Kitabı oku: «Leben - Wie geht das?», sayfa 3
Es findet also eine ständige Wechselwirkung statt zwischen den Genen, zwischen Genen und Proteinen, zwischen Genen und ihrer Umgebung, zwischen DNS und RNS, zwischen den Zellen sowie der Umgebung der Zellen, zwischen dem ganzen Organismus und den Zellen, den Genen und Proteinen sowie der Umgebung des Organismus. Auch die soziale Umwelt, die Ernährung und die Innenwelt des Menschen mit seinem Denken und Fühlen haben Einfluss auf diese genetischen Interaktionen. In der Embryonalentwicklung wird das Genom durch diese ständigen Interaktionen erst langsam geformt und dabei müssen die genetische Grundinformation und die epigenetische Schaltinformationen genau aufeinander abgestimmt sein, damit die Zelldifferenzierung beim Embryo geordnet abläuft. Verläuft sie ungeordnet, entstehen Missbildungen. Eine solche ungeordnete Zelldifferenzierung findet zum Beispiel statt, wenn man aus einem fünf Tage alten Embryo Zellen entnimmt und diese Zellen zu embryonalen Stammzellen verwandelt, um sie zu therapeutischen Zwecken beispielsweise bei Patienten mit Parkinson, Diabetes, Krebs, Alzheimer zu verwenden.
Transplantiert man diese jungen fünf Tage alten Zellen in den anderen Organismus des Patienten, dann bleibt zwar die genetische Grundinformation zur Zelldifferenzierung bestehen, aber diese „Aufforderung“ zur Zelldifferenzierung läuft jetzt wegen der anderen Umgebung im Patienten („Schaltinformation“) ungeordnet ab. Und eine ungeordnete Zelldifferenzierung ist das, was man als Krebs bezeichnet. Daher haben bisher seit zehn Jahren alle Therapieversuche (weltweit) mit diesen jungen und unreifen Zellen, die man embryonale Stammzellen nennt, zu Krebserkrankungen geführt.
Schon auf dieser rein physiologischen Zellebene sieht man, dass die Information im Organismus nicht eindimensional starr festgelegt ist, sondern sich als ein ständiges Wechselwirkungs- und Interaktionsgeschehen darstellt zwischen genetischer Grundinformation und epigenetischer Schaltinformation. Das Genom des Menschen scheint sich in der Embryonalentwicklung erst langsam zu formen, es liegt nicht starr fest, sondern wird erst langsam Gestalt. Dabei spielt offensichtlich das Verhältnis zur Mutter und später auch zum Vater eine wesentliche Rolle. Die drei entscheidenden Phasen dieser Formung sind offensichtlich die pränatale Phase im Mutterleib, die Geburtsphase und die Pubertät.20
Interessant ist, dass in der Embryonalentwicklung viele „Aktivitäten“ bereits vom Embryo ausgehen. Sie reichen von der schon erwähnten Hormonausschüttung zur Verhinderung der Abstoßung bis hin zum langsamen Sich-Eingraben des Embryos in die Gebärmutter (zwischen 6. und 14. Tag) sowie der Ausbildung der Nabelschnur und der Geburtseinleitung durch den Fetus. Er gibt die Signale zum Beginn der Geburt. Daher sind frühzeitig eingeleitete Geburten und Kaiserschnitte (wenn sie nicht absolut notwendig sind) nicht das Mittel der Wahl, da der Fetus noch nicht zur Geburt reif ist und eine vorgezogene Geburt Stress bei ihm auslöst.
So ist der Entwicklungsprozess von der Zygote bis hin zum geborenen Kind eine Einbahnstraße. Der Organismus entsteht durch die Verschmelzung von Samen und Eizelle, er wächst, wird Gestalt und muss geboren werden. Bleibt er in seiner Entwicklung stehen oder im Geburtskanal stecken, stirbt er ab und vergiftet womöglich den Organismus der Mutter. Der Weg hin zur „Befreiung“ aus dem dunklen Mutterschoß, zum „Erblicken“ des Lichtes ist unumkehrbar. Lebensentfaltung ist Entwicklung nach vorne und bedarf eines geordneten Wachstums mit zielgerichteter Veränderung. Ohne eine solche Ordnung und Zielgerichtetheit ist der Organismus nicht lebensfähig.
5. Geburt – Neugeborenes
Der Fetus wird geboren, die Nabelschnur durchtrennt, das neugeborene Kind muss selbständig atmen. Dieses Von-selbst-Atmen nennt man Spontanatmung. Sie geschieht „von selbst“, man kann sie nicht machen. Man kennt zwar die physiologischen Mechanismen im Atemzentrum im Stammhirn, aber das Phänomen des „Von selbst“ taucht auch hier wieder auf. Setzt die Spontanatmung beim neugeborenen Kind nicht ein, müsste es beatmet werden. Auf Dauer aber muss es von selbst atmen. Tut es dies nicht und muss beatmet werden, stellt sich irgendwann die Frage, wann man die Beatmungsmaschine abstellen darf. (Um hier ein Kriterium einzuführen, hat man vor etwa vierzig Jahren das Hirntodkriterium definiert. Dies besagt, dass man den Patienten für tot erklärt, wenn in den drei großen Arealen des Gehirns – Großhirn, Zwischen-, Mittel-, Kleinhirn und Stammhirn – keine Aktivitäten mehr gemessen werden können, das sogenannte Nulllinien-EEG.). Solche Beatmungen geschehen auch bei Operationen, nach denen der Patient wieder von der Beatmungsmaschine wegkommen muss oder auch nach sogenannten Re-anima-tionen (wörtlich: Wiederbeseelungen), wenn nach einem Herzstillstand das Herz wieder zum Schlagen gebracht wird. Dann muss der Mensch solange beatmet werden, bis der Organismus sich erholt hat. Auch dann muss der Patient irgendwann wieder von der Maschine loskommen und allein atmen.
In all diesen Bereichen geht es um ein „Von-Selbst“: Beim Atmen, beim Herzschlag, bei der physiologischen Lebensentfaltung. Alle diese Dimensionen haben etwas miteinander zu tun. Das findet sich in vielen Kulturen und Religionen. In Meditationstechniken lernt man, auf seinen Atem zu achten und dadurch still zu werden. Man findet diese Zusammenhänge in Begriffen wie atman, was mit Atem und mit dem Ewigen zu tun hat. Im Alten Testament heißt es, dass Gott dem Menschen den Atem einhaucht – dargestellt im Gemälde von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle in Rom – und dass der Mensch am Ende seines Lebens den Atem wieder aushaucht. Man sagt, seine Seele verlasse seinen Leib. (Das Christentum geht von einer Leib-Seele-Einheit und der leiblichen Auferstehung des Menschen aus, so dass hier einige theologische Fragen entstehen, wie die Leib-Seele-Einheit nach dem Tod zu denken ist.) Auch der Herzschlag geht von selbst. Das Judentum sieht das Herz als den Sitz der Seele und tut sich deshalb mit der Hirntoddefinition schwer. Es akzeptiert sie, wenn damit ein Leben gerettet werden kann. Auch das Leben, die Zellteilung, der Stoffwechsel, die Zellkommunikation geschieht „von selbst“, das Lebendige braucht von außen nur Nahrung, Wasser und Licht, alles andere geschieht von innen von alleine.
Der Fetus wird also abgenabelt und das Kind muss selbständig atmen. Selbstverständlich ist das nicht, denn auch hier können viele Störungen auftreten wie zum Beispiel ein Atemstillstand (der allerdings bei Kindern selten ist, bei Erwachsenen immer wieder vorkommt). Mit der Geburt beginnt eine erste Form von Eigenstand. Das Kind ist abgeschnitten von der Nabelschnur, es erblickt das Licht der Welt und muss „selbständig“ leben und atmen, ohne selbständig zu sein. Es ist total abhängig von seiner Umgebung. Es tritt in eine neue Beziehung mit der Mutter ein. Im Lächeln der Mutter erkennt das Kind die mütterliche Liebe und wird durch sie „ins Bewußtsein gerufen“.21 Im weiteren Verlauf dieser Begegnung eröffnet sich ihm
„der Horizont des gesamten unendlichen Seins und zeigt ihm vier Dinge: 1. Daß es, eins’ ist in der Liebe mit seiner Mutter, obwohl ihr gegenübergestellt, also daß alles Sein, eins’ ist. 2. Daß diese Liebe, gut’ ist: also alles Sein, gut’ ist. 3. Daß diese Liebe, wahr’ ist, also alles Sein, wahr’ ist. 4. Daß diese Liebe, Freude’ weckt, also alles Sein, schön’ ist.“22
Durch das Lächeln der Mutter hindurch erkennt das Kind das gesamte Sein in seiner Einheit, Gutheit, Wahrheit und Schönheit: „Das Lächeln der Mutter wird vom Kind verstanden, wobei hinter der Bilderwelt die Welt des Seins im Ganzen sich lichtet: gleichzeitig im Ich und im Du, im Innen und Außen.“23
Auch die Mutter muss sich auf das neue Kommunikationsgeschehen einstellen. Aus der genetischen, hormonellen, zellulären, pränatalen „Kommunikation“ ist eine Kommunikation von Ant-litz zu Ant-litz geworden. Die Mutter blickt das Kind an und das Kind blickt die Mutter an (ant-litz, ahd.: gegen-blicken). Der Mensch ist der Gegen-Blicker, so wie er der Gegen-Worter, der Ant-Worter ist. Das Kind wird angeblickt und angesprochen, es blickt zurück, kann aber noch nicht mit Worten antworten. Es ist auf Blicke und Zuwendung der Mutter angewiesen, es selbst kann sich nur äußern durch Bewegungen und Schreien. Übermäßiges Schreien deutet dabei bereits auf eine Kommunikationsstörung mit der Mutter im Mutterleib hin oder auf eine körperliche Störung. Die Not des Kindes besteht darin, sich nicht verbal verständlich machen zu können. Es kommen Hunger, Durst und womöglich erste Schmerzen hinzu. Außerdem ist das Kind total abhängig von der Mutter oder von anderen Menschen, die sich um das Kind kümmern.
6. Kindheit
Das Kind versteht sich zunächst von der Mutter, dann auch vom Vater und der Umgebung, also vom Du her. Vom Du kommt es zum Ich. Wenn es anfängt zu sprechen, spricht es zunächst so, als wenn ein anderer über es spräche: „Paul Auto putt macht.“ Es dauert einige Zeit, bis das Kind „Ich“ sagen kann. Über die Innenwelt des Kindes kann man nur schwer etwas sagen. Das Kind kann sich nur rudimentär äußern. Erst wenn es sprechen kann, kann es mehr von sich mitteilen und schließlich sich selbst mitteilen. Die Mutter „versteht“ es meist besser als mancher Fremde. Wenn das Sprechen beginnt, beginnt eine neue Form der Kommunikation, die nonverbale wird durch die verbale ergänzt.
Sprechen lernt der Mensch durchs Sprechen. Das geht ebenfall fast wie „von selbst“. Ein Kind lernt Chinesisch genauso leicht wie Englisch oder Deutsch. Es spricht einfach nach, was es hört und dies geht nahezu unbemerkt von selbst vonstatten. Es wird angesprochen und spricht zurück. Das Sprechen in Worten ist dabei nur ein Teil der Kommunikation, es bleibt die nonverbale Kommunikation durch Zeichen und Gesten. Das Kind begreift die Dinge zunächst, indem es sie mit den Händen be-greift und anfasst, später begreift es sie auch geistig und lernt darüber zu sprechen.
Selbst wenn der Mensch das Sprechen erst langsam lernen muss, gehört doch die Sprache zu seinem Wesen. Auch Tiere haben eine Art „Sprache“ (Bienensprache), aber ihre Sprache dient vornehmlich der Verständigung. Zwar dient auch die menschliche Sprache der Verständigung, sie ist aber vor allem Selbstmitteilung. Im Sprechen gibt der Mensch etwas von sich preis, im Sprechen drückt er sich aus, im Sprechen öffnet er sich dem anderen. Sprechen ist auch notwendig zur Orientierung im Leben, zur Kulturbildung, zur Abstraktion des Konkreten im Begriff, zum Nachdenken über den Sinn des Lebens. Selbst Denken geht nur in Worten und ist ein Sprechen mit sich selbst. Außerdem ist der Mensch das Wesen, das ein Versprechen abgeben kann.
So beginnt das Wort im Menschen konkret zu werden, auch das ewige Wort. Der Dialog mit den Eltern und Gleichaltrigen beginnt. Es kommen Kindergarten und Schule hinzu, das Kind lernt lesen und schreiben, eine weitere Form, sich sprachlich auszudrücken. Was soll das Kind lernen? Es muss Wissen erwerben, um sich in der Welt zurechtzufinden. Innerhalb dieses Wissens, das von außen kommt und von Eltern und Schule vermittelt wird, bildet sich langsam auch ein inneres Wissen heraus. Es bildet sich langsam ein Ge-wissen heran, das einerseits schon angelegt ist und doch erst gebildet werden muss. Es ist eine Form von Wissen, das alles umfasst.
So wie ein Ge-birge den Zusammenschluss von Bergen meint, so ist das Ge-wissen ein Zusammenfließen von mehreren Arten von Wissen: Geisteswissen und Herzenswissen, Sachwissen und Faktenwissen, Wissen der Vorfahren und Eltern, Konventions- und Höflichkeitsregeln, Lernen von Geboten und Verboten, Respekt vor dem anderen und in allem das Lernen der Liebe durch das Geliebtwerden durch die Eltern (eine gute Beziehung zu Mutter und Vater vorausgesetzt). Das schon Angelegte des Gewissens und der Liebesfähigkeit muss entfaltet werden. Auch angelegte Talente müssen gefördert werden, damit sie sich entfalten können. Das Kind muss Beziehungen zu anderen Menschen lernen und sozialisiert werden. Wird es das nicht, kann es sich nicht in der Welt zurecht finden und wird möglicherweise „auf die schiefe Bahn“ geraten. Von jugendlichen Straftätern und Gefängnisinsassen sagt man oft, sie müssten nach der Verbüßung der Strafe re-sozialisiert werden. Offenbar können sie aber oft gar nicht re-sozialisiert werden, weil sie primär gar nicht sozialisiert worden sind.
Dieses Lernen und die Aneignung von Wissen ist aber nur ein Teil der Entwicklung und der Gewissensbildung. Es bietet dem Kind eine grobe Orientierung. Es handelt sich um das sogenannte Über-Ich Sigmund Freuds. Dem jungen Menschen wird von außen gesagt, was er zu tun und zu lassen hat. Sigmund Freud hielt dieses Über-Ich, das von außen geprägt wird und sich im Menschen internalisiert, schon für das ganze Gewissen des Menschen. Aber in all dem „Von außen“ ist immer auch schon ein „Von innen“ angelegt. Dieses „Von innen“ ist etwas je Einmaliges und Individuelles, das in den Bereich des Absoluten hineinragt. Es überschreitet das innerweltliche und relative Über-Ich sowie das Ich des Menschen. Daher ist das Gewissen mehr als das Über-Ich, es beinhaltet trotz aller innerweltlichen Prägung eine ganz andere Dimension des Seins.
Diese ganz andere Dimension ist das schon angesprochene Absolute auf dem Grund der menschlichen Seele. Dieses Absolute stellt nach christlicher Auffassung eine personale Größe dar, die ein personales Antlitz und ein Gesicht hat. Dieses personale Absolute ist jene Größe, die nach jüdischer Sicht im Lauf der Geschichte angefangen hat zu sprechen und sich nach christlicher Auffassung in der Person Jesu Christi verleiblicht hat. Sie ist auch in jedem Menschen „da“ und kann den Menschen im Gewissen „ansprechen“. Allerdings – so hat es Heidegger formuliert – spricht diese Stimme im Menschen in der Weise des Schweigens. Diese schweigende Stimme im Innersten des Menschen ist die Stimme der Wahrheit, christlich gesprochen die Stimme Gottes. Diese Stimme Gottes, die sich in der Person Jesu verleiblicht hat und die Stimme der Wahrheit ist („Ich bin die Wahrheit“, Joh 14,6), ist in jedem Menschen präsent.
Gäbe es diese „Stimme“ nicht, die mehr ist als das Über-Ich der Eltern oder äußerer Autoritäten, könnte ein Kind niemals zu einer anderen Gewissensentscheidung gelangen als die Eltern. Diese Stimme ist etwas Einmaliges und Neues. Sie ist in jedem Menschen präsent, wenngleich er zunächst von außen geprägt und damit fremd-bestimmt ist. Sie ist „da“, obwohl zunächst viele andere „Stimmen“ der Mutter, des Vaters, der Geschwister, der Freunde, des Über-Ich im jungen Menschen „sprechen“. Schon frühzeitig kann man dem Kind und dem späteren Erwachsenen helfen, diese fremden Stimmen von der leisen Stimme des Absoluten und der Wahrheit unterscheiden zu lernen . (Darauf wird später in Teil C über die Berufung des Menschen und die innere Stimmigkeit detailliert eingegangen.) Diese leise Stimme ist die Stimme eines ganz anderen und zugleich die tiefste Stimme des eigenen Ich, die das Ich im Sinne des Ego überschreitet. Der tiefste Grund im Menschen ist Dialog mit dem Absoluten. Dieser Dialog ist überlagert von vielen anderen Stimmen.
Es bleibt eine lebenslange Aufgabe, diese fremden Stimmen immer mehr von jener Stimme der Wahrheit unterscheiden zu lernen, die den Menschen schrittweise vom Fremden zum Eigenen, von der Heteronomie zur Autonomie führen will. Wirkliche Autonomie erlangt der Mensch, wenn er im absoluten Grund seinen Halt findet, der das Leben trägt und das innerweltliche Ich übersteigt. So wird die Unterscheidung der verschiedenen Stimmen, die in der geistlichen Literatur als Unterscheidung der Geister bezeichnet wird, zur zentralen Lebensaufgabe. Die frühzeitige Erziehung dazu hin ist von lebensentscheidender Bedeutung, da jeder wichtigen Entscheidung diese Unterscheidung vorausgehen sollte. Später wird genauer darauf eingegangen.
Neben dieser inneren Ausbildung muss das Kind aber auch eine äußere Ausbildung durchlaufen, es muss sozialisiert werden und Beziehungen leben lernen. Gerade auf diese Sozialisierung ist der Mensch existentiell angewiesen, da er als „physiologische Frühgeburt“ (Portmann) eigentlich viel zu früh und damit ganz unreif auf die Welt kommt. Er ist somit vollständig hilflos und total angewiesen auf die Zuwendung durch andere Menschen. Diese Sozialisierung geschieht zunächst in der Beziehung zur Mutter und zum Vater, dann auch in den Auseinandersetzungen mit Geschwistern und anderen Kindern.
Das Kind erfährt Freiräume und Grenzen. Es muss sich mit anderen reiben lernen und im wörtlichen Sinn mit ihnen auseinander-setzen. Das bedeutet zu erkennen: hier bin ich und dort bist du, hier ist meine Freiheit, dort ist deine Freiheit. Wir beide sind zwei ganz verschiedene Menschen und meine Freiheit endet dort, wo deine anfängt. Schon der junge Mensch muss in kleinen Schritten den anderen als den anderen erkennen und respektieren lernen. Er lernt Jungen von Mädchen zu unterscheiden, er wird Freunde und Gegner gewinnen, Freude und Enttäuschungen erfahren.
Er wird Laufen lernen und dabei immer wieder hinfallen. Die Schmerzen des Hinfallens werden ihn zu mehr Wachsamkeit erziehen. Würde das Hinfallen nicht Schmerzen verursachen, würde das Kind wohl nie wachsam genug werden, um richtig laufen zu lernen. Man schneidet sich in einer Sekunde in den Finger und es dauert Tage und Wochen, bis es heilt. Diese Diskrepanz kann dazu dienen, beim nächsten Mal aufmerksamer zu sein, um eine neuerliche Verletzung zu vermeiden. Wäre man genauso schnell wieder gesund, wie man sich verletzt hat, würde wohl kein Erkenntnisfortschritt stattfinden. Schmerz und Leiden können in diesem Sinn zu einer tieferen Erkenntnis und „Heilung“ führen. Das gilt für den Rest des Lebens und zwar nicht nur für körperliche Schmerzen, sondern auch für seelische.
Schließlich werden Kinderkrankheiten das Kind plagen. Kinderkrankheiten haben einen ganz physiologischen Sinn, nämlich jenen, das Immunsystem aufzubauen und zu stärken. Dieses Immunsystem ist für das ganze weitere Leben das Zentrum des physiologischen Abwehrsystems, das den Organismus vor Krankheiten schützen soll. Das Immunsystem hat – wie andere Zellen auch – ein Gedächtnis und muss ein Leben lang Bakterien, Viren, Pilze oder auch Krebszellen, die jeder in sich trägt, als fremd erkennen und abwehren. Krebszellen im fortgeschrittenen Stadium entziehen sich allerdings dem Immunsystem.
Gesundheit und Krankheit sind als Folgen von diesen Prozessen eine Frage des ständig aufrecht zu erhaltenden Gleichgewichtes zwischen „Angreifern“ und dem abwehrenden Immunsystem. Der Mensch steht in einem ständigen Kampf zwischen Krankheit und Gesundheit. Er ist umgeben von Millionen von Bakterien, Viren, Pilzen, und ein intaktes Immunsystem muss diese ständig in Schach halten. Durch diese ständige Auseinandersetzung bleibt das Immunsystem „fit“ und der Mensch gesund. Gesundheit ist eine Art Zwischenzustand zwischen krank und gesund. Man nennt dieses Gleichgewicht Homöostase. Die vermeintlich selbstverständliche Gesundheit muss immer wieder neu durch „physiologische Arbeit“ errungen werden. Sie ist nicht selbstverständlich.
So ist das Leben insgesamt eine ständige Auseinandersetzung zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Angreifern und Verteidigern, zwischen Schwerkraft und Leichtigkeit. Dies gilt auf der Ebene der Physiologie, des Zwischenmenschlichen, des Seelischen und des Geistigen. Ohne diese Auseinandersetzung wird der Mensch träge und ohne diese positive Spannung wird der Mensch leer und stirbt letztlich ab. Man findet diese Spannung und Auseinandersetzung bereits auf der Ebene der Physik mit der Schwerkraft der Welt. Diese lässt den Menschen überhaupt erst stehen und nicht abheben, sie bringt auch das Kind zum Hinfallen.
Nur wenn der Körper ständig mit dieser Schwerkraft „kämpft“, werden Knochen und Muskeln immer wieder aufgebaut und bleiben stabil. Jeder Astronaut, der sich im schwerelosen Raum bewegt, weiß, dass seine Knochen und Muskeln bald abgebaut sind, wenn er nicht hart trainiert. Wenn sie keinem Widerstand ausgesetzt sind, werden sie abgebaut. Ähnliches gilt für das gesamte Leben. Auch das Gehirn muss ständig trainiert werden in der Auseinandersetzung mit der Welt. Je besser diese Auseinandersetzung gelingt und je besser der Mensch geistig unterwegs ist, desto eher können Abbauprozesse im Gehirn verlangsamt werden.
Je älter das Kind wird, desto mehr kommen eigene Entscheidungen hinzu. Diese entscheiden mit über Glück und Unglück, Gesundheit und Krankheit, Leid, Gelingen oder Misslingen des Lebens. Natürlich spielen auch äußere Einflüsse eine große Rolle. Aber in allen äußerlichen Prozesse, in all den physiologischen, psychischen und zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen sind bereits geistige Prozesse zugegen. Die Prozesse der Auseinandersetzungen trainieren die psychischen und sozialen Fähigkeiten, sie dienen dem seelischen Reifungsprozess und im günstigsten Fall der Stärkung des Ich. Dieses Ich, das im Sinne der Psychologie im Idealfall zu einer gesunden Ichstärke heranreift (ohne im Egoismus stecken zu bleiben), ist auch jenes Ich, dass erst vom Absoluten her zu sich selbst heranreift.
In all den physischen, psychischen, sozialen Reifungsprozessen finden geistig-geistliche Prozesse statt. Der Geist ist im Menschen immer schon da und muss sich dennoch erst entfalten und entwickeln. Er muss im konkreten Lebensvollzug die verschiedenen Ebenen der naturwissenschaftlichen Vorgaben (Genetik, Geschlecht, Begabungen) und der psychischen Prägungen (Eltern, Umgebung) immer wieder neu durchdringen und zu einer inneren Ganzheit integrieren. Die schon vorhandene innere Ganzheit der Leib-Seele-Einheit24 muss im Alltag immer wieder neu errungen werden. Diese ist je neue Integrationsarbeit und erfordert Energie. Im Kapitel über innere Zerrissenheit und Stimmigkeit wird dies genauer erläutert.
Der physiologischen Tendenz zur Unordnung, die das Tote ausmacht und – wie schon gehört – als Entropie bezeichnet wird, muss ständig mittels Nahrungs- und Energiezufuhr entgegengewirkt werden. Den psychischen Tendenzen zur Desintegration der Kräfte muss durch Kultivierung der verschiedenen Triebe im Menschen entgegengewirkt werden, und der Geist des Menschen muss geistig-intellektuell und geistlich-spirituell gebildet werden, um die auseinanderdriftenden Antriebe je neu zur inneren Mitte zusammenzuführen. Dies geschieht durch Erziehung, Bildung und spirituell religiöse Unterweisung. Hier ist vor allem eine gute Pädagogik durch Eltern und Schule gefragt, die dem Menschen eine äußere und innere Bildung vermittelt.
Diese Bild-ung soll das Bild, das im Mensch schon „da“ ist, ans Licht holen. Sie sollte den Einzelnen zur Erkenntnis, Selbsterkenntnis und Erkenntnis des anderen führen, zur Selbstliebe und Nächstenliebe sowie zum Umgang mit Freude und Lebensfülle, aber auch zu Selbstbeherrschung und Verzicht anleiten. Und das alles dazu hin, dass der Mensch äußerlich und innerlich frei wird, Selbststand findet und zu seiner eigentlichen Größe heranreift. Alle Gebote und Verbote, alles Einüben von inneren Haltungen und Tugenden sollen nur dem einen Ziel dienen, dass das Leben gelingt und zur Erfüllung kommt – und das des Nachbarn auch.
Selbsterkenntnis, Fremderkenntnis, Selbststand-Finden, Selbstliebe und Nächstenliebe kommen allerdings erst zu sich, wenn sie durch das Relative hindurch den Grund des Absoluten finden. Erst von dort her führt die Erkenntnis zu tieferer Selbsterkenntnis und diese ist Voraussetzung für die Erkenntnis des anderen als des anderen (Levinas). Den anderen als den anderen zu erkennen und nicht nur durch die Brille eigener Prägungen, Vorstellungen, Projektionen, Wünsche und Verstellungen, ist die Voraussetzung für das Gelingen von Beziehungen. Die Rücknahme dieser Projektionen, die ein Leben lang zu leisten ist, ist ein Weg der Bewusstmachung eigener Prägungen und des sich je neu Überschreitens auf das Absolute hin. Eine gute religiös-spirituelle Erziehung kann dazu beitragen.