Kitabı oku: «Rettet die Nachrichten!», sayfa 3
Nicht klar definiert? – Was mit Nachrichten gemeint ist
Die wunderbare Welt der Nachrichten ist reich und vielgestaltig, sie ist bunt und widersprüchlich. Nachrichtenkulturen haben sich über Jahrhunderte entwickelt. Sie unterscheiden sich trotz global wirksamer Trends nach wie vor von Land zu Land erheblich, selbst unter ähnlich verfassten Staaten. Innerhalb der einzelnen Gesellschaften wiederum zeigt sich ebenfalls eine beachtliche Vielfalt im Informationsbereich. Diese Unterschiede machen allgemeine Urteile über ›die Nachrichten‹ fast unmöglich, wie auch die pauschale Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Rolle des Informationsjournalismus. Und dennoch will ich der Frage nicht ausweichen: Was genau meinen wir, wenn wir von ›den Nachrichten‹ sprechen?
Fest steht, dass wir es nicht mit einem geschützten Begriff zu tun haben. Es gibt keine DIN-Norm, niemand hat ein Patent auf die Nachrichten, auf das man sich berufen könnte. Das deutschsprachige Standardwerk von Dietz Schwiesau und Josef Ohler schlägt folgende Definition vor:
»Die Nachricht ist eine direkte, auf das Wesentliche konzentrierte und möglichst objektive Mitteilung über ein neues Ereignis, das für die Öffentlichkeit wichtig und/oder interessant ist« (SCHWIESAU/OHLER 2016: 1).
Dieser sorgsam komponierte Satz verbindet Nachrichtenfaktoren wie Aktualität und Bedeutsamkeit mit dem Hinweis auf die kurze Form und den Anspruch auf Objektivität. Aus der angelsächsischen Welt kann man als Kontrast eine kürzere und entschiedenere Definition dagegenhalten, deren Quelle so unklar ist wie das Zitat bekannt: »News is something which somebody wants suppressed. All the rest is advertising« (QUOTEINVESTI-GATOR 2015). Diese Beschreibung nimmt eine völlig andere Perspektive ein, sie setzt radikal und ausschließlich auf das Moment des Investigativen und Enthüllenden. Die Liste der begrifflichen Annäherungen an die Nachrichten aus Wissenschaft und Praxis ließe sich beliebig verlängern, ohne die eine, abschließende Antwort zu bringen.
Brüder Grimm und Duden
Vielleicht helfen die Wörterbücher weiter. Sie stehen im Ruf, in knapper Form für Klarheit zu sorgen. Der deutschsprachige Nachrichtenjournalismus ist besonders stolz auf die Erwähnung im ehrwürdigen Grimmschen Wörterbuch. Es lässt uns wissen, dass das Wort ›Nachricht‹ erst seit dem 17. Jahrhundert belegt sei und zunächst eine »mittheilung zum darnachrichten« bezeichnet habe. Zweitens sei die Nachricht »überhaupt (die) mittheilung einer begebenheit.«
Die berühmte Definition, eine Nachricht sei dafür da, dass man sich danach richte, ist ambivalent. Denn wenn auch ein Element der Zuverlässigkeit und Orientierung mitschwingt, so scheint es mir doch eher um eine Durchsage von oben zu gehen, also um etwas, nach dem sich die Menschen richten sollen. Nebenbei erwähnt: Selten zitiert und nicht ganz so ruhmbringend für unser journalistisches Metier ist, was die Grimms als dritte Möglichkeit für »die Nachricht« erwähnen, nämlich den »gegensatz zu vorricht: nach der eigentlichen mahlzeit noch angerichtete und aufgetragene speise, der nachtisch« (GRIMM 1854-1961).
Mehr als 150 Jahre nach den Brüdern Grimm listet der Duden heute zwei Bedeutungen für ›Nachricht‹ auf:
»1. Mitteilung, die jemandem in Bezug auf jemanden oder etwas [für ihn persönlich] Wichtiges die Kenntnis des neuesten Sachverhalts vermittelt. 2. Nachrichtensendung« (DUDEN).
Hier wird spürbar, wie fließend der Übergang ist zwischen individueller, zwischenmenschlicher und alltäglicher Kommunikation auf der einen Seite sowie der journalistischen Information auf der anderen. Nachrichten sind nichts, um das herum ein Berufsstand wie die Glasbläser oder eine Wissenschaft wie die Astrophysik einen Zaun errichten könnte. Jede und jeder einzelne wirkt an der Herstellung und Verbreitung von Nachrichten mit, hat eigene Expertise und will mehr oder weniger stark mitreden. Von daher ist der vielbeschworene Effekt der sozialen Medien, uns alle zu potenziellen Nachrichtenanbietern zu machen, gar nicht neu. Eher wird heute ein Grundzug wieder stärker erkennbar, der in der Hegemoniephase der elektronischen Massenmedien vorübergehend in den Hintergrund getreten war.
Noch einmal zurück zum Duden. Die Definition des Begriffs ›Nachricht‹ wird dort durch Beispiele für den Sprachgebrauch veranschaulicht. Sie lassen deutlich werden, dass der Plural ›die Nachrichten‹ im Gegensatz zum Singular ›Nachricht‹ eng mit dem Journalismus verbunden ist. Damit gemeint ist eine Nachrichtensendung oder allgemein die Nachrichtenlage eines Tages, übermittelt durch Medien verschiedener Art. Für diese Unterscheidung spricht auch, dass wir die Bestandteile von Nachrichtensendungen zumeist Meldungen nennen. Kaum jemand würde da von einzelnen Nachrichten sprechen. Man könnte also sagen, der Singular von ›Nachrichten‹ heißt Meldung, so wie eben auch die kürzeste und aktuellste Information Eilmeldung genannt wird und nicht etwa ›Eilnachricht‹.
Im werblichen und dröhnenden Journalismus, aber auch in Angeboten für jüngere Menschen, hat sich im deutschsprachigen Bereich der Begriff ›News‹ breit gemacht. Auch in diesem Fall soll der Anglizismus vermutlich Weltläufigkeit, Professionalität, Modernität und Frische suggerieren. Außerdem ist der Begriff anschlussfähig an die aus dem späten 20. Jahrhundert bei vielen kulturell noch nachwirkende große Zeit der US-Nachrichtenkanäle mit den dramatischen ›Breaking News‹.
Warum es Nachrichten gibt
Nähern wir uns der Frage von einer anderen Seite, werfen wir einen Blick auf die Ursprünge. Der Journalistenberuf ist nach allgemeiner Einschätzung in der Neuzeit entstanden. Für den Historiker Jörg Requate war es erst im 19. Jahrhundert mit dem Aufstieg der Presse so weit (REQUATE 1995). Die Geschichte der Nachrichten und ihrer Übermittlung dagegen ist so alt wie die von uns Menschen, die wir uns immer schon untereinander auf dem Laufenden gehalten haben. Mitchell Stephens hat die erste Auflage seiner History of News daher mit dem Untertitel From drum to satellite versehen (STEPHENS 1988).
Die Nachrichten sind ewige Begleiter der Menschheit und die Gründe dafür liegen auf der Hand. Ganz vorne ist die Neugier als nie zu unterschätzende Grundkonstante. Den größten Teil unserer Informationen bekommen wir im Alltag, von Verwandten, Freunden, Nachbarinnen, Kolleginnen oder Mitschülern. Daran hat sich wenig geändert, auch wenn diese Informationen uns jetzt über soziale Medien, E-Mails oder im Beruf auch via Intranet erreichen und seltener als früher in der Bäckerei oder am Brunnen.
Neben dem Privaten und Nahen war das Wissen um das Geschehen jenseits des engeren Lebensraums schon immer wichtig, oft sogar lebenswichtig. Denken Sie an ein Dorf, irgendwo im Europa des 14. Jahrhunderts. Es war nicht nur dort und damals entscheidend, von sich nähernden feindlichen Truppen rechtzeitig zu erfahren oder vom Ausbruch der Pest, einen Tagesritt entfernt. Diese existenzielle Bedeutung von Nachrichten konnten die meisten in den Industrienationen spätestens nach dem Ende des Kalten Kriegs eine Weile lang vergessen. Die globale Corona-Krise hat uns mit Macht daran erinnert.
Für Informationen, die unser unmittelbares Erleben räumlich und zeitlich überschreiten, für Einordnungen und Erklärungen, die der eigene Wissensstand nicht erlaubt, dafür greifen Menschen seit langem auf professionelle Angebote zurück. Das ist nichts Überraschendes in Gesellschaften, die überall Spezialisierung und Arbeitsteilung entwickelt haben. Heute würde sich niemand in einem Industrieland die Zähne selbst ziehen oder diese Aufgabe dem Friseur anvertrauen, auch wenn das früher sehr üblich war.
In diesem Sinne haben sich auch die Medien als eigener Bereich etabliert – und sie haben sich ausdifferenziert: ›Den Journalismus‹ gibt es schon lange nicht mehr. Von ›dem Journalismus‹ zu sprechen, das ist ähnlich unsinnig und ärgerlich wie die journalistische Unart, über ›die Lage in Afrika‹ oder ›die Stimmung in Lateinamerika‹ zu reden. Auch der Medienbereich kennt Fachgebiete und Spezialistentum, ein wichtiges Beispiel sind die Nachrichten.
Genauso alt: die Falschmeldung
Genauso alt wie die Nachrichten sind ihre oft zum Verwechseln ähnlichen Geschwister: das Gerücht, die Halbwahrheit und die Falschmeldung. Die Gründe für deren Verbreitung lauten oft Unwissenheit oder gezielte Täuschung – und manchmal liegen sie irgendwo dazwischen. Die digitalen Möglichkeiten zwischen ›Cheap Fakes‹ und ›Deep Fakes‹ sind atemberaubend und beängstigend. Und doch sind die zuletzt vielbeachteten Phänomene ›Fake News‹ und ›Framing‹ weder im Kern neu, noch sind es die dahinterliegenden Motive. Es ändern sich die Medien und Techniken, die genutzt werden, nicht Desinformation und Manipulation an sich. So wird es vermutlich bis zum Ende aller Tage bleiben.
Heute sprechen wir beispielsweise über Internetpropaganda aus Russland. Dass die Sorge darüber berechtigt ist, das hat uns unter anderem Nina Jankowicz in How to Lose the Information War deutlich gemacht (JANKOWICZ 2020). Die Petersburger Troll-Fabriken trugen einmal den interessanten Namen ›Agentur für Internetforschung‹. Ein Teil ihres Personals ist inzwischen vom FBI zur Fahndung ausgeschrieben. Auch wenn diese neueste Generation die in Russland traditionelle Propaganda ebenso aktiv wie geschickt betreibt, die Troll-Fabriken müssen sich noch anstrengen, um eine Wirkung zu erzielen wie ein angeblicher römischer Kaisererlass aus dem 4. Jahrhundert.
Gemeint ist die ›Konstantinische Schenkung‹, mit der die Päpste für eine halbe Ewigkeit ihren Anspruch auf weltliche Herrschaft und den Zugang zu umfangreichen Ressourcen begründet haben. Wie wir heute wissen, wurde diese sehr erfolgreiche Falschmeldung um das Jahr 800 erfunden. Von anderer Art, aber ebenfalls mit gewaltiger Wirkung war die Propagandalüge, die man ›Dolchstoßlegende‹ nennt. Die Idee, Deutschland habe den Ersten Weltkrieg ›im Felde unbesiegt‹ nur durch das Handeln feiger Politiker verloren, traf auf offene Ohren und trug zum Niedergang der Weimarer Republik bei.
Immer wieder wurden und werden mit ›Fake News‹ Kriege oder Bürgerkriege angeheizt. Die Lügen hinter dem Völkermord in Ruanda und Maos Kulturrevolution, hinter dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien und der Herrschaft der Roten Khmer in Kambodscha, das sind nur vier furchtbare Beispiele aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Manche dieser Lügen sind schwer aus der Welt zu schaffen, wie eine der übelsten Fälschungen der Geschichte überhaupt: Im Russland des frühen 20. Jahrhunderts wurden, möglicherweise von der zaristischen Geheimpolizei, die sogenannten ›Protokolle der Weisen von Zion‹ erfunden, die bis heute unbelehrbaren Menschen als Beleg für eine angebliche jüdische Weltverschwörung dienen.
Die meisten medial verbreiteten Lügen und Halblügen lösen glücklicherweise keine Kriege aus. Doch der Anteil der Informationen ist groß, die auf einer halben Wahrheit, einer Zuspitzung, auf Spin oder tatsächlich auf einer kompletten Unwahrheit beruhen. Dieses schleichende Gift trägt mit dazu bei, dass das Vertrauen der Menschen in die Nachrichten abnimmt. Es ist eines der Probleme, die der Informationsjournalismus nicht allein lösen kann.
Politische und wirtschaftliche Interessen
Eine mächtige historische Konstante ist der Wunsch, Informationen zu kontrollieren, die Infrastruktur und die Inhalte. Ein wesentliches Motiv war und ist die Absicherung oder Vermehrung politischer Macht. Die Geschichte ist reich an Beispielen. Manchmal geht es zumindest vordergründig um ideologische oder religiöse Fragen. Dann lassen Parteien oder Bewegungen Zensur und Gewalt ausüben, in Theokratien der Vergangenheit und Gegenwart waren und sind es der Papst oder ein Ayatollah. Immer wieder im Mittelpunkt stehen wirtschaftliche Interessen, noch heute. Wer sich anschaut, wem große Medienunternehmen weltweit gehören, der weiß, wovon die Rede ist.
Immer wieder waren militärische Bedürfnisse Katalysatoren technischer Entwicklungen in der Kommunikation, so zum Beispiel bei den Anfängen des Rundfunks nach dem Ersten Weltkrieg. Daneben waren wirtschaftliche Interessen zu allen Zeiten der zweite wichtige Entwicklungstreiber des Nachrichtengeschäfts. Julius Reuter begann 1849 in Aachen mit einem Brieftaubendienst für Börsennachrichten zwischen Deutschland und Brüssel. Damit legte er den Grundstein für eine der wichtigsten Nachrichtenagenturen der heutigen Welt. Auch andere Innovationen im Bereich der Information gehen auf kommerzielle Ziele zurück. Das galt für Infrastruktur und Netzwerke wie die im 19. Jahrhundert revolutionären Unterseekabel, das gilt für Facebook und Co. in unserer Zeit. Die Verbreitung und die Diskussion von Nachrichten waren und sind meist nur ein Kollateralnutzen oder der Punkt, an dem mit Werbung und Datensammlung gewinnbringend angesetzt werden kann.
Die Welt der Spezialnachrichten
Werfen wir einen Blick auf die verschiedenen Nachrichtenangebote und -redaktionen. Zunächst fällt auf, dass es enorm viele Spezialisierungen gibt: Eine wichtige Sonderrolle spielen Nachrichten aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, sowohl in den klassischen Medien im Stil des ARD-Angebots Börse vor acht als auch in Form von Dienstleistungen, die zahlungskräftigen Abonnenten Insiderwissen versprechen. Ebenfalls auf den Wirtschaftsbereich haben sich bestimmte Nachrichtenagenturen als Zulieferer verlegt. Auch der Sportbereich kennt in der deutschsprachigen Welt mit dem Sport-Informations-Dienst eine weitgehend monothematische Nachrichtenagentur. Deutschlandfunk Nova und Deutschlandfunk Kultur bieten täglich mehrere Ausgaben von Wissens- bzw. Kulturnachrichten. Viele Medien nehmen eine wichtige Spezialisierung anderer Art vor: Sie konzentrieren sich in der aktuellen Information auf eine Region oder eine Stadt.
Daneben bestehen weitere Formen der gruppenbezogenen Orientierung wie die Kindernachrichten, Nachrichtenangebote in Medien für jüngere Menschen oder auch Informationen in einfacher oder leichter Sprache. In den 1960er-Jahren begannen die ARD-Sender mit Radiosendungen in verschiedenen Sprachen für die – wie man damals noch sagte – Gastarbeiter. Schon lange sind daraus Integrationsangebote geworden, bei denen ein Teil der Informationen weiter auf eine bestimmte Zielgruppe zugeschnitten ist. Ein Beispiel ist das WDR-Programm Cosmo, dessen italienische Sendung Radio Colonia ich sehr gerne höre.
2017 stellte RADIO BREMEN die Nachrichten in lateinischer Sprache ein. Da sich auch der finnische Rundfunk zwei Jahre später von den Nuntii Latini verabschiedet hat, bleibt ein kleines, aber feines Publikum in seinem Spezialinteresse nun weitgehend unversorgt. Vielleicht entdeckt eine Leserin oder ein Leser dieses Buchs hier eine Marktlücke für sich.
Es gibt über das Genannte hinaus noch eine schier unendliche Vielfalt sektoraler Informationsangebote. Über jeden denkbaren Kanal werden Partikularinteressen angesprochen, von Medien, aber auch von Verbänden, NGOs und kommerziellen Akteuren. Dabei kann es um Golfsport gehen oder um Konsumentenberatung, um Menschenrechtsthemen oder um Brauchtumspflege. Verschiedene Branchen haben eigene Fachzeitungen oder andere für sie wichtige Informationsmedien, denen normale Netzsurfer oder Kioskkunden nie begegnen werden. Die Lebensmittel-Zeitung oder die Nachrichtenfür Außenhandel sind dafür zwei Beispiele von vielen.
Doppelte Facharztausbildung
Bei meinen Überlegungen geht es vor allem um einen enger gefassten Bereich, nämlich die klassischen, überregionalen Nachrichtenredaktionen. Sie legen ihren Schwerpunkt oft auf politische Themen. Haben sie den Anspruch, dabei auch das internationale Geschehen abzubilden, fällt hin und wieder der schöne Begriff der ›Weltnachrichten‹. Betrachtet man die Themenauswahl genauer, so kommen allerdings in den Nachrichten neben der Politik auch so gut wie alle anderen Themengebiete vor: Wirtschaft, Sport, Wissenschaft, Kultur, Weltanschauungen und einiges mehr.
Diese genannten Felder kennen Expertise und Vertiefung in Fachredaktionen. Nachrichtenredaktionen und verwandte Bereiche wie der aktuelle Zeitfunk im Radio müssen hingegen überall hinreichend sattelfest sein. Jedes Thema kann ohne Vorwarnung aktuell werden und muss dann kompetent bearbeitet werden. Die enorme Themenbreite und der hohe Aktualitätsdruck erfordern von Menschen in Nachrichtenredaktionen metaphorisch gesprochen gleich eine doppelte Facharztausbildung: die für journalistische Allgemein- und Notfallmedizin.
Noch eine weitere Besonderheit sei erwähnt. In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich gezeigt, dass die Nachrichtenredaktionen sich schneller und stärker als andere klassische Redaktionen für den digitalen Journalismus geöffnet haben. Der Informationsbereich ist besonders hart umkämpft, ohne Präsenz im Netz und auf den Smartphones ist er nicht mehr vorstellbar. Es kommt hinzu, dass weite Teile der nachrichtlichen Recherche inzwischen im Internet stattfinden.
Nachrichten sind Ansichtssache
Nun ist trotz aller Annäherung noch nicht geklärt, was denn nun das journalistische Produkt genau ist, das wir ›Nachrichten‹ nennen. Die Frage ist auch deshalb kompliziert, weil es recht unterschiedliche Perspektiven gibt. Aus der beruflichen Binnensicht scheint manchen der Fall klar: Nachrichten sind das, was aus der Nachrichtenredaktion kommt. Leser und Zuschauerinnen, Hörerschaft und Nutzergemeinde haben aber wenig Sinn für logische Kurzschlüsse. Sie geben nicht viel auf redaktionelle Organigramme und nicht viel mehr auf kommunikationswissenschaftliche Definitionen.
Nach dreißig Jahren Austausch mit Hörern und Nutzerinnen führt für mich nichts an der Feststellung vorbei: Fast jede und jeder versteht unter Nachrichten etwas anderes. Sie sind, wie man es im Englischen sagen kann, ›many things to many people‹. Viele Menschen halten Interviews, Kommentare, Reportagen und Features für Nachrichten. Auch die im Fernsehen allgegenwärtigen Talkshows gehören für manche dazu. Alle diese Formate und vieles mehr aus der nicht-journalistischen Sphäre können der Anlass sein, wenn Menschen sich über ›die Nachrichten‹ äußern.
Darüber zu klagen, führt nicht weit. Den Menschen vorzuschreiben, wie sie etwas wahrzunehmen haben, ist aussichtslos und anmaßend. Eine Schärfung der Aufmerksamkeit für Sinn und Zweck der journalistischen Nachrichten im engeren Sinne dagegen halte ich für möglich und sinnvoll. Das kann aber nur über geduldige und dialogische Prozesse gelingen, die Interesse wecken und Medienkompetenz fördern.
Infotainment und Soft News
Die Vermischung journalistischer Formen und die Verwirrung in Sachen Nachrichten sind aber nicht nur ein Problem auf der Empfängerseite. Schwer wiegt auch, was sich bei den Absendern getan hat: Zahlreiche Medien tragen zwar die Trennung von Nachricht und Kommentar zumindest in der Theorie wie eine Monstranz vor sich her. Mit der Trennung von Nachricht und Unterhaltung nehmen sie es hingegen nicht (mehr) so ernst. Dieses Infotainment wurde schon Mitte der 1980er-Jahre von Neil Postman und anderen beschrieben und beklagt.
Beweggründe dürften Auflage und Reichweite sein, die wiederum Grundlage sind für wirtschaftlichen Erfolg in Wettbewerbsmärkten. Diese Mechanik ist ein Teil dessen, was James Hamilton in seinem Buch beschreibt, das er All the News That’s Fit to Sell genannt hat (HAMILTON 2006), eine ironische Abwandlung des langjährigen Leitspruchs der New York Times. Auch die Ausprägung eines dualen Rundfunksystems mit teilkommerzieller Orientierung hat in vielen Ländern das Infotainment verstärkt. In Deutschland legen die großen TV-Privatsender relativ großen Wert auf eine seriöse Informationsfarbe. Das haben sie im Jahr 2021 durch Programmentscheidungen und durch das Anwerben von Menschen aus öffentlich-rechtlichen Nachrichtenredaktionen unterstrichen. Sendungen wie RTL aktuell und ihre Moderatorinnen und Moderatoren genießen ohne Zweifel das Vertrauen vieler Menschen.
Die für Informationsinhalte zur Verfügung stehenden Sendeminuten oder Spalten wurden jedoch auf den gesamten Markt gesehen mit der Zeit eher gekürzt. Schon weit zurück im vergangenen Jahrhundert war mit Blick auf den deutschen Rundfunk von einer ›Entwortung‹ zumindest der reichweitenstarken Hauptprogramme die Rede. Daneben stehen einige ausdrückliche Informationsprogramme, überwiegend von öffentlich-rechtlichen, aber auch von privaten Medien. Hervorzuheben ist zudem die seit Jahren vorangetriebene Stärkung der regionalen Information, auch bei den Sendern des ARD-Verbunds.
Eine zum Infotainment passende Konzeption ist die der ›Soft News‹, der weichen Nachrichten, in Abgrenzung zu den harten Nachrichten (vgl. REINEMANN/SCHERR 2012). Im Digital News Report des Reuters Insitute for the Study of Journalism fand sich die knappe Definition:
»Hard news is typically used to refer to topics that are usually timely, important and consequential, such as politics, international affairs and business news. Conversely, soft news topics include entertainment, celebrity, and lifestyle news« (REUTERS INSTITUTE 2016).
Neben dem Leben von Prominenten und anderen Unterhaltungsinhalten, neben dem Human Touch bewegender Einzelschicksale, spielen für die ›Soft News‹ auch ›Rotlicht und Blaulicht‹ eine große Rolle, ungefähr die Übersetzung von ›Sex and Crime‹ ins Deutsche. Ich treffe hin und wieder auf das Argument, es handle sich bei allem um Nachrichten, weil es ja stets einen Neuigkeitswert gebe. Die ›Soft News‹ seien dann in dieser Hinsicht Nachrichten, aber eben kein Journalismus. Für meine Argumentation läuft das auf dasselbe hinaus, nur bin ich weniger großzügig mit dem Begriff der Nachrichten.