Kitabı oku: «Die wilde Reise des unfreien Hans S.», sayfa 4
»Das Korps ist deine Familie, der Sultan dein Vater«, seufzte Yorick eines Abends und ließ sich auf das Bett plumpsen. »Ich kann es nicht mehr hören.«
»Ach, uns gehts doch gut«, antwortete Hans träge und rieb sich wohlig den Bauch, der eben das Abendessen verdaute.
»Du bist immer mit jeder Situation zufrieden, oder?«
»Wenn es gottgewollt ist und ich sie nicht ändern kann …«
»Wenn wir wenigstens Tricktrack spielen könnten«, sagte Yorick und schielte zu Hans hinüber.
»Dann würden sie uns bestrafen.«
»Wieso? Niemand hat gesagt, dass das verboten ist.«
»Hier ist doch alles verboten, was nicht mit Allah oder Waffen zu tun hat«, knurrte Hans.
»Dann hast du also kein Interesse?« Yorick zog unter seiner weiten Weste ein Holzkästchen hervor und öffnete es. Ein wunderschön gearbeitetes Tricktrackspiel lag vor ihnen. In Wahrheit war es ein einfach gemaltes Spielbrett, doch Hans hatte so lange kein richtiges Spielbrett mehr gesehen, dass ihm das hier einfach wunderschön vorkam.
»Wo hast du das denn her?« Hans merkte, dass seine Stimme vor Aufregung zitterte. »Wir sind doch hier gefangen wie Mäuse in der Falle.« Wie in einem strengen Mönchsorden durften die Janitscharen während der Ausbildung die Kaserne nicht verlassen.
»Mein Geheimnis«, schmunzelte Yorick. »Da draußen ist eine Welt und zu der gibt es verschiedene Kontaktmöglichkeiten.«
»Sag schon!«
Yorick schüttelte lachend den Kopf. »Willst du nun spielen?«
»Und wenn uns einer verpfeift?« Hans sah sich im Saal um, aber kaum einer schenkte ihnen Beachtung. Im Gegenteil, erst jetzt fiel Hans auf, dass auf mehreren Betten offenbar gespielt wurde. Leise und unauffällig, mit Würfeln und Spielbrettern.
»War das gestern auch schon so?« Hans zog die Stirn kraus.
»Vielleicht«, sagte Yorick unbestimmt. »Ich glaube, heute kam eine Großlieferung. Und wenn uns einer verpfeift, dann lassen wir Max auf ihn los.« Yorick deutete zu ihrem stillen Freund, der kerzengerade ausgestreckt auf seinem Bett lag und zur Decke starrte.
Hans gluckste. »Die Rache des Untoten.« Dann kniff er die Augen zusammen. »Steckst du dahinter?« Er machte eine ausladende Geste in den Saal.
»Vielleicht. Kann sein, dass ich heute wie auch immer an fünf Spiele gekommen bin. Und die gegen einen kleinen Obolus verteilt habe. Kann aber auch nicht sein.«
»Yorick van Nazareth, du wirst mir langsam ein wenig unheimlich.«
»Gut so«, lachte Yorick.
»Ich dachte, du bist mein Freund. Jetzt sag schon, wie du das gemacht hast.«
»Ich bin dein Freund, und darum ist es besser, ich sage es dir vorerst nicht.«
Ein Tumult entstand in der hinteren Ecke. Don Juan stritt sich mit einem anderen um ein Spielbrett.
»War klar«, kommentierte Yorick, »ich habe Don Juan keins gegeben.«
Der Kastilier versetzte seinem Kontrahenten einen Faustschlag ins Gesicht. Pech für Don Juan Gonzáles de Clavijo, dass der für ihre Orta zuständige Koch den Zank mitbekommen hatte, das Spiel konfiszierte und Don Juan zu einer Woche Küchenarrest verdonnerte.
Am nächsten Tag unterbrach der kommandierende Suppenkoch der Orta Schiltbergers Training mit dem Schwert und winkte ihn zu sich. Hans überlegte fieberhaft, ob er sich etwas zuschulden hatte kommen lassen. Es fiel ihm nichts ein. Doch! Das Tricktrack. Am Vorabend hatten alle ihre Spiele schnell verschwinden lassen, als der Koch sich den Kastilier vorknöpfte. Bestimmt hatte Don Juan ihn verpfiffen. Na bitte, nun würde die Strafe folgen.
»Hans, du bist ein guter Schwertkämpfer«, begann der Suppenkoch, der Bahadir hieß.
»Ihr seid zu gütig, Herr.«
»Sehr gut mit dem Schwert und gut mit der Axt. Mit dem Bogen hapert es allerdings noch etwas.«
»Ihr habt eine genaue Beobachtungsgabe, Herr.«
»Und du bist nicht dumm.«
Als Hans wieder devot antworten wollte, unterbrach ihn Bahadir ungeduldig. »Du musst mir keinen Honig ums Maul schmieren. Ich war auch einmal in deiner Situation. Ja, ich war fast genau wie du, als ich hier angefangen habe. Sprich gefälligst offen zu mir.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht und ließ den mächtigen Schnurrbart erzittern. Dann deutete er ernst hinüber zu Max. »Was ist mit deinem Freund los?« Er gab dem Übungsleiter ein Zeichen, und Max wurde zu ihm gebracht.
»Ich würde gerne wissen, was da drin vorgeht.« Bahadir klopfte mit seinen Fingerknöcheln gegen Max’ Stirn. Der Bursche verzog wie üblich keine Miene. »Er kämpft wie ein Löwe, kann die Waffen bedienen. Er kann alles! Er isst, trinkt, schläft, aber warum lebt er nicht?«
»Er lebt doch, Herr. Er kann nur nicht reden …«, sagte Hans schnell.
»Hat er keine Zunge?«
»Genau, Herr.« Hans sog sich eine Geschichte aus den Fingern. »Man hat ihm unmittelbar nach der Schlacht von Nikopolis die Zunge herausgeschnitten. Das hat ihn so betrübt, dass er nun gar nicht mehr reagiert.«
»Hat er gelogen? Warum sollte man ihm sonst die Zunge herausschneiden?«
»Ich glaube nicht. Max lügt nicht. Aber es muss ja wohl so sein …« Hans zuckte mit den Schultern.
Bahadir streckte seine rechte Hand aus und schob Max zwei Finger zwischen die Lippen. Der öffnete den Mund.
»Warum lügst du mich an, Hans?«, sagte er scharf. »Er hat eine Zunge. Willst du deine verlieren?«
»Nein, Herr, verzeiht, Herr. Ich wollte nur meinen Freund schützen.«
»Das ehrt dich.« Bahadir gab Max einen Wink, zu seinem Schwerttraining zurückzugehen.
»Er ist ein Baschi-Bozuk, ein kaputter Kopf«, sagte Hans. »Er hat im Krieg zu viel gesehen.«
Bahadir nickte. »Das haben wir alle. Und du? Hat dich das, was du gesehen hast, nicht auch zum Baschi-Bozuk gemacht?«
»Manchmal verwirrt im Kopf zu sein, gehört doch zum Leben.«
Bahadir lachte laut auf. »Der Philosophieunterricht scheint dir gutzutun. Und dennoch willst du nicht die einzig wahre Religion annehmen?«
»Wenn Ihr es wünscht, dann mache ich das.«
»Das ist Unsinn. Wenn ich es wünsche! Unsinn. Du musst es wünschen. Das Problem mit euch allen hier ist, dass ihr zu alt seid. Ihr seid hier oben«, nun klopfte er mit den Fingerknöcheln an Hans’ Stirn, »schon zu weit. Vergiftet von der falschen Lehre vom falschen Gott. Das Geschwätz eurer Pfaffen hat eure Hirne zerfressen. Ihr seid nicht mehr formbar genug. Das ist nicht eure Schuld. Unser Vater, Sultan Bayezid, duldet es, solange ihr gute Kämpfer seid. Wir bekommen aber einfach zu wenige Kinder als Gefangene, aus denen man gute, überzeugte Moslems machen kann. Weißt du, nein, du weißt es nicht, aber ich erzähle es dir jetzt, dass ich auch mal Christ war. Mein Geburtsname ist sogar Christos, ich war Grieche, bevor ich Janitschar wurde und Sultan Bayezid als meinen Vater anerkannte.«
»Also funktioniert das System doch«, antwortete Hans.
»Du bist frech, das gefällt mir.« Bahadir hob warnend die Hand. »Aber nicht zu sehr! Ja, manchmal gibt es Männer wie mich, die den wahren Glauben erkennen. Es ist nie zu spät.«
»Wenn man mehr Kinder für die Janitscharen bekommen möchte«, sagte Hans nachdenklich, »dann müsstet ihr sie von den Völkern nehmen, die ihr unterwerft.«
»Das machen wir bereits.«
»Offenbar nicht effektiv genug. Es reicht wohl nicht, eine Handvoll Knaben mitzunehmen. Man müsste es systematisch machen. Wie eine Weinlese. Eine Knabenlese.«
»Knabenlese«, wiederholte Bahadir. »Das gefällt mir.«
»Es hätte noch einen weiteren Vorteil. Jetzt entreißt Ihr den weinenden Müttern die Buben aus den Armen. Wenn die Kinder hier eine gute Ausbildung bekommen und sogar eine gesicherte Zukunft vor sich haben, dann werden sich die Familien darum reißen, ihre Söhne zu den Janitscharen zu schicken.«
»Du bist wirklich nicht dumm, Hans.« Bahadir zwirbelte nachdenklich seinen Schnurrbart. »Du kannst es weit bringen. Du bist einigen Herren schon aufgefallen. Wenn du weiter gut an dir arbeitest, stehen dir viele Möglichkeiten offen.«
»Ich dachte, man kann als Janitschar nur innerhalb des Korps aufsteigen.«
»Meist ja. Aber das letzte Wort hat immer unser Vater Bayezid der Blitz.« Bahadir klopfte Hans auf die Schulter. »Du bist zu gut im Schwertkampf, um mit den anderen zu trainieren. Du wirst dem Übungsleiter ab sofort assistieren und deine Kunst den anderen zeigen.«
»Danke für die Ehre«, sagte Hans erfreut.
»Dafür musst du mehr mit dem Bogen üben. Ach, und einen guten Rat noch, Hans. Du hast sicher den hohen Herrn schon bemerkt, der ab und zu vorbeikommt und euch inspiziert.«
Hans nickte. Der Suppenmacher konnte nur den massigen Edelmann meinen, den Prackl, den er zum ersten Mal in Gallipoli gesehen hatte.
»Das ist der Beylerbey, Herr der Herren, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Gouverneur von Rûm, Lala Nedim Pascha, der Sohn des großen Lala Schahin Pascha. Über ihm stehen nur die Wesire und der Sultan. Ein äußerst wichtiger und einflussreicher Herr. Der bedeutendste Stratege unseres Sultans. Dein blonder Freund mit den blauen Augen gefällt ihm, glaube ich. Aber ihm zu gefallen ist nicht immer erstrebenswert. Das ist nur ein Rat. Ich glaube nicht, dass du ihm gefallen möchtest.«
»Das verstehe ich nicht, Herr.«
»Das wirst du früher oder später.« Bahadir wandte sich zum Gehen. »Ach, eines noch, gefallen euch die Tricktrackspiele, die ich euch zukommen ließ? Ich habe sie dem Blonden gegeben, der offenbar Lala Pascha gefällt.«
»Ja, Herr, Yorick hat sie verteilt. Danke, Herr!« Dieser verdammte Yorick mit seiner Geheimniskrämerei.
5 Schwarze Dämonen
Es hatte drei Tage geregnet, der Boden war weich. Keine optimalen Bedingungen für eine Schlacht. Immerhin schien an diesem Tag endlich die Sonne, die feuchten Zelte dampften in der Wärme. Sie hatten in der Früh im nahen Dolay-Bach gebadet und sich von der Aprilsonne trocknen lassen, bevor es zum Frühstück ging. Es gab Fleisch für alle, Kraftfutter für den Kampf. Vor ihnen lag die Ebene von Konya. Im Osten erahnte man die Zitadelle der Stadt, deutlich besser sah man die Truppen des Gegners, die vor der Stadt lagerten. Weit in der Ferne leuchteten die weißen Gipfel des Taurusgebirges.
Hans war gespannt, wie ihr erster Einsatz verlaufen würden. Sultan Bayezid musste seinen Schwager zur Räson bringen, den aufrührerischen Alaeddin Ali, König von Karaman. Alaeddin Ali war ein ständiger Dorn im Fleisch der Osmanen. Er hatte schon gegen Bayezids Vater Murad Krieg geführt, hatte andere anatolische Herrscher gegen den Sultan aufgewiegelt, und seit einiger Zeit paktierte er ganz offen mit dem berüchtigten Tamerlan, dem Tatarenherrscher, der das Reich Bayezids bedrohte. Die Abwesenheit des großen Sultans während der Schlacht von Nikopolis hatte Alaeddin Ali dreist dazu genutzt, Anatolien zu besetzten und den Gouverneur Timurtasch Pascha gefangen zu nehmen. Schwager oder nicht, Bayezid wollte im Frühjahr 1398 mit aller Härte gegen Alaeddin Ali vorgehen. Wozu hatte der Vater die Schwester mit dem rebellischen Fürsten verheiratet? Gewiss nicht einfach so. Niemand bekam einfach so eine Prinzessin, schon gar nicht Bayezids Schwester Nefise Melek Sultan Hatun, die bei der Hochzeit zarte fünfzehn Lenze zählte, also im allerbesten Hochzeitsalter steckte. Dafür konnte man Loyalität und dauerhaften Frieden erwarten.
Beim Auszug aus Bursa hatte Hans endlich einen kurzen Blick auf die prachtvolle Hauptstadt erhaschen können. Wenn er zurückkäme, dann würde er diese Stadt erkunden. In München waren steinerne Häuser noch immer eine Seltenheit, auch wenn langsam die Ziegelproduktion in einem räudigen Kaff namens Haidhausen östlich der Stadt angekurbelt wurde. Hans hatte mehrere Stadtbrände erlebt, große und kleine. Kaiser Ludwig der Bayer hatte zwar schon vor Jahrzehnten verfügt, dass alle neu erbauten Häuser zumindest Ziegeldächer haben mussten, um den Funkenflug zu unterbinden, doch die wenigsten Bauherren hielten sich daran. Holz und Lehm waren einfach billiger als Ziegel. Da es im gesamten Umkreis von München keine Natursteinvorkommen gab, konnten sich nur die Reichsten Steinhäuser leisten. Wie hatte Hans gestaunt, als er unterwegs in Wien und Buda und auch Nikopolis viele Steinhäuser gesehen hatte. Und nun in Bursa schienen sie praktisch nur Steinhäuser zu haben. Eine Art Zukunftsvision von München.
Sie zogen in strammen Märschen durch die bergige, teils hochgebirgige Landschaft. Vorneweg die Träger des großen Suppenkessels, dann die Musiker, gefolgt von den Janitscharen, dann der Sultan mit großem Gefolge, die Generäle und die Reiterei. Das Schlusslicht bildeten wie immer die Marketender, die fast alles bereithielten, womit man Krieger bei Kräften und Laune halten kann.
Wir folgen tatsächlich einem Suppenkessel, dachte Hans.
Als sie das Lager auf der beinahe baumlosen Steppe vor der Oasenstadt Konya aufschlugen, öffnete sich kurz das Haupttor der Stadt. Eine kleine Karawane von zerlumpten Gestalten verließ die Stadt. Männer, Frauen und Kinder. Nur wenige konnten aufrecht gehen. Sie humpelten und krochen so schnell sie konnten davon, um aus der Schusslinie zu kommen. Man hatte die Aussätzigen, Krüppel und Bettler davongejagt, um sie nicht bei einer Belagerung mit durchfüttern zu müssen.
Das erste Treffen der Kriegsparteien war kaum mehr als ein abtastendes Kräftemessen. Der Pfeilregen der einen Seite wurde mit dem Pfeilregen der anderen beantwortet, bevor die Fußtruppen aufeinanderprallten. Sultan Bayezid setzte nur einen kleinen Teil der erfahreneren Janitscharen, unterstützt von Sipahi-Reitern, ein. Hans und seine Orta blieben im Lager. Fußkämpfer zu sein, war für sie neu. Sie standen bereit, falls der Einsatzbefehl kommen würde und fachsimpelten über den Schlachtverlauf. Wobei sie mehr interpretierten, als sie tatsächlich sehen konnten. Denn was die hin und her jagenden Boten den hohen Herren mitzuteilen hatten, konnten sie nicht hören.
»Ouuuh, der steht nicht mehr auf!«
»Ich hätte ja mit dem Schwert und nicht mit der Axt zugeschlagen.«
»Quatsch, siehst doch, dass das Schwert mehr gebracht hat!«
»Scheiß Matsch. Da kann doch keiner vernünftig standhalten. Voll weggerutscht!«
»Der Alaeddin hat keine Chance, Mann. Warum schickt der Sultan, unser Vater, nicht mehr Männer? Die fegen wir doch weg! Das sind doch nur Stammeskrieger.«
»Von Strategie hast du auch noch nie was gehört, oder?«
»Was ist jetzt? Signal zum Rückzug? Wieso das denn?«
»Alaeddin Ali zieht sich doch auch zurück.«
»Ja, eben, da muss man doch nachrücken!«
»Klugscheißer.«
Die Schlacht am Nachmittag verlief heftiger, aber ebenso ergebnislos und ohne Einsatz der jungen Janitscharen. Enttäuschung machte sich breit. All das angestaute Adrenalin verpuffte. In und vor den Zelten vertröstete man sich auf morgen, während die Suppenmacher sich über die Zahl der Gefallenen und Verletzten informieren ließen. Die Ärzte hatten alle Hände voll zu tun, doch die Verluste hielten sich in Grenzen. Ihr Vater, Sultan Bayezid der Blitz, und Alaeddin Ali von Karaman hatten sich durch Boten auf einen Waffenstillstand für die Nacht geeinigt, ließ man die Truppe wissen.
Kaum war die Sonne untergegangen, verflüchtigte sich auch die Frühlingswärme. Überall zwischen den Zelten wurden Feuer entfacht, und Essensdüfte stiegen in die Nasen. Zur Überraschung aller kam unmittelbar nach dem Essen der Befehl des Sultans, dass alle Feuer nun zu löschen seien. Man werde die Nacht in völliger Dunkelheit verbringen. Erschöpft von Märschen verkrochen sich die meisten aus Hans’ Orta in die Zelte und schliefen sofort ein. Tosender Lärm ließ sie bald hochschrecken. Von Konya her schallten Pauken und Trompeten.
»Die wollen uns mit Lärm zermürben«, hörte Hans einen Koch vor dem Zelt zum andern sagen. Hans erkannte die Stimme von Bahadir. »Das wird sicher die ganze Nacht so gehen!«
»Die zermürben sich vor allem selbst«, antwortete der andere Koch. »Die müssen ja selbst wach bleiben.« Die beiden Offiziere lachten.
»Und unsere Jungs?«
»Ich habe eine Idee.«
Kurz darauf kam der Koch Bahadir in das Zelt und verteilte an alle Soldaten grüne Oliven. »Hier, jeder zwei. Steckt sie euch in die Ohren, und dann schlaft gut.«
Während eine muntere Olivenschlacht unter den jungen Janitscharen ausbrach, kaum dass der Koch das Zelt verlassen hatte, beschloss Hans, sich ein wenig die Beine zu vertreten. Yorick wollte nicht mit, er stopfte sich demonstrativ die Oliven in die Ohren und drehte sich zur Seite.
Hans schlenderte durch die Zeltreihen zum Bach, wenn Wachen auftauchten, versteckte er sich in einem Schatten. Der Dolay war zwar breiter, aber viel träger als die Bäche in München. Das regenreiche Frühjahr hatte die Gräser und das Schilf am Ufer bereits kräftig in die Höhe schießen lassen. Bald lag das Lager hinter ihm, und Hans beschloss, ein nächtliches Bad zu nehmen. Er zog sich aus, legte die Kleidung ordentlich zusammen und ließ sich langsam in das kalte Wasser gleiten. Die Frische bitzelte unter seiner Haut. Er schwamm ein wenig stromaufwärts, legte sich dann auf den Rücken und spielte toter Mann. So trieb er einige Meter zurück, dann schwamm er wieder vor und wiederholte das Spiel. Im Übermut beschloss er, sich ein ganzes Stück mit dem Bach treiben zu lassen. Er war sich sicher, dass er die Strecke zurückschwimmen können würde und wenn nicht … auch egal. Er sah hinauf zu den Sternen, schließlich kam er an einer Herde riesiger Schatten vorbei, die unbeweglich in der Dunkelheit standen – das Lager. Mit seinen Ohren im Wasser hörte er den Lärm von Konya nicht.
Als ihm das Lager weit genug entfernt schien, schwamm er zum Ufer ins Schilf. Da hörte er etwas. Er lauschte angestrengt. Das war nicht die Musik von Konya, sondern das waren leise Stimmen, flüsterndes Lachen. Hans kroch vorsichtig durch die Uferpflanzen den Geräuschen nach. Er wähnte sich in einem Traum: Dort am Ufer und im flachen Wasser tummelten sich junge Frauen. Im Mondlicht schien eine schöner als die andere. Sie trugen dünne weiße Kleider, die sich durchnässt eng an ihre Körper schmiegten und so mehr zeigten, als sie verbargen. Sie wuschen sich, kämmten sich, flochten sich die Haare oder rieben sich die Beine und Arme mit Öl ein, dessen köstlicher Duft zu Hans herüberwehte. Wie benommen kniete Hans weiter auf allen vieren und sog diesen Traum in sich auf. Er hielt die Luft an, denn sein Atmen, da war er sicher, würde ihn schlagartig in die Realität zurückholen. Vor allem aber wollte er den köstlichen Duft nicht mehr loslassen.
Dann kam eine Frau aus dem Wasser, deren Anmut und Schönheit Hans im Innersten traf. Er kannte dieses Mädchen. Da war er absolut sicher. Es war das Mädchen, das bei Nikopolis an der Donau bereits mehr von ihm gesehen hatte, als es Sitte und Moral zuließen. Die junge Frau nahm ein großes weißes Tuch und hüllte sich darin ein. Sie setzte sich kaum mehr als eine Armlänge von Hans entfernt und rubbelte ihr Haar. Hans konnte nicht anders, auch auf die Gefahr hin, dass ihm der Teufel hier nur einen üblen Streich spielte, und sich alle Frauen in blutrünstige Nachtdämonen verwandeln würden. Er nahm ein kleines Steinchen und warf es in Richtung des Mädchens. Zu kurz. Ein weiteres Steinchen streifte sie am Fuß. Sie sah nur kurz auf, drehte sich aber nicht um. Ein weiterer Wurf, und sie sah erschrocken über die Schulter. Er sah ihre leuchtenden Augen, in denen Überraschung lag. Sie öffnete fragend den Mund. Er hoffe, dass seine Augen auch leuchteten. Da riss ihn ein wütender Schrei aus allen Träumen, und vor ihm erschien ein riesiger Geist, ein monströses Gespenst, das keinen Kopf, kein Gesicht hatte, nur zwei glühende Augen, die über dem Körper schwebten. Es hatte auch keine Hände, dennoch schwang es ein blitzendes Schwert. Hans wollte schreien, bekam aber keinen Laut heraus. Er taumelte rückwärts, der Nachtalp folgte ihm grunzend und entblößte riesige Zähne, die ebenso wie die Augen im Nichts schwebten.
Hans rannte ins Wasser, tauchte unter und schwamm so schnell er konnte stromaufwärts. Als ihm die Luft ausging, tauchte er kurz auf, atmete tief ein und schwamm unter Wasser weiter und weiter, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Was heißt wäre, der Leibhaftige oder einer seiner Dämonen war tatsächlich hinter ihm her. Als er glaubte, weit genug entfernt zu sein, und hinter sich nichts und niemanden sah, hörte oder spürte, krabbelte er erschöpft ans Ufer. Sein Herz wollte sich lange nicht beruhigen. Bei jedem kleinsten Geräusch zuckte Hans zusammen. Doch kein Dämon tauchte auf. Als er sich halbwegs beruhigt hatte, lief er vorsichtig und gebückt das Ufer entlang, bis er die Stelle mit seiner Kleidung wiederfand. Schnell anziehen und ins Lager zurückhetzen und den Wachen ausweichen und Yorick alles erzählen. Aber Yorick schlief und reagierte auf Hans’ Rütteln mit einem mürrischen Schnauben.
Hans legte sich hin und starrte zur Zeltdecke. Die Musik von Konya nahm er kaum wahr. Der Teufel hatte ihn mit diesem Schauspiel in die Hölle ziehen wollen. Kein Zweifel. Diese riesigen Augen ohne Gesicht … Hans stopfte sich Oliven in die Ohren und rollte sich ein.
Hans machte in dieser Nacht fast kein Auge zu, was nicht nur an der Begegnung mit dem Teufel lag. Denn kaum war er irgendwann endlich eingeschlummert, riss man ihn und seine ganze Orta schon aus dem Schlaf. Es war noch weit vor Sonnenaufgang, doch sie bekamen einen Marschbefehl. Sultan Bayezid ließ dreitausend Mann in dieser Nacht in einem großen Bogen hinter die feindlichen Linien ziehen. Der Lärm von Konya half den Truppen, unentdeckt zu bleiben.
Unterwegs versuchte Hans, sein nächtliches Abenteuer in Worte zu fassen. Doch Yorick meinte nur: »Frauen in weißen Gewändern? Du spinnst doch!«
»Nein, wirklich, da waren erst die schönen Frauen und dann plötzlich dieser gesichtslose Dämon. Ich schwöre es dir.«
»Du warst zu lange im kalten Wasser.«
»Nein, du Depp. Wenn ich es dir doch sage. Das war alles ein Trugbild des Leibhaftigen. Ich habe bisher auch nicht an Dämonen geglaubt, egal, was die Pfaffen gesagt haben. Mein Vater hat immer an Dämonen geglaubt, meine Mutter, Gott hab sie selig, auch. Die hat sich bei jeder Gelegenheit bekreuzigt und den heiligen Michael angerufen. Aber ich nicht. Bis jetzt. Es gibt sie. Glaub mir, es gibt sie.«
»Na, wenn du meinst.« Yorick klang zunehmend weniger skeptisch. »Ich glaube, ich habe auch mal einen Dämon gesehen …«
»Du glaubst es?«
»Na, so richtig habe ich ihn nicht gesehen. Aber als ich jünger war, so fünf oder sechs, bin ich einmal nachts aus dem Haus – wir haben einen Hof, weißt du, einen Bauernhof eigentlich, aber weil mein Vater Edelmann ist, gilt es als Rittersitz. Na, egal, da bin ich mal nachts raus, weil ich endlich den Mann im Mond sehen wollte. Davon hatte meine Großmutter immer erzählt. Sie hat gesagt, dass einst ein törichter Bauer aus unserem Dorf lange vor unserer Zeit sich über das Arbeitsverbot am Sonntag hinweggesetzt hat und einfach Reisig sammeln gegangen ist. Das hat Gott zu erzürnt, dass er den Mann packte und auf den Mond schleuderte. Dort kann man ihn nun sehen, wenn Vollmond ist.«
»Und das hast du geglaubt?«
»Hast du noch nie den Mann im Mond gesehen?«, fragte Yorick.
»Doch, schon. Den sieht jeder. Aber ich glaube nicht, dass das ein dummer Bauer aus deinem Dorf ist.«
»Ich auch nicht«, kicherte Yorick. »Na, egal, da bin ich ums Haus. Alles stockdunkel. Die Kammer meine Großmutter, mir schien es so, als sei ihr Fenster offen und davor sehe ich diese seltsame Gestalt mit einer langen Kutte. Ich schreie, dieses Wesen hebt die Arme, zischt etwas Teuflisches und seine Augen glühen rot. Dann ist er plötzlich verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Mein Vater kommt herausgerannt, dann meine Mutter. Meine Oma schaut erschrocken aus ihrem Fenster und zündet ein Öllicht an. Weil ich geschrien habe und nachts draußen war, bekam ich ordentliche Prügel. Meine Oma, vor deren Kammer ich das gesehen habe, hat mir später gesagt, dass das ein Dämon gewesen sein muss, und ich solle nie wieder nachts vor ihrem Kammerfenster herumschleichen. Sie wüsste, dass dieser Dämon öfter käme und auch, wie man solche Dämonen in Schach halten kann.«
»Gruselig«, kommentierte Hans.
»Nicht wahr?«
»Oder aber deine Oma hatte einen Galan …«
»Untersteh dich!«
»Entschuldige, Yorick.«
Mit dem ersten Hahnenschrei gab Alaeddin Ali von Karaman den Angriffsbefehl. Das Heer Sultan Bayezids stand ebenfalls kampfbereit. Oberbefehlshaber Lala Nedim Pascha ließ seine Truppen aber abwarten. Als Alaeddin Ali begriff, dass er in der Nacht umzingelt worden war, sah er nur noch eine Möglichkeit. Er befahl, die Tore der Stadt zu öffnen und zog sich mit seinen Mannen hinter die Mauern von Konya zurück.
Bayezid ließ seine Zelte direkt vor der Stadt aufschlagen, und die Belagerung begann. Anders als vor Nikopolis gestaltete sich die elf Tage dauernde Einkessellung nicht als fröhliches Fress- und Saufgelage voll Hurerei. Die Köche und Suppenmacher bestanden auf Disziplin. Lala Nedim Pascha kontrollierte auf seinem täglichen Rundgang alles. Er wusste sich hervorragend zu inszenieren. Stets prächtigst gekleidet flößte der Prackl allein durch sein Erscheinungsbild größte Ehrfurcht ein. Dazu kam seine vierköpfige Leibgarde aus auffallend großen jungen Männern, die allesamt blaue Augen hatten, und – sofern man ihren Bärten glauben konnte – allesamt hellblond waren. Lala ließ sie mit kostbaren, goldbestickten Mänteln ausstatten. Exzentrisch, fast schon frech, doch Lala Nedim Pascha war nicht nur auf dem Feld ein kluger Stratege. Er achtete sorgsam darauf, dass weder er noch seine Männer den Sultan und dessen Garde an Pracht in den Schatten stellten.
Die Tage zogen sich öde dahin, Wachdienste und Kampftraining waren die einzige Abwechslung. Um die Stärke der Truppe zu demonstrieren, mussten die Janitscharen ihre Kampftechniken so üben, dass man sie von den Mauern der Stadt bestens beobachten konnte.
»Madonna, bei Nikopolis war es lustiger«, motzte Don Juan, als sie eines Nachmittags zwischen den Zelten patrouillierten. Ausgerechnet Don Juan hatte man mit Hans Schiltberger zur Wache eingeteilt. Doch seit er in Bursa zum Küchenarrest verurteilt worden war, hielt sich Don Juan mit Stänkereien und Pöbeleien zurück. »Wenn man wenigstens zu den Weibern dürfte.«
»Die Marketender hier haben keine Weiber dabei«, antwortete Hans. »Und selbst wenn, dürften wir ja nicht.«
»Davon soll mich mal einer abhalten«, sagte Don Juan und griff sich mit einem blöden Lachen demonstrativ in den Schritt. »Dafür nehme ich zwei Monate Küchenarrest in Kauf. Und außerdem haben die hier schon Weiber, du armer Ahnungsloser. Nur halt nicht für uns. Die noblen Herren haben sich ihre Mädels mitgebracht. Oder habt ihr euch nie gefragt, was in den verhangenen Wagen transportiert wird, die gleich hinter dem Sultan fahren? Weiber! Bei der Heiligen Jungfrau Maria, ich habe sie gesehen.«
»Du fantasierst, Spanier«, sagte Hans, kam aber ins Grübeln. Doch keine Chimäre neulich nachts? Könnte es möglich sein?
»Wetten?«
»Worum?«
»Um den nächsten Dinar, den uns der Sultan zukommen lässt.«
»Gut.« Hans schlug ein.
»Dann komm mal mit.«
»Wohin?«
»Na, zu den Weibern, du Blitzmerker!«
Hans passte das nicht, denn sie mussten durch ein bestimmtes Areal zwischen den Zelten patrouillieren, das sie nicht verlassen durften.
»Was soll denn schon passieren?«, lachte Don Juan. »Wir sind in zehn Minuten wieder da. Und die meisten machen jetzt Siesta.«
»Hä?«
»Siesta. Mittagsschlaf.«
Sie verließen ihr Wachgebiet, beachteten aber, dass sie keinen anderen Wachen in die Arme liefen. Sie schlichen zwischen den einfachen Mannschaftszelten zu einer kleinen Baumgruppe aus uralten, exotischen Bäumen, in deren Schatten prächtigere Zelte standen. Bäume wie diese hatte Hans noch nie gesehen. Sie hatten große Blätter, die wie Finger an der Hand zusammenstanden und üppige weiße Blütendolden, die nach oben standen. Auf dem Boden lagen ein paar Früchte der Bäume. Hans hob eine auf, dunkelbraun und glatt, wie ein Kieselstein. Auf seinen Reisen sollte Hans später noch öfter diesen exotischen Bäumen begegnen und lernen, dass man sie Rosskastanien nannte.
Don Juan legte überflüssigerweise seinen Zeigefinger auf die Lippen, Hans hätte auch so gewusst, dass sie leise sein mussten. Der Kastilier schlich voran. Sie tauchten unter Stoffbahnen hindurch, die als Abschirmung gespannt waren. Don Juan bedeutete Hans, sich auf den Boden zu legen. Mit ausgestrecktem Arm zeigte er unter einer roten Stoffbahn hindurch. Nun sah Hans, dass Don Juan recht hatte. Frauen schlenderten zwischen Zelten umher. Edel gekleidet, in duftende Parfumwolken gehüllt.
Don Juan wies mit dem Kopf nach hinten. Rückzug. Sie krabbelten zurück. Hinter der Barriere aus Stoffbahnen klopften sie sich den Staub aus der Kleidung, als eine Stimme barsch fragte: »Was machen wir denn da?«
Erwischt worden! Hans sah erschrocken zu Don Juan. Dessen Gesichtsausdruck wechselte schnell von erschrocken zu einem breiten Grinsen, dann zu grotesk überzogen gespieltem Schreck.
Zwei Janitscharen-Wachen bauten sich vor ihnen auf. Hans erkannte den Ungarn Hodor und den Spanier Felipe, zwei von Don Juans Kumpanen. Zwei, die Don Juan von Anfang an schon im Turm von Gallipoli speichelleckerisch bei seinen Fiesheiten assistieren hatten.
»Da wird aber einer gewaltigen Ärger bekommen«, knurrte Hodor, Felipe lachte blöde, und Hans begriff langsam. Denn die beiden Wachen richteten ihre Waffen nur auf ihn. Don Juan tänzelte langsam rückwärts, winkte fröhlich mit der rechten Hand und grinste gemein. »Was? Nein, Herr, ich weiß auch nicht, was mit Hans los ist«, plapperte er. »Nein, Herr, er hat gesagt, er müsse mal austreten. Ich bin auf dem Posten geblieben, Herr. Das schwöre ich bei der Heiligen Jungfrau Maria.« Er verbeugte sich affektiert und verschwand hinter der nächsten Zeltwand. Die Falle war zugeschnappt, und Hans hätte sich selbst ohrfeigen können. Wie konnte er nur so dumm sein. Der Kastilier hatte alles geschickt eingefädelt.