Kitabı oku: «Gertrud», sayfa 3
»Gellert!« schrie Rittberg im Entzücken ganz ungebührlich laut und sprang allenDehors zuwider mit einem Satze an den Wagenschlag.
»Gellert!« tönte es wie im Echo von Junker Wolfs Lippen, und »Gellert! Gellert! Gellert!« ging es wie ein Lauffeuer bis in die Gemächer der Damen, dass sie alle herbeistürzten, um den geliebten, hochverehrten Mann gleich zu begrüßen. Auch Gertrud eilte herbei und drängte sich heran, bis sie eine Hand fassen und küssen konnte. Mit rührender Freundlichkeit empfing der Professor die Huldigungen der reinsten Freundschaft, welche schärfer als sonst in der Überraschung hervortraten, und Frau von Wallbott weidete sich sichtlich bewegt an der anmutigen Fröhlichkeit, die sich in Gellerts Worten und Bewegungen kundgab. Sie trat willig und gern in diesem heitern Tumulte zurück und wartete lächelnd des Momentes, wo man sie auch eines Willkommens wert halten möchte. Das geschah endlich, als der Professor von allen Händen gestreichelt und geliebkost aus dem Wagen gestiegen war, und sie auch Anstalt traf, denselben zu verlassen.
»Ins Teufels Namen, Gnädigste,« schrie der Oberst mit devotem Handkuss, »wo haben Sie denn diesen seltenen Vogel flügge gemacht?«
»In Leipzig, verehrter Freund,« antwortete die Dame freundlich, und ihr Blick fiel dabei auf Gertrudens Gesicht, das einen bedeutenden Anflug von Erstaunen aufwies. Sie nickte dem jungen Mädchen huldvoll und ungeniert zu, denn sie konnte, ohne sie zu kennen, erwarten, dass jetzt nur Stammverwandte im Schlosse Rittberg anzutreffen sein würden. Ein glühendes Rot überzog Gertrudens Wangen. So hatte sie sich Frau von Wallbott nicht gedacht. Freilich, das war eine geborene Kaiserin! Welche imposante Gestalt! Welch’ ein herablassend gütiger Blick – welch’ ein huldvolles Lächeln!
»Wie heißt Du, Kleine?« fragte sie leutselig und reichte ihr die Hand zum Kusse. Demütig, wie eine Klosternovize legte das kleine Fräulein die Lippen auf diese prächtig weiße Hand und flüsterte: »Gertrud von Spärkan!« -
»Ah – so! Ihre Schwestertochter, Herr Oberst!«
Eine entlassende Miene beendete die kurze Szene und sie referierte dann in kurzer, prägnanter Weise, wie sie nach Leipzig gemusst habe und dort ihrem guten Gellert begegnet sei, reisefertig, um zu ihr nach Gotha zu fahren.
»Es lag in der Natur der Sache, dass ich die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollte, um von der einmal rege gewordenen Reiselust unsers Freundes, sowohl für mich selbst, als auch für Euch, alle Vorteil zu ziehen,« schloss die Dame sehr gut gelaunt. »Hier habt Ihr ihn! Nun mögen die Grazien« – ihr Auge streifte flüchtig über die drei schönen Mädchen hin, die dicht bei Gellert Posto gefasst hatten – »ihr Amt antreten und die Penaten richtig unterweisen, damit es unserm Freunde hier wohlig erscheine.«
Sie grüßte mit graziösem Kopfneigen jeden Einzelnen des Kreises und stieg in königlicher Haltung am Arme ihres Neffen die südlich gelegene Treppe hinauf, um ihr Zimmer im südlichen Turme aufzusuchen.
Margareth hatte sich gleich anfangs mit einer krampfhaften Hast an ihre Brust geworfen, und von allen Umstehenden waren die seltsam betonten Worte vernommen worden:
»Warum hast Du mir das getan, Margareth?«
Jetzt traf die junge Dame, augenscheinlich beängstigt, Anstalt, ihre Tante zu ihrem Zimmer hinaufzubegleiten. Aber ein bedeutungsvoller Blick aus den dunkeln Augen derselben bannte sie erschrocken auf ihrem Platze, und sie senkte wie eine arme Sünderin auf einen Moment die Stirn, um sie dann aber wieder mit allem Ausdrucke fester Entschlossenheit empor zu richten. In diesem verhängnisvollen Augenblicke wendete sich Frau von Wallbott und betrachtete verwundert die blitzartige Verwandlung des schönen Gesichtes.
»In einer Stunde erwarte ich Dich, mein liebes Kind,« sprach sie mit milder Freundlichkeit. »Für jetzt muss ich ruhen – den Abend hoffe ich im Kreise meiner Lieben heiter verleben zu können!«
Sie verschwand. Gertrud schlich sich leise zu Margareth heran, die innerlich von der Einladung ihrer Erzieherin eben nicht erbaut schien, obgleich sie sich bemühete, eine heitere Miene zu zeigen. -
»Margareth,« flüsterte Gertrud, »Margareth – liebt Dich Deine Tante Wallbott? «
Margareth wendete sich rasch zu ihr um.
»Ja, Gertrud! Sie liebt mich ebenso – nein, mehr noch, als eine Mutter mich hätte lieben können,« entgegnete sie mächtig von Erinnerungen bewegt.
»Dann bedauere ich Dich! « sprach Gertrud mit weiser Miene.
»Warum? « fragte Margareth befremdet.
»Weil es mir vorkommt, als wäre man besser daran, wenn man von Frau von Wallbott gehasst würde,« antwortete das junge Mädchen voller Würde.-
Der Professor Gellert sah sie überrascht an und neigte gedankenvoll mehrmals sein Haupt, bevor er zu Frau von Pröhl halblaut sagte:
»Mir ist’s, als entschleiere sich mit Gertruds Worten die Zukunft Fräulein Margareths. Wer weiß, ob sie nicht durch Frau von Wallbotts Liebe ein leidenvolles Leben führen muss. «
Frau von Pröhl konnte nicht danach forschen, worauf er seine Mutmaßung stütze, denn Rittberg kam zurück und machte den Vorschlag, wenn Gellerts Kräfte es erlaubten, sogleich zusammen zu bleiben und im gewöhnlichen Speisesaal ein Vesperbrot einzunehmen.
Der Vorschlag wurde genehmigt. Man verfügte sich in den Speisesaal, der zu ebener Erde im nördlichen Flügel lag, und die jungen Fräulein ließen es sich angelegen sein, mit tausend schmeichelhaften Aufmerksamkeiten das Herz des ›ungebetenen Gastes‹,wie Gellert sich scherzhaft immer aufstellte, zu erfreuen. Besonders war es hier Gertrud, die mit ganz besonderem Treffer auf passende Bemerkungen die Fabeln des Dichters rezitierte und durch ihre komischen Nutzanwendungen die Gesellschaft zum Lachen und den Professor zum Lächeln brachte.
Frau von Pröhl, nach Mentorart, glaubte endlich dem übermütigen Treiben ihrer Pflegetochter ein Ziel setzen zu müssen. Gellert bemerkte den Wink, der dazu dienen sollte.
»Missgönnen Sie dem armen Autor das Vergnügen, seine Dichtungen selbst vom Kindessinne richtig verstanden zu sehen, meine Gnädige? « fragte er mit sanfter Stimme.
Als Frau von Pröhl ihn schweigend, aber deutlich fragend anblickte, fuhr er fort:
»Sie meinen, des Kindes Freude an meinen Werken könne mir nicht genügen? O, wie irren Sie sich in den Gefühlen des Dichters. Der Beifall ist unser schönstes Glück! Schon die zufriedene Miene eines Lesers wird uns eine Belohnung, und unser stolzestes Verlangen erfüllt sich, wenn wir mit unsern Ideen das Gemüt erweichen und erwecken. Sehen Sie das strahlende Auge meiner kleinen Freundin – glänzt es nicht von dem Bewusstsein so hell, dass es ihr gelungen ist, mir ihren Beifall kundzutun? Dieser belebte und glänzende Blick ist mir das schönsteApplaudissement .«
Sie lächeln über die Eitelkeit des Dichters.
»Lachen Sie immerhin, meine Teure. In der Einsamkeit meiner Schmerzensstunden wird mir das Licht dieses Auges ein Balsam werden und meine sinkende, umhüllte Seele erleuchten. Gott segne dies Kind!«Note 2)
Frau von Pröhl horchte gerührt auf ihres Freundes Erklärung. Seine sprichwörtlich gewordene Bescheidenheit machte es fast unmöglich, ihm irgendeine Verherrlichung angedeihen zu lassen; umso lieber musste es ihr sein, dass er diese Befriedigung bei so geringer Anerkennung zeigte.
»Warum aber, mein hochverehrter Freund, entziehen Sie sich so beharrlich jeder öffentlichen Auszeichnung, wenn es Ihnen doch Vergnügen bereitet, sich anerkannt zu sehen?« fragte sie herzlich.
»Weil die Auszeichnung sehr oft mit kaltem Herzen vorbereitet wird, und derjenige, der sie in Anregung brachte, mehr sein liebes Ich dabei ins Licht des Ruhmes setzen will, als den, welchen er auf das Piedestal der Öffentlichkeit zu stellen Miene macht.«
»Es mag sein, dass Sie Recht haben,« meinte sie nachdenkend, »aber von den meisten Menschen wird Ihre Bescheidenheit als eine Nichtbeachtung beurteilt.«
»Als eine Nichtbeachtung?« wiederholte Gellert mit schwerer Betonung, und legte eine schmalen, weißen Hände gefaltet in den Schoß. »Nein, gnädige Frau, wir Dichter lieben unsere Bewunderer, denn sie geben unserm Geiste den Honig, welcher die Gedanken in uns versüßt und sie in der Zusammenstellung der Dichtung flüssig und geschmeidig macht. Wenn wir dichten wollten, ohne uns im Geiste mit denen zu beschäftigen, die uns unserer Produktion wegen geneigt werden sollen, so würde ein harter und ungenießbarer Teig aus unserm Gemüte hervorgehen. Nein, meine Gnädige, die stolze Demut, womit wir ein Geisteswerk in die Welt senden, das wir unter den furchtsamen Bemühungen, es für Lobspruch und Beifall reif zu machen, aus den widerstrebenden Händen geben, diese stolze Demut zwingt uns, unsere Persönlichkeit aus dem Bereiche jeder Kritik zu ziehen, auch wenn sie günstig ist. Dem Kreise liebenswürdiger Freunde aber leihe ich mich mit froher Unbefangenheit, wenn er mich lobpreisend umgibt!«Note 3)
Gertrud störte dies Gespräch. Mit dem ihr eigenen Ungestüm trat sie auf beide zu, zeigte rückwärts mit der Hand und flüsterte:
»Mama – sehen Sie Margareth!«
Frau von Pröhl folgte ihrer Weisung, und erblickte das schöne Mädchen in einer tiefen Versunkenheit, totenbleich von innerlich nervösen Aufregungen unweit der Tür stehen, bereit das Zimmer zu verlassen und von innerm Widerstreben zurückgehalten.
»Sie fürchtet sich,« flüsterte Gertrud, und Frau von Pröhl musste sich zugestehen, dass ihre Stellung gar nicht anders gedeutet werden konnte. »Sie fürchtet sich,« wiederholte das junge Fräulein mitleidig nochmals. »Könnte ich für sie hinaufgehen zu der königlich-kaiserlich stolzen Dame, ich würde ihr besser gegenüber stehen!«
»Meinen Sie, liebes Kind?« fragte Gellert freundlich. »Ihr Mut würde später sinken, aber er sänke gewiss vor der Geistesmacht dieser Dame! «
»O Herr Professor!« schmollte die Kleine. »Ich habe Courage! Wie sollte Frau von Wallbott es wohl anfangen, mich zur Furcht zu bringen, da ich ihre Liebe nicht wünsche und nicht besitze. Margareths Furcht liegt in der Liebe, das ist sicher!«
Gellert tauschte einen Blick mit Frau von Pröhl, der von Lächeln und Verwunderung gemischt war.
»Mir wird selbst ganz bange,« flüsterte die Letztere und der Professor holte tief Atem. Wusste er, was dem armen schönen Mädchen für Kämpfe bevorstanden?
»Sie geht!« riefen sie alle drei, als Margareth plötzlich die Tür öffnete und verschwand.
Rittberg, der mit seiner Braut kosete, und Junker Wolf, der mit dem Obersten über die Bodenkultur sprach, sahen sich um und blickten sich dann scharf und bedeutungsvoll in die Augen. Beide waren von diesem Momente an zerstreut. Gertrud aber presste ihre Hände gegen die Brust und stöhnte ganz pathetisch:
»Ach, Mama Pröhl – wie mir mein Herz klopft! Mama, sie wird Margareth doch nichts zu Leide tun?«
»Seien Sie unbesorgt, mein kleines mutvolles Fräulein,«„ scherzte Gellert.
»Herr Professor, Ihre Hand darauf, dass Sie der lieben Margareth ein treuer Beistand sind, wenn die majestätische Dame ihr Herzleidzufügen sollte. – Sie müssen Margareths Ritter werden!« befahl sie komisch ernsthaft.
Gellert reichte ihr die Rechte.
»Hier meine Hand zum Pfande, kleine Freundin!«
»Ich werde Sie an dies Wort mahnen!« sprach sie mit Pathos und ging zu Elvire.
Frau von Pröhl schwieg eine lange Zeit unter verschiedenartigen Gefühlen. Sie begriff nicht, wie Gertrud zu der sichtlichen Abneigung gegen Frau von Wallbott kam, da in ihrem Familienzirkel von dieser ausgezeichneten Frau nur mit Achtung gesprochen worden war, bis am Morgen dieses Tages sich ihr Gemahl den scherzhaften Ausfall auf sie erlaubte.
Frau von Wallbott war eine entschieden geistig imponierende Dame von einer merkwürdigen Anziehungskraft. Sie war noch immer eine schöne Frau, groß, stolz und von kleidbarer Fülle. Sie liebte es freilich, sich als erhaben über irdische Verhältnisse und irdische Urteile zu betrachten, aber davon wusste doch die kleine Gertrud nichts! Sie kokettierte auch stark mit ihrer Geistesmacht, allein auch das konnte ihre Pflegetochter nicht wissen. Worauf stützte dies junge Mädchen also ihre Furcht? Leitete sie ein Instinkt oder eine höhere Eingebung? Sie rüttelte sich gewaltsam aus ihrem Grübeln auf und fragte den Professor, der auch tief versunken gewesen war:
»Woher schreibt sich Ihre Bekanntschaft mit Frau von Wallbott, lieber Professor?«
»Diese Bekanntschaft ist schon vor vielen Jahren geschlossen, und späterhin durch den Umstand befestigt, dass ich sie in Frankfurt einer großen Verlegenheit ausgesetzt fand und dass ich im Stande war ihr zu helfen. Sie begleitete ihren Neffen – nicht den Herrn von Rittberg, sondern den Baron Alexander von Lottum auf seinen ersten Reisen. Er war noch sehr jung, und sie hatte nicht ohne Grund Furcht, ihn allein reisen zu lassen, weil er von ihr mit jener echt weiblichen Sorgsamkeit erzogen war, die einen jungen Kavalier bei aller seiner Erziehung für alle Weltverhältnisse unbehilflich macht. Sie hatte diese Reise eben erst begonnen, als sie an einem Leiden erkrankte, das ihr jede weitere Reise unmöglich machte. Der Zufall oder Gottes Fügung brachte mich mit ihr zusammen. Ich hatte damals die Begleitung der beiden Barone von Einsiedel übernommen und wollte ziemlich dieselbe Tour machen, wie Frau von Wallbott. Natürlich erbot ich mich, den Baron Alexander als Reisegefährten mitzunehmen, und seitdem nun stehe ich in Verbindung mit dieser Dame.«
»Aufrichtig, Herr Professor,« entgegnete Frau von Pröhl mit nachdrücklichem Wesen, »Sie verehren Frau von Wallbott?«
»Ja! Ich erkenne, wie überwiegend das Edle in ihr ist. Sie zeigt Schwächen – wer hätte die aber nicht, meine Gnädige?«
»Dann bin ich zufrieden!« sprach Frau von Pröhl mit erleichterter Brust. »Sie ist früh verwitwet? Hat nie Kinder gehabt?« forschte sie leiser sprechend.
»Nein, ihr Gatte hinterließ ihr ein ziemlich bedeutendes Vermögen, aber keine Kinder. Da erschien es ihr als eine Himmelsfügung, dass eine Schwester ihres verstorbenen Gemahls sechs Knaben geboren hatte, wovon sie den jüngsten an Kindes statt annahm. Sie hat diesen Knaben Alexander ihren Prinzipien gemäß erzogen, und er soll jetzt, nach ihrer Meinung und den Urteilen aller jetzt lebenden Schöngeister zufolge, das Ideal einer weiblichen Mustererziehung sein.«
Frau von Pröhl verkannte den leisen Spott nicht, der aus den letzten Worten hervorleuchtete. Gellert schlug lächelnd vor ihrem fragenden Blicke das Auge nieder.
»Seine Grundsätze waren schon damals, wo ich ihn mit unter meine Fittiche nahm, ganz vortrefflich,« fuhr er fort, »und seine Selbstbeherrschung bewunderungswürdig! Das feurige Blut der Jugend war durch die Kunst der Erziehung zu einer Quelle voll Ordnung und Pracht geworden. Was es dadurch an Kühle gewonnen, das ersetzt die Hitze des Geistes. Jetzt lebt er nur in höhern Sphären und glaubt an keine irdische Frivolität mehr!« schloss er mit sarkastischem Lächeln.
»Er ist also zu gut für diese Welt,« scherzte mit Anspielung Frau von Pröhl. Gellert nickte.
»Haben Sie schon von dem jungen Wieland gehört?« fragte er plötzlich.
»Nein! Von Wieland?«
»Von Geist ein Edelmann, doch von Geburt wohl nicht!« antwortete Gellert prompt. »Kaum zweiundzwanzig Jahre alt, und doch an Kenntnissen unerreichbar groß, verspricht dieser junge Mensch die höchste Kulturstufe zu erreichen, die hier im deutschen Reiche wohl jemals erreicht werden kann, und dabei durchdringt der reinste Enthusiasmus für Wahrheit und Tugend sein ganzes Wesen. Dieser Wieland ist unseres Barons Alexander Intimus. Mit ihm hat er jetzt die Schweiz nach allen Richtungen durchstreift, denn Wieland lebt zeitweise in Zürich.«
»Das ist denn auch wohl der Grund, weshalb er seine Tante nicht begleitet hat zu diesem Hochzeitsfeste?«
Gellert wiegte bedenklich sein Haupt.
»Hier scheint mir die Gewitterwolke zu drohen, worin der Blitzstrahl für die schöne Margareth noch verborgen schlummert,« sagte er dann sehr leise.
»Mein Gott, so hätte Gertrud ja prophetischen Sinn?« antwortete Frau von Pröhl ebenso leise.
»Das Kind hat instinktmäßig die Natur der Frau von Wallbott erkannt.«
»Natürlich, liebster Herr, weil diese Natur der ihren gleicht.«
»Es bleibt dennoch bewunderungswürdig und muss mehr auf Zufall beruhen, denn der Dämon des Trotzes in Frau von Wallbott hat sich in wundersam schöne Gewänder gekleidet. Weniger würde es mich Wunder nehmen, wenn die Dame des jungen Fräuleins Naivität auf der Stelle durchschaut hätte, als dass es umgekehrt der Fall ist.«
»Ein Dämon des Trotzes in Frau von Wallbott? Unglaublich!« murmelte Frau von Pröhl und setzte lachend hinzu: »Ich möchte, die kluge, hochgebildete Frau wüsste um Ihren Vergleich und sähe dann meine Gertrud in jenem Paroxysmus des Eigenwillens, wo sie mit dem Fuße stampft!«
»Still – wecken Sie die Geister der Vergangenheit nicht,« warnte Gellert ebenfalls lächelnd, »denn ich bin überzeugt, dass Frau von Wallbott zeitweise noch sehr gern mit dem Fuße stampft, allein für jetzt nur innerlich!«
Ein Geräusch von außen richtete plötzlich die Aufmerksamkeit aller nach dem Eingange, allein als niemand erschien, übergaben sich alle der Unterhaltung wieder, die fesselnd für sie geworden war, nur Gertrud schlüpfte bald darauf hinaus und kam nicht wieder.

Note 2
Wörtlich einem Briefe von Gellert an eine Edeldame entlehnt, deren Familie in der hier geschilderten Beziehung zu dem Dichter stand.
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Note 3
Desgleichen dem vorerwähnten Briefe Gellerts entlehnt.
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Drittes Kapitel.
Der Abend brach herein. Die Sonne stand golden am nebligen Horizonte und färbte die Gegend mit ihrem Glutlichte.
In diesem goldenen Abendlichte sprengte ein Reiter wild und unbändig durch die Felder und Wiesen, die sich vor dem Schlosse Rittberg in malerischer Abwechslung ausbreiteten. Sein Gesicht glühte, aber nicht von dem Lichte, das außer ihm lag, sondern von den Gefühlen, die wie Sonnenglanz seine Brust durchzogen. Der Reiter war Graf Levin von Brettow, und sein feuriges Ross hatte ihn im Fluge von der fernen Heimat hergetragen, um die Geliebte noch am Abend zu überraschen.
Graf Levin war nicht schön, nicht fein, aber ebenmäßig geformt. Die Flammen der Jugend leuchteten aus den prächtigen dunklen Augen, lagen auf der hohen, kühn gewölbten Stirn, und verliehen seinem ganzen Wesen den Charakter einer gewaltigen Kraft. Seine Erscheinung war imposant und würde an eine echt germanische Abkunft erinnert haben, wenn nicht das Haar und die Augen einen südlichen Typus aufgewiesen hätten. Von zauberhafter Wirkung war sein Lächeln, wenn es blitzartig über die streng männlichen Züge flog.
Bald lag das Schloss, das seine Margareth in sich barg, im vollen Abendglanze vor ihm, und die weit geöffneten Fenster der Besuchszimmer redeten ihm von dem Feste vor, das man dort vorbereitete. Ein losgelöster Vorhang hatte sich vom Winde herauslocken lassen und wehte wie eine Willkommenfahne hin und her, als winke er ihm zu eilen. Glückselig nickte der Graf mit dem Haupte und schaute ringsum, als wolle er die Fluren, wo eine Geliebte gewandelt hatte, im Übermaße des Glückes an eine breite Brust ziehen, um ihnen zu danken, dass sie Segen und Freude gespendet hatten ihr zur Lust.
Verwegen setzte er mit seinem mutigen Pferde mitten durch den morastigen Fluss an einer Stelle, wo weder eine Furt, noch ein Wahrzeichen zu sehen war. Das treue Tier trug ihn schnaufend hindurch und brachte ihn im Galopp auf den Schlosshof, wo seiner endlich Ruhe als Belohnung warten sollte.
Graf Levin sprang hastig ab, und nahm sich kaum die Zeit, seinen Lieblingsrenner der Sorgfalt des Stalldieners zu empfehlen, denn er hatte oben im Fenster ein helles Gewand gesehen, und sein Herz sagte ihm: dass es seine Braut gewesen sei
Wie auf Sturmesflügeln erreichte er das Balüstre, zähmte aber dann seine Hast, um sein Mädchen nicht zu erschrecken. Er trat leiser auf – seine Sporen klirrten kaum – und er schaute spähend den Korridor nach Süden und nach Norden entlang, um sie nicht zu verfehlen. Es rührte sich nichts!
Die feierliche Stille einer Kirche waltete in dem obern Raume. Schon wollte er wieder hinab, um sie in ihrem Zimmer, das im südlichen Flügel lag, zu suchen, als ihm beifiel, dass sie im Salon oder im Turmkabinett weilen könne. Er trat ein. Der festliche Schmuck des schönen Saales beklemmte seine Brust mit süßen Schauern, weil er sich bewusst war, weswegen die Räume von Blumen dufteten und eine ungewöhnliche Eleganz aufzeigten. Die Bedeutung des wichtigen Tages, der seine Wünsche zu krönen verhieß, trat ihm näher, als sein Blick auf die Gruppe der Myrtenbäume fiel, unter deren grünem Blätterdache schon mehrere Generationen des Hauses Rittberg den Segen der Kirche zu ihrem ehelichen Bündnisse empfangen hatten. Gerührt hing er einem Gedanken darüber nach und legte schon jetzt im Stillen das Gelübde einer ewig unveränderten Liebe für sein teures Mädchen ab. Plötzlich entdeckte sein scharfes Auge, dass hinter der Myrtenwand die Tür des Kabinettes zum südlichen Turme geöffnet war, und dass sich in dem venezianischen Spiegel, der den Hintergrund dieses prächtig ausgestatteten Kabinettes zierte, zwei weibliche Gestalten widerspiegelten, die, ihm nicht sichtbar, unweit der Tapetentür und zwar hinter derselben Platz genommen zu haben schienen. Er blickte schärfer hin, um etwas zu erkennen. Richtig. Es war Margareth und eine stolz blickende Dame, die sich eben mütterlich neigte, um in das Auge des Fräuleins zu blicken.
»Es ist die erwartete Tante!« dachte Graf Levin. »Ja, ja, dies Turmkabinett ist ihr fest bestimmtes Quartier für immer – es ist Frau von Wallbott! Was sie reden mögen? Natürlich, von unserer schnell entstandenen Liebe! Ich möchte hören, was mein liebes, zartsinniges Mädchen sagt – dass sie mich liebt, das weiß ich – ja ich weiß es – ich fühle es in ihrem Anschmiegen, in ihrer lieblichen Schüchternheit, womit sie meinen Augen ausweicht, aber wie sie mich liebt! Wie diese Liebe in ihr erwacht ist? Wird sie dies nicht ihrer Erzieherin, ihrer Vertrauten, ihrer mütterlichen Freundin beichten? Gewiss! Sie spricht von Dir, Du glücklicher Mensch, und Du willst hier stehen kalt, wie eine Bildsäule, während die Seligkeit Dir winkt?«
Er tat einige Schritte vorwärts, blieb aber wieder stehen und beschloss, den Weg durch den Korridor zu wählen.
Der Graf kannte die Lokalität doch nicht so genau, wie er gedacht hatte, deshalb befand er sich endlich nach einigen Versuchen, die rechte Tür zu finden, in der Verlegenheit, nicht mehr zu wissen, wo er eigentlich war. Leise schlich er vorwärts, ungeduldig aufs äußerste und doch immer in Furcht, ein indiskretes Eintreten riskieren zu müssen. Unhörbar durchschritt er zuletzt ein schmales Zimmer. Seine Sporen nur klangen leise und melodisch auf dem getäfelten Fußboden. Er blieb vor einer Portiere stehen, die eine halbgeöffnete Tür verdeckte. Er war am Ziele. Die Stimmen der beiden Damen drangen klar und deutlich zu ihm heraus.
Lächelnd, mit der Zuversicht eines glückseligen Herzens blieb er stehen und hörte, wie Frau von Wallbott mit gütigem Tone sagte:
»Warum hast Du mir aber nicht gleich nach der ersten Bewegung geschrieben, meine liebe Margareth?«
»Was sollte ich denn schreiben, beste Tante?« erwiderte Margareth mit ihrem klingenden silberhellen Tone, der immer die Herzensfibern des Grafen aufregte.
»Was Du mir soeben gestanden hat, dass Du uneinig mit Dir selbst seiest!«
»Hätte mir mein Schreiben etwa geholfen?« fragte Margareth leise klagend.
»Allerdings, mein teures Kind! Es würde eine einzige Erinnerung an jene selig reine, schöne Zeit, wo wir unsers jungen hochbegabten Wielands ›Platonische Betrachtungen über den Menschen‹ lasen, genügt haben, um die irdische Beimischung Deines Wesens wieder zu entfernen und Dich in Deinen Gefühlen zu läutern!«
»Nein, liebe Tante – so müssen wir meinen Seelenzustand nicht betrachten –« flüsterte Margareth kleinlaut und kaum hörbar. »Du irrst, wenn Du glaubst – Du irrst!«
Frau von Wallbott hörte gar nicht auf diese Worte, sondern fuhr fort:
»Weißt Du wohl, dass diese seligschöne Zeit Dir eine Verantwortung auferlegt hat? Glaubst Du nicht, dass Alexander Rechte auf Dein Herz hat?«
Margareth hob rasch den Kopf auf und sah ihre Tante besorgt an.
»Ich sehe, Du verstehst mich, und ich habe somit Dir nicht zu erklären, dass die tiefgewurzelte Neigung zu Alexander den Hauptgrund zu Deinem innern Zwiespalte gegeben hat. Die veredelte Männlichkeit dieses jungen Mannes, sein Zartgefühl, eine Selbstbeherrschung, die er in Folge seiner Bestrebungen errungen, hat Dir vorgeschwebt und Dich zu Vergleichungen bewogen, die jedenfalls dem rohen Sitten- und Wissenszustande des kühnen, voreiligen Bewerbers ungünstig sein mussten. Seine wilde Leidenschaft musste Dich verletzen – seine heiße Liebe Dir zuwider sein.«
Margareth machte während dieser Rede mehrmals eine abwehrende Gebärde, die natürlich von dem entsetzt lauschenden Grafen nicht gesehen werden konnte. Jetzt erhob sie sich zu dem Mute, ihre Tante zu unterbrechen.
»Bitte, beste Tante, höre auf mich zu quälen!« flüsterte sie mit ganz klangloser Stimme.
»Nein,« erwiderte Frau von Wallbott mit harter Unerbittlichkeit gehobenen Tones fort, »nein, Du musst hören, ehe es zu spät ist, wie unverzeihlich Du gegen mich und gegen den Mann, den ich für Dich erzogen und bestimmt hatte, gehandelt hast. Nicht Dein Glück allein hast Du gestört–«
»O Tante – Tante!« unterbrach Margareth sie schüchtern. »Mein Glück–«
»Schweige, mein teures Mädchen – beteuere nicht, dass Du glücklich seiest in Deinem bräutlichen Verhältnisse. Es ist nicht wahr! Keine Braut, die mit vollem befriedigten Herzen ihrer Ehe entgegengeht, zieht so verzagt und verschüchtert die Gefühle in sich zurück, als schäme sie sich der Liebe, die sie fühlt. Liebe macht stolz und Liebe macht selbständig! Du hingegen zitterst vor der Beurteilung Deiner Gefühle, und das allein belehrt mich über die Natur derselben.«
»Was wird sie sagen,« dachte der Graf voller Entsetzen, und ein Grimm ohnegleichen erfasste sein tief gekränktes Herz, als er die Beschaffenheit von Margareths Zurückhaltung dergestalt zerlegt sah, dass ihm kein Zweifel mehr bleiben konnte. Leider sagte das Fräulein, im Bewusstsein ihrer geistigen Hilflosigkeit, dieser wetterdrohenden Versuchung gegenüber nichts, sondern schlug beide Hände vor das schöne, totenhaft bleich werdende Gesicht. Dass ihr ganzer Körper unter der innerlichen Empörung und Aufregung erzitterte, beschwichtigte ihre Peinigerin nicht, denn sie fuhr fort:
»Und nicht Dein Glück allein hast Du gestört, liebes, teures Kind – nein, auch Alexander ist vernichtet vor Schmerz über diesen unvermuteten Verlust. Er behauptet, Du gehörest ihm mit allen Fasern Deines Seins! Er hielt sich Deiner versichert ohne Erklärung. Zwischen Euch seien keine Liebesbeteuerungen nötig – Eure Seelen seien verschmolzen – Eure Herzen einig.«
Graf Levin fand erstarrt. Sein Auge sprühte Flammen, seine Faust ballte sich und sein Fuß stampfte den Boden, so dass die Sporen hart erklangen. Die Damen waren zu vertieft. Sie hörten es nicht.
»Nun ermesse aber die Seelenstärke dieses schmählich von Dir betrogenen Mannes,« fügte Frau von Wallbott mit tief bewegtem Tone hinzu. »Alexander wird morgen früh eintreffen.«
»Allmächtiger Gott!« schrie Margareth auf. »Er hat seine Rückkehr aus der Schweiz beschleunigt, um Dich, die Blume seines Daseins, zum Altare führen zu sehen!«
»Um Gottes Willen, Tante, verhindere seine Ankunft! Ich ertrage seinen forschenden Blick nicht!« flehte das Mädchen, in der Exaltation der unverstandenen Herzensqual ihre Worte nicht bedenkend, nicht überlegend.
»Er wird – er muss kommen!« erklärte die Dame mit der vollen Kraft des geistigen Übergewichtes. »Er wird morgen kommen, um Zeit zu haben, Dein Inneres zu sondieren–«
»Das bricht mir das Herz!« stieß Margareth, machtlos ihrer Verwirrung hingegeben, in herzzerreißendem Tone hervor.
Ein Geräusch lenkte im gleichen Momente ihre Blicke auf die Tür – dort stand der Graf, hoch aufgerichtet und mit niederschmetternder Hoheit seine flammenden Augen zu ihr niederlenkend.
»Beruhigen Sie sich, mein gnädiges Fräulein,« sprach er schnell einige Schritte vortretend mit harter, fester und lauter Stimme. »Beruhigen Sie sich, Ihr Herz soll nicht gebrochen werden. Hier ist Ihr Ring! Geben Sie ihn dem Glücklichen, der sich Alexander nennt! Es wird dann ein Leichtes sein, die Pläne auszuführen, die diese Dame zu beabsichtigen scheint!«
Margareth stand starr und erschrocken da, und blickte in das von Schmerz, Wut und Leidenschaft verzerrte Gesicht des jungen Mannes. Ihre Hand streckte sich mechanisch nach dem Ringe aus, den er ihr entgegenhielt, aber sie fasste mit dem Ringe zugleich seine Hand und hielt sie in furchtbarer Kraft fest.
Graf Levin wollte sich losringen.
»Die Heiratsdokumente sind bereit,« sprach er fort, »ob ich, oder ob der Mann, der Alexander heißt, sie unterschreibt, wird sich gleich bleiben!«
»Levin!« rief Margareth kaum ihrer Sinne mächtig. »Levin, hören Sie mich!«
»Pardon! Ich habe genug gehört, gnädigstes Fräulein, genug für mein ganzes Leben! Werden Sie glücklich!«
»Levin, Du musst mich hören!« flehete sie ihn noch immer festhaltend.
»Ich will nichts hören!« rief der junge Mann wild und entriss seine Hand mit Gewalt ihren zarten Händen, die sie umklammert hielten.
»Ich will nichts hören! Wer kann mich zwingen, das noch einmal zu vernehmen, was mein Herzblut stocken gemacht hat!«
Er stürzte hinaus und ließ Margareth vernichtet zurück. Als der Graf, schwankend, wie ein Halbberauschter den Ausweg aus dem Labyrinthe der Zimmer und Kabinette wieder gewonnen und endlich das Balüstre erreicht hatte, stieg der Schlossherr, von unbestimmten Ahnungen aus der Unterhaltung mit seiner Braut aufgescheucht und zu dem Turmkabinette hinaufgetrieben, gerade die nördliche Treppe hinauf, und sah, wie der Graf sich auf die Balustrade stützte, um nicht umzusinken. In derselben Minute stand Rittberg aber auch neben ihm und sah ihm besorgt in das entsetzlich verstörte Gesicht.