Kitabı oku: «Gertrud», sayfa 8

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Sie erhob sich mit standesmäßiger Grazie, zog die Enveloppe fester um ihre Schultern und machte sich bereit zur Mittagstafel hinabzugehen.

»Es weiß niemand, dass Du Margareth gesprochen hast?« fragte sie während dieser kleinen Vorbereitungen.

»Niemand als Rittberg und der Diener, der mich meldete,« entgegnete Alexander, hofmäßig artig ihr den Fächer aus dem Etui darbietend.

»Ich habe einen Plan, allein dieser würde erst von einer gewissen Notwendigkeit gereift werden müssen.«

»Es ist also, sozusagen, der gnädigen Tante letzte Retirade,« fiel Alexander ein.

»Nicht gerade das! Es liegt nur in meinem reservierten Verhältnisse zu meiner Prinzessin, dass ich nicht unbedingt mit meiner Zeit schalten darf, und mein Plan hängt mit einer Reise nach Paris zusammen.«

»Ah – ich verstehe! Sehr interessant!« rief Baron Alexander lebhaft. »Einem on dit zufolge ist Voltaire brouilliert mit dem Könige von Preußen, seinem Spezialfreunde, und will nach Frankreich zurückkehren?«

»Seine Absicht geht dahin, jedoch ist anzunehmen, dass der König alles aufbieten wird, den geistvollen Freund wieder zu versöhnen. Voltaire kann den ersten Schritt nicht gut tun, aber er muss beredet werden, ohne Spott und Satire einer Annäherung des Monarchen entgegen zu kommen.«

»Es gibt Lagen des Lebens, wo die Satire schweigen muss!« warf Alexander ernsthaft ein, indem er die Tür weit öffnete, um dem Reifrocke einer Tante Raum zu schaffen.

»Der Meinung bin ich auch! Voltaire will nach Paris und hat als Vorwand eine Einladung d’Alemberts benutzt, der schon seit Jahren seine Neugier durch die enthusiastischen Beschreibungen einer jungen schönen Freundin, Julie l’Espinasse, geweckt hat. Diese junge Dame ist jetzt die Gesellschafterin der Marquise Du Deffant, einer durch liebenswürdige und glänzende Eigenschaften ausgezeichneten Frau, die das Unglück gehabt hat, blind zu werden. Voltaire rechnet die Marquise zu den seltenen Erscheinungen in der Frauenwelt, die in der Jugend durch Schönheit bezaubert haben und im Alter durch ihren Geist entzücken. Der Zirkel, welcher die Marquise und Fräulein l’Espinasse umgibt, ist von den bedeutendsten Männern Frankreichs gebildet, und zwischen ihnen glänzen die beiden Damen wie strahlende Meteore. Dorthin möchte ich mit Margareth, um sie für die subtilen Genüsse eines schöngeistigen Lebens zu begeistern – dorthin würde ich sie führen, um ihr die bodenlosen Irrtümer ihrer Sinne, die einen Mann von zweifelhafter Bildung als Gatten zu betrachten geneigt waren, vor Augen zu bringen.«

»Die Kur ist gewagt, gnädige Tante,« erwiderte der Baron mit affektierter Bescheidenheit. »Der Liebenswürdigkeit eines Herzogs von Choiseul wage ich nicht zur Seite zu stehen!«

Frau von Wallbott sah ihn lächelnd von der Seite an.

»Wenn er mehr Mut und Begeisterung bei seiner Liebe zeigte, als Du, so möchte er zu fürchten sein, sonst nicht!«

Alexander küsste ihr geschmeichelt die Hand.

»Wir kennen die Liebenswürdigkeit des Grafen Brettow nicht, und dies erschwert meine Stellung,« entgegnete er leiser, weil sie langsam fortschreitend, jetzt dem Korridor sich näherten.

»Graf Brettow gehört zu den wüsten Jägern und rohen Landjunkern, die nach dem Dresdner Friedensbeschlusse die Armee verlassen haben, um auf ihren Landsitzen ein lustiges Leben voll wilder Gelage zu führen. Fürchtest Du den Vergleich mit solchem Manne?«

»Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, muss es uns ja sehr gelegen sein, dass der Graf, blind vor Zorn, sein Glück selbst zertrümmert hat,« meinte der Baron zufriedengestellt.

»Von der aufgehobenen Verlobung ist indes schon mehr laut geworden, als ich dachte,« flüsterte die Dame noch leiser. »Retten wir uns hinter den Schein der größten Unbefangenheit!«

Der Baron verneigte sich beistimmend.

»Die Gesellschaft, die wir finden, lässt sich leicht düpieren. Da ist ein junges, keckes Fräulein Spärkan aus Sachsen – die vertraue ich Dir an. Führe sie zur Tafel und fülle ihren kleinen, kindischen Kopf mit Erzählungen von Deinen Reisen. Den Oberst von Pröhl mit seinen Kernflüchen will ich schon besänftigen. Frau von Pröhl besitzt ein schätzenswertes Beobachtungstalent, ist aber zu sehr Stockpreußin, um nicht von einigen Flatterien, die man dem Könige Friedrich zollt, betäubt zu werden. Margareth mag unserm guten larmoyanten Gellert zuteilwerden. Nach der Mittagstafel beschleunigst Du Deine Abreise – das Übrige ordne ich in den nächsten Tagen, bevor die übrigen Gäste eintreffen. Margareth wird gern und muss sogar nach diesem Eklat die Gegend verlassen, und es ist natürlich, dass sie es unter meiner Obhut tut, und ich werde sie nach Paris entführen!«


Achtes Kapitel.

D ie erste Person, welche dem Baron Alexander Lottum nach seiner zeremoniellen Präsentation im Ess-Saale auffiel, war Fräulein Gertrud von Spärkan, die ihr frisches, hübsches Gesicht in einer Weise zu ihm emporhob, worin deutlich die sehr moquante Bemerkung zu lesen war, dass sie sich unter dem Baron Alexander eine imponierende Persönlichkeit vorgestellt habe. Allein ihr Urteil war nicht vorurteilsfrei. Alexander von Lottum gehörte zu den jungen Männern, die sich überall leicht Anerkennung verschaffen, und Gertrud hatte Unrecht, wenn sie seine persönliche Erscheinung nicht in Einklang mit seinen Ansprüchen bringen konnte. Alexander war, trotz einiger Charakterschwächen, ein beachtungswerter, junger Kavalier, der mit den ausgezeichneten Manieren eines vollendeten Weltmannes viele tüchtige Kenntnisse und einen strebsamen Geist verband. Seine Unterhaltungsgabe war berühmt, und sie bewegte sich immer in den Grenzen der Fassungskraft derjenigen Personen, mit denen er verkehrte.

Dieser Unterhaltungsgabe verdankte es der junge Baron, dass sich die feindseligen Oppositionsgefühle des Fräuleins Gertrud in ganz unglaublich kurzer Zeit verwandelten, dass sich ihr Gesichtsausdruck nach und nach verbesserte, dass ihr Lächeln immer verklärter wurde und dass sie zuletzt in voller, angeborner Liebenswürdigkeit glänzte. Es liegt in jeder Frauennatur die Lust, sich wichtig zu machen, aber niemals war diese Sucht wohl auf einen höhern Grad gestiegen, als in Gertrud. In ihrer kindischen Selbstgefälligkeit hatte sie sich nach gerade innerlich bis zu dem Punkte emporgearbeitet, wo sich der Mensch mit seinen weiten Ratschlägen für unentbehrlich hält und wo er sich berufen glaubt, Predigten und Lehren als eine göttliche Inspiration laut werden zu lassen. Gertrud stand mehrmals im Begriffe, wenn ihr Blick auf Margareth fiel, die sehr bleich und still neben dem Professor saß, sich in bittere und gehässige Zurechtweisungen zu verirren, und hätte ihr Baron Alexander mehr Zeit zu dergleichen großartigen Vorträgen gelassen, so würde sie wahrscheinlich die ganze Geschichte auf eine Weise zur Sprache gebracht haben, die zum vollsten Eklat führen musste. So aber hielt die Eloquenz ihres geistreichen Nachbarn sie in Schach und fesselte den Fluss ihrer Rede in die gehörigen Schranken. Überhaupt befand sich das junge Mädchen noch in dem Stadium der Weltbildung, wo das Siegel einer gewissen Blödigkeit die eigentlichen Charakterentwickelungen so lange unterdrückt, bis die Zutraulichkeit mit der längern Bekanntschaft zugleich wächst. Zuerst gab also Gertrud nur eine liebenswürdige Zuhörerin ab, verwandelte sich aber nach und nach in eine Erzählerin, der Alexander anfangs mit der kühlen Gelassenheit seines Wesens zuhörte. Allein er fand bald, dass die junge Dame mit einer merkwürdigen Gabe von Beredsamkeit ausgestattet war, und dass sie bedeutende Geisteskräfte in sich barg, wenn sie es auch liebte, sich häufig abgebrochen, kurz und kindisch auszudrücken. Er reizte sie, wunderbar angeregt und amüsiert, durch allerlei Widersprüche, und ergötzte sich an der kecken Anmut, womit sie den geselligen Ton handhabte.

Mitten in ihren heitern Plaudereien stutzte er aber, als die junge Dame plötzlich, mit eigentümlicher Betonung auf seine Mitteilung, »dass er sogleich nach auf gehobener Tafel nach Dresden abreisen werde«, ausrief: »Das ist gut! Das ist sehr gut!« Unter Neckereien verlangte er eine Erklärung über diesen Ausruf. Sie gab sie schnell gefasst mit den Worten, dass die Preußen Dresden sehen müssten, um Berlin ›abscheulich‹ zu finden. Der Baron lächelte. Er merkte eine Absicht, verfiel einen einzigen Moment in Nachdenken darüber und erwiderte dann scherzend:

»Ich bin aber gar kein Preuße, mein gnädiges Fräulein.«

Seine klugen Augen hafteten dabei so forschend auf ihrem Gesichte, als wolle er bis auf den Grund ihrer Seele sehen. Keck hob jedoch die junge Dame ihr feuriges Augenpaar und wiederholte fester und gewichtiger nochmals die Worte:

»Dennoch ist’s gut, sehr gut, dass Sie nach Dresden wollen!«

Es gelang ihm trotz seiner diplomatischen Feinheit nicht, dahinter zu kommen, ob reiner kindischer Übermut aus Gertrud sprach, oder ob es mit einem gewissen Plane in Zusammenhang zu bringen sei, dass die seine Abreise gutheiße. Sie warf mit affektierter Kindlichkeit alle darauf bezüglichen Forschungen zurück und ließ ihre frische, geistige Natürlichkeit so lebhaft hervortreten, dass der junge Mann endlich davon zurückkam, sie mit dem trüben Geheimnisse der verunglückten Hochzeit vertraut zu denken.

Da sich Gertrud in der Verwandtschaft mit ihrem Vetter, dem Feldmarschall von Spärkan, so überaus wohlgefiel, so war es natürlich, dass sie derselben Erwähnung tat und von ihrem letzten Aufenthalte in seinem Hause zu plaudern begann. Sie erwähnte dabei eines Gerüchtes über Kriegspläne und ließ sich endlich durch ihre vorherrschende Sucht, ›sich wichtig zu machen‹, verleiten, mit vollständiger Sorglosigkeit zu erzählen, dass die Ohrenzeugin einer Konferenz zwischen dem Geheimsekretär Menzel und ihrem Herrn Vetter gewesen sei, wodurch in ihr die feste Überzeugung von einem bevorstehenden Kriege erweckt wäre. Die wichtige Miene, mit der die junge Dame sich in diese politischen Materien vertiefte, reizte den Baron zum Lachen. Er wiederholte aber den Namen ›Menzel‹ und fragte, ob dieser Herr derselbe sei, welcher sich in der schönwissenschaftlichen Literatur ausgezeichnet habe. Mit dieser Frage setzte er das arme Fräulein aber in die gründlichste Verlegenheit, denn die schönwissenschaftliche Literatur war ein Feld, wo ihr Wissen unglaublich beschränkt erschien. Der Professor Gellert nahm sich ihrer an. Er bejahte des Barons Frage und fügte hinzu:

»Menzel ist ein tüchtiger Geist, aber ein schwankender Charakter! Da bei ist Freund Menzel ein Gourmand und Lebemann erster Größe, nobel, wie ein Kavalier vom reinsten Adel, verschwenderisch und dem Spiel ergeben. Ich traf ihn kürzlich bei Rabener, den er bisweilen mit Aufsätzen für seine Zeitschrift ›Belustigungen des Verstandes und Witzes‹ unterstützt.«

»Was hat er herausgegeben?« fragte Frau von Wallbott, jetzt interessiert, dazwischen.

»Einen neuen Krieg zwischen der Kaiserin Maria Theresia und dem Könige von Preußen,« scherzte der Baron zu ihr gewendet.

»Was?« fuhr der Oberst auf und richtete sich martialisch in die Höhe, als hätte er Lust, sogleich mitzufechten.

Gertrud lachte laut auf.

»Beruhige Dich, Onkel Pröhl!« rief sie ihm zu. »Ich habe dem Baron nur erzählt, dass der Kabinettsekretär Menzel von Absichten gesprochen hat, die auf Krieg schließen lassen.«

»Der König von Preußen scheint nicht viel Lust zum Kriege zu haben,« spöttelte Frau von Wallbott. »Er soll unendlich viel Flöte blasen–«

»Sagt Voltaire,« schloss Herr von Rittberg mit einem Seitenblicke auf eine Tante. »Aber unser Monarch vergisst über seine Amüsements seine Pflichten nie. Es beruht sicher auf einem Irrtume, dass er seine Kraft in einem neuen Kriege zu zersplittern gedenkt.«

»Was er gedenkt,« fiel Gertrud keck ein, »das weiß ich freilich nicht. Allein von dem, was die Kaiserin beschlossen hat, ist mir mancherlei zu Ohr gekommen.«

»Blitz Element, Gertrud, Du kommst wohl direkt aus dem Staatsrate!« spöttelte der Oberst.

»Wenigstens aus dem Kabinette dicht daneben!« antwortete das junge Mädchen prompt.

»Streiten wir nicht vorher,« lächelte der Baron. »Nach meiner Meinung sitzt der König von Preußen seit dem Dresdner Frieden sicher genug.«

»Ja, ja!« lachte der Oberst. »Heiliges Kreuzbattaillon – der hat gezeigt, dass er addieren, subtrahieren und multiplizieren kann. Das Dividieren überließ er der armen Kaiserin.«

»Es bleibt allerdings ein tadelnswerter Staatsstreich von dem Preußenkönige,« sprach Frau von Wallbott gelassen, »dass er sich ohne Weiteres durch den Besitz der schönen Provinzen Schlesiens bereicherte. Ich bin zwar eine geborene Preußin, allein selbst wenn ich meinem Vaterlande nicht durch jahrelange Entfernungen entfremdet wäre, so würde ich dennoch nach meinem Gewissen den König als einen Usurpator betrachten und ihm Unheil aus seinem räuberischen Verfahren prophezeien.«

»Dazu ist wenig Aussicht, meine Gnädige!« rief der Oberst. »Die Schlesier wissen freilich nicht, was sie wollen, sie möchten weder unter der katholischen Maria Theresia stehen, noch unter den preußischen Adlern sitzen, aber trotz ihres ewigen Räsonierens mucken sie doch nicht auf, Gnädige. Der König Friedrich kehrt sich auch nicht daran. Kreuzsapperlot – die Könige hätten auch viel zu tun, auf alle Redensarten zu hören, die das Volk fallen lässt. Füsilieren, hauen und einsperren – das sind drei prächtige Rezepte für Skandalmacher.«

»Ihre Frau Gemahlin scheint Sie sehr gut preußisch erzogen zu haben!« lächelte Frau von Wallbott fein.

»Ich – gut preußisch?« sprach mit verstärkter Stimme der ehemalige Oberst. »Heiliges Kreuzdonnerwetter, Gnädige–« er hielt inne, denn ein Blitz des Unmutes traf ihn aus den Augen seiner Gattin, weil er anfing, sich in Fluchen zu überbieten– »wollt’ ich sagen,« fuhr er gedämpft fort, »mille tonnerres , meine Gnädige, das dürfte mir kein Mann sagen, ohne dass ich die Klinge blank zöge. Ich hasse die Preußen – ich verachte die Preußen – ich–«

Er hielt wieder inne, weil Gertrud zu lachen anfing. Es waren ihre beliebten Redensarten, die er sich in seinem Eifer aneignete. Frau von Pröhl erbarmte sich seiner Verlegenheit und schloss die begonnene Rodomontade unter herzlichem Gelächter:

»Das muss ich bestätigen, Frau von Wallbott! - Mein ehrenhafter Gemahl ist ein richtiger Preußenfresser gewesen, und hat eine Zeitlang sogar angestanden, mich leben zu lassen. Jetzt hat er sich etwas eingebürgert in Preußen und stellenweise eine Art Würdigung meiner Landsleute eintreten lassen. Freilich bei einem Kriegsausbruche, wie er in Gertruds Kopfe spukt, wäre ich nicht sicher, dass er ›Mordelement‹ riefe – aber dessen ungeachtet doch heim bliebe und ganz gemütlich bei seinen neuen preußischen Vettern dinierte und soupierte.«

»Ganz dem Laufe der Welt gemäß,« schaltete Gellert, der sich in stiller Unterhaltung mit Margareth wohl gefallen hatte, ein; »immer viel Geschrei, viel Worte, viel Mut und besonnen in Taten! Der gescheite Mann zeigt sich bei dieser Gelegenheit im hellsten Lichte. Er wägt seine Worte nicht, weil Worte flatternde Genien sind, bunte Libellen, die unsere Geselligkeit verschönen; aber für die Tat ist und fühlt der ehrenhafte Mann sich verantwortlich, und schreckt zurück, wenn seine Worte verkörpert werden sollen.«

Der Oberst drohte ihm lachend mit der Faust.

»Gellertchen – Gellertchen, Sie sind ein feiner Gesell und verstehen sich vortrefflich auf ›flatternde Genien und bunte Libellen‹, aber eine Moral steckt immer dahinter.«

»Das sind meine einzigen Taten, die ich wage!« lächelte der Professor.

»Sind aber verfluchte, spitze, blankgeschliffene Waffen, Ihre Worte, woraus Sie Taten machen. Sackerlot – wollt’ ich sagen –maledetto , wenn die ganze Gelehrtenwelt so fechten wollte, dann müssten wir armen Kriegsleute einpacken und hinter den Ofen kriechen, weil wir diesen Waffen nicht gewachsen wären.«

»Ich stimme aber für diese Art Kriegführung,« warf Frau von Pröhl hin; »sie kostet kein Menschenleben, keine Arme und keine Beine!«

»Aber desto mehr Kopf erfordert sie! « rief Fräulein Gertrud vergnügt.

»Du dächtet wohl mit fechten zu können?« fragte ihr Pflegevater spöttisch.

Die junge Dame warf sich ins Wesen und entgegnete kühn: »Ich fühle Mut zu allen Kriegführungen, Papa Pröhl, denn ich gehöre zu der Verwandtschaft eines sächsischen Feldmarschalls. Stellen Sie mich auf die Probe, ob ich nicht Mut habe!«–

Ihr Auge blitzte verwegen über die Gestalt der Frau von Wallbott hin und traf dann im Einverständnis mit Elvirens Blicken zusammen. Es lag wiederum ein Verrat ihrer Geheimnisse in dem wortlosen Angriffe, der selbst hell und leuchtend in Frau von Wallbott einzudringen schien. Sie wandte forschend ihr Auge auf beide Pflegetöchter der Familie Pröhl, wurde aber von Elvirens schneller Fassung beschwichtigt.

»Ja, wenn Du von mir eine Bestätigung Deines Mutes verlangt,« sprach Fräulein Elvire, erschrocken die Wirkung von Gertruds Blicken überdenkend, »so muss ich sagen, Gertrud, dass es allerdings nur zwei Dinge in der Welt gibt, vor denen Dein junges Herz sich fürchtet. Das sind: verdrießliche Männer und Gespenster.«

Ein allgemeines Gelächter erhob sich und störte den Ernst des Nachdenkens in Frau von Wallbott. Allein sie fragte sich späterhin auch, wie ihr Neffe Alexander: »Sollte man etwas gegen mich im Schilde führen, was meine Wünsche durchkreuzen könnte?«

Das Gespräch lenkte sich nach dieser kleinen Abweichung bald wieder zurück auf politische Gegenstände, die man mit Urteilen über Literatur-Erscheinungen verzweigte. Die Kunstrichtungen hängen mehr oder weniger von dem Geschmacke eines Herrschers ab, somit war es wohl natürlich, dass man sich bei den Schwingungen belebender Geister der Beschützer erinnerte, welche sich bei der steigenden Beweglichkeit eines geistigen Lebens beteiligten, und die Furcht blicken ließ, dass ausbrechende Kriegesunruhen nachteilig auf die Bestrebungen wirken würden, die eine gewisse Blüte in der deutschen Literatur bezweckten. Frau von Wallbott warf sich bei dieser Gelegenheit in die Galauniform der Schöngeisterei. Sie war belesen, wie selten eine Dame vor und nach der Zeit, wo sie lebte, und sie hatte ihre Urteilskraft dergestalt geschärft, dass selbst Gellert ihr eine Hochachtung in diesem Punkte nicht versagte.

Durch ihre Vertrautheit mit den meisten regierenden kleinern Fürsten nahm sie einen beachtungswerten Platz in den Reihen der Protektoren ein, die das geistige Leben der Nation zu heben wünsch ten. So wenig Sympathie sie für König Friedrichs kriegerische Unternehmungen hatte, ebenso hoch war ihre Wertschätzung einer geistigen Kraft. Es gereichte ihr zum stillen Verdrusse, dass es ihr niemals hatte gelingen wollen, die Aufmerksamkeit des geistreichen Königs von Preußen auf sich zu lenken, und dass selbst Voltaires Bemühungen, seines hohen Freundes Interesse für die begabte, gründlich durchbildete DameNote 7) zu wecken, an der störrischen Nichtachtung kluger Frauenzimmer gescheitert war.

Ihr Unmut verhinderte sie jedoch keineswegs, den Aufschwung der Kultur namentlich dem geistvollen Könige zuzuschreiben, der selbst ein Stern erster Größe am Himmel der Verstandesbildung, alles Mögliche tat, um sein Volk für den Fortschritt zu begeistern. Dass der König Friedrich sich von dem feineren Wesen der französischen Bildung angezogen fand und die Entwickelung deutscher Geisteszustände davon beeinflussen ließ, machte sie ihm nicht zum Vorwurf, ebenso wenig, wie irgendein Zeitgenosse des Königs dies wagte.

Jeder, der damals lebte und atmete, musste die überwiegende Eleganz der Ausdrucksweise in den französischen Geistesprodukten anerkennen und sich hingerissen fühlen, dieselben zum Muster aufzustellen, wenn ein Vergleich stattfinden sollte. Warum hätte man bei so durchgreifend allgemeinem Urteile dem Könige Friedrich von Preußen verdenken können, dass er in Voltaires Gesellschaft bisweilen vergaß ›deutsch‹ zu denken. -

Ungefähr dieses Inhaltes war die Unterhaltung, die sich an der Mittagstafel fortführte und dem Fräulein Gertrud Respekt vor der gewaltigen Gelehrsamkeit der Frau von Wallbott einflößte, weil sie mit großer Gewandtheit den Faden in der Hand hielt und ihn zu ihren Zwecken bald hier-, bald dorthin leitete. Mit diesem Respekte zugleich erwachte aber, fort und fort anwachsend, auch ihr Trotz, der mächtig klugen Dame entgegenzuwirken, und sie fühlte in dem stolzen Bewusstsein, dass von ihr die erste Anregung zu dem lebhaften Gespräche ausgegangen war, eine Kraft sich weiter zu versuchen.

Durchsieht man die Ereignisse der Weltgeschichte, so stößt man auf hundert Fälle, wo kleine geringfügige Handlungen, wenige, oft ganz bedeutungslos, oft aber auch übereilt gesprochene Worte im Stande gewesen sind, erschütternd große Weltereignisse heraufzubeschwören. Hier lockte der Ausruf »das ist gut!« der übereilt den Lippen eines jungen Mädchens entschlüpfte, ihre Kraft hervor, durch müßige Plauderei von Krieg und Frieden eine Verlegenheit zu bemänteln. Ihre Worte verflogen, wie es schien, schadlos, um bedeutungsvolleren Gesprächen zu weichen, und dennoch knüpften sich daran die Schicksale ganzer Staaten. Ihre Lippen hatten einen Namen genannt, welchem auf ihre Veranlassung, freilich ganz indirekt, die Entwickelung historischer Ereignisse beigelegt wurde. Harmlos floh der Name des Geheimsekretärs Menzel von ihrem Munde – harmlos legte er sich im Gedächtnisse des Baron Lottum nieder, und als er eines Tages wieder aus dem Erinnerungsvermögen dieses Herrn erstand, da gewann er eine Bedeutsamkeit, wovon sich das unschuldige Gemüt Gertrudens nichts träumen ließ.

Sie glich dem Vögelchen, das mit dem Schnabel in einen Schneehaufen pickt, um zu spielen, und aus dem Schneehaufen löset sich darauf das Körnchen, eine einzelne Flocke, die bergab rollt, immer größer wird und zuletzt verheerend als Lawine herniederstürzt.

Während Frau von Wallbott im Rausche ihres geistigen Übergewichtes schwelgte, rüstete sich ein gedankenloses Kind zu einer Fehde mit ihren sicher gepflegten Hoffnungen, und während die ganze Gesellschaft von sichtbarer Bewunderung den verständlichen und dabei geistvollen Eingebungen einer Dame lauschte, die mit Manneskraft ihre Umgebungen beherrschte, schlug ein über mutiges junges Mädchen herausfordernd ihre Augen auf sie und gelobte sich, heimlich einen Kampf mit dieser angestaunten Größe.

Der Professor Gellert beobachtete mit steigendem Kopfschütteln die Entwickelung von Herrscherkräften, denen er ein Ziel zu setzen gedacht hatte. Sein Lächeln des Mitleids verriet, dass er die Absichten seiner klugen Freundin besser durchschaute, als alle. Sie musste, um jeden Widerstand im Keime zu vernichten, ihre Herrschertalente entwickeln, bevor man sich mit Widersprüchen an sie wagte, und er spottete heimlich der kühnen Widersetzlichkeit in Gertruds Augen, die ihn von den Plänen dieses trotzigen Naturkindes in Kenntnis setzten.

Sein Forscher blick suchte Margareth. Auch sie schien sich trostlos unter dem Drucke dieser Geistesdespotin beugen zu wollen, die schon jetzt die leiseste Erinnerung an den Namen des Grafen Levin aus der Gedächtniskraft der Versammlung ätzend hinwegwischen zu wollen schien. Alles, was besprochen und erläutert wurde, hallte in Margareths Herzen wider und wurde zu einer Verspottung der Liebe, die ihre geistvolle Tante eine Verblendung und Verirrung der Sinne nannte.

Die Elemente ihres Gespräches schlossen absichtlich einen Kreis, in welchem eine Persönlichkeit von Levins Individualität nicht zur Anerkennung kommen konnte, wohl aber diejenige des Baron Alexander Lottum.

Es war das erste, rechtmäßig gebildete Bombardement auf Margareths verschlossen gefundenes Herz, welches sich Frau von Wallbott dadurch erlaubte, dass sie ihre eigene Geistesrichtung zu einem erdrückenden Glanze erhob und ihren Neffen mit auf die Höhe zog, wo die blendenden Wirkungen rühmlicher Auszeichnungen beginnen.

Margareth neigte sich demütig vor dieser Größe, aber wenn die Furcht vor spätern Belagerungen und An griffen sie auch zu beherrschen begann, unterjocht fühlte sie sich noch nicht, und merkwürdigerweise viel weniger, als Elvire und Frau von Pröhl. Diese sahen schon mit staunender Ehrfurcht zu der Dame auf, welche es verstand, mit fesselnder Liebenswürdigkeit das Zepter der Kultur zu schwingen und den Gesetzen einer steigenden Intelligenz Eingang zu verschaffen. Mit der Freundlichkeit ihrer Mienen vernichtete Frau von Wallbott die hemmenden Schranken, welche bei solchen Anerkennungen das Vertrauen zurückhalten, und mit der huldvollen Bestrebung die Gegenrede aus dem Munde derjenigen zu locken, die sie ihres Interesses für würdig hielt, ergoss sie einen Widerschein ihrer Klugheit über sie, unter welchem die Schärfe jeder Kritik und die Festigkeit jeder Auflehnung erlosch. Dabei gewann aber auch noch ihr Äußeres einen bestrickenden Zauber durch die eigentümlich fieberhafte Lebhaftigkeit, womit sie sich der Unterhaltung hingab.

Ihr schmales, vornehm gleichgültiges Gesicht färbte sich und ihre aristokratisch strengen Augen leuchteten. Der näselnd, lispelnd gezogene Ton, welchen die Hofmode vorschrieb, verlor sich im Verlaufe ihrer fortgesetzten Rede und ließ ihr klangvolles weiches Organ zur vollen Geltung kommen. Es war fast unmöglich sich ihrem Einflusse zu entziehen, selbst wenn man mit vorgefassten Meinungen ihr gegenüber stand, aber ganz unausbleiblich wurde die Unterwerfung, auch wenn man sich als echter Philosoph dagegen sträubte, im Falle sie es zweckmäßig fand, sich Bewunderer zu verschaffen.

Für den Augenblick war ihr der Plan gelungen, mit dem sie sich zur Tafel verfügt hatte. Jeder fühlte im Herzen ihre Macht. Sie selbst war überzeugt worden, dass die aufgehobene Verlobung ihrer Nichte ein öffentliches Geheimnis genannt werden konnte, dessen Besprechung nur von der rücksichtsvollsten Teilnahme für Margareth verhindert war, und sie hatte es ihren Plänen genehm gefunden, für diese kurze Spanne Zeit die Rücksichten gelten zu lassen. Nach der Abreise ihres beteiligten Neffen wollte sie anders handeln. Es war nötig, mit exemplarischer Strenge ein Verhältnis in allen seinen Bestandteilen zu durchleuchten, das nachwirkend auf die Empfindungen ihrer Nichte zu sein Miene machte. Sie war jetzt überzeugt, in den anwesenden Damen, »außer Gertrud«, dachte sie mit geringschätzendem Blicke zu ihr hinüber, Verbündete zu finden, wenn die Verhandlungen über einen Vorfall beginnen würden, der ganz schrankenlos offen von ihr der Beurteilung der anwesenden Familie vorgelegt werden sollte.

Die Zeit drängte.

Darum beschleunigte sie Alexanders Abreise. Es war anzunehmen, dass im Laufe des nächsten Tages die Geselligkeit komplizierter im Schlosse wurde, wodurch ihr eine umfassende Autokratie bedeutend erschwert werden musste.

Sie hatte für jetzt erreicht, was sie bezweckte, und hob nun mit dem Anstande einer Fürstin die Tafel auf. Aber sie wollte die Prosa des gewöhnlichen Plauderns nicht über die poetischere Stimmung, welche sie angeregt hatte, mächtig werden lassen, deshalb verließ sie den Ess-Saal nicht sogleich nach dem Aufheben der Tafel, sondern machte mit liebenswürdiger Gelassenheit den Vorschlag »zusammen zu bleiben«.

Man willfahrte ihr.

Nur Frau von Pröhl bat um eine kleine halbe Stunde Beurlaubung, um, wie sie lächelnd behauptete, »ihre Gedanken sammeln zu können«, im Grunde aber um, trotz ihrer vierunddreißig Jahre und ihrer unangetasteten Gesundheit, ein Mittagsschläfchen zu machen, das ihr nach gerade durch Gewohnheit notwendig geworden war. Man kannte diese Schwäche und ließ sie unter allerlei Scherzreden verschwinden. Die jungen Damen reiheten sich im Empfangszimmer, das freilich für Alexander eine Art Folterkammer wurde, um Frau von Wallbott und nahmen ihr Filetzeug zur Hand.

Frau von Wallbott winkte dem Professor Gellert, sich ihnen zuzugesellen, und überließ die übrigen drei Herren ihrem Gespräche so lange, bis Alexanders Wagen zur Abreise bereit gemacht sein würde. Die Zaubermacht der klugen Frau begann mit diesem Momente.

Dem klugen Professor entging es nicht, was für Rollen sie ganzex tempore spielte und mit welcher Virtuosität sie dieselben ausführte. Hatte sie bei Tische eine königlich herablassende und dabei doch dominierende Liebenswürdigkeit gezeigt und den weisen Freund Gellert, den witzigen Philosophen sozusagen als Folie benutzt, so wollte sie sich jetzt den jungen Mädchen zu Gefallen kindlich liebenswürdig machen und die sanfte Heiterkeit ihres geistvollen Freundes als vermittelndes Prinzip gebrauchen.

Aber Dame Wallbott hatte sich in Gellerts Geduld verrechnet. Das Unbehagen, welches ihn schon seit der ersten Morgenszene mit Gertrud peinigte, wuchs mit jeder Minute, wo er sich unter den Geisteskoketterien dieser Frau gebeugt sah.

Damengesellschaft war überhaupt Gellerts Passion nicht. Er floh sie, wo er nur konnte, und machte selbst oft die possierlichsten Scherze über eine Weiberfurcht. Ermaß er nun die fortgesetzte Qual, sich im Zentrum des Vertrauens zu befinden, von allen Seiten mit Hilfsansprüchen bedrohet, und dachte er dann an den Mut des Fräuleins Gertrud, seine Ritterpflichten auf jede Weise in Anspruch zu nehmen, so überflog ein misanthropischer Schauder seine Seele, und er hätte sich ins höchste Turmzimmer einquartieren mögen, um nur etwas weniger erreichbar für die hilfesuchenden Damen zu sein.

Die bei der Tafel angekündigte Abreise des Baron Alexander hatte einen großen Gedanken in seiner mutlos werdenden Phantasie aufkeimen lassen, der nach und nach Wurzel fasste und unter den letzten Mühewaltungen, die ihm von der Dame Wallbott auferlegt waren, zur Blüte und Reife kam. Er wollte fliehen! Aber um den Bestürmungen und Bitten, denen er sich in seiner Herzensgüte nicht gewachsen fühlte, zu entgehen, wollte er heimlich fliehen!

Ein köstlich satirisches Lächeln bildete sich bei diesem Vorsatze um die seinen Lippen, und er lieh gefälliger noch als sonst sein Ohr den Anforderungen der klugen Dame, die er hinters Licht zu führen gedachte. Voller Laune, sprudelnd von schlagenden Einfällen und satirisch gemütlichen Bemerkungen, schläferte er die Wachsamkeit einer Gönnerin und Freundin dergestalt ein, dass sie eher des Himmels Einfall, als eine bösartige Hinterlist in der Artigkeit gesucht hätte, womit er sich, plötzlich aufstehend, »der fernern Gunst seiner liebenswürdigen Freundinnen empfahl und um Erlaubnis bat sich entfernen zu dürfen!«

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