Kitabı oku: «Milly Darrell», sayfa 2

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II. Kapitel.

Ein Besuch bei Milly.

Es kam nicht oft vor, daß ich einen freien Nachmittag für mich hatte, denn Miß Susan Bagshot schien sich ein Vergnügen daraus zu machen, auch an den sogenannten Spieltagen immer etwas für mich zu thun zu finden; so oft ich aber bei diesen Gelegenheiten über meine Zeit verfügen konnte, brachte ich dieselbe in der Gesellschaft von Milly Darrell zu, in der ich vollkommen glücklich war. Ich hatte sie nach und nach so lieb gewonnen, wie ich Niemanden, der nicht von meinem eigenen Fleisch und Blut war, lieben zu können vermeint hatte und, indem ich sie so liebte, erwiderte ich nur die Zuneigung, die sie selbst für mich fühlte.

Ich bin überzeugt, daß es hauptsächlich meine Freundlosigkeit und meine untergeordnete Stellung in dieser Schule waren, welche mir das edelmüthige Herz dieses Mädchens zugewandt hatten und ich würde in der That ganz ohne Gefühl gewesen sein, wenn ich nicht dadurch gerührt worden wäre. Sie wurde mir denn auch sehr bald unaussprechlich theuer. Sie war von meinem eigenen Alter, fähig mit jedem meiner Gedanken und Ansichten zu sympathisieren, das aufrichtigste und offenherzigste Geschöpf, vielleicht ein wenig stolz auf ihre Schönheit, wenn sie von denjenigen, die sie liebte, gepriesen wurde, aber niemals stolz auf ihren Reichthum und niemals hochmüthig gegen diejenigen, deren Gaben geringer waren als die ihrigen.

Ich pflegte an diesen seltenen und glücklichen Nachmittagen in ihrem Zimmer meine Briefe nach Hause zu schreiben, während sie an einer Staffelei in der Nähe des Fensters malte. Das Zimmer war klein, aber besser möbliert als die gewöhnlichen Gemächer im Hause und mit allerlei hübschen Dingen ausgestattet — mit schöngebundenen Büchern, Gemälden und Nippsachen — welche Miß Darrell vom Hause mitgebracht hatte. Ueber dem Kamin hing eine große Photographie von ihrem Vater und über ihrem Bette ein etwas mehr geschmeicheltes Porträt desselben in Wasserfarben, von Milly selbst gemalt. Es war ein ausdrucksvolles und sehr hübsches Gesicht; aber mir kamen die Züge, selbst in Millys Porträt etwas hart und kalt vor.

Sie malte gut und besaß eine wahre Liebe für die Kunst. Ihre Studien zu Albury Lodge waren von ziemlich flüchtiger Beschaffenheit, indem sie keiner Klasse angehörte, obschon sie Unterricht von einem halben Dutzend Lehrern erhielt — im Deutschen, Italienischen, Zeichnen und in der Musik, aber sie war eine sehr vortheilhafte Pensionärin. Sie that so ziemlich, was ihr beliebte und ich glaube, daß Miß Bagshot eine wahre Zuneigung für sie hegte.

Ihr Vater reiste um diese Zeit in Italien und schrieb nur selten an sie, was ihr, wie ich wußte, häufig Kummer machte, aber sie schüttelte denselben in der heitern hoffnungsvollen Weise, die ihr eigen war, stets wieder ab, indem sie die Verzögerung seiner Briefe immer wieder zu entschuldigen suchte. Sie liebte ihn auf‘s innigste und die Trennung von ihm war ihr sehr schmerzlich; aber die Aerzte hatten ihm Ruhe, Luft und Ortsveränderung empfohlen und der Gedanke, daß er ihren Rath befolgte, tröstete sie.

An einem meiner freien Nachmittage um die Mitte des Sommers wurden wir durch ein ungewöhnliches Ereigniß in der Gestalt eines Besuchs von einem Verwandten Millys überrascht — einem jungen Manne, der eine wichtige Stellung in dem Geschäftshause ihres Vaters einnahm und von dem sie nur zuweilen, aber nicht viel, gesprochen hatte. Sein Name war Julian Stormont und er war der einzige Sohn von Mr. Darrell‘s längst verstorbenen Schwester.

Es war ein schwüler Nachmittag und wir saßen in einer Laube am Ende eines breiten Wegs, der den großen Garten durchzog. Milly hatte ihre Materialien zum Zeichnen auf dem Tische vor sich, aber dieselben noch nicht benutzt. Ich selbst beschäftigte mich mit einer Stickerei, welche mir Miß Susan Bagshot zur Anfertigung übergeben hatte. Wir saßen so da, als Sarah, die Hausmagd, herankam, um einen Besuch für Miß Darrell anzumelden.

Milly sprang empor, von Aufregung geröthet. »Es muß mein Papa sein» rief sie freudig.

»O nein, Miß, regen Sie sich doch nicht so auf. Es ist nicht Ihr Papa, sondern ein junger Gentleman.«

Sie gab Milly eine Karte.

»Mr. Stormont,« rief das Mädchen mit enttäuschtem Gesicht, »mein Cousin Julian. Ich werde gleich zu ihm kommen, Sarah. Aber ich wünschte, Sie hätten mir die Karte gleich gegeben.«

»Wollen Sie nicht zuvor hineingehen und etwas an Ihrem Haare ändern, Miß? die meisten jungen Damen thun dies.«

»O ja« ich weiß es; es giebt Mädchen, welche sich erst die Zeit nehmen ihr Haar in griechische Flechten zu ordnen, wenn ihr theuerster Freund im Besuchszimmer auf sie wartet. Mein Haar ist gut genug, Sarah. — Komm, Mary, willst Du nicht mit mir ins Haus zurückkehren?«

»Dort kommt der Gentleman, Miß,« sagte Sarah, und entfernte sich auf einem Seitenpfad.

»Es wird besser sein, wenn ich Dich verlasse, damit Du allein mit ihm sprechen kannst, Milly,« sagte ich; aber sie gebot mir in bestimmtem Tone zu bleiben und ich blieb.

Sie ging dem Herrn eine kleine Strecke entgegen. Er schien erfreut, sie zu sehen; aber sie empfing ihn, wie es mir vorkam, ziemlich kalt. Ich hatte aber nicht Zeit, lange darüber nachzudenken, denn sie brachte ihn gleich darauf nach der Laube und stellte ihn mir vor.

»Mein Cousin Julian — Miß Crofton.«

Er verbeugte sich ziemlich steif. Dann setzte er sich neben seine Cousine und legte seinen Hut auf den Tisch. Ich hatte Zeit genug ihn zu betrachten, während er über Allerlei, was mit Thornleigh und den Freunden von Miß Darrell in jener Gegend zusammenhing, sprach. Er war ein sehr hübscher Mann, blond und blaß, mit regelmäßigen Zügen und schönen blauen Augen, aber ich bildete mir ein, daß diese klaren Augen einen kalten Blick hätten und daß um seinen Mund und in dem kräftigen hervortretenden Kinne der Ausdruck eines eisernen Willens liege. Der obere Theil des Gesichte war gedankenvoll und auf der hohen weißen Stirne, von welcher das lichtbraune dünne Haar sorgfältig zurückgestrichen war, zeigten sich bereits einige Furchen. Es war, wie es mir schien, das Gesicht eines sehr gescheidten Mannes; aber ich war nicht ganz mit mir einig, ob es das Gesicht eines Mannes war, der mir gefiel, oder dem ich Vertrauen schenken mochte.

Mr. Stormont hatte eine tiefe wohllautende Stimme und eine angenehme Weise zu sprechen. Die Art, wie er seine Cousine behandelte, war halb ehrerbietig, halb scherzhaft; aber einmal als ich von meiner Arbeit plötzlich emporfuhr, fing ich einen Blick von tieferer Bedeutung in seinen kalten blauen Augen auf — einen Blick von eigenthümlichem Feuer, auf Millys schönes Gesicht gerichtet.

Was auch dieser Blick zu bedeuten hatte, sie selbst besaß keine Ahnung davon; sie plauderte fröhlich weiter von Thornleigh und ihren dortigen Freunden.

»Ich möchte so gerne nach Haus kommen, Julian,« sagte sie. »Glaubst Du, daß diesen Sommer eine Hoffnung für mich vorhanden ist?«

»Ich glaube, daß alle Hoffnung dazu da ist. Ich holte es sogar für ziemlich gewiß, daß Du nach Hause kommen wirst.«

»O Julian, wie froh bin ich!«

»Aber gesetzt, es stände Dir eine Ueberraschung bevor, wenn Du nach Hause kommst, Milly — eine Veränderung, die Dir Anfangs nicht ganz angenehm wäre?«

»Welche Veränderung?«

»Hat Dein Vater Dir nichts gesagt?«

»Nichts; er hat in den letzten sechs Monaten nur sehr selten geschrieben und nur über seine Reise.«

»Er war wahrscheinlich zu sehr beschäftigt und es sieht ihm ganz gleich« daß er nichts darüber gesagt hat. Wie würde Dir eine Stiefmutter gefallen, Milly?«

Sie stieß einen schwachen Schrei aus und wurde plötzlich bleich.

»Papa hat wieder geheirathet!« sagte sie.

Julian Stormont zog ein Zeitungsblatt aus der Tasche und legte es ihr vor, auf folgende Anzeige unter den Heirathsnachrichten in einer der Spalten deutend.

»Am 18. Mai in der englischen Gesandtschaft zu Paris William Darrell Esq. von Thornleigh, Yorkshire, mit Augusta, Tochter von Theodore Chester Esq. von Regents Park.«

Er las dies laut und sehr langsam vor, indem er dabei Millys blasses Gesicht beobachtete.

»Es ist kein Grund vorhanden, weshalb Du Dich darüber betrüben solltest, mein liebes Kind,« sagte er. »Es war ja nur zu erwarten; daß Dein Vater früher oder später wieder heirathen würde.«

»Ich habe ihn verloren,« rief sie in kläglichem Tone.

»Ihn verloren!«

»Ja; er kann mir nie mehr derselbe sein« der er gewesen ist. Seine neue Frau wird zwischen uns treten. Nein, Julian, ich bin nicht eifersüchtig. Ich mißgönne ihm nicht sein Glück, wenn ihn seine neue Frau glücklich machen kann. Ich fühle nur, daß ich ihn für immer verloren habe.«

»Meine liebe Milly, dies ist ganz unvernünftig. Dein Vater hat mir ganz besonders aufgetragen, Dich seiner unveränderten Liebe zu versichern, wenn ich Dir die Nachricht von dieser Heirath mittheilte. Er hat sich natürlich ein wenig gescheut, es selbst zu thun.«

»Du darfst ihn nichts davon merken lassen, was ich gesagt habe, Julian. Er wird niemals einen Ausdruck des Bedauerns von mir vernehmen, und ich werde mich bestreben, meine Pflicht gegen diese fremde Dame zu erfüllen. Hast Du sie schon gesehen?«

»Nein, sie sind noch nicht heim gekommen. Als ich das letzte mal von ihnen hörte, befanden sie sich in der Schweiz, aber sie werden in einer oder zwei Wochen erwartet. Komm, Milly, sieh nicht so ernsthaft aus. Ich bin überzeugt, daß diese Heirath ebenso sehr zu Deinem eigenen, als zu Deines Vaters Glück ausschlagen wird. Verlaß Dich darauf, Du wirst keine Veränderung in seinen Gefühlen gegen Dich finden.«

»Ich weiß, daß er stets freundlich und gütig gegen mich sein wird,« entgegnete sie traurig. »Es ist ihm nicht möglich, anders zu sein; aber ich kann nicht mehr seine Gefährtin sein wie sonst. Damit ist es ganz zu Ende.«

»Du konntest ja doch nicht annehmen, daß dies Dein ganzes Leben hindurch dauern würde, Milly. Es ist zu hoffen, daß irgend eine andere Person einen Anspruch auf Deine Gesellschaft haben wird, ehe viele Jahre vergehen.«

»Du meinst wohl, ich würde heirathen,« sagte sie, ihn mit der größten Gleichgültigkeit ansehend.

»Etwas derartiges, Milly.«

»Ich habe immer geglaubt, daß ich mein ganzes Leben mit Papa zubringen würde. Ich habe es niemals für möglich gehalten, daß ich eine Zuneigung für einen Andern als für ihn hegen könnte.«

Julian Stormonts Gesicht verfinsterte sich ein wenig und er saß einige Minuten schweigend da, sich mit dem Zeitungsblatt zu schaffen machend.

»Du bist nicht besonders schmeichelhaft für Deine Bewunderer zu Thornleigh,« sagte er endlich mit einem kurzen heiseren Lachen.

»Wer ist dort zu Thornleigh? Habe ich wirklich Bewunderer dort?«

»Ich denke« ich könnte deren ein halbes Dutzend nennen.«

»Reden wir jetzt nicht weiter von ihnen. Ich wünschte vielmehr Alles zu erfahren, was Dir über meine Stiefmutter bekannt ist.«

»Das ist sehr wenig von Belang. Ich kann Dir nichts weiter sagen, als daß sie die Tochter eines Gentleman, sehr gebildet, ohne Geld und vierundzwanzig Jahre alt ist. Sie reiste als Gesellschafterin mit einer ältlichen Dame, als sie Dein Vater in einer Gemäldegalerie zu Florenz traf. Er kannte, wie ich glaube, die alte Dame und durch sie machte er die Bekanntschaft der jüngeren.«

»Nur vierundzwanzig! Nur vier Jahre älter als ich!«

»Nicht wahr, sehr jung? Aber wenn ein Mann im Alter Deines Vaters eine zweite Ehe eingeht, so nimmt er gewöhnlich eine junge Frau. Dies ist natürlich ganz eine vollkommene Liebesheirath.«

»Ja« ganz eine Liebesheirath,« wiederholte Milly mit einem Seufzer.

Ich wußte, daß sie sich bei dem Gedanken, wie sehr sie und ihr Vater früher einander Alles in der Welt gewesen, eines schmerzlichen Gefühls von Eifersucht nicht erwehren konnte. Sie hatte mir ja so oft von ihrem glücklichen zusammenleben, von dem vollkommenen Vertrauen, das zwischen ihnen bestand, erzählt.

Julian Stormont blieb ohngefähr noch eine halbe Stunde da und plauderte mit ihr und gelegentlich auch ein wenig — sehr wenig mit mir und dann entfernte er sich. Milly sagte mir, er sei die rechte Hand seines Onkels im Geschäfte und nach dem Wenigen, was ich von ihm gesehen, konnte ich mir denken, daß er in jeder Lebenssphäre eine hervorragende Rolle spielen würde.

»Papa hegt eine sehr hohe Meinung von ihm,« sagte sie, als wir, nachdem er uns verlassen, über ihn mit einander sprachen.

»Und Du hast ihn wahrscheinlich sehr lieb?«

»O ja, ich habe ihn mein ganzes Leben hindurch gekannt und wir sind fast wie Bruder und Schwester. Nur ist Julian eine jener gedankenvollen und zurückhaltenden Persönlichkeiten, mit denen man nicht so schnell vertraut wird.«

III. Kapitel.

Zu Thornleigh.

Die gewöhnlichen Sommerferien begannen endlich und Mr. Darrell kam in eigener Person, um seine Tochter abzuholen, zu ihrer großen Freude. Sie sollte, wenn sie es nicht selbst wünschte, nicht mehr in das Institut zurückkehren, sagte er. Ihre neue Mama wünsche lebhaft, sie bei sich zu haben und sie könne Lehrer in Thornleigh erhalten, wenn ihre Erziehung nicht bereits vollendet sei.

Ihre Augen waren voll Thränen, als sie kam, um mir dies zu sagen und mich ins Besuchszimmer zu führen, wo sie mich ihrem Vater vorstellen wollte — eine Vorstellung, auf der sie trotz meiner Bitten bestand, denn ich war in dieser Zeit meines Lebens äußerst schüchtern und fürchtete die Begegnung mit einem Fremden.

Mr. Darrell empfing mich sehr freundlich. Er war ein schöner, schlanker Mann, der eine große Aehnlichkeit mit der Photographie in Millys Zimmer hatte und ich entdeckte auch den harten Zug um seinen Mund, den ich auf beiden Portraits bemerkt hatte. Er schien eine große Zuneigung zu seiner Tochter zu hegen und ich habe nie ein schöneres Bild gesehen, als sie darstellte, wenn sie an seiner Seite stand und mit liebenden Blicken ihrer dunkelbraunen Augen zu ihm emporsah.

Er fragte mich, wo ich meine Ferien zuzubringen gedachte und als er hörte, daß ich in Albury Lodge bleiben würde, fragte er mich, ob ich nicht für die Sommervacanz mit Milly nach Thornleigh kommen wolle. Das liebe Kind klatschte vor Freude in die Hände, als es diesen Antrag hörte und rief:

»O ja, Mary« nicht wahr, Du gehst mit uns? Du lieber guter Papa, das sieht Dir ganz gleich; Du erräthst immer, was man wünscht. Es gibt nichts in der Welt, was mir lieber wäre, als Mary zu Thornleigh bei mir zu haben.«

»So haben Sie also nur so schnell als möglich einen Koffer zu packen und mit uns abzureisen, Miß Crofton,« sagte Mr. Darrell; »der Zug geht in anderthalb Stunden ab und ich kann Ihnen deshalb nur eine Stunde Zeit geben.«

Ich dankte ihm, so gut ich konnte — wahrscheinlich linkisch genug — für seine Güte und eilte fort, um Miß Bagshots Erlaubniß einzuholen Sie ertheilte mir dieselbe bereitwillig genug trotz der Einwendungen, welche Miß Susan dagegen erhob und ich hatte nichts weiter zu thun, als meine wenigen Kleider zu packen, wobei ich mich der Besorgniß nicht erwehren kannte, ob ihre Einfachheit auch zu den — Herrlichkeiten von Thornleigh passen werde. Meine Vorbereitungen waren bald beendigt und ich eilte voll Aufregung und sehr glücklich, mit Hut und Shawl hinunter ins Besuchszimmer, um mich meiner Freundin anzuschließen.

Miß Bagshot befand sich dort, von ihrer Zuneigung zu ihrer lieben jungen Freundin und von dem Bedauern, sie zu verlieren, sprechend. Als Mr. Darrell fand, daß ich bereit war, schnitt er diese Klagen kurz ab und wir fuhren in dem Wagen, in dem er gekommen war, nach der Station.

Ich sah diesmal den kleinen Platz mit ganz andern Augen an, als sechs Monate zuvor, wo ich an dem düsteren Januarabend daselbst angelangt war.

Die Aussicht auf eine fünfwöchentliche Erlösung von der einförmigen Thätigkeit zu Albury Lodge machte mich nahezu ganz glücklich. Da ich wegen meiner Armuth meine eigene Heimath nicht zu besuchen vermochte, so konnte mir gewiß nichts Angenehmeres widerfahren, als diese Einladung nach Thornleigh.

Während der ganzen Reise war Mr. Darrell alle Aufmerksamkeit und Güte. Er sprach viel von seiner Frau, indem er besonders ihre Bildung und Liebenswürdigkeit hervorhob und seiner Tochter bei jeder Gelegenheit die Versicherung gab, daß sie ihre neue Mutter liebgewinnen werde.

»Ich gestehe, Milly,« sagte er im Laufe dieser Gespräche, »ich war in dieser Sache etwas verzag und hatte nicht den Muth, Dir etwas davon zu sagen, bis sie geschehen war und dann hielt ich es für das Beste, die Mittheilung durch Julian machen zu lassen.«

»Du hättest mir mehr Vertrauen schenken sollen, Papa,« sagte Milly zärtlich und ich begriff, welche vollkommene Selbstverleugnung in dem glücklichen Lächeln lag, mit dem sie ihm ihre Hand gab.

»Und Du bist nicht ungehalten auf mich, mein Herzenskind?« fragte er.

»Ungehalten auf Dich« Papa? als ob ich ein Recht dazu hätte. Wenn Du mich nur ein wenig lieben willst, wie früher, so werde ich vollständig glücklich sein.«

»Ich werde Dich niemals weniger lieben, Milly.«

Die Reise dauerte nicht sehr lang und die Gegend, durch die wir fuhren, bot an dem heitern Juniabend einen lieblichen Anblick dar. Als wir nach etwa 30 Meilen von unserer Bestimmung entfernt waren, wechselte die Landschaft. Das fruchtbare Ackerland und die grünen wogenden Saaten machten einem offenen Moor Platz und ich fühlte aus der Ferne den frischen Hauch des Oceans. Dieses ausgedehnte wellige Moorland war mir neu und ich dachte es liege eine wilde Art von Schönheit in seiner Einsamkeit. Was Milly betraf, so blickte sie mit Entzücken auf das Moor und strengte ihre Augen an, um den ersten Blick aus die Hügel von Thornleigh zu erhaschen — die Hügel, von denen sie mir so oft gesprochen hatte.

Die Station, wo wir anhalten mußten, lag zehn Meilen von Mr. Darrells Haus und ein offener Wagen mit zwei Pferden wartete draußen auf uns. Wir fuhren auf einer Straße, die über das Moor führte, bis wir an ein Dorf von zerstreuten Häusern mit einer schönen alten Kirche gelangten. Wir fuhren, an den Thoren von zwei oder drei größeren Häuser, welche halb verborgen in Gärten lagen, vorüber und bogen dann in einen Weg ein, der einen Hügel hinauf führte, auf dessen Spitze wir an ein paar schöne eiserne Thore kamen, die mit Wappen verziert und auf beiden Seiten von massiven, mit Epheu überwachsenen, steinernen Pfeilern getragen wurden.

Ein alter Mann trat aus einem hübschen ländlichen Häuschen und öffnete die Thore. Wir fuhren hieran durch eine Allee von einiger Ausdehnung, welche in grader Linie nach der Vorderseite des Wohnhauses führte, dessen Anblick mich entzückte. Es war sehr alt, massiv gebaut und hatte, wie ich dachte, ganz ein adeliges Aussehen. Auf drei Seiten befand sich eine breite Terrasse mit steinernem Geländer und an jeder Ecke führte eine große steinerne Treppe zu einer zweiten Terrasse herunter, mit schönen frischen Grasböschungen, die sich mit dem Rasen des Gartens verschmolzen. In Folge seiner hohen Lage gewährte das Haus eine herrliche Aussicht auf die See.

Eine Dame trat aus dem schönen alten Portal, als der Wagen verfuhr und blieb oben auf der Terrassentreppe stehen, uns erwartend. Ich dachte mir sogleich, daß es Mrs. Darrell sein müsse.

Milly zögerte ein wenig, als ihr Vater sie die Treppe hinauf führte. Sie war sehr blaß und ich konnte wahrnehmen, daß sie zitterte. Mrs. Darrell trat rasch auf sie zu und küßte sie.

»Meine liebe Emily,« rief sie, »ich bin sehr erfreut, Dich endlich zu sehen. — O William, Du hast mich nicht getäuscht, als Du mir seine reizende Tochter versprachst.«

Milly wurde roth und lächelte bei diesem Compliment, drängte sich aber noch immer mit scheuen, niedergeschlagenen Blicken an ihren Vater.

Während diese Vorstellung stattfand, hatte ich Zeit, Mrs. Darrell zu betrachten.

Sie war keineswegs eine schöne Frau, aber sie war, was man so nennt, ungemein interessant. Sie war groß und schlank, zierlich gebaut und graziös, hatte einen hübschen Hals und schöngeformten Kopf. Ihre Züge mit Ausnahme ihrer Augen zeigten nichts Bemerkenswerthes; aber diese letzteren waren auffallend genug, um einem Gesichte Ausdruck zu verleihen, das man außerdem für unbedeutend hätte halten können. Es waren große, glänzende, graue Augen mit großen dunkeln Wimpern und scharf gezeichneten Brauen von weit dunklerem Braun als ihr Haar. Dieses hatte eine unbestimmte Färbung, indem es weder hell- noch dunkelbraun war, aber seine seidenen Massen paßten gut zu ihrer blassen Gesichtsfarbe. Lavater hat uns gesagt, man solle Niemanden trauen, dessen Haare und Augenbrauen von verschiedener Farbe seien. Ich erinnerte mich an diesen Ausspruch, während ich Mrs. Darrell betrachtete.

Sie war weiß gekleidet und ich dachte mir, daß das durchsichtige Musselingewand mit keinem andern Schmuck als einem Lillaband um den Hals ganz besonders gut zu ihrem zarten Gesichte stehe. Ihr Gemahl schien ebenso zu denken, denn er sah sie mit einem liebenden, bewundernden Blicke an, als er ihr seinen Arm bot, um sie ins Haus zu führen.

»Ich darf nicht vergessen, Dir Miß Crofton vorzustellen, Augusta,« sagte er. »Sie ist eine Schulfreundin von Milly, die so freundlich war, meine Einladung, die Ferien mit ihr zuzubringen, anzunehmen.«

Mrs. Darrell reichte mir ihre Hand, aber, wie ich mir einbildete, sehr kalt und ich hatte ein unbehagliches Gefühl, daß ich der neuen Gebieterin von Thornleigh nicht sehr willkommen sei.

»Du wirst Deine früheren Zimmer vollkommen in Bereitschaft für Dich finden, Milly,« sagte sie, »und ich glaube, es dürfte das Beste sein, wenn wir der Miß Crofton das blaue Zimmer neben den Deinigen anweisen.«

»Wenn Sie die Güte haben wollen, Mrs. Darrell.«

»Wie, Milly, willst Du mich nicht Mama nennen?«

Milly schwieg einige Augenblicke mit einem schmerzlichen Ausdruck in ihrem Gesicht.

»Bitte, entschuldigen Sie mich,« sagte sie mit leiser Stimme, »ich kann Niemand mit diesem Namen anreden.«

Augusta Darrell küßte sie wieder schweigend.

»Es sei wie Du wünschst, Liebe,« sagte sie nach einer Pause.

Ein rosenwangiges Mädchen mit angenehmem Gesicht, welches früher Milly bedient hatte, stellte sich uns dar und führte uns nach unsern Zimmern, auf dem Wege dahin seine Freude über die Rückkehr seiner jungen Gebieterin ausdrückend.

Die Zimmer waren sehr hübsch und im ersten Stock auf der Seite des Hauses gelegen, welche die Aussicht nach der See hatte. Mein eigenes, das durch eine Thür mit Millys Wohnzimmer in Verbindung stand, hatte ein sehr behagliches Aussehen mit einem altmodischen Bett und blauen Damastvorhängen.

Als meine einfache Toilette beendigt war, ging ich in Millys Ankleidezimmer und plauderte mit ihr, während sie ihr Haar ordnete. Sie entließ sogleich ihr Mädchen, als ich eintrat und ich wußte, daß sie mir etwas zu sagen habe.

»Nun« Mary,« begann sie sofort, »was denkst Du von ihr?«

»Von Mrs. Darrell?«

»Natürlich.«

»Welche Meinung kann ich mir von ihr bilden, nachdem ich sie kaum drei Minuten gesehen habe, Milly. Sie hat, wie ich glaube, ein sehr elegantes Aussehen. Das ist die einzige Ansicht, die ich bis jetzt von ihr hege.«

»Glaubst Du, daß sie aufrichtig aussieht, Mary? Glaubst Du, daß sie Papa geheirathet hat, weil sie ihn liebt?«

»Mein liebes Kind, wie vermag ich das zu sagen? Sie ist zwar viele Jahre jünger als Dein Papa, aber ich kann nicht einsehen, daß dieser Unterschied des Alters für sie ein Hinderniß sein muß, ihn zu lieben. Er ist ein Mann, für den, wie ich glaube, jedes Weib eine Zuneigung hegen könnte, abgesehen von der natürlichen Dankbarkeit gegen den Mann, der sie aus einer abhängigen Stellung befreit hat.«

»Dankbarkeit ist nichts als Unsinn,« antwortete Miß Darrell ungeduldig. »Ich will wissen, ob mein Vater so geliebt ist, wie er geliebt zu werden verdient. Ich werde diese Frau niemals leiden können, so lange ich dessen nicht sicher bin.«

»Ich glaube, Du bist bereits gegen sie eingenommen, Milly,« sagte ich vorwurfsvoll.

»Wahrscheinlich bin ich es« Mary. Wahrscheinlich thue ich ihr Unrecht; aber ihr Gesicht gefällt mir nicht.«

»Was liegt in ihrem Gesicht« das Dir nicht gefällt?«

»Ich vermag es nicht zu sagen — ein unerklärbares Etwas. Ich habe eine gewisse Ueberzeugung, daß sie und ich einander niemals lieben können.«

»Es ist sehr hart für Mrs. Darrell, daß Du mit einem solchen Gefühl gegen sie beginnst, Milly.«

»Ich kann es nicht ändern. Natürlich werde ich mich bestreben, meine Pflicht gegen sie zu thun um Papas willen und mich bemühen, alle diese unchristlichen Gefühle zu bemeistern; aber wir können nicht über unsere Herzen gebieten, Mary und ich glaube nicht, daß ich meine Stiefmutter jemals lieben kann.«

Wir gingen darauf in das Wohnzimmer hinunter. Es war halb Sieben und um sieben Uhr sollten wir speisen. Das Wohnzimmer war ein langes Gemach mit fünf Fenstern, die auf die Terrasse gingen. Es hatte ein alterthümliches Aussehen — getäfelte Wände und eine schöne gewölbte Decke. Die Fenstervorhänge und Ueberzüge der Sophas und Stühle bestanden aus grünem Sammt.

Ein Herr stand an einem der offenen Fenster und blickte in den Garten hinaus. Er drehte sich um, als Milly und ich eintraten und ich erkannte Mr. Stormont. Er ging auf uns zu, um seiner Cousine die Hand zu reichen und lächelte in seiner eigenthümlichen Weise über den Ausdruck ihrer Ueberraschung.

»Du wußtest also nicht, daß ich hier sei, Milly?«

»Nein; ich dachte nicht daran, Dich zu sehen.«

»Ich wundere mich, daß Dein Vater Dir nichts von meinem Besuch gesagt hat. Ich bin diesen Morgen herübergekommen, um ein Paar Wochen Ferien zu halten. Ich habe in der letzten Zeit ein wenig härter als gewöhnlich gearbeitet und mein Onkel ist gütig genug zu sagen, ich hätte etwas Ruhe verdient.«

»Ich wundere mich nur, daß Du der Veränderung wegen nicht einen Ausflug unternimmst.«

»Ich mache mir nichts aus einer solchen Ortsveränderung. Ich wollte lieber nach Thornleigh gehen.«

Er blickte sie, während er dies sprach, sehr ernst an. Ich wußte, was alles dies zu bedeuten hatte. Ich hatte an jenem Nachmittag in der Gartenlaube zu Albury Lodge mich hinlänglich davon überzeugt; aber Milly selbst besaß keine Ahnung von der Wahrheit.

»Nun« Milly, was hältst Du von Deiner neuen Mama?« fragte er darauf.

»Ich möchte es Dir lieber jetzt nicht sagen.«

»Hm, das klingt kaum günstig für die Dame. Ich halte sie für eine höchst liebenswürdige Person; aber sie ist nicht meine Stiefmutter und das macht einen Unterschied. Dein Vater hegt eine große Zuneigung zu ihr.«

Mr. Darrell trat wenige Minuten darauf in das Gemach und seine Frau folgte ihm fast unmittelbar aus dem Fuße. Milly stellte sich neben ihren Vater; und es gelang ihr, seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, nicht ganz zur Zufriedenheit der älteren Dame, wie ich glaubte. Diese glänzenden grauen Augen schossen einen Blick des Zornes auf ihre Stieftochter, der im nächsten Augenblick in den einer ruhigen Wachsamkeit überging.

Mrs. Darrell stand an einem der Tische, nachlässig in einigen Büchern und Zeitungen blätternd, und da sie mich in ihrer Nähe sitzen sah, so begann sie mit mir in sehr freundlicher Weise zu sprechen, indem sie mich fragte, wie mir Thornleigh gefalle, wie ich die Gegend auf der Reise gefunden und dergleichen mehr; aber selbst während sie sprach, waren ihre wachsamen Augen stets nach dem Fenster gerichtet, an welchem der Vater und die Tochter neben einander standen. Während sie so mit mir sprach, trat Mr. Stormont zu ihr und nahm an der Unterhaltung Theil, die bald darauf durch den Eintritt eines Dieners, der das Essen anmeldete, unterbrochen wurde.

Mr. Stormont bot seinen Arm der Dame des Hauses, während Mr. Darrell einen Arm mir, und den andern seiner Tochter gab. Wir schritten einen langen Gang hinab, an dessen Ende sich das Speisezimmer befand, ein edles altes Gemach mit dunkler Eichentäfelung und vielen Gemälden alter Meister. Wir speisten an einer ovalen Tafel, welche hübsch mit Blumen und werthvollem alten Silbergeräthe verziert war.

Die Unterhaltung während des Essens war ziemlich lebhaft. Mr. und Mrs. Darrell sprachen mit Julian Stormont den ihren Reisen und ich muß gestehen, daß die Dame gut zu erzählen wußte und daß sie die Gegenstände, von denen sie sprach, sehr gut zu würdigen wußte.

Nach dem Essen nahm mich Milly mit hinaus auf die Terrasse und von dort wanderten wir in den Gärten herum. Wir waren noch nicht lange aus, als sich Julian Stormont zu uns gesellte. Wir hatten bisher angenehm genug mit einander geplaudert, aber seine Ankunft machte uns beide still und er selbst sah gedankenvoll aus. Ich beobachtete sein blasses Gesicht, während er in der Dämmerung neben uns herschritt und es fiel mir wieder der sorgenvolle Zug auf seiner Stirn und der entschlossene Ausdruck um seinen Mund auf.

Er hegte eine große Zuneigung für Milly. Darüber konnte kaum ein Zweifel sein und allem Anschein nach war die Kenntniß, daß seine Liebe nicht erwiedert wurde, bereits eine Ursache tiefen Kummers für ihn. Daß er trotz dem die Hoffnung nicht aufgab, sie mit der Zeit noch zu gewinnen, wußte ich wohl. Er war aber zu klug, um die Dinge durch ein unzeitiges Bekenntniß seiner Gefühle zu überstürzen. Er wartete vielmehr mit jener ruhigen entschlossenen Geduld, die ein Theil seiner Natur war, die weitere Entwickelung der Sache ab.

Natürlich sprachen wir ein wenig, aber die Unterhaltung gerieth jeden Augenblick ins Stocken und ich glaube, es war für uns Alle eine Erleichterung, als wir nach Beendigung unseres Rundgangs durch eines der Fenster in das Wohnzimmer eintraten. Das Gemach war mit Lampen und Kerzen erleuchtet und Mrs. Darrell saß neben ihrem Gatten mit einer Handarbeit beschäftigt, während er die »Times« las.

Kurz nach unserm Eintritt wünschte er etwas Musik und sie erhob sich mit einer liebenswürdigen Unterwürfigkeit, um ihm zu willfahren. Sie spielte vortrefflich, mit einer Kraft und einem Ausdruck, die ganz neu für mich waren. Dann sang sie eine italienische Arie in einem reichen Mezzosopran und mit einer Art von gedämpfter Leidenschaft, die einen tiefen Eindruck auf mich machte. Nachdem ich sie spielen und singen gehört, wunderte ich mich kaum mehr darüber, daß Mr. Darrell von ihr bezaubert worden war. Diese glänzenden Gaben genügten an sich schon, einen Mann zu fesseln, der eine wahre Vorliebe für Musik hegte.

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