Kitabı oku: «Milly Darrell», sayfa 4
V. Kapitel.
Millys Brief.
Das halbe Jahr ging langsam hin. Es kamen keine Ereignisse vor, welche die Zeit markiert hätten, keine Veränderungen außer dem langsamen Wechsel der Jahreszeiten und mein einziges Vergnügen waren Briefe vom Hause und von Emily Darrell.
Bon den ersteren will ich nicht sprechen; sie können kein Interesse haben außer für mich; aber Millys Briefe sind Glieder in der Geschichte eines Lebens. Sie schrieb mir so freimüthig und rückhaltlos, wie sie mit mir gesprochen hatte, alle ihre Gedanken und Einfälle mit jener vertrauensvollen Offenheit gegen mich ausschüttend, welche eine der schönsten Eigenschaften ihres Herzens ist. Eine Zeit lang enthielten die Briefe nichts, was man Neuigkeiten nennen konnte. Erst spät im September kam einer, welcher, wie mir schien, Nachrichten von Wichtigkeit brachte.
»Es wird Dich schmerzen, zu vernehmen, meine liebe Mary, schrieb sie unter Andern, »daß meine Stiefmutter und ich noch immer ebenso weit von einer wahren Freundschaft entfernt sind, als zur Zeit, wo Du uns verließest. Was uns von einander trennt, vermag ich nicht zu sagen, aber ich glaube, daß in unsern beiden Herzen ein Gefühl verborgen ist, das uns verhindert, einander lieb zu gewinnen. Sie ist sehr gütig gegen mich, insofern es die vollkommene Nichteimnischung in mein Thun und Lassen und ein freundliches Benehmen betrifft, wenn wir beisammen sind; ich bin aber überzeugt, daß sie mich nicht leiden kann. Ich habe sie mehr als einmal überrascht, wie sie mich mit einem höchst seltenen Ausdruck — mit einem berechnenden, gedankenvollen Blicke, der ihr Gesicht um zehn Jahre älter machte, als zu anderer Zeit, angeblickt hat. Natürlich gibt es Zeiten, wo wir allein beisammen sind — obschon dies nicht oft vorkommt, denn sie und mein Vater sind ein sehr zärtliches Paar, das den größten Theil des Tages miteinander zubringt — und ich habe bemerkt, daß sie bei dieser Gelegenheit nie von ihrer Jugend, oder überhaupt von ihrem Leben vor ihrer Verheirathung spricht. Alles was vor dieser geschah, scheint ein unbeschriebenes Blatt oder ein versiegeltes Buch zu sein, das sie nicht öffnen will. Ich stellte einmal einige unbedeutende Fragen über ihren Vater und sie gab mir fast ärgerlich zur Antwort:
»Ich spreche nicht gern von ihm, Milly, er war nie ein guter Vater und er wird am besten vergessen. Ich hatte niemals einen wirklichen Freund, bis ich Deinen Vater kennen lernte.«
»Es liegt indeß etwas in ihrem Charakter, was ich achten muß. Ich glaube, daß sie wirklich dankbar gegen meinen Vater ist und ihn aufrichtig liebt und er selbst scheint allerdings vollkommen glücklich in ihrer Gesellschaft zu sein. Die Heirath hatte ganz die Wirkung, die ich vorausgesehen hatte — sie hat uns vollständig getrennt, aber sie hat ihn glücklich gemacht und ich habe keine Ursache, mich zu beklagen. Was könnte ich auch Anderes wünschen, als sein Glück?
»Und jetzt, Muth« meine Neuigkeiten. Julian Stormont war hier und hat mich um meine Hand gebeten.
»Er kam am vorigen Samstag Abends mit der Absicht, bis Montag Morgens hier zu bleiben. Der Sonntag war hell und warm und des Nachmittags überredete er mich, mit ihm nach der Kirche von Cumber zu gehen. Du wirst Dich wohl noch des Wegs erinnern, auf dem wir durch den Wald fuhren, als wir die Priorei besuchten; aber es giebt noch einen näheren und nach meinem Geschmack auch schöneren Fußpfad durch das Holz. Ich verstand mich willig genug dazu, da ich nichts Besseres zu thun hatte und unser Gang ging zur Kirche, auf dem wir von allerlei sprachen, war wirklich angenehm. Auf dem Rückwege aber wurde Julian sehr ernst und als wir die halbe Entfernung zurückgelegt hatten, fragte er mich, ob ich errathen könne, was ihn nach Thornleigh geführt habe. Ich sagte ihm natürlich, daß, ich glaube, er sei wie gewöhnlich gekommen, um von der Last der Geschäfte etwas auszuruhen und sich mit Papa über Geschäftsangelegenheiten zu besprechen.
»Er antwortete mir darauf, er sei wegen etwas Wichtigeren gekommen und fuhr dann fort, er habe mich sein ganzes Leben lang geliebt und es gebe nichts was meinem Vater lieber sein würde, als unsere Verbindung, wenn sie, wie er hoffe und glaube, mein Glück zu sichern vermöge.
»Ich glaube, Du weißt es, Mary, daß mir niemals ein Gedanke dieser Art in den Sinn kam. Ich sagte dies Julian und setzte hinzu, daß er, so sehr ich ihn auch als Cousin schätzen könne, mir niemals näher stehen oder theurer sein könne, als in dieser Eigenschaft. Die Veränderung in seinem Gesicht, als er dies hörte, erschreckte mich fast. Er wurde todtenbleich; ich bin aber überzeugt, daß es mehr Zorn als Enttäuschung war, wodurch er so erregt wurde. Ich hatte es bis jetzt nicht gewußt, wie hart und boshaft sein Gesicht sein konnte.«
»Ist dies unwiderruflich, Emily?« fragte er in festem kalten Tone, »ist keine Hoffnung, daß Du Deinen Sinn noch ändern wirst?«
»Nein, Julian; es ist nicht möglich, daß dies jemals geschehen wird.«
»Wahrscheinlich ist es irgend ein Anderen,« sagte er.
»Nein, Julian, kein Anderer.«
»Sehr schmeichelhaft für mich!« rief er mit rauhem Gelächter.
»Es that mir trotz seines zornigen Aussehens leid um ihn.
»Glaube ja nicht, daß ich Deine vielen guten Eigenschaften nicht zu schätzen weiß, Julian,« sagte ich, »oder daß ich mich durch den Vorzug, den Du mir gibst, nicht geehrt fühle. Ohne Zweifel gibt es viele Frauen in der Welt, die Deiner Liebe würdiger sind als ich und die sie auch zu erwiedern vermögen.«
»Ich danke Dir für diese kleine conventionelle Rede,« rief er höhnisch. »Ein Mann baut alle seine Hoffnungen von Glück auf eine Frau und sie zertrümmert kaltblütig das ganze Gebäude seines Lebens und dann sagt sie ihm, er solle hingehen und es anderwärts aufrichten. Ich glaube wohl, daß es Frauen in der Welt gibt, die sich herbeilassen würden, mich zu heirathen, wenn ich sie begehrte; aber es ist mein Unglück, daß ich nur ein Weib lieben kann. Ich vermag meine Liebe nicht zu übertragen, wie ein Mann fein Kapital von einer Bank auf die andere überträgt.«
»Wir gingen eine Zeit lang schweigend einher. Ich war entschlossen, ihm keinen Groll zu zeigen, so unfreundlich er auch mit mir sprechen möchte und als wir uns unserm Hause näherten, drückte ich die Hoffnung aus, daß diese unglückliche Unterhaltung keine Aenderung in unserem bisherigen Verhältniß hervorbringen werde und daß wir, wie bisher, so auch in Zukunft, Freunde bleiben würden. Ich sagte ihm, daß ich wisse, wie sehr ihn mein Vater schätze und daß es mich tief betrüben würde, wenn er meinetwillen Thornleigh verlassen oder meiden wollte.
»Freunde!« erwiederte er in zerstreutem Tone, »ja, wir sind natürlich noch immer Freunde und ich werde Thornleigh nicht meiden.«
»Er schien diesen Abend nach dem Diner heiterer als gewöhnlich. Ob seine Fröhlichkeit nur angenommen, um seine Niedergeschlagenheit zu verbergen, oder ob er wirklich im Stande war, die Sache leicht zu nehmen, weiß ich nicht. Natürlich kann ich mich der Erwägung nicht verschließen, daß eine Heirath mit mir von großem weltlichen Vortheil für Julian sein würde, der nichts besitzt, als den Gehalt, den er von meinem Vater bezieht und der durch eine solche Heirath sich aller Wahrscheinlichkeit nach den Besitz des Geschäfts sichern würde, indem er bereits eine Art stellvertretender Principal ist.
»Ich bemerkte, daß meine Stiefmutter diesen Abend ganz besonders freundlich gegen Julian war und daß sie sich eine Zeit lang in einem der Fenster in leisem vertraulichen Tone mit einander unterhielten, während mein Vater sein gewöhnliches Schläfchen hielt. Ich möchte wissen, ob er ihr von unserer letzten Unterredung etwas gesagt hat.
»Als er am folgenden Morgen nach Shields zurückkehrte, nahm er in seiner gewöhnlichen Weise Abschied von mir und ich hoffe deshalb, daß er mir verziehen habe; aber die Sache ließ ein unangenehmes Gefühl in mir zurück, eine Art reger Furcht, daß in Zukunft Unannehmlichkeiten daraus entstehen könnten. Ich kann den harten boshaften Zug im Gesicht meines Cousins nicht vergessen.
»Als er fort war, begann ihm Mrs. Darrell ein sehr warmes Loblied zu singen und mein Vater sprach von ihm in demselben Tone. Sie unterhielten sich einen guten Theil über ihn, während wir beim Frühstück saßen und ich bildete mir ein, daß eine gewisse Absichtlichkeit in Bezug auf mich bei beiden verwaltete, denn sie scheinen in der That über jeden Gegenstand ganz der gleichen Ansicht zu sein. Aber hier handelt es sich um eine Sache, in der selbst der Einfluß meines Vaters, so lieb ich ihn habe, meinen Sinn nicht zu ändern vermag. Ich könnte mich in Bezug auf jeden andern Punkt schwach und nachgiebig zeigen, in Diesem niemals.
»Und jetzt laß mich von meinem Freund Peter, Rebecca Thatchers halbblödsinnigem Enkel, sprechen. Du weißt, wie peinlich uns Beide das hoffnungslose verdrossene Wesen des armen Jungen vorkam, als wir uns in dem Häuschen auf dem Moor befanden. Ich dachte später einen guten Theil darüber nach und es fiel mir bei, daß unser Obergärtner vielleicht Arbeit für ihn finden dürfte z. B. durch Jäten, durch Säubern der Wege und dergleichen untergeordnete Beschäftigungen. Brook ist ein guter, freundlicher, alter Mann und stets zu Allem bereit, wenn er mir gefällig sein kann. So fragte ich ihn eines Tags im August und er versprach mir, daß Peter, sobald wieder eine Aushilfe nöthig sei, verwendet werden solle. »Obschon ich nicht glaube, daß ich viel aus ihm machen werde, Miß, sagte er, »aber es gibt nichts, was ich Ihnen zu Gefallen nicht thun würde.«
»Der Knabe kam also und machte sich so gut, daß er Mr. Brook und die beiden anderen Gärtner ganz überraschte. Er hat eine außerordentliche Anhänglichkeit an mich und nichts erfreut ihn mehr, als mir bei der Pflege meiner Farnkräuter, die ich immer selbst besorge, an die Hand gehen zu dürfen. Diesen armen Knaben mit einer Gießkanne in der einen und einem kleinen Korb mit dem dürren Laub in der andern Hand dabei stehen zu sehen, wie er mich athemlos beobachtet, als wäre ich ein großer Wundarzt, der einen Patienten operiert, würden Dein Lächeln erregen; aber ich glaube Du würdest gewiß auch durch seine Ergebenheit gerührt werden. Er sagt mir, er sei so glücklich in Thornleigh und er sieht auch bereits viel gesünder aus. Die Gärtner behaupten, er sei unermüdlich in seiner Arbeit und leiste ebenso viel als zwei gewöhnliche Knaben. Er liebt die Blumen leidenschaftlich und ich gebe mir Mühe, ihm die Namen der Pflanzen beizubringen. Dies ist zwar eine schwierige Aufgabe, aber er ist so eifrig im Lernen und so stolz darauf, daß ich seine Lehrmeisterin bin, daß meine Mühe reichlich belohnt wird.«
Milly wünschte angelegentlich, daß ich die Weihnachten zu Thornleigh zubringen sollte; aber es war jetzt fast ein Jahr, seit ich meine Lieben zu Hause nicht mehr gesehen hatte und, obschon meinem theuren Vater die Auslagen für die Reise kein leichtes Opfer waren, so wünschte er doch, daß ich die Ferien bei ihm zubringen möchte und so wurde zum großen Leidwesen meiner lieben Milly bestimmt, daß ich nach Warwickshire zurückkehren sollte.
Die Ferien waren sehr glücklich und ehe sie vorüber waren, erhielt ich von meiner Freundin einen Brief, worin sie mir mittheilteII daß Mr. und Mrs. Darrell im Begriff seien, für einige Monate ins Ausland zu gehen und mich bat, mein Verhältniß zu Albury Lodge zu lösen und als ihre Gesellschafterin nach Thornleigh zu kommen mit einem Gehalt, den ich für sehr anständig hielt.
Der Gedanke, das dumpfe Einerlei von Miß Bagshots Institut gegen den Aufenthalt zu Thornleigh bei der Freundin, die ich wie eine Schwester liebte, zu vertauschen, war mehr als erfreulich für mich, nichts von dem Gehalt zu sagen, der mich in den Stand setzen würde, meine eigenen Kleider zu kaufen und meinem Vater jährlich noch eine kleine Summe zukommen zu lassen. Ich besprach mich mit ihm darüber und er schrieb sogleich an Miß Bagshot mit der Bitte, sie möchte mir die halbjährige Kündigung meines Dienstes, zu der sie berechtigt war, gütigst erlassen. Sie war einsichtsvoll und freundlich genug, dies zu gewähren und so ging ich, statt nach Albury Lodge zurückzukehren, nach Thornleigh.
Mr. und Mrs. Darrell waren nach Paris abgereist, als ich anlangte und das Haus erschien sehr leer und ruhig. Meine theure Freundin kam mir unten an der Thür entgegen und führte mich in ihr hübsches Wohnzimmer, wo ein helles Feuer brannte und wo sie, wie sie mir sagte, den größten Theil ihrer Zeit zubrachte.
»Freut es Dich wirklich, Mary, zu mir zu kommen?« fragte sie, als die erste Begrüßung vorüber war.
»Ich bin mehr als erfreut, meine liebe Milly. Es scheint mir fast ein allzuschönes Leben zu sein. Ich kann kaum recht daran glauben.«
»Aber vielleicht wirst Du Thornleigh bald eben so überdrüssig werden, als Albury Lodge. Es wird ein langweiliges Leben sein — nur Du und ich und die alten Diener.«
»Ich werde bei Dir niemals Langeweile fühlen, Milly. Aber sage mir, wie alles Dies gekommen ist. Welches ist der Grund, daß Du nicht mit Mr. und Mrs. Darrell ins Ausland gegangen bist?«
»Nicht wahr, das ist sehr auffallend? Die Wahrheit ist, daß Augusta meine Begleitung nicht wünschte. Sie kann mich nicht leiden, Mary, obwohl sie sich stellt, als ob sie mich sehr liebte und meinem Vater eingeredet hat, daß dies der Fall sei. Es gibt nichts, was sie ihn nicht glauben machen kann. Sie kann mich nicht leiden und sie fühlt sich niemals ganz glücklich und behaglich, wenn ich bei ihr bin. Sie war seit einiger Zeit, seit der Winter begann, Thornleigh überdrüssig geworden und sah so blaß und mager aus, daß mein Vater besorgt um sie wurde. Der Arzt hier behandelte sie in der gewohnten Weise, nahm ihr Leiden sehr leicht, empfahl aber Luft- und Ortsveränderung. Papa schlug vor, nach Scarborough zu gehen, aber meine Stiefmutter brachte es auf irgend eine Weise dahin, daß statt Scarborough, Paris gewählt wurde und sie werden den Winter und Frühling dort bleiben und vielleicht im Sommer nach Deutschland gehen. Anfangs hegte Papa den Wunsch, mich mitzunehmen, aber Augusta ließ einige kleine Winke fallen — es würde meine Studien unterbrechen, mich stören u.s.w. Du weißt, daß ich sehr stolz bin, Mary und so kannst Du Dir denken, daß ich sie recht wohl verstand. Ich sagte, ich zöge vor, zu Hause zu bleiben, und stellte nur die Bedingung, daß Du zu mir kommen solltest, um mir Gesellschaft zu leisten und mich bei meinen Studien zu unterstützen.«
»Meine theuerste Milly« wie gut war es von Dir« dies zu wünschen!«
»Keineswegs so gut. Ich glaube, daß Du die einzige Person in der Welt bist, die mich wirklich liebt, jetzt, wo ich Papa verloren habe ; denn, wie Du siehst, Mary, habe ich ihn richtig verloren, dies tritt mit jedem Tage deutlicher hervor. Ich hatte aber bei dieser Sache einen schweren Kampf zu kämpfen. Mrs. Darrell sagte, Du seiest viel zu jung für eine solche Stellung und ich bedürfe einer älteren Person, die im Stande wäre, mich zu beschützen und zu leiten und in ihrer Abwesenheit die Besorgung des Haushaltes zu übernehmen, aber ich entgegnete, daß der Haushalt wie seit vielen Jahren von Mrs. Bunce, der Haushälterin, besorgt würde, und daß ich, wenn ich Mary Crofton nicht erhalten könne, gar Niemand haben wolle. Ich sagte Papa, wie unermüdlich Du seist und wie gewissenhaft Du Alles, was Du versprochen, vollführen würdest. So wurde endlich, nach vielem Hin- und Herreden die Sache abgemacht und hier sind wir und haben das Haus ganz für uns, mit der Aussicht, in den bevorstehenden sechs Monaten beisammen zu bleiben.«
Ich fragte sie, ob sie seit jenem merkwürdigen Sonntag Nachmittag viel von Mr. Stormont gesehen habe.
»Er hat zweimal seinen gewöhnlichen Besuch von Samstagabend bis Montag Morgens abgestattet,« sagte sie, »und mich ganz so behandelt, als ob jene unangenehme Unterredung gar nicht stattgefunden hätte.«
Wir waren sehr glücklich miteinander in dem großen einsamen Hause unter den alten Dienern, die sich ein Vergnügen daraus machten, uns zu bedienen. Wir brachten unsere Morgen und Abende in Millys Wohnzimmer zu und nahmen unsere Mahlzeiten in einem kleinen, hübsch möblierten Frühstückszimmer ein. Wir lasen viel miteinander, indem wir einen systematischen Studiencours, der sehr verschieden von den trockenen Arbeiten zu Albury Lodge war, zusammen durchmachten. Es befand sich eine schöne alte Bibliothek in Thornleigh und wir lasen die Meisterwerke der englischen und französischen Prosa mit unermüdlichem Interesse und Vergnügen. Außerdem übte sich Milly fleißig in der Musik und noch fleißiger im Zeichnen und Malen, woran sie ein wahres Vergnügen fand.
Mr. Collingwood, der Pfarrer und seine Familie sprachen öfters bei uns vor und bestanden darauf, daß wir sie ohne Umstände häufig besuchen sollten und es fehlte uns auch nicht an andern Einladungen von Millys Freunden in der Umgegend von Thornleigh.
Wir hatten Equipagen zu unserer Verfügung, aber wir machten nicht oft Gebrauch davon. Milly zog das Gehen vor und wir pflegten, wenn das Wetter günstig war, lange Spaziergänger über das Moor, oder tief in den Wald zwischen Thornleigh und Cumber zu unternehmen.
VI. Kapitel.
Eine neue Bekanntschaft.
Es war kurz nach meiner Ankunft in Thornleigh, als ich zum ersten mal den Mann sah, dessen Geschichte ich zuerst in dem Studierzimmer der Priorei von Cumber vernommen hatte. Es war an einem schönen hellen Tage zu Ende Januar, als wir eines Nachmittags zu einem Spaziergang in unsern Lieblingswald aufbrachen, Milly mit Bleistift und Skizzenbuch, um irgend einen der alten blätterlosen Bäume, der ihr Interesse erregte, abzuzeichnen. In ihrem Enthusiasmus für die Kunst achtete sie zuweilen wenig auf die gerade herrschende kalte Witterung und setzte sich trotz meiner Bitten nieder, um einen Gegenstand zu skizzieren.
Wir blieben länger aus als gewöhnlich und Milly war ein- oder zweimal stehen geblieben, um eine rasche Skizze zu entwerfen, als sich der Himmel plötzlich schwarz umzog und dicke Regentropfen zu fallen begannen. Auf diese folgte sehr bald ein heftiger Schlagregen untermischt mit Schnee und Hagel. Da das Wetter ganz schön gewesen war, als wir vom Hause weggingen, so hatten wir weder Regenschirme noch sonst einen Schutz gegen den Sturm.
»Es wird das Beste sein, uns auf die Beine zu machen und zu laufen, was wir können,« sagte Milly.
»Aber wir können doch nicht vier Meilen laufen; wäre es nicht besser, wenn wir nach Cumber gingen und in dem Dorfe so lange warteten, bis sich das Wetter änderte oder zu versuchen, ob wir nicht irgend ein Fuhrwerk erhalten können.«
»Nun ich glaube auch, es würde das Beste sein. Aber es ist fast eine Meile von hier nach dem Dorfe.«
»Immer noch besser, als bei einem solchen Wetter durch den Wald zurückkehren,« sagte ich.
Wir befanden uns in diesem Augenblicke ganz nahe am Saume des Holzes und nur eine kurze Strecke von den Thoren der Priorei entfernt. Während wir noch unentschlossen im strömenden Regen dastanden, kam zwischen den blattlosen Bäumen eine Gestalt auf uns zu — die Gestalt eines Gentleman, wie wir an seiner Kleidung und Haltung sehen konnten. Wir waren früher in dem Walde nur Landleuten und Arbeitern begegnet und über diese Erscheinung ein wenig erstaunt.
Er kam rasch auf uns zu, seinen Hut abnehmend, als er in unserer Nähe war.
»Vom Sturme überrascht, meine Damen,« sagte er, »und wie ich sehe, ohne Regenschirme. Haben Sie weit zu gehen?«
»Ja« wir haben bis nach Thornleigh zu gehen,« antwortete Milly.
»Das ist in solchem Wetter ganz unmöglich. Wollen Sie in die Priorei kommen und warten, bis der Sturm vorüber ist?«
»In die Priorei! Ganz gewiß!« antwortete Milly. »Ich habe nicht daran gedacht. Ich kenne die Haushälterin sehr gut und bin überzeugt, daß sie uns dort unterstehen läßt.«
Wir schlugen den Weg nach den Thoren der Priorei ein, während der Fremde uns begleitete. Ich hatte keine Gelegenheit, ihn während des strömenden Regens zu betrachten, aber ich war neugierig, wer er war, daß er in einem so vertrauten Tone von der Cumber Priorei sprach.
Eines von den Thoren stand offen und wir traten ein.
»Nicht wahr, ein wüster Platz?« sagte der Fremde, »düster genug auch ohne die Verschönerung eines Wetters wie dieses.«
Er geleitete uns nach der Hausthüre und öffnete sie ohne Umstände, indem er dann auf die Seite trat und uns den Vortritt ließ. In der Vorhalle angelangt, führte er uns in ein Zimmer, in welchem ein Feuer brannte und dessen ganze Anordnung uns ersehen ließ, daß es bewohnt wäre.
»Ich will Mrs. Milly kommen lassen und sie soll Ihre nassen Shawle abnehmen, um sie zu trocknen,« sagte der Fremde, eine Glocke ziehend und ich denke, wir Beide begannen jetzt zu begreifen, daß er der Gebieter des Hauses sein müsse.
»Sie sind sehr gütig,« antwortete Milly, ihren triefenden Shawl abnehmend. »Ich wußte nicht, daß die Priorei bewohnt wäre, ausgenommen von den alten Dienern. Ich fürchte, Sie haben mich für sehr unbescheiden gehalten, als Sie mich so kaltblütig davon sprechen hörten, daß wir hier Schutz suchen wollten.«
»Ich bin im Gegentheil sehr erfreut darüber, daß Sie eine Zuflucht in dem alten Platz gefunden haben.«
Er rückte ein paar schwere geschnitzte Stühle an den Kamin und bat uns, Platz zu nehmen ; aber Milly zog es vor, in dem schönen, alten gothischen Fenster zu stehen und in den Regen hinauszusehen.
»Sie werden zu Hause besorgt um uns werden,« sagte sie, »wenn wir, ehe es finster wird, nicht heimkommen.«
»Ich wollte, ich besäße einen geschlossenen Wagen, um Ihnen denselben zur Verfügung zu stellen. Ich kann mich aber nur des Besitzes eines kleinen Korbwagens rühmen, wenn Sie sich nicht scheuen, in einem solchen gemeinen Fuhrwerk zu fahren. Er würde Ihnen wenigstens den Schmutz ersparen.«
Milly lachte fröhlich.
»Ich bin auf dem Lande ausgewachsen,« sagte sie »und scheue mich keineswegs, in einem Korbwagen zu fahren. Ich bin oft genug mit meinem Vater, ehe er heirathete, in dem seinigen ausgefahren.«
»Dann« wenn der Sturm vorüber ist, werde ich das Vergnügen haben, Sie nach Thornleigh zu fahren, wenn Sie mir die Ehre erweisen wollen.«
Milly sah ein wenig verlegen über dieses Anerbieten ans und machte einige Entschuldigungen über die Mühe, die Dies verursachen würde.«
»Ich glaube wirklich, wir können recht gut nach Hause gehen, nicht wahr, Mary, sagte sie und ich stimmte ihr darin bei.
»Es wäre Ihnen unmöglich, bevor es finster wird, nach Thornleigh zurückzukehren,« entgegnete der Gentleman. »Es würde mich beleidigen, wenn Sie die Benutzung meines Korbwagens ablehnten und darauf bestanden, nasse Füße zu bekommen. Wahrscheinlich sind Ihre Füße jetzt schon naß.«
Wir überzeugten ihn von der Dicke unserer Schuhe und gaben unsere Shawls der Mrs. Milly, die sie zum Trocknen in die Küche trug und den Befehl zum Anspannen des Korbwagens in den Stall zu bringen versprach.
Ich hatte jetzt Zeit, unsern neuen Bekannten näher anzusehen. Es war mir nicht schwer, in ihm das Original des Porträts, das Augusta Darrell in so seltsamer Weise betrachtet hatte, wieder zu erkennen. Er war viel älter als zur Zeit, wo das Porträt gemalt wurde — wenigstens zehn Jahre, wie ich glaubte. Auf dem Gemälde sah er wenig über zwanzig aus und jetzt hätte ich ihn für einen hohen Dreißiger gehalten.
Er war noch immer hübsch; aber das kräftige Gesicht hatte eine Art von rauhem Aussehen, dicke Brauen überschatteten die schwarzen Augen und ein starker, wildaussehender Bart umgab den Mund, konnte aber nicht ganz den halb cynischen, halb melancholischen Ausdruck desselben verbergen, der in den Winkeln der vollen festen Lippen sich ausprägte. Er sah wie ein Mann aus, dessen vergangenes Leben entweder eine traurige oder sündhafte Geschichte aufzuweisen hatte.
Wie ich ihn so betrachtete, rief ich mir die letzte bittere Unterredung mit seiner Mutter zurück und konnte mir denken, wie hart und grausam ein solcher Mann unter dem Einfluß einer unverzeihlichen Beleidigung sein mochte. Gleich Mrs. Darrell war ich geneigt, mich mehr auf die Seite der unglücklichen Liebenden als auf die der Mutter zu stellen, welche das Glück ihres Sohnes ihrem Geschlechtsstolz geopfert hatte.
Wir beobachteten alle Drei ein kurzes Schweigen, während Milly und ich am Fenster standen und Mr. Egerton am Kamin lehnte, mit einem zerstreuten Ausdruck in seinem Antlitz den Regen beobachtend. Endlich ermunterte er sich und trat an das Fenster, wo wir standen.
»Es sieht jetzt zwar sehr trostlos aus,« sagte er, »aber ich werde Sie im Handumdrehen nach Thornleigh bringen und so dürfen Sie nicht ängstlich sein. Nicht wahr, Sie wohnen im Herrnhause zu Thornleigh?«
»Ja.« antwortete Milly. »Mein Name ist Darrell und diese junge Dame ist Miß Crofton, meine sehr theure Freundin.«
Er verbeugte sich.
»Ich hatte mir’s gedacht — nämlich, daß Ihr Name Darrell ist. Als ich noch ein junger Bursche war, hatte ich die Ehre, Mr. Darrell recht wohl zu kennen und ich habe eine unbestimmte Erinnerung an ein kleines Kind in weißem Kleide, das, wie ich glaube, Sie gewesen sein müssen. Ich bin erst eine Woche hier, sonst würde ich mir das Vergnügen gemacht haben, meinen Besuch bei Ihrem Vater abzustatten.«
»Papa ist in Paris,« antwortete Milly, »mit meiner Stiefmutter.«
»Ah, er hat wieder geheirathet, wie ich höre — eine der vielen Veränderungen, die sich zugetragen haben, seit ich nicht mehr in Yorkshire gewesen bin.«
»Sind Sie für immer zurückgekehrt?«
»Das weiß ich selbst nicht,« antwortete er mit sorglosem Lächeln. »Ich bin selten lange desselben Sinnes; aber ich habe es herzlich satt, mich noch länger in der Welt herumstoßen zu lassen und ich kann das Leben hier kaum leerer und langweiliger finden, als ich es in Plätzen gefunden habe, welche die Leute unterhaltend nennen.«
»Ich kann mir nicht denken, daß Jemand eines solchen Platzes, wie die Priorei überdrüssig werde,« sagte Milly.
»Steinerne Mauern machen noch kein Gefängniß, noch eiserne Gitter einen Käfig. — An uns selbst liegt es, wenn wir so oder so sind. Können Sie sich nicht einen Mann denken, der seiner selbst und seiner Gedanken vollkommen überdrüssig wird? Vielleicht nicht. Das Lieben eines jungen Mädchens scheint ganz Sonnenschein zu sein. Was sollten auch solche glückliche Wesen von jener öden Vergeudung von Jahren wissen, die jenseits des dreißigsten Geburtstags eines Mannes liegen, wenn seine Jugend keine glückliche war? Ah, dort klärt sich der Himmel auf; der Regen wird sogleich vorüber sein.«
Der Regen hörte in der That auf, wie er prophezeit hatte. Der kleine Korbwagen wurde von einem Manne, der halb Stallknecht, halb Gärtner zu sein schien, an die Thüre gebracht und Mr. Egerton fuhr uns nach Hause. Sein Pferd war sehr gut und die Fahrt dauerte nur eine Viertelstunde, während welcher unser neuer Bekannte sich mit uns Beiden sehr lebhaft unterhielt.
Ich konnte nicht vergesse, daß ihn Mr. Darrell einen schlechten Menschen genannt hatte, aber trotzdem vermochte ich mich nicht dahin zu bringen, ohne ein gewisses Interesse an ihn zu denken.
Natürlich war Mr. Egerton diesen Abend der Gegenstand aller unserer Gespräche und wir waren beide geneigt, ihn wegen seines zerstörten Lebensglücks zu bedauern und des Benehmen seiner Mutter, so wenig wir die Einzelheiten kannten, zu verdammen. Unser Leben war so ruhig, daß dieser kleine Vorfall fast ein Ereigniß in demselben bildete, auf das unsere Unterhaltung immer wieder zurückkam .