Kitabı oku: «Schlachtfest», sayfa 4
„Und Jo ist wer genau?“, fragte sie ungeduldig.
„Jo Engelbert.“
„Okay, … vielen Dank!“ Es gab bei einem Mordfall jede Menge Details zu klären. Die Tatsache, dass man seine Kollegen nicht kennt, machte die Sache nicht einfacher. Sie trat noch einmal an die Tote heran und nahm ein paar Birkenzweige herunter. Die Frau hatte einen durchtrainierten Körper mit Tätowierungen, eine Rose auf dem Schulterblatt und ein Arschgeweih. Sie trug ein silbernes Armband, mehrere Ringe und diverse Piercings in den Ohren.
Enna stapfte über die matschige Wiese die Böschung hinauf, an den Zuschauern vorbei, um mit dem Reiter zu sprechen, der immer noch ungeduldig auf sie wartete.
„Gehen Sie bitte nach Hause, hier gibt es nichts zu sehen“, bat sie die Menschen.
„Ist die Schnieders-Kösters ermordet worden?“ Eine ältere Frau mit Rosenmuster-Regenschirm wollte es genau wissen.
„Wir können dazu noch nichts sagen, bitte gehen Sie!“, wies Enna die Wartenden an. Die Leute setzen sich langsam in Bewegung.
„Die wird sich wohl nicht freiwillig nackt unter den Haufen Gestrüpp gelegt haben“, murmelte ein älterer Herr. Enna stapfte weiter hinauf zur Straße.
Der Hund begann laut zu bellen. Die Anstrengung, die rutschige Böschung hinaufzusteigen und das Gebell des Hundes ließen ihre Kopfschmerzen erneut aufwallen. Es pulsierte und hämmerte gegen ihre Stirn und ihr Schädel fühlte sich an, als wollte er zerplatzen wie eine Melone. Ihre Hand wanderte in die Manteltasche, um nach den Kopfschmerztabletten zu greifen, doch sie hatte kein Wasser, um sie einzunehmen. Sie hatte den Mann noch nicht ganz erreicht, da erkannte sie ihn wieder. Vor ihr stand der blonde Reinhard, der Mann, der Jeden und Jede kannte. Auch die Tote. Die Welt war noch kleiner, als sie dachte.
„Na sowas! Schon so früh unterwegs?“, rief er aus. Er war völlig durchnässt. Sie reichte ihrer Schlachtfest-Bekanntschaft die Hand.
„Nicht freiwillig. Enna Kolder, Kriminalhauptkommissarin aus Maarsum“, stellte sie sich ordnungsgemäß vor. „Ich habe ja gesagt, ich komme wieder.“ Sie versuchte krampfhaft zu lächeln. Das hatte ihr gerade noch gefehlt, dass dieser Trunkenbold und Frauenheld ihr Zeuge war.
„Tja! Ich hatte aber eigentlich noch gestern Abend mit dir gerechnet. Mein Name ist Haverland.“ Er hatte einen enormen Händedruck und seine Hände waren überraschenderweise warm. Da er sie nicht weiter auf das Missgeschick mit dem Terrassenheizer ansprach, vermutete sie, dass er nicht mehr viel von dem Abend mitbekommen hatte. „Dann muss ich dich ja jetzt wohl Siezen“, meinte er lächelnd. Enna überlegte einen Augenblick.
„Nicht nötig.“ Sie war nicht der Mensch für Formalitäten. Der braune Hund, ein kräftiger Airdale-Terrier, kläffte immer noch aus voller Kehle. Schließlich wies er das Tier zurecht.
„Also ich habe die Tote heute bei meinem morgendlichen Ausritt gefunden“, begann er. „Genauer gesagt, mein Hund hat sie gefunden.“
„Hast du, oder dein Hund, irgendetwas am Fundort verändert, zum Beispiel die Zweige abgedeckt?“, fragte sie ihn.
„Ich bin natürlich gleich abgesessen und habe mir das angesehen. Das Bein schaute da raus, und da habe ich natürlich gedacht, da stimmt was nicht“, antwortete Reinhard wichtigtuerisch.
„Also hast du sofort erkannt, dass es sich um eine tote Person handelt?“
„Na ja, so wie meine Hündin angeschlagen hat, dachte ich erst, da ist ein Hase drunter. Dann war’s aber doch ein Häschen!“ Er setze ein frivoles Grinsen auf. „Und das Bein einer Dame erkenne ich auf den ersten Blick, glaub mir.“ Er grinste weiter.
„Ich glaube nicht, dass das ein Anlass für Scherze ist.“, sagte sie streng. Die Tatsache, dass Reinhard Haverland heute nüchtern war, erhöhte nicht die Qualität seiner Sprüche. „Du kanntest die Tote?“, fragte sie.
„Ich kannte sie, jawohl.“ Die Situation schien ihm nicht nahezugehen. Oder er war enorm abgebrüht. „Susanna hatte keine Klasse, … nicht so wie du!“, behauptete er dann. Enna konnte es nicht glauben. Es war ein Mord geschehen und er hatte die Nerven, sie anzubaggern. „Susanna Schnieders-Kösters war die Dorfmatraze“, fügte er hinzu. „Sie ging mit allem und jedem ins Bett.“ Der muss es wohl wissen, dachte Enna bei sich.
„Und du hast nichts am Fundort berührt oder an der Toten?“, fragte sie dann.
„Na ja, ich habe den Kopf etwas freigelegt“, gestand er. „Ich musste doch nachsehen, ob man ihr noch helfen kann. Aber so wie sie aussah, wusste ich gleich, dass sie tot ist. Habe dann noch versucht am Hals den Puls zu fühlen, da habe ich die Würgemale gesehen. Sie war schon eiskalt und ganz starr.“ Enna glaubte ihm. Sie hatte die Leiche gesehen.
„Reitest du jeden Sonntagmorgen hier lang?“, wollte sie wissen.
„Mal hier lang, mal dort lang. Die Pferde wollen ja bewegt werden.“
„Keinen Kater von gestern?“
„Na klar, und was für einen.“ Er grinste ein breites Grinsen. „Reiten macht den Kopf wieder klar. Kannst gerne mal mitkommen, wenn du Lust hast“, bot er an.
„Danke, mein Kopf ist völlig klar.“ Das war eindeutig gelogen, aber sie hatte keine Lust mit Reinhard in eine nähere Beziehung zu treten, nicht einmal zum Reiten. „Wie ist das mit der Schürfwunde in deinem Gesicht passiert?“, wollte sie von ihm wissen. Die Wunde hatte die verdächtige Form von Kratzspuren, ob von einem Menschen oder einem Tier, konnte sie nicht sagen. Reinhard fasste sich ins Gesicht und strich sich über die verheilende, schorfige Wunde.
„Ach das, … das ist vom Radfahren. Ich habe mit dem Gesicht gebremst. Soll man nicht machen, ist ungesund!“ Er lachte.
„Ist das gestern passiert?“
„Nee, am Freitag. Hatte schon was auf. Da konnte ich natürlich nicht mehr Auto fahren, Frau Wachtmeister, das können Sie sich ja vorstellen.“ Und wie genau sie sich das vorstellen konnte! Er war also auch am Freitag schon ziemlich betrunken gewesen. Und prahlte damit. Sie hielt das übermäßige Trinken keinesfalls für ungewöhnlich. Im Emsland wurde viel getrunken, dafür war es bekannt. Und bei Festen hielt sich kaum jemand zurück, das hatte sie in ihrer Jugend oft erlebt. Und auch selbst praktiziert. In Ennas Jugend gab es eine Phase, in der sie das Leben ausprobiert hatte, mit all seinen Möglichkeiten und Facetten. Alkohol hatte dazu gehört.
„Wann hast du Susanna Schnieders-Kösters zuletzt lebend gesehen?“, fragte sie schließlich.
„Puh, keine Ahnung. Wahrscheinlich am Freitag, am ersten Abend des Schlachtfestes. Ja, da habe ich sie kurz getroffen. Sie war mit Heinz dort, ihrem Vater. Und Marita, seine Lebensgefährtin, war auch da. Wird das jetzt ein Verhör, oder was?“ Susannas Tod ließ ihn definitiv völlig kalt.
„Nein. Aber ich möchte dich bitten, morgen auf dem Revier zu erscheinen. Für eine Zeugenaussage. Und ich möchte dich außerdem bitten, umgehend ins Krankenhaus oder zu einem Arzt zu gehen, für einen Blutalkoholtest. Vielen Dank.“ Reinhard pfiff missbilligend durch die Zähne.
„Und wenn ich mich weigere?“
„Macht dich das verdächtig“, antwortete sie kühl. Damit ließ sie ihn stehen. Sie vermutete, dass er noch Restalkohol im Blut hatte.
Reinhard Haverland stieg auf sein Pferd und befahl dem Terrier, ihm zu folgen.
„Bitch“, rief er ihr nach als sie außer Hörweite war.
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Sie hatte Kötter-Stroth gebeten, sie zunächst zum Ehemann der Toten zu fahren. Jens Schnieders wohnte in einem neu erbauten Einfamilienhaus, das etwa dreimal so groß war, wie ihr eigenes. In einem übergroßen Carport, der an das Haus angebaut war, standen ein neuer 5er BMW und ein Porsche Carrera älteren Baujahrs. In der Einfahrt parkte ein vergleichsweise billiger roter Seat. Das Haus aus cremeweißen Klinkern war ebenso gepflegt wie der Vorgarten. Alles war in einem eher konservativen Stil gehalten, hier und da erhoben sich weißgraue steinerne Figuren aus den flach angelegten bunten Rabatten. Es gab mehr Pflaster, Kies und Stein als Grün. Die Beete waren ordentlich gejätet und geharkt, jedoch fehlte es an jeglicher Üppigkeit und Großzügigkeit, die Staudenbeete prächtig und harmonisch aussehen ließen. Dieser Gärtner wollte Farbe, Vielfalt und Protz, aber auf keinen Fall natürlich wirkende Schönheit. Kötter-Stroth stieg aus und sah sich das Haus und den Vorgarten aus der Nähe an. Es war offensichtlich nach seinem Geschmack. Oder er wollte ihr einen Moment für sich gönnen, bevor sie die traurige Nachricht überbringen musste, da war Enna sich nicht sicher.
Sie blickte in den Spiegel über dem Beifahrersitz. Ihr ungeschminktes Gesicht glänzte regennass und ihre Haare waren durch den Wind zerzaust. Sie versuchte sie mit den Fingern zu glätten und steckte sie hinten unter den Mantelkragen. Enna hasste Aufgaben wie diese und hätte alles dafür gegeben, wieder warm und trocken auf ihrem Sofa sitzen zu dürfen. Selbst ein peinliches nachbarliches Gespräch mit Helmut Brackmann wäre ihr lieber gewesen.
Auf ihr Klingeln öffnete zunächst niemand. Dann hörte sie von innen eine Frauen- und eine Männerstimme im Wechsel. Nach einigem Hin- und Her wurde die Tür geöffnet. Enna war überrascht, Jens Schnieders hatte offensichtlich gerade Damenbesuch. Die Frau um die Dreißig, die durch den Türspalt lugte, trug einen Herren-Morgenmantel und wirkte leicht verschreckt als sie Enna und den uniformierten Kötter-Stroth vor der Tür erblickte.
„Guten Tag, ich bin Enna Kolder von der hiesigen Polizei, das ist mein Kollege Kötter-Stroth. Könnte ich bitte Herrn Schnieders, … Jens Schnieders, sprechen?“ Die Frau im Morgenmantel schaute einen Moment unschlüssig, als ob sie etwas fragen wollte und sich nicht traute.
„Jens?“, rief sie dann nach hinten. „Ist für dich. … Die Polizei.“ Aus dem Wohnhaus war keine Antwort zu vernehmen.
„Könnten wir vielleicht reinkommen?“ fragte Enna freundlich. Die Frau öffnete die Haustür ganz und ließ sie hinein. Enna sah sie sich genauer an. Sie schien das zu bemerken.
„Ich komme gerade aus der Dusche“, entschuldigte sie sich. Ihre schwarzen kurzen Haare waren nass und standen zu allen Seiten ab. „Jens?“, rief sie, diesmal lauter. Im Hausflur roch es nach Kaffee und Rührei.
„Ich komme sofort“, ertönte es aus dem Obergeschoss.
Sie wandte sich entschuldigend lächelnd an die Beamten. Jens Schnieders erschien auf dem Treppenabsatz. Er war ein Mann von Ende Dreißig und unterdurchschnittlicher Attraktivität.
„Die Polizei? In meinem Haus?“ Er erblickte die Beamten und stieg mit schlaksigen Schritten die weiße Marmortreppe hinunter. „Was ist denn passiert?“, fragte er, noch bevor er unten war. Er war lässig gekleidet, seine Jeans wurde von einem Ledergürtel unterhalb eines leichten Bierbauchs gehalten, das buntkarierte Hemd hing halb im Hosenbund, halb darüber. Enna hatte das unbestimmte Gefühl, die beiden bei etwas gestört zu haben. Er schob seine metallgeränderte Brille mit dem Zeigefinger nach oben und blickte die Beamten erwartungsvoll an.
„Habe ich was verbrochen?“, fragte er scherzend. „Ich war die ganze Nacht im Bett, fragen Sie meine Freundin.“ Er blickte zu der Dunkelhaarigen herüber, die im Türrahmen zur Küche stand.
„Herr Schnieders, entschuldigen Sie, dass wir Sie am Sonntag stören, aber ich müsste Sie kurz unter vier Augen sprechen“, begann Enna.
„Ich habe vor Maike keine Geheimnisse.“
„Ist schon gut“, wiegelte diese ab. „Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“
Enna lehnte dankend ab. Kötter-Stroth nicht.
„Darf ich noch Ihren Nachnamen erfahren?“, fragte Kötter-Stroth Maike.
„Wassermann. Maike Wassermann.“ Kötter-Stroth schrieb ihren Namen gewissenhaft in sein Notizbuch und notierte sich noch ihre Adresse und Telefonnummer. Dabei sah er sehr konzentriert aus.
Sie gingen ins Wohnzimmer, in dem sich der Wohnstil wiederfand, den man beim Anblick des Vorgartens erwarten durfte. Alles war hell und wirkte hochwertig, spiegelte aber kaum gegenwärtige Wohntrends wieder und passte nicht wirklich zusammen. Jens Schnieders Wohnzimmer war der Versuch, mangelnden Geschmack mit Geld wettmachen zu wollen.
Enna fand es schwer, die passenden Worte zu finden und zögerte. Für solche Fälle hatte sie sich einmal einen Text zurecht gelegt, aber der genaue Wortlaut wollte ihr nicht einfallen.
„Herr Schnieders, ich muss Ihnen leider eine traurige Nachricht überbringen“, begann sie. „Wir haben heute Morgen ihre Ehefrau Susanna tot aufgefunden. Wie es aussieht, ist sie einem Verbrechen zum Opfer gefallen.“ Jens Schnieders sah sie ungläubig an. „Mein herzliches Beileid“, fügte sie noch hinzu.
„Susanna? Tot?“ Er konnte es nicht fassen. Maike war ins Zimmer gekommen und schlug die Hände vor das Gesicht. Kötter-Stroth war ihr gefolgt, in der Hand eine Tasse Kaffee.
„Jemand hat Susanna umgebracht? “ Sie wirkte nun beinahe hysterisch. Jens legte den Arm um sie und versuchte sie zu beruhigen.
„Heinz hat mich gestern früh angerufen und mich gefragt, ob sie hier sei.“, klärte er sie auf. „Heinz Kösters, ihr Vater“, fügte er hinzu. Enna nickte. „Wissen Sie, wir leben getrennt. Susanna ist zu ihrem Vater gezogen. Sie ist am Freitagabend wohl nicht nach Hause gekommen. Ich habe ihm gesagt, er bräuchte sich keine Sorgen machen, das ist bei Susanna normal, dass sie mal woanders schläft.“ Er machte eine Pause. Jens Schnieders wirkte teilnahmslos. Enna konnte seine fehlende Reaktion auf den Tod seiner Frau noch nicht einschätzen.
„Sobald Sie dazu in der Lage sind, würden wir Sie bitten, Ihre Frau zu identifizieren“, Sie fand es schwierig, Menschen in einer solchen Situation zu befragen, aber sie wusste, dass die Umstände so schnell wie möglich ermittelt und so viel Informationen gesammelt werden mussten wie möglich. Der Zeitfaktor spielte eine erhebliche Rolle bei Mordermittlungen. Manchmal waren die Menschen am Anfang viel offener. Oft bewegte gerade der erste Schock sie zum Reden. Und das Vergessen wichtiger Details schritt rasend schnell voran, je weiter sich das Ereignis entfernte.
„Herr Schnieders, ich müsste Ihnen noch ein paar Fragen stellen.“
„Ja, natürlich“, sagte er nachdenklich. Maike hat sich schnell wieder beruhigt und machte sich von ihm los.
„Ich ziehe mir was über“, teilte sie Enna mit.
„In Ordnung. Sie sollten sich aber zu unserer Verfügung halten, wir müssen auch Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Maike nickte.
„Ist sie wirklich ermordet worden?“, fragte Jens, nachdem Maike den Raum verlassen hatte.
„Wir vermuten es, aufgrund der Art und des Zustands, in dem wir sie gefunden haben.“
„Der Art und des Zustands? Was soll denn das heißen?“, fragte er, nun lauter.
„Ein Reiter hat sie auf einer Emswiese gefunden, unter einem Haufen Zweigen versteckt“, antwortete Enna ruhig. „Da sie unbekleidet aufgefunden wurde, können wir auch ein Sexualverbrechen nicht ausschließen.“
„Unbekleidet? Susanna war die meiste Zeit unbekleidet!“ Er schnaubte verächtlich.
„Was wollen Sie damit sagen?“, fragte Enna vorsichtig.
„Wie gesagt, wir sind getrennt. Und das nicht ohne Grund. … Sie ist mehr als einmal fremdgegangen. Man könnte auch sagen, sie hat sich durch sämtliche Betten der Gegend gevögelt“, bemerkte er schnippisch.
„Seit wann sind Sie getrennt?“
„Seit drei Monaten etwa.“
„Und die Trennung war unmittelbare Folge eines Seitensprungs Ihrer Frau?“, wollte Enna wissen.
„Nein, nicht unmittelbar. Ich habe immer geahnt, was sie so treibt - getrieben hat“, sagte er resigniert. „Gewusst habe ich es seit ungefähr vier Monaten, da hatte sie was mit einem Kollegen aus dem Fitnessstudio. Ich habe die beiden erwischt, als sie es hier im Haus getrieben haben. Sie hat die angeblich kurze Affäre dann beendet und mir hoch und heilig geschworen, dass es ein einmaliger Ausrutscher war. Aber ich habe mich daraufhin mal umgehört. Da kam so einiges zutage, das kann ich Ihnen sagen!“
„Bei wem haben Sie sich umgehört?“, wollte Enna wissen.
„Bei Bekannten. … Ich habe Susanna dann zur Rede gestellt. Sie hat natürlich behauptet, alle würden lügen.“ Er zog sich selbstgefällig die Jeans höher. „Es stimmte aber.“
„Und dann haben Sie sich von ihrer Frau getrennt?“ Jens Schnieders schien gerade sehr auskunftsfreudig, den Moment wollte sie nutzen.
„Ich habe die Schlampe abserviert. Hat mich sowieso nur ausgenutzt, die ganze Zeit. Sie war nur auf mein Geld scharf. Wissen Sie, sie war die Art Frau, die ständig neue Klamotten brauchte, Schuhe, Schmuck, Kosmetik, was weiß ich!“ Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Es stimmte schon eine ganze Zeit nicht mehr zwischen uns. Sie brauchte ständig Aufmerksamkeit. Und ich habe nicht viel Zeit. Die Firma erfordert ständig meine Anwesenheit. Man könnte also sagen, unsere Interessen gingen weit auseinander.“
„Aber sie hatte auch ihr eigenes Geld verdient?“
„Sie hat im Fitnesscenter gearbeitet, hinter der Theke“, sagte er abfällig. „Wenn Sie das als Arbeit bezeichnen wollen! Wenn sie mich fragen, da war sie nur, um Männer abzuschleppen.“ Enna fragte sich, ob er wirklich nichts vom Lebenswandel seiner Frau gewusst hatte, oder ob ihm der einfach egal gewesen ist. Oder ob er ihm vielleicht doch nicht so ganz egal war und er das jetzt nicht zugeben wollte. Aber sie wollte ihn nicht mit Fragen in diese Richtung verärgern. Jetzt nicht. Noch nicht.
„Ihre Frau ist dann ausgezogen und wohnte seither bei ihrem Vater?“
„Richtig.“
„Gab es nach ihrem Auszug noch Probleme zwischen Ihnen?“
„Sie meinen, ob wir weiter gestritten haben? Ja klar! Jedes Mal, wenn wir uns begegnet sind. Sie hat mir gedroht, mich mit Hilfe ihrer Anwälte auszupressen wie eine Zitrone!“
„Hatte Sie denn die finanziellen Mittel, um das durchzusetzen?“, fragte Enna. Sie war überrascht, wie offen er mit den Fakten seiner Ehe umging und überlegte, ob ihn das eher verdächtig oder unverdächtig machte.
„Sie nicht, aber Daddy wird’s schon richten!“ Jens Schnieders blickte sie vielsagend lächelnd an.
„Entschuldigen Sie, aber ich muss das fragen“, sagte Enna dann und machte eine kurze Pause. „Wann haben Sie ihre Frau zuletzt lebend gesehen?“ Maike betrat in diesem Moment das Wohnzimmer und war überrascht und entsetzt über die Frage.
„Schon gut,“ sagte Jens Schnieders. Eine Armbewegung sollte Maike zeigen, dass sie sich nicht weiter aufzuregen brauchte. „Wir haben Susanna zuletzt auf dem Schlachtfest am Freitag gesehen, stimmt’s Schatz?“ Maike ging zu ihm hinüber und er legte wieder den Arm um sie.
„Das stimmt, wir sind ihr dort begegnet. Und es war wieder mal keine freudige Begegnung. Sie hatte einfach Probleme uns zusammen zu sehen, glaube ich.“ Maike schien sich wieder gefasst zu haben und wirkte nun eine Spur selbstsicherer. Jens nickte zustimmend.
„Hatte sie selbst gerade keinen festen Partner?“, fragte Enna.
„Nee, zu der Zeit lief da gerade mal nichts“, offenbarte Jens. „Das machte meine Beziehung zu Maike natürlich noch unerträglicher für sie.“ Enna wandte sich an Maike.
„Und wann sind Sie mit Herrn Schnieders zusammengekommen?“ Maike blickte ihren Freund unsicher an.
„Ungefähr ... also kurz nachdem Jens und Susanna sich getrennt haben.“
„Und das hat sie einfach so akzeptiert?“
„Sie hat mir natürlich eine Riesenszene gemacht und mir vorgeworfen, ich hätte sie hintergangen. Dabei war es im Grunde schon lange aus zwischen ihr und Jens. Das war doch keine richtige Ehe mehr!“ Enna war der Meinung, dass die eher ruhige Maike mit dem Mordopfer nicht viel gemeinsam gehabt haben konnte und fragte sich, wieso zwei so unterschiedliche Frauen befreundet gewesen waren.
„Wir haben nur noch nebeneinanderher gelebt“, pflichtete Jens seiner Freundin bei. Ennas Eindruck war, dass Maike und Jens sich wirklich gut zu verstehen schienen und in vielen Dingen einer Meinung waren. Für ihren Geschmack war das fast ein wenig zu viel Übereinstimmung. Und sie turtelten wie Frischverliebte, er konnte kaum die Finger von ihr lassen.
„Sie sind sich am Freitag auf dem Schlachtfest begegnet und haben gestritten. Worum ging es da genau?“, fragte Enna vorsichtig. Die beiden sahen sich an und zuckten mit den Schultern.
„Sie hatte wieder mit ihren Anwälten gedroht und mich dann auch noch als Schlampe bezeichnet“, antwortete Maike. „Wir sind dann einfach weitergegangen. Wollten uns nicht den Abend verderben lassen.“
„Und Sie haben sich das einfach so gefallen lassen?“, fragte Enna.
„So was hat sie ständig gesagt. Das haben wir gar nicht mehr ernst genommen.“ Maike schaute selbstzufrieden zu ihrem Partner hinüber.
„Sie war die Verliererin in der ganzen Sache. Das hat ihrem Ego einen ganz schönen Knacks versetzt“, meinte Jens. „Sie hat versucht uns das Leben schwer zu machen, wo sie nur konnte. Aber das ist ihr nicht gelungen. Und falls das Ihre nächste Frage ist: Nein, wir haben sie nicht umgebracht. Wir haben ihr so etwas ganz bestimmt nicht gewünscht, auch wenn wir nicht besonders traurig sind, dass sie nun tot ist.“
„Gut“, sagte Enna nur und blickte von einem zum anderen. Damit wollte sie es fürs erste belassen. „Wir möchten nicht länger stören. Nur eine Frage noch. Sind Sie sicher, dass Sie Frau Schnieders-Kösters nach diesem Freitag nicht noch einmal gesehen, evtl. am Samstag?“
„Nein. Samstag waren wir auch auf dem Schlachtfest“, berichtete Maike. „Aber da sind wir ihr nicht begegnet. Und auch sonst nirgendwo, also ich jedenfalls nicht.“ Sie blickte Jens an.
„Nein. Ich habe sie auch am Freitag zuletzt gesehen. Bei unserem Streit, danach nicht mehr. Da bin ich absolut sicher.“
„Wann haben sie beide das Schlachtfest am Freitag verlassen?“, wollte Enna noch wissen.
„Ich glaube wir waren um sechs zuhause“, meinte Jens. „Wir waren noch Spiegeleier essen bei Kalle. Kalle Meinert, ein Freund von uns. Um fünf ungefähr sind wir vom Schlachtfest aufgebrochen.“
Enna warf Kötter-Stroth einen Blick zu, der bedeuten sollte, dass sie nun gehen wollte. Er verstand und kippte hastig den Rest seines Kaffees hinunter. Jens brachte sie zur Haustür.
„Warten Sie!“, rief Maike plötzlich. Dann zögerte sie. „Sagen Sie, wie ist Susanna gestorben? Wie wurde sie ermordet?“ Enna blickte ihr ins Gesicht. Susannas Tod schien sie nicht völlig kalt zu lassen.
„Das wissen wir noch nicht genau. Es sieht im Moment so aus, als wäre sie erwürgt worden.“
„Guter Gott!“, rief Maike entsetzt. Enna war sich nicht sicher, ob ihr Entsetzen gespielt war. Sie fand außerdem, dass diese Frage ein wenig spät kam.
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Sie hatte noch darüber nachgedacht, ob es nicht besser wäre, die Tierschützer morgen, zusammen mit dem Oberkommissar ihrer Abteilung, zu befragen. Vier Augen sehen mehr als zwei, und vier Ohren hören mehr als zwei. Es war immer besser, jemanden für eine zweite Meinung dabei zu haben. Auch wenn Enna sich in erster Linie auf sich selbst verließ, sie war nicht so naiv zu glauben, dass eine einzelne Person alles richtig beurteilen konnte. Jede individuelle Sichtweise konnte fehlerhaft sein. Und manchmal schnappte man als Zuhörer mehr auf, als wenn man selbst der Fragensteller war. Sie hatte in Münster Kollegen gehabt, die sie um ihre Intuition und ihr Bauchgefühl beneidet und bewundert hatte, denn das war etwas, an dem es ihr selbst mangelte. Enna war eher ein Mensch, der sich auf Fakten verließ und Gefühl und Intuition wenig über den Weg traute. Im Allgemeinen war sie außerdem sehr von sich und ihrer Meinung überzeugt. Im Laufe ihrer Karriere bei der Polizei hatte sie jedoch mehr als einmal schmerzlich erfahren müssen, dass die Wahrheit oft komplizierter war, als sie sich auf den ersten Blick präsentierte. Es hatte Fälle gegeben, bei denen sie völlig falsch lag, in ihrer Einschätzung von Täter oder Tathergang. Sie hatte daraufhin die falschen Verdächtigen verhaftet, gegen den Rat der Kollegen. In einem Fall hätte der Mörder beinahe einen weiteren Mord verübt, weil er auf Grund ihres Irrtums die Gelegenheit dazu hatte. Inzwischen hatte sie gelernt, die Ansichten und Meinungen der Kollegen bei der Wahrheitsfindung zu nutzen und anderen Meinungen zu vertrauen.
Letztendlich hatte sie sich dennoch dazu entschlossen, den Tierschützern noch heute einen Besuch abzustatten. Der Zeitfaktor spielte die wichtigere Rolle. Sie musste von den Beteiligten oder Zeugen so viel in Erfahrung bringen, wie möglich und das so schnell wie möglich. Erinnerungen konnten verblassen, Personen konnten aus dem Blickfeld verschwinden. Es war nicht auszuschließen, dass der Täter sich noch in der Nähe aufhielt.
Das Schlimmste war für heute erledigt, das Schlimmste war die Benachrichtigung der Angehörigen. Das Furchtbarste, was es mitzuteilen gibt, ist der Tod eines nahestehenden Menschen. Auch wenn man nur der Bote ist, ist man doch derjenige, der diesen Schmerz unmittelbar auslöst. Das war eine Aufgabe, die sie immer betroffen machte. Auch wenn es heute für die Angehörigen offenbar keine traurige Nachricht war, die sie überbracht hatte. Niemand schien etwas für die Tote übrig zu haben. Dennoch, oder gerade deswegen, verstärkte sich das Mitleid, das Enna für das Opfer empfand. Empathie war ihr nicht fremd. Sie war ein Faktenmensch, aber nicht eiskalt.
Sie hatte mit Jens Schnieders vereinbart, dass dieser selbst seinen Schwiegervater Heinz Kösters benachrichtigen würde. Das war für die Betroffenen oft einfacher, als wenn sie die Nachricht von der Polizei erhielten. Mit der Erledigung dieser schweren Aufgabe ließen auch ihre Kopfschmerzen langsam nach. Es war inzwischen später Nachmittag und der Himmel hing voller dunkler Wolken, die langsam von Sonnenstrahlen durchbrochen wurden. Der Regen hatte aufgehört und war einer heftigen Schwüle gewichen. Enna hat das Fenster des Wagens auf ihrer Seite geöffnet, damit frische Luft herein strömte und die feuchte Kleidung trocknete. Der Wind spielte mit ihrem offenen Haar. Doch entspannen konnte sie sich nicht.
Auf der Fahrt zurück in den Duisterwald betrachtete Enna ihren Kollegen Bernd Kötter-Stroth, der den Wagen lenkte. Der leicht untersetzte ältere Mann wirkte ruhig und ausgeglichen, trotz allem, was heute passiert war.
„Sind Sie verheiratet?“, fragte sie ihn.
„Seit vierzig Jahren …glücklich! Und Sie?“
„Ich? Nein.“ Sie machte eine nachdenkliche Pause. „Vierzig Jahre sind eine lange Zeit.“
„Das können Sie auch noch schaffen. Sie sind noch jung!“
„Ich glaube, das schaffe ich nicht mehr!“ Enna lachte. Der einzige Mann, den sie hätte heiraten wollen, war Rüdiger. Doch selbst wenn es zwischen ihnen anders gelaufen wäre, wenn sie bei ihm geblieben wäre, er sich von seiner Frau getrennt hätte. Rüdiger war 58 Jahre alt. Der Gedanke, ihn zu heiraten, erfüllte sie mit Schmerz. Sie atmete tief durch.
„Ist alles okay?“, fragte Kötter-Stroth.
„Ja, alles Bestens!“, log sie. Sie waren im Wald angekommen. Kötter-Stroth parkte den Polizeiwagen am Rand eines Forstwegs. Das letzte Stück bis zum Camp der Tierschützer müssten sie laufen, erklärte der Kollege ihr. Enna war froh, wieder an der frischen Luft zu sein und stapfte zügig los. Der ältere Mann hatte Schwierigkeiten, ihr zu folgen.
Das Camp der Tierschützer befand sich auf einer Lichtung mitten im Duisterwald. Als sie dort eintrafen, schien man die Polizei schon erwartet zu haben. Die jungen Leute, die in Gruppen zusammen standen oder saßen, blickten sie neugierig an. Ihre Gespräche verstummten. Das Camp bestand aus etwa einem Dutzend Zelten, um einen freien Platz herum angeordnet, und einem großen Baumhaus, das ein paar Meter weiter in die Krone einer mächtigen Eiche gezimmert war. Es wirkte wie ein Patchwork aus verschiedenen Holz- und Kunststoffteilen, Möbeltüren, Tischplatten und Bauholz und sah aus wie ein Spielhaus für Kinder, wenn man von Größe und Höhe absah. Eine Strickleiter, die von einem Ast herabhing, führte auf die überdachte Plattform hinauf. Daneben hing eine Absturzsicherung herunter, ein Harnisch aus Lederbändern, wie man ihn beim Sportklettern benutzte. Der Wind rauschte in den Blättern und ließ das Wasser von den Bäumen tropfen. Die warmen Temperaturen zusammen mit der hohen Luftfeuchtigkeit, die fast als Dampf wahrnehmbar war, verlieh der Szenerie etwas Tropisches.
Die Gruppe der Tierschützer, etwa zwanzig junge Männer und Frauen, bemerkten die Neuankömmlinge im Wald schon von weitem. Einige standen von ihren Klappstühlen auf. Enna und Kötter-Stroth betraten das Gelände so schnell, wie es der matschige Untergrund erlaubte und sahen sich unter den Jugendlichen um, die hier einen belebten Fleck mitten im stillen Forst geschaffen hatten. Mit ihrem Eintreffen lösten sich zwei junge Männer aus der Gruppe und traten ihnen entgegen. Durch ihr selbstbewusstes Abheben von der Masse erweckten sie den Anschein, die Anführer der Truppe zu sein. Enna hatte die beiden schon unter den Schaulustigen an der Fundstelle der Leiche gesehen. Die beiden Polizisten hielten ihre Dienstausweise in die Höhe.
„Kolder. Das ist mein Kollege Kötter-Stroth“, stellte Enna sie mit lauter Stimme vor. Sie blickte in die Runde. Hier war kaum jemand älter als Fünfundzwanzig. „Wir sind hier, weil wir ein paar Fragen an Sie haben.“
„Geht es um die Tote?“ Einer der beiden jungen Männer, ein großgewachsener sportlicher Typ mit schulterlangen Haaren, trat auf sie zu. „Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen. Das ist friedlicher Protest hier!“ Seine Stimme war laut und rebellisch.
„So friedlich war ihr Auftritt auf dem Schlachtfest gestern aber nicht!“ Enna wollte zumindest den Anschein erwecken, dass sie Bescheid wusste, auch wenn sie bisher noch nichts über die Aktionen dieser Protestler erfahren hatte. Einige der Tierschützer blickten sich an. „Das ist aber nicht der Grund, warum wir heute hier sind“, fuhr sie mit lauter Stimme fort, wie die Lehrerin vor einer Schulklasse. „In diesem Abschnitt des Duisterwalds, nahe der Ems, wurde eine Tote gefunden, wie Sie vermutlich schon gehört haben. Wir kennen noch nicht alle Einzelheiten, aber alles deutet darauf hin, dass sie erwürgt worden ist. Einige von Ihnen waren ja, bereits am Fundort.“ Sie blickte die vermeidlichen Anführer streng an. „Wir möchten Sie bitten, sollten Sie irgendwelche Hinweise zu dieser Sache geben können, uns diese unverzüglich mitzuteilen. Hat irgendjemand von Ihnen in den letzten Tagen oder Nächten hier im Wald etwas beobachtet?“ Sie lief die Runde ab und schaute den Umstehenden ins Gesicht. „Etwas was ungewöhnlich war, nicht alltäglich oder sogar verdächtig? Jede Kleinigkeit kann wichtig sein.“ Sie schaute in teilnahmslose, desinteressierte Gesichter mit maskenartigem Ausdruck. Niemand schien mit der Polizei zusammenarbeiten zu wollen. Sie bemerkte, wie der jüngere der beiden Anführer den langhaarigen älteren anblickte, während sie ihre Aufforderung aussprach. Dieser ignorierte ihn jedoch völlig. Enna trat auf die beiden zu. „Haben Sie etwas beobachtet?“, fragte sie den jüngeren.