Kitabı oku: «Gertrud», sayfa 2
Frau von Pröhl betrat unter bedeutenden Anwandlungen von Neugier das Besitztum der Familie Rittberg, von welchem fabelhafte Beschreibungen im Umlaufe waren. Man pries das Schloss als eines der romantisch gelegensten und luxuriös ausgestatteten, und schon die ersten Wahrnehmungen der scharf und heimlich um sich blickenden Dame bestätigten diese Erzählungen. Wie fürstlich schön waren die Hallen und die Korridore des Schlosses, nachdem man durch antike Mauerwerke und über eine Zugbrücke hinweg in den engen Schlosshof bis vor die ganz altertümliche gotisch gewölbte Haustür gedrungen war. Gleich beim ersten Eintritte überfiel sie eine Empfindung, die an Erstaunen und Ehrfurcht grenzte, als sie die kolossalen Hallen betrachtete, die einst den Vorfahren Rittbergs zum Versammlungsorte gedient hatten, jetzt aber nur noch als eine Verbindung der beiden neuern Flügel benutzt wurden. – Eine Reihe korinthischer Säulen, von denen man nicht sagen konnte, ob sie zur Zierde der Halle selbst dienen sollten, oder ob sie zur Stütze der oberhalb liegenden Räume nötig waren, zogen sich bis zu den Treppen hin, wo sie in einem schönen Halbbogen mit Balustraden versehen, als Treppeneinfassung paradierten.
Frau von Pröhl ließ ihre Blicke mit unverkennbarer Bewunderung nochmals nach dem prächtig verzierten Treppenbalkon, der auf einem Trupp eben solcher Säulen ruhte, zurückschweifen, bevor sie am Arme des Junker Wolf den rechts liegenden Korridor entlang ging, und ihr erstes Wort an Rittberg war ein lebhaftes Lob des imposanten Aufganges zum zweiten Stockwerk.
»Tod und Hölle,« brach der Oberst laut lachend heraus, »mein Lischen betrachtet sich also ganz gemütlich die architektonischen Wunder des Schlosses Rittbergen, während wir hier mit dem Frühstück warten und beinahe verhungert sind. Es ist Zeitgeist, dass unsere Frauen mehr betrachten, als handeln. Lieber Rittberg, gewöhnen Sie Ihre Braut früh genug daran, dass sie mehr an Ihr Frühstück denkt, als an den Turmbau zu Babel. Himmelsapperment–«
Frau Lischen sah ihn schelmisch an und hob drohend den Finger auf –
»Mille tonnerres « verbesserte er sich in komischer Verzweiflung, »ich sitze nun eine volle Stunde vor dem besetzten Frühstückstische und labe mich am Dufte des gekochten Schinkens. Himmelelement – wenn ich nur satt davon würde! «
Die Damen hatten Erbarmen mit dem hungrigen Oberst und verschoben die Bewunderung der prachtvollen Myrtenbäume bis zu einer gelegenern Zeit.
Während er seinem Appetite folgte und dem Geschäfte des Sättigens mit allem Eifer oblag, plauderten die Damen mit Junker Wolf und dem Schlossherrn von den bevorstehenden Festlichkeiten, und Elvire bemerkte schlau lächelnd:
»Sie erwarte etwas ganz Besonderes von Poesie, denn der Professor Gellert habe sie ausführlich über alle Umstände der Verlobung und über den Charakter des Bräutigams befragt.«
»Er hat unsern Vetter Levin vor zwei Jahren kennengelernt,« fiel Junker Wolf ein, »und ihn damals etwas urwüchslich gefunden. Vielleicht liegt hierin das Motiv seiner wissbegierigen Forschungen, mein gnädiges Fräulein, und Sie irren sich in Ihrer Voraussetzung, als habe er die Notizen zu einem Hochzeitscarmen gesammelt. Mein Vetter Levin verehrt den Professor als Menschenkenner und als Dichter, allein ich muss befürchten, die Verehrung ist nicht gegenseitig.«
Margareth hob ihre sanften blauen Augen unwillig zu dem Junker auf:
»Gellert würde einem Ruhme als Menschenkenner keine Ehre machen, wenn er meinen Verlobten nicht als einen Edelstein anerkennen wollte,« sprach sie rasch einfallend.
»Nun, nun, Margareth,« scherzte der Junker, »kommt einmal eine Fabel von einem ungeschliffenen Edelsteine ans Tageslicht, so weiß ich, wer damit gemeint ist.«
Rittberg lächelte zu diesem Einfalle und nickte zustimmend mit dem Kopfe. Eine Feuerglut überströmte das schöne, weiße Gesicht der jungen Braut, als sie dem Beifallsblicke ihres Bruders begegnete, und sie wendete sich in großer Bewegung zu Frau von Pröhl, indem sie eine ganz abweichende Frage an sie richtete.
Diese beobachtete sie scharf.
»Woher die Aufregung?« fragte sie sich heimlich. »Ist Graf Levin ein roher Landjunker? Hat sie Ursache, sich ihrer Wahl zu schämen? Was hat sie, die Überfluss an Bewerbern erwarten musste, dazu vermocht, sich einem Manne zu verloben, der ihr an Bildung nachsteht? Nun, wir werden ihn ja sehen und werden selbst beurteilen können, wie sich die Fäden des Netzes um dies schöne Mädchen geschürzt haben. Gott gebe nur, dass er ihrer würdig ist, denn jetzt ist alles zu spät!«
»Wir erwarten heute auch noch unsere Tante Wallbott von Gotha,« unterbrach Rittberg die schwermütige Gedankenflut, welche Frau von Pröhl zu überschwemmen drohte. -
Der Oberst ließ mit gut gespielter Verzweiflung Messer und Gabel fallen und schrie kläglich:
»Was Teufel! Donnerwetter –diable –wollt’ ich sagen! Heute schon? Bringt sie den Leibaffen des Königs von Preußen, der sich zu ihrem und zu aller Entzücken jetzt in Gotha aufhält, mit?«
»Sie meinen Voltaire?« fragte Junker Wolf.
»Voltaire ist schon abgereist,« berichtete Rittberg unangenehm berührt.
»Schon abgereist?« fragte der Oberst verwundert. »Himmelelement, Lischen, wollte nicht Professor Gellert seinetwegen nach Gotha? «
»Allerdings, « antwortete Frau von Pröhl. »Ich werde ihn sogleich davon zu benachrichtigen suchen, damit er den Weg nicht vergeblich macht. Geht Voltaire nach Berlin zurück?« fügte sie zu Rittberg gewendet hinzu.
»Schwerlich! Der König wünscht es nicht, sagte mir der Präsident von Maupertuis.«
»Er wünscht es nicht!« wiederholte der Oberst im Tone übermäßiger Verwunderung. »Hölle und Teufel, das muss einen verwünscht tüchtigen Haken haben! «
»Was wird es weiter für Gründe haben,« meinte Frau von Pröhl. »Wahrscheinlich haben sich die ›großen Geister‹ gezankt, und da der König nicht fortgehen kann, so schickt er seinen guten Freund fort.«
»Vielleicht ärgert sich der König von Preußen nur über Frankreich, weil es sich von dem schlauen Diplomaten Kaunitz für Österreich interessieren lässt, und der arme Untertan Frankreichs muss für die böse königliche Laune büßen,« warf Junker Wolf ein.
»Mir wäre es ganz gelegen, wenn unser König sich überhaupt dermaßen ärgerte, dass er alle Friedensbeschlüsse über den Haufen würfe. Österreich hält doch keine Ruhe, bis es Schlesien wieder hat; es verlautet, dass Kaunitz seine ganze Macht aufbietet, um Maria Theresia zur Allianz mit Frankreich zu bewegen.«
»Es ist möglich, dass Voltaires Ungnade mit diesen politischen Ereignissen teilweise zusammenhängt,« unterbrach ihn Rittberg, »allein im Grunde ist das Zerwürfnis zwischen dem Könige und Voltaire rein persönlicher Natur. Er soll bei einer Gelegenheit, wo es sehr unpassend war und den König ganz besonders kompromittierte, gesagt haben: ›Man solle es nur mit den Verordnungen des hohen Herrn machen, wie er es mit seinen französischen Aufsätzen zu machen pflege, in welchen er das Gute ungeheuer hervorstreiche und das Schlechte still durchstreiche.‹ Der König erfuhr den Ausfall sogleich wieder, und da ihm mehrfach Dinge vorgekommen waren, die ihm seinen Günstling widerwärtig machten, so sendete er ihm seine Entlassung. Wie gesagt, es ist aber möglich, dass unser König die Veranlassung benutzte, um Voltaire loszuwerden, weil er sich über die französische Wetterwendigkeit ärgerte.«
»Was sagt aber Frau von Wallbott zu der extravaganten Ungnade des Preußenkönigs?« fragte der Oberst. »Mich wundert nur, dass die Dame, deren Mund Frankreichs Sprache redet, als sei sie nicht im lieben Deutschland geboren, zur Hochzeit nach Rittbergen kommen will, statt dass sie ihren angebeteten Philosophen, der durch seine Geisteskraft der ganzen französischen Nation ein Übergewicht über alle andere zivilisierten Völker Europas verliehen hat, nach Frankreich begleiten sollte.«
Frau von Pröhl brach in ein heiteres Lachen aus.
»Das musst Du auswendig gelernt haben, lieber Pröhl!« rief sie und wiederholte den ganzen Satz sehr pathetisch.
»Der Ärger hat es mir eingeprägt, Lischen,« erwiderte der Oberst. »Ich weiß es noch wie heute – Kreuzbataillon, wenn ich daran denke, schwillt mir der Kamm. – Es war Soiree bei Lischens Bruder, und der ganze gelehrte Kram tat sich dabei auf. Herr von Voltaire kam spät und schlich wie eine Meerkatze, buckelnd, wenn er mit einer Durchlaucht oder einer Exzellenz sprach, und naseweis gegen denjenigen, welcher mit ihm gleichen Standes war, im Saale umher. Nachdem er eine Menge Sottisen gesprochen, die nur halb verstanden wurden, entfernte er sich wieder, weil der König nach ihm verlangte. War es doch gerade, als wären wir alle miteinander dumme Jungens gegen diesen Kerl mit seinem französischen großen Geiste. Die Damen, wie immer bei solchem Geistesfirlefanz taten ganz verrückt, und da war es, wo Ihre gnädige Tante von Wallbott den erhabenen Ausspruch tat. «
»Meine Tante mag aber nicht Unrecht haben, lieber Oberst,« entgegnete Rittberg von dem Zeloteneifer des Herrn von Pröhl ergötzt. »Die Zeit wird es lehren, dass Voltaire von bedeutendem Einflusse auf die menschliche Geistesbildung gewesen ist. Er gehört doch unbestritten zu den scharfsinnigsten Männern der ganzen, weiten Welt, und Frankreich wird dereinst stolz darauf ein, die Wiege dieses großen Geistes –«
»Donner und Blitz, Rittberg,« unterbrach der Oberst seine Rede, »mögen die Franzosen den Kerl wiegen bis zur Ewigkeit, ich habe nichts, gar nichts dagegen und bin froh, wenn ich nicht dabei sitzen muss, um alle die Wiegenlieder für ihn mit anzuhören. Dereinst? – Dereinst? – Warten wir es ab, ob es ein ›Dereinst‹ für ihn gibt. Die Franzosen haben kein ›Dereinst‹. Sie müssen sich mitavoir undêtre begnügen.«
Ein helles Gelächter belohnte ihn für diesen guten Einfall, und man erhob sich gutgelaunt von der Frühstückstafel, um sich in einzelne Gruppen zusammenzustellen. Das allgemeine Gespräch hörte dadurch natürlich auf und man wählte zwanglos das Thema nach den verschiedenartigen Gemütszuständen. Frau von Pröhl versuchte jetzt mit einigen feinen Wendungen die Gefühle Margareths zu sondieren, allein ihre Bemühungen zerschlugen an dem geflissentlichen Ausweichen der jungen Dame, so dass sie zuletzt davon abstand, und das Nutzlose solcher Einmischungen einsehend, ihre Wissbegierde beschränkte.
Man trennte sich bald, teils um von der Morgenfahrt auszuruhen, teils um die Sehenswürdigkeiten des Schlosses in Augenschein zu nehmen. Der Oberst wollte ein Schläfchen versuchen, wie er sagte. Ehe er aus dem Kreise schied, wendete er sich mit neckischer Geheimniskrämerei an den Schlossherrn und fragte:
»Ein Wort im Vertrauen, lieber Rittberg! Muss ich denn lispeln,« – er sprach das Wort aus, als fehle ihm wenigstens die ganze Zungenspitze – »wenn Frau Tante von Wallbott hier ist?«
»Nein! Nein!« erklärte Rittberg lächelnd. »Tante Wallbott gehört nicht zur Union der Sprachverbesserer.«
»Doch, lieber Rittberg, doch! Sie ist die schlimmste gelehrte Dame, die ich kenne, und am Hofe zu Gotha soll schon stark ›gelispelt‹ werden, auch in Weimar und in Kassel! «
»Natürlich,« fiel Junker Wolf ein. »An allen kleinen Höfen, wo nicht viel Platz für die Füße ist, recken sie umso mehr den Kopf in die Höhe, dem Himmel und ihrem eigenen Ruhme entgegen.«
»Ich sage es Ihnen, Frau von Wallbott in ihrer Geistesmajestät ist eine gefährliche Dame, lieber Rittberg, gefährlicher, als jede Intrigantin, und ich wette darauf, dass sie jetzt lispelt.«
»Sie scheinen den Begriff des Lispelns mit dem der modernen Bildung zu parallelisieren,« rief Junker Wolf ihm nach, als der Oberst nach diesen Worten eilig den Saal verließ.
»Wir werden doch keinen Skandal vom Obersten zu erwarten haben?« fragte der Schlossherr besorgt.
»Tragen Sie keine Sorge, « beruhigte ihn Frau von Pröhl. »Er wird bei der Anwesenheit Ihrer Tante für nichts Augen haben, als für diese gefährliche, gelehrte und schlimme Dame, denn es gehört, wie die leidige Angewohnheit des Fluchens zu seinen seltsamen Eigentümlichkeiten, eine unbedingte und respektvolle Verehrung für geistig bevorzugte Damen zu haben. Natürlich ist ihm, wie jedem Manne, die Subordination eines geistigen, Wesens fatal, und er sucht sich durch tadelnde Worte zu rächen, allein immer nur hinter den Rücken der gelehrten, Damen. Fürchten Sie keine Betisen von ihm. Er wird der eifrigste Kavalier für Frau von Wallbott sein.«
Frau von Pröhl schickte sich nun an, dem Professor Gellert eine schleunige Benachrichtigung über die erfolgte Abreise des Herrn von Voltaire zukommen zu lassen, um womöglich dem kränklichen Manne die Strapazen einer Reise zu ersparen. Sie liebte den sanften, geistvollen Mann mit der Hingebung einer zärtlichen Schwester, und sie verfehlte bei ihren gelegentlichen Besuchen der Stadt Leipzig niemals ihn aufzusuchen. Ihre harmlose Heiterkeit sagte dem hypochondrischen Dichter sehr zu, und es gelang ihr jedes Mal, seine Stimmung auf einige Zeit zu verbessern. Zweimal hatte sie ihn auch schon überredet, einen kurzen Aufenthalt in ihrer angenehmen Häuslichkeit zu versuchen und sich durch ihre zartsinnigen Bemühungen zerstreuen zu lassen, allein für die Dauer halfen alle Zerstreuungen nichts. Seine Gesundheit war schwach und das Übel, das ihn folterte, trotzte allen ärztlichen Mitteln. Es war wohl selten ein Mann in dem hohen Grade, wie Professor Gellert, der Gegenstand einer all gemeinen Liebe und Verehrung, und er verdankte diese Auszeichnung nicht allein den hohen Eigenschaften eines Geistes, sondern auch dem reinen Wohlwollen einer Gesinnungen und der Liebenswürdigkeit eines bescheidenen Benehmens.
Frau von Pröhl hielt es für angemessen, einen Eilboten mit ihrem Briefe abzusenden, und diesen genau über den Weg zu instruieren, den er zu nehmen hatte, um, im Falle Gellert schon von Leipzig aufgebrochen war, ihn noch unterwegs über die Nutzlosigkeit seiner Reise zu unterrichten. Sie beschrieb dem Boten Gellerts Persönlichkeit mit der Umsicht eines Polizeiagenten, und sie überließ sich ganz unbedingt dem Vertrauen, dass ihre beeilten Maßregeln einen günstigen Erfolg haben würden.
Freilich, in unserem Zeitalter der Geschwindreisen und Dampffahrten möchte ein solches Vertrauen ans Lächerliche grenzen, allein damals drängten sich die Reisenden nicht massenhaft in die Gasthofsräume, nahmen nicht in fliegender Eile ein Mittagsessen an dertable d’hôte ein und befanden sich schon wieder unterwegs, wenn es dem Wirte einfallen wollte, irgendjemanden näher in Augenschein zu nehmen. Damals reiste man gemütlich von einem Gasthofe zum andern, wie es die Kutscher und die Pferde gewohnt waren, und es war Tausend gegen Eins zu wetten, dass sich der Professor Gellert, wenn er um zehn Uhr morgens von Leipzig weggefahren war, sich punkt zwölf Uhr in irgendeinem ›weißen Löwen‹ oder ›wilden Bären‹ der nächsten Landstadt befinden würde, seelenruhig ein Süppchen mit dem Wirte verzehrend.
Auf diese feststehende Lohnkutscherpraxis baute Frau von Pröhl die Gründe ihrer Hoffnung, und es war anzunehmen, dass sie richtig kalkuliert hatte.

Note 1
es wird von vornherein darauf aufmerksam gemacht, dass bei dem Tatsächlichen des Romans die Namen und Örter teilweise verstellt werden mussten
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Zweites Kapitel.
E inige Stunden später saßen die beiden Pflegetöchter der Frau von Pröhl, etwas ermüdet vom vielen Schauen, nebeneinander in der weichen Ottomane ihres Turmzimmers und plauderten nach Mädchenart über das Gesehene und Geschehene.
Wie alles im ganzen Schlosse, so war auch dies runde Kabinett mit geschmackvoller Bequemlichkeit eingerichtet und gestattete selbst von der Ottomane aus einen ergreifenden Überblick in die Weite.
Gertrud, ganz erfüllt von dem bezaubernd schönen Schlosse, achtete nicht auf das Schauspiel, das sich vor ihren Blicken entfaltete, sondern schwelgte in der Rückerinnerung der prächtigen Dinge, die sie besichtigt hatte, während Elvire, träumerisch versunken, aber mit wohl zufriedenem Lächeln zuhörte und dabei das schöne Panorama vor sich betrachtete. Ein duftiger Hauch hüllte die Ferne in ein unbestimmtes Licht und zog selbst um die näher gelegenen Gegenstände einen leichten Schleier. Der Fluss, von Baumgruppen bald versteckt, bald aber in silberhellem Glanze zwischen grünen Wiesen sich dahin schlängelnd, war von kleinen Kähnen belebt, und eine Fähre durchschritt schwerbeladen mit Holzwagen in träger Langsamkeit das seichte und sumpfige Gewässer. Ihr Blick durchflog die weite Landschaft, und ihr Herz klopfte stärker bei dem Gedanken, dass dies ihre künftige Heimat sei.
Zur Eintracht und zur vertraulichen Schwesterliebe erzogen, legte sie endlich die Arme um Gertruds Nacken und flüsterte ihr etwas von ihren glückseligen Empfindungen zu. Es war eine Ehre für dies junge, eben aufgeblühte Mädchen, dass sie in die Gefühle einer Braut eingeweiht wurde, und sie richtete auch ganz stolz ihr Köpfchen in die Höhe und legte ihre Stirn an Elvirens Stirn, schelmisch in deren Augen schauend. Es waren ein paar hübsche Mädchen, aber nicht aristokratisch bleich und fein, sondern mit echt bürgerlich blühenden Gesichtern, lebhaftem Mienenspiel und sehr feurigen Augen. Es waltete zwischen ihnen eine gewisse Ähnlichkeit vor, so dass man sie dreist für Schwestern hätte halten können, obwohl sie nur von mütterlicher Seite Geschwisterkinder waren. Elvire war etwas größer und schlanker und der Ausdruck ihrer Augen weniger keck, sonst aber von derselben lebhaften Zärtlichkeit, wie die ihrer Pflegeschwester.
»Du kannst lachen!« rief Gertrud halb schmollend. »Den schönsten, reichten, besten und klügsten Mann auf der ganzen Welt hast Du erobert! Wärest Du es nicht Elvire, ich könnte Dich beneiden!«
»Ahme mir doch nach,« scherzte Elvire, indem sie die langen Nackenlocken des jungen Mädchens um den Finger drehte und sie wieder am Chignon befestigte. »Es hat Dich ja heute ein noch schönerer Mann schon mit der Myrte krönen wollen.«
Gertrude schlug mit kindischem Trotze nach Elvirens Hand und richtete hochmütig ihre Stirn auf.
»Der Junker?« rief sie bei diesem, entschiedene Abneigung ausdrückenden Manöver. »Wie? Ist das Dein Ernst? Was würde wohl Onkel Exzellenz zu diesem Junker Habenichts aus Preußen sagen!«
Elvire sah frappiert von der Seite zu ihr auf.
»Du hast ja Vermögen,« warf sie ein.
»Ach so, und da meinst Du, der Junker Wolf könne sich auf meine Güter niederlassen, da er selbst keinen Platz auf der Erde hat, den er sein nennen kann. Nein, Elvire, daraus wird nichts. Ich habe im Sinne, zu einem Ehegemahle hinaufzusteigen, wie Du, aber nicht hinab. Während Du als Freifrau Bünau von Rittberg in der Welt paradieren willst, soll ich Frau Junker Wolf Brettow von Habenichts vorstellen? O bewahre! Den Gedanken schick’ schlafen. «
Im Grunde war Elvire mit dieser Antwort sehr zufrieden. Sie hatte schon gefürchtet, das junge Herz ihrer Cousine in Gefühlen verstrickt zu sehen, die ihr für späterhin schwere Kämpfe hätten bereiten können, da ihr Vormund noch für lange Jahre eine Stimme bei ihrer Verheiratung abzugeben hatte. Aber mit dem Instinkt des Weibes erlaubte sie sich weder einen Widerspruch, noch eine Billigung der hochfahrenden Aussprüche Gertruds, sondern begnügte sich, sie neckend mit einigen zärtlichen Scheltworten abzufertigen.
Gertrud fuhr aufgeregt und sehr lebhaft sprechend fort:
»Nein, Elvirchen, darauf mache Dich nur gefasst, dass Du mich einst noch auf irgendeinem Herzogen- oder doch mindestens auf einem Erbgrafensitz zu besuchen hast. Ich tue es nicht anders, und Onkel Exzellenz hat mir neulich auch gesagt, er wüsste in Schlesien einen Prinzen oder Grafen, – ich weiß nicht mehr genau – der mein Gemahl zu werden verdiente. Aber erst müsse Schlesien dem garstigen Preußenkönig wieder abgenommen werden, wozu auch alle Aussicht vorhanden sei.«
»Schilt mir den Preußenkönig nicht, Du Kobold,« wandte Elvire lachend ein. »Ich bin in kurzer Zeit eine Untertanin und werde kühn für ihn in die Schranken treten!«
»Du? Ach, mach’ mich nicht bange!« spottete Gertrud kindisch. »Du wirst mein Lebtag keine Preußenfreundin und der garstige Fritz wird nimmermehr Dein Ideal der Ritterlichkeit. Pfui – er schnupft Tabak! – Überdies, sagt Onkel Exzellenz, hat er sich benommen wie ein Räuber, indem er der armen österreichischen Kaiserin ihre schönen schlesischen Fürstentümer abgelistet hat. Aber, sagt Onkel Exzellenz, sie sind jetzt dabei, ihm ein tüchtiges Schnippchen zu schlagen. Unser Churfürst hat sich schon bereitfinden lassen für Österreich, und Maria Theresia will mit Hilfe Frankreichs die schlesischen Fürstentümer wieder erobern. Ist das nicht schön ausgedacht, Elvirchen?« fügte sie altklug hinzu und lachte herzlich, als ob es sich hier um Wiedererlangung eines Butterbrotes handle.
»Es mag schön ausgedacht sein,« erwiderte Elvire mit eigener Achtlosigkeit, aber doch im richtigen Verständnis des Gehörten. »Aber recht ist es von Maria Theresia nicht, dass sie hinterrücks ihre Friedensverträge mit dem Preußenkönig verletzt, da sie ihm doch eigentlich dankbar dafür sein muss, dass er ihr geholfen hat, ihren Lothringer Herzog Franz zum deutschen Kaiser zu erheben.«
»So – dankbar soll die Kaiserin noch dazu sein, obgleich sie diese Gefälligkeit teuer hat bezahlen müssen? Geh’, Elvire, Du fängst an preußisch zu werden!«
»Nein, Gertrud, das ist nicht preußisch, das ist nur menschlich gedacht,« entgegnete Elvire ernsthaft. »Denk’ Dir ‚mal, Du hättest mir ein Stück von Deinem Gärtchen unter der Bedingung überlassen, dass ich Dir dafür irgendetwas erzeigte, was Dir recht angenehm wäre –«
»Ja–ich denk’ mir das schon,« fiel. Gertrud keck die runden Arme über der Brust kreuzend mit herausfordernder Gebärde ein.
»Denk’ Dir, dass ich mein Wort gehalten hätte, und dass Du trotzdem ohne mein Wissen zur Mama Pröhl schlichest und sie bätest, Dir doch Dein Gärtchen wieder zu verschaffen, da es Dir leid sei, dass Du ein Stück davon weggegeben hättest. Nun, wäre das schön von Dir gehandelt?«
»So! Was gab Dir denn aber ein Recht an mein Gärtchen?« fragte das kleine Fräulein störrisch. »Wie kamst Du denn darauf, ein Stück davon zu verlangen? Und warum benutztest Du denn den Zeitpunkt, wo Du wusstest, dass ich zur Erreichung eines andern Wunsches gern bereit sein würde, für den Augenblick mein Gärtchen zu verkleinern?«
Elvire sah die junge Politikerin mit großen Augen an, dann lachte sie hell auf.
»Höre, Trudchen, Du hast bei Deinem letzten Besuche in Dresden ungeheuer viel gelernt!« rief sie aus; »Onkel Exzellenz hat mit seiner Diplomatie eine feurige und empfängliche Schülerin in Dir gefunden!«
»O, irre Dich nicht! Onkel Exzellenz weiß gar nicht, dass ich im Nebenzimmer alles gehört habe, was er mit dem Geheimsekretär Menzel gesprochen hat. Aber ich fand, dass er ganz Recht hatte, als er sagte: Preußens König verdiene es nicht anders, als dass ihm mit List das wieder entrissen werde, was er sich durch Schlauheit und Gewalt genommen habe. Wenn ich also, um bei Deinem Vergleiche zu bleiben, zu Mama Pröhl ginge und ihr heimlich vorstellte, wie sehr im Vorteile Du wärest und wie unrecht es von Dir sei, Dir mein liebes Gärtchen räuberisch zugeeignet zu haben, so bin ich ganz in meinem Rechte. Und wenn Mama Pröhl mir dann wieder zu meinem Eigentum verhälfe, ob durch List oder durch Gewalt, bleibt sich gleich, so verdiente sie eine Krone!«
»Schöne Grundsätze!« meinte Elvire heiter. »Und wenn Mama Pröhl, um bei meinem Gleichnisse zu bleiben, zur Erreichung ihres Zweckes zu tadelnswerten Mitteln ihre Zuflucht nimmt, zum Exempel zur Versöhnung mit einer alten Feindin, die nichts taugt und anmaßend ist–«
»Zum Exempel mit Frau von Wallbott,« unter brach Gertrud sie.
»O, nicht gerade diese, denn die gleicht meinem Bilde nicht.«
»Ich aber denke sie mir böse und anmaßend,« beharrte das kleine Fräulein.
»Das darf ich nicht zugeben,« eiferte Elvire. »Es ist die Tante meines Bräutigams – lassen wir also das Gleichnis lieber fallen.«
»Nein!« trotzte das hübsche Kind. »Ich will Frau von Wallbott als ein böses Prinzip aufgestellt wissen. Also wenn Mama Pröhl die alte, hässliche, anmaßende, gelehrte, unausstehliche Tante Wallbott zu Hilfe ruft, um mir mein Gärtchen wieder zu verschaffen, so ist mir dies ganz recht, obwohl ich diese Dame von Grund meiner Seele hasse und verachte. Wenn ich mein Gärtchen wieder erobert habe, dann weise ich ihr die Wege und sage: Bleib’ mir aus den Augen, so lang’ ich Dich nicht brauche!«
Elvire lachte diesmal nicht, sondern wandte sich mit den Worten zum Fenster: »Du bist kindisch und albern, liebe Gertrud!«
»So! Weil ich nicht preußisch denke, etwa?«
»Nein! Weil Du eine Frau verunglimpft, die Deine Ehrerbietung zu fordern berechtigt ist.«
»O, ich werde ihr den allertiefsten Knix machen,« spottete das Fräulein. »Ich werde ihr die Hand küssen! Ich werde ihr die hochzeitliche Schleppe nachtragen! Ich werde ihr zu gefallen ›bon jour ‹ und ›bon soir ‹ sagen! Ich werde ›lispeln‹! Ich werde mit Enthusiasmus vom Leibaffen Voltaire parlieren! Ich werde von Cato, Plato und Sokrates sprechen, obwohl ich nicht mal weiß, wo und wann diese Männer gelebt haben –«
»Da würdest Du sehr schlecht ankommen, denn Frau von Wallbott würde Dich mit einer einzigen Frage demütigen,« fiel Elvire ein. »Mich demütigen? Mit einer Frage? Elvire, Du dauerst mich! Gertrud von Spärkan ist die Verwandte eines sächsischen Feldmarschalls! Was ist denn Frau von Wallbott?«
»Eine sehr kluge, gebildete und herrschsüchtige Dame!« antwortete Elvire.
»Pah! Klug bin ich auch! Gebildet? Nun, das kann ich noch werden, wenn ich sonst Lust habe – und herrschsüchtig?«
Sie stemmte lachend die Arme in die Seiten. »Ich habe Courage für einige fünfzig kluge und gebildete Damen, die ›lispeln‹! Aber, apropos – kennst Du denn Frau von Wallbott? Ich dächte nicht!«
»Doch! Sie besuchte mit ihrer Nichte Margareth Dresden vor ungefähr drei Jahren, und da sah ich sie auf einem Feste beim Grafen von Brühl. Ich erinnere mich noch, mit welcher Ehrfurcht selbst die Herrschaften ihr huldigten.«
»Narrenspossen, wenn sie keine Durchlaucht oder Exzellenz ist. Ich verlache solche Huldigungen, die man der bloßen Klugheit zollt. Was ist Klugheit? Was ist Bildung? Was ist Gelehrtheit?«
Sie pustete verächtlich über die Flächen ihrer kleinen, weichen Kinderhände und hob sich dann majestätisch auf die Fußspitzen.
»Aber was ist Reichtum? Was ist Geburt? Was ist Rang und Stand? Das sind Güter des Lebens, die uns hoch stellen, das sind Vorzüge, die nicht jeder Handwerker erreichen kann, das sind die Süßigkeiten der Erde, wonach selbst die sogenannten ›großen Geister‹ streben.«
»Nicht immer, Gertrud,« wendete Elvire mit stillem Erstaunen zuhörend ein.
»O, hast Du nicht gehört, was Papa Oberst vom großen Voltaire erzählte: er buhlt auch um die Gunst und Bekanntschaft der Exzellenzen und Durchlauchten? Ah, Elvire, ich – ich möchte eine Königin sein – eine Kaiserin, wie Maria Theresia!«
Elvire sah sie starr und erschrocken an.
»Kind – es rappelt!« sprach sie dann ruhig und legte sich zum Fenster hinaus, um die frische Luft mit tiefen Atemzügen einzusaugen.
»Verstelle Dich nicht, Elvire,« plauderte das Fräulein ungestört weiter. »Auch Du möchtest herrschen –«
»O ja,« entgegnete Elvire zurückschauend, aber im Fenster liegen bleibend. »Ich möchte ewig im Herzen meines Reinhard herrschen.«
»Narrenpossen! Herrschen im Herzen des Mannes? Egal! Ist nicht der Mühe wert! Du verstellst Dich auch nur. Du möchtest ebenso gern einen Thron besteigen.«
»Hier im Hause als Hausfrau – o, ja!«
»Möchtest Völker beglücken.«
»Es müsste mir vom Schicksale ein Völkchen Kinder beschieden sein – dann ganz gern!«
»Kinder? Pfui, Du redest als Braut schon von Kindern? Elvire, wir passen nicht zusammen!«
»Das merke ich auch, nachdem Du mir entwickelt hat, wie ein Schmetterling aus einer Puppe kriecht.«
»Meinst Du mich mit dem Schmetterlinge?« fragte das Fräulein indigniert. »Dein Gleichnis hinkt. Ich fühle Adlerskräfte und meine Adlersfittiche werden mich zu einer Höhe tragen! Verlass’ Dich darauf!«
»Ei – mit dieser schön gelungenen Phrase kannst Du immerhin vor Frau von Wallbott erscheinen,«„ spöttelte Elvire und bog sich schnell weiter hinaus. »Ich sehe einen Wagen daherrollen – vierspännig – sie wird es sein! – Wie? Ein Mann bog sich eben aus der Karosse? Wahrhaftig, es ist ein Herr bei ihr!«
»Voltaire? Ist es Voltaire?« fragte Gertrud, schnell von ihren Adlersträumen genesend und zu einer neugierigen Kindlichkeit überschweifend. Sie riss das andere Fenster auf und heftete die scharfen Augen aufmerksam auf den ziemlich schnell näherkommenden Wagen. Der Herr tat ihr den Gefallen nicht, noch einmal hinaufzublicken. Sie nahm jedoch an, dass es kein anderer als Voltaire sein könne, und stürzte mit dem Ausrufe:
»Ich muss es der Mama Pröhl melden!« zur Tür hinaus.
Mittlerweile rollte der Wagen in den ersten Hof ein, passierte die Zugbrücke und langte gerade vor dem Portale an, als sich der Schlossherr, Junker Wolf und einige der vornehmern Hausbeamten zum Empfange der verehrten Verwandtin des Hauses Rittberg aufgestellt hatten.
Die Benachrichtigung des Fräuleins hatte natürlich die Meinung verbreitet, in dem Begleiter der Frau von Wallbott den fremdländischen Philosophen und Satiriker begrüßen zu müssen, und Herr Reinhard Bünau von Rittberg hatte momentan mit einer kleinen ärgerlichen Verlegenheit zu kämpfen, als er über die Worte nachdachte, die er zur Bewillkommnung des Franzosen für nötig hielt.
Wer malt ein Erstaunen, als sich ihm aus dem Wagenfenster ein liebes, wohlbekanntes Gesicht entgegenstreckte und eine Stimme voll liebenswürdiger Heiterkeit ihm zurief:
»Eheu !Carissime ! Wen glaubt Ihr hierzu sehen? Der ungebetene Gast muss an der Türe stehen!«