Kitabı oku: «Rettet die Nachrichten!», sayfa 2

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Vielfältige Nachrichtenkulturen

Die Nachrichtenkulturen sind vielschichtig wie die politischen Systeme. Die Medienwissenschaft arbeitet mit verschiedenen Modellen, in denen die dem Informationsjournalismus zugeschriebenen Aufgaben variieren – von der Unterstützung der Regierung, etwa in China, bis zur Kontrolle der Macht, so wie wir es im Westen grundsätzlich verstehen. Roger Blum beschreibt dies in seinem Mediensystemvergleich schon im Titel als den Unterschied zwischen den Lautsprechern und den Widersprechern der Herrschenden (BLUM 2014). Blum macht auch einiges an Schattierungen zwischen diesen Polen aus. In Russland oder in der Türkei etwa sieht er »kontrolliert halboffene Systeme« (BLUM 2014: 118ff.).

Man muss aber nicht erst nach China gehen, nach Nordkorea oder in den Irak, um sich in einer spürbar anderen journalistischen Welt wiederzufinden. In Großbritannien erleben wir ein atemberaubendes Nebeneinander: Da ist die BBC, vermutlich der an Tradition und Innovation reichste öffentlich-rechtliche Rundfunksender. Da ist aber auch eine hochgradig polarisierte und konfliktorientierte Presselandschaft, in der die Zeitungen des Unternehmers Rupert Murdoch maßgeblich den Ausgang mehrerer Wahlen in den vergangenen Jahrzehnten entschieden haben – und zwar mal für die Konservativen, mal für Labour. Sie haben auch das Brexit-Referendum mitentschieden. In Frankreich übt die Regierung seit jeher Einfluss auf die elektronischen Medien aus, in die Presse haben sich Industrielle verschiedener Branchen eingekauft.

Italien ist die Heimat von Silvio Berlusconi, dem Meister der Verflechtung wirtschaftlicher, medialer und politischer Interessen. Schon vor ihm teilten sich die großen Parteien die Pfründe beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk RAI, ganz im Sinne der ›Partitocrazia‹. Das gesamte italienische Mediensystem kategorisiert Blum als »freiheitlich-klientelistisch« (BLUM 2014: 164ff.). Er meint damit unter anderem den Vorrang von Gruppeninteressen gegenüber dem Allgemeinen, die große Bedeutung von Netzwerken und Schutzbeziehungen, innerhalb derer auch Journalisten agieren.

Kein Anlass zu westlichem Hochmut

In Deutschland hat es bei Meinungsvielfalt und Wettbewerb zuletzt Einbußen durch Abbau und Zusammenlegung von Redaktionen gegeben. Im Frühjahr 2021 stufte Reporter ohne Grenzen dann auch die Bewertung der Lage der Pressefreiheit in Deutschland von ›gut‹ auf nur noch ›zufriedenstellend‹ zurück und sprach von einem ›Alarmsignal‹. Begründet wurde dies mit den vielen Übergriffen auf Medienvertreter bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen (REPORTER OHNE GRENZEN 2021). Schon 2020 hatte die Organisation in der Nahaufnahme Deutschland beklagt, »Gewalt, verbale Angriffe und Einschüchterungsversuche gegen Journalistinnen und Journalisten bleiben erschreckend häufig.« Weiter hieß es damals:

»Immer wieder gibt es Gesetzesinitiativen, die den Informanten- und Quellenschutz bedrohen. Journalistinnen und Journalisten sollen vermehrt durch Unterlassungserklärungen eingeschüchtert und von Veröffentlichungen abgehalten werden« (REPORTER OHNE GRENZEN 2020).

Auch in Deutschland prägen Unternehmen wie Bertelsmann oder Axel Springer einen wesentlichen Teil des Medienmarkts. Die Geschichte des öffentlich-rechtlichen Teils wiederum ist auch hier nicht frei von Einflussversuchen. Es gibt eine lebendige gesellschaftliche Diskussion darüber, ob die Aufsichtsgremien die gesellschaftlichen Gruppen widerspiegeln oder doch eher den Einfluss politischer Parteien sichern. Das Bundesverfassungsgericht hat 2014 verlangt, die Macht »staatlicher und staatsnaher Mitglieder« in den Gremien müsse stärker begrenzt werden (BVERFG 2014). Den Anstoß zu dem Verfahren hatte die Nichtverlängerung des Vertrages von ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender im Jahr 2009 gegeben.

Festhalten möchte ich, dass auch im Westen in Sachen Pressefreiheit nicht alles gut ist, was woanders schlecht ist. Es gibt keinen Grund, aus der Warte unseres noch einigermaßen intakten medialen Ökosystems hochmütig zu sein. Es gibt aber jeden Grund, unsere freie Nachrichtenkultur zu verteidigen und zu verbessern. Es gibt jeden Anlass, sich gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit einzusetzen, genauso wie gegen die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten – wo auch immer dies geschieht.

Digitale Diktaturen

Es wird Zeit, das Internet anzusprechen, sofern man darüber überhaupt noch im Singular sprechen kann. Kieron O’Hara und Wendy Hall von der Universität Southampton jedenfalls beschreiben aus geopolitischer Sicht vier verschiedene Ausprägungen: Da ist das ursprüngliche Internet des Silicon Valley, verbunden mit emanzipatorischen Erwartungen, verknüpft mit Hoffnungen auf freien, vielfältigen Informationsaustausch und Demokratisierung. Daneben gibt es ein bürgerliches, europäisches Modell, in dem Lügen und Hate Speech unterbunden werden sollen, in dem Datenschutz im Zweifel wichtiger ist als Innovation. Nummer drei und vier sind für O’Hara und Hall das an Eigentum und Gewinn ausgerichtete Internetkonzept des US-Establishments sowie Chinas autoritär-paternalistisch genutztes Netz. Dazu tritt aus Sicht der beiden noch »Moscow’s Spoiler Model«, in dem die russische Regierung digitale Kanäle für Desinformation nutzt (O’HARA/HALL 2021). Zu dieser groben Orientierung hinzufügen möchte ich den Hinweis auf das Deep Web, insbesondere auf das Darknet, in dem fernab des allgemeinen Radars so ziemlich alles geschieht.

Hoffnungen wie zu den Anfängen des Internets galten Jahre später auch den aufkommenden sozialen Medien und den Smartphones, den allgegenwärtigen Kommunikationszentralen. Die Proteste und Aufstände des Arabischen Frühlings ab dem Dezember 2010 wurden oft ›Revolutionen 2.0‹ genannt. Doch auch dieser Optimismus ist abgeebbt. Wir haben mittlerweile einen besseren Blick dafür, wie die Nutzung und Kontrolle der sozialen Medien staatlichen Unterdrückungsapparaten in die Hände spielen kann. In einem Artikel für Foreign Affairs aus dem Frühjahr 2020 mit dem Titel The Digital Dictators wird das so zusammengefasst:

»It’s now clear […] that technology does not necessarily favor those seeking to make their voices heard or stand up to repressive regimes. Faced with growing pressure and mounting fear of their own people, authoritarian regimes are evolving. They are embracing technology to refashion authoritarianism for the modern age. Led by China, today’s digital autocracies are using technology – the Internet, social media, AI – to supercharge long-standing authoritarian survival tactics. They are harnessing a new arsenal of digital tools to counteract what has become the most significant threat to the typical authoritarian regime today: the physical, human force of mass antigovernment protests. As a result, digital autocracies have grown far more durable than their pre-tech predecessors and their less technologically savvy peers. In contrast to what technology optimists envisioned at the dawn of the millennium, autocracies are benefiting from the Internet and other new technologies, not falling victim to them« (KENDALL-TAYLOR/FRANTZ/WRIGHT 2020).

Die Hoffnung war groß, dass die Welt durch das Internet zu einem frei und gut informierten globalen Dorf werden könnte. Inzwischen geht die Entwicklung zumindest in Teilen in Richtung eines bewachten und kontrollierten Potemkinschen Dorfs.

Gefahr droht nicht nur vom Staat

Gefahr für die Freiheit der Information droht nicht nur von staatlicher Seite, so verständlich die Sensibilität in dieser Hinsicht als Reflex auf die Diktaturerfahrungen des 20. Jahrhunderts auch ist. Wirtschaftliche Interessen wirken ebenfalls massiv auf die Medien ein. Das ist in der kleinsten Gemeinde so und reicht bis zu den multinationalen Konzernen, die über Grenzen hinweg auf die Information Einfluss nehmen. Die politische Kontrolle dieser Interessen ist durch Deregulierung und Globalisierung noch schwieriger geworden. Die journalistische Kontrolle ist oft sogar unmöglich.

Vor eine neue und gewaltige Herausforderung stellen uns im 21. Jahrhundert die großen Technologiekonzerne, die Machthaber der digitalen Welt. Auch sie sind Profiteure von Deregulierung und Globalisierung. Sie neigen zur Monopolbildung, verfügen über wichtige Daten der meisten von uns und steuern über Algorithmen unser Informationsverhalten. Noch mehr: Die Plattformen der Digitalkonzerne sind die neuen Marktplätze und Fußgängerzonen als Orte der Öffentlichkeit und des Austauschs. Die Konzerne bestimmen dort die Regeln. Sie entscheiden, wer dabei sein darf und wer nicht. Sie bestimmen, was sagbar ist und was nicht.

Überwachungskapitalismus und ›Wild Wild West‹

Bei weitem nicht die einzige Warnung, doch sicher eine der kraftvollsten, kommt von der Harvard-Professorin Shoshana Zuboff. Ihr Buch The Age of Surveillance Capitalism (ZUBOFF 2019) liest sich wie ein Weckruf. Ihre Sorge ist, dass der digitale Kapitalismus die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts zum Schaden der Einzelnen und der Demokratie verändern wird, aus reiner Gewinnsucht. Aus Zuboffs Sicht werden die heutigen Menschen von Google und Co. im Überwachungskapitalismus genauso überrollt wie die Ureinwohner Amerikas von den spanischen Eroberern im 16. Jahrhundert (ZUBOFF 2019: 175ff.). Insofern findet sie den Begriff »Digital Natives« »tragisch-ironisch« (NAUGHTON 2019).

Tim Cole bemüht ein anderes Bild aus Amerika: Für ihn ist das WWW derzeit das Wild Wild Web und ähnelt dem Wilden Westen des 19. Jahrhunderts. Damals konnten Räuber und Gesetzlose erst einmal mehr oder weniger ungehindert tun und lassen, was sie wollten. Heute sind es für Cole die digitalen Monopolisten, die von ihrem Recht der Stärkeren Gebrauch machen. Sein Plädoyer lautet, auch im Internet Regeln durchzusetzen, wie seinerzeit im amerikanischen Westen, um insbesondere der Ausbeutung der Daten ein Ende zu setzen (COLE 2018).

Huxley, Orwell, Postman

Es gibt in der Moderne unterschiedliche Sichtweisen auf Freiheitsbedrohungen. Viele wissen das schon aus dem Englisch-Unterricht, zumindest wenn sie Bekanntschaft gemacht haben mit Aldous Huxley und George Orwell. Die beiden haben mit Brave New World (HUXLEY 1932) und 1984 (ORWELL 1949) zwei für das vergangene Jahrhundert prägende Dystopien geschrieben. 1984 ist zu einem Kurzbegriff für den totalitären Staat geworden, der die Menschen mit Zwang und Überwachung kontrolliert, auch in der Kommunikation. Brave New World zeichnet, wieder vereinfacht gesagt, zwar ebenfalls das Bild einer Diktatur, die die Menschen aber eher durch Bedürfnisbefriedigung gefügig hält: Anstatt von Panzern werden Konsum und Drogen eingesetzt.

In einem Brief an George Orwell bestand Aldous Huxley im Oktober 1949 darauf, dass seine Prophezeiung die wahrscheinlichere sei. Die Herrschenden würden eines Tages erkennen, dass sie keine Schlagstöcke oder Gefängnisse mehr brauchten. Vielmehr würden sie Wege finden, den Menschen eine freiwillige Sklaverei angenehm erscheinen zu lassen, schrieb Huxley an Orwell (HUXLEY 1949). Diesen Gedanken hat der US-Medienwissenschaftler Neil Postman in Amusing Ourselves to Death (1985) schon im Vorwort aufgegriffen. Kaum war das ominöse Orwell-Jahr 1984 vorbei, notierte er:

»Orwell warns that we will be overcome by an externally imposed oppression. But in Huxley’s vision, no Big Brother is required to deprive people of their autonomy, maturity and history. As he saw it, people will come to love their oppression, to adore the technologies that undo their capacities to think. What Orwell feared were those who would ban books. What Huxley feared was that there would be no reason to ban a book, for there would be no one who wanted to read one. Orwell feared those who would deprive us of information. Huxley feared those who would give us so much that we would be reduced to passivity and egoism. Orwell feared that the truth would be concealed from us. Huxley feared the truth would be drowned in a sea of irrelevance. […] As Huxley remarked in Brave New World Revisited, the civil libertarians and rationalists who are ever on the alert to oppose tyranny ›failed to take into account man’s almost infinite appetite for distractions‹« (POSTMAN 1985).

Postmans Sorge galt der medialen Unterhaltung und dabei insbesondere dem Fernsehen. Einige Jahre später wurde er für unser Thema, die Nachrichten, noch einschlägiger. Postman hielt einen Vortrag, den er sich selbst zitierend Informing Ourselves to Death nannte. Darin warnte er unter anderem davor, die Menschen könnten im Überfluss an Information ertrinken (POSTMAN 1990).

Wandel der Öffentlichkeit

Es gibt an den Massenmedien viel zu kritisieren, genauso wie an der repräsentativen Demokratie und den Volksparteien. Die Ära der einen geht zu Ende, die Zukunft der anderen ist ungewiss. Politische Interessen organisieren sich weniger statisch. Sie finden bewegungsartig zusammen, ob nun bei ›Podemos‹, Emmanuel Macrons ›En Marche!‹ oder ›Fridays for Future‹ (vgl. FRANCESCHINI 2019). Und manchmal versuchen auch Volkstribune das Erbe der Volksparteien anzutreten. Dafür stehen so unterschiedliche Namen wie Matteo Salvini, Donald Trump oder Sebastian Kurz.

Wenige Medien mit großer Reichweite und wenige Parteien mit großer Wählerschaft, das hat eine Zeit lang zusammengepasst. Dieses Zusammenspiel erbrachte Diskussion und Durchsetzung von Entscheidungen, Kommunikation und Kontrolle von Macht. Die Bilanz kann sich zumindest im historischen Vergleich sehen lassen. Eva Menasse würdigte die alte, über Massenmedien hergestellte Öffentlichkeit in einer Art Nachruf:

»Als sie entstand, war sie verdächtig, weil sie einem Niveauverlust Vorschub zu leisten schien. Da hatten wir noch Sorgen, müsste man inzwischen sagen. Denn möglicherweise war diese sogenannte abstrakte, massenmediale Öffentlichkeit das Beste, was in einer zusammenwachsenden Welt zu bekommen war, einen historischen Moment lang, in jenem Wimpernschlag, bevor die Digitalisierung alles durchdrang. Das Beste im Sinne von: größte Verbreitung bei niederschwelligem Zugang. […] Die alte Öffentlichkeit gibt es nicht mehr. Sie wird nicht irgendwann erledigt sein, sie ist es schon. Die Digitalisierung, die wunderbare Effekte auf viele Lebensbereiche hat, hat auf ihrem Urgrund, der menschlichen Kommunikation, eine alles zerstörende Explosion verursacht. Für die ehemalige Öffentlichkeit, die, mit all ihren Fehlern und Schwächen, einmal die informelle Macht der Demokratie war, hat es den Effekt, den es auf die Wirtschaft hätte, wenn jeder sich zu Hause sein eigenes Geld drucken könnte« (MENASSE 2019).

Die neue, digitale Öffentlichkeit ist noch eine große, bunte, interessante und gefährliche Baustelle. Anknüpfend an die zunächst mit dem Internet verbundenen Hoffnungen schrieb Michael Seemann 2017 in seinem Blog ctrl+Verlust:

»Die Demokratisierung der Öffentlichkeit durch das Internet ist und bleibt die radikalste Revolution unserer Zeit. Doch wie bei jeder Revolution ist es naiv zu glauben, dass sie nur positive Effekte kennt. Meinungsfreiheit von einem abstrakten Recht zu einer tatsächlichen Praxis zu machen, war ein enormes Sozialexperiment mit unvorhersehbaren Folgen. Und wir schwenken gerade erst in die Periode ein, in der uns die ersten Untersuchungsergebnisse vor den Latz geknallt werden. Beim Auswerten der Daten dann der Schock: Enzensbergers Medientheorie entpuppte sich mehr als Milton Friedmann, denn Marx. Jedenfalls gleicht die Demokratisierung der Medienöffentlichkeit in ihrer Praxis mehr einer Deregulierung des Wahrheitsmarktes. Die Ergebnisse zeigen im Einzelnen genau dieselben Auswirkungen, die wir von jeder Marktderegulierung kennen: Kostendruck bei den Marktführern, das Auftauchen von neuen Wettbewerbern und schließlich die Ausnutzung von Lücken im System durch ›bad actors‹« (SEEMANN 2017).

Wir wissen (noch) nicht, wie Demokratien mit der digitalen Öffentlichkeit als neuem Betriebssystem funktionieren können. Was wir dagegen wissen ist, dass es ungebrochen viele Bedrohungen gibt für unsere Freiheit und für die der Information. Die freiheitliche Demokratie war nie eine häufige Regierungsform und im 21. Jahrhundert scheint sie weltweit betrachtet auf dem Rückzug. International wie national werden Desinformationsund Propagandakampagnen unternommen.

Wir erleben einen Informationsdschungel, in dem ein Teil der Gesellschaft die Übersicht verloren hat. Der Soziologe Ulrich Beck hat einmal bemerkt, die politische Macht habe, wer über die Zulassung von Themen zur Öffentlichkeit entscheide (BECK 2014). Heute ist die Veröffentlichung an sich kein begrenzender Faktor mehr. Man müsste wohl präzisieren, dass die Macht in den Händen derer liegt, die über die Zulassung zur Aufmerksamkeit entscheiden.

Krise der Nachrichten kommt zur Unzeit

Nach den Jahren der gesellschaftspolitischen Euphorie über die Chancen der Digitalisierung zeigt sich in den 2020er-Jahren vielleicht eine skeptisch-ängstliche Übertreibung in die andere Richtung. Ob das so ist, werden wir eines Tages im Rückblick beurteilen können. Wichtig ist, dass diese Phase des ›Techlashs‹ genutzt wird, damit am Ende weder Huxleys noch Orwells Prophezeiungen wahr werden, damit es nicht zu einer ›Infokalypse‹ kommt. Diesen Begriff hat der Technologieforscher Aviv Ovadya geprägt. Er meint damit, »a catastrophic failure of the marketplace of ideas«, eine Situation, in der entweder niemand mehr irgendetwas glaubt oder in der alle auf Lügen hereinfallen (OVADYA 2018).

Insbesondere im Westen haben wir es noch in der Hand, die neue digitale Phase menschlich und freiheitlich zu gestalten. Anders ausgedrückt: US-Unternehmen wie die fünf aus der GAFAM-Gruppe (Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft) können Gegenstand demokratisch legitimierter Regulierung bis hin zur Zerschlagung werden. Man sollte daher trotz allem froh sein, dass sie nicht aus Peking oder Petersburg gesteuert werden.

Egal wie es mit Big Tech weiter geht, eines ist klar: Die FAZ oder die New York Times werden nicht allein deshalb in die Zukunft kommen, weil sie lange erfolgreich Papier bedruckt haben. Fernsehsender und Radiostationen werden sich nicht auf ihre lineare Ausstrahlung verlassen können, selbst wenn diese schon digitalisiert ist und Streaming genannt wird. Die Informationsanbieter müssen sich das Vertrauen neu verdienen. Die Lorbeeren von früher und der gute Name können dabei etwas helfen, mehr nicht.

In jedem Fall kommt die Krise der Nachrichten zur Unzeit, denn wir brauchen sie heute eigentlich lebendiger, vielfältiger und stärker denn je. Wir brauchen auch in den wichtigen Fragen einen Bestand an gemeinsam geteilter Information, selbst wenn die Bewertung sich deutlich unterscheiden mag. Es besteht kein Grund, unseren westlichen Informationsjournalismus zu idealisieren. Doch mit ihm verhält es sich ähnlich wie mit der Demokratie: Sie wird gerne als die schlechteste Staatsform bezeichnet – mit Ausnahme aller anderen.

Es lohnt also, die Probleme und Schwächen unserer Nachrichten genauer anzuschauen. Das Ziel ist, diesen wichtigen journalistischen Bereich zu stärken. Im Übrigen gilt für die Krise der Nachrichten, was der österreichische Wissenschaftler Gernot Wagner mit Blick auf die Klimakrise gesagt hat: »Für Pessimismus ist es zu spät« (GAULHOFER 2017).

KAPITEL 2
MEHR PROBLEME ALS GENUG: NACHRICHTEN UNTER DRUCK

Lange schien die Nachrichtenwelt in Ordnung. So war es zum Beispiel am Donnerstag, dem 8. Januar 1976. Damals versammelte sich in meiner kleinen westdeutschen Heimatstadt am Nachmittag eine Menschenmenge vor einem Schaufenster. Es gehörte zu einer der beiden Lokalzeitungen, die es auch in unserem Ort noch im Plural gab. Als ich endlich durchgekommen war, sah ich den Grund der Aufregung: Die Redaktion hatte eine Eilmeldung ins Fenster gehängt. Zhu Enlai war gestorben, der langjährige Premierminister der Volksrepublik China, Maos Vertrauter und Rivale.

Ein abgerissenes Stück Fernschreibpapier mit Tesafilm in einem Fenster befestigt, so wurden ›Breaking News‹ 1976 verbreitet. Es sollte noch Jahre dauern, bis mit France Info das erste Nachrichtenradio in Europa oder der TV-News-Kanal CNN in den USA auf Sendung gingen. Smartphones, Nachrichten-Apps oder Twitter waren jenseits aller Vorstellungskraft. Dennoch elektrisierte die dürre Meldung aus dem fernen China die Passanten und brachte sie auf dem Bürgersteig unserer Kleinstadt ins Gespräch.

Die meisten würden die Nachricht anderen weitererzählen. Später würden sie im Radio und abends in den Fernsehnachrichten mehr erfahren. Am nächsten Morgen wartete dann die Zeitung mit weiteren Hintergründen auf und vermutlich mit einem Kommentar zum Stand der Dinge in Peking aus weltpolitischer Perspektive. Die Aufgabenverteilung der Informationsmedien war klar und komplementär, die Geschäftsmodelle waren gut abgesichert.

Kaum jemand wäre damals auf die Idee gekommen, die Nachrichtenanbieter grundsätzlich infrage zu stellen. Dabei war die gesellschaftliche Stimmung 1976 in der alten Bundesrepublik angespannter als heute. Der RAF-Terror hielt das Land in Atem. Der Kalte Krieg lastete schwer auf allem und auf allen. Erst nach einem langen und harten Wahlkampf sollte sich Bundeskanzler Helmut Schmidt knapp gegen seinen Herausforderer Helmut Kohl behaupten, der mit der polarisierenden Parole »Freiheit statt Sozialismus« angetreten war. Die gerade eingeführte Gurtpflicht für Autofahrer erregte die Gemüter ähnlich stark wie heute der Begriff ›Impfpflicht‹. Natürlich wurde über den Journalismus gestritten. Öffentlich-rechtliche Sender wurden als ›Rotfunk‹ oder ›Schwarzfunk‹ attackiert, Zeitungen wurden Lagern zugeordnet und entsprechend angegriffen. Doch niemand wäre auf die Idee gekommen, ›Lügenpresse‹ zu rufen.

Diese Zeiten sind erst einmal vorbei. Heute bekomme ich E-Mails wie diese vom 30.8.2020, in der ein Hörer mir mitteilt:

»Ihren Sender wie auch die andere Lügenpresse, ARD, ZDF und andere staatskonforme Medien werde ich nicht mehr konsumieren. Ihr solltet euch [sic!] schämen, aber wessen Brot ich esse, dessen Lied ich singe. Lügen sie [sic!] weiter so, und im Internet findet man die richtigen Informationen. Wir brauchen euch nicht!!!«

Die Lage des Nachrichtenjournalismus ist schwierig geworden. Lassen Sie uns einen Blick auf einige Aspekte der Krise werfen. Beginnen wir aber mit der Frage, worum es bei den Nachrichten überhaupt geht.

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