Kitabı oku: «Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts», sayfa 14

Yazı tipi:

b) Die Garantie einer privat verfügbaren ökonomischen Grundlage durch Art. 14 GG und die prinzipiell symbolische Sozialisierungsklausel des Art. 15 GG

237

Die in Art. 14 GG normierte Eigentumsgarantie bringt eine elementare Wertentscheidung zum Ausdruck: Eigentum ist nicht nur konkret-gegenständlich, sondern normativ abstrakt als rechtlich strukturiertes Zuordnungsverhältnis zu verstehen[518]. Im Vordergrund steht damit nicht das natürliche Verhältnis des Eigentümers zu einer Sache, sondern ein normgeprägtes und auf die Begegnung mit Dritten ausgerichtetes Individualrecht. Dazu gehören neben dem Eigentum nach Bürgerlichem Recht auch Geldleistungsverpflichtungen, individuell erworbene öffentlich-rechtliche Positionen sowie sonstige Vermögenswerte[519] oder – zumindest subsidiär – das Unternehmen in seiner Gesamtheit[520].

238

Das Eigentum gewährleistet dem Einzelnen eine „privat verfügbare ökonomische Grundlage individueller Freiheit“[521] und ist damit zunächst in seinem Bestand einschließlich der Möglichkeit der wirtschaftlichen Nutzung geschützt[522]. Zugleich bleibt Raum, das Eigentum – wie in Art. 14 Abs. 2 GG gefordert – auf das Wohl der Allgemeinheit zu verpflichten. Damit ist in Art. 14 GG ein „Sozialmodell“ verwirklicht[523], in dem sich eine „Dogmatik der Kompromisse“[524] widerspiegelt[525]:

Inhalt und Schranken des Eigentums werden im Detail durch den Gesetzgeber im Sinne eines gerechten Ausgleichs zwischen den schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und den Belangen des Gemeinwohls geregelt.

239

Dem Gesetzgeber sind freilich unterschiedliche Grenzen gezogen: Soweit das Eigentum die persönliche Freiheit des Einzelnen sichert, genießt es einen ausgeprägten Schutz; je stärker der soziale Bezug des Eigentums ist, umso größer ist die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers[526].

Ein Eigentumsrecht, das nicht nur individuelle Rechte, sondern auch wesentliche Grundlagen der Gemeinschaft gewährleistet, muss von der Gemeinschaft weitestgehend durchgesetzt, bestmöglich verteidigt und damit auch strafrechtlich abgesichert werden[527]. Gerade mit der Hilfe des Strafrechts als einem von der Gemeinschaft zur Verfügung gestelltem Schutzinstrument wird die Eigentumsordnung in der Rechtswirklichkeit wirksam etabliert. Der mit dem rechtswidrigen Angriff auf das Eigentum verbundene Eingriff in individuelle Freiheiten lässt auch die mit strafrechtlichen Sanktionen verbundenen Eingriffe in die Freiheit des Angreifers angemessen erscheinen.

240

Ein Strafrecht zur Sicherung einer vom Individuum losgelösten, rein öffentlichen Planvollstreckung ist nach dem geltenden Verfassungsrecht selbst angesichts Art. 15 GG weder gefordert noch legitimierbar[528]. Art. 15 GG formuliert ideengeschichtlich das Postulat sozialistischer Parteien, mit der Sozialisierung von Produktionsmitteln einen wesentlichen Schritt zur Überwindung des Kapitalismus zu vollziehen[529]. Damit sollte das bürgerlich-liberale Wirtschaftssystem durch ein System der Gesamtwirtschaft ersetzt werden, das den besitzlosen Schichten der Gesellschaft eine kollektive Verfügungsmacht über das Wirtschaftseigentum zuweisen sollte[530]. Art. 15 GG ermöglicht zwar bis heute die Sozialisierung individueller Rechte[531]. Sozialisierungen sind jedoch grundsätzlich mit einer materiellen Ausgleichspflicht des Staates verbunden[532]. Verfassungsrechtlich folgt daraus die Voraussetzungslosigkeit privaten Wirtschaftshandelns und die Rechenschaftsverpflichtung staatlicher Intervention oder Lenkung. Rechtspraktisch wurde die Ermächtigung des Art. 15 GG noch nie verwendet, sodass es sich bislang auch um nur symbolisches Verfassungsrecht handelt.

c) Die Garantie der Berufsfreiheit als Eckpfeiler des Gesamtsystems

241

Art. 12 Abs. 1 GG verbrieft die Freiheit des Bürgers, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet hält, als Beruf zu ergreifen[533]. Dazu gehören nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG das Recht auf die freie Wahl des Berufes, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte, das Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG um das Recht der freien Berufsausübung ergänzt. Jeder soll möglichst frei über die ökonomische Grundlage seiner Lebensführung entscheiden, sodass sich der grundrechtliche Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG auf den Beruf in allen seinen Aspekten erstreckt. Beruf ist jede auf Erwerb gerichtete Beschäftigung, die sich nicht in einem einmaligen Erwerbsakt erschöpft und in ideeller wie materieller Sicht der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage einer bestimmten Person dient[534]. Art. 12 GG konkretisiert damit das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und zielt auf eine möglichst unreglementierte Berufstätigkeit ab[535].

242

Mit der freien Berufsausübung und dem freien Unternehmertum ist prinzipiell das Ideal von ökonomischem Wettbewerb verbunden, der damit zum Eckpfeiler der volkswirtschaftlichen Gesamtleistung wird[536]. Einschränkungen der Berufsfreiheit sind im Rahmen einer Globalsteuerung auf der Marktebene bis hin zu einer „gelenkten Marktwirtschaft“[537] zulässig. Grenzen werden erreicht bei einer Steuerung bis auf Branchenebene etwa nach dem Modell der sog. „Planification“[538] und erst recht bei Ansätzen zu einer Mikrosteuerung auf Unternehmensebene – wie zum Beispiel staatlichen Investitionskontrollen – nach dem Modell eines „gemäßigten Sozialismus“.

243

Die Berufsfreiheit schließt freilich nicht aus, dass der Gesetzgeber Berufe rechtlich ordnet und damit fixiert oder vereinheitlicht[539]. Damit wird gewährleistet, dass ein Beruf nur von Personen wahrgenommen werden kann, die die notwendigen Voraussetzungen dieses Berufs erfüllen, und andere von der Ausübung dieses Berufes ausgeschlossen werden[540]. Die abwehrrechtlichen Wirkungen der Berufsfreiheit wiegen umso stärker, je schwerer die hoheitlichen Eingriffe wirken. Eingriffe dürfen grundsätzlich nicht weiter gehen, als es die sie legitimierenden öffentlichen Interessen erfordern[541].

244

Auch die Berufsfreiheit, die damit sowohl individuelle Rechte als auch den Wettbewerb einzelner als Gesamtpfeiler der wirtschaftlichen Gesamtleistung sichert, muss von der Gemeinschaft weitestgehend durchgesetzt werden. Anknüpfungspunkt sind dabei die elementaren Voraussetzungen der freien Berufswahl und -ausübung als Elemente der allgemeinen Handlungsfreiheit[542]. Das Modell des homo oeconomicus spezifiziert diese Voraussetzungen insbesondere auf den Schutz der Freiheit der Willensbildung und die Sicherung der individuellen Orientierung im Wirtschaftsleben, soweit dies zur individuellen Präferenzbildung und -verfolgung notwendig ist[543]. Wird in diese Freiheiten eingegriffen erscheint umgekehrt eine Individualfreiheiten beschränkende Sanktion als verhältnismäßige Reaktion auf diesen Rechtsbruch. Das Strafrecht ist freilich auf einen elementaren Schutz dieser Freiheit beschränkt und darf nicht zu einer – durch ein auswucherndes Verwaltungssanktionenrecht gesicherten – Bestandsgarantie ganz bestimmter Zustände hypertrophieren. Gerade in Zeiten eines erheblichen Strukturwandels sichert die Berufsfreiheit gesellschaftliche Flexibilität, die nicht durch übermäßige Reglementierungen eingeengt werden darf[544].

d) Die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit als Eckpfeiler der Wettbewerbsfreiheit

245

Erhebliche Bedeutung für die Ordnung des Wirtschaftslebens hat die Verbürgung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG[545]. Sie beinhaltet eine Reihe konkreter Forderungen, auf die sich natürliche Personen sowie Körperschaften des Privatrechts und Personengesellschaften berufen können: Die Freiheit der wirtschaftlichen Tätigkeit verpflichtet die Politik zunächst, Unternehmens- und Gewerbefreiheit zu achten. Freies Unternehmertum und die dafür typische Unternehmerinitiative dürfen daher nicht völlig beseitigt und durch ein dirigistisches Wirtschaftssystem ersetzt werden[546]. Entsprechendes gilt für das Postulat eines freien Marktes, eines geordneten, aber freien Wettbewerbs und der Vertragsfreiheit im Sinne einer grundsätzlichen Abschlussfreiheit und Freiheit der inhaltlichen Gestaltung[547]. Art. 2 Abs. 1 GG verbietet damit eine lenkende Wirtschaftspolitik, die unternehmerische Freiheit in einem bestimmten Sektor in ihrem Kern unmöglich macht. Der Markt soll als Institution im Sinne einer Matrix und eines Mediums für individuelles Wirtschaften dienen[548]. Daraus folgt die Anerkennung der Wettbewerbsfreiheit als Element der allgemeinen Handlungsfreiheit[549].

246

Da nahezu jedes Handeln der öffentlichen Gewalt wirtschaftliche Auswirkungen haben kann, müssen bereits bei der Beurteilung, ob eine Maßnahme in die allgemeine Handlungsfreiheit eingreift, die individuellen Freiheiten und Zuständigkeiten gegeneinander abgeschichtet werden[550]. In der Frage, ob Eingriffe in die individuelle Wirtschaftsfreiheit gerechtfertigt sind, steht der öffentlichen Gewalt andererseits gerade bei wirtschaftspolitischen Interventionen ein breiter Beurteilungsspielraum zu[551].

247

Nach der Rechtsprechung des BVerfG kann aus dem von Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten status positivus auch die Pflicht des Staates folgen, qualifizierte Störungen der Vertragsparität zu beseitigen[552]. Dies impliziert einen Anspruch auf strafrechtlichen Schutz, wenn die Ausübung dieser Freiheit etwa durch die Androhung von Gewalt oder besonders empfindlichen Übeln gestört werden soll. Der Umstand, dass das Grundgesetz damit von einem Modell des Marktes ausgeht, der durch Einzelhandeln entsteht und gewährleistet wird, hat für das Strafrecht erhebliche Bedeutung. Eine verfassungskonforme Interpretation der Tatbestände, die im Ergebnis den Schutz des Wettbewerbs bezwecken, ist an diese Ableitungszusammenhänge gebunden[553]. Beispielhaft soll so das durch Sanktionen gesicherte Verbot der Bildung privater Kartelle erklärt und legitimiert werden: Kartellverbote stellen entsprechend den vorgestellten Grundsätzen Verbote des freiwilligen Verzichts auf die eigene Wettbewerbsfreiheit dar. Dieser Verzicht kann zumindest partiell zu einer Störung der Marktmechanismen und damit zu Freiheitsbeeinträchtigungen Dritter führen[554]. Wegen dieser Störung Dritter ist der Verzicht auf die eigene Freiheit nicht nur unzulässig, sondern kann in schweren Fällen seinerseits mit Freiheitsbeeinträchtigungen sanktioniert werden.

e) Die Garantie der Vereinigungsfreiheit als Recht auf freie Assoziierung des Einzelnen mit Dritten

248

Die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG ergänzt die anderen Freiheiten, indem sie allen Deutschen das Recht gewährt, die verbürgten individuellen ökonomischen Freiheiten auch durch eine Assoziierung mit anderen und mittels einer bestehenden Vereinigung oder Gesellschaft wahrzunehmen[555]. Sie verbürgt damit im Gegensatz zu ständischen Korporationsgedanken älterer Sozialordnungen ein liberales Assoziationsprinzip und rezipiert damit auch die Vorstellung des an die Gemeinschaft gebundenen und auf die Gemeinschaft bezogenen Individuums[556].

249

Art. 9 GG im Zusammenwirken mit den infrage kommenden „Inhaltsrechten“ setzt voraus, dass sich außenrechtliche Freiheitsgewähr, binnenrechtliche Organisation und Willensbildung der Vereinigung strukturell entsprechen. Wer die Unternehmer- und Berufsfreiheit und die Garantie des unternehmerisch genutzten Eigentums für sich in Anspruch nimmt, soll sich im Ansatz auch nach diesen Grundsätzen organisieren[557]. Ein Antrag auf Mitgliedschaft in einer Vereinigung darf daher nicht willkürlich versagt werden, wenn der Verein eine überragende Machtstellung hat und ein besonderes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht[558]. Die innere Struktur der Vereinigung muss plural organisiert sein; sie ist auch einer gesetzlichen Regelung zugänglich, die jedoch inhaltlich die Vereinigungsfreiheit zur Schranken-Schranke hat. Wie weit die gesetzlichen Regelungen reichen können, bestimmt sich folgerichtig nach dem inneren Grund der Vereinigung. Ist die Vereinigung – zum Beispiel eine Aktiengesellschaft – von ökonomischen Interessen dominiert, können die Mitgliedschaftsrechte anstatt von Art. 9 GG durch die Grundrechte der Art. 2, 3, 12 und 14 GG und allgemeine Verfassungsprinzipien, wie etwa die Prinzipien der Rechts- und Sozialstaatlichkeit, bestimmt sein[559].

250

Der verbürgte Schutz erfasst nicht nur den Kernbereich koalitionsmäßiger Betätigung, sondern alle zum Erhalt und zur Sicherung der Vereinigung notwendigen Tätigkeiten. Dazu kommt das Recht, die in Art. 9 Abs. 3 GG genannten Zwecke der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch eine spezifisch koalitionsmäßige Betätigung zu verfolgen[560]. Damit wird wie in den Art. 159 und 165 Weimarer Verfassung zunächst die Freiheit der Gewerkschaften geschützt, darüber hinaus aber auch die von Arbeitgebervereinigungen[561].

251

Art. 9 GG gewährleistet damit eine Ordnung des Arbeits- und Wirtschaftslebens, bei der der Staat seine Zuständigkeit zur Rechtsetzung weit zurückgenommen und die Bestimmung über die regelungsbedürftigen Einzelheiten des Arbeitslebens grundsätzlich den Koalitionen überlassen hat[562]. Erst recht ist damit der Einsatz des Strafrechts zur Durchsetzung der Vereinigungsfreiheit allenfalls in Extremfällen legitimierbar. Austariert wird die Ordnung des Arbeitslebens in erster Linie durch die Tarifautonomie[563]. Mit ihrer Hilfe soll die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer gegenüber den Arbeitgebern ausgeglichen und ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und der wesentlichen übrigen Arbeitsbedingungen ermöglicht werden[564]. Um diese Verhandlungsparität zu gewährleisten, sind auch Arbeitskampfmaßnahmen zulässig[565]. Für das Strafrecht ist damit auch eine wichtige Grenze des Bereichs tatbestandsmäßigen Verhaltens bei der Nötigung gesetzt. Umgekehrt gewährt Art. 9 Abs. 3 GG nicht die uneingeschränkte Befugnis, alle denkbaren Kampfformen einzusetzen[566]. Das Strafrecht ist damit nicht gänzlich ausgeschlossen, es muss aber grundsätzlich neutral sein[567].

252

Da es dem Recht außerdem verwehrt ist, eine konkrete Organisation assoziierten Individualverhaltens vorzuschreiben, kann das Strafrecht hier allenfalls Randbereiche betreffen und minimale Standards absichern[568]. Größere Bedeutung hat die Vereinigungsfreiheit insgesamt beim Zurückdrängen bestimmter Strafnormen, soweit etwa die gewerkschaftliche Präsenz im Betrieb, die gewerkschaftliche Betätigung in Betriebsräten oder die außergerichtliche Beratung der Mitglieder an sich Tatbestände mit einer allgemeinen Zwecksetzung erfüllen[569]. Das Zurückdrängen des Strafrechts an dieser Stelle entspricht freilich den aufgestellten wirtschaftstheoretischen Postulaten und zeigt die Konsistenz der verfassungsrechtlichen Rahmenordnung[570].

2. Integration der Wirtschaft in die Europäische Union und die Folgen für die Wirtschaftsverfassung

253

Konkretere Vorgaben für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung folgen aus der supranationalen Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union. Für das Wirtschaftsstrafrecht sind diese Vorgaben indessen nicht von prinzipieller Bedeutung.

Die Unionsverträge erfüllen auf supranationaler Ebene zwar die Funktionen, die national einer Verfassung zukommen[571], und sie verpflichten die Union und ihre Mitgliedstaaten in den Art. 3 Abs. 3 EUV, 101 ff., 106 ff., 120 AEUV auf die Grundsätze einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb[572]. Ebenso stellt die Europäische Union eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“ als wirtschaftspolitisches Leitprinzip in den Vordergrund[573]. Die Europäische Gemeinschaft garantiert damit eine wettbewerbsgesteuerte Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung[574], sodass es strukturell unmöglich ist, etwa eine Zentralverwaltungswirtschaft einzuführen[575].

254

Noch wenig geklärt ist aber, in welchem Umfang sich aus diesem Verständnis der Gemeinschaftsverträge Kompetenzen und Rechte der Einzelnen ergeben. Bis zu Beginn der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts wurden derartige Überlegungen kategorisch abgelehnt[576]. Mit der Grundrechtscharta der Europäischen Union wurden dann erstmals die Rechte des Einzelnen urkundlich betont[577]. Dogmatisch wurden in der Rechtsprechung spätestens im Jahr 2003 Tendenzen deutlich, Individualgrundrechte zunehmend als Schranken-Schranken wirtschaftlich determinierten Gemeinschafts- und Unionsrechts zu verstehen und beide Sachmaterien als gleichgewichtige Begründungsansätze des Rechts zu einer praktischen Konkordanz zu führen[578].

255

Für das Wirtschaftsstrafrecht führen diese supranationalen Vorgaben jedenfalls zu keinen grundlegenden konzeptionellen Änderungen. Da nationales und supranationales Grundsystem in weiten Teilen identisch sind, beschränken sich die Einwirkungen auf Einzelfälle. Das führt insbesondere zu erweiterten individuellen Handlungsspielräumen bei einer grenzüberschreitenden Freiheitsausübung, da im Rahmen der Europäischen Union dem Ziel der Marktintegration eine überragende Bedeutung zukommt und die Gemeinschaftsorgane bei der Verwirklichung dieser Ziele ein weit gespanntes, nicht aber uneingeschränktes Ermessen haben. Diese Integration darf indessen nicht beliebig zu Lasten eines hinreichenden Gesundheits-, Umwelt- oder Verbraucherschutzes verfolgt werden[579], sodass die Union gehalten ist, bei der Verfolgung der Ziele jenen Ausgleich sicherzustellen, den Widersprüche zwischen den verschiedenen Zielen erforderlich machen können[580]. Insgesamt kann dieser Aspekt damit bei der hier unternommenen funktionalen Analyse des Wirtschaftsstrafrechts außer Betracht bleiben.

3. Folgen der Integration der Wirtschaft in die Weltwirtschaft

256

Eine ähnlich geringe Bedeutung für die nachstehenden Überlegungen hat die Integration der Bundesrepublik in eine sich immer stärker verflechtende Weltwirtschaft. Auch weltweit setzt sich die marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung durch, sodass inzwischen mehr als neunzig Volkswirtschaften wettbewerbsrechtlich geordnet sind[581]. Dieser Erfolg und die Notwendigkeit, im globalen Handel hoheitliche Kompetenzen zunehmend auf supranationale und völkerrechtlich fundierte Einrichtungen zu übertragen[582], haben zwar mittelbar auch zu einem steigenden Einfluss wirtschaftsvölkerrechtlicher Vorgaben geführt[583]; für das Strafrecht sind diese bislang allerdings nur von randständiger Bedeutung.

257

Das Wirtschaftsvölkerrecht enthält heute im Wesentlichen Vereinbarungen über den Handel mit Waren oder Dienstleistungen sowie den Schutz von geistigem Eigentum[584]. Darüber hinaus bestehen zaghafte Ansätze zu einem internationalen Wettbewerbsrecht[585]. Auch hier werden aber durch das Prinzip der Nichtdiskriminierung und das Prinzip der offenen Märkte zumindest im Ansatz die Grundbedingungen für einen fairen Wettbewerb gewährleistet. Dazu wurde institutionell zum 1. Januar 1995 mit der Welthandelsorganisation (WTO) eine universelle internationale Organisation des Welthandels gegründet[586]. Eine der wichtigsten Aufgaben der WTO besteht darin, die gegenläufigen Ziele von freiem Handel einerseits und Umwelt- sowie Gesundheitsschutz andererseits zu einem praktischen Ausgleich zu bringen[587]. Nach Art. XVI Abs. 4 WTO muss jeder Mitgliedstaat außerdem sicherstellen, dass seine Gesetze, sonstigen Vorschriften und Verwaltungsverfahren mit den WTO-Vorgaben in Einklang stehen[588].

258

Konkrete Konfliktfelder zwischen dem Welthandelsrecht und dem europäisierten nationalen Wirtschaftsrecht sind etwa, das Verhältnis des auf nationaler und europäischer Ebene gewährleisteten Gesundheitsschutzes zu den Marktfreiheiten und das verbindliche Maß an Verbraucherschutz[589]. Das Welthandelsrecht ist mittlerweile so ausgestaltet, dass die letzte Definitionsmacht bei der WTO selbst sowie den ihr verbundenen internationalen Standardisierungsorganisationen liegt. Diese Kompetenz erweist sich wegen der mangelhaften Bindung dieser Institutionen an Grund- und Menschenrechte zwar als problematisch; rechtspraktisch führt die mangelnde Bindung aber nicht dazu, dass diese Rechte überhaupt nicht berücksichtigt werden können. Möglich bleibt sowohl eine menschenrechtskonforme Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe als auch auf politischer Ebene die Fortentwicklung des Völkervertragsrechts.

259

Für das Strafrecht kann dies freilich dazu führen, dass insbesondere etwa bei Gesundheitsschutz größere Gefahren rechtlich toleriert werden müssen als bei rein nationalen Sachverhalten. Folgen kann dies aber auch für konkrete Verhaltensnormprogramme etwa im Bereich der Produktsicherheit haben, sodass bestimmte Produkte etwa nicht zurückgerufen werden müssen und trotz bestehender Gefahren vertrieben werden dürfen. Mit dem zunehmenden Abbau staatlicher Handelshemmnisse zeigt sich außerdem das auf regionaler Ebene bereits aus der Ausarbeitung des Vertrags zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) bekannte Problem, dass Wettbewerbsbeschränkungen zunehmend durch private Marktteilnehmer aufgebaut werden. Theoretisch werden damit Fälle der Nötigung denkbar, die so früher nicht möglich gewesen waren, von der rechtstheoretischen Seite dagegen keine prinzipiell neuen Überlegungen erfordern.

260

In erster Linie sicherheitspolitischen Zwecken dienen dagegen Sanktionen des UN-Sicherheitsrats, die zu Embargos gegenüber Staaten oder seit 1999 auch zu gezielten Handelsverboten gegenüber Einzelpersonen, Gruppen oder Organisationen führen (sog. smart sanctions bzw. targeted sanctions)[590]. Praktisch bedeutsam wurden in letzter Zeit entsprechende Maßnahmen gegen den Irak, Afghanistan, die Taliban und Listen mit Personen, die im Verdacht stehen, internationale Terroristen zu unterstützen[591]. Die aus solchen Verboten resultierenden Handelsbeschränkungen für Dritte mit diesen Staaten bzw. Personen sind nur eine zwangsläufige Nebenfolge der Verbote, aber kein Welthandelsrecht im engeren Sinn, sondern Maßnahmen im Rahmen einer kontrollierten Außenwirtschaft.

Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D › II. Korrespondierende Aufgabenbereiche und Ziele der Staatstätigkeit

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
1040 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783811457072
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu