Kitabı oku: «Aus der Sicht der Fremden», sayfa 5

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Krankheitsbild: Kinderlähmung
In der neunten Etage wohnte auch ein ausgesprochener Gentleman, der über 90 Jahre alt und blind war. Sein ganzes Benehmen ließ erkennen, dass er ein Mann der alten Schule war. Außerdem war er sehr bescheiden, er forderte nichts, war diszipliniert und hatte Manieren. Wir fanden es bewundernswert, wie der Mann in seinen eigenen Wänden zurechtkam. Er hatte eine Freundin, die ihn jede Woche besuchte. Der Bewohner war nie krank und bekam von uns auch keine Medikamente. Wenn ich Frühdienst hatte, war es meine Pflicht, den Mann mit dem Lift in den Speisesaal im Erdgeschoß zu führen. Ich habe ihm eine Stunde lang das Essen eingegeben. Er lauschte dabei den Stimmen im Saal und nach dem Essen führte ich ihn wieder zurück in seine Wohnung.
An einem Nachmittag hat er nach mir verlangt. Er sprach die Etagendame an und sagte, dass er mich sprechen möchte. Da ich an diesem Tag frei hatte, rief sie den Leiter an und fragte ihn, ob sie mich rufen dürfe, ich wohnte ja fast im Haus. Der Leiter hatte es aber nicht erlaubt, mit der Begründung, dass ich einen freien Tag habe und nicht im Haus sei. Am nächsten Tag kam ich zum Frühdienst und erfuhr von der Nachtschwester, dass der alte Herr in der Nacht gestorben war. Als ich die Nachricht hörte, bin ich gleich nach oben gegangen und suchte ihn in seiner Wohnung auf. Der Herr lag mit gefalteten Händen auf dem Bett, während sein Kopf stark nach hinten gebeugt war. Sein Mund war aufgerissen. Er musste nach Luft geschnappt haben und ich dachte, dass er seinen Übergang in das Jenseits wahrscheinlich gespürt hatte. Er wollte sich einfach von mir verabschieden. Ein armer Kerl.
In die Erzählungen über meine Arbeit in der Pflege habe ich bewusst ein paar schwere Fälle eingebaut, damit der Leser einen Eindruck von den täglichen Bemühungen einer Pflegekraft bekommt. Es geht mir auch darum, dem Leser klar zu machen, wie elend und schwer der letzte Lebensabschnitt sein kann und auch ist, wenn man lebenslang die gesunde Lebens- und Ernährungsweise nicht beachtet.
Es gab Pflegefälle, für die wir Schwestern eine volle Stunde gebraucht haben. Das waren Menschen, mit denen man sehr vorsichtig umgehen musste, um Schmerzen zu vermeiden. Bei solchen Fällen konnte man sich auch nicht beeilen und mit jedem musste man auch anders umgehen. Deswegen kann man die Zeit auch nicht pauschal abrechnen!
Es gab ein Ehepaar, das in einer Zweizimmerwohnung lebte. Die beiden waren über 80 Jahre alt. Die Frau, die noch ganz fit war, konnte sich in der Stadt bewegen und alles erledigen. Sie war im Krieg Krankenschwester gewesen. Ihr Mann dagegen, der in jungen Jahren auch ein Fußballspieler war, war ein totaler Pflegefall mit zwei künstlichen Kniegelenken. Seine Behinderung lag nicht nur an den beiden versteiften Knien. Mit Erlaubnis der Oberschwester und der Ehefrau durfte ich ein Knie mit dem künstlichen Gelenk fotografieren. Man konnte auf dem Bild erkennen, dass sich an der Haut am und um das Knie herum Wunden und Narben gebildet hatten. Es ist logisch, dass das künstliche Material des Gelenkes nicht mit dem lebendigen menschlichen Gewebe verschmelzen kann! Es bildete sich mit der Zeit Eiter an der Berührungsstelle, dieser ist ein gefährliches Gift und will heraus. Er drückt an die Haut und verursacht kleine Löcher. Ich habe beobachtet, wie sich ein Loch nach der medizinischen Behandlung geschlossen hatte, aber an der nächsten Stelle weitere kleine Löcher entstanden! Das Knie war voller Narben. Bei der Versorgung dieses Falles habe ich nicht auf die Uhr geschaut, sonst hätte mich der Zeitdruck, unter dem ich gestanden habe, nervös gemacht. Seine Frau sagte mir einmal, dass ich die einzige Schwester sei, bei der ihr Mann während der Versorgung nicht schreit. Ich möchte an dieser Stelle allen Sportlern mitteilen, dass beim Laufen das Vierfache des gesamten Körpergewichts auf ein Knie prallt! Diese Tatsache ist unter anderem die Ursache für Knieprobleme im Alter. Durch den Eiter wird mit der Zeit der ganze Körper vergiftet und der Mensch stirbt schließlich nicht, weil er alt geworden ist, sondern an einer Vergiftung! Aber wer prüft das schon nach dem Tod.
Das Knie mit dem künstlichen Gelenk, total versteift


Ein anderer Fall hat uns Schwestern zweimal am Tag auch fast eine Stunde Zeit gekostet. Das war eine sehr anspruchsvolle, 86-jährige Dame, die querschnittsgelähmt und adipös war. Sie bewegte sich den ganzen Tag mit einem elektrischen Rollstuhl in der Gegend herum. Sie hat mittags die dringende Entlastung des Körpers verweigert und wollte sich nicht ins Bett legen.
Die Folge davon war eine sehr tiefe Wunde am Gesäß. Am folgenden Foto sieht man den nackten Knochen am Steiß. Da die Wunde keine Schmerzen verursachte, wollte die Dame auch nichts davon wissen. In meiner zehnjährigen Arbeit in der Pflege war das der einzige Dekubitus vierten Grades, den ich zu Gesicht bekommen habe – ein Beispiel für die komplett fehlende Entlastung. Über diesen Fall habe ich mit der Oberschwester gesprochen und meinte, wenn die Frau die Wunde auf einem Foto sehen würde, dann würde sie vielleicht der Entlastung mittags doch zustimmen. Die Dame hat mir zwar erlaubt, den Dekubitus zu fotografieren, aber sie wollte das Foto nicht sehen! Es war einfach nichts zu machen. Wir Schwestern waren froh, dass wir die tiefe Wunde mit unserer Sorgfalt überhaupt sauber halten konnten.
Dekubitus vierten Grades mit dem sichtbaren Knochen


Die obligatorische Entlastung im Intimbereich im Zweistundenrhythmus ist die einzige Voraussetzung dafür, dass die Haut intakt bleibt! Bei jedem Menschen, der sich im Bett nicht mehr bewegen kann, entstehen Wunden, und je länger jemand bettlägerig ist, desto tiefer werden die Wunden, wenn er nicht umgelagert wird. Schließlich stirbt das Gewebe bei fehlender Entlastung ab. Man erkennt die abgestorbene Haut an den schwarzen Spuren daran. Auf den folgenden Seiten finden sich weitere Beispiele der fehlenden regelmäßigen Entlastung auf meiner Station.





***
In den ruhigen Monaten, in denen ich nicht mehr unmittelbarem Mobbing ausgesetzt war, musste ich immer öfter geteilten Dienst leisten. Der Personalmangel war deutlicher zu spüren als sonst. Der geteilte war der schwierigste von allen drei Diensten. Ich habe ihn immer widerstandslos angenommen und der Leiter musste eigentlich zufrieden mit mir sein. Es ist mir aber nicht entgangen, dass er mich weiterhin auf dem Kieker hatte und mein Gespür hatte mich auch nicht getäuscht. Diese Tatsache wurde mir wieder mal bewusst, als mich das nächste Erlebnis wachrüttelte. Nach einem schweren Spätdienst habe ich vergeblich auf die Nachtschwester gewartet. Erst dachte ich, dass sie sich verspäten würde, also teilte ich für sie die Schlaftabletten an die Bewohner aus. Aber nachdem ich diese verteilt hatte und in das Stationszimmer zurückkam, war sie immer noch nicht da. Dass ich die Station nicht verlassen durfte und die Nachtwache übernehmen musste, wusste ich, das war meine Pflicht, also arbeitete ich weiter. Die Nachtschicht habe ich bei dem Pflegefall begonnen, den ich im Spätdienst um 17:00 Uhr für die Nacht vorbereitet hatte. Dann ging es der Reihe nach weiter. Alle Pflegefälle wurden in der Nacht zweimal gewickelt und gelagert. In dieser Nacht war die verwirrte Frau S. wieder mal unterwegs. Um 22:00 Uhr war sie nicht mehr in ihrer Wohnung und um 23:00 Uhr war sie immer noch nicht da! Ich lief durch alle neun Etagen, während der Nachtportier die Keller durchsuchte, wo er Frau S. in einer Ecke am Boden sitzend und ganz verzweifelt vorfand. Ich habe sie dann in ihre Wohnung begleitet, sie ausgezogen, ihr das Nachthemd angezogen und sie ins Bett gelegt. „Was war los? Wo wollten Sie denn hin?“, fragte ich sie beim Abschied. Sie sagte ganz leise und beschämt: „Ich wollte doch nur zu meiner Tochter.“
Als die Nacht vorbei war, meldete ich beim Leiter, dass die Nachtschwester nicht gekommen war und ich ihren Dienst übernommen hatte. Er war nicht überrascht, sondern erwiderte in einem ganz ruhigen Ton: „Ich weiß, sie hat sich krank gemeldet.“ Und nach einer Weile folgte eine ganz gleichgültige Erklärung: „Ich habe vergessen, eine Vertretung zu organisieren.“ In seiner Stimme war kein Bedauern zu hören und eine Entschuldigung folgte auch nicht. Ich fragte mich, ob es wirklich ein Versäumnis oder doch Absicht gewesen war?! Seine Gleichgültigkeit traf mich und gab mir Anlass nachzudenken. Als ich ins Stationszimmer kam, um den Arbeitsplan für den heutigen Tag zu kontrollieren, sah ich mit Entsetzen, dass ich am selben Tag noch Spätdienst hatte. Ich musste also „schnell schlafen“, um nach den zwei Diensten (!) wieder fit und um 12:30 Uhr wieder hier zu sein. Jetzt wusste ich, dass es seine Absicht und eine Schikane war, dass er mich weiterhin auf dem Kieker hatte und mich fertigmachen wollte. Auf dem Weg in mein Dienstzimmer dachte ich: „Wenn ich gestern nach dem Spätdienst nicht auf die Nachtschwester gewartet und ihren Dienst nicht übernommen hätte, hätte er jetzt einen festen Kündigungsgrund in der Hand, das ist sicher. Das ist einer!“, dachte ich. Als ich pünktlich zum Spätdienst kam, ist er im Flur mit einem Lächeln im Gesicht an mir vorbeigegangen.
Das Mobbing ging weiter. Die geteilten Dienste wurden zum Alltag für mich. Ich habe sie so lange durchgehalten, bis ich eines Tages nicht mehr arbeiten konnte. Ich war am Ende meiner Kräfte. Es fing mit einer Erkältung an, die sich rapide zu einer Bronchitis entwickelte, und ob ich wollte oder nicht, ich musste mich beim Arzt melden.
Kaum war ich krankgeschrieben, da rief mich schon der Leiter zu Hause an und sagte: „Wenn du nicht mehr belastbar bist, dann solltest du dir überlegen, ob du den Arbeitsplatz nicht wechseln möchtest!“, und legte auf. Das war wieder ein Schlag, der gesessen hat. Zu meiner körperlichen Belastung kam jetzt zusätzlich die seelische dazu. Ich war am Ende.
Bei der nächsten Visite beim Hausarzt schickte dieser mich gleich zum Lungenarzt weiter. Die Lage war ernst. Das Röntgenbild zeigte Änderungen in der Lunge. Als der Lungenarzt mir Medikamente verschreiben wollte, fragte ich ihn ganz unsicher: „Bitte, darf ich die schulmedizinische Behandlung verweigern?“ Der erfahrene Arzt schaute mich nachdenklich an und wartete auf eine Erklärung. „Ich möchte mich an einen Heilpraktiker wenden, der meinem Neffen vor zwölf Jahren das Leben gerettet hat, dieser hatte Leukämie und er lebt heute noch.“ Der Arzt sagte nur: „Ich habe nichts gegen Mittel, die helfen.“ Ich war gerettet und sehr erleichtert zugleich. Ich bedankte mich für sein Verständnis und ging. Sein Verständnis und seine Toleranz, aber vor allem die Tatsache, dass der Arzt sich nicht beleidigt gefühlt und mit Wut oder Ignoranz reagiert hatte, tat mir gut.
Zu Hause angekommen, habe ich sofort Pater Ober angerufen. Das war das erste Mal, dass ich mich hier in Deutschland an ihn gewendet habe, und zwar mit vollem Vertrauen. Ich war überrascht, dass ich ihm nicht viel sagen musste. Er hat auch keine einzige Frage gestellt, ihm hat die Information gereicht, dass ich mich beim Lungenarzt hatte melden müssen. Die fernangeordneten Medikamente sind bei mir in drei Tagen angekommen. Es folgte eine schwere Zeit für mich. Ich war dermaßen geschwächt, dass ich mich nicht selber versorgen konnte. In der Not hat mir meine treue Schwester wieder geholfen. Sie ist jeden Tag mit dem Bus aus Neuaubing zu mir gekommen und hat das Mittag- und Abendessen für mich vorbereitet. Das waren schmackhafte Salate – bei meiner Appetitlosigkeit habe ich sowieso nichts anderes essen können, und das, was sie vorbereitet hatte, war eine Vitaminbombe, also aß ich es.
Jeden Tag habe ich zweimal um die gleiche Zeit das Fieber gemessen, das nicht hoch war, und zweimal den Blutdruck, der erschreckend war und mir Angst einjagte. Beide Werte lagen über 100. Es ging mir dabei dermaßen schlecht, dass ich dachte, ich müsse sterben. Ich habe den ganzen Tag resigniert, hoffnungslos und total geschwächt im Bett verbracht. Nach wenigen Tagen hat mich überraschenderweise Pater Ober angerufen! Er sagte ganz direkt zu mir: „Sie sollten nicht ständig im Bett liegenbleiben, sondern sich an der frischen Luft bewegen!“ Das war alles, er legte gleich auf. Der Anruf hatte mich doch verblüfft. Es ist mir klar geworden, dass Pater Ober mich überwachte! Ich war sehr geschwächt, aber nach dem Anruf habe ich mich zusammengerissen und bin in die kleine Parkanlage vor meinem Haus gegangen. Ab diesem Tag habe ich mich bemüht, mich zweimal pro Tag an der frischen Luft zu bewegen und tief zu atmen. Als ich mich nach langer Zeit beim Lungenarzt melden musste, machte dieser ein Röntgenbild zur Kontrolle. Die Lunge war einwandfrei und der Arzt staunte. Als ich ihm gesagt habe, dass der Heilpraktiker mich gar nicht gesehen hatte, war sein Staunen noch größer und er wollte wissen, wie das möglich war. Ich sagte nur kurz, dass Pater Ober eine Ferndiagnose und -behandlung angewendet hatte. Mehr konnte ich ihm sowieso nicht sagen, weil ich damals noch nicht wusste, wie ich es ihm genauer erklären konnte. Der Lungenarzt war sehr freundlich zu mir, er hat mich sogar in ein Sanatorium geschickt.
Die Hilfe, Treue und Fürsorge meiner einzigen Schwester hat mir in den ersten Jahren meines Aufenthaltes in Deutschland ein warmes Gefühl gegeben und die Gewissheit, dass ich in der Fremde, in der neuen Heimat, doch nicht alleine bin.
***
Das Sanatorium befand sich in Todtmoos in einer herrlichen Gegend des Schwarzwaldes, mitten im Wald. Man konnte meinen, in dieser herrlichen Gegend und frischen Luft konnte man den ganzen Tag im Wald verbringen, es war ja ein Aufenthalt in einem Sanatorium. Dem war aber leider nicht so! Obwohl ich alle erforderlichen Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen mitgebracht und abgegeben hatte, wurde ich jeden Tag einer neuen Untersuchung unterzogen. Jeden Vormittag musste ich in einem Flur lange darauf warten, die Zeit danach war zu knapp, um einen Spaziergang im Wald zu unternehmen. Dafür gab es dreimal in der Woche Atemgymnastik im Hof des Sanatoriums, unmittelbar vor dem Mittagsessen für dreißig Minuten. Auch dreimal in der Woche haben wir Patienten uns in einer Turnhalle zur Atemgymnastik nachmittags versammelt, diese dauerte eine Stunde lang. Die Bewegung, die Spaziergänge im Wald und in den Bergen wären aber die bessere Atemgymnastik gewesen, wenn es einen Führer gegeben hätte. Diese Wanderungen im Wald durch die bergige Gegend, die es nie gegeben hat, habe ich sehr vermisst. Ob die anderen Patienten den Aufenthalt in der herrlichen Umgebung auch so wie ich empfanden? Das habe ich bezweifelt. Unmittelbar vor dem Hauptgebäude des Sanatoriums haben sich jeden Tag nach dem Mittagsessen die Raucher in einer Ecke versammelt, diesen Leichtsinn habe ich überhaupt nicht verstanden. Sie wirkten zufrieden und plauderten miteinander.
Der Aufenthalt in dem Sanatorium hat mir trotz allem gut getan, ich konnte ruhen. Meine Lunge hat sich in der kurzen Zeit doch erholt. Nach der Rückkehr nach München war ich gestärkt und wieder einsatzfähig für den schweren Dienst.
***
Mit Bangen bin ich zurück in meine Arbeit gekommen und so, wie ich es vermutet hatte, hat sich an den Arbeitsumständen in meiner Gruppe leider nichts verändert. Im Frühdienst konnte ich nur zwei Tage normal arbeiten, das heißt bei voller Besetzung mit drei Schwestern. Schon am dritten Tag fehlte die dritte Pflegekraft und alles ging wieder von vorne los. Wir arbeiteten im Frühdienst wieder zu zweit. Zusätzlich kam der Pflegedienstleiter eines Tages mit der Information zu uns, dass es keine zusätzlichen freien Tage mehr gibt. Somit haben sich unsere Arbeitsbedingungen noch weiter verschlechtert.
Dass der Leiter mich weiterhin loshaben wollte, spürte ich jeden Tag an seinem Benehmen mir gegenüber, und seinem falschen Lächeln traute ich auch nicht. Die Gefahr verspürte ich jeden Tag, weil sie einfach in der gesamten Atmosphäre lag. Ich musste weiterhin auf der Hut sein. Da er mir bis dahin in den vielen Jahren immer noch keinen beruflichen Fehler hatte nachweisen können, fürchtete ich jetzt seine Tricks, die er weiterhin anwenden konnte. Dieser Situation war ich nicht gewachsen, sie machte mich seelisch fertig. Ich habe angefangen, nach jedem Dienst den Dienstplan darauf zu kontrollieren, ob er nicht in letzter Minute geändert worden war, ohne dass mich der Leiter darüber informiert hätte. Erst dann habe ich die Station verlassen. In dieser Zeit, in der wir alle vom Personalmangel betroffen waren und unsere Pflegefälle notgedrungen nur „abgefertigt“ wurden, haben wir unser Leben zwischen den Diensten und dem eigenen Bett verbracht, um am nächsten Tag den Dienst schaffen zu können.
Die Leitung des Hauses wusste natürlich nicht, unter welchen Umständen wir unsere Pflichten bewältigen mussten. Ich saß einmal alleine mit der Oberschwester im Dienstzimmer zusammen und wir redeten über die Arbeitsumstände. Da hörte ich auch, dass unser Leiter oft gefragt wurde, wie es in der Pflege läuft und ob er nicht mehr Pflegekräfte braucht, aber er hat nicht zugegeben, dass es an Schwestern mangelte. Er hat immer nur behauptet, dass er alles im Griff hätte. Das hat die Oberschwester natürlich genervt. Darüber mit ihm zu reden wagte sie jedoch nicht. Die Fluktuation der Pflegekräfte im Haus ist der Leitung des Altenheimes aber doch nicht entgangen, sie machte sich darüber Gedanken, wie man dieser vorbeugen könnte. Und noch jemand machte sich Gedanken darüber, und nur diese eine Person ist auf die Idee gekommen, unmittelbar mit uns Schwestern zu sprechen, um an den Kern der Sache zu kommen, nämlich die Witwe des Gründers des Hauses, eine Frau mit einer großen Lebenserfahrung und Menschenkenntnis. Sie hat uns einmal zu einem Treffen in das Café eingeladen, um mit uns zu sprechen. Zu diesem Treffen sind Schwestern gekommen, die ihren Frühdienst gerade beendet hatten. Wir hatten uns gerade am Tisch versammelt, da sah ich die Oberschwester kommen! Dass sie wegen mir gekommen war, konnte ich mir denken. Sie wusste, dass ich über unsere Arbeitsverhältnisse nicht schweigen würde. Mit ihrem Kommen hat die Oberschwester uns allen den Mund verboten. Auch ich wollte mich nicht mit ihr anlegen. Ich war gespannt, ob sie etwas über unsere Arbeitssituation sagen würde. Da sie kein Wort über unsere schweren Arbeitsbedingungen verlor und das Gespräch nicht mal die Situation berührte, wusste ich, dass sie den Leiter in Schutz nahm. Also hatte sie doch Angst vor ihm und wollte ihn nicht bloßstellen. Das fand ich gar nicht gut, weil wir alle unter der Verschwiegenheit litten, die Schwestern wie auch die Pflegefälle. Also ist nichts geschehen. Die einzige Person, die die Wahrheit erfahren wollte, die Witwe des Gründers, hat nichts erfahren. Ihr Versuch ist gescheitert. Ich habe mich natürlich gefragt, warum die Oberschwester den Leiter in Schutz nahm. Weil er ihr Vorgesetzter war? Oder hatte er von dem Treffen gewusst und sie hingeschickt? Wie auch immer es gewesen war, das Treffen mit der Witwe hat unsere schweren Arbeitsverhältnisse nicht ins rechte Licht gerückt und alles blieb beim Alten. Auch die hohe Fluktuation im Haus ist geblieben, weil die neuen Schwestern die ständige Überlastung und Überforderung nicht in Kauf nehmen wollten und gingen. Jedes Mal, wenn eine junge Schwester uns verlassen wollte, habe ich sie unschuldig gefragt, warum sie ging, obwohl ich den Grund genau kannte. Die Antworten waren immer die gleichen: „Ich lasse mich doch nicht kaputt machen!“, war die erste. „Und was willst du jetzt machen?“, fragte ich unschuldig weiter. „Jaaa, erstmal werde ich mich natürlich ein paar Monate ausruhen! Dann sehe ich weiter, und ob ich überhaupt in dem Beruf bleibe, weiß ich noch nicht.“
***
Das Phänomen der Begründung, „sich nicht kaputt machen lassen wollen“, habe ich schon in der Fachschule von Anfang an beobachten können. Nach jedem Arbeitsblock ist ein Schüler weniger in die Schule gekommen. Er hat nicht nur die Schule verlassen, sondern gleichzeitig auch den Arbeitsplatz gekündigt. Was dabei interessant war: Das waren nicht die Ausländer! Das war die deutsche Jugend, die schnell begriffen hat, dass unser Beruf gesundheitsschädlich ist. Die Leitung des Hauses musste sich genauso stark um neue Arbeitskräfte bemühen, wie alle anderen Altersheime der Stadt München auch, denn was zu meiner Zeit in diesem noblen Haus mit einem Personalschlüssel von 1:1 fehlte, waren die obligatorischen, monatlichen Meldungen der Pflegedienstleitung an die obere Leitung des Hauses, wie viele Personen aus dem Wohnbereich von der Pflege übernommen wurden, damit die Leitung auch sofort dieselbe Zahl von neuen Pflegekräften einstellen konnte, um den Schlüssel zu erhalten. So wäre es nicht zur Überarbeitung, zu den geteilten Diensten und der hohen Fluktuation der Pflegekräfte gekommen.
Der Kalender zeigte das Jahr 1994. Es war Sommer. Die Leitung des Hauses war wie jedes Jahr um diese Zeit wieder mal dabei, ein Fest zu organisieren. Es sollten die Pflegekräfte geehrt werden, die fünf Jahre Arbeit im Hause hinter sich hatten. Die Feier mit einer Geschenkübergabe hat jedes Jahr in der evangelischen Kirche stattgefunden, die unmittelbar gegenüber dem Haus stand. In dieser Kirche wurde jeden Sonntag eine Messe abgehalten, an der die gesunden Bewohner teilnehmen konnten. In diesem Jahr war ich auch dabei. Die Feier selbst wurde sehr schön gestaltet. Dafür hat sich schon die entsprechende Abteilung des Hauses gekümmert. Sie begann mit einer Messe an einem sonnigen Nachmittag. Nach der Messe hat man alle Personen, die geehrt werden sollten, vor den Altar gebeten. Man hat uns mit einer goldenen Kette mit Anhänger beschenkt. Diese wurde uns in einem weißen Etui übergeben. Der Anhänger zeigte den griechischen Buchstaben Phi, der Brüderlichkeit symbolisiert. Die Zeremonie der Geschenkübergabe zelebrierte ein Herr aus der Gewerkschaft.
Es war ein feierliches und schönes Erlebnis. Zum Schluss gab es ein Glas Sekt im Foyer des Hauses.
Die Ehrung der Pflegekräfte in der evangelischen Kirche im Jahre 1994


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26 mayıs 2021
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