Kitabı oku: «Fettie macht 'ne Arschbombe», sayfa 2

Yazı tipi:

Da wir nur die Angehörigen und somit überzählige Passagiere sind, bekommen wir gar nichts. Was gäben wir für ein Schinkenbrot. Aber wir hatten ja einen Safari-Quickie. Da können Brote nicht mithalten.


Heuschrecken im Knuspermantel

Thailand & Kambodscha, 2003

Wer kennt sie nicht, die kernigen Individualreisenden, die jeden mit Verachtung strafen, der irgendwas pauschal bucht. Pah, Neckermänner! All-Inclusive-Prolls!

Ganz ehrlich? Ich hatte spätestens 2003 die Schnauze voll vom Individuellen. Die Zeiten, als ich in öffentlichen Linienbussen die Türkei durchquerte (damals noch ein touristisches Abenteuerland), interrailend Marokko bereiste, bei Nevercomeback-Airlines um ein Stand-by bettelte, bereitwillig auf versifften Zugklos (oh ja, ich erinnere mich noch heute an die Strecke Madrid-Lissabon!) oder im Cockroach Inn nächtigte, und mich mit einem Joghurt plus einem halben Baguette pro Tag zufriedengab, sind einfach vorbei. Ich wills bequem! Und nicht umsonst habe ich bei Deutschlands erfolgreichster Quizshow »Wer wird Millionär?« im Herbst 2002 einen gehörigen Batzen Geld gewonnen. Also wird forsch ein Reisebüro geentert und eine Pauschalreise gebucht. Megaspießig, ich weiß, oder in anderen Worten: Einfach ideal, praktisch, billiger und überhaupt.

Wenigstens ist mein Ziel auch bei Zeitgeldnervenverschwendern akzeptiert. Obwohl man mir natürlich eher Bhutan, die hintere Mongolei oder Kuba (»Wer weiß, wie lange es Fidel noch gibt …«) ans Herz legt, finden auch und gerade Individualreisende Thailand ganz okay:

»Klar, voll krasse Full Moon Raves auf Koh Phangan und so …«

»Nö, wir sind auf Koh Samui.«

»Ey, auch cool. Chaweng Beach und so … Voll die Party.«

»Nö, Maenam Beach.«

»Maenam? Nie gehört, da ist doch bestimmt gar nix los.«

»Ja, eben!«

Gut, ursprünglich hatten wir Bali im Auge. Da war ich schon mal und wollte gerne wieder hin. Bis dann im Herbst 2002 gehirnfreie Religionsfaschisten das Paradies mit ihren Bomben in eine Hölle verwandelten1. Wir sind ja flexibel und buchen schnell um: Kenia. Klasse Hotel bei Mombasa. Safari und so wollen wir dann spontan unten organisieren. Eben erwähnte primitive Lebensformen, die einem von den skrupellosen USA zum skrupellosen Terroristen ausgebildeten Milliardär namens Osama bin Laden hörig ergeben sind, handeln wieder gemäß ihrer perversen Logik. Ein Selbstmordkommando mit vielen Toten später fällt auch Kenia flach2. Es ist weniger die Angst vor weiteren Anschlägen – im Gegenteil, ich halte Bali und Kenia nach den Anschlägen für die sichersten Plätze –, es ist mehr das ungute Gefühl, dort einen auf Urlaub zu machen, wo just Urlauber sinnlos abgeschlachtet wurden. Vor allem muss ich nicht in ein Land reisen, in dem mal eben mit Boden-Luft-Raketen auf einen startenden Passagierjet geschossen werden kann, ohne dass es irgendwer merkt.

Also gehts wieder ins Reisebüro. Die Angestellte ist zunächst endgenervt, zickt herum, dass »es« uns ebenso in Berlin, Paris oder Kleinunterstüchtelheim passieren könnte. Gebucht ist gebucht. Umbuchen kostet! Schleichts eich. Gut, wenn sie uns so kommt. Zickig können wir auch. Wir bösen Buben buchen nun kreuz und quer durch den Katalog, was das Zeug hält. Okay, total pauschal ist das nicht gerade, aber so hardcore sind wir doch noch nicht. Geschlagene zwei Stunden später haben wir alles unter Dach und Fach, die Buchungsfachkraft ist ein japsendes Nervenbündel, und wir sind das erste Mal im Leben so etwas wie Pauschalreisende.

Bangkok

So brechen wir Ende Januar 2003 gen Thailand auf. Immerhin haben wir uns für ein neiderregendes Schmankerl entschieden, mit dem wir alle Lästerer mundtot machen: Drei Tage Kambodscha – Angkor checken. Ebenfalls pauschal in Deutschland gebucht. Nein, das bekommt man vor Ort kaum billiger. Bin ja nicht ganz blöd und habe mich im weltweiten Netz erkundigt. Flüge von Bangkok nach Siem Reap kosten ab 300 Dollar, dazu dann Hotel und Eintritt in Angkor (Mehrtagespass ab 40 Dollar) und Transfers und ein Guide und und und. Da ist das Pauschpaket, das mein Veranstalter bietet, preislich konkurrenzlos attraktiv.

Es gibt so ein paar Städte, die man sich mindestens einmal im Jahr geben sollte, um sich lebendig zu fühlen. Jeder hat so seine Handvoll Traumstädte. Meine sind Amsterdam, Paris, New York (tja, sorry Wien und Rom, vielleicht das nächste Mal …) und immer wieder Bangkok. Bangkok, weil es einfach die real gewordene Version des Mega-Molochs aus dem Sci-Fi-Klassiker »Blade Runner« ist, weil es unerträglich laut ist und wie die Pest stinkt, weil man aus dem klimatisierten Hotel tritt und die Luft sich anfühlt, als würde man ein glutheißes, patschnasses Saunahandtuch um die Ohren geschlagen bekommen, weil man nirgendwo so schön »Shop till you drop« spielen kann und weil man sich von früh bis spät den Bauch mit den leckersten Köstlichkeiten für quasi umme vollschlagen kann.

Wenn man mir eine Wette anbieten würde, bei der man internationale Flughäfen am Geruch erkennen soll, würde ich sofort Bangkok herausschnuppern. Ich hatte diesen charakteristischen Mief aus süßlich Vermoderndem, gemixt mit schweren Blüten und Desinfektionsmitteln, schon völlig vergessen. Umso härter drängt Eau de Bangkok nach der Landung in meine Nase. Olfaktorisch noch außer Gefecht gesetzt, gehts schon los mit dem Pauschprogramm: Wir werden abgeholt. Irgendwie kommen wir uns blöd vor, als wir mit lauter Ehepaaren mittleren Alters magnetisch auf die freundlichen Thais zudackeln, die ihre Empfangsschilder hochhalten. Nun gehören wir also dazu. Den verächtlichen Blicken der vorbeiziehenden Backpacker halten wir trotzig und arrogant stand. Denn wer je versucht hat, vom Bangkoker Flughafen per Taxi in die Stadt zu kommen, ohne mehrere Tobsuchtsanfälle wegen impertinenter Chauffeure zu erleiden, weiß den Service des Hoteltransfers sehr wohl zu schätzen. Das nennt man pampern. Wir gewöhnen uns schnell dran.

Nach kurzem Nickerchen im Hotel, dem Crowne Plaza, einstmals Holiday Inn, praktischerweise in der Silom Road gelegen, damit man alle wichtigen Punkte bequem zu Fuß erreichen kann (Oriental Pier für die Bootsfahrten auf dem mächtigen Mae Nam Chao Phraya in die Altstadt, Oriental Terrace für den Sundowner, Silom Village und Patpong zum Powershoppen, Ban Chiang zum Schlemmen), gehts los. Bangkok verzeiht es einem nicht, wenn man irgendwas verschläft. Jetlag hin oder her: Mit dem Linienboot zu Wat Po. Zum x-ten Mal sehen und immer noch fasziniert sein. Und zum x-ten Mal sich über meinen Reiseführer aus den frühen 90ern des letzten Jahrhunderts des vergangenen Jahrtausends amüsieren; putzigerweise beschreibt der die Hauptattraktion der Tempelanlage Wat Po so: »Der Tempel des ruhenden Buddha (50 cm lang, 15 cm hoch) wurde 1987 zum Geburtstag von König Bhumibol neu vergoldet.« (Merian live: Thailand, Gräfe und Unzer Verlag, München, 1994, S. 57). Boah, denkt man sich. Da haben die Thais für ihren König ganz schön was springen lassen. Ganze 50 Zentimeter lang! Dann steht man vor dem in Wirklichkeit natürlich 50 Meter langen Riesenbuddha und wundert sich ein bisschen, dass sich solch entscheidende Details durch zig Korrekturstufen schmuggeln können, die ein Reiseführer aus dem Hause Merian durchlaufen sollte.

Wir haben keine Zeit für eine erholsame Thaimassage in der berühmten Massageschule von Wat Po, sondern hetzen sofort weiter zu den Märkten, die in Reiseführern gerne als verschiedene Märkte (Pahurat Market, Old Siam Plaza, Diebesmarkt, Pak Khlong Talat) beschrieben werden, die aber letztlich ein einziger, gigantischer, unzählige Straßenzüge umspannender Markt sind. Wir haben nur noch wenig Zeit, bis die Sonne untergeht und die Stände schließen. Schnell in das Gewusel einreihen und sich ständig dem Kreislaufkollaps nahe durch die dichten Menschenmassen quetschen oder sich mal willenlos ein paar Straßenzüge lang mitreißen lassen. Und immer darauf hoffen, dass keine Stampede ausbricht. Glücklich, überlebt und eine spottbillige Ray-Ban (garantiert so was von echt) erstanden zu haben, bummelt man dann durch die etwas ruhigeren Gassen von Chinatown, reiht sich an abgesperrten Straßen in fähnchenschwingende Schulkinder ein, die einer hinter dem dunklen Panzerglas einer vorbeirauschenden Luxuslimousine verborgenen königlichen Hoheit zujubeln, und erreicht endlich die Terrasse des Oriental, seines Zeichens regelmäßig zum besten Hotel der Welt gekürt, wo man bei einem Cocktail den Sonnenuntergang am Flussufer genießt. Okay, zugegeben, seit auf der anderen Flussseite das Peninsula an den Wolken kratzt, ist es mit dem Sonnenuntergang im Oriental vorbei, aber trotzdem. Tradition ist Tradition. Und qualmende Füße fordern ihren Tribut.

Auch wenn die zahlreichen Garküchen mit noch so leckeren Düften locken, zum Glück weiß der erfahrene Bangkok-Urlauber, wo er die besten Lukullitäten zu vernünftigen Preisen in schönster Atmosphäre genießen kann. Das Ban Chiang, ein kleines, altes, liebevoll hergerichtetes Holzhaus im Kolonialstil, und das Harmonique, ebenfalls ein altes Häuschen mit romantischem Innenhof, liegen beide nur einen Steinwurf weit vom Hotel entfernt. Wobei ich mich im Zweifelsfall immer wieder fürs Ban Chiang, das in einer sehr dunklen Gasse hinter dem Crowne Plaza liegt, entscheiden würde …

Angkor, Siem Reap

Pauschalreisen haben einen entscheidenden Nachteil: Als Herdentier wird man ständig gehetzt. Wir müssen am nächsten Tag schon um kurz nach Mitternacht aufstehen, weil der Shuttle uns um 5 Uhr abholt, damit wir auch sicher den Flieger um 8 Uhr nach Siem Reap, Kambodscha, erreichen. Dass man dann zweieinhalb Stunden am Flughafen chillt, was solls. Dafür begrüßt einen der winzige Flughafen in Kambodscha, ein für Länder mit diktatorischer Vergangenheit typischer, hingeklatschter Betonklotz, mit einem charmanten Fußbodenmuster aus lauter zerquetschten Kakerlaken.

Eine weitere zweifelhafte Charmeoffensive erwartet uns an der Passkontrolle. Die sich nur alle paar Stunden um einige Millimeter weiterbewegenden drei Warteschlangen und die grimmig blickenden Uniformierten hinter dem Tresen erinnern verdächtig an Zeiten, als es noch ein Abenteuer war, die Sowjetische Besatzungszone (heute: Neue Bundesländer) zu besuchen. Wer ins Land will, muss ein Passfoto vorlegen und 20 Dollar in bar berappen. Wenn man kein Passfoto hat, wie das amerikanische Ehepaar vor uns, tuns zur Not auch 5 Dollar, die man zusätzlich über den Tresen schiebt. Hat man die 20-Dollar-und-im-Notfall-Bestechungsgeld-Schlange überwunden, stellt man sich brav an der Visum-Aushändigungs-Schlange an. Spätestens hier beginnt ein munteres Zeittotschlagen, indem man mit seinen Vorder- oder Hinterleuten Bruderschaft trinkt und lebenslange Freundschaften schließt. Glücklich, wer einen prall gefüllten Picknickkorb, Astronautennahrung oder ein Klappbett dabeihat. Das amerikanische Ehepaar von eben plauscht mit uns. Er erinnert mit seinem markant zerknitterten Gesicht an einen deutschen Schauspieler, der immer in den Winnetou-Filmen oder bei »Lederstrumpf« mitgespielt hat, und dessen Name mir nicht einfällt. Ich glaube, der Schauspieler hieß Hellmut Lange. Lederstrumpf ist natürlich sofort begeistert, als er erfährt, dass wir Deutsche sind. »Meine Großvater war eine Schwabe«, radebrecht er stolz. »Isn’t that gorgeous?!«

Schon ein halbes Menschenleben später haben wir unser Visum und können endlich zur Passkontrolle-Schlange vorrücken. Die Lebensgeschichte von Lederstrumpf und Gattin beherrschen wir bereits auswendig, und ich schaffe es gerade noch, den Amis die detaillierte Biografie meiner Urgroßmutter väterlicherseits reinzudrücken, als es auch schon Abschied nehmen heißt. Wir sind durch! Dass wir das noch erleben durften! Wir treten ins gleißende Sonnenlicht Kambodschas.

Unser Reiseführer strahlt über beide Ohren, als er uns in Empfang nimmt. Man möge ihn bitte Ry nennen, denn seinen kompletten Namen könnten wir uns eh nicht merken. Uns zuliebe spricht er seinen Namen dann doch aus. Wir können ihm nur zustimmen und bleiben bei Ry.

Ry karrt unsere Reisegruppe ins Angkor Hotel. Gepäck abliefern. Einchecken können wir erst später, weil die Zimmer nicht fertig sind. Unsere Gruppe besteht außer uns aus einem ältlichen schweizerischen und einem niederbayrischen Ehepaar, einem jungen Pärchen aus München (Gott sei Dank sind wir nicht die Jüngsten!), einem schwergewichtigen Ehepaar aus Berlin und einem alleinreisenden, putzmunteren Greis aus dem Schwäbischen, der die 80 schon weit hinter sich hat. Im Hotel heißt uns eine freundliche Dame mit der entzückenden Geste des Schalumlegens willkommen. Einer buddhistischen Tradition folgend, bekommt jeder einen dünnen Schal um den Hals gehängt. Vor einigen Jahren gab es einmal eine außenministeriale Notlösung namens Klaus Kinkel, die ganz undiplomatisch für einen Skandal sorgte, als sie dem Dalai Lama just diese Geste verwehrte. Ein Kinkel Klaus ließ sich nichts um den Hals wickeln, lieber beleidigte er das geistliche und weltliche Oberhaupt von zig Millionen Buddhisten tödlich. Doch Seine Heiligkeit, die Diplomatie in Person, lächelte und tat, als ob nichts wäre. Wir hingegen lassen uns gerne Schals umlegen. Alle bedanken sich artig, doch schnell wandern neidische Blicke durch die Runde. Der hat einen blauen, den will ich! Sauerei, die fette Kuh bekommt den orangenen und ich den hässlichen schlammfarbenen. Ein munteres Schaltauschen beginnt. Die Hoteldame lächelt und tut, als ob nichts wäre.

Die Begrüßungsschals, eben noch hart ertauscht, verschwinden lieblos zusammengeknüllt in den Reisetaschen, die erste Besichtigungstour beginnt. Wir bekommen unsere Mehrtagespässe, die wir ständig sichtbar tragen müssen, denn obwohl Angkor sich über etliche Quadratkilometer erstreckt und aus zahllosen, teilweise völlig einsam liegenden Gebäudekomplexen besteht, gibt es überall Kontrollen, damit sich niemand die Schönheiten Kambodschas umsonst erschleichen kann. Was jedoch noch wichtiger ist: Der Pass berechtigt zum kostenlosen Aufsuchen der Angkor-Toiletten, die nicht nur nach den Maßstäben eines Fünfteweltlandes sauberst, modernst und empfehlenswertestens sind. Allein die putzigen Piktogramme, die ungeübte Klobesucher darauf hinweisen, dass man auf der Klobrille sitzt und nicht steht oder hockt, sind den Besuch wert.

Die Besichtigung der ersten Attraktionen wird durch einen kleinen Makel erschwert: Unser Reiseleiter Ry ist eine Seele von Mensch, lieb und bemüht – aber er redet auch wie ein Wasserfall und versucht uns die Unmengen an Wissen zur faszinierenden Khmer-Geschichte, über die er zweifellos verfügt, geballt reinzudrücken. Leider kann sich der Mitteleuropäer als solcher komplizierte asiatische Herrschernamen und den reichhaltigen Kosmos hinduistischer Gottheiten sowie die Terminologie buddhistischer Erleuchtungsstadien nur schwer auf Anhieb merken. Bedauerlicherweise bedient sich Ry, der angeblich zu DDR-Zeiten in Rostock Medizin studiert hat, einer Sprache, die man beim konzentrierten Hinhören nur mit viel Wohlwollen als Deutsch identifizieren kann. Und er pflegt seine Ausführungen pädagogisch wertvoll aufzubereiten, indem er stets ein rhetorisches »Und warum?« einfügt, um noch detaillierter das eben Gesagte zu wiederholen.

So erfahren wir beispielsweise angesichts der erschlagend beeindruckenden Ruine des Bayon Tempels: »Dann sinn Hinduis unn Shivais geweseh weg unn König Jayavarman die Siebeh, die iss König von elfehundeheinunnachezih bis zwolefehundehneunezeh, wolleh deh Mach von König neu stutzeh auf die Mahayana-Buddhis, sag man doch, stutzeh, eh? Unn warum? Weil die Buddhis is von Jayavarman die Religion, die haben.« Und schon begehen wir einen Frevel, den Pauschalisten scheuen wie der Teufel das Weihwasser: Wir setzen uns einfach ganz individuell ab, erkunden die umwerfende, letztlich nicht beschreibbare Anlage mit den 37 milde lächelnden, meterhohen Buddhaköpfen auf eigene Faust. Einzig das Berliner Ehepaar, sie kugelrund und ständig die Videokamera im Anschlag, er geschmackssicher in schreienden Hawaiihemden, traut sich, ebenfalls aus der Herde auszubrechen. Hier, wie in allen anderen Tempelruinen, wurden einige der heiligen Stätten reaktiviert. In verfallenden Türmen sind Buddhastatuen mit orangenen Schärpen postiert, meist halten kahlgeschorene, greise Nonnen Wache und bitten um Almosen.

Allein der Bayon Tempel und die Straße der Riesen mit den gigantischen Dämonenstatuen auf der rechten und den monumentalen Buddhastatuen auf der linken Seite haben uns völlig betäubt. Man muss sich ständig ins Bewusstsein rufen, dass das alles keine Kulissen für einen »Indiana Jones«-Film sind, auch wenn das immer wieder behauptet wird. Der Ta Prohm Tempel wird sogar fälschlicherweise »Indiana Jones Tempel« genannt. Nein, Indiana Jones war nie hier. Dafür Angenlina Jolie in »Lara Croft: Tomb Raider«. Alles ist echt, wir erleben die spektakulären Ruinen einer einstigen Millionenstadt, die zur selben Zeit aufblühte wie das Reich Karls des Großen, ihren Höhepunkt unter den Gottkönigen im 12. Jahrhundert erlebte und sich durch ihre eigene, unstillbare Prunksucht dann selbst das Grab schaufelte. Nach zahlreichen Kriegen, Eroberungen und Plünderungen durch die Siamesen wurde Angkor verlassen und ab dem 15. Jahrhundert vom Urwald zurückerobert. Seit knapp eineinhalb Jahrhunderten wird die Stätte der Superlative wieder peu à peu dem Dschungel entrissen. Angkor darf man sich nicht als wilde Ansammlung von Ruinen vorstellen. Schon von der Straße der Riesen zum Bayon Tempel fährt man mehrere Kilometer. Teilweise ist man je nach Fortbewegungsmittel (und unsere Individual-Freunde wählen hierzu Mopeds oder Fahrräder, zwei bis drei völlig Durchgeknallte sind mit hochroten Köpfen sogar per pedes unterwegs und sehen so aus, als würden sie nicht mehr lebend nach Siem Reap zurückkehren) mehrere Stunden von Tempel zu Tempel unterwegs, durchquert Dörfer, Felder und wilden Urwald.

Bevor wir uns Angkor Thom und Angkor Wat widmen dürfen, heißt es erst: zurück ins Hotel, Zimmer beziehen. In der Sekunde, in der wir unsere Zimmertüre aufschließen, ertönt innen ein kurzes Quieken und die Badezimmertür wird zugeschlagen. Im Bruchteil einer Sekunde erhaschen wir noch einen Blick auf die Ursache: Ein Zimmermädchen hockt mit runtergelassenem Höschen auf unserem Klo und kackt sich aus. Es dauert, bis sie endlich fertig ist. Sie kommt heraus, lächelt verlegen und sagt »Sorry«, während sie sich mit der rechten Hand vielsagend den Bauch hält.

Die meisten aus unserer Gruppe nutzen die freie Stunde zum Schlafen, ich erkunde lieber den Hotelpool. Außer mir kommt noch die junge Münchnerin an den Pool. Sie heißt Clara und fühlt sich vom stundenlang durch die Tempel tigern noch nicht richtig ausgelastet. Ein paar Kilometer schwimmen soll Abhilfe verschaffen. Der Pool ist ansonsten fest in japanischer Hand – wie übrigens fast alles in Kambodscha. Vielleicht finden die reichen Zeitgenossen aus dem Land des Lächelns ja auch die Attraktion toll, die hinter dem Pool zur Gästebelustigung bereitgehalten wird: Zwei völlig verstörte Schwarzbären kauern in einem winzigen Käfig, der so gut wie keinen Sonnenschutz bietet.

Nur bleibt kaum Zeit, Bärenschicksale zu bedauern, denn wir müssen an diesem Nachmittag noch einiges abarbeiten. Angkor Thom mit dem Königspalast, der gigantischen Elefantenterrasse und der Terrasse des Lepra-Königs sind vergleichsweise schnell abgehakt, wobei die drängende Frage, ob denn der König nun wirklich Lepra hatte oder nicht, von unserem Reiseleiter Ry nicht erschöpfend beantwortet werden kann. Das heißt, uns erschöpft die Antwort sehr wohl, denn Ry holt erst einmal zu einer kompletten Genealogie der Khmer-Könige aus, um dann die Frage nach der Lepra wortreich in einer uns größtenteils unbekannten Sprache zu umschiffen: »Die Leute denken die Lepra mit die König. Unn warum? Weil die König habe die Fingah unn die Leute nich habe gewusst – man sag doch gewusst? –, dass die Lepra nich die Ursach, wenn die König habe das. Aber die König so habe immer unn denke die Leute mit die Lepra. Aber habe die Fingah! Sie verstehe? Also, ich wiederhole noch mah …«

Immer noch rätselnd, was denn nun an der Leprageschichte dran war, turnen wir bald darauf auf den Steiltreppen des Phimeanakas, einer Tempelpyramide aus dem 10./11. Jahrhundert, herum. Wie sich im Nachhinein zeigen sollte, noch die harmloseste. Buddhistische Tempelpyramiden in Angkor neigen dazu, nur über halsbrecherische, beinahe senkrechte Steintreppen mit ausgelatschten, extrem schmalen Tritten erklimmbar zu sein. Nichtsdestotrotz klaxelt Clara, die den dringenden Hinweis des Reiseveranstalters auf festes Schuhwerk einfach ignoriert hat, mit hochhackigen, offenen Sandaletten hinauf und erstaunlicherweise auch lebend wieder hinunter. Gute Übung für die Kletterherausforderung, die nun auf uns wartet: Angkor Wat. Die pompöse, trotz der Jahrhunderte Dornröschenschlaf im dichten Dschungel sehr gut erhaltene Tempelanlage ist der erste und einzige Ort hier, den man tatsächlich als touristisch überlaufen bezeichnen könnte: Man sieht nämlich ab und an mal ein paar andere Menschen. Natürlich haben wir zwei schwarze Schafe uns wieder von Rys Erklärungsmarathon zum größten sakralen Bauwerk der Welt befreit, überqueren die Brücke über dem Wassergraben, der Angkor Wat umgibt, und lustwandeln auf der Prachtallee gen Zentraltempel. Ab und an rollt die dicke Berlinerin, die ebenfalls endgültig zu den Dissidenten gehört, in Sichtweite herum und filmt, was die Videokamerabatterien hergeben. Bei jeder Begegnung zwinkern wir uns verschwörerisch zu. »Det isn Ding hier, wa?«, ruft sie uns fröhlich zu. »Aba det is noch jar nüscht jejen Burma! Det müssta ma machen!« Machma. Näxtes Jahr, wa.

»Hey, howya doin?«, plärrt es da von der Seite, und schon treffen wir unsere Bekannten aus dem Einreise-Schlangen-Abenteuer, Lederstrumpf und Gattin.

»What a small world, hm?«

»It is!«

»Isn’t that ter-ri-fic?!«

»Sen-sa-tio-nal!«

»A-ma-zing!«

»It’s just like, you know, so impressing!«

»Yeah, see ya!«

»See ya!«

(Amnerkung von 2020: Damals war noch nicht alles »awesome«.)

Im Herzen Angkor Wats befindet sich die ultimative Traniningsanlage für Freeclimbing-Freaks. Die »Treppe« der Tempelpyramide ist nichts weiter als eine endlos hohe Wand mit einem winzigen Stüfchen alle fünf Meter. Carsten, fitnessgestählt, macht die Vorgabe und turnt leichtfüßig, einer Bergziege gleich, die Senkrechte hoch. Ich, schokoladengeschwächt, erklimme zitternd auf allen vieren und mit dem Adrenalinausstoß eines Bungeespringers die Wand. Bloß nicht nach unten schauen, bloß nicht hinterfragen, was ich da eigentlich mache. Und da ich oben auch tatterige Greisinnen herumspazieren sehe, bin ich leidlich zuversichtlich, dass es irgendwo einen einfachen Weg geben muss. Einen einfachen Weg hinunter. Den gibt es tatsächlich, doch die Warteschlange downstairs ist schier endlos. Schon senkt sich die Sonne im Westen ihrem Untergang zu. Von hier oben aus hat man einen Traumblick auf die dämmernde Landschaft. Bekanntermaßen geht in den Tropen die Sonne meist ziemlich ploppartig unter, das bedeutet im Zweifelsfall: Abstieg vom Tempel im Dunkeln. Es gelingt mir, mich gnadenlos durch geschicktes Vortäuschen akuter Darmprobleme in der Warteschlange vorzudrängen. Nun ist eine junge Frau mit Kleinkind auf dem Arm vor mir. Wie die es mit dem Balg hier hochgeschafft hat, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Jedenfalls sollte man ihr sofort das Sorgerecht entziehen. Der einfache Abstieg entpuppt sich als ebenso senkrechte Wand mit alle fünf Metern einem schmalen Stüfchen, nur wird er von einem hauchdünnen Metalldrähtchen, an das sich alle verzweifelt krallen, »abgesichert«. Tattergreisinnen, Mütter mit Säuglingen und nicht völlig schwindelfreie Autoren benötigen natürlich eine gewisse Zeit, um sich diesen Weg hinabzuhangeln. Froh, noch unter den Lebenden zu weilen, bummeln wir zurück zum Eingangstor von Angkor Wat, in der Hoffnung, dort unsere Gruppe wiederzufinden.

»Hey, my god, did anybody ever tell ya, that you are tall?!«, quäkt es da plötzlich von links hinten in jenem breiten Gerülpse, das in weiten Teilen der USA als Sprache anerkannt ist. Wir drehen uns um, eine kleine, dicke Amerikanerin asiatischer Herkunft grinst breit.

»Tall? Me? You’re sure?!«, antworte ich geistesgegenwärtig. Nun bin ich nicht gerade der Kleinste und falle besonders in asiatischen Ländern auf, weil ich mit meinen 2,03 Metern mühelos jeden überrage. Doch so plump hat es bisher noch niemand gebracht. Die pummelige Amerikanerin tut fortan so, als hätte sie mit uns die Wartezeit an den drei Einreiseschlangen am Flughafen verbracht, textet uns gnadenlos mit Blabla à l’americaine zu (»So fascinating, isn’t it? Überfascinating.«). Wir spielen mit, wohl wissend, dass der trendige Ami momentan die deutsche Vorsilbe »über« favorisiert (»It’s just like, you know, so unique. Überunique.«), bis die Frau dann abrupt stehen bleibt und sich mit einem: »Allright, I’ll just catch a photo right here. See you, boys.« verabschiedet. Weg ist sie.

Es ist zwar schon schwärzeste Nacht, doch noch früh am Abend, als wir endlich wieder unsere Pauschalfreunde treffen. Ry grollt nicht, weil wir den Nachmittag ohne seine Erläuterungen verbracht haben. Er bleibt die radebrechende Freundlichkeit in Person. Doch er ist verzweifelt, weil er den Programmpunkt »Sonnenuntergang von Phnom Bakheng« nicht mehr untergebracht hat. Dafür will er uns am nächsten Morgen mit einem Sonnenaufgang locken. Irgendwie sind wir alle nicht begeistert von der Vorstellung, schon wieder um 5 Uhr früh aufstehen zu müssen, und lehnen das Angebot ab. Nun schmollt Ry doch ein wenig und scheucht uns zur Strafe in einen der zahlreichen supermarktgroßen Souvenirshops, wo man nach allen Regeln der Kunst ausgenommen werden soll. Hostessen mit der Penetranz von Filzläusen und Preise jenseits der Schamgrenze verhindern jegliche Kaufgelüste. Zumal man die identischen industriegeschnitzten Buddhas, den billigen Silberschmuck und die Stoffe in Bangkok erheblich preiswerter kaufen kann. Da wir den Konsum verweigern, kann Ry vom Ladenbesitzer auch keine Provision einstreichen. Er wird uns daher am nächsten Tag noch zwei- bis dreimal hartnäckig an Souvenirsupermärkten ausladen und beschwört uns, am Abend zumindest in die Lokale zu gehen, die er uns empfiehlt.

Hier haben die anderen Gruppenmitglieder ein Herz, doch wir zwei seilen uns gewohnheitsmäßig ab und entdecken prompt, angelockt von blinkenden Leuchtketten, in einer düsteren Seitenstraße einen spottbilligen Gourmettempel. Das Geblinke ist nur von kurzer Dauer, denn kaum haben wir bestellt, gehen die Lichter aus. Totaler Stromausfall. Nun hocken wir bei Kerzenlicht. Richtig romantisch. Das finden auch die vier sehr praktisch gekleideten, kräftig gebauten Damen mit Kurzhaarfrisuren und markant maskuliner Appearance am Nebentisch, die sich nun noch verliebter gegenseitig in die Augen schauen. Sie rufen uns im derbsten Boarisch ein freundliches »Grad griabig da herin, gell. Pfiads eich, Buam!« nach, als wir, vollgewamst bis zum Anschlag, höchst zufrieden das Lokal verlassen. Auf unser »Pfiads eich aa, Madln, äh, Buam!« strahlen sie wie Honigkuchenpferdinnen.

Wir wollen ein wenig Siem Reap erkunden, doch wir finden nicht viel Erkundenswertes. Zwei kleine Schmuddelläden mit einigen interessanten asiatischen Pseudoantiquitäten ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch kambodschanische Ladenbesitzer haben im Gegensatz zu ihren thailändischen Kollegen sehr viel fixere und vor allem viel überzogenere Preisvorstellungen. Sie knallen uns einen obszönen Dollarpreis hin und lassen sich nicht mal annähernd in die für uns interessante Preiszone handeln. Pech gehabt, dann eben nicht.

Apropos Dollar: Kambodscha gilt als eines der ärmsten Länder der Welt, was man nirgends nachlesen muss, weil man es sofort am Straßenleben sieht. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Tourismus, weshalb an der Straße nach Angkor ein Hotel neben dem anderen hingeklotzt wird. Von den rund 600 000 Besuchern im Jahre 2002 will sich Kambodscha auf 2,8 Millionen bis 2006 steigern. Da der kambodschanische Riel völlig unter Schwindsucht leidet, sind US-Dollar und Thai-Baht die offiziellen Zahlungsmittel. Und auf einen Dollar oder mindestens 20 Baht (ca. 50 Euro-Cent) hoffen alle Kinder und Bettler. Klar soll man nichts geben, weil man sonst die Kinder zum Betteln erzieht. Dies haben aber schon zahllose Touristen vor uns gemacht, und so hat man an jedem Tempel in Angkor und an jeder Straßenecke in Siem Reap eine Horde »One dollah«-kreischender Bälger um sich. Manche versuchen, dir für den Dollar (oder zwei oder drei) zumindest ein T-Shirt, Filme, Postkarten oder ihre Schwester anzudrehen, doch die dreisteren bieten nichts außer Hartnäckigkeit. Kaum hat man zum Beispiel die herrliche Aussicht vom Gipfel des Ta Keo genossen und küsst noch ganz trunken vor Freude den Boden, dass man wieder eine halsbrecherische Steiltreppe überlebt hat, schon klebt Miss Impertinent an dir und schreit: »Give me one dollah!«

Du ignorierst es zunächst.

Sie zerrt an dir und deinen Nerven. Moderne Künstler könnten aus dem Rhythmus der nun folgenden Endlosschleife »One dollah!« »No!« »One dollah!« »No!« »One dollah!« »No!« eine interessante Klanginstallation machen. Endlich ist der Bus erreicht, mit einem triumphierenden Lächeln schmetterst du dem Mädchen ein letztes »No!« entgegen, und willst das Gefährt besteigen, da spielt die Kleine voll auf, schleudert dir ein völlig absurdes »Okay, Sir, so you give me two dollah!« hinterher und damit hat sie dich dann.

Ähnlich gepolt ist auch der kleine Junge, dem ich vor dem sprachlos machenden Meisterwerk mittelalterlich-hinduistischer Steinmetzkunst, dem über und über mit Ornamenten verzierten Tempel Banteay Srei, in die Arme laufe. Da ich eben bei einer Kollegin die sensationell gut gemachte Bronzereplik eines stehenden Ganescha aus dem 7. Jahrhundert auf 12 Dollar heruntergehandelt habe, reagiere ich nicht auf T-Shirts, Filme, Postkarten, Drogen, Waffen und Flugzeugträger. Schließlich versucht er es mit dem plumpen »Mistah, buy something! One dollah!« und fügt ein verzweifeltes »What do you want?« hinzu.

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