Kitabı oku: «Taubenblut. Die Siedler», sayfa 2

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Uta Schlüter

Das Wissen um die Feldarbeit war auf sächsischen Bauernhöfen eigentlich Sache des Ehemannes und Hofherren. Dass die Schlütersche Uta sich darin auskannte, lag an einem großen Unglück, welches ihrem Vater widerfahren war: Er hatte sein Augenlicht verloren. Von frühester Kindheit musste ihn Uta deshalb auf Schritt und Tritt begleiten. Sie beschrieb ihm den Zustand der Tiere, des Bodens, das Gedeihen der Pflanzen und auch, mit welchem Werkzeug die Knechte und Tagelöhner arbeiteten und womit sie das Vieh fütterten. Dabei lehrte sie der Vater alles, was ein guter Bauer wissen und beachten musste.

Uta war erst siebzehn Jahre alt, als der Vater während der Ernte überfahren und dabei so schwer verletzt wurde, dass er starb. Ein in Stauchitz wohnender Vetter übernahm sofort die Vormundschaft über das Mädchen und die väterliche Gewalt über den Hof, während die Witwe für das Seelenheil des Verstorbenen betete. Außer dass ihr geliebter Vater nicht mehr da war, den Uta um Rat fragen konnte, blieb vorerst alles beim Alten. Knechte und Tagelöhner arbeiteten so, wie sie es ihnen schon zu Lebzeiten ihres blinden Vaters aufgetragen hatte. Und war sie sich in einer Entscheidung unsicher, beriet sie sich mit einem Knecht, der bereits von ihrem Vater sehr geschätzt wurde. Der Vormund ließ sich das ganze Jahr nicht auf dem Anwesen blicken. Er kam erstmals im Spätherbst, doch nur, um die Ernte und das Schlachtvieh wegzuholen. Selbst das Ende der Trauerzeit änderte nichts an der eigennützigen Vormundschaft des Vetters, denn Utas Mutter hielt dessen Gebaren für rechtens. Uta hätte sich dieser Vormundschaft gern entledigt und geheiratet, um die rechtmäßige Hofbäuerin zu werden. Doch der von ihr geliebte Martin, ein Zweitgeborener aus dem Nachbardorf, war der Mutter nicht gut genug. Sie sah in ihm einen Erbschleicher und verweigerte nicht nur ihre Zustimmung, sie beauftragte sogar Vermittler, einen Schwiegersohn zu suchen. Doch auch diese fanden keinen, an dem sie nichts auszusetzen hatte. Als sie sich im folgenden Winter eine Lungenentzündung zuzog und verstarb, ging der Hof in das Eigentum des Vetters über, der ihn wenige Monate später verkaufte.

Als Uta und Martin nach dem Ende der Trauerzeit heirateten und den Vetter auf Herausgabe des Mündelteils verklagten, wären sie beinah wegen Verleumdung eingesperrt worden. Der Vetter behauptete, ihr das Mündelteil längst ausgezahlt zu haben. Er bewies dies mit einem Schriftstück, auf dem der Amtsvorsteher von Stauchitz die Auszahlung des Betrages an die Erbin mit seiner Unterschrift bestätigt hatte. Selbst Utas Argument, des Lesens und Schreibens kundig zu sein und somit den Auszahlungsbeleg auch in eigener Person hätte quittieren zu können, änderte nichts an der richterlichen Entscheidung zur Gültigkeit des Beleges. Der neue Besitzer gestattete dem jungen Paar, auf dem Hof wohnen zu bleiben und als Magd und Knecht bei ihm zu arbeiten. Um nicht ständig das ihnen zugefügte Unrecht vor Augen zu haben, hätten Martin und Uta dem Hof und der Gegend liebend gern den Rücken gekehrt, doch Uta erwartete ein Kind. Damit waren sie zum Bleiben verurteilt, um nicht auch noch ohne ein Dach über dem Kopf und ohne sicheres täglich Brot zu sein. Als ein gutes Jahr später eine zweite Tochter zur Welt kam, ergaben sie sich ihrem Schicksal. Flemmings Werber erschienen der jungen Familie wie ein Zeichen des Himmels. Das sofort ausgezahlte Handgeld war so reichlich, dass dem jungen Paar fast die Sinne schwanden. Eine solche Summe Geldes würden sie ihr ganzes Leben nicht verdienen, wenn sie als Magd und Knecht in Sachsen blieben. Dazu das Versprechen auf ein ordentliches Stück Pachtland, groß genug, um mit etwas Glück und Fleiß davon leben zu können. Insgeheim schreckte sie zwar der Umzug in das fremde Land ab, doch die Aussicht auf ein besseres Leben ließ sie keinen Moment zögern, gemeinsam mit den anderen vier Familien, ihre sächsische Heimat zu verlassen.

Nach der Ankunft in der Fremde zahlten sich Utas Erfahrungen in der Feldarbeit rasch aus. Unter ihrer Anleitung wuchs und gedieh einfach alles, was man sich vorgenommen hatte. Ihr Mann Martin und die zwei anderen Lommatzscher, die Uta von Kindheit an kannten, überzeugten die Meißner davon, ihr in diesen Dingen volles Mitspracherecht zu gewähren. Das war völlig entgegen dem Althergebrachten und wäre in der alten Heimat nie gestattet worden. Doch hier war es von Vorteil, dass die Frauen nicht wegen jeder kleinsten Sache die Zustimmung der Familienoberhäupter einholen kamen. So konnten sich die Männer ungestört der Errichtung der Häuser widmen, und das war Arbeit genug. Es dauerte keine drei Wochen, und der Streifen fruchtbaren Bodens zwischen Riedwiesen und trockenem Heideland war fertig bestellt. Allem voran hatte man die kostbaren Tartuffli in die Erde gebracht. Die von den schmalen Feldern zu erwartende Ernte würde aber nie und nimmer Mensch und Vieh bis zum nächsten Frühjahr ernähren. Vom erhaltenen Handgeld hätte man sich zwar ausreichend Vorräte kaufen können, doch das widersprach ihrem Bauernstolz und auch dem beinah übermächtigen Bedürfnis, so wenig wie möglich von dem schönen Geld für solch niedere Bedürfnisse auszugeben. Es musste also schnellstens eine größere Fläche Ackerland gewonnen werden. Brandrodung kam nicht infrage, dabei würde man zu viel gutes Holz vernichten. Außerdem würde der vom See her wehende Wind das Feuer in die Wälder treiben. Es blieben also nur die nassen Wiesen.

Unter Anleitung eines älteren Infanteristen, eines Bauernsohnes aus dem brandenburgischen Oderbruch, begannen die Lutheraner, zwei parallel verlaufende Entwässerungsgräben auszuheben. Der Mann hatte ihnen versichert, dass in seiner Heimat auf selbige Weise nasse Bruchwiesen in fruchtbares Land verwandelt werden, auf dem sogar Weizen gedeiht. Die Gräben auszuheben und den Aushub zu einer ebenen Fläche aufzustapeln war keine leichte und schnell zu erledigende Arbeit. So mancher zweifelte mehr oder weniger laut am Erfolg. Doch die Familien hatten keine Wahl, wollten sie im Winter ihr Geld nicht für völlig überteuertes Korn ausgeben. Dabei war es nicht einmal sicher, ob man ihnen, den lutherischen Ketzern, überhaupt etwas verkaufte. Auch die Heuernte war viel aufwändiger als in der alten Heimat. Trotz Sonne, reichlichem Wind und regelmäßigem Wenden trocknete das Schnittgut nur langsam. Damit das Heu auf dem feuchten Wiesenboden nicht noch zu modern begann, brachten es die Bauern auf höher liegende trockene Flächen. Eine ungemeine Plackerei, aber die einzige Möglichkeit, das Winterfutter vor dem sicheren Verderb zu retten.

Ausgerechnet in dieser arbeitsreichen Zeit gelang es dem aus der Heimat mitgebrachten Ziegenbock, aus dem Gatter zu entkommen. Die Frauen hofften, den Ausreißer schnell und ohne Hilfe der Männer einzufangen. Sie suchten das Seeufer, die Riedwiesen und die Felder ab, doch nirgends war auch nur ein einziger Hufabdruck zu entdecken. Das Tier konnte folglich nur in den Wald gelaufen sein. Und tatsächlich, auf einer sandigen Blöße entdeckten die Frauen frische Ziegentritte. Jetzt tat Eile Not, denn der Bock musste gefunden werden, bevor er in den Tiefen des Waldes verschwand. Die Frauen trennten sich. Uta suchte im mittleren Stück, einer mit Gestrüpp, Erlen und Birken bestandenen breiten Senke, die anderen auf und hinter den mit lichtem Kiefernwald bestandenen Hügeln. Anfangs hörten die Frauen noch gegenseitig das Rufen nach dem Tier. Doch bald schon verschluckte der Wald die Stimmen. Mit der Zeit ängstigte Uta die tiefe Stille, hatte sie doch in der Eile des Aufbruchs versäumt, ihre Heugabel mitzunehmen, die jede Frau neben sich zu stehen hatte, wenn sie auf dem Feld arbeitete. Mit den spitzen Zinken einer solchen Gabel konnte man Ratten und zur Not sogar Wildschweine vertreiben, aber auch zudringliches Gesindel auf Abstand halten. Sie brauchte wenigstens einen guten Knüppel. Nach einigen vergeblichen Versuchen gelang es ihr, einen stärkeren Birkenast abzubrechen. So ausgerüstet, suchte sie weiter. Die Angst wollte trotzdem nicht weichen, zumal sie auf dem feuchten Boden keinen einzigen Hufabdruck entdecken konnte. Als nach wiederholtem Rufen niemand antwortete, kehrte sie um.

Sie war schon ein Stück gegangen, als sie Ziegenmeckern zu hören glaubte. Und tatsächlich, nach mehreren Lockrufen antwortete das Tier. Kurz darauf entdeckte Uta den Ziegenbock inmitten eines Gestrüpps, sein Halsstrick hatte sich in den Ästen verfangen. Zu spät bemerkte sie, dass sich der Halsstrick des Böckchens nicht verheddert hatte, sondern verknotet war. Doch da wurde sie auch schon ergriffen und zu Boden geworfen. Die beiden Polen, der Kleidung und dem Aussehen nach keine Bauern, waren viel zu stark, als dass Uta ihnen hätte entkommen können. Der Zweite war bereits über ihr, als der andere ihm Einhalt gebot. In das reglose Verharren hinein hörte nun auch Uta das Rufen der Frauen. Sie wollte schon schreien, als ihr der Mund zugehalten wurde. Ihr wurde still zu sein bedeutet. Sie presste ihren Mund zusammen und nickte heftig. Die zwei Männer verschwanden daraufhin im Gesträuch. Als nichts mehr von ihnen zu hören war, begann Uta zu schreien und gleichzeitig ihre Sachen zu richten, denn niemand durfte von der ihr angetanen Schande erfahren. Die aus festem Leinen gewebte Bluse war heil geblieben. Der ältere der Polen hatte sich daran ergötzt, die gekreuzten Blusenschnüre langsam und ohne sie zu zerreißen, zu lösen. Umso derber und gieriger griff er nach ihren entblößten Brüsten. Während der Jüngere Uta festhielt, riss der andere deren Rock bis zum Bund auf und verging sich an ihr in brutaler Lust.

Aber wie sollte sie den Frauen ihren zerrissenen Rock und die blutverschmierten Schenkel erklären! In ihrer Angst stieß sie sich mit einem spitzen Ast mehrmals in den Oberschenkel, bis es ordentlich blutete. Vor Schmerz wären ihr beinah die Sinne geschwunden. Mit zitternden Händen riss sie einen Streifen Stoff aus dem Rock und umwickelte damit die Wunde. Sie war gerade fertig, als die Frauen sie fanden. Sie rissen noch zwei Streifen Rockstoff ab, um damit ein Verrutschen des Verbandes zu verhindern. Es wunderte keine, dass Uta vor Schmerzen kaum laufen konnte. Uta bat die Frauen, sie ohne großes Aufsehen nach Hause zu bringen, damit sie sich waschen, saubere Sachen anziehen und die Wunde behandeln und verbinden konnte. Erst dann sollte ihr Mann Martin benachrichtigt werden, denn er würde sicher sofort herbeieilen und sich, wenn er sie so zerzaust und blutverschmiert vorfände, unnötig sorgen. Nur wenige Schritte vor dem Haus wuchs der für die Wundauflage benötigte Breitwegerich, den die Frauen pflücken gingen, während sich Uta gründlich wusch.

Obwohl die Wunde noch gehörig schmerzte und ihr das Laufen sichtbar schwer fiel, verrichtete Uta bereits am nächsten Tag sämtliche Hausarbeit. Am vierten Morgen ging sie wieder mit den Frauen aufs Feld. Die Männer hatten inzwischen die Umfriedung des Gatters so hergerichtet, dass der Ziegenbock kein zweites Mal entwischen konnte. Einzig Martin ahnte, dass die schlimme Wunde am Schenkel seiner Frau nicht das ganze, ihr zugestoßene Unglück war, denn seitdem bäumte sie sich im Schlaf des Öfteren laut stöhnend auf und schlug wild um sich. Außerdem hatte er längst die vielen blauen Flecken und Kratzer auf ihrer Brust, dem Hals, sowie Armen und Beinen bemerkt, die sie vor ihm zu verbergen suchte. Zuerst wollte er sie zur Rede stellen. Doch bereits am nächsten Tag sah er davon ab. Das Geschehene ließ sich nicht rückgängig machen, und statt Erleichterung würde sein Fragen Verderben bringen. Die Mutter seiner beiden Töchter müsste dann zugeben, gesündigt und Schande auf sich geladen zu haben. Nach einem solchen Geständnis müsste er die Ehebrecherin aus dem Haus jagen. Was sollte dann aus ihm und den beiden Mädchen werden, hier in der Fremde? All ihre Hoffnung auf ein besseres Leben wären zunichte. Es heißt, eine Ehebrecherin folgt ihrer Fleischeslust. Die vielen blauen Flecken und Kratzer an Utas Leib bezeugten das Gegenteil, seiner Frau wurde Gewalt angetan und sie hatte sich gewehrt.

Später, wenn sie nachts nicht mehr so furchtbar schreit, wird er ihr sagen, dass sie in seinen Augen keine Schuld treffe. Das Geschehene müsse aber auf ewig ihr beider Geheimnis bleiben, denn die Menschen rechnen nur allzu gern fremde Sünde auf, um sich selbst zu erhöhen. Martin erinnerte sich an eine Geschichte in der Heiligen Schrift. Da heißt es, dass Jesus einer Ehebrecherin, die man vor ihn brachte und die dem Gesetz nach gesteinigt werden sollte, einzig das Versprechen abverlangte, nicht erneut zu sündigen. Und zu den Umstehenden, die schon Steine in den Händen hielten, sagte er, nur derjenige von ihnen, der ohne Sünde sei, habe das Recht, den ersten Stein zu werfen.

Wehrhafte Frauen

Kurz nach der Heuernte ergab sich die Notwendigkeit, die Felder nachts vor Wildschweinen und zweibeinigen Dieben zu schützen. Wachen wurden aufgestellt. Um den Soldaten im Ernstfall beim Nachladen der Musketen zu helfen, wurden die neuen Freibauern von den Infanteristen im Gebrauch der Feuerwaffen unterwiesen. Nach anfänglichem Zögern, schließlich dienen Waffen zum Töten und das verbietet das fünfte Gebot, gefiel den Männern ihre neue Wehrhaftigkeit. Im Ernstfall würden sie ja nicht vorsätzlich töten, sondern nur ihr eigenes Leben verteidigen. Und da die Infanteristen spätestens Ende Juli in ihr Warschauer Regiment zurückkehren müssen, hätten sie dann nur noch ihre Fäuste, Messer, Heugabeln und Sensen, um sich diebisches Gesindel vom Leib zu halten. Als auch Uta im Laden des Schießeisens unterwiesen werden wollte, führte das unter den Männern zu einer heftigen Auseinandersetzung. Die beiden Meißner bezweifelten die Gottgefälligkeit dieses Verlangens. Es könne nicht sein, dass eine Frau eine Waffe benutzt und gar einen Mann tötet, wo sie ihm doch nach den Gesetzen untertan sein soll. Uta ließ sich jedoch nicht abwimmeln. Sie entgegnete, dass Luthers Frau Katharina nie ohne einen kleinen Dolch im Gewand aus dem Haus ging. Der Reformator habe seine Frau sogar aufgefordert, sich bei tätlichen Übergriffen zu wehren. In der Heiligen Schrift heißt es, der Herr steht dem Schwachen bei. Aber nirgends stehe geschrieben, dass der Schwache ihm zugefügte Gewalt ohne Gegenwehr hinnehmen müsse. Der einzige, der sich ohne Gegenwehr sogar ans Kreuz nageln ließ, war Christus, und der tat das aus Gehorsam und zur Vergebung unserer Sünden. Dem hatten die Männer nichts entgegenzusetzen, denn keiner von ihnen hatte je die gesamte Heilige Schrift gelesen. Einen Pfarrer, den sie bezüglich dieser Sache fragen konnten, gab es höchstens in Warschau oder in der alten Heimat. Letztlich siegte die Erkenntnis, dass die Frauen dann bei der Feldarbeit nicht mehr von Männern begleitet werden müssten, sich sogar gegenüber berittenen Angreifern verteidigen könnten. Selbst wenn sie nicht träfen, das Abfeuern einer Muskete würde reichen, um solches Gesindel in die Flucht zu schlagen. Außerdem wäre der Schuss weithin zu vernehmen, und man könnte sofort zu Hilfe eilen. Die Musketen waren schon recht alt, umständlich zu laden und auch nicht besonders treffsicher. Trotzdem standen die Frauen bereits nach kurzer Zeit den Männern im Laden der Musketen und der Anzahl der Treffer nicht nach. Nur manchmal brachte sie die Wucht des Rückstoßes aus dem Gleichgewicht. Das weithin zu hörende Gedröhn der Schüsse ließen diebisches Gesindel einen großen Bogen um die kleine Siedlung machen. Besonders abschreckend wirkten sich jedoch die Geschichten aus, die polnische Fronbauern in den umliegenden Schenken über die bewaffneten Frauen erzählten. Die Frauen würden den Gewehrlauf zwischen die Zinken einer mit dem Stiel in den Boden gerammten Mistgabel legen und träfen dadurch so gut, dass sie sogar einen heranstürmenden Reiter vom Pferd holen könnten. Eine Geschichte, über die im Dorf lauthals gelacht wurde. Beim Abzug der Soldaten erhielt jede Familie zwei Musketen und dazu eine größere Menge Pulver sowie Kugeln. Die Infanteristen hätten ihnen gern sämtliche Musketen überlassen, um die alten Waffen nicht noch bis Warschau schleppen zu müssen. Dort sollten sie mit neuen Suhler Gewehren ausgestattet werden.

Vom Säen und Ernten

Anfangs hatte es Minister Flemming nicht gefallen, dass das erworbene Land weitab des königlichen Hofes lag. Doch nur in einer so dünn besiedelten Gegend gab es ausreichend Platz für eine neue Siedlung. Es war sogar so viel Platz, dass Flemming den miterworbenen Leibeigenen und Fronbauern gestattete, auf ihren ärmlichen Anwesen wohnen zu bleiben und diese weiterhin zu bewirtschaften. Die üblichen Frondienste sowie Hand- und Spanndienste leisteten sie nun unter Aufsicht und zum Nutzen der nach polnischem Recht neu ernannten sächsischen Freibauern. Das Herbeischaffen von Feldsteinen für die Fundamente der zu errichtenden Häuser gehörte zu ihren ersten großen Aufgaben. Durch die gemeinsame Arbeit gewöhnte man sich schnell aneinander. Die in ihrem protestantischen Glauben verankerte Milde gegenüber Bedürftigen wirkte zudem als Friedensstifter, verbot diese doch, die an der Gemeinschaftsküche der Lutheraner um Essen bettelnden Kinder, wie auf polnischen Höfen üblich, mit Stockschlägen zu vertreiben. So entstanden innerhalb kürzester Zeit unter den Kindern erste Freundschaften. Vor allem die größeren Mädchen machten sich nützlich, wo immer sie konnten. Schließlich bekamen sie dafür auch gutes Essen. Und ganz nebenbei lernte jeder ein wenig die Sprache der anderen.

Bereits während des Sommers offenbarte sich die Fruchtbarkeit der urbar gemachten Bruchwiesen. Die eigentlich viel zu spät gesäten Rüben waren inzwischen ebenso groß, wie die schon Anfang Mai auf sandigem Trockenboden ausgebrachten Samen. Das war genug Ansporn, noch einen weiteren Streifen Riedwiesen herzurichten. Dieses Tun wurde von den polnischen Bauern und Tagelöhnern misstrauisch betrachtet, grenzten die Wiesen doch ans Moor, und in dem hausten böse Geister. Letztlich besiegte die Aussicht auf einen guten Verdienst ihre Angst vor dem dunklen Wasser, das sich in den die kleinen Felder umgebenden Gräben sammelte und in dem Hunderte Blutegel darauf lauerten, sich an nackten Beinen festzusaugen. Diese Quälgeister waren nicht die einzige Plage, die das Wasser beherbergte. Immer mehr Mücken entstiegen der von der glühenden Sommersonne aufgeheizten Feuchte, bildeten bei Sonnenuntergang bis in den Himmel ragende, silbergrau schwirrende Säulen. Auch diesmal keimten auf den hergerichteten Flächen die Saaten innerhalb weniger Tage, wuchsen die kleinen Pflänzchen mit solcher Schnelle, dass man beinah zusehen konnte. Wenn der Winter nicht allzu früh hereinbräche, könnten selbst die erst Ende August ausgesäten Steckrüben noch eine gute Ernte bringen.

Gottes Wohlgefallen schien auf all ihrem Tun zu liegen, denn jedes in den Boden gebrachte Korn trug schwer an reicher Frucht. Buchweizen, Linsen, Ackerbohnen, Kohl, Kürbisse, Erdbirnen, Hafer, Gerste und auch die Tartuffli, die man besonders sorgsam hegte und pflegte. Einzig ein kleiner Flecken Weizen, den man auf die entwässerte Fläche gesät hatte, kümmerte und musste im Spätherbst unreif geschnitten werden. Es war Aufgabe der Kinder, die halbreifen Körner aus den Ähren zu rubbeln. Damit die feuchten Körner nicht verdarben, wurden sie im Backofen getrocknet. Geschrotet und in der Pfanne angeröstet, bereicherten sie die tägliche Buchweizengrütze aufs Köstlichste. Die Sachsen fühlten sich schon bald wie im biblischen Gleichnis vom reichen Kornbauern, der größere Scheunen errichten musste, um die Ernte sicher zu lagern. Sie wussten aber auch, dass die Winter in der neuen Heimat länger, kälter und schneereicher waren als im Elbtal. Und sie konnten nicht einschätzen, ob es während des Winters bezahlbares Mehl zu kaufen gab. Wegen dieser Ungewissheit wurden die Vorräte sorgsam gehütet und die Portionen zu den Mahlzeiten klein gehalten. Kurz vor Weihnachten fielen Wildschweine über die letzten im Boden verbliebenen Erdbirnen her. Der Hunger der Tiere war so groß, dass sie sogar wiederkamen, obwohl die Bauern auf sie geschossen und ein ausgewachsenes Schwein und einen Läufer erlegt hatten. Das war genug Fleisch, um sich ordentlich satt zu essen.

Im Verlauf des Winters kam es in den Familien der polnischen Tagelöhner, die in den umliegenden Wäldern hausten, zu einer großen Hungersnot. Die Angst um ihre Kinder und der Schmerz des eigenen Hungers trieb sie bettelnd vor die Häuser der sächsischen Ketzer. Die Gewissheit, andernfalls zu verhungern, war größer als ihre Furcht, sich an den Brosamen dieser Gottlosen zu versündigen. Aus der ihnen von Kindesbeinen an gepredigten Nächstenliebe gegenüber Bedürftigen überließen die Lutheraner den Hungernden nicht nur ihre Abfälle, sie teilten sogar ihr eigenes Essen.

Trotz ihres Hungers aßen die Polen jedoch nur wenige Löffel des gelblichen Breies, den die Sachsen aus fast faustgroßen bräunlichen Knollen kochten. Die Furcht vor der unbekannten Speise schwand erst, als sie sahen, dass ihre Kinder, die den Brei gierig verschlangen, diesen gut vertrugen und alsbald wieder zu Kräften kamen. Zum Glück verhinderten die unzureichenden Sprachkenntnisse sämtliche Missionierungsversuche seitens der Lutheraner, war ihnen doch das Erlernen dieser unaussprechlichen Zischlaute, die eine Sprache sein wollten, mehr Gräuel als Notwendigkeit. Dagegen verstanden und sprachen die Kinder bereits nach wenigen Monaten die jeweils fremde Sprache. Vor allem die polnischen Kinder, die schnell herausfanden, dass eine auf Deutsch vorgetragene Bitte höchst selten abgeschlagen wurde.

Die eingelagerten Vorräte waren so reichlich, dass die Bauern im Verlauf des Winters etliches an Wurzelgemüse und Hülsenfrüchten auf dem nahen städtischen Markt verkaufen konnten. Eine unerwartete Einnahme, die sie ihrer Sparsamkeit und den hier unbekannten Tartuffli zu verdanken hatten. Die Sachsen hatten sich inzwischen an diese Erdfrüchte gewöhnt, die sich nicht nur schnell zubereiten ließen. Ernte und Lagerung waren einfacher als beim Getreide, das Schimmel und Kornkäfer schnell vernichteten. Zur Lagerung der Tartuffli genügte der Kriechkeller. Und besaß man keinen Keller, genügte eine Miete wie für Rüben. Nur den Mäusen musste der Zugang zu den nahrhaften Früchten verwehrt werden. Die wegzufangen war Aufgabe der Katzen. Nahmen die Nager trotzdem überhand, stellten die Bauern besonders wirksame Fallen auf. Flache, bis handbreit unter dem Rand mit Wasser gefüllte Tröge, in denen ein mit einem dünnen Speckstreifen umwickeltes Rundholz schwamm. Hatte die Maus den Sprung auf die schwimmende Speckinsel gewagt, dauerte es nicht allzu lange, bis das Tierchen entkräftet von dem sich ständig drehenden Holz glitt und ertrank.

In den ersten Frühlingstagen überfiel eine mit Messern und Äxten bewaffnete Meute ausgehungerter Landstreicher das Dorf. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass die Bauern Schusswaffen besaßen und treffsicher damit umgehen konnten. Der für die Angreifer mit bösen Verletzungen und Verlusten endende Überfall sprach sich schnell herum. In der Folge wurde die Siedlung von umherziehendem Gesindel weiträumig umgangen. Zum Glück für die Siedler, denn die beschlossen, nie wieder auf Menschen zu schießen, verstießen sie doch damit gegen Gottes fünftes Gebot. Ihren Seelenfrieden rettete, dass die tödlichen Kugeln keinem der fünf Schützen eindeutig zugeordnet werden konnten.

Das Gemeindehaus

Seit ihrer Ankunft feierten die Bauern den sonntäglichen Gottesdienst reihum in ihren Häusern. Eine Notlösung, die auf Dauer nicht hinnehmbar war, denn in der Enge der Stuben stellte sich nur selten die zu Andacht und Gebet gebotene Stille ein. Noch während des Winters schlugen die Männer deshalb etwa sechzig große, gut gewachsene Kiefern, um daraus die zum Bau eines Bet- und Gemeindehauses erforderlichen Balken zu zimmern. Auch wenn sie aus Dankbarkeit und zum Lobpreis ihres Gottes gern eine richtige Kirche mit Turm und Geläut gebaut hätten, verspürten sie Stolz und Genugtuung, als zu Christi Himmelfahrt des Jahres 1699 die erste Andacht im neuen Gemeindehaus gefeiert werden konnte.

Noch schöner wäre es gewesen, hätten sie den mit Blumen umkränzten Altartisch mit einem edlen Kreuz schmücken und aus einem geweihten Abendmahlskelch trinken können. Diese für die kleine Gemeinde so außerordentlich wichtigen Preziosen zu stiften hatte Christiane Eberhardine zugesagt, damals noch als protestantische Kurfürstin. Inzwischen polnische Königin, wollte sie ihren Lutheranern sogar einen Kantor schicken, damit die Kinder der kleinen Gemeinde im Lesen und Schreiben unterrichtet und im rechten Glauben erzogen würden. Die Kurfürstin hielt ihr Wort. Kurz vor Pfingsten brachte ein Kurier ein silbernes Altarkreuz, dazu Leuchter und den Abendmahlkelch. Eine wunderschön bebilderte Hauspostille mit den Predigten des Reformators vervollständigte die wirklich fürstliche Gabe. Nur der Kantor kam nicht mit, er sollte erst zum Spätherbst eintreffen.

Ein Spinett gehörte nicht zu dieser Spende, die sächsischen Umsiedler bestellten es bei einem Händler. Es war kein großes Ärgernis, dass man dieses Instrument mit vier Monaten Verspätung lieferte. Sie nutzten die Verzögerung, um den Preis um etliche Taler herunterzuhandeln. Den Kindern war das Ausbleiben des Kantors recht. Obwohl sie überall mit zupacken mussten, blieb ohne ihn immer noch reichlich Zeit zum Spielen und Toben. Der Kurfürstin von Sachsen und Polnischen Königin fehlte das Geld, um dem Mann die Reisekosten und wenigstens einen Teil seines Jahresgehaltes zu zahlen. Ihr Gatte, der Kurfürst von Sachsen und König von Polen, hatte ihr die Apanage gekürzt, da sich Christiane-Eberhardine ihres Seelenheils wegen weigerte, ihren Gatten an den katholischen Warschauer Königshof zu begleiten.

Der König ärgerte sich nur kurz über die Widerborstigkeit seiner Gattin und ihren anmaßenden Wunsch, in Warschau öffentlich protestantische Gottesdienste abhalten zu dürfen. Außer der Gelegenheit zur Kürzung ihrer Gelder nutzte er ihre politische Unvernunft, um sich die schöne Ursula Katharina Lubomirska, eine aus dem polnischen Hochadel stammende Katholikin, zur Mätresse zu nehmen. Die junge Frau verstand es, den König so zu umgarnen, dass August ihr gänzlich erlag und sie mit Schmuck und Geschenken überhäufte. Als die Kosten dieser Aufmerksamkeiten den königlichen Geldbeutel überforderten, bediente er sich überaus großzügig aus der Schatulle seiner Gattin, sodass diese kaum noch genug Geld besaß, um wenigstens die allernotwendigsten Ausgaben ihrer Dresdner Hofhaltung zu bezahlen.

Königlicher Besuch

Im Herbst des Jahres 1699 überredete Flemming seinen König während einer Truppeninspektion zu einem kleinen Abstecher, er versprach ihm eine Überraschung. Nachdem August in Piotrków Trybunalski gut geschlafen und gefrühstückt hatte, erreichte die Reisegesellschaft am frühen Nachmittag die in violetter Pracht blühende Heide. Flemmings Versicherung, ihm etwas ganz Besonderes zeigen zu wollen, versetzte den König in gute Laune. Er liebte Überraschungen, vor allem die der amourösen Art. Doch das, was ihm sein Minister wenig später in einer mit Blumen und Girlanden geschmückten Scheune präsentierte, war etwas ganz anderes als ein Schäferstündchen mit einer in Liebesdingen unerfahrenen ländlichen Jungfer. Auf einem Teppich frisch geschnittenen Grases standen fünf große Tragekörbe, randvoll gefüllt mit kinderfaustgroßen Erdäpfeln. Zwischen den Körben wohlgerundete gelbe Kürbisse, flankiert von Krügen mit Blumen und Säckchen voller Erbsen, Linsen und Weizen. Hinter dem Grasteppich standen im Sonntagsstaat die fünf Familien. Zuvorderst die Kinder, dahinter in tiefster Verbeugung deren Eltern. Während die Kinder nicht an sich halten konnten und trotz strengstem Verbot von unten her wenigstens einen kurzen Blick auf die herrschaftliche Gesellschaft wagten, standen die Alten wie versteinert in ehrfürchtiger Untergebenheit. Sie sahen nur die von Spitzenborten umspielte Hand, an deren fleischigen Fingern mit Edelsteinen besetzte Ringe glänzten. Die Hand griff nach einem Erdapfel, wägte ihn prüfend und legte ihn zurück in den Korb. In einem Anfall von Großzügigkeit entnahm August seiner Börse einige Silbermünzen und reichte sie der kleinen Martha, Utas ältester Tochter, mit dem Auftrag, sie unter allen Kindern gerecht zu verteilen. Seiner Majestät schmeichelte die Treue und Ergebenheit seiner sächsischen Bauern, die für ihn ihre Heimat verlassen hatten. Er wies Flemming an, jeder Familie einen sächsischen Goldgulden mit seinem Antlitz zukommen zu lassen.

Bereits zwei Tage vor dem hohen Besuch war einer der Hofköche samt drei Gehilfen ins Dorf gekommen, um die Beköstigung der königlichen Reisegesellschaft vorzubereiten. Aus Warschau mitgebrachte Pasteten und kleine Kuchen wurden inzwischen, des befürchteten Verderbs wegen, im kühlen Kellergelass der Gemeinschaftsküche verwahrt. Ein Spanferkel sowie verschiedenes Federvieh und Fisch wurden an Ort und Stelle zubereitet. Die Küche und das neue Gemeindehaus reichten kaum aus, um dem Wirken der Köche genügend Platz zu geben. Mitten auf dem Dorfplatz, unter einem riesigen Baldachin, wurde die Tafel eingedeckt, an der sich der König und die kleine Reisegesellschaft ausgiebig stärkten. Obwohl der Hofkoch die meisten Pasteten und süßen Kuchen wieder einpacken ließ, blieben noch so viele Speisen zurück, dass es vier Tage dauerte, bis auch der letzte Rest aufgegessen war. Der hohe Besuch hinterließ den Lutheranern nicht nur ein paar Goldstücke und die Vorstellung von der Fülle der herrschaftlichen Tafel, er stärkte auch ihr Selbstvertrauen. In ihrer alten Heimat hätten sie nur in der hintersten Reihe stehen dürfen, selbst wenn die königliche Kutsche lediglich durchgefahren wäre. Die ihnen zuteil gewordene Ehre war so unfassbar, dass sie lange überlegten, ob sie darüber nach Sachsen berichten sollten. Man würde es ihnen wahrscheinlich nicht glauben und sie für Aufschneider oder sogar Lügner halten. Doch dann siegte der Stolz, und sie beschrieben in ihren Briefen nicht nur das Aussehen und die Erhabenheit des hohen Besuchs, sondern auch die Vielfalt und den Geschmack der zurückgelassenen Speisen. Nur die Goldstücke verschwiegen sie, um nicht irgendwelche Hungerleider anzulocken.

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