Kitabı oku: «Pucki», sayfa 21

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4. Kapitel: Ich glaube es nicht

Pucki stand im Schulhof neben ihrer Klassenkameradin Thusnelda Reichert und biss, wie immer, an den Fingernägeln.

»Du sollst nicht beißen«, mahnte Thusnelda, »dir tun die Finger doch schon weh. Eines Tages wirst du krank.«

»Ach nein«, lachte Pucki, »von so 'nem bisschen Nagel werde ich nicht krank.«

»Aber die Finger werden schlimm.«

»Ach nein, die werden nicht schlimm, da müssten schon längst alle zehn Finger schlimm geworden sein, und sie werden nicht schlimm. Ich glaub' das nicht.«

»Es wird schon noch kommen«, beharrte Thusnelda.

Pucki biss unentwegt weiter. Ihr Gesicht nahm einen immer nachdenklicheren Ausdruck an. »Glaubst du, was sie uns gesagt hat?«

»Wer?«

»Fräulein Caspari.«

»Von der schlimmen Tat?«

»Ja. – Ich glaube es nicht! Ich habe schon manche schlimme Tat gemacht, und es ist nicht gleich die Strafe gekommen. Die Niepeljungen machen auch viel Schlimmes; manchmal bekommen sie Prügel, manchmal werden sie eingesperrt, manchmal merkt es keiner. Es stimmt also nicht!«

»Es wird schon stimmen, Pucki.«

»Ich glaube es eben nicht.«

In der letzten Unterrichtsstunde war den Kindern von der Lehrerin gesagt worden, dass jede schlimme Tat bestraft würde. Wenn auch die Eltern mitunter das Unrecht nicht merkten, so käme die Strafe doch von anderer Seite.

Pucki überlegte auf dem Heimwege alle die törichten Streiche, die sie in letzter Zeit begangen hatte. Da war vieles, was bisher noch ungestraft geblieben war. Von nun an wollte sie genau aufpassen, ob Fräulein Caspari recht behielt.

Bei der Ankunft im Forsthause hob Pucki die Nase hoch. Es duftete ganz wunderbar.

»Waffeln!« jauchzte sie. »Mutti bäckt Waffeln!«

Sofort war sie in der Küche und stellte fest, dass sie sich nicht getäuscht hatte. Auf einem Glasteller lag bereits eine ansehnliche Menge knuspriger Waffeln. Die Mutter stand am Herd und buk lustig drauflos.

»Schenkst du mir eine?«

»Nein, Pucki, es gibt in wenigen Minuten Mittagessen. Erst zum Nachmittagskaffee wirst du Waffeln bekommen. Lauf rasch einmal zu Agnes und sieh nach, ob alles in Ordnung ist.«

Pucki warf noch einen begehrlichen Blick auf den Teller mit den geliebten Waffeln, dann verließ sie die Küche. Im Kinderzimmer war Waldi und spielte mit der Puppe. Die kleine Agnes lag im Wagen.

»Hier ist doch alles in Ordnung«, sagte Pucki unwillig, »was soll ich hier?«

In demselben Augenblick begann Agnes zu weinen. »Sei still!« rief Pucki. »Warum schreist du denn, ich bin doch hier!« Als die Kleine nicht mit Weinen aufhörte, versetzte ihr Pucki ein paar Schläge auf die Händchen. Die Schläge waren nicht derb gewesen, trotzdem begann Agnes noch heftiger zu schreien.

Als Frau Sandler herbeigeeilt kam, zog Pucki sich beschämt in die Zimmerecke zurück. Sie stellte fest, dass ihr Betragen dem kleinen Schwesterchen gegenüber nicht nett gewesen war. Wenn Fräulein Caspari recht hätte, würde auf diese böse Tat von irgendwoher eine Strafe kommen. Da aber die Mutti nicht wusste, dass sie die Schuld an dem lauten Schreien des Schwesterchens trug, konnte es keinen Verweis geben. Pucki schwieg daher.

Als das Mittagessen beendet war, schlich Pucki hinaus in die Küche.

»Minna – ich habe mich nicht ganz satt gegessen, ich habe noch ein kleines Loch im Bauch. Schenkst du mir eine Waffel?«

»Nein, die Waffeln bleiben für heute nachmittag. Deine Mutti bekommt Besuch; für dich sind auch Waffeln übrig, doch erst zum Kaffeetrinken.«

»Minna, ich glaube, mein Magen knurrt furchtbar.«

»Warum hast du dich mittags nicht satt gegessen?«

»Weil mir Waffeln viel besser schmecken als Gemüse.«

Pucki öffnete die Tür zur Speisekammer und betrachtete mit leuchtenden Augen den Teller mit dem Waffelberg.

»Merkst du es, wenn ich mir eine Waffel nehme?«

»Freilich merke ich das.«

»Woran merkst du denn das, Minna?«

»Ich habe die Waffeln gezählt.«

»Wieviel sind es denn?«

»Dreißig Stück.«

Pucki blieb in der Speisekammer und versuchte die Waffeln auf dem Teller zu zählen. Es waren viel mehr als dreißig. Da entstand in dem Kopf des Kindes der Plan, etwas von dem leckeren Gebäck zu nehmen. Pucki wusste genau, dass ihr das Naschen streng verboten war. Aber die Waffeln dufteten so verführerisch, und außerdem waren es viel mehr, als Minna sagte, so dass es gewiss nicht schaden konnte, wenn sie davon ass. Zum Kaffee wollte Pucki etwas weniger oft zulangen, dann war die schlimme Tat wieder ausgeglichen.

Eben wollte sie eine Waffel ergreifen, als Minna in der Tür der Speisekammer erschien, das Kind am Arm erfasste und herauszog. »Willst du etwa naschen? Das könnte schlimm ausgehen, Pucki, denn ein Kind, das nascht, wird vom lieben Gott bestraft.«

»Sind's wirklich dreißig Waffeln, Minna?«

»Mach, dass du aus der Küche kommst, ich habe zu arbeiten.«

»Darf ich dem Plüschli nicht eine Waffel geben oder dem Harras?«

»Du sollst hinausgehen«, rief Minna ärgerlich.

Zunächst suchte Pucki das kleine Rehkitz auf, das in den letzten Wochen recht tüchtig gewachsen war. Jedes Mal, wenn Pucki den Stall betrat, sprang ihr das Tier erfreut entgegen und rieb sein Köpfchen an Puckis Kleid.

»Du bist auch meine liebe Freundin, dich habe ich furchtbar gern!« Dann rief das Kind nach Harras und klagte ihm sein Leid. »Wenn du noch klüger wärst, lieber Harras, müsstest du durchs Speisekammerfenster springen und mir eine Waffel holen.«

Harras bellte freudig, doch Pucki stellte mit Bedauern fest, dass dieser Plan unausführbar sei.

»Nun müssen wir bis zum Kaffeetrinken warten, dabei habe ich doch so großen Waffelhunger!«

Eine Stunde später befahl die Mutter ihrem Töchterchen, das neue rosa Kleidchen anzuziehen, weil Besuch käme.

»Nun will ich einmal sehen, Pucki, ob du mein liebes, verständiges Mädchen bist. Das neue Kleidchen hat die gute Großmama mit sehr viel Mühe gestickt. Sieh dich also recht vor. Wenn es sauber bleibt, bekommst du eine Belohnung.«

»Du wirst deine Freude haben, Mutti, ich werde es nicht ein bisschen zerknüllen.«

Tatsächlich stolzierte Pucki in der nächsten halben Stunde behutsam durch die Zimmer. Sie traute sich nicht einmal, sich niederzusetzen, und als Harras kam und an ihr hochspringen wollte, wehrte sie mahnend ab.

»Heute musst du mich hübsch in Ruhe lassen, lieber Harras, damit ich noch extra was bekomme, denn das Kleid hat die Großmutti mit viel Mühe gestickt.«

Auch Minna sollte das schöne Kleid sehen. Pucki ging in die Küche, um sich ihr zu zeigen. Aber Minna war nicht da. Auf der Anrichte stand der Teller mit den Waffeln. Puckis Herz tat einige rasche Schläge, dann griff sie beherzt nach zwei der leckeren Waffeln. Sie wollte wieder aus der Küche huschen, aber da sah sie Minna kommen, in jeder Hand einen Eimer mit Wasser.

»Ich soll nicht naschen, ich darf nichts nehmen, es ist unrecht«, so schoß es dem kleinen Mädchen durch den Kopf. Leider war keine Zeit mehr, die Waffeln zurück auf den Teller zu legen. – Was beginnen? In der nächsten Sekunde huschte Pucki unter den Topfschrank. Ein geblümter Vorhang, der vom letzten Brett bis zur Erde hing, versteckte sie. Pucki musste sich allerdings recht zusammenkauern und verhielt sich lautlos in dem Versteck. Minna würde bald wieder die Küche verlassen, um noch mehr Wasser zu holen, dann wollte sie schnell davoneilen.

Als Pucki in ihrer unbequemen Stellung saß, fiel ihr ein, dass das Kleidchen, das sie anhatte, ja nicht unsauber werden durfte. Nun war es gewiss schon mächtig zerknüllt. Wenn Minna doch erst wieder aus der Küche ginge! – Die Waffeln, die Pucki verspeiste, schmeckten jetzt gar nicht so gut wie sonst.

Da öffnete sich die Küchentür noch einmal; die Mutter erschien.

»Nanu – der Teller mit dem Gebäck ist ja so unordentlich geworden.«

»Sollte Pucki doch einige Waffeln genommen haben?« sagte Minna verärgert. »Ich habe es ihr noch extra verboten.«

»Wenn Sie es Pucki verboten haben, Minna, wird sie es auch nicht getan haben.«

»Na, na, Pucki ist eine kleine Naschkatze.«

»Leider«, erwiderte die Mutter und seufzte leicht, »es macht mich mitunter recht traurig.«

Pucki kauerte sich noch mehr in ihrem Versteck zusammen. Ihr wurde plötzlich siedendheiß. – Nun endlich verließ die Mutter die Küche, nur Minna blieb zurück. Vorsichtig schob Pucki den Vorhang zur Seite, um zu sehen, was Minna wohl treibe. Sie schüttete eben Kartoffeln in den großen blauen Napf und wusch sie ab. Pucki wusste, das waren die Kartoffeln, die für die Hühner und das Schwein gekocht wurden. Da würde Minna noch lange waschen.

Plötzlich hob Minna die Schüssel, um das unsauber gewordene Wasser in den Ausguss zu gießen. Dabei glitt ihr die Schüssel aus der Hand, Kartoffeln und Schmutzwasser ergossen sich in die Küche, und unter dem Topfschrank bildete sich ein kleiner See.

Pucki sah voller Entsetzen, wie sich die Stickerei am Rande des Kleides dunkel färbte. Sie wagte jedoch nicht, aus ihrem Versteck zu kommen. Die blauen Kinderaugen füllten sich mit Tränen. Wenn Minna nur bald aus der Küche ging! Doch Minna begann mit dem Aufsammeln der Kartoffeln, dann ergriff sie einen Aufwischlappen und den Schrubber. Puckis Herz pochte wie ein Hammer.

»Lieber Gott, ich will nie wieder eine Waffel nehmen, nur lass die Minna nicht unter den Topfschrank gucken.«

Im nächsten Augenblick wurde der geblümte Vorhang aufgehoben: Ein kleines Mädchen, im rosa Kleidchen, hockte mit tränenüberströmtem Gesicht in der nassen Ecke.

»Pucki!«

»Fräulein Caspari hat doch recht! – Ach, Minna, jetzt bin ich ganz schmutzig!«

Minna begann zu schelten. »Was tust du unter dem Topfschrank?«

Pucki kam hervorgekrochen und schaute mit jämmerlicher Miene an sich herunter. Wie sah das schöne Kleid aus! Auch das weiße Unterröckchen war nass und schmutzig geworden. Durch die weißen Schuhe war das Wasser gedrungen, und die Knie, auf denen das Kind gelegen hatte, waren gleichfalls feucht.

»Willst du endlich sagen, was du unter dem Topfschrank wolltest?«

»Ach, Minna – es ist sehr schlimm.«

»Du, Pucki –« Minna stellte sich drohend vor die Kleine, »wolltest du etwa Waffeln stehlen? – Hast du vielleicht schon eine genommen?«

»Ja«, klang es kleinlaut.

»Schämst du dich nicht?«

»Ja – ich schäme mich.«

»Nun mach, dass du aus der Küche kommst, ich will solch unartiges Mädchen nicht länger sehen.«

Da stand nun Pucki im Flur, wischte mit den nassen Händen die Tränen aus den Augen und wusste nicht recht, wie sie der Mutter ihren Streich gestehen sollte. Gedrückt schlich sie ins Kinderzimmer, in dem Waltraut saß und hell auflachte, als sie die beschmutzte Schwester sah.

»Hu, du Dreckfink!«

»Bist du still!«

»Ätsch, wie du aussiehst!«

Da schlug Pucki mit den unsauberen Händen auf Waldi ein und packte sie an den Haaren, so dass die Kleine, die sich anfangs energisch wehrte, schließlich ein lautes Schreien ausstieß. Agnes stimmte mit ein. Da kam die Mutter ins Zimmer gelaufen. Obwohl sich Pucki sofort scheu in die Zimmerecke drückte, fiel ihr Blick sogleich auf das unsaubere Kleid.

»Was ist denn hier los?«

»Sie hat mich gehauen«, weinte Waltraut.

Pucki stand stumm da, beide Zeigefinger im Mund.

»Pucki!«

Noch rührte sich Pucki nicht. Sie wäre gar zu gern zur Mutter geeilt, um ihr Unrecht zu gestehen, aber Trotz und Scham hielten sie in der Ecke fest.

»Mit ihren schmutzigen Händen ist sie mir ins Gesicht gefahren«, weinte Waltraut. Dann stürzte sie auf die größere Schwester zu und schlug mit beiden Fäustchen auf Pucki ein. Pucki ließ es ruhig geschehen. Sie fühlte sich so schuldbeladen. Die Schläge hatte sie verdient.

»Wie siehst du denn aus, Pucki?« fragte die Försterin streng. »Wo bist du gewesen?«

Als keine Antwort kam, trat Frau Sandler dicht vor ihr Töchterchen hin und fragte streng: »Willst du endlich reden, Pucki?«

»Ach, Mutti, Mutti – –«

Dann erfolgte die Beichte. Schweigend zog Frau Sandler dem Töchterchen das rosa Kleidchen aus, holte den Strickstrumpf herbei und gab ihn Pucki in die Hände.

»Du strickst bis zum Kaffeetrinken ununterbrochen und sprichst kein Wort. Dann bekommst du Schwarzbrot ohne Aufstrich, und dann strickst du noch eine Stunde. – Du gehst aus diesem Zimmer nicht heraus. Waltraut werde ich später rufen, damit sie die Tanten begrüßt. Waltraut bekommt Waffeln zu essen und Schokolade zu trinken. Du bist ein recht unartiges Mädchen, Pucki.«

Die Gescholtene setzte sich in die Ecke. Träne auf Träne tropfte auf den Strumpf. Waltraut stellte sich vor die Schwester und sah sie an. Doch Pucki sagte kein Wort. Nur hin und wieder kam ein unterdrücktes Schluchzen aus der kleinen Brust.

Noch schmerzlicher war es, als Minna das Brot und den Kaffee brachte. Trotzdem verzehrte Pucki alles. Es war doch wenigstens eine Unterbrechung des entsetzlichen Strickens. Wenn nur erst die Mutti wieder gut wäre! – Fräulein Caspari hatte doch recht, nur bei Agnes stimmte es nicht. Pucki hatte die kleine Schwester ja vor Tisch geschlagen, und keiner hatte es gesehen. So glaubte Pucki auch jetzt noch, dass auf manche schlimme Tat doch keine Strafe folge. Freilich, für das Waffelnehmen war sie sehr schwer bestraft worden, aber Agnes konnte sie wohl doch hin und wieder einen kleinen Klaps geben, wenn sie so sehr schrie, ohne dass dafür eine Strafe kam. –

Als Pucki am anderen Tage aus der Schule kam, nahm sie der Vater bei der Hand.

»Du musst heute sehr artig sein, mein Kind, dein kleines Schwesterchen wird sehr krank werden.«

»Was hat sie denn?«

»Der Onkel Doktor wird bald kommen. Die Händchen haben rote Flecken bekommen.«

»Die Hände haben rote Flecken bekommen?«

»Ja, Pucki, und nun fangen die roten Flecken auch schon am Halse an.«

»Ich – ich –«, sagte Pucki stockend, »ich hab' die Agnes wirklich nur auf die Hände gehauen, nicht auf den Hals.«

»Was – du hast dein kleines Schwesterchen geschlagen?«

»Ach, Vati, sie hat geschrien und immerfort geschrien, da habe ich sie ein bisschen auf die Hände geschlagen.«

»So ein schwaches Kindchen, das man leicht zerbrechen kann, hast du geschlagen? Weißt du denn nicht, dass man so kleine Kinder ganz behutsam anfassen muss, weil man sonst etwas an ihnen zerbricht? Habe ich dir das nicht schon mehrmals gesagt?«

»Ach, Vati – ich habe es doch nicht schlimm gemeint. – O weh, nun wird sie krank, weil ich sie gehauen habe! Nun stimmt es doch, dass jede schlimme Tat bestraft wird. – Ach, Vati, was machen wir nur? Die Waltraut habe ich auch gehauen. Wird das nun auch bestraft?«

Am nächsten Tage zeigten sich auch bei Waltraut rote Flecken im Gesicht und an den Händen. Und das Schwesterchen war über und über mit roten Flecken bedeckt.

»Masern«, sagte der Arzt. »Es ist wohl am besten, wenn Sie Pucki nicht erst absperren. Masern sind sehr ansteckend, ich nehme an, dass auch Pucki bereits den Keim zu dieser Krankheit in sich trägt.«

So wurde Pucki von den Geschwistern nicht ferngehalten. Sie musste aus der Schule bleiben und stand viel am Bettchen der kleinen Agnes.

»Ich hau' dich nicht mehr, ganz bestimmt nicht mehr. Jetzt glaube ich, dass man für alles Böse, was man tut, bestraft wird. – Vati, wann gehen denn die schlimmen Flecken wieder weg?«

»Das dauert noch einige Wochen.«

»So doll habe ich doch nicht gehauen«, rief Pucki unter Tränen, »so doll braucht mich der liebe Gott nicht zu bestrafen!«

Zwei Tage später hatte Pucki auch die Masern. Im Schlafzimmer lagen die drei Kinder zusammen in ihren Betten. Bei Pucki zeigte sich die Krankheit am schlimmsten. Oft, wenn sie mit heißem Kopf in den Kissen lag, dachte sie an Fräulein Caspari: Sie hat schon recht gehabt!

Besuch durfte ins Forsthaus nicht kommen, obgleich Pucki häufig nach ihren Schulgefährtinnen verlangte. Sie wollte auch an die Niepelschen Knaben schreiben, doch hielt man alle von ihr fern. So hatte sie ausreichend Zeit, über ihre Streiche nachzudenken. Der einzige Trost, der ihr blieb, war der Mutter Versprechen, dass sie, wenn es ihr besser ginge, Waffeln bekommen sollte.

»Mutti, geht es mir nun besser?« fragte das kleine Mädchen an jedem Morgen.

Aber Wochen vergingen noch. Der Juni ging seinem Ende entgegen.

»Mutti, nun kommen doch bald die großen Ferien! Oh, habe ich lange Ferien gehabt! Kommt nun bald wieder die Rose Scheele?«

»Ja, Pucki, die Rose kommt auch in diesem Jahr wieder zu uns in den Wald. Wir haben das Stadtkind herzlich lieb gewonnen, und auch Rose freut sich schon sehr, dass sie die Ferien wieder bei uns verleben darf.«

Pucki blickte sinnend zur Zimmerdecke hinauf. Vor zwei Jahren war Rose Scheele als blasses, trauriges Stadtkind mit vielen anderen Mädchen in die Försterei gekommen. Die beiden Kinder hatten sich herzlich angefreundet, und die Trennung war daher schmerzlich gewesen. Dann schrieb man sich fleißig Briefe.

Nun dauert es nicht mehr lange, dann kam Rose wieder her.

»Aber erst musst du ganz gesund sein, mein liebes Kind.«

»Mir ist es so, Mutti, als wären alle meine Unarten mit den roten Flecken aus mir gegangen.«

»Das wollen wir hoffen«, lachte die Mutter.

Kaum waren Pucki und Waldi aus den Betten, als sie sich auch schon wieder stritten und prügelten.

»O weh«, sagte die Mutter, »ich glaube, es sitzen noch viele Unarten in dir, Pucki.«

5. Kapitel: Das Himmelskästchen

Die drei Kinder des Försters hatten die Masern glücklich überstanden. Die großen Ferien waren angebrochen, und Pucki freute sich, dass sie so viel freie Zeit gehabt hatte, während ihre Schulfreundinnen lernen mussten. Sie hörte freilich mit sichtlichem Unbehagen, dass die Mutter während der Ferien hin und wieder Thusnelda ins Forsthaus rufen wollte, damit sie mit Pucki alle die Aufgaben durchging, die während Puckis Krankheit in der Schule durchgenommen worden waren. Aber mit Thusnelda lernte es sich wahrscheinlich viel besser als mit Fräulein Caspari. Sie brauchte dann nicht stille zu sitzen und nicht so gut aufzupassen.

Nun war Rose Scheele zum dritten Male ins Forsthaus Birkenhain gekommen. Das zehnjährige Mädchen sah auch dieses Mal wieder recht blass aus, denn in der Großstadt war die Wohnung klein und dunkel.

»Du wirst schon wieder frisch und gesund werden«, sagte Pucki beim Empfang und umarmte die geliebte Freundin ein um das andere Mal.

»Mein lieber, lieber Wald, die lieben Vögel und alle ihr lieben Menschen, ich habe es vor Freude kaum aushalten können!«

Pucki kam sogleich mit dem Poesiealbum angelaufen. »Sieh mal, Rose, das hat mir der große Claus geschenkt. Darin stehen alle meine Freundinnen mit Versen und Bildern. Du wirst staunen, wie viele Freundinnen ich habe. Und jetzt musst du auch einschreiben. – Sieh mal, der Harras hat auch eingeschrieben.«

Rose lachte. »Der Harras kann doch nicht schreiben.«

»O doch! – Ich habe ihn an der Pfote gehalten, dann hat er einen Bleistift bekommen. Sieh mal, das hat er geschrieben.«

Rose Scheele las die undeutlich gekritzelten Worte: »Ich bin dein bester Freund.« Die schmutzige Pfote des Hundes machte sich auf dem Blatt deutlich bemerkbar.

Pucki schlug das Blatt um. »Gleich hinterher hat der Fritz Lange, weißt du, der freche Bengel mit dem großen Ritz auf der Stirn, eingeschrieben: Ich bin dein allerbester Freund.«

Rose blätterte weiter. Da standen viele Verse von den Schulkameradinnen, es fehlten aber auch Minna und die Oberförsterin nicht. Dann kam der Schmanzbauer und die Schmanzbäuerin; sogar deren Sohn Michael, der zur See fuhr, hatte einen Spruch eingeschrieben.

»Und hier steht die Ida auf dem allerletzten Blatt. Guck mal, was sie geschrieben hat.

Wer dich lieber hat als ich,

Der schreibe sich noch hinter mich.«

»Aber hier hinten auf dem Einbanddeckel steht ja noch eine. ›Ich habe Dich doch noch lieber‹, hat sie geschrieben.«

»Ach, das ist die Meta, die können wir alle nicht leiden. Die wollte mich nur ärgern. Und nun musst du auch einschreiben, Rose. In das Buch der Freundschaft gehörst du doch zuerst.«

Schon am nächsten Tage schrieb Rose Scheele das folgende Verslein hinein:

»Ich bin Deine Freundin, so schreib' heute ich ein,

Ach, könnt' ich fürs Leben Dir stets Freundin sein.«

Pucki las den Vers mit Begeisterung. »Natürlich bist du fürs ganze Leben meine Freundin, so wie Erika die Freundin meiner Mutti fürs ganze Leben ist. Du kommst immer zu uns, dann werden wir zusammen groß, und wenn wir heiraten, ziehen wir auch zusammen, und unsere Kinder sind wieder Freunde.«

Rose hatte so viel zu fragen. Sie wollte wissen, wie es dem Schmanzbauern und seiner Frau ginge. Sie hatte die beiden Leute bei ihrem Aufenthalt im Sandlerschen Hause von Herzen lieb gewonnen.

»Weißt du, was wir heute machen?« sagte sie. »Wir holen uns aus dem Wald grüne Zweige, dann machen wir einen Kranz mit Blumen, gehen zum Kirchhof und legen ihn der guten Großmutter, der ich vorlesen durfte, aufs Grab. Ich kann nämlich einen Kranz flechten.«

»Was du alles kannst«, staunte das Försterkind. »Meiner Mutti hast du so einen schönen Teller aus bunten Perlen mitgebracht, und dem Vati hast du aus kleinen Lederstückchen einen Tabaksbeutel zusammengenäht.«

»Deiner Mutti mache ich noch eine kleine Kommode für Knöpfe und deinem Schwesterchen aus Streichholzschachteln allerlei Möbel für die Puppenstube. Die sind fein.«

»Kannst du das auch?«

»Und dann mache ich noch einen Hampelmann –«

»So einen, der mit den Beinen zappelt, wenn man am Faden zieht?«

»Ja, so einen.«

»Bist du aber klug«, sagte Pucki bewundernd. »Was kannst du denn noch, Rose?«

»Aus einem großen Blatt kann ich einen Puppenhut machen und eine Girlande aus grünen Blättern – –«

»Hahaha«, lachte das Försterkind, »das kann ich schon lange, das haben wir schon oft gemacht. – Na, und was kannste noch?«

»Stricken.«

»Puh – das ist eklig! Nun komm aber rasch, wir wollen grüne Zweige holen. Wir gehen zu den großen Büschen, die sind gar nicht weit, da bekommen wir schöne Zweige.«

Noch am selben Tag band Rose Scheele einen Kranz aus Tannengrün. Frau Sandler erlaubte gern, dass die Kinder aus dem Garten Blumen abschnitten, um sie in den Kranz zu flechten.

»Es ist sehr lieb von dir, Rose, dass du an die Schmanzgroßmutter denkst. Du hast ihr so manche frohe Stunde bereitet – –«

»Ich auch, Mutti! Als ich ihr vorgelesen habe, ist sie in den Himmel gegangen. Sie hat sich auch über mich gefreut.«

»Du hast aber niemals daran gedacht, der guten Schmanzgroßmutter ein paar Blümchen aufs Grab zu legen.«

»Das mache ich heute, Mutti. Ach, ich weiß schon, ich werde sie sehr erfreuen. Sie hört es ja nicht mehr, sonst würde ich ihr gern eine Geschichte vorlesen.«

»Aber sie schaut vom Himmel auf euch nieder und freut sich, wenn kleine Mädchen zu ihr kommen.«

Der Kranz, den Rose geflochten hatte, war recht nett geworden. Sie hatte sich große Mühe bei der Arbeit gegeben. Pucki trug einen großen Strauß Gartenblumen in den Händen. Die Kinder wanderten in Begleitung der Mutter nach dem Rahnsburger Kirchhof. Auch Frau Sandler hatte Blumen mit, um einige Gräber lieber Bekannter zu schmücken.

Nun standen die Kinder am Grabe der Schmanzgroßmutter. Frau Sandler war weitergegangen, sie ließ die beiden Mädchen allein zurück. Rose faltete andächtig die Hände und sprach halblaut ein Gebet. Dann schloss sie mit den Worten:

»Ich danke dir, liebe Schmanzgroßmutter, dass du immer so gut zu mir gewesen bist. Ich war doch ein ganz fremdes Kind, doch du hast mich immer lieb gehabt. Nun bringe ich dir heute einen Kranz, den ich selber gewunden habe.«

»Ob sie das hört?« fragte Pucki flüsternd.

Behutsam legte Rose den Kranz auf dem Hügel nieder. »Sie hört es und sieht uns auch.«

»Schmanzgroßmutter, siehst du auch meine Blumen? Wenn die Schmanzgroßmutter noch lebte, würde sie auch einen Vers in mein Poesiealbum geschrieben haben.«

Pucki schaute unverwandt auf die ältere Freundin. Rose stand noch immer mit gefalteten Händen am Hügel. Da legte auch sie die Händchen ineinander und sagte leise:

»Lieber Gott, lass es der Schmanzgroßmutter auch im Himmel recht gut gehen. Großmutter, wir werden bald wiederkommen.«

»Freilich, Pucki, man soll die Leute, die gestorben sind und die wir lieb hatten, nicht vergessen, auch wenn sie in der Erde liegen. Wir gehen auch immer an Vaters Grab und bringen ihm Blumen.«

»Nun wollen wir heimgehen«, sagte Pucki ein wenig ängstlich. Der Gedanke, dass der Vati oder die Mutti einmal in der Erde liegen sollten, war so schrecklich für das Kind, dass es daran nicht denken wollte. Pucki sah sich auf dem Friedhof um, erblickte die Mutti an einem der Gräber, lief auf sie zu, umschlang sie stürmisch und sagte:

»Nicht wahr, Mutti, du stirbst aber nicht? Ich will dich auch nicht wieder ärgern, du sollst kein Herzweh haben. Und wenn ich einmal unartig bin, haust du mich, dann ist dir wieder gut.«

»Aber Pucki, es tut mir doch selber weh, wenn ich dich strafen muss.«

»Dann strafste mich eben nicht mehr«, klang es zurück. »Ich will aber ganz artig sein.«

»Davon merke ich im Augenblick nichts, Pucki, denn schon wieder beißt du an den Nägeln. – Pfui, wie deine Händchen aussehen!«

Hastig zog Pucki die Handschuhe aus der Tasche und streifte sie über. »So, nu sind die Hände wieder fein, nun sieht es keiner, Mutti.«

»Du bist und bleibst ein übermütiges Mädelchen.«

»Ich bin eben dein lieber Puck.«

Gemeinsam gingen die drei zur Försterei zurück. Unterwegs forschte Pucki bei Rose, was sie noch alles machen könne.

»Man kann aus Streichholzschachteln auch kleine Häuschen machen und aus einer Kiste eine Puppenstube.«

»Ach, das machen wir alles, Rose, das wird fein werden!«

Von nun an wurde im Forsthause geleimt, gehämmert und geschnitzelt. Minna war verzweifelt. Jede Streichholzschachtel verschwand; die Hölzchen lagen auf dem Herd, aber die Schachtel war fort. Jeden vorübergehenden Spaziergänger bestürmte Pucki, ob er nicht eine Streichholzschachtel hätte, denn daraus ließen sich die herrlichsten Sachen herstellen. Es war bereits eine Standuhr für die Puppenstube hergestellt, das waren zwei aufeinandergeklebte Schachtelhüllen mit einer quergestellten Schachtel oben, auf die Rose das Zifferblatt gezeichnet hatte. Die Mutter gab den Draht für die Zeiger her. Ebenso hatten die Kinder einen kleinen Wagen gebastelt. Als Räder wurden Korkscheiben benutzt, die aus Pfropfen geschnitten waren. Auch Pfropfenmänner und Pfropfenfrauen konnte Rose anfertigen, indem sie Streichhölzchen als Arme und Beine in die Pfropfen steckte. Als Kopf klebte sie ein weißes Papierblättchen auf, und Pucki zeichnete freudestrahlend Augen, Nase und Mund mit Rotstift darauf.

Besondere Freude machte dem Försterskinde die Herstellung einer kleinen Kommode, die für die Mutter bestimmt war. Sechs Streichholzschachteln wurden zu je drei übereinander geklebt.

»Es sieht wirklich aus, als wäre es eine Kommode. Nun hat sie sechs kleine Schubladen.«

Ein Bandrest, so breit wie die Streichholzschachteln, wurde um die sechs Schachteln gelegt und an einer Stelle sauber zusammengenäht.

»Deine Mutti kann nun in jedes Schübchen etwas anderes legen, Pucki. In ein Schübchen weiße Hemdenknöpfe, in das zweite Stecknadeln, ins dritte Haken und Ösen und so weiter. Und damit sie weiß, was jedes Schübchen enthält, nähen wir vorn an das Kästchen immer das an, was hineinkommen soll. Wir können die kleine Kommode auch noch schöner machen und die Schübe vorn und hinten mit Papier bekleben und erst dann die Knöpfe und Haken daraufnähen.«

Pucki ging mit Feuereifer an die Arbeit. »Wenn diese Kommode fertig ist, machen wir rasch noch eine für den großen Claus.«

»Ach nein, Pucki, der große Claus kann damit nichts anfangen. Das ist nur etwas für Muttis.«

»Ich möchte aber dem großen Claus was machen. – Weißte nicht was? Soll ich ihm einen Topfhandschuh nähen?«

Rose überlegte. »Einen Topfhandschuh braucht er auch nicht – aber du kannst ihm einen Serviettenring aus bunten Perlen machen. Das ist leicht und was sehr Schönes.«

Pucki wollte sogleich mit der Arbeit beginnen, doch Rose meinte, erst müsse die kleine Kommode für die Mutti fertiggestellt werden. Man dürfe nicht vieles auf einmal anfangen. Trotzdem wurde neben dieser Arbeit, die im geheimen betrieben wurde, noch vielerlei anderes gebastelt. Wenn aus Rahnsburg die Schulfreundinnen von Pucki ins Forsthaus kamen, so bestaunten sie die schönen Dinge, die unter Roses Händen entstanden. Schließlich schleppten die kleinen Mädchen allerlei buntes Papier, Pappe, Draht, Pfropfen und Zigarrenkisten ins Forsthaus. Stundenlang saßen die Kinder nun zusammen und fanden es herrlich, ihr Spielzeug selber herstellen zu können.

Förster Sandler und seine Frau staunten ebenfalls, was Roses geschickte Hände fertigbrachten. Aus Flaschenkorken waren Männer, Frauen und Pferde entstanden, sogar eine Lokomotive stand auf dem Tisch. An Puppenmöbeln waren Stühle, Tische, Schränke und Betten gefertigt worden, alles sauber und ordentlich gearbeitet. Sogar einen ganzen Hühnerhof hatte Rose gebaut. Auf einen Pappdeckel klebte Rose Moos, machte aus Pappe ein Hühnerhaus und umgab alles mit einem Zaun. Die Hühner, gleichfalls aus Pappe gefertigt, erhielten Beine aus Draht, damit sie stehen konnten. Diese selbst gebastelten Spielsachen machten den Kindern die denkbar größte Freude. Von nun an wurde in fast allen Rahnsburger Familien, in denen kleine Mädchen waren, ähnliche Spielsachen gearbeitet.

Pucki, die gewöhnlich nur zusah, wenn andere tätig waren, fand dieses Mal auch Gefallen an der Beschäftigung. Strahlend zeigte sie den Niepelschen Drillingen ihre Kunstwerke. Walter und Fritz bestaunten die Sachen, während Paul vieles daran auszusetzen hatte.

»Wir machen was viel Schöneres!«

»Was macht ihr denn?« forschte Pucki neugierig.

»Das sagen wir nicht. Wenn ihr nächstens zu uns kommt, dann erlebt ihr ganz was Neues. Ihr werdet nämlich bald alle zu uns eingeladen.«

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