Kitabı oku: «Taubenblut. Die Siedler», sayfa 7
Nach Borodino, der verlustreichsten Schlacht des bisherigen Krieges, zogen sich die russischen Truppen nach Moskau zurück. Napoleon betrachtete sich als Sieger. Doch auch die französischen Truppen waren völlig erschöpft und beklagten viele Tote. Das verbliebene Heer musste erst neu formiert werden, bevor die Verfolgung des geschlagenen Feindes aufgenommen werden konnte. Man musste sich auch nicht eilen, denn Moskau lag bereits in Sichtweite. Die Besetzung der Stadt erfolgte ohne nennenswerten Widerstand, sie war fast menschenleer. Generalfeldmarschall Kutusow hatte seine Truppen ins nordöstliche Hinterland beordert und der größte Teil der Bewohner war vor dem anrückenden Feind geflüchtet. In der Stadt geblieben sind nur einige Tausend Menschen, fast ausschließlich Alte und Kranke. Und Gesindel, das sich schnell noch am zurückgelassenen Hab und Gut der Geflüchteten zu bereichern versuchte. Die fast kampflose Einnahme Moskaus festigte den Glauben der Franzosen, die russische Armee vernichtend geschlagen zu haben. Allein der polnische General Józef Fürst Poniatowski verfolgte mit seinem V. Korps die Richtung Kaluga zurückweichenden Russen. Napoleon dagegen war überzeugt, dass ihm in Kürze russische Unterhändler die Kapitulationserklärung des Zaren überreichen. Doch der Zar schwieg. Es schien, als sei ihm egal, was inzwischen in und mit Moskau passierte. Vier Wochen wartete der große französische Feldherr auf die Kapitulation oder zumindest auf das Eingeständnis der Niederlage. Nach einem anfangs geordneten Einmarsch enthemmte die Soldaten der ausbleibende Kampf. Die Grande Armée plünderte und brandschatzte im Siegesrausch das von den Russen offensichtlich aufgegebene und verlassene Moskau. Und was die Soldaten übersahen oder der Mitnahme nicht wert erschien, raubte der nachfolgende Tross. Doch damit hörte das Plündern nicht auf. Dem Tross folgte eine mehrere tausend Menschen zählende Meute aus Abenteurern und zwielichtigem Gesindel, den Aasgeiern der Schlachten, deren Beutegier selbst der geringsten Menschlichkeit entbehrte. Was nicht weggetragen werden konnte, wurde zerstört oder in Brand gesetzt. Manchmal, wenn das Feuer Vorratslager ergriff, versuchte man zwar zu löschen, doch jegliche Mühe scheiterte am fehlenden Gerät. Die Feuersbrunst, die der erste kräftige Herbststurm aus den vielen kleinen Bränden entfachte, vernichtete fast die ganze Stadt und somit auch die für die Überwinterung des Heeres eingelagerten Lebensmittelvorräte. Die russische Heeresführung ordnete indessen ihre Truppen und ersetzte Verluste an Soldaten und Material. Mitte Oktober, in den Nächten wurde es schon bitter kalt, erfolgten erste Angriffe.
Napoleons Rückzug
Napoleon, dessen Heer nur noch 100 000 Mann zählte, beschloss den Rückzug. Ende Oktober, gerade mal vier Monate nach dem grandiosen Beginn des Russlandfeldzuges, verließ die Grande Armée Moskau. Ein riesiger Treck bewegte sich in Richtung Westen. Verletzte fanden keinen Platz auf den mit Kriegsbeute überladenen Wagen. Wer nicht laufen konnte, musste bleiben. Bei der Rückkehr der Moskauer in ihre zerstörte Stadt widerfuhren den Zurückgelassenen alle Grausamkeiten, die die Eroberer und das ihnen folgende plündernde Gelichter vorher an den Einwohnern verübt hatten. Auch die abziehenden Kolonnen wurden ständig von kleinen berittenen Trupps der neu aufgestellten russischen Verbände attackiert, die zuallererst die Pferde töteten. Nur wenigen der daraufhin zu Fuß Fliehenden gelang es, der Kälte des russischen Winters und dem Hunger zu entkommen.
Wie ein steinerner Wall säumten gefrorene Leichen, Tierkadaver und zertrümmerte Wagen den Weg der Heimziehenden. Entdeckten die inzwischen völlig verrohten Soldaten bewohnte Siedlungen, wurde rigoros geplündert, gefoltert und getötet. Im Gegenzug rächte sich die Zivilbevölkerung an denen, die den Anschluss an die Grande Armée verloren hatten. Obwohl die Bauern nur Sensen, Sicheln und Dreschflegel mit sich führten, hatten sie leichtes Spiel. Um mehr Beute wegtragen zu können, hatten sich viele Soldaten bereits in Moskau ihrer Waffen entledigt. Doch auch jene, die ihre Waffen noch mit sich führten, waren kaum in der Lage, sich zu verteidigen. Bevor sie mit ihren steif gefrorenen Fingern den nächsten Schuss geladen hatten, wurden sie niedergemetzelt. Wäre der russische Generalfeldmarschall Kutusow nicht so zögerlich vorgerückt, er hätte die Grande Armée bereits am östlichen Ufer der Beresina vernichtend schlagen können, denn die Franzosen kamen nicht schnell genug über den Fluss. Auf Befehl Napoleons hatte man die bis zur Schlacht bei Borodino mitgeführten Pontons zurückgelassen. Unnötiger Ballast, der Pferde und Wagen blockierte. Jetzt rächte sich dieser Befehl. Es dauerte viel zu lange, ehe es den holländischen Pontonieren gelang, aus abgerissenen Holzhäusern zwei provisorische Übergänge zusammenzuzimmern. Die völlig unzureichenden Brückenbauten hielten dem Ansturm von Menschen und Fuhrwerken kaum stand. Um des eigenen Überlebens willen wurde gedrängelt und gestoßen. Viele strauchelten auf den wackeligen Übergängen, verloren den Halt, fielen in die eiskalten Fluten und ertranken. Bereits nach wenigen Stunden stauten sich flussabwärts einige tausend Leichen und Pferdekadaver vor Untiefen und Eisrändern. Die letzten viertausend noch kampffähigen Polen erhielten vom französischen General Victor den Befehl, die Brückenpassage Napoleons und dessen Leibgarde gegen den Feind abzusichern. Nachdem der Franzosenkaiser das westliche Ufer erreicht hatte, übertrug er die Befehlsgewalt an seinen Schwager, Marschall Murat. Er selbst reiste zügig gen Frankreich. Von den polnischen Infanteristen erreichten nur wenige hundert das andere Ufer. Unter ihnen auch General Józef Fürst Poniatowski. Die Nachricht von Napoleons Abreise demoralisierte die noch vorhandenen Reste der Grande Armée vollständig. Am 5. Dezember 1812 trafen erste Truppenteile der von ihrem Feldherren aufgegebenen Armee im polnisch-litauischen Wilna ein. Napoleon befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Gebiet des Königreiches Westphalen. Das kleine Häuflein polnischer Reiter, die den Feldzug überlebt hatten, erreichte am 13. Dezember 1812 Warschau. Mit ihnen trafen auch die Reste der verbündeten Österreicher in der Stadt ein. Welche Rückkehr! Mit Entsetzen vernahmen die Menschen das Ausmaß des Grauens, das sich in den eisigen Weiten Russlands zugetragen hatte und teilten ihr letztes Stück Brot mit den Heimkehrern.
Anfang Januar zog sich plötzlich das österreichische Heer, das eigentlich mit den Resten von Poniatowskis Korps die polnische Hauptstadt vor den anrückenden Russen verteidigen sollte, aus Warschau zurück und marschierte Richtung Süden. Der Grund: Österreich hatte in der Zwischenzeit klammheimlich die Seiten gewechselt, sich mit den Russen auf einen Waffenstillstand geeinigt. Die Pilica wurde dabei als Grenzfluss zu Galizien festgeschrieben. Ohne österreichischen Beistand sah sich Poniatowskis kleine Schar außerstande, Warschau zu verteidigen und verließ ebenfalls die Stadt. Es wäre ein sinnloses Opfer und würde die gewaltsame Einnahme der Stadt durch die Russen nach sich ziehen. Er hoffte, durch eine kampflose Übergabe die Stadt vor schlimmsten Zerstörungen bewahren zu können. Der Rückzug der polnischen Truppen löste unter der Bevölkerung Panik aus.
Erst in Krakau, der südlichsten Stadt des Großherzogtums Warschau, fand die Flucht der kleinen Schar um den polnischen General ein Ende. Der russische Generalfeldmarschall Kutusow hielt es für Zeitverschwendung, diese wenigen Polen zu verfolgen. Sein Zar wünschte, dass er den Richtung Paris fliehenden Franzosenkaiser stellt und endgültig besiegt. Den Wunsch des Zaren konnte Kutusow nicht mehr erfüllen, er starb wenig später nahe Bautzen.
In Krakau gelang es Fürst Poniatowski, innerhalb weniger Wochen eine neue, 18 000 Mann starke, Armee aufzustellen. Der Aufruf, dass die Heimat gegen die Russen verteidigt werden muss, hatte selbst den letzten einigermaßen kampfestauglichen Mann zu den Meldestellen getrieben. So war es schon seit König Sigismund I. aus dem Geschlecht der Jageillonen, als das aufstrebende Großfürstentum Moskau polnisches Gebiet überfiel, um seine Reichsgrenzen nach Westen zu verschieben.
Fürs geliebte Heimatland
Auch Gertraudes Mann Dietrich und ihr siebzehnjähriger Sohn Hagen meldeten sich freiwillig zum Militärdienst. Dietrich kam zur Infanterie, während Hagen einem Offizier als Pferdebursche diente. Gertraud wollte Hagen zurückhalten, war er doch in ihren Augen noch ein Kind. Da sich jedoch alle jungen Männer des Dorfes zum Militär meldeten, war er nicht davon abzubringen. Dabei spürte die Mutter, dass es etwas gab, das ihrem Kind das Fortgehen erschwerte. Und sie hatte Recht. Als sie am letzten Abend vor dem Abmarsch der Freiwilligen die Ställe kontrollierte, hörte sie die Stimme ihres Sohnes und das halblaute Weinen eines Mädchens. Zuerst wollte sie Hagen zur Rede stellen, ihn für dieses verborgene Tun maßregeln. Doch urplötzlich wurde ihr bewusst, dass in der finsteren Stallecke zwei Liebende flüsterten und es grausam wäre, sie in der Stunde des Abschiedes zu stören. Dabei ärgerte es sie ungemein, dass sie nicht die geringste Ahnung hatte, welchem Mädchen ihr Sohn Lebewohl sagte. Sie hatte bisher überhaupt nicht wahrgenommen, dass sich Hagen für Mädchen interessierte. Dabei freute sie sich stets darüber, wie hübsch er war mit seinen leuchtend blauen Augen und dem strohblonden Haar. Doch wie hätte sie es auch merken sollen. Der Junge war den ganzen Tag mit dem Großvater zusammen, um alles zu lernen, was ein Hoferbe wissen musste.
In der Dunkelheit des Stalles wurde ihr bewusst, dass sie sich von Anfang an nie Zeit für das Kind genommen hatte. Wie auf allen wohlhabenden Höfen üblich, hatte sie Hagen gleich nach der Geburt einer Amme übergeben. Sie hätte ihr Kind liebend gern selbst genährt, doch damals wagte sie es nicht, sich gegen die Tradition zu stellen, zumal die Gemeinde den abseits liegenden Hof und dessen stets steigenden Wohlstand mit Neid und Argwohn betrachtete. Keine Amme ins Haus zu nehmen hätte die Abgrenzung verschärft, hätte Anlass zu Getuschel und üblem Gerede gegeben, und die anderen Mütter hätten ihre Kinder von ihrem Sohn und dem Hof ferngehalten. Viel zu gegenwärtig war ihr noch die eigene Ausgrenzung, die ihr aufgrund der Unbeugsamkeit ihres Vaters zuteil geworden war. Und da sie ihr Kind bei der Amme, einer sehr liebevollen und sauberen Polin, bestens aufgehoben wusste, richtete sie ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihre Pflichten als Hofherrin. Doch 1801, nach der Geburt ihrer Tochter Katharina, begehrte sie auf und nährte das Kind selbst und ebenso die Ende 1802 geborene Elisabeth. Mitten auf dem Hof blieb Gertraud stehen und betrachtete den von Tausenden Sternen übersäten Himmel. Ihr kam ein Lied in den Sinn, das ihre Mutter in schweren Zeiten oft gesungen hatte: »Schwing dich auf zu deinem Gott, du betrübte Seele«. Sie summte die erste Strophe. Bisher hatte ihr der Glaube an die Güte des Allmächtigen stets Zuversicht und Halt gegeben. Doch diesmal schossen ihr Tränen in die Augen, und ein eisiges Band legte sich um ihre Brust.
Bündnisversuche und neue Bündnisse
Mit der neu aufgestellten Armee unter Fürst Poniatowski verfügte das Großherzogtum Warschau über eine beträchtliche Streitmacht, die Begehrlichkeiten weckte. Sogar der russische Zar übermittelte dem Fürsten ein Bündnisangebot. Etliche der Magnaten wären gern auf dieses Bündnis eingegangen, denn sie glaubten längst nicht mehr an Napoleons Versprechen, ein unabhängiges Polen zuzulassen. Und sie hatten nicht vergessen, dass der Franzosenkaiser noch kurz vor dem Russlandfeldzug dem Zaren als Bündnisgeschenk ein kleines Stück Polen überlassen hatte. Er hatte dieses Land verschenkt, um die Russen zu täuschen und sie von der Vorbereitung des geplanten Überfalls abzulenken. Zudem hatte er das Herzogtum Warschau bereits vor Kriegsbeginn in Not und Elend gestürzt, es an Menschen und Material aufs Schlimmste ausgeplündert. Von den 115 000 polnischen Soldaten, die als Teil der Grande Armée in Russland einmarschiert waren, kehrte nicht mal jeder vierte zurück. Trotz all diesem Ungemach für Polen hielt Fürst Poniatowski dem Franzosenkaiser weiterhin die Treue. Desgleichen auch König Friedrich August I. von Sachsen und Herzog von Warschau. Dabei hätte der erst von Napoleon zum König gemachte Sachse gern die Seiten gewechselt, doch ihm fehlte der dazu nötige Mut. Als dann sogar das große Kaiserreich Österreich gegenüber Frankreich Neutralität wahrte, beließ er es bei seiner Untertänigkeit gegenüber Napoleon.
Anders die Preußen. Das 1807 von Napoleon besetzte Land litt seitdem unsäglich unter den Abgaben an die französischen Besatzer. Die im Land stationierte Grande Armée wollte nicht nur bestens verpflegt werden, zu ihrem Unterhalt musste die Bevölkerung auch Sachlieferungen, Spanndienste und Arbeitsleistungen erbringen. Im Februar 1812 hatte Napoleon den Preußen auch noch einen Bündnisvertrag aufgezwungen. Dieser Vertrag erhöhte nicht nur die Belastung des einfachen Volkes, in ihm wurden auch der Adel und das Königshaus zu Abgaben verpflichtet. Außerdem nutzte Napoleon das preußische Königreich als Aufmarschgebiet seines längst geplanten Russlandfeldzuges. Die dabei erfolgten Requisitionen waren regelrechte Plünderungen, bei denen den einfachen Menschen noch das Allerletzte weggenommen wurde. Außerdem forderte Napoleon die Bereitstellung von 20 000 Soldaten. Auch von ihnen überlebten nur wenige den Russlandfeldzug 1812/13. Die Menschen atmeten auf, als endlich der letzte französische Soldat aus Preußen abzog. Doch jetzt, nach kaum einem Jahr, kehrte der Franzosenkaiser mit einer neuen Armee zurück und stand schon tief in deutschen Landen. Kleine Fürstentümer, allen voran die Rheinbundstaaten, hatten ihn widerstandslos durchmarschieren lassen.
Trotz des erfolgreichen Vorstoßes und der Ankündigung Napoleons, Berlin dem Erdboden gleichzumachen, wechselte Preußen im Vertrag von Kalisch auf die Seite Russlands, zumal Österreich Neutralität zusicherte. Am 27. März 1813 erklärte Preußen Frankreich den Krieg. Ende April überschritt Napoleon bei Weißenfels die Saale und drängte die Truppen der russisch-preußischen Koalition weit zurück. Doch sein wichtigstes Vorhaben, Berlin zurückzuerobern, scheiterte am Widerstand der nun gemeinsam kämpfenden Preußen und Russen. Auf der Linie Torgau, Annaburg, Doberlug, Senftenberg, Hoyerswerda bis kurz vor Bautzen kam es zu vielen Gefechten und Plänkeleien, die jedoch keinem der beiden Lager ersichtliche Vorteile verschafften.
Im Kampf gefallen
Inzwischen erreichte der Verband des Fürsten Poniatowski das Kampfgebiet. Am 20. Mai 1813, nahe dem Dorf Klix an der Spree, wurde Dietrich Schlüter, Gertraudes Ehemann, von einer feindlichen Büchsenkugel getroffen. Der Trupp hatte sich gerade zu einer Rast niedergelassen und die Tornister abgesetzt, sodass die Kugel ungehindert in seinen Rücken drang und ihn auf der Stelle tötete.
Am 4. Juni 1813 vereinbarten Napoleon und die Koalition aus Preußen und Russland einen Waffenstillstand. Auf schlesischem Gebiet wurde entlang der Oder eine mehrere Kilometer breite neutrale Zone eingerichtet, die sich nach Süden hin bis zur böhmischen Grenze erstreckte. Alle drei Heere nutzten den Waffenstillstand, um ihre Armeen aufzufrischen und in vorteilhaftere Positionen zu bringen. Der Verband des Fürsten Josef Poniatowski wurde dem 8. Korps unter Marschall Macdonalds zugeordnet. Napoleons Hauptheer lagerte während des Waffenstillstandes im östlichen Gebiet des verbündeten Sachsens. Dabei plünderte das französische Heer die Bevölkerung ebenso brutal aus wie vordem die Preußen. Bislang war es den meisten Sachsen egal, welcher Herrscher regierte, sie erduldeten das ihnen auferlegte Schicksal, solange sie nicht allzu sehr hungern mussten. Doch jetzt requirierten die Franzosen sogar den allerletzten Brotkanten. Am liebsten hätten sie den Müttern noch die Milch aus der Brust gesogen, so gierig und gefräßig führten sie sich auf. Das waren nicht mehr die Franzosen, die die Sachsen bisher wegen ihrer feinen Lebensart bewundert hatten. Die einfachen Menschen hatten endgültig genug von diesem größenwahnsinnigen Kaiser, der ihnen ihre Männer und Söhne wegnahm und dafür Hunger und Elend brachte.
Angesichts dieser Zustände befürwortete ein großer Teil des Adels und des gebildeten Bürgertums den Anschluss an die immer stärker werdende russisch-preußische Koalition. Doch Friedrich August I. ließ sich nicht umstimmen und hielt an seiner frankreichfreundlichen Politik fest. Am 11. August 1813 eröffnete die Koalition, der nun auch Österreich beigetreten war, die neuen Kämpfe. Russland und Preußen überschritten die Oder und marschierten in Richtung Sachsen, während die österreichischen Truppen über Böhmen in Sachsen einmarschierten und Dresden besetzten. Bereits wenige Tage später eroberte die aus Schlesien heraneilende Hauptarmee Napoleons Dresden zurück. Dabei trieben sie die Österreicher weit hinein ins Böhmische. Danach wandte sich Napoleon gen Norden, um Berlin zu erobern. Der Widerstand war jedoch zu groß. Bei Groß Beeren wurde sein Vormarsch von den verbündeten schwedischen, russischen und preußischen Truppen nicht nur gestoppt, er musste sich sogar bis Wittenberg zurückziehen.
Anfang Oktober sammelte Napoleon sein Heer in Leipzig, um den anrückenden Feind zu stellen und zu schlagen. Am 14. Oktober kam es zu einem ersten Aufeinandertreffen. Der Kampf, nur ein Geplänkel zwischen 15 000 Kavalleristen, verlief zur vollsten Zufriedenheit des französischen Feldherrn. Am 16. Oktober 1813 begannen die eigentlichen Kämpfe. Die französische Artillerie fügte den anrückenden Verbündeten so große Verluste zu, dass Napoleon sie geschlagen glaubte und in der Stadt die Siegesglocken läuten ließ. Zu früh, der die Schlacht entscheidende Sieg blieb aus. Am nächsten Morgen liefen die sächsischen Truppen zu den Koalierten über, für den Franzmann wollte man sich nicht noch totschießen lassen. Im Verlauf des dritten Tages gelang es, Napoleons Heer samt den wenigen verbliebenen Verbündeten einzukesseln.
Um nicht auch noch die polnische Nachhut des 8. Korps zu verlieren, ernannte Napoleon Fürst Józef Poniatowski zum Marschall von Frankreich. Dieser Ehre wegen, dessen war sich der große Feldherr gewiss, würde sich auch der letzte Pole für Frankreich opfern. Als sich der Sieg der Koalition abzeichnete, verließ Napoleon die umkämpfte Stadt. Geschützt von seiner kaiserlichen Garde, passierte er die Lindenauer Brücke. Diese Brücke war die einzige sichere Passage über die ein gewaltiges Hochwasser führende Weiße Elster. Wie vorausgesehen, verteidigte Marschall Poniatowski mit seinen Schützen das östliche Flussufer, bis der Hauptteil der französischen Armee die Brücke Richtung Frankreich überquert hatte. Der treffsichere Beschuss durch die österreichische Artillerie forderte jedoch so zahlreiche Opfer, dass der anrückende Feind nicht länger aufgehalten werden konnte. Als sich die ersten preußischen Blauröcke der Brücke näherten, wurde diese auf Befehl Napoleons gesprengt. Die gewaltige Detonation zerfetzte hunderte, sich noch vor und auf der Brücke drängende Franzosen. Damit war auch der von Fürst Poniatowski befehligten Nachhut der Fluchtweg abgeschnitten. Um die 20 000 Franzosen, Rheinbundsoldaten und Polen saßen in der Falle. Wer sich nicht dem Feind ergeben oder im Kampf Mann gegen Mann getötet werden wollte, musste durch das Hochwasser der Weißen Elster. Nur wenige Polen erreichten das andere Ufer, wo sie von den Siegern gefangen genommen wurden. Fürst Poniatowski und Gertrauds Sohn Hagen waren nicht unter ihnen.
Die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überraschte Gertraud nicht wirklich. Schon als die Kunde von Napoleons Niederlage bei Leipzig eintraf, bemächtigte sich ihrer ein derartiger Schmerz, wie ihn eine Mutter sonst nur angesichts ihres toten Kindes widerfährt. So tat sie auch die Mitteilung eines recht zerlumpten Soldaten, er habe Hagen Tage nach der Schlacht noch lebend gesehen, als Lüge ab, sah darin nur das Bestreben des Überbringers, ob der guten Nachricht großzügig beköstigt und vielleicht sogar neu eingekleidet zu werden. Gertraud gab ihm zwar zu essen und reichlich Proviant, doch danach schickte sie ihn wieder vom Hof. Im Dorf entsetzte man sich über die Hartherzigkeit der Schlüterin. Erst als immer mehr Soldaten mit »guten Nachrichten« anklopften, bezweifelten einige Frauen die tröstenden Erzählungen. Doch erst, als auf einem polnischen Anwesen solch ein Bote die Bäuerin des nachts vergewaltigte und ausraubte, verstand endlich die Letzte, welche Gefahr die Hoffnung auf gute Nachricht barg. Kein einziger der unter Fürst Poniatowski zur Verteidigung der polnischen Heimat ausgezogenen Freiwilligen kehrte heim. Im ganzen Dorf gab es nur noch Frauen, Alte, Kinder und vier Kriegskrüppel, die sich ihre Blessuren bereits 1809, im Kampf gegen die Österreicher, zugezogen hatten.
Magda
Derweil bedrückte Gertraud noch eine andere Sorge. Sie fürchtete um ihren Vater, der sich seit dem Sommer schwach fühlte und das Haus kaum noch verließ. Sicher, Georg war 65 Jahre alt, doch das hatte nichts zu sagen, in der Familie wurden von jeher alle sehr alt. Auf seinen Wunsch hin hatte sie ihm die junge Magd Magdalena, die Tochter von Hagens Amme, zur Seite gestellt. Doch nun war diese guter Hoffnung und konnte wegen des zunehmenden Leibes nicht mehr richtig arbeiten. Gertraud hätte das Mädchen schon längst vom Hof gejagt, wenn es ihr der Vater nicht verboten hätte. Dabei weigerte sich Magdalena hartnäckig, ihr denjenigen zu nennen, mit dem sie Unzucht getrieben hatte. Georg meinte, Gertraud würde sich ebenfalls versündigen, wenn sie Magda, so nannte er die Magd fast zärtlich, so schlecht behandele. Und wenn das arme Mädchen jetzt nicht mehr alle Arbeit schaffe, müsse ihr eben eine andere Magd zur Hand gehen. Die paar Groschen Lohn wollte er gern bezahlen. Gott habe ihm während seines langen Lebens nicht nur aus jeder Not herausgeholfen, er habe ihn auch so reich mit Gütern bedacht, dass er es als seine Pflicht erachte und der Nächstenliebe schulde, diesem armen Kind zu helfen. Die Worte ihres Vaters beschämten Gertraud. Sie wusste ja zu gut, dass es ihrer Schwester Luise ebenso ergangen war. Magda war zwar nur eine Magd und dazu auch noch Polin, trotzdem gehörte sie fast zur Familie. Hagen und sie waren zusammen aufgewachsen, hingen wie Geschwister aneinander. Magda hatte sogar Hagen zuliebe Deutsch gelernt.
Ganz allmählich schlich sich in Gertraudes Überlegungen ein Verdacht. Kein Mädchen aus dem Dorf wäre so spät zu dem abseits liegenden Gehöft gekommen. Und als sie die seitdem verstrichenen Monate nachrechnete, krampfte sich in ihr alles zusammen: Es war sicher nicht nur Barmherzigkeit, warum der Vater das Mädchen so schützte. Im ersten Moment wollte sie Magda zur Rede stellen. Doch dann zögerte sie. Was ist, wenn sie sich irre und Magda damit erst auf die Idee bringe, Hagen als Verführer und Vater ihrer Leibesfrucht anzuzeigen. Am nächsten Tag schickte sie Magda mit einem alten Mantel zum Schneider. Er solle ihn so umändern, dass er Magdas dicken Leib bedecke. Allein mit dem Vater, sprach Gertraud über ihre Befürchtungen. Statt sich über ihr Gerede aufzuregen, lächelte der Alte. Es sei wie sie vermutet, in ein paar Wochen werde sie ein Enkelkind auf dem Arm wiegen. Dabei strahlten Georgs Augen, als ob ihm der Herrgott einen Blick ins Paradies gewährt. Hagen sei bereits in der fraglichen Nacht zu ihm gekommen und habe ihm gebeichtet, dass er und Magda gegen das Keuschheitsgebot verstoßen hätten. In der Stunde des Abschieds hatten sie sich ihre Zuneigung gestanden, die sie schon lange füreinander spürten. Dass es jedoch zur Sünde gekommen sei, daran trage er, Hagen, allein die Schuld. In seinem Abschiedsschmerz habe er Magda über die Maßen bedrängt. Unter Tränen bat er den Großvater, für sie zu sorgen, falls er nicht wieder heimkehre. Und das habe er dem Jungen versprochen.
Georg schwieg, Tränen liefen ihm über die Wangen. Da schenkt ihm der Herrgott einen Enkel und Magda sagt keinen Mucks, fragt er sie nach dem Kindsvater. Sie sagt, sie gehe eher ins Moor, als den Namen preiszugeben. Selbst ihrer Mutter hat sie es nicht gesagt. Auf Betreiben des Priesters hat sie daraufhin ihr einziges Kind aus dem Haus jagen müssen.
Eine verzwickte Situation. Es war zu spät, um das Mädchen zur Vertuschung ihrer Sünde in ein sächsisches Kloster zu bringen. Ein hiesiges Kloster verbot sich für Gertraud ohnehin. Ihr erstes Enkelkind sollte keinesfalls im Beisein katholischer Nonnen geboren werden. Einen Ehemann zu kaufen kam erst recht nicht infrage. Die Dörfler hätten sicher die Wahrheit herausgefunden oder eigene Vermutungen beigesteuert.
Das von ihrer Mutter verstoßene Mädchen weiterhin auf dem Schlüterhof zu dulden und es als Nächstenliebe auszugeben, war in Georgs Augen die einfachste Lösung. Magda trage schließlich den späteren Hoferben unter dem Herzen, und der gehöre nun mal aufs Anwesen. Vater und Tochter einigten sich, vorerst alles so zu lassen, wie es war, zumindest für die Leute. Magda sollte jedoch wissen, dass für sie und das Kind stets gesorgt würde. Sie beschlossen, dass Magda und das Kind einige Zeit in Sachsen leben sollten. Dort könne sich Luise um sie kümmern, ihr Manier beibringen und sie in der französischen Sprache und allem Notwendigen unterrichten lassen. Beide, der künftige Hoferbe und seine Mutter, mussten zu ebenbürtigen Familienmitgliedern hergerichtet werden. Georg war sicher, dass in einigen Jahren niemand mehr nach einem Trauschein fragt. Jeder wusste, dass während des Krieges manches Paar am letzten gemeinsamen Tag noch schnell heiratete oder sich zumindest segnen ließ. Zudem wurden im Krieg viele Geistliche getötet, ihre Pfarrhäuser zerstört und die Kirchenbücher vernichtet. So konnte niemand beweisen, dass Magda und Hagen das Kind in Sünde gezeugt hatten. Nach diesem Gespräch übernahm Gertraud die Sorge um die junge Frau. Während des sonntäglichen Mittagstisches bat sie Magda, ihr am Nachmittag bei Näharbeiten zu helfen. Sie kam der Bitte ohne Argwohn nach. Die beiden Frauen waren allein im Haus, Gertraud hatte alle anderen weggeschickt. Auch ihr Vater verzog sich. Als er nach einer guten Stunde zurückkam, hantierten beide Frauen in der Küche. Gertraud nickte ihm freudig zu, und der alte Hofbauer konnte nicht anders, als Magda in die Arme zu nehmen.
Am zweiten Adventsonntag des Jahres 1813 gebar Magda einen Sohn. Gertraud und die junge Mutter einigten sich auf den Namen Johannes. Anfangs gab es im Dorf reichlich Gerede. Einige behaupteten, dass Georg für die junge Frau sorge, weil er der Vater sei. Während sich Gertraud empörte, belustigte es ihren Vater aufs Köstlichste. Er meinte, das Gerede sei im Wirtshaus geborener Neid, der aus berauschten Köpfen quoll. Und wenn es wirklich so wäre, könnte sie doch stolz sein, welch ein gesundes und kräftiges Kind er in seinem Alter noch zu zeugen vermochte. Eine andere Sache wurde dagegen in aller Heimlichkeit durchgeführt: Magda wünschte sich, das ihr Kind alsbald getauft wird. Eine heikle Angelegenheit bei einem Bankert. Die dazu nötige Vorsprache beim katholischen Pfarramt in Petrikau und eine den Umständen entsprechende Spende übernahm Georg. Es blieb sein Geheimnis, mit welchen Argumenten er den Pater überzeugt hat. Als Taufpatin wurde Magdas Mutter beurkundet. Auch mit ihr hatte Georg lange gesprochen und sich dafür bedankt, ein so gutes und rechtschaffenes Kind großgezogen zu haben.
Napoleon ade! Das Ende des polnischen Traumes
Mit der Niederlage Napoleons bei Waterloo und seiner Verbannung nach St. Helena verlor Frankreich seine Vormachtstellung in Europa. Auf dem Wiener Kongress beschlossen die Signatarmächte Österreich, Russland, Preußen, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Portugal und Schweden in einem Bündnisvertrag die Neuaufteilung Europas und die Rückkehr zur absolutistischen Ordnung. Auch das Großherzogtum Warschau wurde wieder zum Königreich Polen. Das hielt die anliegenden Siegermächte nicht davon ab, sich schnell noch einige Landstriche abzuzwacken: Das Großherzogtum Posen und ein kleineres Gebiet oberhalb der Weichsel samt der Stadt Tourn nahm sich Preußen. Die Teile Galiziens, die Österreich erst 1772 besetzt hatte, blieben weiterhin österreichischer Besitz. Nur Krakau, die alte Königstadt, wurde laut Vertrag zur Freien Stadt erklärt. Die dem Königreich Polen im Wiener Vertrag zugesicherte Eigenständigkeit stand sowieso nur auf dem Papier. Den Königsthron vereinnahmte Zar Alexander I. mit der Macht seiner Person. Er ernannte seinen Bruder Konstantin zum Militärgouverneur von Warschau und zum Oberbefehlshaber der polnischen Armee. Ansonsten interessierten ihn die Belange des Landes nur wenig.
So kam es, dass unter der Führung des polnischen Fürsten und Zarenfreundes Adam Czartoryski, sogar die fortschrittlich-liberale Verfassung von 1791 wieder in Kraft gesetzt wurde. In ihr war nicht nur das Recht zur öffentlichen Ausübung aller Glaubensrichtungen verankert, sondern auch die Unantastbarkeit privaten Besitzes. Außerdem konnte jeder Pole werden, der mindestens fünf Jahre im Land lebte und Polnisch sprach. Damit waren jedoch nicht alle polnischen Würdenträger einverstanden. Vor allem der katholische Klerus befürchtete durch die Glaubensfreiheit einen Machtverlust. Auch in großen Teilen des Landadels regte sich Widerspruch, denn in dieser Verfassung wurden die Enteignung und Vertreibung der ungeliebten Protestanten unter Strafe gestellt. Gewiefte Verfassungsgegner fanden jedoch eine Hintertür. Nach Paragraph 27 durfte von einem Privatmann das Opfer seines Eigentums gefordert werden, wenn es der öffentliche Nutzen verlangte. Da Verwaltungen und Ämter fast durchweg mit Polen besetzt waren, fand sich stets ein kaum zu widerlegendes öffentliches Erfordernis.