Kitabı oku: «Die wilde Reise des unfreien Hans S.», sayfa 5
Jetzt das Schwert ziehen, würde nicht viel bringen. Hans zuckte mit den Schultern und ergab sich. Hodor und Felipe ließen die Schwerter sinken, genau wie Hans gehofft hatte. Er schlug Hodor in die Magengrube und trat Felipe in die Eier. Das doppelte Zusammensacken nutzte er, um schnell hinter der ersten Stoffbahn abzutauchen. Hans hetzte in Richtung der größten Kastanie, sprang über die gespannten Zeltschnüre wie ein Hase und merkte doch, dass ihm die Verfolger im Nacken saßen. Seine Chancen schwanden. Er schlug Haken, strauchelte, rappelte sich auf und rannte weiter. Da teilten sich die Vorhänge des Prunkzelts rechts von ihm, ein gewaltiger schwarzer Dämon schob sich ins Freie und starrte ihn mit riesigen Augen an. Der Dämon, den er neulich Nacht gesehen hatte. Hans stolperte über eine Schnur und blieb für eine Schrecksekunde starr liegen. Da öffnete der Dämon seinen Mund, die großen Zähne blitzten, und er entließ einen hohen quietschenden Schrei. Hans war sich sicher, dass sich gleich die Pforten der Hölle öffnen würden. Darum hatte er neulich nachts gedacht, dass der Dämon kein Gesicht hatte. Es war vor Schwärze mit der Nacht verschmolzen.
Hodor und Felipe schlossen auf und stoppten abrupt. Zu Hans’ Verwunderung ließen sie sich vor dem Dämon auf die Knie fallen. Hans sprang auf und hechtete hinter die große Kastanie zwischen die Felsen. Unter ihm begann der Boden zu beben.
»Was geht hier vor?«, kreischte der Dämon mit schriller Stimme.
»Verzeiht, Herr«, antwortete Hodor unterwürfig. »Wir haben einen Burschen erwischt, der sich den Damen nähern wollte.«
»Und?«, quietschte der Dämon. »Wo ist der Kerl?«
Entweder der Dämon war gar kein Dämon, oder Hodor und Felipe waren mit dem Teufel im Bunde. Aber wenn das kein Dämon war, warum war er dann so rabenschwarz wie die finsterste Nacht? Wenn er ein Mensch war, dachte sich Hans, denn konnte die Farbe nur bedeuten, dass er verbrannt war. Der Boden unter Hans bebte stärker, Erde rutsche zur Seite. Er schickte ein schnelles Stoßgebet zum heiligen Johannes, seiner Seele gnädig zu sein. Da tat sich also die Hölle auf. Doch ein Dämon! Der Fels neben ihm knallte zur Seite, und aus dem Loch im Boden wuchs der Oberkörper eines alten Manns mit weißem Bart. Er trug die vornehme Kleidung eines osmanischen Edelmanns und verbeugte sich leicht Richtung Hans. »Verzeih, mein Junge, wenn ich dich erschreckt habe«, sagte der Alte und lächelte. Er hatte nur noch zwei Zähne im Mund. »Kannst du mir helfen? Ich bin alt und kann nicht mehr so gut klettern.«
Wie ferngesteuert griff Hans den Alten bei den Armen und zog ihn aus dem Loch. Nun half er auch noch dem Teufel in Gestalt eines Greises aus der Hölle. Es wurde immer besser!
»Danke, mein Junge. Man nennt mich Ölmez. Der Rat der Stadt Konya schickt uns.« Hinter dem alten Ölmez kletterten zwei weitere vornehm gekleidete Männer heraus.
Hans begriff, lachte vor Erleichterung kurz hysterisch auf und schickte dem heiligen Johannes ein Stoßgebet hinterher, dass er ihn so geschwind erhört hatte.
»Wo ist der Kerl?«, quietschte der schwarze Dämon erneut.
»Dort, zwischen den Felsen, Herr«, antwortete Felipe.
»Ja und? Warum steht ihr da noch herum wie die Ölgötzen? Ergreift ihn, elendiges Pack!« Der Dämon trat nach Felipe.
»Schau nicht so, mein Junge. Wir sind durch diesen Tunnel aus der Stadt gekommen«, sagte der alte Ölmez und kicherte verschmitzt. »Kannst du uns zu deinem Vater, dem großen Sultan, bringen, Bursche? Ich habe wichtige Nachrichten für ihn.«
Ein triumphierendes Lächeln schlich sich in Hans’ Gesicht, das er für die nächsten Minuten nicht mehr unter Kontrolle bekam. »Sicher, ehrwürdiger Ölmez und edle Herren«, antwortete er. »Ich geleite Euch gerne zu meinem Herrn!« Er nahm den Alten an der Hand und führte ihn zwischen den Felsen zurück zum Zelt des schwarzen Dämons.
»Da ist er ja«, höhnte Hodor und deutete auf Hans. »Hat sich Verstärkung geholt.«
»Verzeihung?«, sagte Hans laut. »Was ist hier los? Ich bringe den weisen Herrn Ölmez und weitere hochwohlgeborene Gesandte vom Rat der Stadt Konya, die wichtige Nachrichten für unseren Vater, den Sultan, haben. Wollt ihr euch etwa dem edlen Ölmez in den Weg stellen?«
Hodor und Felipe zögerten, sahen unsicher von Hans zum Dämon und zurück.
»Weiser Ölmez, werte Gesandte«, quietschte der Dämon, verbeugte sich tief und wedelte mit den Händen, als wolle er die beiden Janitscharen wie lästige Fliegen verscheuchen. »Verzeiht diese ungehobelten Burschen! Ein unentschuldbares Missverständnis, gewiss, doch ich erflehe aus tiefstem Herzen Eure Vergebung. Ich bringe Euch selbstverständlich zum Sultan!«
»Wie ist dein Name, ehrwürdiger Eunuch?«, fragte der Alte in einem Tonfall, aus dem Hans heraushörte, dass ein verbrannter Mensch durchaus eine Respektsperson war. Offenbar nannte man solch schwarze Menschen Eunuchen, und sie schienen erhebliche Macht zu besitzen. Wieder etwas gelernt, dachte Hans. Und er schämte sich ein klein bisschen dafür, dass er neulich Nacht an einen Dämon geglaubt hatte.
»Tamer, mein Herr, ich bin Tamer, der Vertreter des Obersten der Schwarzen Eunuchen unseres Vaters, Sultans Bayezid, den man den Blitz nennt.«
»Gut, Tamer, Vertreter des Obersten der Schwarzen Eunuchen. Ich danke dir für deine Freundlichkeit. Auch dieser Bursche hier hat mich freundlich empfangen. Bring uns zu deinem Herren. Der Bursche wird uns begleiten.« Er stützte sich auf Hans’ Unterarm.
»Ich fürchte, edler Ölmez«, quiekte der Eunuch Tamer, »dass der freche Bursche hier uns nicht begleiten kann. Er hat …«
»Unsinn«, unterbrach ihn der Alte. »Der Bursche ist ganz famos und kommt mit uns. Wie ist dein Name?«
»Johannes, äh, Hans, Herr.«
»Hans? Was für ein komischer Name!« Ölmez zog Hans ganz nah an sich heran. »Hör zu, Junge, wir wären dir wirklich sehr dankbar, wenn du diesen geheimen Tunnel das sein lässt, was er bisher ist. Geheim. Sag deinen Herren, dass du uns zwischen den Zelten herumirrend gefunden hast.«
Hans nickte. »Ihr könnt euch auf mich verlassen.«
So kam Johannes Schiltberger in den Genuss, einer Audienz beim Sultan beiwohnen zu dürfen, in der das Schicksal Konyas beschlossen wurde. Die Delegation unter dem alten Ölmez bot im Namen der Stadt an, dem Heer des Sultans heimlich Zugang nach Konya zu verschaffen, wenn der Sultan dafür die Stadt schonen würde. Die Bevölkerung sei die Belagerung leid, und man werde den Herrn Alaeddin Ali keinesfalls unterstützen, da dieser kein guter Herr sei. Der Sultan entließ Hans, bevor es um die Details der Übernahme ging, nicht ohne ihn ausdrücklich vor den Generälen und Beratern zu belobigen.
»Blöd gelaufen, was?«, sagte Hans zu Don Juan, als sie sich im Zelt begegneten. »Ganz blöd.«
»Ich weiß nicht, was du meinst, Arschloch«, entgegnete der Spanier finster. »Ich wollte nur schnell zu unserem Posten zurück, den wir wegen dir aufgegeben haben.«
»Und ich habe den Posten nur aufgegeben, wie alle wissen, weil ich dem ehrwürdigen Ölmez von Konya zu unserem Vater bringen musste. Nicht wahr?«
»Du schuldest mit trotzdem einen Dinar!«
Als Bayezid zum Angriff blasen ließ, hielten die Bürger Wort. Sie verteidigten weder die Mauern noch die Tore. Die Armee schwappte in die schmalen Gassen. Alaeddin Ali, völlig überrascht, ließ mobilmachen und ein kurzes, blutiges Gemetzel begann in Konya. Doch die Soldaten Alaeddins mussten feststellen, dass sie keinerlei Unterstützung von den Bürgern bekamen. Türen, Tore und Fenster waren fest verriegelt, es gab kein Haus, in das sie sich hätten flüchten können. Auch die steinernen Mauern des altehrwürdigen Mevlana-Klosters waren bald blutbesudelt. Die tanzenden Derwische hatten alle Klostertüren rings um das Grabmal des hochverehrten Mystikers und Erfinders des Tanzrituals, Dschelaleddin Rumi, verriegelt. Sie ließen die Trommeln spielen und drehten sich in Ekstase, um die Todesschreie nicht hören zu müssen.
Als Alaeddin Ali begriff, dass er verraten worden war, wollte er fliehen. Ein sinnloses Unterfangen. Er wurde überwältigt und zu Bayezid gebracht. Der hatte sich vor dem Eingang zur Alaeddin-Moschee auf dem Zitadellenberg installiert. Warum er, Alaeddin Ali, Herr von Karaman, ihm denn nicht untertan sein wolle, fragte er wütend seinen Schwager. Worauf Alaeddin trotzig antwortete, er sei ebenso ein König wie Bayezid. Darum!
Bayezid, innerlich wie äußerlich bebend, brüllte, man solle ihm diesen frechen Kerl endlich aus den Augen schaffen. Niemand traute sich, den Herrn anzufassen. Noch zweimal rief der Sultan wütend, dass man Alaeddin wegbringen solle. Schließlich trat der oberste Suppenkoch persönlich vor, packte Alaeddin und führte ihn ein Stück zur Seite. Dort zog er sein Schwert und enthauptete Alaeddin. Er reinigte sein Schwert und kehrte zu Bayezid zurück. Der wollte wissen, was mit Alaeddin Ali nun geschehen sei. Er habe ihn geköpft, erwiderte der Suppenkoch.
Der Wutausbruch Bayazids ließ die Mauern wackeln. Sofort, so befahl er, solle der Suppenkoch das Schicksal Alaeddins teilen. Sofort! Man führte den obersten Suppenkoch neben die Leiche Alaeddins und köpfte ihn. Das sollten sich alle eine Lehre sein lassen, rief Bayezid. Niemandem stünde es zu, einen mächtigen Herrn einfach so zu enthaupten. Egal, wie wütend er, Bayezid der Blitz, sei. Man habe zu warten, bis der Zorn Bayezids verraucht sei. Da aber nun mal der Herr Alaeddin Ali geköpft worden war und immer noch vereinzelte Gefechte in den Gassen stattfanden, ließ der Sultan Alaeddins Kopf auf einen Spieß stecken und durch die Stadt tragen. Alle sollten sehen, dass ihr Herr gefallen war und sich ergeben. Frieden kehrte in Konya ein und die Bewohner trauten sich langsam aus ihren Häusern.
Hans, Max und Yorick bummelten durch die Gassen. Von Gallipoli und Bursa hatten sie kaum etwas gesehen. Nun bestaunten sie die mehrstöckigen Gebäude, die Moscheen, die Zitadelle, die fremdartig gekleideten Menschen, die seltsam verzückt dreinblickenden Mönche der Mevlevi-Bruderschaft und als schließlich die ersten Marktstände wieder öffneten, auch die exotischen Auslagen. Wobei nur Hans und Yorick staunten, Max blieb teilnahmslos wie immer. Alles kam ihnen viel bunter vor als auf den heimischen Märkten in München oder Nazareth, wobei Yorick betonte, dass man ohnehin lieber den großen Markt im nahen Gent besucht habe als den mickrigen von Nazareth. Wegen der Belagerung waren Konyas Stände nicht übermäßig gefüllt. Vieles kannten sie schon von den Märkten ihrer Heimat, wie Pfeffer oder Zimt, die aber in München ein Zigfaches von dem kosteten, was man hier dafür verlangte. Hans entdeckte auch große Zitronatzitronen, eine äußerst exotische Frucht, die praktisch kein Fruchtfleisch enthielt und deren dickwandige Schale man kandierte. In München wurden sie wie Gold gehandelt. Anderes hatten sie durch ihren Speiseplan kennengelernt, wie die dunkelvioletten Auberginen. Hans fand ja, dass sie besser aussahen, als sie schmeckten. Es gab auch säckeweise Linsen in verschiedenen Farben und diese weißen länglichen Körner, die sie in gekochter Form gelegentlich mit der Suppe bekamen. Man nannte sie Reis. Hans mochte Reis, während Yorick Bulgur bevorzugte. Bei Max wusste man es nicht. Er aß einfach.
Sie kauften an einem Stand mit Backwaren köstliches, vor Honig triefendes Baklava mit grünen Pistazien, Letztere hatten sie noch nie irgendwo gesehen. Yorick schwor, nie wieder eine andere Nuss zu essen, denn Pistazien seien wohl das Göttlichste, was es an Nüssen gäbe. Da könnten Mandeln nicht mithalten.
Weil sich herumsprach, dass die mysteriösen Mönche des Mevlana-Klosters wieder ihren Drehtanz begonnen hatten, drängten sich die Soldaten ins Kloster, um dem Schauspiel beizuwohnen. Vor allem die Christen wie Hans und Yorick wollten sehen, wie sich die Männer in Ekstase brachten. Verrückte Tanzwut und Veitstänze kannte Hans auch aus seiner Heimat. Doch das waren entweder einzelne Personen, die Fallsucht hatten, oder fanatische Reigentänzer, die sich in Gruppen bis zur völligen Erschöpfung verausgabten und den heiligen Veit anriefen. Die Mönche hier drehten sich jedoch auf der Stelle im Kreis, jeder für sich mit seitlich ausgestreckten Armen. Der Andrang an Gaffern war so groß, dass der Sultan das Kloster räumen ließ und den Mönchen das Tanzen untersagte, solange die Truppen in der Stadt seien.
Am Abend fanden sie eine kleine Weinschenke, die noch nicht mit lärmenden Soldaten überfüllt war. Zwar gab es schon Gegenden, in denen die Auslegung des Koran allen Alkohol verboten hatte, doch Bayezids Reich gehörte zum Glück nicht dazu. Auf den Weinbergen, an denen sie auf ihrem Marsch nach Konya vorbeigekommen waren, rankten sich bereits die Triebe an den Stäben hoch. Der Wirt bewarb seinen angeblich vorzüglichen Wein, den er exklusiv aus einer Stadt namens Shiraz aus dem fernen Persien beziehen würde. »Nur Wein allein kann mich retten, kann vertreiben alle Angst und Herzenspein!«, rezitierte der Wirt eine Zeile des berühmten Dichters Hafez. Den Burschen, die von einem berühmten Dichter namens Hafez noch nie gehört hatten, war klar, dass er damit nur den Preis in die Höhe treiben wollte. Wein kannte Hans von Kindesbeinen an. Jeder in München trank Wein, denn was im Wasser war, wusste man nie genau. Man wusste zwar auch nie genau, was im Wein war, aber von verseuchtem Wein hatte Hans noch nie gehört, und es hatte in München noch nie eine Epidemie mit vielen Toten vom Wein gegeben – vom Wasser schon. Wenn kein Wein verfügbar war, braute der Vater gelegentlich ein Hausbier. Der Wein, den Hans aus München kannte, war in der Regel mit diversen Gewürzen versetzt. Dieser hier dagegen schmeckte nur nach Wein, was die Burschen ziemlich gewöhnungsbedürftig fanden. Aber Hauptsache, endlich einmal wieder Alkohol. Später kamen Musiker dazu, spielten fröhliche Lieder auf Zither, Spießgeige und Flöte. Man sang, tanzte und lachte. Da geschah ein kleines Wunder, denn Max, der wandelnde Tote, seufzte. Yorick hatte es nicht mitbekommen, wohl aber Hans, dem plötzlich ein Kloß im Hals saß. Dann begann Max die Finger seiner rechten Hand in der Luft zu bewegen, nur ein bisschen. Die Finger zuckten sanft, als würden sie Saiten zupfen. Hans begriff, dass Max Luftlaute spielte. Er musste sich wegdrehen.
Am nächsten Tag blieben etliche Ortas, darunter auch die von Hans Schiltberger, in Konya als Ordnungsmacht zurück. Den Rest des Heeres führte Bayezid nach Karaman, Alaeddin Alis Hauptstadt. Bayezid ließ den abgeschlagenen Kopf Alaeddins mitführen und vor dem Haupttor der Stadt aufstellen. Der Sultan forderte sofortige Unterwerfung. Nach einigen Stunden kam eine Delegation von vier vornehmen Bürgern aus der Stadt. Dass der Herr Alaeddin tot sei, sei äußerst bedauerlich, jedoch habe Alaeddin zwei Söhne in der Stadt, Mehmet und Bengi Ali. Man würde daher vorschlagen, einen der Söhne als Herrn von Karaman einzusetzen. Im Gegenzug würde man Bayezid als obersten König anerkennen und ihn in die Stadt lassen. Natürlich vorausgesetzt, der Sultan würde sie an Leib und Gut schonen.
Schonung würde er gerne gewähren, antwortete der Sultan, jedoch würde er alleine bestimmen, wer künftig Herr von Karaman sei. Darauf wollten sich die Bürger nicht einlassen. Einer von Alaeddins Söhnen oder gar nichts! Sie verwiesen zudem auf die mächtige Zitadelle der Stadt mit ihren drei Mauerringen, erbaut unter den Seldschuken auf einem künstlichen Hügel. Dagegen könne Bayezid ruhig anrennen. Das fände er alles sehr bedauerlich, betonte der Sultan, aber wenn es ihr Wille sei, dann eben auf die harte Tour. Er ließ drei der Bürger enthaupten und gab dem vierten auf seiner Rückkehr in die Stadt die Köpfe mit. Die Belagerung von Karaman begann.
6 Tulpen
Die Konkubinen des Wesirs Memduh machten sich in Konya auf den Weg von ihrer Unterkunft, die man ihnen im Palast Alaeddin Alis zugewiesen hatte, zu einem legendären Garten, der angeblich an Schönheit nicht zu überbieten sei. Dort, das wollten die Damen unbedingt sehen, stünden gerade die berühmten Frühlingsblumen in voller Blüte, die aussehen wie bunte Turbane. Tulpen, so tuschelten sie untereinander, hießen diese Wunderblumen. Wesir Memduh, einer der wichtigsten Berater des Sultans, war ein kugelrunder Mann, der sich mitunter wenig um Etikette scherte, und glücklich war, wenn seine Konkubinen glücklich waren. Memduh war fast immer gut gelaunt und liebte alles schöne, vor allem schöne Frauen. Vier Konkubinen hatte er, mehr gehörte sich nicht und mehr schaffte er nicht. Dazu kamen nämlich noch die drei Ehefrauen zu Hause in Bursa, unter denen seine Hauptfrau ein strenges Regiment führte. Eine Frau durfte er also noch heiraten. Da er sich unter seinen Konkubinen nicht entscheiden konnte, hatte er beschlossen, dass diejenige die glückliche Ehefrau Nummer vier werden würde, die ihm als Erste einen Sohn gebar. Die Sache mit den Kindern war für Memduh ein Problem, denn bisher hatte keine einzige seiner Frauen Nachwuchs zur Welt gebracht. Dass die wichtigen Edelleute mit ihren Konkubinen reisten, war keine Besonderheit. Die Ehefrauen blieben häufig zu Hause, damit sie und der Nachwuchs – und damit die potenziellen Erben – nicht in Feindeshand fielen. Ausnahmen bestätigten die Regel. Mancher hatte immer seine Lieblingsfrau dabei. So wie Sultan Bayezid. Seine Favoritin, die serbische Prinzessin Olivera Despina, war stets an seiner Seite, beherrschte dessen Konkubinen und hatte, wenn man den Gerüchten glauben durfte, enormen Einfluss auf den Sultan, obwohl oder weil sie nie zum Islam konvertierte. Wesire waren gut damit beraten, wichtige Pläne erst mit Olivera Despina zu diskutieren, bevor sie zum Sultan gingen.
Wesir Memduh hingegen war froh, seine Hauptfrau nicht bei sich zu wissen. Begleitet von Lakaien und bewacht von schwarzen Eunuchen, kugelte der fröhliche Memduh mit seinen sittsam verhüllten Damen durch die Gassen. Die Konkubinen, obwohl selbst Sklavinnen, führten ihre eigenen Sklavinnen mit, die für ihre Annehmlichkeiten zuständig waren. Es war ein Zufall, dass Hans Schiltberger zum Wachdienst genau an der Pforte zu diesem Garten eingeteilt war. Er neigte höflich den Kopf, als der Wesir passierte. Als Hans wieder aufsah, traf sein Blick den einer der Konkubinen. Diese wunderschönen blau-grünen Augen. Auch sie reagierte, starrte ihn überrascht an. Ihr Gesichtsschleier verrutschte etwas – ganz zufällig! –, sie lächelte. Hans blieb mit offenem Mund stehen, als alle im Garten verschwunden waren und sich die Pforte schloss. Kein Zweifel, es war das Mädchen von der Donau und von neulich am Bach. Hans konnte kaum die Wachablösung erwarten, wobei er sich selbst fragte, warum. In den Garten konnte er nicht. Zumindest nicht durch das Tor. Er könnte versuchen, in der Mauer eine Lücke zu finden oder wenigstens eine niedrige Stelle zum Darüberschauen. Er wusste, dass das höchst unwahrscheinlich war, aber dennoch. Einen Versuch wäre es wert. Und dann? Sich mit den bewaffneten schwarzen Eunuchen anlegen? Den Wesir umbringen? Sich die Schöne schnappen und vogelfrei mit ihr ein Leben auf der Flucht verbringen? Bis ans Ende der Welt …
Er grübelte und wurde erst aus seinen Gedanken gerissen, als sich die Gartentür öffnete und ein kleines Mädchen herausrannte. Sie versteckte sich zwischen seinen Beinen.
»He, kleines Fräulein«, rief Hans und hob das Mädchen hoch. »Wohin so eilig?«
Ihr dicht auf den Fersen folgten zwei Eunuchen, die Hans finster anfunkelten. »Lass das Mädchen sofort los«, befahl der eine.
»Ich habe sie nur für euch eingefangen.«
Ohne ein weiteres Wort nahm jeder der Eunuchen das Mädchen an einer Hand und führte es in den Garten zurück.
»Das war lustig«, sagte das Kind fröhlich. »Spielen wir noch einmal Fangen?«
»Nur, wenn du dich von der Pforte fernhältst«, antwortete ein Eunuch freundlich. »Versprochen?«
»Versprochen.«
Hans stellte sich wieder auf seine Position und strich den Mantel glatt. Dabei bemerkte er, dass etwas zu seinen Füßen lag. Eine rote Blume, deren Blüte an einen Turban erinnerte. Hans bückte sich und hob sie auf. So eine exotische Blüte hatte er noch nie gesehen. Er schnupperte daran, zu seiner Enttäuschung duftete sie nicht besonders. Dafür stieß seine Nase an etwas Hartes. Er öffnete vorsichtig die Blüte, darin fand er eine kleine Papierrolle, die er mit zitternden Fingern öffnete. Dort stand in lateinischen Buchstaben auf Deutsch: »Ich heiße Aynur.«
Hans presste den Zettel an seine Brust, leider mit der Blüte, rote Blätter fielen herab. Hans hob sie leise fluchend auf und verwahrte sie sorgsam mit dem Zettel in seinem Mantel. Wenn doch nur endlich die Wachablösung käme!
Als die Ablöse kam, lief Hans los in die Gassen der Stadt. Er hatte bei einem Händler Papier entdeckt. Er kaufte sich ein kleines ledergebundenes Heft, das mit groben Fäden zusammengeheftet war, einen Federkiel und ein kleines Fässchen Tinte. Dafür ging fast sein ganzes Geld drauf. Vorsichtig legte er die aufgesammelten Tulpenblüten in die Mitte des Hefts, um sie zu pressen. Den Zettel steckte er in den kleinen Beutel um seinen Hals, in dem sich bereits die Pfeilspitze befand. Glücklich summte er ein Liedchen auf dem Weg zurück in die Unterkunft.
Feuerwaffen hatten sich in der Kriegsführung noch nicht wirklich durchgesetzt, zu schwach war die Wirkung der Geschosse. Doch Bayezid hatte auf diesem Feldzug einige Madfaas mitgenommen, arabische runde Feuertöpfe, die bisher noch nicht zum Einsatz gekommen waren. Er ließ sie von Konya herschaffen, ebenso ein größeres Truppenkontingent, zu dem ein frisch verliebter Johannes Schiltberger gehörte. Der Sultan befahl, Schanzen anzulegen, auf die er die Madfaas positionierte. Die Feuertöpfe wurden mit Schwarzpulver gefüllt und mit einem runden Stein verschlossen. Dann zündete man die aus einer seitlichen Öffnung herausragende Lunte an. Später würde Hans Schiltberger in sein Heft auch die Madfaas zeichnen und aus einer Laune heraus aus den runden Töpfen lang gezogene Rohre machen. Denn er dachte sich, dass eine Kugel wohl viel weiter fliegen würde, wenn man ein langes Rohr statt eines Topfes nehmen würde und die Kugel hineinstopfen und nicht vorne draufstecken würde. Er musste selbst über seine Idee lachen, denn wenn das so wäre, dann hätten das die klugen Mechaniker des Sultans sicher längst so gebaut.
Eine Salve von Geschossen ließ Bayezid aus den Madfaas abfeuern. Einige flogen über die Mauer, andere schlugen in die Steine und blieben stecken. Großen Schaden richtete keine Kugel an – abgesehen davon, dass eine hinter der Mauer einen Esel erschlug –, aber der Beschuss verfehlte die Wirkung nicht.
Die Tore der Stadt öffneten sich, eine Delegation der Stadtoberen zog heraus, angeführt von Nefise Hatun, der Witwe Alaeddin Alis, Schwester von Sultan Bayezid. Eine auffallend üppige Dame, die dem Geschmack der Zeit entsprechend dank ihrer gewaltigen Leibesfülle als äußerst reizvoll und begehrenswert galt und die Männerherzen höherschlagen ließ. An jeder Hand hielt sie einen Sohn fest und zog auf Bayezid zu. Seiner Schwester zu Ehren verließ der Sultan sein Zelt und schritt ihr entgegen. Nefise Hatun, Mehmet und Bengi Ali warfen sich Bayezid zu Füßen und küssten selbige. Nefise Hatun flehte den Bruder an, sie zu schonen. Sie sei mit ihren Söhnen übereingekommen, dass die Stadt nicht ihretwegen ins Verderben gestürzt werden dürfe. Man erkenne an, dass Bayezid der größte aller Herrscher sei. Mehmet, der ältere Sohn, überreichte Bayezid den symbolischen Schlüssel der Stadt.
Der Sultan sah die umstehenden Edelmänner empört an und fragte mit bebender Stimme, ob sich die werten Herren nun genug daran ergötzt hätten, seine geliebte Schwester, die Königinwitwe, und seine nicht minder geliebten Neffen derart erniedrigt auf dem Boden zu sehen und wie lange sie denn noch tatenlos zuschauen wollten? Wesire und Generäle sprangen sofort hin. Oberbefehlshaber Lala Nedim Pascha persönlich half der Schwester des Sultans auf. Ganz Karaman befand sich nun in der Hand des Sultans. Er lud Nefise Hatun und ihre Söhne ein, fortan seine Gäste zu sein, stellte ihnen zu ihrer Sicherheit eine bewaffnete Truppe zur Seite und ließ sie nach Bursa bringen.
Alaeddin Alis Kopf blieb zur Abschreckung möglicher Revolten auf dem Spieß. Der Kopf brachte auch personelle Veränderungen. Weil der obere Suppenkoch, der Alaeddin getötet hatte, ebenfalls hingerichtet worden war, musste jemand nachrücken. Auch gab es einige Gefallene. Der Sultan bestimmte den Koch Bahadir zum neuen General, also musste jemand Koch werden und so weiter. Bewährte Kämpfer wurden befördert, und als es um die nun vakante Stellung eines Küchenjungen ging, konnte Hans sein Glück kaum fassen, dass sein Name aufgerufen wurde. Er habe sich in Konya für die Eroberung der Stadt verdient gemacht, indem er die Delegation unter dem alten Ölmez empfangen habe. Der Posten des Küchenjungen brachte zwar kaum irgendwelche neue Kompetenzen, aber dennoch. Der Weg führte nach oben!
Was Hans nicht ahnen konnte, war der Grund für Bahadirs Karrieresprung. Der hatte sich nämlich eine Audienz beim Sultan erbeten und dort die Idee einer organisierten Knabenlese unter der christlichen Bevölkerung für die künftigen Janitscharen dargelegt. Der Sultan strafte seine Berater mit einem bösen Blick, warum denn keiner von ihnen auf diese so naheliegende und effiziente Idee gekommen sei, und versicherte Bahadir seine Dankbarkeit.
Eine Runde ausgeben, dafür hatte Hans kein Geld mehr. Es erwies sich auch als unnötig, denn der Sultan ließ zur Feier des Sieges Wein und Lammbraten, Reis mit Rosinen und Zuckermelonen auffahren. Dass Don Juan sich mit seinem Anhang aus Felipe und Hodor finster blickend absonderte, störte niemanden. Hans fühlte sich zum ersten Mal richtig und wunschlos glücklich, seit er aus München aufgebrochen war.
»Und wie willst du dieses Mädchen für dich gewinnen?«, fragte Yorick. Sie hatten sich ein ruhigeres Plätzchen gesucht, lümmelten satt, angetrunken und bräsig an einer Madfaa. Hans hatte sich getraut, seinem Freund sein Herz auszuschütten und ihm den kleinen Brief gezeigt. »Immerhin scheint sie Deutsche zu sein. Aber wenn sie eine Konkubine des Wesirs ist, hast du keine Chance!«
»Aynur, Aynur«, wiederholte Hans selig. »Was für ein schöner Name! Wie wohl ihr eigentlicher Name ist?«
»Gott, muss Liebe schön sein«, seufzte Yorick und verdrehte die Augen.
»Pass auf, ich werde ihr einen Brief schreiben und meine Liebe gestehen. Dann besteche ich einen Eunuchen, ihr den Brief zu bringen. Wir verabreden uns an einem geheimen Ort, und dann fliehen wir gemeinsam.«
»Toller Plan«, lachte Yorick. »Bestens durchdacht. Liebe macht offensichtlich nicht nur blind, sondern auch blöd.« Er knabberte eine Olive ab und spuckte den Kern weit weg.
»Morgen sind wir zurück in Konya, dann werde ich mir was einfallen lassen. Aynur«, seufzte er, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah in den Sternenhimmel. »Bestimmt heißt sie Margaret oder Elisabeth oder Appolonia.«
»Oder Peternella.«
»Wieso Peternella?«
»Wieso nicht Peternella?«
»Nein, Peternella gefällt mir nicht. So heißt sie bestimmt nicht. Walburga, das würde auch passen. Egal, wenn sie mit ihrem neuen Namen glücklich ist, bin ich es auch. Aynur.«
Mitten in der Nacht kam ihm der Geistesblitz. Er wusste, wie er mit Aynur in Kontakt treten konnte.