Kitabı oku: «Auch eine Rosine hat noch Saft», sayfa 2

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Am nächsten Tag war Potsdam nicht mehr wiederzuerkennen. Die ganze Innen- und Vorstadt war zerstört, die Straßen, durch die ich jeden Tag mit der Straßenbahn zur Schule gefahren war, gab es nicht mehr, das Schloss, den Palast Barberini, das beliebte Café, das schöne alte Theater, in dem ich jedes Jahr das Weihnachtsmärchen gesehen hatte, die Kirchen, alle Häuser am Kanal und am Wilhelmplatz – nur noch rauchende Trümmer. An ausgebrannten Fassaden, die wie schwarze Skelette in den Himmel ragten, standen oft mit Kreide erste Nachrichten: Wir leben Inge, Heinz und Gabi. Oder: Oma Ursel, wo bist Du? Melde Dich, wenn Du lebst – Zeichen für die verzweifelt suchenden Angehörigen.

Wir liefen vorbei an der zerstörten ehemaligen Tuchfabrik Pitsch in der Wichertsraße in Babelsberg mit den Baracken für die französischen Zwangsarbeiter. Ihnen, wie allen ausländischen Zwangsarbeitern, war es streng verboten, die schützenden Luftschutz­keller aufzusuchen. Jetzt waren die Gebäude zerstört, alles war durch Phosphorbomben verbrannt und überall lagen verkohlte Menschen herum. Sie waren nur noch so groß wie Puppen …

Mitten im Krieg – etwa 1942 – kam ein Mädchen in unsere Klasse; sie war genauso alt wie wir, wirkte aber viel älter, war voll entwickelt, größer und kräftiger als wir und – hatte eine dunkle Hautfarbe. Sie hatte lange schwarze, glatte Haare und wir nannten sie liebevoll Negerbaby. Sie hieß Helga Schulze und kam mit ihren Eltern aus Brasilien. Ihr Vater hatte dort in der deutschen Botschaft gearbeitet. Sie sprach ein völlig akzentfreies Deutsch und wurde in unserer Klasse trotz ihres exotischen Aussehen sofort voll angenommen – was zu dieser Zeit weitaus ungewöhnlicher war als heute. Sie war sehr beliebt und auch unsere Lehrer begegneten ihr mir großer Freundlichkeit. Etwa zwei Jahre blieb sie bei uns, dann war sie plötzlich weg. Niemand sagte uns, wo sie geblieben war, es hieß, sie sei weggezogen … Ich habe nie wieder etwas von ihr gehört.

Die ständigen Fliegeralarme hatten mich doch mehr belastet, als meine Eltern zunächst annahmen, besonders nachdem eine schwere Luftmine in unserer unmittelbaren Nähe im Barberow-Weg einschlug und auch drei meiner Spielgefährten unter den Trümmern ihrer Häuser erschlagen wurden. Ich schrie regelmäßig nachts auf und erwachte schweißgebadet und zitternd. Als ich kurz darauf an hohem Fieber erkrankte und meine Mutter für nur wenige Minuten die Wohnung verließ, um einzukaufen, fand sie nach ihrer Rückkehr ein Chaos in unserem Wohnzimmer vor. Ich hatte in Angst- und Fieberträumen alle Stühle auf unserem Wohnzimmertisch zerschlagen und schlief erschöpft auf der Erde. Ich konnte mich später erinnern, dass ich schreiend und in Panik auf ein schwarzes Loch, in das ich hineinzustürzen drohte, verzweifelt eingeschlagen habe. Meine Mutter zog unseren Hausarzt zu Rate, der ihr dringend empfahl mich in ein Gebiet zu bringen, das nicht durch Bombenangriffe belastet war. Und so wurde ich meiner Schulklasse hinterhergeschickt, die gerade zwei Wochen zuvor nach Neu-Schleffin an der pommerschen Ostseeküste evakuiert worden war und zu der meine Eltern für mich noch ihr Einverständnis verweigert hatten. Wegen der Bombengefahr fuhren die Züge mit den Kindertransporten fast immer nachts los. Es war für mich eine schreckliche Fahrt, so mitten in der Nacht mit Schülern einer fremden Schule und einem Schild um den Hals von Umsteigestation zu Umsteigestation geschleust zu werden, bis mich eine Helferin dann noch bei Dunkelheit in der kleinen Ferienvilla Haus Erika ablieferte, in der sich meine Klasse schon seit zwei Wochen befand. Man brachte mich in ein Zimmer mit drei anderen Mädchen, die am Morgen voller Staunen eine fest schlafende Mitbewohnerin vorfanden. Ich hatte keine Schwierigkeit, mich in der neuen, friedlichen Umgebung einzugewöhnen, und fand mein seelisches Gleichgewicht in kurzer Zeit wieder. Meine Albträume verschwanden, und endlich konnte ich ein normales Leben ohne nächt­liche Fliegeralarme führen. Wir hatten vormittags im sonnigen Wintergarten Schul­unterricht, nach dem Mittagessen wurden die Hausaufgaben erledigt und dann ging es an den Strand oder wir machten Spiele mit Traudl und Ruth, Studentinnen, die uns betreuten und die wir sehr liebten. Unsere Lehrer kochten für uns und jeder von uns hatte seine Aufgaben, die alle drei Tage wechselten, vom Küchendienst und Servierdienst bis zur Reinigung der Zimmer. Wir lebten wie eine große Familie und endlich wieder wie normale Kinder ohne ständige Bombenangst. Nach dem halben Jahr an der Ostsee sollte es im Winterhalbjahr eigentlich weiter in ein anderes Lager in den Karpaten gehen. Aber glücklicherweise kam diese Reise nicht mehr zu Stande, denn die Front im Osten rückte nun langsam näher und wir wären vielleicht in den letzten Kriegswirren nicht mehr nach Hause zurückgekommen. So wurden wir im Herbst wieder nach Berlin gebracht, mitten hinein in die Bombennächte.

Auch der Weg zu meiner Tante in Grunewald wurde nun von immer mehr Ruinen gesäumt, viele der wunderschönen alten Villen waren von Bomben zerstört, die Gärten waren ungepflegt und verwildert, so auch die Villa Hettlage gegenüber den Siedlungshäusern, in denen meine Tante wohnte und in deren Garten ich oft mit den Kindern gespielt hatte.

Die Russen kommen

Der harte Winter 1942/43 hatte die Wende im Russland-Krieg mit den Kämpfen um Stalingrad und im Februar 1943 mit dem Fall von Stalingrad und dem Tod oder der Gefangenschaft von hunderttausenden deutscher Soldaten gebracht. Ich erinnere mich an den Tag, als die Nachricht von der Niederlage bei Stalingrad kam und unsere Musiklehrerin Frau Lorenz während des Unterrichts weinend vor unserer Klasse stand; sie hatte gerade die Nachricht erhalten, dass ihr einziger Sohn vor Stalingrad gefallen war.

1945 kam die Front nun unaufhaltsam näher, die Fähnchen auf unserer Landkarte, die den Verlauf der Front anzeigten, rückten täglich ein Stückchen weiter in Richtung Berlin. Ab Januar zogen bei eisiger Kälte wochenlang endlose Trecks mit Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten, aus Ostpreußen oder Westpreußen, aus Pommern und Schlesien durch unsere Stadt, meist zu Fuß mit Kinder- oder Handwagen, voll­gepackt mit dem Wenigen, was sie retten und tragen konnten. Die nicht mehr gehfähigen Großeltern und kleineren Kinder saßen oben auf den völlig überfüllten Wagen, die oft genug die Last nicht mehr aushielten und zusammenbrachen. Meist endete ihr Weg am Abend in einer unserer Schulen oder Turnhallen. Wir Kinder sahen voller Staunen auf die erschöpften, ausgehungerten und völlig übermüdeten Menschen, die dann auf Pritschen oder sogar auf der Erde liegend froh waren, sich wenigstens für ein paar Stunden ausruhen zu dürfen, und für die wir zuvor stundenlang Brote geschmiert hatten, bevor sie am nächsten Morgen weiter ins Ungewisse ziehen mussten. Nur wenige hatten das Glück noch irgendwo in einer Wohnung unterzu­kommen, meist mit der ganzen Familie in einem einzigen Zimmer, aber sie hatten erst einmal ein Dach über dem Kopf und mussten nicht weiter. Alle Einwohner waren bereit zu helfen und rückten enger zusammen, nur der Pfarrer unseres Ortes, der immer so von Nächstenliebe gesprochen hatte, weigerte sich, in seinem Einfamilienhaus Flüchtlinge aufzunehmen. Das konnte niemand verstehen …

Eines Tages hieß es, die Russen sind kurz vor Berlin, aber drei Ausflugsschiffe stehen in Potsdam bereit, um Frauen und Kinder über die Havel nach Brandenburg und weiter Richtung Westen zu bringen. Meine Mutter wollte in Panik sofort mit uns Kindern weg, aber meine Großeltern haben sie angefleht, kein Risiko einzugehen und zu bleiben. Welches Glück für uns, denn alle drei Schiffe wurden bombardiert und sind mit den vielen Flüchtlingen an Bord untergegangen.

Ab Januar '45 wurden die Fliegeralarme zum Daueralarm und wir lebten nur noch notdürftig versorgt Tag und Nacht im Keller. Wir hatten alle schreckliche Angst vor den Russen und haben tagelang im Radio die furchterregenden Nachrichten über die näher rückende Front gehört. Das Wummern der Geschütze in unserer unmittelbaren Nähe wurde immer lauter und hörte bald gar nicht mehr auf. Alle noch verfügbaren Männer – oft noch halbe Kinder von 15/16 Jahren und alte Männer – wurden zum letzten Aufgebot, dem Volkssturm, eingezogen. Schon zuvor wurden die Jungen von der Schule weggeholt und mussten als Flakhelfer die Fliegerabwehrkanonen bedienen helfen, die überall auf den Dächern standen und die bevorzugtes Ziel für Tiefflieger und Bomben waren. Zum Entsetzen der zurückbleibenden Frauen und Mütter wurden sie nun – kaum ausgebildet – mit Panzerfäusten ausgerüstet, sollten Panzersperren errichten und wurden in den Kampf geschickt. Wer sich entziehen wollte, wurde unweigerlich erschossen oder noch in letzter Minute aufgehängt mit einem Schild um den Hals »Ich bin ein Feigling«.

Noch heute erinnert eine Tafel am Berliner Bahnhof Friedrichstraße an zwei junge Soldaten, die unmittelbar vor Kriegsende wegen ihrer »Feigheit« von fanatischen SS- Leuten aufgehängt wurden.

In Schwerin gehe ich bei jedem Besuch zum großen Bahnhofsvorplatz mit der Laterne, an der am 2. Mai 1945, wenige Tage vor Ende des Krieges, die junge Lehrerin Marianne Grunthal für ihre Worte nach Hitlers Tod »Gott sei Dank, dann gibt es Frieden« von entmenschten SS-Leuten aufgehängt wurde. Der Platz trägt heute ihren Namen.

Eines Tages im Frühling vernahmen wir entsetzt die seltsam vibrierenden, singenden Geräusche von Panzern, die immer näher kamen, und dann hieß es plötzlich, die Russen sind bereits am Stadtrand, aber Babelsberg soll kampflos übergeben werden. Es war der 25. April 1945 und der Ring um Berlin war geschlossen worden, vereinzelt liefen noch deutsche Soldaten durch die Straßen, aber die Frauen riefen ihnen zu: »Nicht mehr schießen, nicht mehr schießen!« – schon hingen die ersten weißen Betttücher aus den Fenstern, doch immer wieder wurde aufgeregt gewarnt: »Nehmt die Tücher weg, sonst werdet Ihr aufgehängt!!« …

Dann: Schlagartig Stille. Es war fast kurios: Wir alle – Kinder, Frauen, alte Leute – laufen in dieser höchst gefährlichen Situation aus den Kellern auf die Straße, stehen links und rechts an der mitten durch den Ort führenden Großbeerenstraße und hören die Schreckensnachricht: Die Russen sind schon am Ortseingang!

Es ist unglaublich, aber alle bleiben an der Straße stehen, auch ich stehe mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester am Straßenrand, doch alle hatten wahnsinnige Angst, es könnte noch irgendein Fanatiker aus einem Fenster schießen oder eine Handgranate werfen und damit einen Häuserkampf provozieren.

Plötzlich – kilometerweit zu sehen – ein russischer Soldat – er läuft mit schuss­bereiter Maschinenpistole mitten auf dem Damm aus Richtung Drewitz kommend an uns vorbei die Großbeerenstraße entlang, gefolgt von einem Offizier auf einem Motorrad und einem Panzer mit oben aufsitzenden Soldaten mit Maschinenpistolen.

Noch heute unvorstellbar: Wir stehen in dieser gefährlichen Situation wie versteinert am Straßenrand, keiner sagt ein Wort, niemand schießt – Babelsberg ist tatsächlich ohne Kampf übergeben worden.

Danach kam die kämpfende Truppe der russischen Soldaten. Wir hatten große Angst vor den doch sehr fremdartig und meist recht furchterregend aussehenden Männern, denen schreckliche Geschichten vorauseilten, und versteckten uns zitternd im Keller. Sie durchkämmten mit der Maschinenpistole in den Händen die Häuser auf der Suche nach deutschen Soldaten und wir hatten großes Glück; in unserem Haus wurde niemand verletzt, niemand vergewaltigt, nur einige Uhren wurden mitgenommen. Im Hause meiner Großeltern aber wurde die dort lebende Nichte ihrer Nachbarn, die 16-jährige, mit ihren langen dunklen Haaren bildhübsche Ellen von russischen Soldaten mitgenommen und, als sie zu fliehen versuchte, auf der Straße erschossen.

Auf unseren Nuthewiesen stellten die Russen ihre berüchtigten Stalinorgeln mit ihrem unerträglich pfeifend, sirenenhaft singenden Geheul auf und dann schickten sie Tag und Nacht ihre Raketen auf die Stadt Potsdam, die noch von deutschen Soldaten verteidigt wurde, und von dort schoss die deutsche Artillerie ihre Granaten zurück. Wir saßen weiter völlig verängstigt im Keller. Kurz darauf wurde von deutschen Soldaten die Lange Brücke gesprengt, um den russischen Truppen den Weg nach Potsdam zu erschweren. Sie war die wichtigste Verbindung über die Havel von Babelsberg nach Potsdam und zu dieser Zeit war sie voll mit Menschen, die vor den Russen flüchteten wollten. Ohne Rücksicht auf die dort laufenden Frauen und Kinder wurde sie einfach in die Luft gejagt. Auch eine Klassenkameradin von mir kam dabei ums Leben.

In den kurzen Feuerpausen stellten wir uns beim Bäcker nach Brot an, immer voller Angst von einer Granate getroffen zu werden. Kaum ging der Beschuss wieder los, stob die ganze Warteschlange auseinander und jeder suchte Schutz in einem nahen Keller. Es war ein verrücktes Leben, aber immer mit der großen Hoffnung, bald ist alles vorüber, bald ist Frieden.

Ein paar Tage später wurde das zerstörte Potsdam von den Russen eingenommen. Aber immer wieder wurden Parolen verbreitet »Der Werwolf kommt zurück, nehmt Eure weißen Tücher von den Fenstern, sonst erschießen sie Euch«. Der Werwolf, das waren fanatische deutsche Soldaten, die nach dem Einzug der Russen Angst und Schrecken unter der Bevölkerung verbreiteten, weil sie androhten jeden zu erschießen, der sich den russischen Truppen ergibt. Auch wir in unserem Haus hatten Angst – aber vor allem vor den russischen Soldaten. Wir schlossen das große Hoftor ab und versteckten alles Wertvollere, was wir noch besaßen, im Keller unter Kohlen oder hinter Bretterwänden, u.a. auch mein Akkordeon, das die ersten durchziehenden Soldaten schon sehr aufmerksam betrachtet hatten, aber als kämpfende Truppe nicht mitnehmen konnten. Eines Tages wummerten wieder Soldaten an das Tor und brüllten, dass wir aufmachen sollten. Nach längerem Herauszögern öffnete ein älterer Mann aus unserem Haus das Tor, worauf sie hereinstürmten und »Akkordeon, Akkordeon« riefen.

Meine Mutter hatte unser Akkordeon zwar inzwischen gut versteckt, aber aus Angst gab sie es gleich heraus und sie zogen glücklich mit ihrer Beute ab. Akkordeons waren bei den russischen Soldaten äußerst beliebt und man hört sie überall bei ihren Siegesfeiern auf der Straße.

Frieden

Bis zum 2. Mai 1945, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation, gingen die Kämpfe in unserer näheren Umgebung weiter. Dann war plötzlich Ruhe – kein Geschützdonner mehr, keine Bomben – es ging wie ein Lauffeuer durch die Straßen – es ist Frieden. Keine Glücksschreie, kein Freudentaumel, nur grenzenlose Erschöpfung und Dankbarkeit bei uns, dass wir alles lebend überstanden hatten. Von den russischen Soldaten drangen Freudengesänge, Lachen und Ziehharmonika-Klänge zu uns herüber. Sie waren in einem regelrechten Glücksrausch der Sieger.

Wir krochen endlich aus den Kellern, in denen wir viele Monate fast ausschließlich auf provisorischen Liegen gelebt hatten, zurück in unsere Wohnungen.

Alles war dort sehr ungemütlich: Die Möbel und unsere Betten waren mit Decken und Tüchern gegen die Splitter abgedeckt, alles Entbehrliche wie Geschirr, Wäsche und Kleidung war in den Keller gebracht worden und es gab weder Wasser noch elektrisches Licht. Obwohl die Fenster mit Pappe vernagelt waren, weil alle Scheiben vom Luftdruck der Bomben und Granaten zerborsten waren und überall abgefallener Putz von den Decken und Wänden herumlag, waren wir glücklich, dass unser Haus noch stand, und begannen langsam unser Leben zu normalisieren. Kerzen ersetzten die Lampen und endlich konnten wir uns auch wieder waschen. Weil die Wasserleitungen noch nicht funktionierten, holten wir das Wasser in Eimern von einer Pumpe auf der Straße, vor der wir stundenlang anstanden. Aber nun gab es keine Bombennächte mehr und ich konnte das erste Mal nach Jahren wieder durchschlafen und mich zum Schlafen ausziehen, denn in den letzten Jahren musste ich immer angezogen ins Bett gehen, um bei Fliegeralarm keine Zeit zu verlieren und ganz schnell in den Keller zu kommen.

Ich erinnere mich an meine Geburtstage in der Kriegszeit. Meine Mutter schaffte es immer, uns Kindern trotz der sehr eingeschränkten Lebensmittelzuteilungen eine Geburtstagstorte zu backen. Die stand dann nachts, wenn die Sirenen heulten, schon auf dem Geburtstagstisch – einmal sogar mit Apfelsinen aus der Sonderzuteilung für die schweren Alarme – und wir schleppten sie mit in den Luftschutzkeller, aus Angst, sie könnte von den Bomben getroffen werden.

Wir Kinder eroberten uns nun vorsichtig wieder unsere Wiesen, kletterten waghalsig über die verrosteten Eisenträger der zerstörten Nuthebrücke und sahen mit Entsetzen die vielen Leichen und toten Tiere, die flussabwärts trieben und sich an der Brücke stauten.

Jetzt war der Krieg vorbei, aber der Hunger war groß und wir mussten sehen, wo wir was zu essen herbekamen. Wenn es hieß, heute gibt es beim Bäcker Brot, dann standen wir oft viele Stunden in einer langen Schlange, um ein halbes Brot zu ergattern. Die Brote wurden meist noch geteilt, damit möglichst viele in der Warteschlange etwas abbekamen. Oft waren sie dann noch ganz klitschig, das heißt innen nass, weil sie nicht richtig durchgebacken wurden, doch wir haben sie mit Heißhunger gegessen, auch wenn uns danach schlecht wurde. Mit dem Zentimetermaß haben wir zu Hause abgemessen, wie viel jeder in der Familie vom Brot abbekommen konnte, und wir hungrigen Kinder wurden dabei immer etwas besser bedacht als Mutter oder Großeltern. Doch wie oft war es ausverkauft, wenn wir an der Reihe waren, und wir mussten hungrig nach Hause gehen …

Alles war zerstört, viele Fabriken brannten. Aber es waren auch Lager mit Lebensmitteln darunter und so holten wir aus einer halb ausgebrannten Mühle in der Babelsberger Straße unter Lebensgefahr einen halben Sack Mehl und ein paar Tüten Zucker und mein Großvater ergatterte eine kleine Kiste Margarine. Natürlich waren überall noch die Plakate, dass Plündern unter Todesstrafe verboten sei, aber es gab nur die Alternative zu verhungern oder zu plündern. In der Nähe vom Brauhausberg brannte eine Fabrik mit jeder Menge Büchsen mit Fleisch, Gemüse, Obst, Marmelade und Suppen. Meine Mutter, meine Tante Alice, mein Cousin Hans-Joachim und ich liefen mit einem Handwagen dorthin; wir kletterten über Schutt in die noch brennende Fabrik, stiegen über die heißen Büchsen hinweg, die unentwegt kochend zerknallten, verbrannten uns die Hände, aber luden trotzdem, so viel wir tragen konnten, auf unseren Wagen. Meine Mutter und meine Tante stellten uns Kinder dann mit dem gefüllten Handwagen etwas seitlich ab, um noch weitere Lebensmittel zu holen, als mein Cousin und ich durch eine Detonation zur Erde geschleudert wurden. Ein Junge hatte ganz in der Nähe von uns mit der überall herumliegenden Munition gespielt. Sie war explodiert und hatte ihn schwer verletzt. Wir sahen entsetzt, wie er schreiend mit großen Brandverletzungen im Gesicht, an Armen und Beinen auf einen Handwagen geladen und weggefahren wurde. Es ist für mich heute noch unfassbar, wie wir Kriegskinder mit der unmittelbaren Gefahr umgingen, in brennende, explodie­rende Fabriken kletterten und unsere Mütter, die immer so besorgt um uns waren, das als selbstverständlich duldeten.

Übrigens war meine Tante Alice eine sehr couragierte Frau. Sie hat bei aller Gefahr im Krieg den kriegsgefangenen Russen durch den Zaun oft Brot und andere Lebensmittel zugesteckt und die haben ihr dann aus Dankbarkeit selbstgefertigte Taschen aus Stroh geschenkt. Einmal hab ich auch eine davon bekommen, wobei mir eingeschärft wurde, mit niemandem darüber zu sprechen.

Mit ihr bin ich unmittelbar nach den Kriegshandlungen nach Potsdam gelaufen, um Brot zu besorgen. Neben der zerstörten Langen Brücke hatten die Russen ein Brücken-Provisorium über die Havel aufgebaut. Überall auf der Straße lagen erschossene Pferde mit aufgeblähten Kadavern, die in der Mai-Hitze jeden Augenblick zu zerplatzen drohten, und an der Ecke, wo das zerstörte Schloss begann, lag mitten auf dem Weg ein junger toter Soldat; er lag da wie im Schlaf, ohne sichtbare Verletzungen, und die Menschen liefen einfach vorbei. Ich musste immer wieder hinsehen und konnte es nicht fassen, dass sich niemand um ihn kümmerte, niemand deckte ihn zu, niemand begrub ihn. Sein Gesicht hat sich mir eingeprägt.

Am nächsten Tag war ich mit meiner Tante im Wald von Steinstücken, wo zuvor die letzten großen Kämpfe zwischen den deutschen und den russischen Soldaten stattgefunden hatten. Das war äußerst gefährlich, denn überall lag Munition herum und wir hätten von russischen Soldaten entdeckt, erschossen oder vergewaltigt werden können. Doch wir begegneten keinem lebenden Menschen. Die Russen hatten ihre Toten bereits weggeschafft, aber überall in den Unterständen, oft noch an Geräten sitzend, in Gräben und davor, lagen die toten deutschen Soldaten. Es waren hunderte. Sie hat ihnen die Erkennungsmarken abgenommen und an eine Sammelstelle gegeben. Wir waren ganz allein dort zwischen den Toten und den Spuren einer der letzten Kämpfe rund um Berlin. Eindrücke, die ich nicht vergessen kann.

Kurze Zeit später wurde im damaligen Ufa-Stadt, einem Teil von Babelsberg, wo die Filmateliers standen und viele der Stars wohnten, ein großer Teil der Villen von den Russen beschlagnahmt. Die Bewohner mussten ihre Häuser sofort ohne Mitnahme ihres Eigentums verlassen und das ganze Gebiet wurde danach weiträumig eingezäunt. Tagelang fuhren russische Lastwagen vollgeladen mit Büchern, Einrichtungs­gegenständen und Kleidung in den Wald von Steinstücken und luden dort den Inhalt der Häuser ab. Nur wenige wussten davon und kaum jemand traute sich damals aus Angst vor den russischen Soldaten in den Wald, um von den Sachen etwas für sich nach Hause zu holen, denn Schilder in russischer und deutscher Sprache untersagten das »Plündern« mit der Androhung »Wer plündert, wird erschossen«.

Auch das Haus, in dem meine Großeltern in Babelsberg lebten, wurde zu dieser Zeit von den Russen beschlagnahmt und sie mussten ihre Wohnung nur mit etwas Handgepäck sofort verlassen. Ihre Nachbarin, Frau Richter, wollte noch ihr Silber retten und in den Keller tragen und wurde dabei auf der Kellertreppe erschossen. In das Haus zogen russische Offiziere mit ihren Frauen ein. Nur wenige Wochen später wurde ein Teil der Wohnungen wieder frei gegeben und meine Großeltern konnten in ihre alte Wohnung zurück.

In der Nebenwohnung lebte noch die russische Offiziersfamilie Besarab mit ihrem wenige Monate alten Sohn Wladimir. Da ich sehr kinderlieb war, habe ich nur kurz nach Beendigung des Krieges das russische Baby spazieren gefahren und einen sehr freundschaftlichen Kontakt zu den Eltern gehabt. Sie luden mich ein, gaben mir von ihrer Offiziersverpflegung zu essen und wir konnten uns sogar verständigen, denn sie hatten in der Schule ein wenig Deutsch gelernt. Als sie nach einiger Zeit in eine andere Stadt versetzt wurden, musste ich wieder Abschied nehmen von meinem kleinen Freund Wladimir und von liebenswerten Menschen, die noch wenige Monate zuvor meine Feinde waren.

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