Kitabı oku: «Gertrud», sayfa 7
»Margareth, mich führt eine Hoffnung her, die vermessen genannt werden könnte, wenn sie nicht in unserm schönen Beisammenleben unter dem Schutze meiner Tante wurzelte. Darf ich reden, Margareth?«
»Von Ihren Hoffnungen nicht, Alexander,« sagte das Fräulein merkwürdig gefasst, nachdem das Gespräch erst begonnen hatte. Die Verlegenheit, die sie ihrer Tante gegenüber gezeigt hatte, schien verschwunden, nachdem sie jetzt eingesehen, dass Alexander ihr in keiner Weise das gewesen war, was sie beim jähen Verluste des Grafen Levin so tiefbetrübt betrauerte.
»In der trübseligen Situation einer mit vollem Rechte verlassenen und verachteten Braut wäre es unzart von mir, die Worte eines Mannes anzuhören, die eine Hoffnung auf meine jetzige Lage aussprechen.«
»Allerdings, wenn dieser Mann nicht mit dem Rechte sprechen könnte, den ein lange bestandenes Seelenbündnis geben muss!« entgegnete Alexander ernst und traurig.
Er fand erst jetzt die nötige Ruhe, um das Mädchen näher zu betrachten, das eigentlich, so lange er zu denken vermochte, seine Einbildungskraft beherrscht hatte. Der Ausdruck ihres Wesens war unbestreitbar ein verschiedener, als der, welchen er von ihr in der Ferne gehegt.
Schon ihre äußere Erscheinung zeigte dies. Früherhin machtlos dem Willen ihrer Tante ergeben und der eigenen Willenskraft nicht vertrauend, bewies schon die schüchterne Sanftmut ihres Blickes, dass sie zu den weiblichen Naturen zählte, die innerlich nicht leicht unabhängig werden, sondern des Rates und der Stütze bedürfen. Jetzt stand sie verändert vor ihm.
Die einzige bittere Erfahrung, wodurch sie ein beglückendes Verhältnis gestört sah, weil sie sich dem stärkern Wesen ihrer Tante nicht mit der Freimütigkeit entgegengestellt, die sie hätte retten können, diese einzige bittere Erfahrung hatte sie gegen schwache Unterwerfung gestählt. Ob damit aber auch ihre Energie dergestalt geweckt worden war, dass sie ihre schwer bezahlte Unabhängigkeit behaupten und das tiefgewurzelte Bedürfnis, sich einem stärkern Geiste unterzuordnen, bezwingen konnte, darüber musste die Zukunft entscheiden.
Für jetzt erschien sie dem prüfenden Blicke des Baron Lottum gereifter und selbständiger, als jemals, und ihre Haltung verriet weder Unterwerfung, noch den guten Willen, sich von den Erklärungen seiner Huldigungen geschmeichelt zu fühlen.
Wäre er selbst freier von den Fesseln einer Geistesrichtung gewesen, die seine Beurteilungskraft in die Schranken idealer Lebensanschauungen bannte, so würde er gesehen haben, dass die Sprache der Natur in der Brust Margareths den künstlichen Bau der eingelernten Lebensphilosophie merklich untergraben und erschüttert hatte. So aber sah er die Veränderung, die dem Fräulein einen neuen, ungewohnten Reiz mitteilte, und verstand sie nicht zu zergliedern. Er horchte gespannt und sehr verwundert hoch auf, als Margareth ganz ohne Schüchternheit antwortete:
»Dies Seelenbündnis hat seine Rechte und seine Gültigkeit eingebüßt, bester Alexander. Mit dem Momente, wo ich dem Grafen Levin die Rechte eines Verlobten eingeräumt hatte, schloss ich die Tore der Vergangenheit, und mit dem Abschiedsblicke meines Verlobten hat sich für mich die freie Benutzung der Gegenwart abgeschlossen. Was Sie also beanspruchen können, sind die Wirkungen der Zukunft, und ich vertraue es Ihrer eigenen Diskretion an, darüber nichts zu hoffen, nichts zu bitten und nichts zu beschließen.«
Der Baron blickte mit sonderbar gemischten Gefühlen auf das Mädchen. Die Überlegung ihres Bescheides imponierte ihm, aber der Inhalt desselben weckte Bestürzung in ihm. Mit dieser Bestürzung kämpfte die beleidigte Eitelkeit.
»Betrachten Sie sich noch nicht als ganz frei?« fragte er gereizt.
»Der äußerlichen Verpflichtung nach – ja!« antwortete sie gelassen.
»So dächte ich, dass der Herstellung unserer frühern Bande nichts entgegen stände?«
»Der Herstellung früherer Bande gar nichts, mein lieber Freund,« meinte sie, still traurig ihre Blicke erhebend. »Ja, ich bekenne sogar, dass für mich ein Trost darin liegen würde, die trübselige nächste Zeit unter der Bemühung, mich selbst wieder zu finden, zu verleben, allein Sie fordern andere Gefühle von mir, als ich geben kann–«
»Nein! Margareth, ich will nichts, als den Verkehr unserer Seelen, wie damals, wo ich zwischen Ihnen und meiner Tante lebte!« rief der junge Mann mit Erhebung.
Margareth schüttelte ungläubig den Kopf: »Ich habe mich einmal in dem unseligen Zwiespalte befunden, den eine Verkennung von Gefühlen zu Wege bringt, und ich bin entschlossen die Freundschaft der Männer zu vermeiden.«
»Damit würden Sie einen großen Teil meines Geschlechtes berauben,« sprach Alexander tadelnd.
»Aber einen Einzigen, umso mehr beglücken!« ergänzte das Mädchen mit strahlenden Augen.
Sie sah wunderschön in dieser Begeisterung aus, und es mochte sich wohl der Wunsch in dem jungen Herrn regen, dieser ›Einzige‹ sein zu können, trotzdem entgegnete er:
»Das sind Lehren, die der Egoismus einer Leidenschaft erfunden hat!«
»Und die schönste Eigenschaft dieser Leidenschaft ist der Egoismus!« fiel Margareth ein.
Gleich darauf errötete sie, wie ein Mairöschen, und fügte hinzu: »Die meisten Menschen leben verstrickt in dem Egoismus der Eigenliebe und scheuen die Opfer, welche eine Hingabe für das Glück eines Einziggeliebten fordert, aber, so tief ich auch durch meine verfehlte Erziehung in den Banden dieses Egoismus lag, der widrige Missklang, der sich jetzt durch mein Dasein zieht und mein Leben auf lange Zeit durchtönen wird, hat mich radikal geheilt.«
»Was Sie sagen, bekundet eine gänzliche Verkennung Ihrer Natur und Ihrer jetzigen Verhältnisse,« erwiderte Alexander sanft. »Der Vorwurf, den Sie meiner Tante, die nach ihren Grundsätzen Ihre Erziehung angeordnet hatte, damit machen, fällt sofort in ein Nichts zusammen, wenn man Sie kennenzulernen sucht. Die Stufe der Bildung, die Sie dadurch erreicht haben, erhebt Sie weit über die meisten Frauen der Gegenwart.«
»Ohne mich aber zu befähigen, gleich der einfachsten Bäuerin, den Mann meiner Wahl zu beglücken.«
»Würden Sie das wünschen?«
»Ja! Mir fehlt aber die Natürlichkeit und Einfachheit des Sinnes dazu. Ich habe beides eingebüßt unter den Sophismen, die das Weiberherz kristallisieren.«
»Welche böse Macht hat Ihnen denn diese Ansichten beigebracht?«
»Der Hauch wahrer, natürlicher Liebe!«
Der Baron biss sich auf die Lippen. Sein feines blasses, echt aristokratisches Gesicht färbte sich, und eine schlecht verhehlte Empfindlichkeit machte, dass er stumm vor sich niedersah.
In diesem Ausspruche lag die Erklärung, dass Fräulein Margareth die Liebe des Grafen höher wert hielt, als alle die subtilen Beziehungen, die jemals zwischen ihnen gewaltet hatten. Der direkte Tadel ihrer Erziehung war ein unerhörter Angriff auf die Weisheit eines vorwärtsstrebenden Menschengeschlechtes und auf den Enthusiasmus für Seelenschönheit und Herzenskeuschheit. Sie verletzten den jungen Mann umso tiefer, als er im Begriffe gewesen war, dem Vorbilde seines jüngern, weit höher begabten und feiner organisierten Freundes Wieland zu folgen, der die Welt durch den Briefwechsel mit seiner Seelengeliebten entzückte.
Margareth von Rittberg vereinte unbestritten noch bedeutendere Elemente in sich, um sie der allgemeinen Vergötterung würdig zu machen, als die Dame, welcher Wieland mit graziösem Entzücken Huldigungen streute. In der törichten Eitelkeit: ›berühmt zu werden, ohne sich allzu bedeutend anstrengen zu müssen,‹ hatte der Baron sich der Überzeugung hingegeben, dass es nur eines Wortes bedürfe, um Margareth für seine Sache zu entflammen. So sonderbar es klingen mag, wenn man eine Herzensangelegenheit eine ›Sache‹ nennt, so war für den Moment wenigstens kein anderer Ausdruck dafür zu finden, da es sich keineswegs darum handelte, eine Gattin zu erwerben, sondern nur eine schöne und liebenswürdige Vertreterin einer Mode, mit der man damals zu kokettieren pflegte. Freundin eines bedeutenden Geistes zu sein, gehörte zu den Errungenschaften eines emporblühenden Zeitalters, und die berühmt werdenden Männer gefielen sich in dem Verfahren, an eine begabte Frau die sublimen Gedanken zu adressieren, wofür der rohere Weltbürger noch kein Interesse zeigte. Dass sich Margareth, die bis zu seiner Abreise nach der Schweiz in den Sphären der Erhabenheit geschwebt hatte, in der Rolle einer einfachen Hausfrau besser gefallen könnte, als in dem epochemachenden Verklärungsschimmer einer geistreichen Dame, gab seiner idealen Liebe zu ihr einen derben Stoß und machte ihn sehr verdrießlich.
Während er seinen Gedanken nachhing, sagte Margareth ganz mit der schwesterlichen Zärtlichkeit, die sie unrichtig für ein innigeres Gefühl zu halten am Tage zuvor von ihrer Tante fast gezwungen worden war:
»Glauben Sie mir, Alexander, Sie befinden sich in demselben Irrtume, wie ich, wenn Sie annehmen, dass unsere gegenseitige Anerkennung ausreichend und bindend für alle Lebensverhältnisse sein könnte.«
Der Baron fuhr heftig auf: »Wenn solche Bindungsmittel nicht ausreichend wären, wo gäbe es dann ein Mittel, um ein menschliches Glück festzustellen? Etwa durch den Schaum der Leidenschaft, die man durch den Namen Liebe profaniert? Und wenn dieses Gift verraucht ist, Margareth? Wenn das sinnlich getrübte Auge wieder klar wird und hellsehend genug, um die menschliche Gemeinheit zu erkennen und zu begreifen? Margareth, auf welchen Abwegen wandeln Sie? Gott hat sich Ihrer zur rechten Zeit erbarmt, um Sie für größere und edlere Lebenszwecke zu erhalten!«
»Ihre Ansicht befremdet mich nicht,« entgegnete das Fräulein mit herzlicher Freundlichkeit, »weil darin die Gedanken enthalten sind, die mich seit meiner Verlobung mit dem Grafen Levin gefoltert und verfolgt haben. Aber die stumme Beredsamkeit der Leidenschaft, die sich in Levins Zorn ausprägte, als er mir das Symbol meiner Treue zurückgab, hat meine Bedenklichkeiten und Zweifel gehoben.«
Alexander schüttelte mit der Gebärde großer Verwunderung den Kopf.
»Gerade das, was meine Meinung bestätigt, das hebt Ihre Zweifel auf?«
»Meine Behauptung wird Ihnen verständlicher sein, wenn ich Ihnen erkläre, dass sein Zorn aus dem Schmerze entsprang, meine Neigung nicht so ungeteilt zu besitzen, wie er sie mir weihete! Nur dem, der selbst liebt, ist dieser Schmerz erklärlich!«
»Sie verstehen ihn zu würdigen?« fragte Alexander mit Ironie.
»Im tiefsten Mitgefühle und in einer entsetzlichen Sorge um sein Wohlergehen!« sprach Margareth leise und gefühlvoll.
»Diese Sorge macht Sie kalt gegen meine bewährte und geduldigere Zuneigung?«
»Vielleicht! Der Mensch kennt sich selbst zu wenig, und wenn er sich erkennt, ist es zu spät,« versetzte sie ausweichend.
»Das Glück meiner Zukunft ist Ihnen weniger wichtig?«
»Es erscheint mir weniger gefährdet!« sagte sie wehmütig.
»Das fragt sich! Nachdem ich durch die Großmut des Schicksals zu neuen Hoffnungen ermutigt wurde, verschränken Sie mir mit Härte jede Aussicht auf ein Glück, das ich jetzt erst, nach dem drohenden Verluste zu schätzen weiß.«
»Haben Sie Geduld, Alexander!« bat Margareth sanft. »Sie kennen Ihre Empfindungen auch nicht genug, um sich nicht durch jede Auseinandersetzung zu übereilten Schlüssen verleiten zu lassen. Würden Sie es lieber sehen, wenn ich jetzt leichtsinnig handelte?«
»Jetzt – jetzt leichtsinnig?« erwiderte der Baron mit Überhebung. »Der Fall ist gewesen! Jetzt würden Sie nur Ihrer würdig handeln, wenn Sie ohne Beschränkung und mit vollem Vertrauen Ihre Hand in die meine legten!«
Margareth lächelte ganz wenig.
»Auch wenn ich jetzt, geschreckt durch die Verwirrung meiner Empfindungen, belehrt durch meine tiefe und schmerzhafte Betrübnis, ganz bedeutende Zweifel in die notwendige Wärme meines Gefühles für Sie zu setzen versucht wäre?« fragte sie.
Er fasste schmeichelnd ihre Hand.
»Die Wärme, welche ich beanspruche, leuchtet mir aus Ihren geistvollen Augen heute, wie damals entgegen, wo Sie von mir auf den Thron meines Herzens erhoben wurden!« rief er schwärmerisch. »Sie verkennen die Poesie der Liebe, teure Margareth, und verwechseln in der reinen Unschuld ihres Herzens eine leichte Wallung, die vergänglich ist, wie der Duft einer Blüte, mit dem erhebenden, himmelanstrebenden Ernste einer heiligen Begeisterung, die allein das Erdenglück der Menschen zu schaffen vermag. Zu der Höhe sich emporzuschwingen, wo die Glut des Herzens bis zur unvergänglichen Wärme gemildert und die Seele, als Hüterin alles irdischen Stoffes, unsere Läuterung beginnt, das ist unsere Pflicht. Sie trägt den Lohn schon hier auf Erden in sich, aber sie verheißt uns höhere Seligkeit in dem Jenseits, wozu wir uns hier nur mutvoll vorbereiten!«
»Die Macht dieser Pflicht muss aber durch die Wärme und Poesie der Liebe unterstützt werden, wenn sie nicht die Heiterkeit unsers irdischen Daseins gänzlich verdunkeln soll,« fiel Margareth lebhaft ein.
»Und ich halte es der Würde einer Jungfrau für unangemessen, mit der Weisheit des Verstandes ein Bündnis zu schließen, das nur unter der Einwirkung gegenseitiger Herzensflammen die richtige Weihe enthält.«
Ihre frommen stillen Augen richteten sich bei diesen Worten in die Ferne, als müsse sie dort den suchen, welchen sie an ihrer Seite zum Lebensgefährten wünschte. Alexander beobachtete sie scharf.
»Sie erwarten ›von der Weisheit des Verstandes‹ kein genügendes Glück?« fuhr er kurz und empfindlich gemacht durch ihren Widerspruch, auf.
»Nein,« antwortete sie einfach und ruhig.
»Würden Sie mir dieselbe Antwort vor Jahresfrist gegeben haben?«
»Nein!« sagte sie ebenso besonnen und kurz.
Alexander bemerkte, dass sie sich mit Überlegung jeder geistreichen Verstrickung entzog und ihren Seelenzustand streng in den Grenzen klaren Verständnisses erhielt. Sonst eine Freundin enthusiastischer Phrasen, hatte sie bis jetzt ihre Ausdrucksweise beschränkt und sich auf der Bahn stiller Bedächtigkeit bewegt. Die Wendung des Gespräches schien ein ungünstiges Ende für ihn zu versprechen, und dahin durfte er es nicht kommen lassen. Die Zukunft musste ihm offen bleiben. Was ihm dann nicht gelungen war, musste der gewichtigern Überredung seiner Tante überantwortet werden. Seine Entsagung wäre ihm nach diesem Wiedersehen bei weitem schwerer geworden, als früher, und er sah nicht ein, weshalb er den Besitz eines Mädchens wegen einer kleinen Herzensverstimmung aufgeben sollte, das ihm seit Jahren als ein Lohn seiner Bestrebungen vorgeschwebt hatte.
»Sie haben mich also früher Ihrer Liebe wert befunden?« fragte er teilweise bewegt von dem Gedanken, etwas eingebüßt zu haben, was er in diesem Augenblicke hoch anschlug. »Sollte jeder Funken dieser Neigung erloschen sein?«
Margareth heftete klar und groß ihr Auge auf ihn, ließ aber die direkte Frage unbeantwortet und warf nur aufgeregt die Worte hin:
»Es gab eine Zeit, wo mir die Erklärung Ihrer Neigung ein Glück verheißen hätte, aber ich bin der Überzeugung, dass ich es Ihnen danken muss, frei und ungefesselt geblieben zu sein. Ehren Sie die Stürme in meiner Brust, Alexander, und lassen Sie der Zukunft ihr Recht. Was die Zeit ausgleicht, muss dem Kampfe entzogen werden, denn die Zerstörungen des Kampfes heilen selten mit der Zeit. Ich gehöre durchaus nicht zu den weiblichen Naturen, die kampfbereit ins Leben stürzen, die opferfähig ihr eigenes Herz auf den Altar der Selbstverleugnung legen und in der kühlen Verherrlichung eines imaginären Ruhmes sich selig fühlen. In mir schlafen Wünsche, die mich anders leiten, als Sie denken. Der Zügel, den mir meine Geistesbeschäftigungen angelegt haben, ist – zerrissen! Wie ich mein Glück erreichen werde, das meine Träume füllt, ob ich es jemals erreiche – das sind trostlose Fragen, welche die dicht verschleierte Zukunft enthüllen wird.«
Ihr Blick flog leidenschaftlich in die Ferne. Das Feuer und der Glanz, welcher darin glühte, verriet besser noch als ihre Rede die wahre Beschaffenheit ihres Innern. Erschrocken sprach der junge Mann, mehr für sich, als für das Fräulein:
»Sie – die weiße Taube – es ist entsetzlich!«
Ein Schrei, leise aber verräterisch dem Herzen entspringend, das in glühender Erinnerung aufzuckte, drang zu ihm und wendete seine Aufmerksamkeit wieder zu Margareth.
Sie saß totenbleich, die Hände gegen die Brust gepresst da. Ein Geisterlächeln wehte über ihre Lippen. In den süßesten Stunden traulicher Liebe hatte der Graf sie so genannt. »Meine weiße Taube!« Ein entsetzliches Weh durchrieselte sie und raubte ihr die mühsam behauptete Fassung. Alexander sprang auf, um ihr hilfreich zur Seite zu sein. Sie wies ihn zurück und bat ihn mit abgewendetem Gesichte »sie nun zu verlassen.« Zögernd willfahrte er ihr. Er beobachtete mit Schrecken die leidenschaftlichen Bewegungen, mit welchen das junge, sanfte Mädchen ihre Stirn gegen die Polster des Diwans presste, um ihre Aufregung zu bemeistern.
Mit solchen heftigen Gemütswallungen nicht vertraut, stand er betrübt da und überdachte den Schluss dieses Rendezvous, von dem er ganz andere Resultate erwartet hatte. Eine mächtigere Kraft, als die graziösen Spielereien der Schöngeistigkeit schien hier zu walten und mit unbesiegbaren Waffen seine oberflächlichen Ansprüche zurückzuweisen. Er glaubte in dem einzigen leisen, herzerschütternden Schrei, womit sie, ihm unverständlich, ihre Unterredung geschlossen hatte, das Grabgeläute seiner systematisch aufgestellten Hoffnungen ertönen zu hören. Unverzüglich begab er sich zu seiner Tante, der Verbündeten, die ihm einen Sieg, einen leichten Sieg sogar versprochen hatte, und er beeilte sich ihr mit dem einzigen Worte »Verloren« seine Niederlage zu verkünden.
Ein ungläubiges Lächeln auf den Lippen, ließ sich Frau von Wallbott ›die ganze Geschichte‹, wie sie nachlässig meinte, erzählen. Als Alexander mit der unerwarteten Aufregung, die nach seiner Meinung eine geheimnisvoll selige Überschwänglichkeit der Gefühle erraten hatte, schloss, sprach die kluge Dame ganz gemütlich:
»Ich sehe noch gar nichts verloren, wenn der erste Angriff zurückgeschlagen wird. Ein erster Erfolg ist nie ein Beweis von strategischer Klugheit, mein lieber Alexander, aber wenn es dem Angreifer gelingt, einen gut verschanzten Feind zum gänzlichen Rückzug zu bringen, dann gebührt ihm der Lorbeerkranz.«
»Nun – ich bin auch nicht willens, es bei meinen ersten Bemühungen bewenden zu lassen, ma chère tante,« entgegnete der junge Mann etwas hochmütig. »Nur für den Augenblick ist nichts zu hoffen!«
»Das gebe ich nicht unbedingt zu!« rief die Dame pikiert. »Hättest Du Deine Angriffswaffen besser gestellt, so würde Margareth, trotz ihres stürmischen Schmerzes, den Du gesehen zu haben meinst, Deine Neigung belohnt und Dir Versprechungen geleistet haben. Wie schwach sie gegen feurige Worte ist, hat sie bei Graf Levins Werbung bewiesen.«
»Ich habe meiner Liebe hinlänglich Worte gegeben,« fiel Baron Alexander respektvoll ein, »aber ich musste für jetzt kapitulieren, da Margareth die Begriffe ›Liebe und Freundschaft‹ gründlich zu untersuchen sich vorgenommen hat! Meine Stellung hier, meine gnädige Tante, wird mir durch den Ausgang meiner Konferenz mit Margareth drückend. Als Bewerber kann ich, nach ihrem Bescheide, nicht füglich auftreten und als Verwandter würde ich überall missliebig sein. Deshalb ist es ratsam, aufzubrechen. Ich habe eine Einladung von meinem Vetter Maltzahn, dem preußischen Gesandten in Dresden erhalten, und ich bin willens derselben Folge zu leisten.«
»Der Einfall ist gut!« entschied Frau von Wallbott. »Lassen wir Margareth Zeit, sich von den Erinnerungen der letzten, fatalen Ereignisse zu erholen. Die Leiden solcher Stunden gleichen sich nach alter Erfahrung durch Entbehrung am besten aus. Kehrt erst die schöne elegische Stimmung in Margareth zurück, so tritt Dein Bild in volle Kraft, und wir werden bereit sein, durch Eindrücke neuer Art der menschlichen Schwäche abzuhelfen, die sie für diesmal überwältigt hat.«
