Kitabı oku: «Milly Darrell», sayfa 3

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Milly war so bezaubert, daß sie ihre Vorurtheile ganz vergaß. Sie trat ans Piano und küßte ihre Stiefmutter.

»Papa hat mir wohl gesagt, wie geschickt Sie sind,« sagte sie, »aber er hat mir nicht gesagt, daß Sie ein Genie sind.«

Mrs. Darrell empfing das Compliment mit großer Bescheidenheit und dann suchte sie Milly zu bereden, ebenfalls zu singen oder zu spielen; aber diese lehnte es bestimmt ab. Nichts konnte sie nach dieser glänzenden Produktion dazu bewegen.

Der nächste und mehrere der folgenden Tage gingen sehr ruhig und in einer Art einförmiger Behaglichkeit hin. Der Pfarrer des Kirchspiels speiste an einem Tage mit uns und an einem andern ein benachbarter Gutsbesitzer mit seiner Frau und seinen drei Töchtern. Milly und ich brachten einen guten Theil unserer Zeit in den Gärten und am Seeufer zu mit Julian Stormont als Begleiter, während Mr. und Mrs. Darrell miteinander ausritten oder ausfuhren. Meine Freundin wurde nicht zu diesen Ausflügen zugezogen und das bestärkte sie in dem Gedanken, daß ihr Vater gewisser Maßen für sie verloren sei.

»Ich muß mich an diesen neuen Zustand der Dinge gewöhnen, Mary,« sagte sie mit einem Seufzer. »Wenn mein Vater nur glücklich ist, so muß ich zufrieden sein. Aber o, meine Liebe, wenn Du uns vor einem Jahre beisammen gesehen hättest, so würdest Du begreifen, was ich verloren habe.«

Ich war etwas über eine Woche in Thornleigh gewesen, als Mr. Darrell eines Morgens eine Fahrt nach Cumber Priory, einer der Sehenswürdigkeiten der Gegend, vorschlug. Es sei ein sehr alter Platz, sagte er und eine der frühesten klösterlichen Niederlassungen in diesem Theile des Landes gewesen. Milly, ihr Vater und ihr Cousin kannten den Ort bereits hinlänglich und dieser Besuch wurde zu Gunsten von Mrs. Darrell und mir in Vorschlag gebracht.

Sie gab bereitwillig ihre Zustimmung dazu, wie sie es bei jedem Vorschlag ihres Gatten that und wir brachen nach dem Frühstück im viersitzigen Wagen auf, während uns Julian zu Pferd begleitete. Die Fahrt war herrlich, denn, nachdem wir die hügelige Gegend um Thornleigh verlassen hatten, ging unser Weg durch einen mit vielhundertjährigen Bäumen besetzten Wald. Ich erkannte Gruppen von Eichen und Buchen, die ich unter den Skizzen von Millys Portfolio gesehen hatte.

Auf der andern Seite des Holzes kamen wir zu einem Thore von verfallenem Aussehen, mit massivem eisernen Wappen und großen viereckigen Pfeilern. Es befand sich ein Thorhaus da, aber es war offenbar nicht bewohnt und Mr. Darrells Bedienter stieg vom Bock um die Thorflügel zu öffnen. Innen fuhren wir um einen Rasenplatz herum, der durch einen schadhaften Zaun vom Park getrennt war. Das Haus war ein langes niedriges Gebäude, auf beiden Seiten mit gothischen Thürmen flankiert. An den meisten Fenstern waren die Laden geschlossen und der Ort bot einen ziemlich verödeten Anblick dar.

»Die Priorei ist seit mehreren Jahren nicht bewohnt,« sagte Mr. Darrell. »Die Familie ist zu arm gewesen, um, wie früher, standesgemäß hier zu leben. Gegenwärtig ist nur noch ein einziges Mitglied derselben übrig und, wie ich glaube, führt er ein wanderndes Leben in fremden Landen.«

»Wodurch sind sie so arm geworden?« fragte Mrs. Darrell.

»Durch Ausschweifung und Verschwendung, wie ich vermuthe,« antwortete ihr Gatte mit Achselzucken. »Die Egertons sind stets ein wildes Geschlecht gewesen.«

»Egerton!« wiederholte Mrs. Darrell. »Ich dachte« der Name dieser Leute wäre Cumber.«

»Nein, Cumber ist nur der Name des Platzes. Er befindet sich seit Jahrhunderten in der Familie Egerton.«

»So!«

Ich saß ihr gerade gegenüber und ich war überrascht von dem sonderbaren Ausdruck in ihrem Gesicht, als sie den Namen Egerton wiederholte. Dieser Ausdruck verschwand im nächsten Augenblick wieder und ihr Gesicht nahm wieder jene ruhige nachlässige Gleichgültigkeit an, die so gut mit ihrer blassen Farbe und ihren zarten Zügen im Einklang stand.

Die niedrige, eisenbeschlagene Thüre wurde uns von einer anständig aussehenden alten Frau geöffnet. Sie errieth augenblicklich den Zweck unseres Besuchs und sobald wir in der Halle waren, begann sie in der gewöhnlichen mechanischen Weise mit einer Beschreibung von Gemälden und anderer Merkwürdigkeiten, wodurch wir weit mehr irre geführt als aufgeklärt werden.

Wir gingen von Gemach zu Gemach, während die Frau die Läden der tiefen gothischen Fenster öffnete und eine Fluth von Sonnenschein auf die verschossenen Tapeten und beschmutzten Bilderrahmen fallen ließ. Es war ein edler alter Platz und der Anblick des Verfalls, der auf allen Gegenständen lag, stand ganz mit seiner Großartigkeit im Einklang.

Wir waren durch alle Zimmer des Erdgeschosses gegangen, von denen die meisten miteinander in Verbindung standen und im Begriff nach der Vorhalle zurückzukehren als Mr. Darrell seine Frau vermißte und mich, um sie zu suchen, nach der einen Richtung absendete, während er eine andere einschlug. Ich eilte durch drei oder vier leere Zimmer, bis ich in ein kleines Gemach am Ende des Hauses kam und hier fand ich sie. Ich hatte dieses Zimmer nicht besonders beachtet, denn es war in einem mehr modernen Styl als die übrigen ausgestattet und die alte Haushälterin hatte dasselbe mit der Aeußerung, es sei das Studierzimmer ihres Gebieters, das in der Regel Fremden nicht gezeigt werde, ohne Aufenthalt wieder verlassen, um uns im nächsten Gemach einige alte Waffen zu zeigen.

Es war ein kleines gewölbtes Zimmer, an dessen Wänden ans schweren, geschnitzten, eichenen Gestellen Reihen von alten Büchern standen, ohne andere Möbel als einen massiven Schreibtisch und drei oder vier Armstühlen. Ueber dem Kamin befand sich das Portrait eines jungen Mannes mit einem dunkeln schönen Gesicht und dieses Bild war es, das Augusta Darrell betrachtete. Ich konnte ihr Gesicht im Profil sehen, wie sie dastand mit ihren geballten Händen aus dem Kaminsims, und ich hatte niemals einen solchen Ausdruck in den Zügen irgend eines Menschen wahrgenommen.

Was war es? Verzweiflung, Reue, Betrübniß? Ich weiß es nicht; aber es war jedenfalls ein Ausdruck des tiefsten Schmerzes, oder eines unbeschreiblichen Grams. Das Gesicht zeigte eine tödtliche Blässe, die Lippen waren fest geschlossen, während die großen grauen Augen zu dem Portrait aufblickten.

Sie vernahm meinen Tritt nicht und erst als ich sie anredete, drehte sie sich mit ihrem marmorbleichen Gesicht gegen mich um und fragte, was ich wünsche.

Ich sagte ihr, daß Mr. Darrell mich schicke.

»Ich wäre ohnedies sogleich gekommen,« sagte sie, mühsam ihre gewohnte Haltung wieder annehmend.

»Ich habe mich nur bei Betrachtung dieses Portraits etwas aufgehalten Nicht wahr, Miß Crofton, es ist ein hübsches Gesicht?«

»Schön ist es jedenfalls,« antwortete ich in zweifelhaftem Tone, denn diese hochfahrenden dunkeln Züge hatten für mich eher etwas Abstoßendes.

»Das heißt, Sie wollen damit sagen, daß Sie es für kein gutes Gesicht halten. Nun Sie mögen vielleicht Recht haben. Es erinnert mich an Jemand, den ich vor langer Zeit gekannt habe und deshalb hatte es ein Interesse für mich. Und dann verfiel ich in eine Art Träumerei und vergaß, daß mein theurer Gatte mich vermissen könnte.«

Während sie dies sprach, trat er ins Gemach. Sie sagte ihm, daß sie sich bei Betrachtung des Bildes aufgehalten habe und fragte, wessen Portrait es sei.

»Das von Angus Egerton, des gegenwärtigen Eigenthümers der Priorei,« antwortete Mr. Darrell »und es ist wirklich ein sehr ähnliches Bild der Züge eines schlimmen Mannes,« setzte er mit leiserer Stimme hinzu.

»Eines schlimmen Mannes?«

»Ja, er hat das Herz seiner Mutter gebrochen.«

»Auf welche Weise?«

»Er verliebte sich in ein Mädchen von niedriger Geburt, das er auf einer Fußreise in Westengland traf und war in Begriff, es zu heirathen, als Mrs. Egerton von der Sache Wind bekam. Sie war eine sehr stolze Frau und besaß dabei einen höchst entschlossenen männlichen Charakter. Sie reiste sofort nach Devonshire, wo das Mädchen lebte und es gelang ihr, auf irgend eine Weise die Heirath zu verhindern. Erst nach einem Jahre entdeckte Angus Egerton den Antheil seiner Mutter an der Sache. Plötzlich und unerwartet traf er eines Abends in später Stunde in der Priorei ein und ging geraden Wegs in das Zimmer seiner Mutter. Ich habe die alte Frau, die uns das Hans gezeigt hat — sie war damals Mrs. Egertons Kammerjungfer — sein todtenbleiches Gesicht beschreiben hören, als er sie zur Seite stieß und in das Gemach trat, wo seine Mutter saß. Es fand ein furchtbarer Austritt zwischen ihnen statt und noch demselben verließ Angus Egerton das Haus, indem er einen Schwur ausstieß, es nie mehr, so lange seine Mutter lebte, betreten zu wollen. Und er hat sein Wort geholten. Von diesem Tage an kam Mrs. Egerton nicht mehr über die Schwelle ihres Hauses und verkehrte mit Niemanden mehr als mit ihrem Arzte und mit ihren Dienern. Sie führte dieses einsame Leben fast noch drei Jahre und dann starb sie an einer abzehrenden Krankheit,für die der Arzt keinen Namen finden konnte.«

»Und wohin ging Mr. Egerton, als er sie in jener Nacht verlassen hatte?«

»Er schlief in einem kleinen Wirthshause zu Cumber und kehrte am folgenden Morgen nach London zurück. Er verließ bald darauf England und hat seitdem stets im Ausland gelebt.«

»Und Du hältst ihn für einen sehr schlimmen — Menschen?«

»Sein! Benehmen gegen seine Mutter gilt mir als hinlänglicher Beweis dafür.«

»Er mag geglaubt haben, daß ihm schweres Unrecht geschehen sei.«

»Er mußte wissen, daß seine Mutter nur in seinem Interesse gehandelt hatte, als sie es verhinderte, daß er die Thorheit einer niedrigen Heirath beging. Sie war seine Mutter und noch dazu eine liebende und höchst nachsichtige Mutter.«

»Und schließlich hat sie ihm das Herz gebrochen — nichts von dem Mädchen zu sagen, das ihn liebte, das vielleicht ein Stück gewöhnlichen Thons war und keine Berücksichtigung verdiente.«

»Ich hätte nicht geglaubt, daß Du so viel Romantik hättest, Augusta,« sagte Mr. Darrell lachend. »Es scheint aber bei Frauen nur eine natürliche Sache zu sein, für unglückliche Liebende Partei zu nehmen, so töricht auch die Sache sein mag. Ich glaube indeß, daß dieses Devonshire-Mädchen der ehrenhaften Zuneigung eines Mannes ganz unwürdig war. Ich konnte und achtete Mrs. Egerton und ich wußte, wie sehr sie ihren Sohn liebte. Ich kann ihm deshalb sein Benehmen gegen sie nicht vergeben; auch lauten die Nachrichten von seinem Leben im Ausland nichts weniger als günstig für seinen Charakter. Seine Laufbahn ist allem Anschein noch eine sehr wilde und zügellose gewesen.«

»Und hat er niemals geheirathet?«

»Nein.«

»So ist er wenigstens treu geblieben« sagte Mrs. Darrell in leisem gedankenvollem Tone.

Während ihr Gatte seine Geschichte erzählte, waren wir in dem kleinen Studirzimmer zurückgeblieben. Jetzt kehrten wir nach der Halle zurück, wo wir Milly und Mr. Stormont fanden, wie sie schweigend einige alte Portraits der Egerton-Familie betrachteten. Nach dem, was ich gehört, wünschte ich sehr, ein Bild der verstorbenen Mrs. Egerton zu sehen und auf meinen Wunsch führte mich die Haushälterin in eines der Wohnzimmer.

Sie war sehr schön und hatte eine auffallende Aehnlichkeit mit ihrem Sohne. Ich konnte mir das Resultat denken, wenn diese beiden stolzen Persönlichkeiten an einander geriethen.

Wir brachten noch eine Stunde damit zu, die übrigen Merkwürdigkeiten des alten Hauses zu besichtigen. Dann gingen wir ein wenig in den vernachlässigten Garten, wo eine merkwürdige alte Sonnenuhr halb verfallen auf dem Boden lag. Auf den Wegen wuchsen überall Gras und Moos und die Rosen waren fast in Unkraut erstickt. Ich sah Mrs. Darrell eine von diesen Rosen pflücken und an die Brust stecken. Es war das erste Mal, daß ich sie eine Blume pflücken sah, obwohl es in Thornleigh eine Masse von Rosen aller Art gab.

So endete unser Besuch in Cumber Priory, einem Platze, der bestimmt war, für Einige von uns in Zukunft sehr merkwürdig zu werden.

IV. Kapitel.

Mrs. Thatcher.

Es war Millys Gewohnheit gewesen, ehe sie nach Albury Lodge ging, einen Tag der Woche dem Besuche der Armen zu widmen und sie nahm jetzt diese Gewohnheit, von mir begleitet, wieder auf. Ich hatte Aehnliches bereits zu Hause gethan und die Sache mochte mir Vergnügen. Es war ein sehr angenehmer Anblick, zu sehen, wie Milly Darrell mit diesen Leuten verkehrte — das vollkommene Vertrauen zwischen ihnen und ihr und die Freude, die ihnen ihre erheiternde Gegenwart einflößte. Eines Tags, als wir bereits in mehreren Häusern des Dorfes gewesen waren, fragte mich Milly, ob ich mir einen etwas langen Gang zu machen getraue und auf meine bejahende Antwort schlugen wir einen einsamen Pfad ein, der über das Moor in einer Richtung führte, die mir bis jetzt ganz unbekannt war. Wir gingen etwa zwei Meilen ohne eine menschliche Wohnung zu sehen. Dann kamen wir an ein Häuschen, das einen öden und traurigen Anblick darbot. Es war ein wenig besser als eine Hütte und bestand nur aus zwei Räumlichkeiten — einer Art von Küche oder Wohnzimmer und einem kleinen dunkeln Schlafgemach, das damit in Verbindung stand.

»Ich werde Dich jetzt mit einer nicht besonders angenehmen Persönlichkeit bekannt machen, Mary,« sagte Milly, als wir in die Nähe des einsamen Häuschens kamen; »aber die alte Rebecca ist ein Charakter in ihrer Art und ich bin gewohnt, sie von Zeit zu Zeit zu besuchen, obschon sie nicht immer sehr freundlich gegen mich ist.«

Es war ein heller warmer Sommertag; aber die Thüre und Fenster der Hütte waren fest verschlossen. Milly klopfte und eine dünne, alte, schwache Stimme hieß uns eintreten.

Wir gingen hinein. Die Luft des Platzes war heiß und hatte einen unangenehmen apothekenartigen Geruch, welcher, wie ich entdeckte, von Kräutern herrührte, die in einem Topf auf einem kleinen Ofen in einer Ecke kochten. Bündel von getrockneten Pflanzen hingen von der niedrigen Decke und auf einem Brette am Fenster lagen noch mehr Kräuter und Wurzeln zum trocknen.

»Mrs. Thatcher ist eine sehr geschickte Doctorin, Mary,« sagte Milly, gleichsam, um mich vorzustellen, »alle unsere Dienstleute lassen sich von ihr Kuriren, wenn sie an Katarrh und Rheumatismus leiden. — Und wie befinden Sie sich in diesem schönen Sommerwetter, Mrs. Thatcher?«

»Nicht sehr wohl, Miß,« brummte die alte Frau, »ich liebe den Sommer nicht, er bekommt mir niemals gut.«

»Das ist sonderbar,« sagte Milly fröhlich, »ich hätte geglaubt, Jedermann liebe den Sommer.«

»Nicht Diejenigen, die so leben wie ich, Miß Darrell. Im Somme; gibt es keine Krankheiten — keine Erkältungen, keinen Husten, kein Halsweh und Aehnliches. Ich glaube, ich würde geradezu verhungern, wenn es keine Wechselfieber gäbe und auch damit ist es nicht mehr so wie früher.«

Ich war ganz entsetzt über diese empörende Aeußerung; Milly aber lachte fröhlich über die Offenherzigkeit der alten Frau.

»Wenn die Aerzte so aufrichtig wären wie Sie, Mrs. Thatcher, so würden sie ganz ebenso sprechen. Was macht Ihr Enkel?«

»O, er befindet sich ganz wohl. Unkraut verdirbt nicht. — Peter komm heraus und laß Dich den jungen Damen sehen.«

Ein armer, schwacher, blasser und halb blödsinnig aussehender Knabe kam langsam aus dem kleinen dunkeln Schlafgemach hervor und stand grinsend vor uns. Er hatte das bleiche krankhafte Aussehen eines Wesens, das ohne Licht und Luft ausgezogen wird und er erregte mein tiefstes Mitleid.

»Armer Peter! er ist leider nicht besser,« sagte Milly sanft.

»Nein, Miß, er wird es auch niemals werden. Er weiß indeß mehr, als die Leute glauben und ist in seiner Art oft verschlagen genug. Besser und klüger wird er aber niemals werden, als er jetzt ist. Ich habe mir viele Mühe mit ihm gegeben, als er noch ein kleiner Junge war, aber er ist mir nur zu einer Plage und Last aufgewachsen.«

Der Knabe trat einige Schritte zurück und sein Kinn fiel tiefer auf seine schmale Brust nieder. Seine Haltung war von Anfang an eine gebeugte gewesen; aber er sank unter dem Tadel seiner Großmutter sichtbar in sich zusammen.

»Läßt er sich denn in keiner Weise zu etwas verwenden?«

»Nein, Miß, außer daß er zuweilen Kräuter und Wurzeln für mich sammelt. Dies kann er thun und er kennt sie auch von einander.«

»So ist er Ihnen also doch einiger Maßen von Nutzen?« sagte Milly.

»Wenig genug« antwortete die alte Frau mürrisch. »Ich brauche keine Hilfe, ich habe hinlänglich Zeit, sie selbst zu sammeln. Aber ich habe ihm das Sammeln gelehrt und es ist das Einzige, was er jemals lernen konnte.«

»Armer Junge! Nicht wahr, Mrs. Thatcher, er ist Ihr einziger Enkel?«

»Ja, der einzige, Miß und das ist noch das Beste. Ich wüßte nicht, wie ich noch einen erhalten sollte. Sie können sich meiner Tochter Ruth nicht erinnern? Sie war ein so schönes Mädchen, wie man eines sehen kann. Sie war Hausmagd in der Priorei zur Zeit der Mrs. Egerton und sie heirathete den Hausmeister. Sie fingen eine Schenkwirthschaft im Dorfe Thornleigh an und er ergab sich dem Trunk bis Alles zu Grunde ging. Mein armes Mädchen nahm sich das Unglück zu Herzen und ich glaube, daß der Kummer sie getödtet hat. Sie starb drei Wochen nach der Geburt dieses Knabens und ihr Mann lief am Tage nach ihrem Begräbniß davon und man hat seitdem nichts mehr von ihm gehört. Einige sagen, er habe sich in dem Clem ertränkt, aber dazu war ihm seine kostbare Person viel zu lieb. Er stak bis am Hals in Schulden und ließ keinen Sixpence zurück. Auf diese Weise wurde mir Peter aufgebürdet.«

»Komm her, Peter,« sagte Milly sanft und der Knabe ging sogleich zu ihr und ergriff die dargebotene Hand.

»Du hast mich doch nicht vergessen, Peter? Miß Darrell, die vor langer Zeit zuweilen mit Dir gesprochen hat?«

In dem ausdruckslosen Gesicht des Knaben zeigte sich etwas wie Verständniß.

»Ich kenne Sie, Miß,« sagte er, »Sie waren stets gütig gegen Peter.«

Sie nahm ihre Börse heraus und gab ihm eine halbe Krone.

»Da, Peter, da ist ein großes Silberstück, das Dir allein gehört, um Dir damit zu kaufen was Du willst — Zuckerpflaumen, Pfefferkuchen, Schusser — Irgend etwas.«

Seine plumpe Hand schloß sich über der Münze und ich zweifle nicht daran, daß ihn das Geschenk erfreute; aber er verwandte kein Auge von Milly Darrells Gesicht. Dieses freundliche liebliche Gesicht schien eine Art von Zauber aus ihn auszuüben.

»Glauben Sie nicht, daß es Peter gut thun würde, wenn Sie ihm ein wenig mehr Luft und Sonnenschein gäben, Mrs. Thatcher?« fragte darauf Milly; »dieses Schlafgemach scheint ein ziemlich dunkler und dumpfer Platz zu sein.«

»Er braucht nicht dort zu bleiben, wenn er nicht will,« sagte Mrs. Thatcher gleichgültig.

»Er setzt sich vor die Thüre, wenn er Lust dazu hat.«

»Dann würde ich immer an schönen Tagen vor der Thüre sitzen, wenn ich Du wäre, Peter,« sagte Milly.

Darauf plauderte sie noch ein wenig mit Mrs. Thatcher, während ich dasaß und die alte Frau mit einem Gefühle betrachtete, welches ganz das Gegentheil von Bewunderung war.

Sie war von kurzer untersetzter Gestalt, mit breiten Schultern und kurzem Halse und ihr Kopf schien zu groß für ihren Körper zu sein. Ihr Gesicht war lang und mager mit scharfen Zügen und von spärlichen grauen Haaren eingerahmt. Ihre Augen waren von häßlichem Rothbraun und hatten einen höchst unheimlichen Ausdruck. Ich hätte sehr krank und ganz ohne Arzt sein müssen, ehe ich mich hätte entschließen können, meine Gesundheit der Obhut von Mrs. Rebecca Thatcher anzuvertrauen.

Ich sagte dies Milly auf dem Heimwege und sie gab zu, daß Mrs. Thatcher selbst unter dem Landvolk nicht beliebt sei obgleich deshalb fest an ihre Geschicklichkeit glaube.

»Ich bin überzeugt,« setzte Milly hinzu, »daß sie sich auch mit Wahrsagen und andern abergläubischen Künsten abgibt; aber sie ist listig und schlau und man kann diese Art Geschäfte nicht so leicht beweisen, weil Diejenigen, die sie zu Rathe ziehen, sich wohl hüten, etwas davon verlauten zu lassen.

* *

*

Die Tage und die Wochen gingen zu Thornleigh sehr angenehm hin und das Ende dieser schönen Sommerferien kam nur zu bald heran. Es war eine bittere Aufgabe, Milly Darrell Lebewohl zu sagen und allein nach einem Ort zurückzukehren, der für mich ohne sie doppelt langweilig und traurig sein mußte. Sie war zu Albury Lodge meine einzige Freundin gewesen und bei meiner innigen Liebe zu ihr hatte ich nie daran gedacht, ein anderes Freundschaftsband zu knüpfen.

Der gefürchtete Tag kam endlich heran, gefürchtet, wie ich wußte, von uns Beiden und ich sagte meiner theuren Milly so ruhig Lebewohl, daß ich überzeugt bin, Niemand habe den Schmerz ahnen können, den ich bei diesem Scheiben empfand. Mrs. Darrell war bei dieser Gelegenheit sehr freundlich und gütig gegen mich, indem sie mich bat, ich möchte zu Weihnachten wieder nach Thornleigh kommen, im Falle sie selbst ihre Weihnachten dort zubrächten.

Milly blickte sie, als sie dies sagte, verwundert an.

»Ist eine Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß wir die Weihnachten anderwärts zubringen werden, Augusta?« fragte sie.

Mrs. Darrell hatte ihre Stieftochter überredet, sich dieses familiären christlichen Namens zu bedienen statt der formelleren Form der Anrede.

»Ich weiß es nicht, meine Liebe. Dein Papa hat zuweilen von meinem Hause in der Stadt gesprochen, oder vielleicht sind wir auch auswärts. Ich kann nur sagen, daß wir, wenn wir hier in Thornleigh sind, uns freuen werden, Miß Crofton wieder bei uns zu sehen.«

Ich dankte ihr, küßte Milly noch einmal und eilte so rasch ich konnte, aus dem Gemach. Als ich in dem stattlichen Wagen nach der Station fuhr, blickte ich traurig nach dem schönen alten Hause zurück, wo ich so glücklich gewesen.

Wieder kehrte ich zu dem trockenen Einerlei von Albury Lodge zurück, wo meine einzige Abwechselung darin bestand, daß ich bald Geschichte, bald Geographie, bald englische Grammatik so lange mit meinen jugendlichen Schülerinnen einübte, bis mich mein milder Kopf und meine Brust schmerzte. Und wenn ich eine Gouvernante würde, so würde sich natürlich dieselbe Danaidenarbeit immer und immer wieder in kleinerem Maßstab wiederholen. Dieses waren meine Aussichten für die Zukunft — ohne Hoffnung einer Aenderung oder der Erlösung, bis ich ein altes Weib geworden, erschöpft durch die ewige Plackerei des Unterrichts!

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