Kitabı oku: «Taubenblut. Die Siedler», sayfa 3
Die sächsischen Freibauern aßen auch sonst öfter Fleisch als ihre Nachbarn, kleine polnische Landadelige. Diese hatten das durch den Landverkauf eingenommene Geld längst durchgebracht und versoffen. Selbst ihr Äußeres war zur alten Schäbigkeit zurückgekehrt. Sie reihten sich wieder ein in die große Menge derer, deren adelige Abstammung einzig am Schwert erkennbar war, das sie als Zeichen ihres Standes trugen. Doch nicht nur seines ärmlichen Äußeren wegen bezeichneten Magnaten diesen niederen Landadel als Bettlerhaufen und behandelten ihn entsprechend herabwürdigend. Den Hochadel widerte es an, dass diese großmäuligen Habenichtse außerstande waren, ein Schriftstück zu lesen oder zumindest ihren Namen zu schreiben.
Der sichtbare Wohlstand der Lutheraner, ihr Bildungsbestreben sowie die Sauberkeit und Ordnungsliebe riefen alsbald übelste Missgunst hervor. Fühlte sich ein betrunkener polnischer Schlachtschitz stark genug oder waren es sogar ihrer mehrere, dann ritten sie über die bestellten Felder, zerstörten die Überläufe der Entwässerungsgräben und schossen oder stachen ab, was ihnen an Wild oder Vieh über den Weg lief. Selbst die Bienenkörbe wurden mit kräftigen Schwerthieben regelrecht hingerichtet. Was jedoch keiner der übermütigen Trunkenbolde für möglich hielt, die Freibauern erstatteten auf dem Amt von Piotrków Trybunalski Anzeige, wobei sie die Übeltäter benannten und deren Untaten schilderten. Als die Beschuldigten vom Richter befragt wurden, schworen sie beim Bildnis der Schwarzen Madonna von Czestochowa, ihr Land nie und nimmer an die lutherischen Ketzer verkauft zu haben. Ein Meineid, wie sich schnell herausstellte, denn der Verkauf des Landes hinter dem großen See war ordnungsgemäß im Kataster eingetragen. Der Gerichtsdiener brachte außerdem eine Landkarte, auf der jemand die Gesamtheit der verkauften Einzelstücke mit dicken Strichen umrandet und in ungelenken Buchstaben mit »Pan Przebendowski« und »Wierzeje« beschriftet hatte. Um ihren Hals zu retten, behaupteten die Befragten, von den Aufkäufern bei einem Gelage betrunken gemacht worden zu sein und deshalb nichts mehr vom Verkauf zu wissen. Und wenn sie tatsächlich Geld erhalten hätten, wäre es so wenig gewesen, dass sie es im Nachhinein am Gewicht ihrer Börse nicht wahrnehmen konnten. Der Richter, ein vermögender Grundherr, den das Gejammer dieser armseligen Schlachtschitze sichtlich anwiderte, ermahnte sie daraufhin, sich nicht mehr so zu besaufen und zukünftig die Grenzen des neuen Gutes zu beachten. Als wenig später an zwei Wohnhäusern und am Gemeindehaus Feuer gelegt wurde, bat Flemming seinen polnischen Schwager, den Großschatzmeister Przebendowski, um Hilfe. Der ließ sich nicht lange bitten, schließlich handelte es sich um fehlenden Respekt vor hochherrschaftlichem Besitz. Die Hauptübeltäter, die sich im Wirtshaus sogar damit brüsteten, den Ketzern den Roten Hahn aufs Dach gesetzt zu haben, setzte man fest. Das Strafmaß sollte abschrecken und war entsprechend hoch. Der Anführer wurde zu mehrjähriger Kerkerhaft verurteilt, die anderen zu Zahlungen an die königliche Schatulle. Danach zog Ruhe ein. Nur ab und an wurde etwas von den Feldern gestohlen. Kleinigkeiten, derentwegen sich niemand aufregte.
Trotz dieser Widrigkeiten hatte sich das Vieh prächtig vermehrt. Um die zwanzig Schweine, eine Milchkuh, ein junger Ochse und etliches an Schafen und Ziegen konnten gegen gutes Geld verkauft werden. Nur mit dem Geflügel wollte es nicht gelingen, Fuchs und Marder bissen alles Flatternde tot. Einzig die Tauben überlebten, denn deren Häuser standen auf hohen mit Bleiblechen umschlagenen Stämmen, an denen jeder pelzige Kletterer abrutschte. So mancher fette Jungvogel landete im Kochtopf.
Im dritten Erntejahr beschäftigten die Sachsen erstmals polnische Tagelöhner. Ihren Glaubensgrundsätzen verpflichtet, verpflegten und bezahlten sie die Leute bedeutend besser als auf polnischen Gütern. Im Gegenzug wurde sauber und schnell gearbeitet und kaum etwas gestohlen.
Steinmetz und Schmied
Im Gefolge einer nach Reval ziehenden sächsischen Kompanie kamen kurz nach Erntedank zwei weitere Familien samt sieben Kindern ins Dorf. Beide Familien stammten aus Adorf, einer kleinen Stadt im sächsischen Vogtland. Einer der Männer war Steinmetz, der andere Schmied. Unter ihrer Anleitung sollten massive Speicher gebaut werden, die sich nicht mit einem Talglicht oder Kienspan in Brand setzen ließen.
Obwohl der junge Steinmetzgeselle Wolfgang Neumann, drittgeborener Sohn des Steinmetzen Walter Neumann, sein Handwerk bestens beherrschte und in seiner Heimat allseits gelobt wurde, behandelte ihn sein Vater oft schlechter als die anderen Gesellen und zahlte ihm nur einen geringen Lohn. Im Frühsommer des Jahres 1700 beauftragte er ihn, an einem Oelsnitzer Gasthof mehrere stark verwitterte Giebelsteine durch neue zu ersetzen. Während der Arbeit bemerkte Wolfgang, dass ein vornehmer Herr längere Zeit sein Tun beobachtete. Als er zum Feierabend in die Wirtsstube kam, sprach ihn der feine Herr an, fragte nach seiner Ausbildung, der Herkunft und Familienstand und ob er eine gut bezahlte Stelle nahe Warschau annehmen wolle. Die Kosten für den Umzug, den neuen Hausstand und die Werkstatteinrichtung trage der Dienstherr. Und ein stattliches Handgeld gebe es obendrein. In einer Woche sei er wieder hier, bis dahin solle er sich die Sache überlegen. Ein Schmied, der mit ihm gemeinsam die Reise nach Polen antreten würde, habe sich bereits gefunden.
Bei der Ankunft der beiden Familien im Dorf stellte sich zwar heraus, dass die neue Steinmetzwerkstatt und auch die Schmiede sowie beide Wohnhäuser erst noch gebaut werden mussten und Warschau viel weiter weg lag als geschildert, doch die überaus freundliche Aufnahme in die dörfliche Gemeinschaft machte diese Misslichkeit erträglich, zumal das zur Errichtung der Gebäude erforderliche Geld tatsächlich in der nahen Stadt Piotrków Trybunalski bereitlag. Und letztlich war es sogar von Vorteil, Haus und Werkstatt nach den eigenen Wünschen und Vorstellungen errichten zu können. Ein Zurück nach Adorf kam für den jungen Steinmetz sowieso nicht infrage. Hier stand er endlich nicht mehr unter der Fuchtel seines Vaters, hier galten allein sein Wort und seine Arbeit. Das Allerwichtigste war jedoch, hier redete niemand von seiner Frau Isolde als einer Hergelaufenen, die wer weiß was am Stecken hätte, denn ganz grundlos wäre ihre Mutter wohl nicht hingerichtet worden. Dass die Frau des Steinmetzen Hebamme war, erfuhren die Dörfler erst, als sich beim fünften Kind einer Meißner Bäuerin die Nachgeburt nicht löste.
Die junge Hebamme stammte aus dem katholischen Bistum Bamberg. Kurz nach ihrer Firmung wurde ihr Vater bei einer Treibjagd erschossen. Ihre Mutter, ebenfalls Hebamme und Heilerin, wurde zwei Jahre später von eifersüchtigen Weibern der Hexerei bezichtigt. Die der peinlichen Befragung dienenden Verhöre hatte sie nicht überlebt. Für das Gericht die Bestätigung, dass sie tatsächlich mit Satan im Bunde stand. Als Hexenkind schor man der kleinen Isolde die Haare und brachte sie zu einem Bauern, der sie an die Kette legte und zu den Schweinen sperrte. Zwei Jahre ernährte sie sich aus den Trögen der Tiere, dann gelang ihr die Flucht. Trotz ihrer Jugend war ihr bewusst, dass sie unbedingt protestantisches Gebiet erreichen musste, um nicht an die katholischen Häscher verraten und erneut eingesperrt zu werden. Voller Angst verbrachte sie weitere zwei Jahre in den Wäldern, bis sie nahe Adorf aufgegriffen und ins Pfarrhaus gebracht wurde. Unter der Obhut des Pfarrers konvertierte sie zum Protestantismus und wurde konfirmiert. Hier lernte sie auch Wolfgang kennen. Dessen Vater hatte der Ehe seines Sohnes mit dem Ziehtöchterchen des Herrn Pfarrers nur zugestimmt, um nicht die guten Aufträge der Pfarreien zu verlieren. Eigentlich wollte Isolde nach all dem früher Erlebten nie wieder einen Fuß auf Jesuitenland setzen. Doch das großzügige Handgeld sowie die Aussicht auf eine eigene Werkstatt ihres Mannes waren zu verlockend.
Die Ankunft des Schmiedes entlastete die Bauern erheblich. Bisher mussten sie zum Beschlagen der Pferde oder wegen der Reparatur eines Pfluges oder anderer Geräte eine polnische Schmiede am Stadtrand von Piotrków Trybunalski aufsuchen. Um den verhassten Evangelischen zu schaden, zögerte der dortige Schmied dringende Reparaturarbeiten oft absichtlich hinaus und verlangte zudem noch überhöhten Lohn.
Anfang Dezember, der Frost war schon tief in den Boden gedrungen, begannen die Bauern mit dem Fällen und Entästen der zum Bau der Speicher benötigten Bäume. Kurz vor Weihnachten, als endlich stärkeres Eis die schwarzen Moorgewässer überzog, konnten sie die ersten Stämme aus dem sumpfigen Gelände bergen. Nachdem die Sachsen einen besonders schweren Eichenstamm mit zwei Pferden im Vorspann und ohne einzubrechen auf sicheren Boden gezogen hatten, wagten sich auch die Tagelöhner aufs Eis, ohne deren Hilfe die Arbeit in der von der Jahreszeit vorgegebenen Zeit nicht zu schaffen gewesen wäre. Spätestens Anfang Februar musste man fertig sein, denn ab Lichtmess nahm die höher stehende Sonne dem Eis die Festigkeit, und das Moor gewann seine Heimtücke zurück. Einen versinkenden Menschen könnte man vielleicht noch retten, doch die kostbaren Pferde wären verloren. Nun mussten die rohen Stämme noch zu ordentlichen Balken geschlagen werden. Obwohl sich die Bauern nach Kräften mühten, wollte keinem von ihnen die Arbeit mit dem Beil so recht von der Hand gehen. Sie waren eben Bauern, und so wurde beschlossen, drei Zimmerleute aus der nahen Stadt mit dem Zuschlagen der Balken zu beauftragen. Außerdem hatte inzwischen die Schneeschmelze eingesetzt, das hieß, die Feldarbeit hatte Vorrang. Mit der Frühjahrsbestellung ging es zügig voran. Es war eine Freude, die Felder mit den vom Schmied reparierten und frisch geschärften Pflügen zu bearbeiten. Und es war eine noch größere Freude, die Saaten und die Tartuffli in den feinkrümeligen, sonnenwarmen Boden einzubringen. Auch in diesem Frühjahr vergrößerten die Bauern die fruchtbare Anbaufläche durch weitere Entwässerungsgräben. Bereits Ende Mai war das erste Stück trocken genug, um Hammelmöhren und Bohnen auszusäen. Nur wenige Tage später durchbrachen die kräftigen Keime der Bohnen den dunklen Boden und zeichneten mit ihrem leuchtenden Grün den Verlauf der Reihen.
Noch vor der Heumahd begannen die Sachsen mit dem Bau des ersten Speichers. Unter Anleitung der städtischen Zimmerleute wurden die Deckenbalken gelegt und die Sparren aufgesetzt, die mit gebrannten Dachsteinen belegt wurden. Zufriedenheit erfüllte die Dörfler, auf solchen Steinen und dem eichenen Gebälk würde der Rote Hahn nur schwer aufsitzen können. Nun musste nur noch das schwere Tor in die Angeln gehoben werden. Dazu war es allerhöchste Zeit, denn der Weizen leuchtete inzwischen goldgelb und musste gemäht und eingebracht werden.
Nach der Getreideernte sollte mit dem Hausbau für den Schmied Ewald und den Steinmetz Wolfgang begonnen werden, wohnten doch beide Familien seit ihrer Ankunft recht beengt im Gemeindehaus. Die Bauern wollten schnell zu bauende Holzhäuser errichten wie die ihrigen, womit der Schmied jedoch nicht einverstanden war. Allein der Funkenflug, den ein kräftiges Schmiedefeuer verursache, könne ein hölzernes Haus in Brand setzen. Und es nütze auch wenig, wenn Schmiede und Wohnhaus durch eine Steinwand getrennt wären.
Der Steinmetz bestand ebenfalls auf einer gemauerten Bleibe. Schon seines Berufes wegen würde er sich mit einem Holzhaus der Lächerlichkeit preisgeben. Und er wollte seine Familie nicht der ständigen Angst vor Brandstiftung aussetzen, schließlich wurden deswegen auch die massiven Speicher gebaut. Wichtige Gründe, denen sich die Bauern nicht verschließen konnten, zumal der Schmied ihnen noch weitere aufzählte. So standen die Häuser derart dicht aneinander, dass ein gut gelegter Brand alles erfassen und vernichten würde. Außerdem ärgerte es Ewald, dass kaum einer der Bauern seinem Rat nachkam, innerhalb eines jeden Hauses einen großen Bottich Wasser vorzuhalten. Woher, in Gottes Namen, wollten sie Löschwasser nehmen, wenn ein Brandstifter das Brunnenseil kappte? Ehe sie vom See Wasser herbeitrügen, wäre alles niedergebrannt. Deswegen schlug der Schmied vor, nach und nach alle Holzhäuser durch steinerne zu ersetzen.
Dieser Vorschlag traf auf offene Ohren, ging es doch in den kleinen Holzhäusern inzwischen recht beengt zu. Die Kinder waren nicht nur größer, sondern ihrer auch mehr geworden. Und wie in der sächsischen Heimat, würde es in den neuen Häusern eine gemauerte Wand zwischen Stube und Stallungen geben. Und einen richtigen Keller anstatt der kleinen muffigen Grube unter dem Küchenfußboden, an deren Grund sich ständig Wasser sammelte. Würden die neuen Häuser außerdem nicht so dicht am See und mit mehr Abstand zueinander gebaut, wäre auch Platz für Gärten, in denen Kräuter, feines Gemüse und wohlschmeckende Beeren geerntet werden könnten. Mit der Aussicht auf einen großen Hausgarten gewann Ewald die Frauen. Auch wenn diese nur wenig zu bestimmen hatten, um des häuslichen Friedens willen billigten die Familienoberhäupter letztlich des Schmiedes Vorschläge.
So kam es, dass die neuen Häuser nicht nur weiter ab von den Riedwiesen, sondern mit beträchtlichem Abstand voneinander gebaut wurden. Die zum Bau benötigten Steine und Ziegel ließen sich die Bauern durch Frondienste, aber auch von Tagelöhnern herbeischaffen. In den vergangenen zwei Jahren hatten die Familien mit dem Verkauf von Vieh, Feldfrüchten und Weizen gut verdient und ordentlich Geld zurücklegt, das nun zum Hausbau genutzt werden konnte. Dabei hatte jeder einzelne den Ehrgeiz, auch weiterhin so viel zu erwirtschaften, dass das sicher verwahrte Umsiedlungsgeld nicht hervorgeholt werden musste. Es entbrannte ein regelrechter Wettstreit, wer als Erster die für die Fundamente benötigten Feldsteine beisammen hatte.
Mitte November bezog der Schmied sein neues, direkt an die Schmiede grenzendes Wohnhaus. In sicherem Abstand waren noch ein Wagenschuppen, eine Scheune und ein Stall errichtet worden. Genug Platz für zwei Kühe, fünf Schweine und etwas Geflügel. Mehr Getier brauchte der Schmied nicht, um nicht darben zu müssen. Das notwendige Futter und den Familienbedarf an Weizen und Kartoffeln lieferten die Bauern als Gegenleistung für Schmiedearbeiten. Den ganzen Winter über tönte das helle Klingen der Schmiedehämmer, denn außer Steinen und Balken wurden für die neuen Gebäude auch unzählige Kleinteile wie Nägel, Verbindungseisen und Türbänder benötigt. Ewald hatte zwei junge Tagelöhner als Zuschläger angelernt. Die beiden Polen saßen zu den Mahlzeiten mit an seinem Tisch und übernachteten in einem extra hergerichteten Verschlag im Stall. Es wäre viel zu gefährlich, die Halbwüchsigen in der Dunkelheit durch die Wälder laufen zu lassen, zumal sie zu Hause kein so reich gedeckter Tisch und keine frische Strohschütte erwartete. Der weite Weg würde außerdem Kraft kosten, die ihnen dann bei der Arbeit fehlte. Um das Ziehen des Blasebalges stritten sich die Dorfkinder nicht nur wegen des mit Fett bestrichenen Brotrandes, den sie dafür erhielten, sondern hauptsächlich wegen der magischen Anziehungskraft des Funken sprühenden Schmiedefeuers. In seiner Nähe ließen sich gruselige Geschichten, die jedes der Kinder gehört oder sogar erlebt zu haben vorgab, besonders glaubwürdig vermitteln. Einige der größeren Jungen gingen viel lieber in die Schmiede helfen als zum Unterricht. Sie hofften, sich dadurch soweit anzudienen, dass sie der Schmied als Lehrling annahm, sah doch das Pingpong der Hämmer auf dem glühenden Eisen so spielend leicht aus, und außerdem war ein Schmied ein geachteter und ob seiner Kraft auch gefürchteter Mann.
Keiner der Umsiedler hatte beim Verlassen der alten Heimat geglaubt, so schnell einen so reich gefüllten Speicher sein eigen nennen zu können. Sie hatten hart gearbeitet. Nichts war ihnen in den Schoß gefallen. Dennoch empfanden sie den erreichten Wohlstand als eine Gnade Gottes und weltlichen Lohn für ihr gottesfürchtiges Leben. Bisher war keiner von ihnen ernsthaft erkrankt, verunglückt oder gar gestorben. Das Vieh gedieh und vermehrte sich. Auf den Feldern reifte eine solche Fülle, dass die Vorratskammern und Keller nach der Ernte beinah überquollen. Allem voran die Erdäpfel, die die Umsiedler im ersten Winter vor dem Hunger bewahrt hatten und die selbst auf kargem Sandboden, auf dem Weizen nur kümmerte, zufriedenstellend gediehen. Bei den Erdäpfeln musste man nicht fürchten, dass kurz vor der Reife ein Blitz oder ein böser Nachbar das Feld in Brand setzte und alles vernichtete. Das Wichtigste war jedoch, es kam kaum noch zu Übergriffen seitens des polnischen Landadels. Man hatte sich aneinander gewöhnt und begegnete sich mit viel weniger Misstrauen. Nur der im Herbst 1699 eingetroffene Kantor kam in der Fremde nicht zurecht. Kurz nach Ostern des Folgejahres war er plötzlich verschwunden.
Das schwedische Heer
Im Sommer des Jahres 1702 marschierte das schwedische Heer unter seinem jungen König Karl XII. auf dem Weg nach Dresden, nur wenige Meilen entfernt am Dorf der sächsischen Lutheraner vorbei. Der See, das ihn umgebende Moor und die nach einem verregneten Frühsommer großflächig überfluteten Flussniederungen waren für Reiterei und Infanterie unpassierbar. Die feindlichen Truppen blieben auf den großen Straßen, um sich nicht unnötig den Attacken versprengter Reste der geschlagenen sächsischen, russischen und österreichischen Truppen auszusetzen, die sich im Unterholz der Wälder verbargen. Doch selbst diese wagten sich nur in der allergrößten Not in das unwegsame, höchst gefährliche Gelände. Trotzdem hatte man gleich zu Beginn des Krieges die kostbare Hauspostille, zusammen mit dem wertvollen Altarkreuz und den silbernen Leuchtern, in einer mit Zinnblech ausgeschlagenen Kiste verstaut und unter dem Fußboden des Gemeindehauses vergraben. Eine dicke Schicht aus Laub und Kehricht verdeckte alle frischen Spuren. Die kleine Gemeinde war sich sicher, unter solchem Dreck würde niemand einen Schatz vermuten. Das hohe Ried, das zwischen Wald und Moorwiesen wucherte und dessen festes Wurzelgeflecht der Urbarmachung erbitterten Widerstand leistete und das die Bauern sonst verfluchten, erwies sich in dieser unruhigen Zeit von großem Nutzen. Sein hoher, schilfartiger Wuchs versperrte den vorbeiziehenden Truppen die Sicht auf die erntereifen Felder.
Zum Schutz des Dorfes traf man noch weitere Vorkehrungen. Bei Windstille wurde weder gekocht noch Brot gebacken, denn die aus Herden und Backöfen aufsteigenden Rauchsäulen wären weithin sichtbar. Außerdem wurden, bis auf zwei Brutpaare je Schlag, die Tauben geschlachtet. Das war notwendig, denn die Eigenart der schmackhaften Vögel, bei ihrer Heimkehr mehrmals über ihrem Zuhause zu kreisen, würde die kleine Siedlung ebenfalls verraten. Wenn sonst fünf oder sechs Jungtauben für ein Sonntagsessen geschlachtet wurden, hielt man jedes geköpfte Tier so lange fest, bis der Flügelschlag erlahmte und der Blutfluss versiegte. Als nächstes wurde die noch warme Taube gerupft und ausgenommen. War das getan, holte der Bauer die nächste Taube aus dem Schlag. Diesmal geschah das Schlachten in größter Eile. Anstatt die Taube nach dem Abreißen des Kopfes wie gewohnt festzuhalten, wurde sie sofort in einen Sack gesteckt, wo sie ausflattern und ausbluten konnte. Wer dabei zögerlich hantierte und den kopflos schlenkernden Hals nicht sofort zu packen bekam, wurde über und über mit Blut bespritzt. Kein Schlächter, den es nicht erwischte.
Sich über Wochen dermaßen unauffällig und geräuschlos zu verhalten war nicht leicht, lebten im Dorf doch inzwischen achtundfünfzig Seelen. Ein einziges lautes Geräusch, selbst das Schreien eines Kindes konnten Tod und Verderben bringen. Dabei fürchtete man sich weniger vor großen Heeren und den sie begleitenden Trossen. Viel gefährlicher waren herumziehende Gruppen aus versprengten Soldaten und solchen, denen der Krieg alles genommen hatte.
Fast fünf Jahre zogen sich die kriegerischen Auseinandersetzungen hin, beherrschten Angst und Entbehrungen das Leben der sächsischen, aber noch mehr der polnischen Bauern. Deren nahe der großen Straßen liegenden gelb leuchtenden Getreidefelder wurden bereits im ersten Kriegssommer konfisziert oder vernichtet, sodass ihnen nicht einmal Saatgut blieb. Anders die mit Tartuffli bestellten Felder der Sachsen. Diesen unbekannten, gerade mal kniehohen Pflanzen schenkte niemand Beachtung. Und entdeckte doch mal ein Russe oder Schwede die an den Wurzeln hängenden Früchte, putzte sie ein wenig ab und biss hinein, weil der Hunger gar zu sehr schmerzte, wurde der nach nichts schmeckende Bissen schnell wieder ausgespuckt. Zu groß war die Angst, etwas Giftiges zu essen. So wuchsen auf den Feldern genügend Erdäpfel heran, um auch den Hunger der Fronbauern und Tagelöhner zu lindern. In dieser Notzeit rückten Sachsen und Polen wieder eng zusammen – wie im Hungerwinter 1698/99.
Im Sommer 1706 siegten die Schweden. Der sächsische Kurfürst und polnische König Augustus II. wurde im Frieden von Altranstädt entthront.
Inzwischen machten die sächsischen Siedler mit der im Land herrschenden Not gute Geschäfte, ließ sich doch auf dem städtischen Markt jedes noch so verkrüppelte Stück Wurzelwerk und Obst gut verkaufen. Und man hätte noch mehr verdienen können, würden die Leute Tartuffli essen. Doch die Scheu vor der unbekannten Frucht war größer als der Hunger. Der Grund: Immer wieder hatten Arbeit suchende Tagelöhner und ausgehungerte Städter die kleinen grünen Früchte gegessen, die sich aus den Blütenständen bildeten. Die furchtbaren Bauchschmerzen, die sie danach erlitten, deuteten diese einfachen Menschen als Fluch der sächsischen Ketzer, von dem sie nur Buße und Beichte erlöste. Dieser Irrglaube führte dazu, dass die ganzen Pflanze verteufelt wurde, auch die gelblichen, im Dunkel der Erde gewachsenen Früchte. Nur einige reiche Juden kauften die von ihnen als Erdäpfel bezeichneten schmutzbehafteten Rundlinge. Spanische und französische Kaufleute hatten schon vor Jahren von den aus der neuen Welt stammenden Gewächsen sowie deren Essbarkeit berichtet.
Wenn Töchter unter die Haube müssen
Obwohl das Kriegsgeschehen im Norden Polens erneut aufflammte, hatte man im Dorf eine neue, nicht weniger bedeutende Sorge: Es gab unter den inzwischen heiratsfähigen Jugendlichen kaum Auswahl. Die jungen Leute passten manchmal so wenig zusammen, dass die Eltern Einsicht zeigten und nicht auf dem gebotenen Gehorsam bestanden. Abhilfe sollte ein sächsischer Brautwerber schaffen. Man hätte zwar unter den im weiteren Umkreis eingetroffenen Neusiedlern nach Heiratskandidaten Ausschau halten können, doch einen mittellosen Schwiegersohn wollte sich niemand auf den Hof holen. Sie selbst hatten es anfangs auch nicht leicht, doch wegen der Tartuffli wurde ihnen von höchster Stelle Schutz und Unterstützung gewährt, was ihren Wohlstand trefflich mehrte. Wenigstens ein kleines, möglichst sicheres Einkommen sollte ein Bräutigam schon vorweisen können.
Der Mitte 1702 eingetroffene, recht ansehnliche Kantor stand leider nur wenige Monate auf der Kandidatenliste. Er vergiftete sich an einer Pilzmahlzeit, die er selbst zubereitet hatte.
Um den 1703 vom Gemeinderat eingestellten Lehrer Badstüber, der aus dem sächsischen Grimma stammte, stritten sich gleich drei Bauern. Kein Wunder, jeder wollte diesen Schwiegersohn, der zwar über kein üppiges, dafür aber ein sicheres Einkommen verfügte. Der Streit spitzte sich zu, als zwei der angehenden Bräute behaupteten, vom Herrn Lehrer zur Unzucht verführt worden zu sein und ihnen nun ein Kind unter dem Herzen wachse. Der Lehrer bestritt jegliches Zutun an den gerundeten Bäuchen und heiratete die Dritte. Allein die Ehe währte nicht lange. Nach wenigen glücklichen Monaten starb die Frau nach einem Schlangenbiss. Seine zweite Ehe mit der etliche Jahre jüngeren Auguste, geborene Glaser aus Piotrków Trybunalski, blieb kinderlos. Schwermütig geworden, starb Badstüber im achten Ehejahr. Ihrem zweiten Ehemann gebar Auguste zehn Monate nach der Hochzeit einen gesunden Knaben und später noch zwei Mädchen. Damit war bewiesen, dass der Herr Lehrer zwar krähen und vielleicht auch kräftig treten konnte, letztlich aber nicht mehr vermochte als ein Kapaun. Da jedoch die kostbare Hauspostille, in deren Anhang man Eheschließungen, Taufen und Sterbefälle eintrug, wegen der Fortdauer des Krieges immer noch unter dem Fußboden des Gemeindehauses versteckt lag, trug man diese Vorkommnisse nicht ein. Somit ist nicht überliefert, was mit den beiden unzüchtigen oder gar geschändeten Frauen geschah, zumal ihre Namen in keinem Register wieder erwähnt wurden. Und nach Kriegsende lag es in niemandes Interesse, diese fast vergessenen Ereignisse wieder an die große Glocke zu hängen. Die kleine Gemeinde hatte in den ersten schweren Jahren, gerade in dieser Hinsicht, zu schweigen und zu verdrängen gelernt. Nicht immer war schnell genug Hilfe zur Stelle, um Töchter und Ehefrauen vor der schlimmsten »Sünde« zu bewahren. Man bewertete es als göttliche Vergebung, wenn keine Leibesfrucht heranwuchs. Andernfalls entschied das Familienoberhaupt über ein Verstoßen aus Familie und Gemeinschaft. Das geschah jedoch nie.
Martha und Franz
Im Jahre 1706 fand auf dem Schlüterhof die erste Trauung statt. Martha, Utas älteste Tochter, wurde dem Steinmetzsohn Franz zur Frau gegeben. Kurz nach der Hochzeit zog das junge Paar nach Piotrków Trybunalski. Trotz der immer noch unruhigen Zeiten wurde in der Stadt viel gebaut, und es mangelte an Baumeistern und Steinmetzen. Auftraggeber waren hauptsächlich reiche Juden, die nach fast hundertjähriger Vertreibung nach Polen zurückkehren durften. Als sichtbares Zeichen ihres Wohlstandes ließen sie sich größere und prächtiger ausgestattete Häuser errichten als die des einheimischen Adels. Seine Zweisprachigkeit brachte Franz so viele Aufträge, dass er ohne die Unterstützung seines Vaters Wolfgang, der die Gesellen beaufsichtigte, die viele Arbeit nicht geschafft hätte. Durch das Studium deutscher Werkmeisterbücher vervollkommnete er seine Bauweise dermaßen, dass preußische Werber auf ihn aufmerksam wurden. Das in Aussicht gestellte Einkommen war so verlockend, dass er samt Frau und Kindern nach Berlin zog. Hier erhielt er eine Stelle an der Baukunst-Akademie, wodurch er die Möglichkeit bekam, sich ausgiebig der Bildhauerei zu widmen. Seine neuen Fertigkeiten bewies er bei der Ausgestaltung des von Schinkel entworfenen und unter dessen Leitung gebauten Landhauses des General-Postdirektors Kameke. Ansonsten war das Jahr 1706 kein gutes Jahr für die im Königreich Polen lebenden Protestanten.
Nachdem König August II. nach Dresden geflohen war, setzten die siegreichen Schweden 1706 den Polen Stanislaus I. Leszczynski auf den Warschauer Königsthron. Der Diktatfrieden von Altranstädt und die Unterwerfung Sachsens durch die Schweden entband den polnischen Adel von vielen unter dem sächsischen Herrscher geschlossenen Verträgen. Wie es vor einigen Jahrzehnten den Juden geschah, so beraubten und erschlugen die von den Jesuiten aufgehetzten Polen nun vielerorts die verhassten Protestanten.
Aufgrund des Katastereintrages beanspruchte die Magnatenfamilie Przebendowski die von Flemming gegründete Domäne als ihr Eigentum, schließlich gehörte Jacob Heinrich Flemming zur Familie. Dadurch wurden sämtliche Kaufverträge und auch alle anderen Regelungen unanfechtbar. Das schützte die Lutheraner vor Verfolgung und Gewalt an Leib und Leben und auch deren Eigentum vor dem Zugriff der ehemaligen Besitzer. Diese hätten sich allzu gern der ertragreichen Höfe bemächtigt, um sie an katholische Kolonisten zu verpachten, die in den fruchtbaren Gebieten um Kielce, Radom und Warszawa angesiedelt wurden. Die meisten dieser katholischen Kolonisten stammten von der schwäbischen Alp und waren bäuerlicher Herkunft. Sie verließen ihre Heimat, um dem Hungertod zu entkommen. Schuld an dieser Misere waren nicht allein die kalten Sommer und die kargen Böden, sondern vor allem das im Württembergischen geltende Erbrecht. Demnach wurde beim Tod des Familienoberhauptes der Hof zu gleichen Teilen an sämtliche Söhne vererbt. Die dadurch von Generation zu Generation kleiner werdenden Besitztümer konnten die Familien nicht mehr ernähren. Missernten verschlechterten die Lage zusätzlich. Auf den städtischen Märkten schrumpfte das Angebot. Die Menschen hungerten, und viele starben. So war es nicht verwunderlich, dass die Versprechen der von polnischen Großgrundbesitzern beauftragten Werber als Geschenk des Himmels angesehen wurden. Allein die Aussicht, so viel Ackerland pachten zu können, wie sie zu bestellen vermochten, war Grund genug, der Heimat den Rücken zu kehren. Dazu noch die ersten fünf Jahre abgabenfrei. Sie müssten nur fleißig sein, dann würde es ihnen in der Fremde an nichts mangeln.
Der Krieg, aber auch die Pest, die 1707 fast gleichzeitig in Warszawa und Kraków ausbrachen und sich schnell verbreiteten, hatten große Teile des polnischen Königreiches regelrecht entvölkert. Ganze Landstriche lagen brach. Doch nicht nur die Bauern fehlten, auch die Zugtiere. Zudem hatte ein eisiger Winter die wenigen Herbstsaaten erfrieren lassen. Am schlimmsten hungerten die Städter. Dazu kam, dass Preußen aus Angst vor dem »Schwarzen Tod« die Grenze zu Polen geschlossen hatte und das sonst aus dem Königreich Preußen eingeführte Brotgetreide ausblieb. Aus Polen kommende Briefe wurden von den Preußen sogar ungeöffnet verbrannt, damit durch sie keine mit der Pest infizierten Flöhe ins Land gelangen konnten. Trotzdem riss der Zustrom von Siedlern aus den kleinen deutschen Fürstentümern nicht ab. Um nicht an der preußischen Grenze aufgegriffen und festgesetzt zu werden, nahmen sie den Umweg über Sachsen und Böhmen. In Kraków angekommen, erkrankten und starben viele der Ankömmlinge. Die Überlebenden und die zur gleichen Zeit nach Norden ziehenden schwedischen Soldaten brachten die Pest nach Pommern und bis hinauf in das Königreich Preußen. Dort raffte die Seuche fast die gesamte Bevölkerung hinweg. Es gab Dörfer, in denen kein einziger Mensch überlebte.