Kitabı oku: «Gertrud», sayfa 6

Yazı tipi:

Note 4

Eine durch Familientradition verbürgte Tatsache.

Back

Sechstes Kapitel.

I m sonnig durchstrahlten, südlich belegenen Turmkabinett saß während dieser Zeit der Professor Gellert im Bogenfenster der Frau von Wallbott gegenüber. Ihr schneller Atem und die fliegenden Schatten über den stolz drohenden Augen verrieten, dass das Gespräch zwischen ihnen eine Wendung genommen hatte, die im Stande gewesen war, die Ruhe ihres Gemütes zu beeinträchtigen. Sie griff mehrmals nach dem Riechfläschchen, das mit Essigäther gefüllt, an einem Kettchen um ihren Hals hing, und zog den erfrischenden Duft ein. Gellert bemerkte ihre Aufregung sehr wohl, waffnete sich aber der vorliegenden Sache zu Liebe mit bedeutenden Quantitäten stoischer Kälte, die sonst einem weichen Sinne fremd war.

»Sie tadeln mich also, lieber Professor,« sprach nach geraumer Stille die Dame mit wiedergewonnener Haltung und Fassung, und ein ironisches Zucken des Mundes verkündete, dass sie sich auch gegen den Einfluss der sanften Weisheit ihres Freundes bewaffnet hatte.

»Von Ihnen hätte ich dies am allerwenigsten erwartet!«

»Warum nicht von mir? Oder meinen Sie, liebe Gnädige, die Freundschaft für Sie solle mich blind für das Unglück machen, das Sie über ein gutes, zärtliches Mädchenherz verhängt haben?« erwiderte der Professor gelassen.

»Unglück? «wiederholte Frau von Wallbott frappiert und schlug ihre Herrscherblicke zu Gellert auf. Sie konnte es sich gar nicht vorstellen, dass irgendein Mensch in Zweifel darüber sein könne, wie nur ein furchtbarer Irrtum Margareths sie zu der Verlobung mit dem Grafen Levin verleitet habe.

»Unglück? Ich habe Margareth vor einem unabsehbaren Elende bewahrt!«„ fügte sie mit dem stolzen Klange ihrer ausdrucksvollen Stimme hinzu, die jeden Widerspruch im Keime zu erdrücken pflegte.

»Kurzsichtige Sterbliche! Sie wollen aus der Zukunft lesen? Sie glauben nicht zu irren?« rezitierte Gellert etwas emphatisch, um den leisen Tadel zu verstecken.

Frau von Wallbott machte eine abwehrende Bewegung und rief:

»Margareth wird zur Einsicht kommen! Ich garantiere es Ihnen!«

»Zur Einsicht kommen,« wiederholte Gellert bedenklich. »Die Einsicht ist das Werk des Verstandes, der die Änderungen und Verbesserungen unserer Lebenspoesie übernimmt; aber leidet nicht oft das unschuldige Glück der Jugend, wenn wir den natürlichen Schmuck des Herzens der Politur gescheiter Einfälle unterwerfenNote 5) ? Margareth liebt doch wahrscheinlich den Grafen Levin, sonst hätte sie sich ihm nicht verlobt.«

»Liebt? Liebt? Sie könnte einen Mann ohne Wert lieben?« wendete Frau von Wallbott geringschätzend ein.

»Was tut der Wert der Bildung bei der Liebe zur Sache?« warf Gellert ernsthaft ein.

»Das sagen Sie – der feine Denker, der moralisierende Philosoph? Das sagt derselbe Gellert, welcher seine Zuhörer durch die Rede von dem Einflusse der schönen Wissenschaften auf das Herz, auf das Gemüt und auf die Sitten zum Entzücken hingerissen hat?«

»Schließt diese Rede denn die Einwirkung der Liebe auf den Geist aus?« fragte Gellert mit leichtem Lächeln.

»Nennen Sie die rohe Zärtlichkeit der Jugend Liebe?« fragte die Dame hoheitsvoll.

»Ja! ja!« rief mit ungewöhnlicher Kraft und Energie der weise Mann. »Ja, verehrte Freundin, die Zärtlichkeit der Leidenschaft ist Liebe, und veredelt sich diese Zärtlichkeit im geheiligten Bündnisse, so weihet sie die Erde zum Himmel!«

»Professor, Sie dauern mich mit Ihrer Schulweisheit! Meine Erfahrungen in der Liebe und Ehe haben mich anders belehrt!« sprach Frau von Wallbott mit Pathos.

Gellert schwieg mit jenem leichten geduldigen Lächeln, womit er immer die Anmaßungen dieser Dame ertrug.

»Margareth ist gerettet aus den Händen niedriger Leidenschaft. Sie wird glücklich werden, sobald sie sich in den Sphären erst wieder zurechtfindet, aus denen sie sich momentan, durch Irrtümer verleitet, entfernt hatte. Sie wird glücklich werden,« wiederholte die Dame im erhobenen Tone der Selbstgefälligkeit, »und sie wird es in späterer und ruhigerer Zeit lernen, mich zu preisen!«

»Sie dauern mich, Gnädige,« replizierte Gellert mit sanftem Spotte ihre eigenen Worte.

Frau von Wallbott sah ihn mit gereizter, gallicht bitterer Miene an. Dies war so ein Moment, den Gellert ›ihr innerliches Stampfen mit dem Fuße‹ nannte. Sie ertrug auf die Länge von niemandem Widerspruch, und eine Entgegnung, wie sie sich Gellert jetzt erlaubte, gestattete sie nur ihm. Gellert nickte ihr ganz gemütlich zu und wiederholte:

»Ja, ja! Sie dauern mich, dass Ihre langgepflegte Weisheit Sie schließlich so irreführt, um die kühle Zärtlichkeit der Freundschaft für ebenso beglückend zu halten, wie die Liebe.«

»Und wenn ich wirklich in diesen Irrtum verfallen wäre, wenn ich Alexanders edle und enthaltsame Liebe als eine laue Empfindung der Freundschaft gelten lassen wollte, so würde ich dennoch behaupten: Margareth wird glücklicher mit ihm, als mit dem Grafen Levin, dessen rau natürliche und begierdenvolle Leidenschaft abschreckend hässlich erscheint.«

»Erschien sie wirklich dem jungen Fräulein Margareth auch abschreckend hässlich?« fiel Gellert gutmütig und ironisch zugleich ein.

»Margareth war sich selbst nicht klar! Sie ist nun erwacht und wird zum Bewusstsein ihrer innern Entwürdigung kommen.«

»Wird sie das wirklich? Gnädige – Sie dauern mich!«

Frau von Wallbott warf ihm einen zornigen Blick zu und sprach ungewöhnlich eifrig:

»Weichen wir denn plötzlich so sehr weit von unsern Meinungen ab? Ich denke nicht! Ich will und beanspruche nur eine unbegrenzte Selbstbeherrschung in der Leidenschaft, die man gewöhnlich Liebe nennt, und ich verlange eine Veredlung der menschlichen Naturgefühle, um das Band der Ehe auf eine geistige Höhe zu verpflanzen, wie sie mir als Standpunkt eines wahrhaften Glückes vorschwebt.«

»Ja, Ihnen! Die Liebe ist das subjektivste aller Gefühle, meine Freundin. Ihnen – aber nicht Ihrer Nichte Margareth!«

Er betonte die letzten fünf Worte merklich bedeutungsvoll.

»Wie?« fuhr die Dame betroffen auf. »Professor, sind Sie rasend! Margareth im Dunste niederer Herzenssphären – bezwungen von der Glut des Blutes – geneigt in toller Hingebung dem Manne, der es wagte, dies zu fordern, ihr edleres Selbst zu opfern? – Nein! Ich sage es tausendmal in einem Atem: Nein! Nein! Margareth, mein sanftes, süßes Mädchenherz voll heißer Scham beim dreisten Männerblick? Es wäre Verleumdung, wolltet Ihr es behaupten, und es wäre Beleidigung, wollte ich es von ihr glauben!«

Sie stand, bezwungen von ihren zornigen Empfindungen, auf und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann stellte sie sich dicht vor Gellert, schaute ihm fest in das sein blasses Gesicht und in die treuherzig gefühlvollen Augen, und begann gemäßigter:

»Was quälen Sie mich mit Ihren grundlosen Voraussetzungen, mein würdiger Freund? Margareth, das wohlgelungene Abbild eines idealen Weibes, kann nie so weit der Natur zum Opfer fallen, um ohne Rücksicht auf ebenbürtige Bildung des Geistes und der Seele ihrem Herzen eine Glut zu gestatten, die sie willenlos der Liebe eines Mannes unterwirft!«

»Wir Sterbliche können irren!« behauptete Gellert ebenso bedeutungsvoll, wie vorhin.

»Es soll nicht sein!« rief nun Frau von Wallbott entflammt. »Es darf nicht sein! Ich irre nicht! Ich darf nicht irren! Wer wagt es zu sagen, dass ich irre!«

»Sie stampft heute ganz besonders stark und trotzig mit ihren innern Füßen,« dachte Gellert etwas ängstlich werdend, und betrachtete ihr stark gerötetes Gesicht von der Seite mit scheuen Blicken. »Es wird ihr wohl nicht schaden, wenn ich es versuche, sie zur Erkenntnis zu bringen.«

»Die Zeit ist immer unsere beste Lehrmeisterin, teure Gnädige,« begann er laut und sehr bedächtig. »Überlassen wir deshalb unsere divergierenden Ansichten der historischen Entwicklung und fassen dafür das schon Geschehene als Faktum kritisch ins Auge. Haben Sie erwartet, dass sich noch jetzt, so dicht vor der Vermählung unsers jungen Paares das Verhältnis dergestalt lösen werde, um – Sie erlauben – Ihre frühern Pläne realisieren zu können?«

Die Dame stutzte und zögerte mit der Antwort, die etwas schwer zu formen war. So gern sie sich nach dieser eingetretenen Lösung auch das Ansehen gegeben, als wäre ihre Geistesmacht der Hebel gewesen, der das Verlöbnis, das ihr zuwider gewesen war, ganz unmittelbar aus den Fugen gerissen hätte, so fehlte ihr doch der Mut, das zu behaupten, da sie nicht wusste, wie viel von der ganzen traurigen Szene bekannt geworden sein möchte. Außerdem lag in Gellerts Frage eine indirekte Anklage, die sie dem Vorwurfe einer Indiskretion unterwarf. Sie war nahe daran, ihren hochmütigen Eingebungen zu folgen und eine abweisende Antwort zu er teilen, aber ihr guter Geist siegte.

Sie hob frei und offen den Blick zu dem Professor auf und antwortete:

»Meinem Gewissensrate bin ich eine ehrliche Beichte schuldig, und sie sei hiermit abgelegt, mein verehrter Freund. Ja, ich bekenne mich schuldig und erkläre, dass ich den bösen Willen hegte, Margareth auf jede nur mögliche Weise zu bestürmen, um sie dazu zu bewegen, sich wieder aus den Banden zu befreien, die sie törichter Weise und höchst unüberlegt um sich geschlungen hatte. Ich war auf einen kleinen Kampf vorbereitet, weniger aus Gründen, die das Herz diktierte, als vielmehr des allgemeinen Aufsehens wegen. Dass mein Plan den Zufälligkeiten eine schnellere und eklatantere Erledigung zu danken haben sollte, kann mir eigentlich lieb sein, obgleich es meinem stolzen Sinne nicht ganz recht ist, dass Graf Levin in seinem Rechte zu handeln schien, als er Margareth freigab. Es mag aber hingehen, wie es gekommen ist. Hatte ich früher den Mut, mit Kühnheit einen freien Entschluss meiner Nichte zu vertreten und dem Urteile unserer Standesgenossen zu trotzen, so wird mir auch nicht die Entschlossenheit fehlen, jetzt mit kräftiger Hand das Geschick Margareths zu vollenden.«

»So – so! Ganz, wie ich es dachte,« murmelte der Professor. »Also nun, da der Graf Levin Ihnen dasPrävenire gespielt hat?« fragte er lauter.

»Ja, nun bin ich sehr zufrieden, dass ich mich als passiv in dieser Schicksalsentwickelung meiner Nichte aufstellen kann, um mit dem reinen Glanze meines Namen ihr späteres Glück zu sichern!«

Ein leises Spottlächeln umflog die Lippen Gellerts, während er einige Minuten sinnend vor sich niedersah. Dann richtete er seine hellen sprechenden Augen auf die Dame, der satirische Zug verschwand und er rezitierte mit einer ergreifenden Wärme:

»O Stolz – was eiferst Du und nennst den Eifer ›Pflicht‹!

Und ist Dein Eifer selbst nicht ›Stolz‹, der aus Dir spricht?

Dein Wirken ist oft nur geheimer Trotz der Seelen,

Der übermütig spricht: ›es wird und darf nicht fehlen!‹

Oft ist auch unser Mut nur Stolz im Glanz der Seide

Und reinster Übermut in einem andern Kleide!

O, Mensch! Vertreibe ja den Glanz des falschen Lichts!

Warum verbirgst Du Dir mit so viel Kunst Dein Nichts?

Was ist des Menschen Ruhm, des Klugen wahre Größe?

Die Kenntnis seiner selbst – die Kenntnis seiner Blöße!«Note 6)

Frau von Wallbott hatte ruhig, ja man möchte sagen ›andächtig‹ den Worten gelauscht, die ihre Verurteilung in aller Form Rechtens enthielten. Ihr Blut wallte und siedete noch immer von den Gemütsaffektionen, denen sie in diesem Gespräche mit ihrem Freunde unterworfen gewesen war, allein sie trug jetzt schon das Bewusstsein ihrer Schuld in der Brust, und bei solchem Bewusstsein hört jede Empfindlichkeit im edlen Menschen auf.

Nachdenklich saß sie da, den Blick in die Weite gerichtet, ohne zu sehen. Die Sonne lag prächtig hell auf der Herbstflur und dem klaren Flüsschen, dem sie silberne Funken entlockte, wenn er seine leichten Wellen kräuselnd dem grasigen Ufer zuspielte. Nachdenklich saß sie da, und Gellert störte ihr Nachdenken mit keinem Worte, ja selbst durch keinen Blick. Er wusste, dass sie hart mit sich zu kämpfen hatte, aber er vertraute ihrer Natur den Sieg an.

Einmal schlug sie in bitterer Not das Auge zum Himmel auf, als wolle sie ihn anflehen, Mitleid mit ihr zu haben und ihrer Demütigung ein Ende zu machen. Der Himmel fiel jedoch nicht ein und Gellert sprach kein Wort, um sie aus einem Seelenzustande zu befreien, der einer Buße gleich kam. Nach langem Zögern atmete sie tief auf:

»Was verlangen Sie von mir, mein Freund?« fragte sie sehr leise und mit schwer bedrückter Stimme. »Ich bin zu allem bereit, um mir Ihre Achtung und Liebe wieder zu gewinnen!«

Gellert zog tief bewegt ihre Hand an seine Lippen.

»Der schönste Sieg, den je ein Mensch feiern kann, ist der über sich selbst, meine teure gnädige Frau,« sprach er freudig. »Ich verlange nichts – nein, ich bitte nur meine Freundin, ich bitte im Namen der Menschlichkeit: beherrschen Sie Ihre Wünsche, die Sie zum Lebensglücke Ihrer Nichte entworfen haben – beherrschen Sie jedes Wort, das eine Überredung für Margareth enthalten könnte – beherrschen Sie Ihren Einfluss auf diejenigen Menschen, welche unter Ihrer Geistesmacht sich wohl fühlen!«

Frau von Wallbott sah ihn heiter an.

»Weiter nichts? Das wäre ein kleines Sühnopfer.«

»Glauben Sie das nicht, Gnädige. Wenn Sie sich nicht geneigt fühlen, mir ein Gelübde darüber abzulegen, so beschränke ich Sie auf den Willen Gottes!«

»Den fürchte ich nicht!«

»Übergebe Sie der Pein eines ruhigen Zusehens!«

»Umso besser für meine Trägheit!«

»Überlasse Margareth der Natur ihrer Gefühle!«

»Gottlob, darüber kann ich ruhig sein!«

»Überhebe Sie aber auch jeder Verantwortlichkeit!«

»Hier haben Sie meine Hand! Ich schweige zu allem, was sich ereignet, und ich lege meinem Munde so lange ein Siegel auf, bis die Entwicklung der Zeit es von selbst löset. Wie sich die Dinge auch gestalten mögen, unsern Freundschaftsbund soll nichts stören! Ich weiß, dass meine Ansichten siegen, ganz ohne mein Zutun siegen, denn es wäre eine Schmach für uns Frauen, sollte das Edle der Weiblichkeit dem Sinnenreize unterliegen. Mein Neffe Alexander ist angekommen –«

»Schon angekommen?« fiel Gellert verwundert ein. »Wann?«

»In dem Momente, als Sie zu mir eintraten. Er hat mit seinem Sinne erkannt, dass er, bevor er mit irgendjemand im Schlosse zusammentreffe, Margareth sprechen müsse, und er sitzt jetzt in ihrem Boudoir,« schloss sie triumphierend.

Der Professor zog ein sehr bedenkliches Gesicht. So nahe hatte er die Prüfung Margareths nicht geglaubt, und ein fürchtendes Bangen schlich durch sein wackeres Herz. Würde sie starksinnig genug sein, um die Verwirrung ihrer Gefühle richtig zu sondieren? Wenn sie der Bestürzung des Augenblickes unterlag, so war die bitterste Reue ihr Lohn, und ein Wort der Warnung hätte sie vielleicht retten können.

»Margareth wusste, dass Alexander kommen würde?« forschte er weiter.

»Sie erfuhr es vor der fürchterlichen Katastrophe, die ihr die Freiheit wiedergab.«

Der Professor atmete froh auf. Das junge Mädchen hatte also eine ganze Nacht Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Er verabschiedete sich mit Herzlichkeit von Frau von Wallbott und eilte seiner kleinen Freundin Gertrud zuzuflüstern, »dass er sein Versprechen gehalten habe und als Ritter Margareths aufgetreten sei! «

Frau von Wallbott sah aber der nächsten Stunde mit voller Sicherheit und Zuversicht entgegen.


Note 5

Wörtlich nach einem spätern Briefe Gellerts an jene früher schon notifizierte Edeldame, die sich mit harter Konsequenz Eingriffe in das Glück ihrer Familie erlaubt hatte.

Back

Note 6

Wie vorhin gesagt: Nach einem Briefe.

Back

Siebentes Kapitel.

Rittberg zögerte nicht einen Augenblick, sich zu einem Gaste zu begeben, den er keineswegs erwartet hatte. Er war begierig, den Mann wiederzusehen und unter das Brennglas seiner Prüfung zu stellen, der ihm jetzt von doppelter Bedeutung war. Alexander von Lottum, oder wie er im Allgemeinen, ob mit Recht oder Unrecht, bleibt zweifelhaft, immer genannt wurde, der Baron Lottum, war ihm früherhin stets als ein Mann von schmiegsamen Grundsätzen erschienen. Seine entschlossene Ruhe, womit er jetzt den letzten Zeitpunkt wahrnahm, der ihm ein Gut zurückgeben konnte, das er in übertriebener Sorglosigkeit als sein Eigentum angesehen und für sich reserviert gedacht hatte, missfiel ihm nicht. Sie fand in Widerspruch mit der weichlichen Nachgiebigkeit, die er den Weltanforderungen gegenüber bis dahin gezeigt und namentlich in unbedingter Hingebung für die Frauen bewiesen hatte. Beinahe ein Jahr konnte dieser Mann mit Seelenruhe fern von der, die er doch jetzt als teures Kleinod in Anspruch nehmen wollte, leben, ohne sie in dem Bereich seiner nächsten Verbindungen zu wissen. War das fester Glaube an eine unerschütterliche Liebe ohne Traugelübde, so zeigte es seine ehrenhaft ritterliche Gesinnung, der Rittberg seine Achtung und Teilnahme nicht versagen wollte. War es aber eine Behaglichkeit der Selbstzufriedenheit, die mit Kühnheit der vermessenen Hoffnung gelebt hatte, dass nichts in der Welt sein Bild aus dem Herzen Margareths zu verdrängen im Stande sein würde, so fühlte er den Beruf in sich, dem Baron Lottum die Vorzüge seiner Schwester dergestalt klar zu machen, dass er zur Erkenntnis seiner Selbstüberschätzung kommen musste.

Alexander von Lottum gehörte nicht zu den gewöhnlichen Männern, das hatte Rittberg immer anerkannt. Seine Klugheit berechtigte ihn zu Plänen auf eine glänzende Stellung in dem Kreise der Bürokratie, und es war zu bedauern, dass er seine Fähigkeiten nicht dazu verwendete, die Erwartungen zu erfüllen, die man von ihm hegte. Man schob die Abneigung des jungen Mannes, sich in das Joch eines Amtes spannen zu lassen, auf die Flatterhaftigkeit der Genialität, allein wer ihn näher kannte, der wusste, dass ihn die Furcht abhielt, dort mit seiner Arbeitstüchtigkeit nicht so glänzen zu können, als man nach seinen theoretischen Kenntnissen zu erwarten Ursache hatte. Er trieb sich am liebsten im Lande umher, suchte den Umgang mit den ausgezeichneten Männern der damaligen Gegenwart und bildete sich nach ihren Mustern männlicher Vollkommenheit.

Dass bei solchen Bestrebungen die menschliche Eitelkeit ganz aus dem Spiele bleiben sollte, war gar nicht anzunehmen. Rittberg suchte ihn aber nicht unter dergleichen vorgefassten Meinungen auf. Seine Gedanken klammerten sich mehr an eine Entzifferung der Gründe, warum er so lange von seiner Liebe, die Frau von Wallbott in ein großartiges Licht zu setzen bemühet gewesen war, geschwiegen hatte, da sie ihn doch jetzt zu so verzweifelt gewagten Geständnissen gebracht. Ohne Vorurteile, obgleich er in ihm die Veranlassung der jetzt waltenden peinlichen Situation erkennen musste, beeilte er sich ihn zu begrüßen.

Herr Alexander lag im Sofa, als er eintrat, und die Ruhe, womit er sich erhob, um die dargebotene Hand des Mannes anzunehmen, der einigermaßen Rechenschaft über manches, was tief eingreifend in Seele und Gemüt war, fordern konnte, frappierte Rittberg und machte seinen Begrüßungston so abgemessen kühl, dass nicht die mindeste Freude darin zu erkennen war. Baron Alexander schien dies nicht zu vermissen. Mit der Gebärde großen Selbstbewusstseins, wie es nur überwiegend berühmten Leuten nachgesehen wird, nahm er mit Rittberg Platz und sprach sogleich seine Freude über die glückverheißenden Veränderungen aus, die eine entsetzliche Ehe zur rechten Zeit vernichtet hätten.

Rittberg ignorierte diese pathetische Anrede und fragte: »ob er seine Tante schon gesprochen habe?«

Der Baron bejahete es, setzte aber hinzu: »Nur einige Minuten, weil der Professor Gellert erschienen sei und seinen beschleunigten Rückzug bewirkt habe. «

Rittberg setzte ihm männlich besonnen auseinander, dass sich die Verhältnisse seltsam gestaltet hätten und nur durch eine ›rücksichtslose Offenherzigkeit‹ zu applanieren seien.

»Danach ermessen Sie meine Frage: was hoffen Sie und worauf stützen sich Ihre Hoffnungen?« schloss er ziemlich gleichgültig.

»Ich hoffe sehr viel,« entgegnete Lottum sehr schnell und pikiert, »und meine Hoffnungen gründen sich auf den hohen, geistigen Wert Ihrer Schwester! Wann darf ich Margareth sprechen?«

»Der Weg zu meiner Schwester steht Ihnen ganz frei, Alexander,« begütigte ihn Rittberg, der seine Schroffheit bereuete. »Nicht deshalb tat ich diese Frage an Sie, sondern um einen Faden in dem Labyrinthe zu erfassen, der mich aus der ganzen Verwirrung, die hier herrscht, herausleiten könnte. Sie gestatten mir eine andere, verständlichere Frage: Hat Margareth sich jemals Versprechungen, Geständnisse oder nur unbewusste Herzensverrätereien erlaubt, die Ihnen ein Recht zu Ihrer Werbung geben?«

Alexander hob sehr verständlich nicht achtend sein Haupt empor, indem er erwiderte:

»Sie sind verlobt, Reinhard – haben Sie es für nötig gehalten, ihr Herz anders, als durch die innigste Seelenharmonie sprechen zu lassen?«

»Seelenharmonie, Alexander?« wiederholte Rittberg ganz erschrocken. »Das wäre ja eine sonderbare Art sich zu verloben, wenn man nicht einfach und herzlich das Mädchen seiner Wahl fragen wollte: willst Du mir Dein Herz geben, denn mein Herz glüht für Dich!«

Alexander unterbrach ihn: »Wir befinden uns, trotz Ihrer tüchtigen Verstandesbildung, nicht auf derselben Stufe der Geisteskultur, welche das Wesen des Menschen hebt und vergeistigt und zu jener süßen Begeisterung emporträgt, wo Worte als sinnliche Wahrzeichen unnötig werden!«

»So – so! Sie meinen, dass eine Erklärung zwischen Ihnen und Margareth nie stattgefunden hat?« fragte Rittberg fest und bestimmt, um ›den Schwärmer für Seelenharmonien‹ wieder auf die Erde zurückzuführen.

»Zwischen Margareth und mir herrschte seit Jahren die innige heilige Seelenverbindung, welche wir Sympathie nennen. Hierauf stütze ich meine Hoffnung, dass das holde, schöne Mädchen niemals aus freien Beweggründen eine andere Wahl hat treffen können!«

»Margareth war durch nichts gehemmt und durch nichts bestimmt, als durch ihr Herz, indem sie dem Grafen Levin sich verlobte, Alexander. Schon dieser Umstand muss Sie belehren, dass Sympathien oft mehr Freundschaftsstoffe enthalten, als man denkt. Liebesglück verlangt weniger Übereinstimmung des Geschmackes, als Herzenswärme, weniger gleiche Meinungen, als gleiches Pulsieren des Blutes und eine Anziehungskraft, der wir keinen Namen zu geben wissen.«

Alexander von Lottum legte sich bequem in die Ecke des Diwans und lächelte fein.

»Ich wollte, mein Freund Wieland wäre hier, um Sie handgreiflich zu belehren!«

»Nach meiner Meinung wäre ich weit eher im Stande, Ihren Freund Wieland zu belehren, als er mich!« sprach Rittberg sehr entschieden. »Das Verhältnis Wielands zur Sophie von Guttermann, welches sich auf Seelenverkehr beschränkt hat, erscheint mir fade gegen den Bund, der mich mit meinem wackern Mädchen verbindet! Elvire von Uslar liebt mich mit der vollständigen Hingebung, die den Mann zum glücklichsten Sterblichen zu machen verheißt. Ich verlange nicht danach, das Verhältnis von Liebesleuten zu kopieren, die schmachtend zusammen lesen, musizieren, den Mond anbellen und die Sterne zählen!«

»Sie nehmen also die Liebe materiell?« warf Alexander geringschätzend ein.

»Ich nehme sie vernünftig, als eine Gabe des Himmels, um uns so glücklich zu machen, wie möglich.«

»Unter den Ständen, wozu wir uns zählen, sollte eine solche Herabwürdigung edler, hoher und reiner Gefühle gar nicht stattfinden!« fiel Alexander wieder ein.

»Wehe den Ständen, wozu wir uns rechnen, wenn sie jemals dazu kommen sollten, eine eheliche Verbindung von diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten,« sagte Rittberg sehr ernst. »Ich wäre im Stande eine Braut zu verachten, die mit ätherischer Kühle im Herzen mein Weib würde.«

»Wenn aber zwei Menschen in der Seelenerkenntnis geläutert, miteinander gleich gestimmt, durchs Leben gehen wollen – sind diese zwei Menschen Ihnen auch verächtlich?«

»Nein! Ich bedauere sie beide!« entgegnete Rittberg sehr rasch. »Gelingt es Ihnen meine Schwester auf diesen Weg zu verlocken, so habe ich die Überzeugung, dass Sie ein reiches, gefühlvolles und weiches Herz töten, indem sie demselben langsam alle Blutwärme entziehen. Margareth würde mir als eine Märtyrerin der steigenden Kultur erscheinen und in ihrer vestalischen Reinheit nicht so ehrenwert vorkommen, als in einem Kreise blühender Kinder von dem Dunstkreis irdischer Elemente umfangen.«

»Wir werden uns nie einigen, bester Freund,« wendete der Baron ein. »Was mir ein Entsetzen einflößt, ist Ihnen des Himmels Segen. Ich bitte Sie nur inständig, nicht auf Margareths Entschluss zu influieren.«

»Sorgen Sie nicht! Es würde heißen, die zarte Seele einer Jungfrau beflecken, wollte ein Mann, und sei er ein Bruder, den Schleier heben, der das Mädchenherz umhüllt und idealisiert. Versuchen Sie mit Ihrem Enthusiasmus für ein schwärmerisches Idealleben meine Schwester – ich zweifle so lange an günstige Resultate, bis ich glänzend überführt werden kann.«

»Darf ich bitten, mich Margareth melden zu lassen?« fragte Alexander zuversichtlich.

Rittberg verbeugte sich und ging.

Einige Minuten saß Alexander still und überdachte, was gesprochen worden war. Es lag durchaus nichts darin, was ihn, nach seiner Beurteilung, entmutigen konnte, und doch schlich ein ahnungsvoller Schauer durch sein Inneres, wenn er an die Festigkeit dachte, womit Rittberg seine Ansichten verwarf. Sollte dies ein Vorspiel der kommenden Szene werden?

Etwas bedenklicher, als nach dem günstigen Referate seiner Tante, begann er seine Toilette zu ordnen und sich einen förmlichen Belagerungsplan zu entwerfen. Zuerst so sicher in seinen Erwartungen, dass er Rittberg mit der Ruhe eines begünstigten Bewerbers empfangen hatte, bemächtigte sich jetzt seiner ein Unbehagen, welches ihn zu Reflexionen führte.

Ein Jahr war verstrichen, seit er Margareth im Hause seiner Tante verlassen hatte. Bald darauf hatte sie ebenfalls in Begleitung ihres Bruders Kassel, wo sie in einem Confluxus ästhetischer Kreise gelebt und geatmet, verlassen und war nach Schloss Rittberg, also immer unter unmittelbarer Einwirkung der brüderlichen Ansichten, übersiedelt. War es nicht denkbar, dass sie ihre hoch gespannten und fein veredelten Begriffe von Mensch und Erde etwas vom unreinen Elemente der Gemeinheit hatte verwischen lassen?

Womit man umgeht, zu dem neigt man sich. Herr Alexander von Lottum kannte die Unselbständigkeit des Frauengemütes gerade genug, um jetzt mit Sorge an ein Wiedersehen zu denken, von dem er sich Himmelsgenuss geträumt hatte. Es ist immer nicht gut, mehr zu träumen, als nötig ist, meinte er endlich entschlossen, und folgte dem Diener, der ihn hinab zu dem Flügel führen sollte, wo Margareth wohnte.

Margareth hatte sich nicht entschließen können, ihren Jugendfreund in dem Zimmer zu empfangen, wo sie trotz der unklaren Erkenntnis ihres Glückes so selig gewesen war. Es war jedenfalls ein ungünstiges Zeichen für diesen, und er nahm es auch dafür, dass er mit aller Förmlichkeit in das gewöhnliche Besuchszimmer geführt wurde, wo Margareth in einer nervösen Aufgeregtheit schon auf ihn wartete.

Gewitzigt durch das eben abgehaltene Gespräch mit Rittberg sah er mit der Aufrechthaltung der gewöhnlichen Konvenienzregeln ganz klar den Standpunkt, auf welchen man seine verspätete und seltsam gewagte Bewerbung zu stellen beliebte, und indem man die sonstige Traulichkeit seiner Beziehungen zu Margareth beschränkte und in die weiten Grenzen bloßer Besuchsberechtigung verlegte, erklärte man deutlich die geringe Neigung, den eben leer gewordenen Platz eines Verlobten schleunig wieder zu besetzen.

Im Grunde hatte er dies auch in vollster Ausdehnung nicht erwartet, aber er hatte gehofft, von den sehend gewordenen Augen eines verblendet gewesenen Mädchens als ein Messias begrüßt und in heimlicher Stille ihres Gemaches als solcher anerkannt zu werden. Mit dem dunkeln Bewusstsein, dass nach der Hitze in Graf Levins Empfindungen eine zu große Lauheit vielleicht nachteiligen Vergleichen erliegen könnte, trat er auf das Fräulein zu und ergriff mit einer gewissen Wahrheit von Erschütterung schnell die Hand, die Margareth ihm entgegenstreckte.

Dann aber verbeugte er sich vor ihr, tiefer und zeremoniöser, als es die Stellung erheischte, in welcher er seit ihren Kinderjahren zu ihr stand, und fragte mit zärtlichem Tone:

»Margareth, warum haben Sie mir das getan?«

Die Worte waren unglücklich gewählt. Sie wiederholten den Vorwurf, den sich tags zuvor ihre Tante erlaubt hatte, und gaben ihr mehr als alles andere Licht über das planmäßige Verfahren, womit man in ihrer ganzen Erziehung ihr geistiges Wesen mit dem Willen geleitet hatte, dem Herrn von Lottum eine Frau zu schaffen, wie er sie sich wünschte.

Der Nebel sank vor ihren Augen und sie betrachtete den verächtlichen Tadel, womit Frau von Wallbott ihre Verlobung beehrt hatte, plötzlich aus anderm Gesichtspunkte. Ihr sanftes, weiches Temperament verhinderte sie nun zwar, den neugewonnenen Ansichten Worte zu geben, allein sie wirkten wesentlich auf die Ruhe ihres Gewissens ein, das sich wirklich als etwas schuldig erkannt hatte. Sie beantwortete die erste Anrede Alexanders nur mit einem sanften, traurigen Lächeln, und dies ermutigte ihn zu der leidenschaftlichen Vertraulichkeit, ihre Hände wechselweise an seine Lippen zu drücken.

Margareth, unsicher in ihren Gefühlen, solange sie nicht im Stande war, Liebe und Freundschaft in sich zu trennen, trat schnell zurück und bewältigte nur mühsam eine Aufregung des Unmutes, die sich blitzartig bei dieser Zärtlichkeitsbezeugung durch ihr Inneres verbreitete. Sie war kalt und besonnen, als sie mit einer Handbewegung dem Jugendfreunde einen Platz anwies und sich selbst, vielleicht noch nicht fest entschlossen, aber doch sehr bereitwillig, sich von seinem fernern Betragen zu einem unabänderlichen Entschlusse leiten zu lassen, in dem Diwan niederließ. Alexander begann sogleich:

₺92,99

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
620 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783754183656
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок