Kitabı oku: «Internationales Kauf-, Liefer- und Vertriebsrecht», sayfa 10
(b) Kollidierende Rechtswahl in AGB
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Insbesondere bei AGB-mäßiger Rechtswahlvereinbarung kommt es vor, dass Käufer und Verkäufer jeweils auf ihre eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen verweisen, die jeweils ihr eigenes Landesrecht als Rechtswahlbestimmung enthalten – dann widerspricht sich bereits die Rechtswahl. Wie ist dann zu verfahren?
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Zwar sind für das Zustandekommen einer Rechtswahlvereinbarung die Grundsätze des Rechts heranzuziehen, das gewählt worden ist bzw. hätte gewählt werden sollen. Was aber, wenn eine solche Wahl gerade nicht vorliegt, weil widersprechende Erklärungen abgegeben werden? Der Fall, dass sich widersprechende AGB vorliegen, ist nicht selten, sondern eher die Regel; das deutsche Recht hat sich inzwischen von der „Theorie des letzten Wortes“ abgewandt133 und behandelt sich widersprechende Bedingungen so, dass an deren Stelle das Gesetzesrecht tritt, sog. „Knock-Out-Regel“ oder auch „Restgültigkeitsregel“. Wenn kein Recht gewählt worden ist, kann aber auch keines anstelle der unwirksamen AGB-Klauseln „einspringen“. Unter Umständen wird dies jedoch in anderen Ländern anders beurteilt, weil dort bspw. noch die „Theorie des letzten Wortes“ vorherrscht (wie wohl etwa in England – „last-shot-doctrine“).134 Richtigerweise wird wohl hier objektiv anzuknüpfen sein.135 Zu dem Problem der kollidierenden Rechtswahl in AGB mangelt es jedoch etwas an (veröffentlichter) Rechtsprechung.136
(c) Sprachrisiko
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Im internationalen Geschäftsverkehr ist auch das sog. Sprachrisiko regelmäßig ein Thema. Grundsätzlich entscheidet hierüber wohl das Vertragsstatut (d.h. das auf den Vertrag nach objektiver Anknüpfung oder Rechtswahl anzuwendende Recht beurteilt die Frage, in welcher Sprache der Vertrag geschlossen werden muss bzw. ob ein solcher geschlossen wurde).137 Womöglich kann auf das Sprachrisiko die Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO angewendet werden (dazu gleich unten bei (d)).138
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Zumindest nach deutscher Rechtsprechung dürfte es genügen, wenn sich der Ausländer in zumutbarer Weise Kenntnis vom Inhalt der AGB verschaffen konnte. Dabei wird zu verlangen sein, dass ein Hinweis auf AGB oder gar die Rechtswahlvereinbarung selbst nicht in einer Sprache erfolgen kann, von der der eine Vertragspartner weiß, dass sie der andere nicht versteht. Zumeist soll es jedoch ausreichend sein, wenn der AGB-Text oder auch die Rechtswahlvereinbarung in der Verhandlungssprache abgefasst sind139 – manchmal wird auf eine Weltsprache oder eine Welthandelssprache abgestellt, freilich ohne zu sagen, welche Sprachen in diese Kategorie fallen.
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Nach welchen Grundsätzen das Problem des Sprachrisikos zu lösen ist, ist in der Rechtsprechung nicht abschließend geklärt. Die Frage stellt sich oft im Zusammenhang mit der Gerichtsstandswahl (siehe unten Rn. 278) und der Einbeziehung von AGB.
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Einen besonderen Hinweis verdient das Urteil des OLG Hamm (6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84ff.):140 Sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der Hinweis auf diese nicht in der Vertragssprache abgefasst, werden diese nicht Vertragsbestandteil; wird der Hinweis dagegen in der Vertragssprache verfasst und unterschreibt der Gegner die in einer anderen Sprache formulierten AGB, soll dies ausreichen, um die AGB wirksam einzubeziehen.
Im Urteil ging es um die Frage, ob eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 23 EuGVVO a.F. vorlag. Das OLG Hamm hat dies verneint und sich in seiner Begründung darauf gestützt, dass eine schriftliche Vereinbarung gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 a) 1. Alternative EuGVVO a.F. genauso wenig vorliege wie eine schriftliche Bestätigung gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 3 2. Alternative. „Die Übersendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Zusammenhang mit Rechnungen reicht keinesfalls aus. Insoweit fehlt es an einer bewussten Einbeziehung der AGB in den Vertragsschluss. Dies gilt erst recht, wenn – wie hier – weder die AGBs selbst noch der Hinweis auf diese in der Vertragssprache abgefasst sind. Allerdings hatte der Senat in einem Urteil vom 28.6.1994 – 19 U 179/93 – EWiR 1994, 1189 entschieden, dass eine in AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel auch dann eine Gerichtsstandsvereinbarung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 1. Alternative EuGVÜ begründen kann, wenn die Gegenpartei des Verwenders eine Annahmeerklärung unterschreibt, in der auf die rückseitig abgedruckten AGB hingewiesen wird, obwohl diese in einer Sprache abgefasst sind, welche die Gegenpartei nicht versteht (so fortgeführt mit Urteil des Senats vom 20.9.2005 – 19 U 40/05). Dieses Senatsurteil basiert aber auf der Rechtsprechung des BGH, derzufolge eine Sprachunkenntnis des Gegners der Einbeziehung von AGB nur dann nicht entgegensteht, wenn der Hinweis auf die AGB in der Verhandlungssprache erfolgt ist.“141
Das OLG Düsseldorf, 21.4.2004–15 U 88/03, IHR 2005, 24ff., hat (im Anwendungsbereich des CISG) entschieden, dass AGB nicht wirksam einbezogen sind, wenn sowohl der Hinweis auf die AGB als auch die AGB selbst nicht in der Vertragssprache abgefasst sind.142 Teilweise soll auch eine „Welthandelssprache“ ausreichen (OLG Düsseldorf, 29.7.2005 – 23 U 9/05, mit Verweis auf OLG Hamm, 18.10.1982, 2 W 29/82 – NJW 1983, 524).
Anders lassen dagegen das OLG Hamm, 20.9.2005 – 19 U 40/05 – juris und das OLG Köln,143 24.5.2006 – 16 W 25/06, BeckRS 2006, 07026 die Frage offen, ob zumindest der Hinweis auf die AGB in der Verhandlungssprache verfasst sein muss. Jedenfalls dann, wenn der Vertragspartner die AGB unterzeichnet, gibt er zu erkennen, dass er damit einverstanden ist – ansonsten hätte er nicht unterschreiben dürfen.144
In einer neueren Entscheidung hat das OLG Hamm, 19.5.2015 – 7 U 26/15 nunmehr entschieden, dass es für die wirksame Einbeziehung erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Hinweis auf die AGB für den Vertragspartner verständlich ist. Der Verwender muss den Text der AGB nur dann in der Verhandlungs- bzw. in einer Weltsprache zur Verfügung stellen, wenn der Vertragspartner dies fordert145: „1. Im kaufmännischen Verkehr genügt die Übergabe von AGB im Rahmen von Vorverhandlungen für deren wirksame Einbeziehung nach BGB und UN-Kaufrecht. 2. Der ausländische Vertragspartner hat die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB, wenn der Hinweis auf deren Geltung in der Verhandlungssprache erfolgt. Den Text selbst braucht der Verwender nur dann in der Verhandlungssprache oder in einer Weltsprache vorzulegen, wenn der Vertragspartner dies ausdrücklich von ihm verlangt. 3. Eine Klausel über eine Vereinbarung des Erfüllungsortes ist nicht überraschend iSv § 305c BGB und hält jedenfalls im kaufmännischen Verkehr einer Inhaltskontrolle nach § 307ff. BGB stand. 4. Im Hinblick auf die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wirkt sich ein nach Artikel 5 Nr. Nummer 1b EuGVVO (Art. VO 1215/2012) wirksam vereinbarter Erfüllungsort auf den Gerichtsstand unabhängig davon aus, ob die Formvorschriften Art 23 Absatz I 3 EuGVVO beachtet wurden“.
(d) Fremde Gepflogenheiten
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Art. 10 Rom I-VO lautet: „(1) Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrags oder einer seiner Bestimmungen beurteilen sich nach dem Recht, das nach dieser Verordnung anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre. (2) Ergibt sich jedoch aus den Umständen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach dem in Absatz 1 bezeichneten Recht zu bestimmen, so kann sich diese Partei für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen.“ Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO stellt dabei eine Sonderanknüpfung dar, die den Schutz des Vertragspartners vor einer überraschenden rechtlichen Bindung nach fremdem Recht bezweckt.146 Nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO ist es möglich, dass sich eine Partei hinsichtlich ihrer Zustimmung zu einem Vertrag (etwa auch AGB) auch auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltes berufen kann (sog. Umweltrecht des Erklärenden).147
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Von Bedeutung dürfte das für die Fälle des „Schweigens“ sein.148 Im Falle des Schweigens auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben etwa, beruft man sich gerne auf kaufmännische Handelsbräuche – dies ist alles andere als sicher, denn „Schweigen ist Silber“.149
Die stillschweigende Unterwerfung etwa bei Schweigen auf übersandte AGB oder auf nur durch Hinweis „einbezogene“ AGB wird nach deutschem Recht unter Kaufleuten als ausreichend für den Einbezug der AGB erachtet, sofern diese dem anderen Vertragspartner jederzeit zur Verfügung gestellt werden können.150 Dies ist aber bereits innerhalb der EU unterschiedlich, bspw.151 – ohne eindeutige Unterscheidung zwischen Kaufleuten und Nicht-Kaufleuten:
– in Belgien bedeutet das Schweigen wohl Einverständnis mit den AGB;
– in Frankreich müssen die AGB vom Vertragspartner ausdrücklich angenommen werden;
– in Großbritannien müssen dem Kunden die AGB vor oder bei Vertragsschluss zugänglich gemacht werden;
– in Italien reicht es aus, wenn die andere Partei die AGB kannte oder hätte kennen müssen;
– in Österreich ist Hinweis und Möglichkeit der Kenntnisnahme erforderlich;
– in der Schweiz bedürfen AGB grundsätzlich rechtsgeschäftlicher Übereinkunft, Branchenüblichkeit ist jedoch zu beachten.
Ähnliche Unterschiede dürften hinsichtlich des „Schweigens“ als Reaktion auf Bräuche oder Gepflogenheiten bestehen. Zu empfehlen ist daher stets eine explizite Einigung. Dennoch soll im Folgenden ein beispielhafter Überblick über die Regelungen in einigen Ländern verschafft werden:152
– In Frankreich hat Schweigen grundsätzlich nicht die Bedeutung einer Willenserklärung. Allerdings wurde die Möglichkeit des Schweigens als Annahme („silence circonstancié“) zum 1.10.2016 gesetzlich kodifiziert153 und ist damit insbesondere im Rahmen entsprechender Handelsbräuche („usage commercial“) möglich, also beispielsweise bei langjährigen Geschäftsverbindungen in dessen Rahmen Ablehnung stets ausdrücklich erklärt wurde. In verschiedenen, nicht aber in allen, Geschäfts- und Verkehrskreisen ist die Figur des kaufmännischen Bestätigungsschreibens dem deutschen Recht ähnelnd Praxis;
– Auch in England und Wales gilt der Grundsatz, dass das Schweigen nicht als Angebotsannahme verstanden werden kann. Eine Ausnahme davon besteht, wenn vom Angebotsempfänger eine Reaktion erwartet werden darf. Die Figur des kaufmännischen Bestätigungsschreibens ist dem englischen Recht hingegen unbekannt;
– Auch in Österreich hat Schweigen (auch im kaufmännischen Verkehr) grundsätzlich keinen zustimmenden Charakter. Die Rechtsprechung hat hiervon aber einige Ausnahmen entwickelt. So zum Beispiel das lediglich rechtlich vorteilhafte Geschäft sowie in Fällen in denen die Ablehnung durch wichtiges Interesse des Offerenten oder aufgrund Gesetz bzw. Treu und Glauben erwartet werden kann/muss oder Fälle in denen im Rahmen einer bestehenden Geschäftsverbindung aufgrund bisheriger Gepflogenheit keine ausdrückliche Annahme erwartet werden muss. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben beschränkt sich im österreichischen Recht regelmäßig auf Vertragsbestandteile, die einem Vertragspartner zur einseitigen Bestimmung überlassen wurden.
– Auch in der Schweiz wird dem Stillschweigen grundsätzlich keine Rechtswirkung beigemessen. Ausnahmsweise anders gehandhabt wird dies wiederum bei lediglich vorteilhaften Schuldverträgen oder wenn aufgrund einer besonderen Natur des Geschäfts z.B. bei hinreichend gefestigten vertraglichen Vertrauensverhältnis die Zustimmung des Empfängers vermutet werden kann. Das kaufmännische Bestätigungsschreiben findet sich in der schweizerischen Rechtsprechungspraxis in ähnlicher Form wie in der Deutschen. Entscheidend ist, dass ein solches nur unerheblich von der mündlichen Abmachung abweichen darf;
– In den USA stellt Schweigen ebenfalls grundsätzlich kein hinreichendes Annahmeverhalten dar, vielmehr bedarf es einer (zumindest konkludenten) annehmenden Handlung. Eine Ausnahme liegt auch hier vor, wenn eine ausdrückliche Ablehnung wegen vorheriger Geschäfte zu erwarten war, die Leistung des Offerenten dem Empfänger bereits über einen gewissen Zeitraum zugutekommt/kam oder der Offerent ausdrücklich auf Schweigen als Annahme hingewiesen hat. Kaufmännische Bestätigungsschreiben werden im Wesentlichen wie im deutschen Recht behandelt, allerdings gilt bei Kaufverträgen ab einem Warenwert von 500 USD Schriftformerfordernis.Die Spielarten in verschiedenen Ländern sind also durchaus anders als im deutschen Recht.
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Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO gilt nicht nur für den Hauptvertrag und die AGB, sondern auch für die separate Rechtswahl (aufgrund der Verweisung in Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO). Auch die Rechtsfolgen eines wegen Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO gescheiterten Vertragsschlusses richten sich nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erklärenden.154 Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO eröffnet somit die Möglichkeit, trotz Rechtswahl zur Anwendung eines anderen Rechts zu gelangen, weswegen besondere Vorsicht geboten ist.
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Zu beachten ist auch, dass die Auslegung des Vertrages nach dem Vertragsstatut Vorrang hat und dass Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist.155 Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO hat also eine Veto-Funktion und kann nur zur Unwirksamkeit des Vertrages führen, wenn nach dem Vertragsstatut die Wirksamkeit bereits bejaht wurde. Die Anwendung der Norm kann nicht dazu führen, dass der Vertrag für wirksam erklärt wird, obwohl er nach dem für ihn maßgebenden Recht unwirksam ist.156
(e) Rechtswahl durch Indizien
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Oft vereinbaren die Parteien das Recht nicht explizit. Sie vereinbaren aber vielleicht in einer bestimmten Sprache ein Geschäft mit Bezug zu einem bestimmten Land unter Erwähnung bestimmter Vorschriften und eventuell Erwähnung eines bestimmten Gerichts. Dann muss versucht werden, aus solchen Indizien abzuleiten, welches Recht die Parteien wollten. Das ist regelmäßig schwierig und die Rechtsprechung dazu vielfältig157 und die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl oft eine reine Fiktion (weil die Parteien sich dazu schlicht keine Gedanken gemacht haben).
dd) Objektive Anknüpfung
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Art. 4 Rom I-VO enthält einen Katalog für die objektive Anknüpfung bei vertraglichen Schuldverhältnissen. Diese Regelung ist detaillierter als die früheren Regelungen im EGBGB und EVÜ.
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Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO erklärt nun explizit das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts desjenigen, der die charakteristische Leistung erbringt, für anwendbar: Für Kauf-, Dienstleistungs-, Beförderungs-, Franchise- und Vertriebsverträge ist das also das Recht des Verkäufers, Dienstleisters, Beförderers, Franchisenehmers, Vertragshändlers.
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Das Recht nach objektiver Anknüpfung kann also im Händlervertrag für die Pflichten als Händler zu dessen Recht führen; für die Belieferungen an den Händler hingegen zum Recht des Lieferanten.
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Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO trifft eine Regelung für die Verträge, die nicht vom Abs. 1 umfasst sind. In diesen Fällen wird an die vertragscharakteristische Leistung angeknüpft, wobei bei gemischten Verträgen die maßgebliche charakteristische Leistung nach ihrem Schwerpunkt zu bestimmen ist (Erwägungsgrund 19 Rom I-VO). Die vertragscharakteristische Leistung ist dabei regelmäßig diejenige, die dem Vertrag seine Eigenart verleiht und somit ermöglicht, ihn von anderen Vertragstypen zu unterscheiden158 (deshalb ist die Geldleistung regelmäßig nicht vertragscharakteristisch, Geld verdirbt sprichwörtlich nur den Charakter). Abs. 3 und 4 des Art. 4 Rom I-VO enthalten Regelungen für den Fall, dass das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 oder 2 ermittelt werden kann; es wird dann versucht, über die Bestimmung der engeren oder engsten Verbindung anzuknüpfen.
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Art. 5 Rom I-VO regelt das auf Beförderungsverträge anwendbare Recht, wobei zum ersten Mal zwischen Güter- und Personenbeförderung differenziert wird. Die für das internationale Vertriebsrecht relevanten Verträge über die Beförderung von Gütern richten sich nach dem Recht des Staates, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Übernahmeort oder der Ablieferungsort oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Rom I-VO. Anderenfalls ist das Recht des Staates des von den Parteien vereinbarten Ablieferungsortes anzuwenden, Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Rom I-VO.
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Ferner enthält die Rom I-VO Regelungen über Verbraucher-, Versicherungs- und Arbeitsverträge in den Art. 5–8. Die Kollisionsnorm für Verbraucherverträge wurde im Vergleich zum EVÜ vereinfacht – es wird nunmehr auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Verbrauchers abgestellt, dessen Recht soll ohne Beschränkung auf die zwingenden Vorschriften (wie nach EVÜ) gelten, Art. 6 Rom I-VO.
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Die Rom I-VO enthält auch Regelungen über die Abtretung und Legalzession (Art. 14 und 15 Rom I-VO) sowie die Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO).
ee) Formgültigkeit des Vertrages
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Die Form des Vertrages richtet sich nach Art. 11 Rom I-VO. Im Interesse der Formgültigkeit des Vertrages (favor negotii) gilt eine sog. alternative Anknüpfung.159 Abs. 1 regelt die Fälle, in denen der Vertragsschluss im selben Staat erfolgt (dann wohl greift das Vertragsstatut am Abschlussort – lex loci actus),160 Abs. 2 betrifft Distanzgeschäfte, Abs. 3 adressiert einseitige Rechtsgeschäfte, Abs. 4 trifft Sonderregelungen für Verbraucherverträge und Abs. 5 hat Sonderbestimmungen für Schuldverträge über Grundstücke. Außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 11 Rom I-VO ist wohl noch Art. 11 EGBGB anzuwenden – insbesondere bei Verfügungsgeschäften.161
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Der Begriff „Form“ i.S.d. Art. 11 Rom I-VO ist europarechtsautonom auszulegen,162 dennoch fehlt eine Definition dieses Begriffs.163 Allgemein handelt es sich bei den Formvorschriften um Regelungen über die Art und Weise der Äußerung einer Willenserklärung.164 Zu dem äußeren Tatbestand der Willensäußerung kommen insbesondere noch Anforderungen an die Schriftform, Beglaubigungserfordernisse, Fragen der Mitwirkung von anderen Personen.165 Nicht als Formfragen zu qualifizieren sind Registrierungspflichten – sie stellen weitere Wirksamkeitsvoraussetzung auf; ebenfalls keine Formfragen sind Verfahrensvorschriften und andere öffentlich-rechtliche Formvorgaben.166 In der Praxis kommt es selten zu Schwierigkeiten bei der Qualifikation einer Frage als Formfrage i.S.v. Art. 11 Rom I-VO. Vorsicht ist jedenfalls bei der Abgrenzung zwischen beweglichen und unbeweglichen Sachen (in Hinblick auf Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO) geboten.167
ff) Eingriffsnormen und ordre public
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Oft werden Eingriffsnormen oder (international) zwingende Bestimmungen und ordre public in einen Topf geworfen; es fällt augenscheinlich nicht ganz leicht, das eine vom anderen zu unterscheiden. Auch dies macht die Diskussion von Fragen im Kontext des internationalen Kauf-, Liefer- und Vertriebsrechts nicht einfacher.
(1) Eingriffsnormen – international zwingende Bestimmungen
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Art. 9 Rom I-VO enthält eine Definition der Eingriffsnorm („overriding mandatory provision“, „loi de police“): „Diese Verordnung berührt nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts. Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden“. Danach ist eine Eingriffsnorm „eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen“.168 Eingriffsnormen kennzeichnen sich somit durch ihren zwingenden Charakter, durch den Schutz übergeordneter staatlichen Interessen und durch ihren Anspruch, ohne Rücksicht auf das anwendbare Recht angewendet zu werden.169 Ferner ist im konkreten Fall ein hinreichend starker Inlands- bzw. Unionsbezug erforderlich.170
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Bei den Eingriffsnormen ist zwischen folgenden Typen zu unterscheiden: inländische Eingriffsnormen (Eingriffsnormen der lex fori) und fremde Eingriffsnormen, wobei letztere solche der lex causae (als das anzuwendende Recht gemäß Rechtswahl oder objektiver Anknüpfung) oder des Erfüllungsortes (lex loci solutionis) sein können.
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Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO bestimmt, dass die Eingriffsnormen der lex fori unberührt bleiben. Die Eingriffsnormen am Erfüllungsort werden dagegen nach Abs. 3 nur unter Umständen berücksichtigt.
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Die Wahl des Gerichts hat Einfluss auf die Anwendung von Eingriffsnormen (siehe dazu unten Kap. H Rn. 101).
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Dass die Eingriffsnormen zu den umstrittensten Problembereichen des internationalen Vertragsrechts gehören, ist etwa daran erkennbar, dass Großbritannien sich damals vehement gegen den ursprünglichen Kommissionsvorschlag gewehrt und gedroht hatte, der Verordnung nicht beizutreten.171 Der Kommissionsvorschlag sah nämlich vor, dass auch Drittstaatseingriffsnormen zwingend zu berücksichtigen seien, was Großbritannien als eine Gefahr für die Rechtssicherheit und Einfallstor für unkalkulierbare Abweichungen vom Vertragsstatut empfunden hatte.172
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Gemäß Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sollen nun solche Normen des Erfüllungsortes zu beachten sein, die die Gesetzesmäßigkeit der Erfüllung betreffen. Die Norm ist somit restriktiver als Art. 7 Abs. 1 EVÜ (wo zwischen forumseigenem und forumsfremdem Eingriffsrecht unterschieden wurde).173 Sie stößt auf Kritik bezüglich der Bestimmung des Erfüllungsortes sowie bezüglich ihres Umfangs.174 Die Regelung gilt durchaus als sehr umstritten und redaktionell unklar; sie soll aber die Bedeutung fremder (forumsfremder, also nicht solche des Rechts im Land des Gerichts) international zwingender Bestimmungen einschränken und Störungen des einheitlichen Anknüpfungssystems und Eingriffe in die Parteiautonomie vermeiden.175 Die Voraussetzungen allerdings (Eingriffsnorm, Erfüllungsort, Wirkung der Unrechtmäßigkeit der Vertragserfüllung) sind schon schwer genug zu beurteilen. Dazu hat das Gericht noch eine Art Ermessen, das die Art und den Zweck der Norm sowie die Folgen von Anwendung und Nichtanwendung berücksichtigen soll (Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO). Wohlgemerkt handelt es sich dabei nicht um Normen aus dem Land des Gerichts (diese fallen unter Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO), sondern um ihm fremde Rechtsregeln. Diese an den staatlichen Richter gestellte Aufgabe ist ersichtlichermaßen schwer und fragwürdige Ergebnisse sind wohl programmiert. Im Falle eines Schiedsgerichts stellt sich noch die Frage, inwieweit dies überhaupt an die Rom I-VO gebunden ist (siehe oben Kap. C Rn. 72).
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Kritisiert wird teilweise auch, dass Art. 9 Rom I-VO keine Regelung hinsichtlich Eingriffsnormen der lex causae (also des anzuwendenden Rechts) trifft. Nach einer Auffassung sind Eingriffsnormen der lex causae nur anzuwenden, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO erfüllen.176 Nach anderer Auffassung hingegen müssen sie keine besonderen Anwendungsvoraussetzungen erfüllen.177 Nach einer dritten Ansicht finden die Eingriffsnormen der lex causae immer dann Anwendung, wenn sie die allgemeinen Anforderungen an Eingriffsnormen erfüllen und weder die Grenzen des Eingriffsrechts noch des ordre public des befassten Gerichts überschreiten.178 Es ist wohl nicht übertrieben, das als kompliziert zu bezeichnen.
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Wenngleich Art. 9 Rom I-VO nunmehr eine theoretische Definition der Eingriffsnorm vorgibt (wie oben), bleibt es im Einzelfall vielfach immer noch völlig unsicher, welche Normen den entsprechenden international zwingenden Charakter haben.179 Der EuGH hat sich bis jetzt nur vereinzelt mit der Eingriffsnormenproblematik befasst.180 Der Begriff „Eingriffsnorm“ ist also zwar europarechtsautonom auszulegen,181 dennoch gibt es bei der Beurteilung, ob eine Norm Eingriffscharakter hat, Unterschiede zwischen den einzelnen Rechtsordnungen in der EU – so zum Beispiel hat die französische Rechtsprechung eher eine Tendenz dazu, Eingriffsnormen zu bejahen, als die deutsche.182 Letztlich hängt alles davon ab, wer eine Streitigkeit entscheidet (siehe dazu auch unten Kap. H Rn. 101).
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Bei Eingriffsnormen darf nicht vergessen werden, dass es sich um Ausnahmeregelungen handelt (handeln muss), die den Grundsatz der Privatautonomie und das differenzierte System der objektiven Anknüpfung nicht aushebeln dürfen.183 So sind wahrscheinlich allgemeine zivilrechtliche Normen wie z.B. §§ 138, 242 BGB keine Eingriffsnormen im Sinne des Art. 9 Rom I-VO184 – allerdings sehen das andere Rechtskulturen möglichweise ganz anders.
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Besonders relevant ist die Eingriffsnormenproblematik bei Handelsvertretern sowie Vertragshändlern und im Bereich des Franchiserechts. Wegweisend ist z.B. die Ingmar-Entscheidung des EuGH,185 wonach der Ausgleichsanspruch für Handelsvertreter nach der Handelsvertreterrichtlinie international zwingenden Charakter hat (siehe unten Kap. H Rn. 73 und Rn. 82). Berücksichtigt sind zudem z.B. auch die Rupture-brutale-Fälle im französischen Vertriebsrecht oder das belgische Recht von 1961 zu Exklusivhändlern (siehe unten Kap. H Rn. 80). Aus dem Eingriffsnormencharakter bestimmter handelsvertreterrechtlicher Regelungen haben deutsche Gerichte bereits auch prozessuale Folgen gezogen – so etwa die Unzulässigkeit von Gerichtsstands- bzw. Schiedsgerichtsvereinbarungen (siehe dazu unten Kap. H Rn. 92). Generell wird damit auch relevant, welches Gericht entscheidet (siehe unten Kap. H Rn. 101).