Kitabı oku: «Fettie macht 'ne Arschbombe», sayfa 4

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Damals nervte die Reisescheckumtauschkiste. Heute reicht eine Kreditkarte, und wenn man Bargeld braucht, findet man an fast jeder Straßenecke einen internationalen Geldautomaten. Schnell die EC-Karte rein und noch ein paar Hundert Baht abgehoben, weil auf Patpong die tollen Fakes gekauft werden müssen. Taschen, Uhren und vor allem T-Shirts. Ja, ich gebe zu: Auch wir kaufen falsche Diesel- und echte Chang-Bier-Shirts. Gelobt seien die Fortschritte des internationalen Bankwesens.

Damals gab es an fast jeder Straßenecke mobile Verkaufseinheiten, die ganz besondere Spezialitäten der asiatischen Küche feilboten: Kakerlaken, Maden, Käfer, Grillen, Skorpione, Heuschrecken und komplette Jungvögel – alles frisch frittiert. Vor ein paar Jahren hatte ich mir geschworen, dass ich, wenn ich jemals wieder nach Bangkok kommen sollte, mir irgendwas davon reinziehen werde. Heute ist es ein schier aussichtsloses Unterfangen, diese Spezialitätenhändler noch zu finden. Aber wir haben letztlich Glück. Schräg gegenüber dem Hotel bietet nächtens eine Dame alles oben Erwähnte an. Wir wählen knusprige Heuschrecken frites to go an leichtem Sojadressing. Ja, es kostet Überwindung. Nein, sie schmecken nicht eklig. Einfach salzig und knusprig. Man muss nur den Kopf ausschalten und eine Flasche Wasser bereitstehen haben, schon flutschts. Apropos Kopf: Den Schreckenkopf haben wir vor Verzehr abgetrennt, das hatte uns die Verkäuferin empfohlen.

Damals tat auch ein verwöhnter, milliardenschwerer saudischer Ex-Playboy namens Osama bin Laden die ersten Schritte in seinem neuen Metier. Stopp. Einschub. Hierzu eine kleine Geschichte am Rande: Die saudische Form des Islam nennt sich Wahhabismus. Im Jahr 2002 brannte eine Mädchenschule in Mekka, Saudi-Arabien. An sich schon eine Sensation, denn für strenge Wahhabiten sind Schulen für Mädchen ein Frevel. Fünfzehn Schülerinnen starben aus dem einzigen Grund, weil sie in der Panik verständlicherweise ihre Schleier nicht fanden. Die Religionspolizei hatte den Mädchen die Flucht verweigert, sie durften unverschleiert nicht auf die Straße. Nach wahhabitischer Denkungsart werden Frauen, so sie keinen Schleier tragen, sofort vergewaltigt. Letztlich natürlich ein erschütterndes Armutszeugnis für die Männer. Philosophisch-moralisch derart gerüstet und zudem von den USA in jeder denkbaren Tötungsdisziplin ausgebildet, rutscht ein labiler Geist leicht ab. Deshalb hat nun das Auswärtige Amt allen Grund, vor Thailand-Reisen wegen akuter Terrorgefahr zu warnen. Thailand gilt als »weiches« Ziel. Nun vergällt Osama bin Laden selbst das Shoppen, weil nicht wenige Händler Fanartikel für Hirnamputierte im Angebot haben: T-Shirts mit seinem Konterfei. Gelegentlich finden sich Hemdchen mit Osama und dem US-Präsidenten George Dabbeljuh – »Twin Terrorists« steht berechtigterweise darunter. (Ach, Schorsch-Dabbeljuh, denkt man sich Jahre später. Das waren noch Zeiten. Wer hätte damals gedacht, dass nach dem grenzdebilen »fascist groove thang« Ronald Reagan und dem bodenlos dummen Schorsch-Dabbeljuh noch unsäglichere Personen wie z. B. Donald »the orange clown« Trump das Amt des US-Präsidenten bekleiden werden.)

Damals stolperte man an jeder Straßenecke über sabbernde, käsige Quallen kurz vor der Verwesung, die wie ekelerregender Aussatz an blutjungen Thaimädchen oder -jungs klebten. Hier hat sich leider immer noch nichts geändert. Sextouristen gibt es besonders auf Patpong wie Sand am Meer. Das riesige Amüsierareal Patpong im Herzen Bangkoks besteht aus ein paar Gassen, die von der Silom Road abgehen, in denen sich Kneipen mit Peep-, Strip- und Fickshows aneinanderreihen. Anreißer versuchen jeden Mann in ihr Lokal zu zerren und halten jedem Zettel unter die Nase, die die Besonderheiten der Show ankündigen. Die Nummer mit der genitalen Pingpong-Ball-Jonglage hat jede Sexshowmaus im Programm. Da bei den meisten Läden die Tür weit offen steht, kann man die Damen begutachten, wie sie lustlos und mit ausdruckslosen, stark geschminkten Gesichtern an den Stangen auf dem Tresen tanzen. Wie man(n) angesichts der Erbärmlichkeit da noch einen hoch kriegen kann, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Fängt eine Thekenkraft den Blick des Flaneurs, beginnt sofort das klassische »Hello, hello, Mister!«-Rufen. Jenes Rufen, das jedem Mann, der nicht in Begleitung einer Frau an einer der offenen Bars vorbeigeht, überall in Thailand hinterherschallt, egal, ob in Patpong, auf Phuket oder Koh Samui. Männer, echt jetzt, macht euch das geil?

Viele Kneipen haben ein paar Tische draußen an der Straße stehen, da kann man gepflegt ein kühles Bier zischen und das bunte Treiben in der Gassenmitte beobachten: Dort tobt Thailands bekanntester Nachtmarkt, der sich am Wochenende krakenartig sogar die ganze Silom Road hinunter ausbreitet. Touristen drängen sich dicht an dicht, grabschen hier nach einem T-Shirt und zerren dort ein anderes hervor. Eifrig beobachtet von den Verkäuferinnen, die jede Bewegung des potenziellen Kunden mit ihrem schwer verständlichen Englisch-Singsang kommentieren. Egal, wie groß der Kunde ist, es ist immer »Won saih! Won saih!« (»One size«). Von überall tönt der längst zum Klassiker gewordene Ausruf: »Same same! But different.« Mittlerweile gibt es T-Shirts mit dem Spruch. Übrigens können sich auch Frauen problem- und gefahrlos in der Sündenmeile Patpong bewegen. Sie stürzen sich mit Verve auf alles, was nachgemacht ist – von der Handtasche bis zum Polohemd. Dabei sollten sie ihre Männer nicht aus den Augen lassen, die verstohlen in die Sex-Läden schielen und auf ein noch billigeres Amüsement als ihre Gattinnen aus sind.

Um mitreden zu können, habe ich einmal vor Jahren eine Live-Sex-Show in Bangkok besucht. Damals mit dem Lufthanseaten Carlo. Eine Stewardess hatte uns einen Club empfohlen, in dem es angeblich eine gute Gay-Show gäbe. Sie selbst hätte schon mehrere gesehen, und diese sei die beste gewesen. Stewardessen scheinen ein ausgesprochenes Faible für schwule Sex-Shows zu haben, denn als wir in dem Laden ankamen, trafen wir auf einen gackernden Haufen Saftschubsen beiderlei Geschlechts. Eine halbe Lufthansacrew lümmelte in den schmuddeligen Sitzen. Der Laden lag im ersten Stock eines unscheinbaren Hauses in einer Seitengasse der Silom, schräg gegenüber einer angesagten Disco, vor der aufgetakelte Nachtfalken jederlei Geschlechts in der Schlange warteten, Einlass zu finden. Carlo und ich bestellten Bier und dann ging schon die Show los. Fünfzehn magere Thaiboys tummelten sich in weißer Feinripp-Unterwäsche mit Eingriff auf der Bühne. Sie wiegten sich ein wenig zu dröhnenden Discoklängen und zogen die Unterhemden aus. Dann spielten sie ein wenig an sich herum und entledigten sich der Unterhosen. Die Stehfreudigeren mussten in den vorderen Reihen herumhopsen. In den hinteren Reihen kämpfte manch einer sichtbar damit, eine anständige Erektion hinzubekommen. Wir durften die nächsten Minuten den Burschen beim Onanieren zusehen. Einer kam sogar. Dann wurde es dunkel, die Wichser schlichen von dannen. Licht an: Ein muskulöser, erstaunlich männlicher Thai und ein magerer Bursche strippten und schraubten aneinander herum. Als beide endlich einen vorzeigbaren Ständer hatten, zog der Bursche dem Kerl einen Pariser drüber (immerhin!) und ließ sich in Folge in jeder erdenklichen Position nageln. Eine nicht sehr stimulierende, aber augenscheinlich kraftraubende Rammelei zog sich vom einen Bühnenende zum anderen hin. Akrobatik pur, der Kerl balancierte den Burschen in Positionen, die Equilibristen vor Neid erblassen lassen würden. Mit Höschen hätte man die Nummer beim Zirkusfestival in Monte Carlo laufen lassen können. Längst hatte der Kerl keinen Ständer mehr, wie wir aus unserem Blickwinkel bemerkten, doch er pumpte professionell weiter und der Bursche fakte schließlich einen Top-Orgasmus. Nun stürmten wieder die fünfzehn Burschen die Bühne. Diesmal trugen sie Unterhosen, an denen ein Zettel mit einer Zahl befestigt war. Sie tanzten eine Weile, und wir hätten uns unsere Wunschzahl aussuchen können, diese bei der Bedienung bestellen und dann ins Separée folgen können. Wir verzichteten dankend. Animierend ist etwas anderes als Elend ausbeuten.

Koh Samui

Doch auch auf unserer nächsten Station Koh Samui stolpern wir über sie, die hemmungslosen Sex-Touris, obwohl die Insel als Paradies der letzten Hippies und Aussteiger und als Musterbeispiel für sanften Tourismus gilt. Aber selbst Hippies wollen poppen.

r Kassiererin im Supermarkt Beifall zu spenden, wenn sie nach erfolgreichem Hacken auf der Kassentastatur »Macht dann zwölfachtundsechzig« plärrt. Oder der Jeansverkäuferin fürs »Ne, die hamma net in deiner Größe! Brauch ich gar net erst nachschauen!«-Sagen. Oder dem Piloten fürs katastrophenfreie Landen. Doch schließlich applaudieren meine pauschalreisenden Landsleute ja mit Begeisterung geistigen Tieffliegern, die die kulturelle Latte wöchentlich tiefer legen, indem sie absolut talentfrei mit akustischer Luftverpestung die Charts stürmen und dann auch noch bar jeder Sprachbegabung mit ihren als bedrucktes Klopapier in Buchform gebrachten »Lebenserinnerungen« die Bestsellerlisten anführen. Dafür muss man einen neuen Begriff einführen: Bohlen, als Steigerung von peinlich, schlimmer gehts nimmer. Und dann wird mir klar: Damals, Anfang der 1980er-Jahre, wurde die schlimmste aller denkbaren Langzeitbomben gezündet, die sich auf Englisch »Modernes Geschwätz« nannte. So kann man Kultur ebenfalls schlachten, vernichten, ausradieren. Stehen am Ende gar die Taliban dahinter? Werden sie also doch auf die weiche Art siegen, oder …

Als kleines Zeichen des kulturellen Werteerhalts setze ich mich demonstrativ auf meine Hände, als wir uns im Landeanflug auf München befinden. Wollen wir doch mal sehen! Die Maschine setzt auf, butterweich, der Flieger bleibt still. Draußen hat es minus 4 Grad, der Himmel ist bleiern grau, ein Hauch Schnee bedeckt die Landschaft. Die Motoren drosseln ihre Leistung, das Flugzeug rollt langsam aus, kein Applaus. Wo sind wir denn?! Ich habe mich so darauf gefreut, kopfschüttelnd die Augen zu verdrehen und meine klatschenden Nachbarn mit vernichtendem Blicken zum Verstummen zu bringen. Vielleicht sollte ich mich ein wenig als Agent Provocateur betätigen, und die Vorgabe machen? Da – der Flieger steht fast, endlich führen zwei oder drei Pauschalisten frenetisch patschend ihre Handflächen zusammen. Niemand steigt darauf ein. Nun fällt mir auch ein, dass bereits auf dem Hinflug bei der Landung in Bangkok kein Mensch geklatscht hatte. Die Klatscher verstummen, noch bevor sie richtig losgelegt haben. Schade, wo ich so gerne vernichtend um mich blicke. Pauschalreisen sind halt einfach nicht mehr das, was sie einmal waren …

PS, ein paar Monate später: Wie man eine uralte Kultur nachhaltig plättet und ausbluten lässt, haben kurz nach unserem Urlaub unsere amerikanischen Freunde demonstriert, als sie den Irak überfielen und neben vielen anderen berichtenswerten Aktionen auch Panzer dafür abstellten, Bagdads Museen mit jahrtausendealten Artefakten zu bewachen – zu bewachen, damit Plünderer (nicht selten GIs) ungehindert kostbare Kunstwerke aus der Frühzeit jeglicher menschlicher Kultur aus den Museen rauben und in Amerika verhökern konnten. So funktioniert das.

PS, beim Überarbeiten 2019: Damals, 2003, war Kambodscha noch touristisches Entwicklungsland. Wir hatten das Glück, Angkor noch verhältnismäßig leer zu erleben. Wir konnten in den verwunschenen Tempeln noch Fotos nur von uns machen. Heute, so heißt es, gehört Angkor zu den vom Übertourismus bedrohten Zielen, die man sich getrost sparen kann. Spart es euch auf gar keinen Fall, wenn ihr es euch irgendwie leisten könnt. Es ist über-gorgeos bzw. über-awesome. Meine Heimatstadt München zählt ja ebenfalls zu den vom Übertourismus schwerst gebeutelten Orten – und ist trotzdem weiterhin eine sensationell tolle Stadt, die jeden Besuch wert ist.

2 Beim Terroranschlag am 28. November 2002 auf ein Hotel in Mombasa wurden 16 Menschen getötet und 80 verletzt. Gleichzeitig wurde versucht, ein israelisches Passagierflugzeug mit Strela-2-Raketen abzuschießen.

1 Beim Anschlag vom 12. Oktober 2002 wurden in der Stadt Kuta durch muslimische Extremisten 202 Menschen getötet und 209 verletzt.

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Kaffeefahrt ins Reich der Mitte

China, 2004

China war zugegebenermaßen noch nie unter den Top Ten meiner Wunschreiseziele. Nicht nur aus politischen Gründen, schließlich muss man nicht unbedingt jede Diktatur mit Devisen unterstützen. Nein, China per se hat mich irgendwie nie groß gereizt. Doch manche Entscheidungen fällt man eben nicht allein, und so fand ich mich an jenem Augusttag des Jahres 2004 im Flieger von Frankfurt nach Peking, pardon Beijing. Die in beschränkten Maßen freundliche Stewardess an Bord fragte uns noch, ob wir zum Shoppen nach China flögen. Es soll ja Leute geben, die aus diesem Grund dorthin reisen, doch ohne hier schon zu viel verraten zu wollen: Hätte sie uns das auf der Rückreise gefragt, hätten wir sie mit unserem reichhaltigen Erfahrungsschatz an Shoppinganekdötchen herzhaft bis schallend auslachen können. Doch da wir erst auf der Hinreise waren, lachten wir nicht, sondern antworteten gesittet, dass wir eine vierzehntägige Rundreise zu den »Glanzpunkten Chinas« gebucht hätten. Nach unseren blendenden Pauschalreiseerfahrungen mit Kambodscha haben wir längst alle Hemmungen über Bord geworfen. Unbekannte Länder bequem und komfortabel per Gruppenpauschalreise zu erkunden, ist für uns nun eine Selbstverständlichkeit. Erst recht China! Obwohl es sich seit einigen Jahren dem Touristen als solchem geöffnet hat, gilt China auch bei Globetrottern noch weitgehend als Terra incognita. Und die Reiseberichte von den wenigen Bekannten und Verwandten, die dort schon auf eigene Faust herumgereist sind, ermutigen uns keinesfalls, auf ihren Spuren zu wandeln.

Bestens ausgerüstet mit Verhaltenskodizes und Warnungen vor Toiletten, Sprachbarrieren, Krabbelzeugs und Essensentgleisungen landen wir also in Beijing und werden von unserem Fremdenführer Rainer in Empfang genommen. Wenn auch sein Name etwas anderes vermuten lässt, ist Rainer doch waschechter Chinese, der in Wirklichkeit Herr Xie (sprich: Schjä) heißt, aber der Chinese neigt zu europäischen Künstlernamen, wie uns im Laufe der Reise noch mehrfach bestätigt werden wird. Rainer sammelt routiniert die Reisegruppe ein – immerhin 23 Leute, allesamt gestandene Globetrotter, die Fußmärsche auf den Kilimandscharo, Fahrradtouren durch Indien oder Hai-Tauchen auf den Seychellen hinter sich gebracht haben, die sich jedoch alle nicht auf eigene Faust durch das wilde, unbekannte China trauen. Wie sich zeigen wird, ist die Gruppe ein absoluter Glücksfall.

Beijing

Rainer verfrachtet uns ins Grand View Garden Hotel, das im Xuanwu District im Südosten der Millionenmetropole liegt, fernab jeglicher Sehenswürdigkeit zwischen dem innersten Stadtring und der Innenstadt. Millionenmetropole klingt so nett, doch für chinesische Verhältnisse sollte man bei Beijing eher von einer normalen Großstadt sprechen, denn eine Millionenmetropole ist vielleicht Shanghai mit seinen rund 20 Millionen Einwohnern. Nicht umsonst gilt eine chinesische Stadt, die weniger als eine Million Einwohner hat, als Dorf.

Anders als es der klingende Hotelname Grand View Garden vermuten lässt, bietet unser Zimmer statt Gartenblick nur die trübsinnige Aussicht auf eine weiß gekachelte Wand, die wir berühren könnten, wenn wir den Arm ausstrecken würden. Wir müssen den Kopf gewaltig verrenken, um einen Blick auf einen Zipfel des Gartens erhaschen zu können. Zu den besonderen Features des Hotels gehört auch ein bemerkenswert laxer Umgang mit dem Thema Hygiene, denn wir finden abgeschnittene Fußnägel auf dem abgenudelten, mutig gemusterten Teppichboden. Die liegen auch nach drei Tagen noch unberührt an derselben, mit einem handelsüblichen Staubsauger sehr leicht zugänglichen Stelle. Andere Mitreisende bestätigen uns später, dass auch sie ähnliche Hinterlassenschaften vorheriger Zimmerbewohner gefunden hatten.

Wirklich dauerhaft hat sich das Grand View Garden jedoch durch seine Alarmanlage in unser Gedächtnis gefräst. Diese ist offenkundig defekt, denn sie beliebt stets zu Unzeiten loszupiepsen. Reizenderweise liegt unser Zimmer direkt neben einem Lautsprecher dieser Anlage. Wozu in einem riesigen Hotel eigentlich eine Alarmanlage mitten im Flur angebracht werden muss, ist hier noch eine ganz andere Frage. Jedenfalls piepst der Alarm jede Nacht irgendwann los, wütende Anrufe unsererseits werden von der Rezeption geflissentlich ignoriert. Selbst ist also der Gast, und ich haue so lange auf allen möglichen Knöpfen der Alarmanlage herum, bis sie endlich verstummt. Leider nur für zehn Minuten. Erst als ich halb nackt an der Rezeption auftauche und einen Aufstand mache, dass der Nachtportier verschreckt hinter dem Tresen abtaucht und sofort der Hotelmanager sowie der Sicherheitschef herbeistürmen, nimmt man sich endlich des Problems an.

Doch zurück zur Ankunft. Unser erster Ausflug führt uns zum gewaltigen Himmelstempel Tian Tan, der 1420 erbaut wurde. Hier werden wir seelisch und körperlich auf das vorbereitet, was uns bei fast allen Sehenswürdigkeiten erwarten wird. Da sind zum einen die endlosen Menschenmassen, die sich durch die Attraktion wälzen. Gut, es sind noch große Ferien in China, also ist Krethi und Plethi gemeinsam mit Hinz und Kunz plus Kind und Kegel unterwegs, um sich die Schönheiten des Landes anzusehen. Doch wer sich an einem durchschnittlichen Samstagnachmittag in der Münchner Fußgängerzone schon beengt fühlt, sollte keinesfalls eine Reise nach China planen. Dort wird gewuselt, dass einem angst und bange wird. Doch noch befremdlicher als die Menschenmassen ist für uns das Gefühl, nein, nicht das Gefühl, die Tatsache, dass nicht die jeweilige Sehenswürdigkeit die Attraktion ist – sondern WIR es sind! Am Himmelstempel gehts gleich los: Ein fröhliches Lächeln auf den Lippen, schieben uns die ersten Eingeborenen ihre Kinder in die Arme und fotografieren uns. Mal sind sie scheu und knipsen von fern, meist jedoch sind sie dreister und behandeln uns wie Zootiere. Der Chinese gilt zwar als Sensibelchen, wenn es darum geht, das eigene Gesicht zu verlieren, er ist aber bekanntlich frei von jeglichem Feingefühl anderen gegenüber. Gute Sitten waren in Zeiten der Kulturrevolution schließlich total bourgeois und daher bäh und wurden ganzen Generationen abtrainiert – wusch, schon wieder schubst eine Mutter ihren Knirps vor uns in Position und macht Fotos für die Verwandtschaft daheim. Wir machen gute Miene zum nervigen Spiel. Michael Jackson, wir fühlen mit dir.

Unser Führer Rainer nimmt seinen Job zwar ernst, doch er überanstrengt sich nicht und lässt der Gruppe nach einer kurzen Erklärung zur Geschichte der Anlage jede Menge Zeit für Erkundungen auf eigene Faust. Rainer spricht (wie alle folgenden Stadtführer) perfektes Deutsch, wenn auch mit einem amüsanten Hang zu dem Wörtchen »schon«. Rainer füllt jeden Satz mit ein bis zwei »schon« auf, und er weist uns stets auf den »Genuss« einer Sehenswürdigkeit hin: »Nun können Sie auch schon den Himmelstempel genießen.«

Wir genießen schon und schleppen uns durch die gigantische Anlage, stehende Hitze und schwüler Smog verhindern jedoch den ultimativen Genuss. Leider ist außer Rainer noch eine weitere Person unsere Reisebegleiterin in Beijing: Eine junge Dame mit Videokamera. Sie filmt immer und überall. Vor unserer Abreise aus der Hauptstadt können wir dann ein Erinnerungsvideo käuflich erwerben. Egal, wo man in den nächsten Tagen geht oder steht – Miss Video hat die Kamera im Anschlag. Dabei winkt sie einem pausenlos zu, wohl in der Hoffnung, dass wir zurückwinken. Doch wer möchte schon ein Video von sich, in dem er pausenlos vor irgendwelchen Sehenswürdigkeiten debil winkt? Wir jedenfalls nicht (okay, es sollte sich zeigen, dass wir die einzigen unserer Gruppe bleiben werden, die kein Video mit uns debil Winkenden kaufen).

Dass wir nach dem Himmelstempel ein paar Stunden Freizeit im Hotel haben, nutzt uns zunächst wenig, denn die Poolanlage, auf die wir uns gefreut haben, entpuppt sich als winziges Planschbecken im düsteren Keller. Der freundlich strahlende, aber keinen Ton englisch verstehende Poolboy weist außerdem gestenreich darauf hin, dass man auch eine Badekappe aufsetzen muss, wenn man in die Plörre steigen will. Wir verzichten dann doch. Kleine Spaziergänge in den Straßen rund um das Hotel sind zwar Zeitvertreib, bringen aber der Stadt Beijing nicht wirklich Sympathiepunkte. Das Mädchen an einem der zahllosen Kioske kichert sich zwar halbtot, als wir bei ihr so gestenreich, dass es fast an Veitstanz grenzt, zwei Flaschen Wasser und etwas zum Knabbern kaufen, dennoch versucht sie uns den doppelten Preis abzuverlangen. Wir sind vielleicht Langnasen, aber nicht ganz doof. Die Hälfte tuts dann auch.

Ehrlicherweise haben wir diesen Nachmittag nicht wirklich zur freien Verfügung, denn die Gruppe hat sich von Rainer überreden lassen, schon ein extra zu bezahlendes Sonderprogramm zu genießen: Rikschafahren durch die Altstadt und anschließender Besuch bei einer original chinesischen (auf Parteilinie gebürsteten) Familie zu Hause. Doch bei solchen Programmpunkten können Carsten und ich uns beherrschen. Also seilen wir uns ab. Nach Pool- und Spaziergangflop schnappen wir uns letztlich ein Taxi und fahren in die Liulichang Straße (einer der heißen Tipps unserer zwei China-erfahrenen Bekannten). Natürlich haben wir die absolut wichtigste und von keinem Chinareisenden zu unterschätzende Grundregel beherzigt: Wir haben uns von dem Hotel eine chinesische Visitenkarte mitgenommen. Denn der chinesische Taxifahrer, der auch nur eine Silbe englisch spricht, muss erst noch geboren werden. Und englische Namen wie »Grand View Garden« entsprechen in der Regel nicht einmal ansatzweise dem chinesischen Hotelnamen. Dass wir in der Liulichang gelandet sind, verdanken wir auch nur dem freundlichen Concierge, der uns die Straße auf Chinesisch aufgeschrieben hat. Ansonsten muss man jedoch den chinesischen Taxifahrern ein ganz großes Kompliment aussprechen, denn wundersamerweise hat kein Einziger je versucht, uns über den Tisch zu ziehen. Der Taxameter wurde stets ohne einen Mucks angeschaltet.

Die Fahrt in die Liulichang dauert eine halbe Stunde, kostet aber nur knapp einen Euro. Die Liulichang ist endlich China, wie man es sich als Tim und Struppi-Fan vorstellt (vgl. Tims China-Abenteuer in »Der Blaue Lotus«). Niedrige alte Häuser mit Schnitzereien und mords Drachengedöns auf den Giebeln bestimmen das Bild in dieser verkehrsberuhigten Straße, in der sich Antiquitätengeschäft an Antiquitätengeschäft reiht. Das Stöbern lohnt sich, manche Läden sind völlig verwinkelt und man gerät in die Hinterhöfe von Hinterhöfen. Dazwischen laden Teehäuser zum Verweilen ein. Die Tees sind köstlich, wenn auch nicht unbedingt billig. Bestimmte Sorten kosten gerne mal 500 Yuan pro Tasse (der allerdings so oft nachgebrüht wird, wie man will) und mehr. Dafür ist die hiesige Aromaorgie namens Tee natürlich mit dem gequälten Wasser, das viele Deutsche zu Hause für Tee halten, nicht vergleichbar. Carsten ersteht einen köstlichen Jasmintee, der uns die ganze Reise über abends in den Hotels erquicken wird. Der Wechselkurs zwischen Yuan und Euro ist übrigens staatlich festgelegt und überall gleich. Während unserer Reise stand er ungefähr 10:1, also 10 Yuan gleich 1 Euro. Leicht zu merken.

Mag sein, dass die Liulichang nur für Touristen aufgemotzt ist, doch hier kann sich das Auge von den endlosen grauen Plattenbauten erholen, die sich von Horizont zu Horizont erstrecken und das Stadtbild Beijings bestimmen. Rings um die Liulichang sind die Abrissbirnen eifrig im Einsatz, um die letzten Reste des alten China plattzumachen. Die pittoresken, verwinkelten Gassen, die alten, Hutong genannten Wohnhöfe werden gnadenlos wegsaniert. Die Stadt rüstet sich für die Olympischen Spiele 2008 und baut, klotzt, betoniert zu. Vermutlich wird die Liulichang als eine Art Freiluftmuseum überleben.

Abends kredenzt man uns im Hotel ein gemeinsames Abendessen in der Gruppe. Zum Glück zeigen ein paar wenige Ausnahmen in den kommenden Tagen, dass die chinesische Küche nicht überall so stinkfad, fetttriefend und geschmacksneutral ist, wie das, was man uns hier vorsetzt. Immerhin machen wir gleich mit dem wichtigsten Utensil der chinesischen Gastronomie Bekanntschaft: Einer drehbaren Glasscheibe in der Tischmitte, auf die alle Speisen gestellt werden. Die Scheibe nennt sich im Fachjargon angeblich »Faule Susanne«. Bei uns kann Susi nicht faulenzen. Wir halten sie eifrig in Bewegung, da alle völlig ausgehungert sind. Der Susanne wird ganz schwindelig, bis alle Schalen leer sind. Das geht ratzfatz und wir maulen, weil es so wenig war. Rainer lässt daraufhin nachkochen. Mit dem zweiten wichtigen Utensil der chinesischen Küche stehe ich zugegebenermaßen schon seit Geburt auf Kriegsfuß – ich konnte noch nie mit Stäbchen essen und habe stets jene Sorte Menschen gehasst, die mit den Dingern gekonnt einzelne Reiskörner jonglieren und einem damit das Gefühl geben, ein totaler Versager zu sein. Doch siehe da, kaum vor die Wahl gestellt, zu verhungern oder die Dinger zu bändigen, schaffe ich es bereits nach wenigen Minuten, sogar einzelne Erdnüsse aufzupicken und unfallfrei zum Mund zu führen. Das mit der einzelnen Erdnuss, so versichert uns Rainer, gehört schon zur hohen Kunst der Stäbchenessens.

Nach einer alarmanlagenreichen Nacht wartet schon der erste Mega-Super-Höhepunkt auf uns: Die Große Mauer vulgo auch Chinesische Mauer genannt. Rainer kennt da ein ganz verschwiegenes Plätzchen, wo sich nicht die Millionen tummeln, sondern nur die Hunderttausende. Die Mauer wird an dieser Stelle durch eine große Festungsanlage unterbrochen und macht sogar eine Schleife. Hier laufen auf einer längeren Strecke zwei Mauerstücke parallel nebeneinander. Aber Halt! Per aspera ad astra, wie wir Lateiner zu sagen pflegen, wer eine Sensation sehen will, muss zunächst leiden. Schließlich sind wir auf einer Gruppenreise, und nun beschleichen uns zum ersten Mal erhebliche Bedenken, ob wir in Zukunft jemals wieder eine Pauschalreise buchen sollen. Wir besuchen eine Perlenzuchtfarm. Die erste Station einer schier endlosen Folge von Touristen-Abzock-Zentren (kurz TAZ), in die wir in den kommenden Tagen gezerrt werden. Rainer versichert uns, dass wir natürlich nichts kaufen müssen, aber er sei nun mal von ganz oben dazu verpflichtet, seine Gruppen dorthin zu schleppen. Wir langweilen uns durch einen deutschsprachigen Lehrfilm über Süßwasserperlenzucht und müssen dann warten. Unser Interesse für Perlen hält sich sehr in Grenzen. Leider nicht das Interesse der Damen unserer Gruppe, die lassen sich alles an Tand und Plunder zeigen, was es in dem ungemütlichen, bahnhofshallenartigen Verkaufsraum gibt. Manche kaufen sogar erschütterndes Kunsthandwerk. Eine Ewigkeit später – zum Glück habe ich im hintersten Eck eine Erfrischungsstation mit kostenlosem Jasmintee entdeckt – geht es weiter, und wir können »schon die Mauer genießen«.

Auf dem Busparkplatz herrscht ein Kommen und Gehen wie in einem Bienenstock. Eine endlose Menschenschlange wälzt sich das rechte Teilstück der Mauer hinauf – dicht an dicht erklimmen sie in der gleißenden Mittagshitze die steilen Stufen hinauf zum Hügelgipfel. Seltsamerweise ist das gegenüberliegende Teilstück jenseits der Festung menschenleer. Das leere Stück ist die Schleife, die die beiden parallelen Mauerteile verbindet. Also machen wir uns dorthin auf den Weg. Erst gilt es zahlreiche halsbrecherisch steile Treppen in der Burganlage hinabzusteigen, dann haben wir schon die Mauer vor uns und müssen ebensolche halsbrecherisch steilen Treppen hinaufsteigen. Kein Wunder, dass die meisten Besucher den gegenüberliegenden Teil der Mauer bevorzugen. Wir sind nach kambodschanischen Tempelpyramiden jedenfalls Steiltreppen erprobt und betätigen uns als Freeclimber. Wir werden nach der Kraxelei mit Traumblicken auf die wilde Gebirgslandschaft belohnt und können Fotos von uns schießen, auf denen weit und breit keine weitere Menschenseele zu sehen ist – nur wir und die sich endlos über Hügelketten windende Große Mauer. China macht uns endlich Laune.

Klitschnass geschwitzt, aber glücklich und gehörig beeindruckt, lassen wir uns nach zwei Stunden Mauerlauf schnell noch von den Souvenirhändlern zünftig über den Tisch ziehen und erstehen ein »I climbed the Great Wall«-T-Shirt für 50 Yuan, also 5 Euro, was definitiv 4,50 Euro zu viel sind – zumal sich XXL nach der ersten Wäsche als deformiertes S entpuppen wird. Selbst schuld, aber nach dem Mauererlebnis schwimmt das Hirn in Endorphinen.

Apropos Abzocke: Schon schleust uns Rainer zum Mittagessen. Dass das Restaurant mit seinen gigantischen Ausmaßen über einem weiteren TAZ, einem »Freundschaftsladen« mit ebenfalls gigantischen Ausmaßen liegt, soll uns nicht weiter stören. Wir seien zum Essen hier und keiner müsse irgendwas kaufen. In der endlosen Futter-Halle werden am Fließband endlose Ströme von endlosen Reisebusgruppen abgefertigt. Die Spezialität dieses Freundschaftsladens sind erschütternd geschmacklose Cloisonné-(Lack-)Arbeiten, die Preise bewegen sich zwischen schamloser Wegelagerei und bodenloser Frechheit, die restliche dargebotene Ware ist Chinakitsch pur – doch der Tourist kauft wie gedopt. Wenn man schließlich schon mal da ist …

Wir enthalten uns und checken lieber die Facilities. Rainer nennt das stille Örtchen mit chinesischer Blumigkeit »Tempel der inneren Harmonie«. Was hatte man uns im Vorfeld nicht gewarnt, dass die Toilette als solche in China ein Hort unbeschreiblichen Schreckens und grauenhaftesten Ekels sei. Im Reiseführer sind dem Thema ganze Seiten gewidmet. Doch die schlimmste Toilette, die wir auf der ganzen Reise erleben, ist und bleibt das Igitt-Teil am Abflugtag im Frankfurter Flughafen. Diese hier über dem »Freundschaftsladen« sind trotz des regen Durchgangsverkehrs erstaunlich gepflegt und benutzbar. Natürlich vermeidet der versierte Reisende auf jeden Fall das europäische Sitzklo, dessen Kabinentür der Toilettenmann freudestrahlend aufreißt, sobald eine Langnase den Tempel der inneren Harmonie betritt. Wie französische sind chinesische Toiletten vernünftigerweise in den Boden eingelassene Abtritte, die selbst völlig versifft noch ein gerütteltes Maß an Benutzbarkeit ohne Angst vor Krätze oder Tripper garantieren. Zugegeben, die öffentlichen Bedürfnisanstalten in den Straßen, die von all den Chinesen frequentiert werden müssen, die kein fließendes Wasser geschweige denn Bad oder Toilette in ihren Wohnungen haben (und das sind viele), diese beliebten Treffpunkte zur Morgen- und Abendtoilette, zum Duschen, Waschen und Zähneputzen, die schon von Weitem atemberaubend sind, haben wir nie aufgesucht. Okay, stimmt nicht ganz. Carsten wagt sich eines Tages zwangsweise in eine öffentliche Toilette am Platz des Himmlischen Friedens und kann daraufhin Zeugnis dafür ablegen, dass der Chinese zu einer gewissen, den Europäer irritierenden Nonchalance neigt, was den Intimbereich angeht. Da hocken die Herren bei offener Tür über dem Abtritt und lassen alles öffentlich baumeln, während sie die eine oder andere Wurst hinter sich lassen.

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