, schlecht geträumt? Nein, wirklich nicht.

Am Morgen nach dem ersten Tag danach machte ich mich an die Arbeit – Tragweite der Zukunft, den kommenden Tragödien nicht im Geringsten bewusst.

4

Das Programm Wandlitzer Allee 32: Rettung der Seelen lief an. Was kann ich, wie viel bin ich zu geben bereit?

Ich spürte, dass ich allein war. Ja, es war meine Entscheidung, diesen Weg zu gehen. Mehr als scheitern in den Phasen des wirklichen Lebens und den Zwischen-Lebenszeiten kann man nicht. Ich hoffte, ich sei ein Kämpfer. Mit dem Blick eines Menschen mit Fantasie war ich zu allem bereit. Ich machte Kassensturz: Konto und Sparbuch 18.000 Mark, dazu der Dispo von 4.000, machte zusammen 22.000 Mark. Markus, damit kannst du kein Haus ausbauen, das reicht nicht, du musst auch an die laufenden Ausgaben denken! Ich wurde wütend. Wie der mit mir sprach – als wäre ich ein Schuljunge!

*

Ich besuchte Erika, berichtete ihr von dem, was geschehen war. Sie staunte.

„Mein Junge, da haben sie aber wirklich einen Waggon voll Probleme! Ich kann ihnen, wenn Sie wollen, ein wenig helfen, aber nur, wenn sie mögen. Ich möchte ihre Kassenaufsicht übernehmen. Um Sie vor sich selbst zu schützen!“

Ich nickte. „Ist gut. Aber Sie haben mir schon so viel geholfen.“

„Ich habe doch keinen mehr auf dieser Seite des Lebens. Ich habe dadurch auch wieder neue Qualitäten des Lebens zu entdecken.“

Ein wolfartiger Gesang zog durch die Wohnung: Mein kleiner Prinz war im Land der Träume angekommen.

Eine Nacht lang, bei vielen Gläsern Rotwein, schmiedeten wir einen Plan. Wir hatten nichts zu verlieren. Die Zukunft war unser Ziel. Ja, wir konnten es schaffen!

*

Tage später klingelte es an der Tür. Es war schon spät.

„Mensch, Ralf Marloff, was treibt dich denn nachts durch die Stadt?“

Prinz stürzte sich auf den Gast, begrüßte den späten Gast auf seine Art.

„Ich bin gekommen, um dir als Bote einen Brief der Firma zu übergeben. Hier, unterschreib bitte den Zettel.“

Ich unterschrieb. „Muss ich den auch gleich lesen?“

„Nein.“

Wir redeten im Flur noch ein bisschen; Beklemmung spürte man schon ein wenig. Ralf machte sich auf den Weg, ein letztes Mal gaben wir uns die Hand – Abschied von der Vergangenheit. Hatten wir noch eine gemeinsame Zukunft? Ich wusste es nicht.

Im Zimmer öffnete ich den Brief. In kurzen Sätzen wurden meine Verfehlungen aufgeführt. Mir doch egal, Schnee von gestern, meldete sich mein Inneres. Plötzlich stutzte ich:

Des Weiteren möchten wir Ihnen mitteilen, dass die Fristlose Kündigung in eine Ihrem Vertrag entsprechende Kündigung umgewandelt wird.

Begründung:

Herr Ralf Marloff hat mir gegenüber glaubhaft erklärt, dass Sie sich in einer Notwehrlage befanden und sich gegenüber Herrn Zerner nur verteidigt haben. Aus diesem Grund haben wir die Kündigung umgewandelt.

Unterschrift der Geschäftsleitung

Dr. Quanterna

Personalaufsichtsrat

Ralf, alter Junge, das werde ich dir nie vergessen! Tränen der Dankbarkeit rannen über meine Wangen. Ich hatte jetzt viel Zeit, um meinem Ziel entgegenzuarbeiten – sechs Monate! Aus- und Umbau, der neuen Heimat entgegen! Tatendrang, Wagemut und Kämpferherz, eine gesunde Mischung, die alles Fragende zurücklässt, manchmal auch Bindendes. Es gab nur ein Ziel!

Mein Lebensmittelpunkt änderte sich, wanderte hinüber in die Welt des Handwerks – anders, aber nicht schlecht, das merkte ich schon nach kurzer Zeit. Programm bedeutet Organisation und Vordenken. Ich war in einem neuen Leben angekommen.

Im Keller strich ich alles weiß, der Boden aus Beton bekam einen hellgrauen Anstrich, ich verlegte Leitungen für Licht und Steckdosen.

Toll, im Baumarkt gibt ist alles, was die Arbeitshände so brauchen können!

Markus, ich finde dich manchmal ja gar nicht wieder.

Mein Inneres fühlte sich nicht mehr ganz gleichberechtigt, kam kaum mehr zu Wort – wie auch, so müde wie ich nun immer war!

Tage des Schaffens vergingen.

Am Samstag hatte ich den Keller fertig, die Heizung konnte eingebaut werden. Der Stromanschluss im Keller wurde durch eine Fachfirma angeschlossen und abgenommen. In einem Raum hinten links neben der Heizung zeigte der Elektriker mir, dass ich ab der Verteilerdose die elektrische Leitung vergessen hatte.

Beim Anbauen der Deckenlampe vergaß ich, den Strom abzustellen. Ein furchtbarer Schlag durchzuckte mich, als ich das Kabel berührte. Ein Unsichtbarer holte mich, ich kämpfte, aber meine Finger klebten an der Leitung, ich kam nicht von ihr los. Zitternd, in unsichtbaren Schmerzen, fiel ich ohnmächtig von der Leiter.

Ich sah mich selbst kalt am Boden liegend; schmerzendes Licht durchdrang meine Augen. Im Schleier des Vergehens sah ich plötzlich wieder die weißen Schleifen, die zum Zopf gebundenen roten Haare des Mädchens aus jener anderen Welt. Es kniete vor mir und seine grünen Augen schauten mich fragend an. War ich etwa auch schon dort, wo sie war? Sorgenfalten zierten ihre Stirn. Nein, Markus, du musst zurück in deine Welt! Dein Leben hier ist noch nicht gekommen!

Die feuchte Zunge und ein Fiepen mit Knurrlauten vermengt zeigten mir, dass ich noch auf dem Boden der Tatsache lag, wie kommst du hier her. Fragend entsagte ich mir diese Antwort, die Hände in meinen Haaren, grübelte ich der realen Welt entgegen. Hatte ich wirklich verstanden?

Du hast Mist gebaut, Markus, verdammten sogar, mein Alter. Willst du mich etwa umbringen?

Er war auch wieder voll im Einsatz, Strom kann auch Leben retten, ha, ha.

Vorsicht wurde ab jetzt mein Begleiter. Die Möglichkeit weiterer Unachtsamkeiten ließen mich weniger sorglos arbeiten als zuvor.

Wochen vergingen, Monate. Die Zeit war eine Reise von einem Baumarkt zum anderen; hinter mir brummte Bullys Boxermotor im Heck. Mein Heim erstrahlte Raum für Raum in neuem Glanz. Keller und Obergeschoss waren bald fertig, die Heizung mit einem 300-Liter-Speicher baute ein alter Freund mir ein.

Ich war voll Tatendrang. Erika bremste mich vorsichtig: „Pass auf, das Geld wird langsam knapp!“

Hörte ich ihre mahnenden Worte? Ich wollte weiter, sie nicht. Bremsspuren überall um mich herum!

Es wurde Oktober, die Nächte merklich kühler. Manchmal zweifelte ich, dann aber kippte ich die Karre mit meinen Sorgen einfach beiseite. Gut so, Alter, das gefällt mir, wie dein Dickschädel mit dir im Clinch ist! Dieses Lachen – Schadenfreude, oder? Nein, Markus, bestimmt nicht.

*

Ein lauer Oktobertag; die rote Sonne schimmerte, die Fenster glänzten. Ich war auf dem Weg zu Besorgungen. Bully sprang sofort an, keineswegs die Regel. Er war eben in die Jahre gekommen.

Für das Erdgeschoss wurden mir von meiner strengen Buchhalterin Erika letztmalig tausend Mark bewilligt – nicht gerade viel, aber auch nicht schlecht! Dennoch: Ich sah schon die Sorgen auf mich zukommen – Verdrängung nennt man das wohl.

Weiter, immer weiter ging ich den Weg der Fertigstellung meiner neuen Heimat. Der Umzug rückte heran. Meine alten Nachbarn waren traurig, mich verlassen zu müssen.

Im Baumarkt war es heute voll. Ich ließ Prinz im Wagen und machte mich daran, Objekte und Armaturen für das Gästebad zusammenzustellen. An der Kasse war Gedränge; überforderte Kassiererinnen motzten die Kunden an.

Meine Kassendame war eine füllige, etwa Dreißigjährige mit schlecht gefärbtem Haar. Mein Gott, dachte ich, sieht das Scheiße aus!

Ich stellte mir vor, sie fordere mich zum Tanzen auf, du aber bitte nicht …

Lass das!

Sie stellte sich wirklich blöd an: Die Ware lag auf meinem Wagen und sie tanzte mit dem Lesegerät um den Wagen herum, um die Preisschilder zu finden. Ich hielt mich schön heraus. Sie schnaubte und prustete. Toll, wie sie das machte, das WC-Becken zu drehen, um den Preis zu finden: Ihre fleischigen Wurstfinger befühlten das Etikett. Ich sah es, na und? Die Schlange wurde länger und länger: ich war in einer guten Position, sie nicht. Endlich, geschafft! Die Dame wollte von mir 685,25 DM. Ich forderte eine Rechnung. Schweißperlen an ihren Nasenflügeln, ihr flauschiger Oberlippenbart sog sie genüsslich auf. Ich sah in ihre Augen, sie waren nicht freundlich.

Sie findet dich scheiße, Markus. Du hättest ihr doch helfen können! Warum? Ich bin Kunde, nicht sie! Na, wieder dieser Machtausdruck „ich habe die Knete.“

Am Wagen zog ich die Schiebetür auf. Pass auf! Zu spät: Die Tür fiel mir auf die Füße. Seit Wochen schon war die Aufhängung kaputt gewesen. Bleibt so, dachte ich, dafür habe ich jetzt kein Geld. Mein Freund Prinz lachte mich an mit weitem Maul und hängender Zunge: Super, dass es endlich weiterging!

Die Straßen im Grau des Nachmittags, fuhr ich mit meinem treuen Bully los, mein Kleiner lag auf der Rückbank.

In der Müllerstrasse gab es einen Knall, der Auspuff flog vom Wagen. Mein Blick sah ihn noch gerade im rechten Außenspiegel verschwinden. Ich trat auf die Bremse, hielt, stieg aus und suchte die Straße ab. Schleifspuren von frischem Rost zeigten mir den Weg, führten mich zu einem U-Bahn-Eingang. Da lag das verbeulte Stück! Beim Zupacken spürte ich die Hitze der Arbeit, die es vor kurzem noch verrichtet hatte …

Los jetzt, weiter!

Ich packte den Auspuff in den Wagen und gab Vollgas. Laut knatternd überholte ich nach Atem ringende Bürger. Bully war in seinem Element: Mal richtig die Sau rauslassen!

Die Wandlitzer Allee lag im Dunkeln. Ich machte das Tor auf, der Wagen rollte auf seinen gewohnten Platz. Endlich Stille. Es roch nach Öl, Nebelschwaden stiegen aus der Bodenabdeckung, klar, ohne Auspuff kein Wunder – mein VW-Bus war eben in die Jahre gekommen!

Der Wagen war schnell leergeräumt. Wir hatten Hunger, machten uns etwas warm: Linsensuppe mit Würstchen, Hundefutter mit Hähnchen.

Los, an die Arbeit, Markus! Hör zu: Ich will mich nicht treiben lassen von dir! Ich bin der einzige, auf den du dich verlassen kannst.

Die Tage vergingen schnell, manchmal zu schnell. Aber ich hatte eben einen guten inneren Schweinehund – und Prinz.

Dann war alles fertig. Erdgeschoss, Obergeschoss, Garten und Keller erstrahlten in neuem Glanz. Ich war glücklich und lud meine alten Nachbarn ein, um ihnen mein neues Heim zu zeigen. Es war toll, sie herumzuführen, ihnen dies und jenes zu erklären. Erika schmunzelte durch ihre dicken Augengläser. Beim Abschied flüsterte sie mir ins Ohr: „Markus, du hast noch was vergessen!“

„Ich weiß.“

5

In der ersten Dezemberwoche sollte der Umzug sein. Aber ich wollte nicht Abschied nehmen, nicht fertig werden; Bindungen, dick wie Stricke, die sich beim Zerschneiden lianengleich wieder erneuerten, hielten mich fest. Ich fühlte eine tiefe Dankbarkeit, unter dem Dach des Lebens Freunde zu haben, die mich so liebten, wie ich war – manchmal auch unmöglich. Eben gleich wie ich nun mal bin!

Dennoch drängte die innere Uhr: Mein Mietvertrag lief aus, ich musste raus. Beim Einzug in mein neues Heim versuchte ich, so schnell wie möglich fertig zu werden. Vieles verschwand rasch in den Zimmern; das Haus war riesig gegenüber meiner alten Bleibe. Prinz suchte sich den besten Platz: Er schlug sein Lager in der Diele zum Nebeneingang auf.

In der ersten Nacht leuchtete der Mond wolkenverhangen. Sterne glitzerten im Schleier der Vergänglichkeit … Schlaf, Markus! Ich war schon auf meiner Trauminsel angekommen, er noch nicht.

Träume suchten mich heim. Ich durchlebte noch einmal die letzten Monate und Wochen, rege Begegnung der Seelen der Vergangenheit. Mein Leben hatte neuen Sinn bekommen. Ich war ein anderer.

*

Ein paar Tage später schaute Erika vorbei. Sie hatte Briefe unter dem Arm. Auf den ersten Blick Rechnungen und anderes dummes Zeug.

„Ich glaube, Markus, es gibt Ärger!“

„Warum das denn?“

„Lies, dann verstehst du!“

Atemstillstand.

„Setz dich Markus, schau dir an, was ich meine!“

Scheibenkleister, darauf hätte ich auch kommen können: 14.500 Mark Grunderwerbsteuer – Grundbucheintragung! Ich hatte gepennt! Ich wollte alles zu schnell.

„Ich hab dir von Anfang an gesagt …“

„Langsam, Markus.“

Erika wusste genau, ich hatte verstanden – Bremsspuren. Unsere Kasse zeigte noch genau 6.500 Mark – mehr hatten wir nicht!

„Markus, du bist ab Januar arbeitslos, deine Bezüge brechen weg!“

Ich wurde rot. Verdammt, lebte ich in einer Traumwelt? Wahrscheinlich, Markus. He, ich möchte nicht immer von dir bevormundet werden!

Frieden hatte ich nun nicht mehr. Es begann ein Ritt auf einem Mustang, ungebrochen und wild. Meine Nächte, bislang ruhig und friedlich, kehrten sich um ins Gegenteil. Angst hatte ich, oh Mann, die als Banker verkleideten Plagegeier zogen ihre Bahnen um mich! Pläne mussten her, aber welche? Geld, dieser Moloch, verlangte nach mir und meiner Seele: Komm! Befriedige meine Forderungen, ich habe lange Arme, mir entkommt keiner! Banken mit ihren Geldeintreibern kreisten durch mein Gehirn. Sie marterten mich; meine Gefühle wurden stumpf, verfielen in Winterschlaf, Worte anderer verhallten im Raum der Zeit. Markus, vorwärts jetzt, es muss weitergehen! Ich wollte nicht. War zerrissen. Erika war meine letzte Instanz. In einer langen und kontroversen Runde öffnete sie mir einen Ausweg. Ich musste mir Arbeit suchen – aber wo?

Die Zeitachse begann sich neu zu justieren. Tagelang suchte ich in der Vergangenheit nach einer Lösung. Dieter, der aus der dunklen, vergangenen Jugend, Discofieber-Dieter, der verrückte Dieter, fiel mir ein. Ich hörte, er sei Installateur geworden: „Gas – Wasser – Scheiße.“

Gott sei Dank fand ich ihn schnell. Er erkannte mich nicht. Zeiten verändern die Hülle des Lebens. Es war gut, meine Fehler einfach erzählen zu können, ohne Wenn und Aber. Mehr als auf die Schnauze kriegen war bei ihm nicht möglich. Discofieber-Dieter war seinem Motto treu geblieben: Lachen hilft! Er bot mir schließlich an, bei ihm zu arbeiten – Bingo!

Es war eine schwere Zeit der Umgewöhnung. Einen neuen Job einfach nur ausüben ist es nicht; du musst ihn spüren und annehmen, nur dann wird etwas daraus. Ich wollte und konnte es – sechs Wochen Schnellkurs Löten und Schweißen, ich war ein Naturtalent! Die Lötspitze „6 - 9“ wurde mein Liebling, schnelle Bewegungen erlaubten mir viel. Ich war glücklich, nicht versagt zu haben. Für Markus und seine Seele ein Neubeginn.

In der Heinrich-Müller-Straße wuchs ein Neubau empor – meine erste Bewährungsprobe. Ich zauderte, Disco-Dieter nicht. Im Bauwagen ging es fröhlich zu und ausgelassen. Ich fühlte mich gut. Meine Ausgeglichenheit war zurück. Mein Prinz und auch Erika fühlten es. Ich auch. Lebenslust war mein Begleiter, lachend ging ich meinem Tag entgegen. Gute Erfahrungen soll man spüren und leben! Markus? Bist du noch bei mir? Ja doch. Du hast dich in der letzten Zeit so richtig wichtig gemacht. Ich wollte dich nicht stören, ich war nur begeistert. Veränderungen sind eine geile Sache. He, du bist ja gut drauf! Na, klar doch.

*

Montag unterschrieb ich meinen Arbeitsvertrag bei der Firma Peugaß. Ich als Schweißer – welche Veränderungen die Wege des Lebens machen können! Dieter stellte mir meinen Arbeitsort vor, einen großen Komplex.

„Hier entsteht etwas Neues für unsere Alten – für unsere Senioren, meine ich. Mal reingucken?“

„Klar, mach auf.“

Eine Tür zum Untergrund öffnete sich: Dunkelheit, spartanische Beleuchtung, Kriechkeller. Höhe: ganze 90 cm. Mein neues Arbeitsgebiet. Besprechungen an der Öffnung zur Unterwelt. Schock, Klaustrophobie, weiche Knie. Der Boden unter mir öffnete sich. Ich lächelte Dieter an.

„Ich dachte …“

„Dieter, meine Angst verstehst du nicht. Ich lächle aus Verzweiflung, nicht aus Freude!“

Eintauchen in eine unbekannte Welt: Rohrleitungen aus Kupfer, glänzend, kilometerlang, in verschiedenen Dicken, 15 mm bis 110 mm, durch Absperrventile unterbrochen, ungelötet. Na, mal sehen.

Tage im Reich der Unterwelt erwarteten mich.

„Montag in einer Woche fängst du hier an, Markus. Atze und Sauerstoffflaschen sind bestellt, nebst Schläuchen und Brenner.“

Ich nickte ihm zu. Aber ich fühlte Angst.

*

In der Nacht fingen die Alpträume an. Schweißnass wanderte ich durch unbekannte Räume, öffnete Türen, wanderte über nächtliche Treppen. Was ist es, was du suchst, Markus? Angstgeräusche erfüllten meine Seele. Was suchst du? Hör auf, mich mit deinen Fragen zu martern, ich kann nicht mehr!

Nasser Schlafanzug, kalter Körper. Prinz blinzelte mich an mit müden Augen.

„Komm, leg dich schlafen alter Knabe, mein innerer Schweinehund hatte genug!“

Ich hörte Worte – diese verstehen? Nein, nicht wirklich! Markus ist wieder auf seinem alten, schlimmen Trip. Drogenähnlich. Nein. Noch schlimmer.

*

Ein müder Samstag. Der Dezember war da. Verdammt warm draußen, Sonne, kein Regen, Südwestwind, leichte Brise. Tannenrauschen vor dem Haus.

„Guten Morgen, Prinz!“

Er wollte raus, ich nicht. Ich öffnete schlaftrunken die Hintertür zum 2000-Quadratmeter-Garten, Prinz tobte sich aus. Ich fühlte mich noch nicht danach, er war eben etwas verrückt. Kaffee am Tisch ist immer toll, den Blick in die Sonnenwelt gerichtet. Plötzlich war wieder Ruhe, stille in mir. Seltsam, Markus. Findest du? Ich führte meine Seele aus im friedlichen Zwiegespräch. Kein Streit, wie so oft. Wollen wir die Fenster weihnachtlich schmücken? Willst du? Schon, ein wenig. Na, dann los.

Ich holte die Kiste aus dem Keller, schmückte die Fenster, viel war nicht übriggeblieben, der Umzug hatte in meinem Weihnachtsschmuck gewütet, schade. Der Tag ging schnell dahin, die Nachmittagssonne verschwand im Schatten. Ich ging ins Bett, Stille lag im Raum, es fühlte sich gut an - diese Ruhe.

Plötzlich riss mich diese helle Stimme aus einer anderen Zeit: Komm. Das ist Sie mit dem roten Haar „Markus – Markus, hilf uns!“ Wer bist Du.

Herzrasen, Herzpoltern, Schwindel. „Was ist, warum ruft mich jemand, den ich nicht sehen kann? Wo bist du?“

„Ich bin hier, im Haus!“

Gedankenkreisen – Kloß im Hals. Schlaf, komm Markus! Nein, ich wollte nicht mit, lasst mich hier, „Ich möchte nicht mehr wandern durch das dunkle Brunnental.

Verzweifelt wankend verließ ich das Bett, mit wildem Haar rannte ich ins Bad. Kaltes Wasser ergoss sich über mich. Saukalt. Ich schrie mich aus: „Ist mir kalt, furchtbar kalt!“

Schwankend, dem gefühlten nassen Satan entsprungen, mit einem Badetuch die Kälte aus dem Körper reibend, kehrte langsam Wärme zurück. Plötzlich stand ich am Ende des Flures. Hier gab es noch immer kein Licht.

Dort, hinter der Rigipswand, war die Tür zu der anderen Welt. Ein Schaudern stieg an mir hoch, Markus lass das, dieser wilde Drang schob alles beiseite!

Den Arm erhoben, zum Schlag ausholend, sauste diese alte rote Feuer-Axt in die Trennwand. Ich hatte sie vergessen, verdrängt, jene andere Welt! Laut wurde es durch die Hiebe meiner Hände. Ja, gib es frei, weiter so, Markus! Dumpfer alter Kaffeegeruch drang durch die Tür dahinter mir entgegen.

Ein Haufen Schutt wuchs zu meinen Füßen. Prinz beobachtete mich; er setzte sich am anderen Ende des Flures auf sein Hinterteil.

Endlich hatte ich ein breites Loch geschlagen. Ein erster Blick durch die Tür, diese alte verräucherte Glasscheibe lag im dunklen Schattenland:

Dunkelheit. Ach ja, die Scheiben hatte ich seinerzeit ja mit weißer Kreide bestrichen, zum Schutz und gegen die Verwitterung!

Dunkelheit, ein Druck meiner Hand auf die Tür, knarrendes Geräusch der Scharniere, ungeölt. Ein leerer Raum. Prinz rannte hinein, ich hörte ihn fiepen, er wanderte in seine Vergangenheit – und dann wieder zu mir zurück. Seinem Fiepen folgend, lief ich in diese künstliche Nacht.

Stolpernd tastete ich mich durch den Raum, fühlte das Fenster. Die Flügel waren kalt, die Scheiben rau von der Kreide. Meine Fingernägel kratzten über das Glas, ein Lichtstrahl des neuen Tages drang hindurch, wurde stärker. Ich kratzte immer weiter, das Licht entfaltete sich, meine Hände schmerzten.

Hol dir lieber warmes Wasser, Markus, es ist Sonntag! Wenn du so weitermachst, wird dein erster Arbeitstag schmerzhaft! Schau auf deine Finger! Ich will dich nicht immer an alles erinnern müssen!

Ich schwieg, die Idee war gut. Das heiße Wasser bewirkte Wunder: Der Raum tauchte ins Jetzt. Reinigende Strahlen, staubbehangen das Gewesene. Ich fühlte: Es ist nicht sichtbar, aber da. Im Sonnenlicht an der Tür drehte ich den Schlüssel nach links. Sie öffnete sich nach innen. Ein Windhauch schoss an mir vorbei. Herbstblätter vermischten sich mit Wind.

Bis zum Mittag schuftete ich, dann hatte ich Hunger.

Nach dem Essen machte ich mich weiter an die Arbeit: Ein scharfer Besen für das Grobe, Wischwasser für den Staub der Zeit. Ein großer Raum, vierzig Quadratmeter, über mir die Pracht der alten Stuckdecke. Hinter einer Tapetenwand hörte ich ein dumpfes Geräusch. Mit dem Taschenmesser schlitzte ich die Tapete auf – eine verborgene Tür!

Das Schließblech war nicht mehr da, nur die kleine Öffnung der Klinke war noch zu sehen. Ich zog einen Schraubendreher aus der Werkzeugtasche. Als ich ihn nach rechts drehte, öffnete sich die Tür nicht, aber als ich mich mit der Schulter dagegen warf, sprang sie auf.

Ein dunkler Raum. Wo führte sie mich hin? Im Licht der Taschenlampe erblickte ich eine seit ewigen Zeiten schlafende Backstube: Spinnennetze, staubverhangen. Verdammt, Markus, das alles gehört dir! Zwick dich mal! Aua, ich bin doch da!

Ich schloss die Tür wieder. Alles langsam, mein Lieber.

Beim Blick zur Decke fehlten etwa vier Quadratmeter Putz. Die mussten mal rausgefallen sein. Komm, wir machen jetzt noch die Decke zu. He, alter Streber, es ist Sonntag, der erste Advent! Na los, komm schon!

Ich ärgerte meinen inneren Schweinehund, holte Leiter, Baustrahler, Rigipsplatten und Schrauben. Deckenreste rausschlagen, altes Stroh entfernen, Rigipsplatten anschrauben. Meinen Kopf als Stütze benutzend, versenkte der Akkuschrauber eine Rigipsschraube nach der anderen, fast fertig! Fugenfüller hast du vergessen, stellte ich fest.

Ein Schmerz durchzuckte mich. Der Akkuschrauber stürzte zu Boden, mein Blick erfasste die Situation sofort: Ich war gefangen an der Decke, eine verdammte Schraube hatte sich durch meinen Zeigefinger geschraubt! Es begann zu pochen wie der Briefträger mit einem Einschreiben vor der Tür.

Schmerzen verzerrten mein Gesicht, Angst durchraste meinen Körper, Blut tropfte auf mein Gesicht. Gefangen blickte ich der Nacht entgegen.

Meine Blase meldete sich zum Rapport: Bald konnte ich das Wasser nicht mehr halten. Auf der obersten Stufe der Leiter stehend, zitternd, ergoss mein Inneres sich warm plätschernd meine Beine entlang über die Schuhe. Die Flüssigkeit wurde vom alten Boden aufgesogen wie von einem Schwamm.

Schmerzen durchschüttelten meine Seele. Markus, hörte ich mich, mach was, du musst hier weg! Eine Ohnmacht kommt dich holen! Verdammt, nein, ich wollte nicht daran denken: Ich sah meinen abgerissenen Finger, angeschraubt an der Decke – und ich am Boden mit gebrochenem Bein, gestürzt aus vier Metern Höhe!

Ich versuchte, das Taschenmesser aus der Hose zu holen. Endlich, geschafft! Die Klinge, mit den Zähnen gepackt, öffnete sich aus der Griffschale. Pochende Schmerzen, Schaum im Mundwinkel, ein geschlagener Boxer in seiner letzten Runde, so schwankte und taumelte ich auf der Leiter.

Mein Messer setzte an zum Befreiungsschlag. Als die Klinge in den Kreuzschlitz drang, drehte ich nach links. Schmerzen durchzuckten mich bis in die Fußspitzen, Blut spritzte mir in die Augen. Fast blind war ich nun, mehr fühlend als sehend! Beiß die Zähne zusammen, altes Haus! Schreiend drehte ich das Messer dem Leben entgegen.

Prinz bellte wie verrückt, stützte die Vorderpfoten auf die Leiter, mein Gott, diese Schmerzen, wie eine Geburt zu neuem Leben! Es dauerte und dauerte, die Schraube drehte sich Windung um Windung aus dem alten Holz durch mein Fleisch.

Die Klinge war tapfer, obwohl sie sich schon verbog. Nicht brechen, bitte! Geschafft! Endlich! Mein Finger war befreit von der Decke des Grauens. Noch zwei letzte Umdrehungen, die verfluchte Schraube war mit Blut getränkt. Ich stolperte die Leiter hinunter, stürzte durch den Raum, zurück ans Licht, in meine Welt.

Ohnmächtig vor Schmerzen, fiel ich mit nasser Hose auf den Boden. blieb erst mal liegen, Taube Mattigkeit zogen mich in Ihre Momente.

*

Es wurde dunkel. Prinz, mein alter Freund, wärmte mich. Ich lag auf dem Boden zwischen Schutt. Etwas zog an mir vorüber; fast unwirklich spürte ich eine Berührung auf meiner Wange. Ich fühlte: Ich war behütet. Der Schmerz klopfte im Takt, aber nicht mehr so heftig, dass ich aus meiner Ohnmacht erwacht wäre. Ein Singen führte mich zurück ins Leben. Meine Augen öffneten sich schwer. Blut klebte in meinen Wimpern. Im Schleier des Lichtes sah ich sie neben mir sitzen – das kleine Mädchen aus der Vergangenheit. Ihre Augen lachten. Rote Haare, diesmal nicht zum Zopf geflochten, bildeten einen Lockenkopf. Ihr Lächeln sah mich.

Mein Blick ging an ihr vorbei zur Decke – Blut! Ich wusste wieder Bescheid. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder. Sie war immer noch da. Meine Gedanken, zum Wort des Sprechens verpackt, fragten sie: „Wo kommst du denn her?“

„Ich lebe hier im Haus meiner Eltern.“

„Du auch?“

Ich war sprachlos und griff nach ihr. Meine Hände gingen nicht durch sie hindurch wie vor einem Jahr. Ich wollte sie fragen, wie sie hieß; meine Gedanken wurden getragen ohne Worte.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
351 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783943583922
Yayıncı:
Telif hakkı:
Автор
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Metin
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