Kitabı oku: «Kirchliche Loyalitätspflichten und die Europäische Menschenrechtskonvention», sayfa 2
§ 2 GRUNDLAGEN
Die vorgestellte Problematik gewinnt aus zwei Gründen besondere Bedeutung. Zum einen ist dies die umfangreiche Betätigung der Kirchen als Arbeitgeber, zum anderen genießen diese, garantiert durch das deutsche Verfassungsrecht, einen in Europa fast schon einzigartigen Schutz.19
A. Die Kirchen als Arbeitgeber
Die Rolle der Kirchen in Deutschland20 hat sich gewandelt: ausgehend lediglich von der Glaubens- und Missionierungstätigkeit erlangen Tätigkeiten im sozialen Bereich immer größere Bedeutung. Manche gehen so weit, zu folgern, „aus der eigentlichen Glaubensmission sei eine christliche Sozialmission geworden“.21 Dem mag man zustimmen oder nicht – sind doch Glaube und soziale Hilfstätigkeiten kaum jemals trennscharf zu differenzieren22 – doch Fakt ist, dass gerade die zahlenmäßigen Anteile an Arbeitnehmern in Diakonie und Caritas gegenüber denen an Seelsorgern und Kirchenbeamten ungleich stärker ansteigen.23
I. Allgemeines: Arbeitnehmer und Kirchenbeamte
Generell kann die quantitative Bedeutung einer Tatsache am besten an Zahlen festgemacht werden: Die Kirchen sind nach dem Staat zweitgrößter Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland.24 Die Tendenz ist hierbei steigend. Wurden noch 1980 ca. 500.000 Angestellte bei den Kirchen sowie den ihnen zugeordneten Einrichtungen wie Caritas oder Diakonie verortet,25 wuchs die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer über 700.000 im Jahr 199526 geradezu sprunghaft auf die heutige Zahl von 1,227 bis 1,4 Millionen28 Beschäftigte an. Ob es in diesem Zusammenhang angemessen erscheint, von „schwindender Kirchlichkeit“29 zu sprechen, erscheint diskussionswürdig, muss aber hier nicht entschieden werden.30 Die Aufgabenfelder der heutigen Kirche und der in und von ihr beschäftigten Arbeitnehmer reichen von der traditionellen Glaubens- und Missionierungstätigkeit über kulturelle Aufträge, Erziehungs- und Bildungstätigkeiten hin zu Seelsorge, Senioren-, Familien- und Kinderhilfe, kurz: den gesamten Bereich sozialer Tätigkeiten in Deutschland.
Zu beachten ist, dass diese Arbeitnehmer der Kirchen in zweifacher Hinsicht qualitativ abzugrenzen sind. Arbeitnehmer ist nur, wer auf Grund privatrechtlichen Vertrags oder eines gleichgestellten Vertragsverhältnisses im Dienst eines anderen zur Arbeit verpflichtet ist.31 Zunächst findet also das staatliche Arbeitsrecht auf die Ämter der Geistlichen keine Anwendung.32 Die Zugehörigkeit zum geistlichen Stand wird in der katholischen Kirche durch das Sakrament der Weihe sowie in der evangelischen Kirche durch die Ordination begründet. Die genannten Personen werden also gerade nicht auf Grund eines Arbeitsvertrages, sondern auf Grund ihres Amtes beschäftigt.33 Zudem steht den Kirchen die Möglichkeit offen, Beamte zu beschäftigen. Diese Dienstherrenfähigkeit begründet sich aus dem Status der Kirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts gemäß Art. 140 GG i.V.m. 137 V 1 WRV. Die konkrete Ausgestaltung erfolgt durch Kirchengesetze, die jedoch teilweise den staatlichen Beamtengesetzen nachgebildet sind.34 Direkt anwendbar sind diese gemäß § 135 BRRG jedoch ausdrücklich nicht. Geistliche, Kirchenbeamte und zusätzlich noch Ordensangehörige35 sind also nicht dem hier zu untersuchenden Arbeitnehmerbegriff zuzuordnen.36
Eine weitere Differenzierung erfährt der Begriff der kirchlichen Arbeitnehmer intern.37 Differenziert werden kann nach der Nähe der Tätigkeit zum Verkündigungsauftrag der Kirche, einfach gesagt: nach dem quantitativen Grad der religiösen Prägung. Direkt in der Verkündigung Tätige, wie z.B. Chorleiter oder auch Pressesprecher, unterliegen demnach einer besonders starken religiösen Prägung ihrer Tätigkeit. Es folgen seelsorgerische, karitative und pädagogische Berufe, bei denen der Dienst am Menschen im Vordergrund steht. Zuletzt zu nennen sind die rein unterstützenden Berufe, bei denen nur eine – wenn überhaupt – sehr geringe religiöse Prägung der Tätigkeit angenommen werden kann. Neben administrativen Tätigkeiten können hier auch handwerkliche Berufe beispielhaft aufgezählt werden.
II. Die kirchliche Dienstgemeinschaft
Unabhängig von dieser Differenzierung wurde jedoch bereits oben dargelegt, dass nach christlich-kirchlichem Verständnis die Tätigkeiten der Kirche nicht vom religiös motivierten Auftrag zu trennen sind. Im Gegenteil: Nach evangelischem Verständnis besteht ein gemeinsames Priestertum aller Gläubigen.38 Im Katholizismus ist zwar die Unterscheidung von Klerikern und Laien konstitutiv; die fundamentale Gleichheit in der Teilnahme am Sendungsauftrag wird hierdurch aber nicht aufgehoben.39 Dies ist die Grundlage für den Begriff der christlichen Dienstgemeinschaft, die auch den kirchlichen Arbeitnehmern als Leitbild zu dienen hat.40 Nach dem Selbstverständnis der Kirchen ist vom „Auftrag gemeinsamer Sachwaltung im Haushalt Gottes“41 auszugehen. Es besteht also eine Einheit in der Sendung.42 Dieses Konzept wurde vom Bundesverfassungsgericht u.a. in der später noch zu beleuchtenden Grundsatzentscheidung im 70. Band ausdrücklich anerkannt.43 Anders als im herkömmlichen Arbeitsrecht besteht also kein Antagonismus zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite; vielmehr betätigen sich beide gemeinsam am Sendungsauftrag der Kirchen.44 Es handelt sich insoweit um eine kirchengemäße Alternative zum rein staatlichen Arbeitsrecht45 - natürlich als Teil desselben, als modifiziertes Arbeitsrecht.46
Bereits mehrfach wurde betont, dass evangelische und katholische Kirche sich hier nicht grundlegend unterscheiden,47 und so ist es denn auch. Die katholische Kirche folgert hieraus die Legaldefinition des Art. 1 GrO:
Alle in einer Einrichtung der katholischen Kirche Tätigen tragen durch ihre Arbeit ohne Rücksicht auf die arbeitsrechtliche Stellung gemeinsam dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann (Dienstgemeinschaft).
Für die evangelische Kirche lassen sich in vergleichender Hinsicht bereits die Thesen drei und vier der Barmer Theologischen Erklärung anführen, die die Einheit von äußerer Ordnung und Bekenntnis betonen.48 Herangezogen werden kann ebenfalls der zweite Satz der Präambel zum MVG.EKD: Die gemeinsame Verantwortung für den Dienst der Kirche und ihrer Diakonie verbindet Dienststellenleitungen und Mitarbeiter wie Mitarbeiterinnen zu einer Dienstgemeinschaft und verpflichtet sie zu vertrauensvoller Zusammenarbeit.49
Für die kündigungsrechtliche Fragestellung wendet sich die Dienstgemeinschaft – terminologisch fragwürdig, aber inhaltlich wohl zutreffend – in eine „Disziplinargemeinschaft“, indem ihr Loyalitätsobliegenheiten innewohnen.50
B. Die rechtliche Position der Kirchen in Deutschland
Bevor jedoch in concreto auf die spezifischen Loyalitätsobliegenheiten eingegangen werden kann, muss gleichsam als ihr rechtliches Fundament die grundsätzliche Rechtsposition der Kirchen in Deutschland beleuchtet werden.
I. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Schon denklogisch genießen die Kirchen nach dem deutschen Grundrechtekatalog einen besonderen Schutz. Schließlich handelt es sich bei den Kirchen um nichts anderes als einen Zusammenschluss von Trägern der Religionsfreiheit. Diese wird in Deutschland durch Art. 4 GG geschützt, welcher lautet:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Hierbei handelt es sich um einen weiten Schutzbereich, der seine Geltung im Übrigen oftmals auch gerade im Arbeitsrecht entfaltet.51 Art. 4 GG schützt im Grundsatz als individuelles Abwehrrecht zweierlei: das forum internum als Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie das forum externum als Freiheit des Bekenntnisses. Der Glaube muss dabei – auf das Rudimentärste herabgebrochen – eine wie auch immer geartete Gottesoder vergleichbare metaphysische bzw. ethische Vorstellung beinhalten.52 Religion beruht – getragen vom Glauben – auf der Eingliederung des Menschen in das irdische und überirdische Gesamtgefüge, das mit menschlichen Maßstäben weder zu begreifen noch gar zu beurteilen ist.53 Eine Weltanschauung vermag demgegenüber bei der Bewertung des Weltgeschehens auf übersinnliche und -natürliche Zusammenhänge zu verzichten und bezieht demnach nur greifbare Vorgänge ein.54 Da Religion und Weltanschauung gleichwertig verwendet werden, kann auf eine tiefergehende Differenzierung verzichtet werden.55
Die rechtliche Aussage von Art. 4 GG geht aber über das individuelle Abwehrrecht hinaus. Art. 4 GG garantiert vielmehr ebenfalls die Religionsgemeinschaften und Kirchen als „Gemeinde der Gläubigen.“56 Insoweit nehmen die Kirchen eigene Rechte als „Repräsentanten“ ihrer Mitglieder wahr.57 Die Religionsfreiheit dient also, und auch dies ist nur folgerichtig, gerade nicht nur dem Einzelnen.58 Die freie Ausübung einer Religion ist eben oftmals schlichtweg deckungsgleich mit dem Begriff und Bestand der Kirche.
Ergänzt wird diese, ihren Ausgangspunkt im individuellen Recht findende, Freiheit zur Vereinigung durch die institutionsrechtliche Gewährleistung der Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 ff. WRV, die Freiheit der Vereinigungen.59 Diese Artikel, bei denen insbesondere auf die Reichweite von Art. 137 III 1 WRV60 noch ausführlich einzugehen sein wird, regeln das Grundverhältnis zwischen Kirche und Staat, indem Letzterer anerkennt, dass den Kirchen eben die Organisationshoheit über ihre inneren Angelegenheiten im Rahmen der Selbstverantwortung zusteht.61 Zu Recht wird das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 III 1 WRV neben der Religionsfreiheit des Art. 4 GG sowie dem Trennungsprinzip aus Art. 137 I WRV als „dritte Säule der staatskirchenrechtlichen Ordnung des GG“ bezeichnet.62
Aus dem bereits angedeuteten „verfassungssystematischen Zusammenhang […] mit dem Grundrecht der Religionsfreiheit“63 folgt schließlich, dass Beeinträchtigungen des kirchlichen Selbstverwaltungsrechts zugleich als mögliche Verletzungen des Art. 4 GG mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können.64
II. Vom Verfassungsrecht zum Arbeitsrecht
Diese Selbstverwaltungsgarantie entfaltet ihre Wirkung eben auch gerade im Arbeitsrecht.65 Zwar findet, sofern sich die Kirchen zur Begründung von Rechtsverhältnissen der Privatautonomie bedienen, das staatliche Arbeitsrecht als „schlichte Folge einer Rechtswahl“66 Anwendung. Kaum jemals wird aber vertreten, dass dies ein schlichtes Entweder-Oder aus kirchenrechtlichem Statusverhältnis und gänzlich dem staatlichen, „normalen“ Arbeitsrecht unterworfenen Arbeitsvertrag zur Folge hat.67 Vielmehr hebt die Zuordnung zum staatlichen Arbeitsrecht die Einbeziehung kirchlicher Arbeitsverhältnisse in den Bereich der Selbstverwaltungsgarantie nicht auf.68 Diese Rechtskreise schließen einander also nicht aus, sondern modifizieren und ergänzen sich. Bezogen auf das kirchliche Arbeitsrecht bedeutet dies, dass – soweit man sich im Rahmen „der für alle geltenden Gesetze“69 bewegt – den Besonderheiten der Kirche bei der rechtlichen Würdigung von Arbeitsverhältnissen Rechnung zu tragen ist, was insbesondere Wirkungen im Kündigungs-, Streik- und Mitbestimmungsrecht mit sich bringt.70
C. Loyalitätsanforderungen der Kirchen im Vergleich
Auf dieser rechtlichen Grundlage haben die Kirchen die bereits erwähnte Stufung der Arbeitnehmer vor dem Hintergrund der kirchlichen Dienstgemeinschaft nach ihrer Nähe zum Verkündigungsauftrag zur Grundlage ihrer Loyalitätsanforderungen gemacht. Dass Ausformulierung der Loyalitätsanforderungen sowie ihre Stufung nach der Tätigkeit des Arbeitnehmers und seiner Nähe zum Verkündigungsauftrag den Kirchen selbst im Rahmen ihres Selbstverwaltungsrechts zustehen, hat das BVerfG in der oftmals zitierten Grundsatzentscheidung im 70. Band ausdrücklich festgehalten und die richterliche Kontrolle auf grobe Verstöße gegen die Rechtsordnung beschränkt.71 Es handelt sich hierbei nicht um eine „Klerikalisierung“ des Arbeitnehmers, die den Arbeitsvertrag gleichsam in ein kirchliches Statusverhältnis umwandelte.72 Nur Inhalt und Umfang der durch Vertrag begründeten Loyalitätsobliegenheiten können nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben festgelegt werden.73
I. Die kirchliche Dienstgemeinschaft als Anlass für Loyalitätsobliegenheiten
Die grundsätzliche Anerkennung der kirchlichen Dienstgemeinschaft führt ohne weiteres zur Anerkennung von zunächst einmal größeren Loyalitätserwartungen als bei anderen Arbeitnehmern.74 Es ist das kirchliche Proprium, die Eigenart der Kirchen, die dies verlangt.75 Durch die kirchliche Dienstgemeinschaft lässt Gott geschehen, was er am Menschen geschehen lassen will.76 Um die Wahrung kirchlicher Aufgaben nicht zu erschweren oder gar unmöglich zu machen, steht daher die kirchliche Dienstgemeinschaft als Leitbild über dem Tätigwerden kirchlicher Arbeitnehmer.77 Die Loyalitätserwartungen werden so zu Loyalitätsobliegenheiten. Macht man sich die Kirchen als „organisierte Gemeinschaften von Christen“78, gleichsam als Volk Gottes, bewusst, so ist es überzeugend, dass ihre Bediensteten ein „Vorbild für die Gläubigen im Wort, im Wandel, in der Liebe, im Glauben, in der Reinheit“ zu sein haben.79 Dies erfordert zur Wahrung der Glaubwürdigkeit der Kirche nach innen und außen die Auferlegung bestimmter Verhaltensobliegenheiten.80 Ein Beispiel: Niemand würde ernsthaft verlangen, dass als katholischer Geistlicher auch ein Moslem beschäftigt werden müsste, was aber geboten wäre, wären Diskriminierungen in keinem Fall erlaubt.81 Germann/de Wall formulieren hierzu pointiert und zutreffend: „Verkündiger können die Verkündigung stören.“82 Da sowohl dienstliches als auch außerdienstliches Handeln sich gleichsam vor die „Predigt von Gesetz und Evangelium schieben“ kann,83 muss beides Gegenstand von Loyalitätsobliegenheiten sein können – gleichwohl natürlich nicht grenzenlos.
II. Rechtsnatur von Loyalitätsobliegenheiten
Differenziert werden muss in diesem Bereich zwischen den allgemeinen arbeitsvertraglichen Pflichten, der fehlerfreien Erbringung der Arbeitskraft, die als Primärpflicht aus § 611 BGB i.V.m. aus dem Arbeitsvertrag erwächst, sowie den hier relevanten Obliegenheiten, die zur Loyalität gegenüber der Kirche aufrufen. Jedem allgemeinen Arbeitsvertrag liegt zugleich als Teil der allgemeinen arbeitsvertraglichen Treuepflicht ein Mindestmaß an Loyalitätspflicht zugrunde.84 Die §§ 242, 241 II BGB verpflichten einen jeden Vertragspartner und somit auch kirchliche Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber zur Rücksicht und zum Schutz und zur Förderung des Vertragszwecks.85 Ausgehend von dieser allgemeinen Formulierung haben sich in der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen etwa zu Aufklärungspflichten,86 zur Unterlassung von Nebentätigkeiten,87 Verschwiegenheitspflichten88 und Wettbewerbsverboten89 herausgebildet. Ein jeder Arbeitnehmer unterliegt also bis zu einem bestimmten Grad Loyalitätsobliegenheiten. Diese finden jedoch grundsätzlich ihre Grenze im privaten, außerdienstlichen Bereich. So formuliert Thüsing eingängig: „Der Privatbereich des Arbeitnehmers ist für den weltlichen Arbeitgeber tabu.“90 Der Arbeitnehmer kann nicht verpflichtet werden „ein ordentliches Leben zu führen und sich dabei seine Arbeitsfähigkeit und Leistungskraft zu erhalten.“91 Der weltliche Arbeitgeber wird also insbesondere nicht zum „Sittenwächter“ über Leben und Verhalten seines Arbeitnehmers.92 Tatsächlich kann der Arbeitnehmer nicht einmal dazu verpflichtet werden, über eben dieses Privatleben Auskunft zu erteilen.93 Ausnahmen sind nur in seltenen Grenzfällen möglich.94
Hier ist also der erste Unterschied zu kirchlichen Loyalitätsobliegenheiten zu erblicken. Die Kirchen verpflichten den Arbeitnehmer auf das Leitbild einer kirchlichen Dienstgemeinschaft,95 was ausdrücklich außerdienstliches Verhalten mit einbezieht.
Bei der Festlegung von Loyalitätsobliegenheiten handelt es sich nicht um eine Inanspruchnahme der allgemeinen Vertragsfreiheit96 oder etwa gar um Tarifrecht97, sondern vielmehr um religiöse Fragen und damit um eine Freiheit, die die Kirche als Religionsgemeinschaft wahrnimmt.98 Rechtsgrundlage der Loyalitätsobliegenheiten ist dennoch einzig der Arbeitsvertrag.99 Das Leitbild einer Dienstgemeinschaft wird also „mit den Mitteln des Vertragsrechts verwirklicht.“100
Zuletzt ist noch, der korrekten Begrifflichkeit halber, darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Loyalitätsobliegenheiten eben um solche handelt: Obliegenheiten. Im Gegensatz zu Nebenpflichten, deren Erfüllung einklagbar ist, besteht hier kein eigenständiger Anspruch auf ihre Erfüllung;101 lediglich ihre Nichtbeachtung kann gegebenenfalls eine Kündigung seitens des Arbeitgebers rechtfertigen.102
III. Abgrenzung der Loyalitätsobliegenheiten zum allgemeinen Tendenzschutz
Auch das weltliche Arbeitsrecht kennt Ausnahmen zum gerade dargestellten Grundsatz der Unberührbarkeit der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber. Dennoch zeigen sich hier entscheidende Unterschiede, die im Folgenden dargestellt werden sollen.103
1. Weltlich-säkularer Tendenzschutz
Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung kann das Kündigungsschutzrecht durch den Tendenzschutz beeinflusst und konkretisiert werden.104 Der Begriff des Tendenzschutzes wird geprägt von § 118 BetrVG. Demnach sind Tendenzbetriebe Betriebe, die „politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen“ oder „Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung“ dienen. Tendenzschutz ist also Grundrechtsschutz.105 Unabhängig davon, ob eine wirtschaftliche oder nichtwirtschaftliche Betätigung des Betriebes im Vordergrund steht,106 soll die freie Entfaltung der einschlägigen Grundrechte, die den genannten Zwecken zugrunde liegen, gesichert werden.107
In personeller Hinsicht betrifft dies vorrangig sog. Tendenzträger. Diese sind, da ihre Arbeit einen Tendenzbezug aufweist, auch im privaten Bereich dazu angehalten, die Tendenz des Unternehmens nicht zu gefährden oder ihr zuwiderzuhandeln.108 Tendenzwidriges Verhalten des Arbeitnehmers soll den Arbeitgeber dagegen abhängig von den Umständen des Einzelfalls zur ordentlichen oder außerordentlichen Kündigung berechtigen.109 Anderenfalls wäre die Glaubwürdigkeit des Tendenzbetriebes gefährdet. Konkret handelt es sich hierbei um gestufte Pflichten, bei denen die Nähe der Funktion des Arbeitnehmers zum Tendenzzweck zum einen über seine Tendenzträgereigenschaft per se sowie zum anderen über die Intensität möglicher Verhaltensanforderungen entscheidet.110
2. Strukturelle Unterschiede zur kirchlichen Dienstgemeinschaft
Man mag versucht sein, große Gemeinsamkeiten oder sogar eine Übereinstimmung von weltlichem Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht zu bejahen, nicht zuletzt, da bei beiden der Begriff der schützenswerten Glaubwürdigkeit im Mittelpunkt steht.111 Gleichwohl bestehen zwischen beiden materiell wie formell weit reichende Unterschiede. Die kirchliche Autonomie „beruht auf grundlegend anderen Fundamenten.“112 Handelt es sich beim Tendenzschutz um Grundrechtsschutz, so kann dieser nach der althergebrachten Grundrechtsdogmatik im Lichte der Verhältnismäßigkeit bewertet, gegebenenfalls eingeschränkt und mit den Grundrechten anderer in praktische Konkordanz gebracht werden.113 Bei der Selbstverwaltungsgarantie freilich handelt es sich gemäß Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV um die Eröffnung eines Freiraumes, der den Kirchen „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ zusteht und innerhalb dessen eben gerade keine Abwägung stattfinden kann. Vielmehr stehen sich die Rechtspositionen zweier Institutionen gegenüber, von denen keine gegenüber der anderen in Abhängigkeit geraten soll, was einer Abwägung widerspricht.114 Sowohl Grundlage als auch Ausprägung sind demnach grundverschieden. Das BVerfG urteilte daher folgerichtig in der Bremer Pastorenentscheidung, dass
„die Kirchen zum Staat ein qualitativ anderes Verhältnis besitzen als irgend eine andere gesellschaftliche Großgruppe (Verband, Institution); das folgt nicht nur aus der Verschiedenheit, dass jene gesellschaftlichen Verbände partielle Interessen vertreten, während die Kirche ähnlich wie der Staat den Menschen als Ganzes in allen Feldern seiner Bestätigung und seines Verhaltens anspricht und (rechtliche oder sittlich-religiöse) Forderungen an ihn stellt, sondern insbesondere auch aus dem Spezifikum des geistig-religiösen Auftrags der Kirchen.“115
Die Kirchen sind daher nicht nur aufgrund ihrer verfassungsrechtlich normierten Sonderstellung aus Art. 140 GG i.V.m. 137 III 1 WRV qualitativ anders zu bewerten als Tendenzbetriebe, sondern auch, da ihr Auftrag sich auf sämtliche Bereiche des Lebens erstreckt.116 Dem wird der partiell orientierte Tendenzschutz nicht gerecht. „Der Anspruch auf Verbindlichkeit der gelehrten Glaubenssätze in der Kirche ist etwas völlig anderes“.117 Reiner Tendenzschutz bliebe hinter diesem Anspruch zurück.
Das letzte Argument liefert schließlich der Gesetzgeber selbst. § 118 II BetrVG stellt ausdrücklich klar, dass das BetrVG auf Religionsgemeinschaften sowie die ihnen zugehörigen karitativen oder erzieherischen Einrichtungen unbeschadet ihrer Rechtsform gerade nicht anwendbar ist. Dies zeigt zweierlei: Zum einen besteht zwischen Tendenzschutz und kirchlichem Selbstverwaltungsrecht ein qualitativer Unterschied, denn Ersteres wäre ja bereits in § 118 I BetrVG geregelt.118 Zum anderen besteht ein quantitativer Unterschied: Der Schutz der kirchlichen Selbstverwaltungsgarantie ist intensiver.119
Ebenfalls nicht verwechselt werden dürfen kirchliche Loyalitätsobliegenheiten schließlich mit bestehenden Loyalitätspflichten im öffentlichen Dienst. Das BAG verlangt hier ein positives Verhältnis zu den Grundwerten der Verfassung, was insbesondere in Bezug auf die Mitgliedschaft in verfassungsfeindlichen Organisationen relevant werden kann.120 Derartig begrenzt ist das – zudem auf anderen Fundamenten ruhende – kirchliche Selbstverwaltungsrecht nicht.