Kitabı oku: «Das Buch der Gaben», sayfa 13
Frau Erdmann wand sich sichtlich unbehaglich.
„Hab ich doch gar nicht. Sie sind einfach reingekommen. Der eine Junge da ist der Sohn von Herrn Seefeld. Sie möchten, dass Sie seinen Vater wieder einstellen.“
Tommy lachte. „Genau! Und außerdem können wir durch Wände gehen! Das ist ganz einfach, wenn man eine Holografie hat!“
„Häh?“, machte Schnösel.
„Ach, da ist noch etwas“, fuhr Tommy fort. „Wir können auch Gedankenlesen.“
Ich bekam einen Schreck. Niemand durfte doch wissen, dass wir eine solche Gabe besaßen! Was sagte Tommy da nur? Aber da stieß Janine mich an und flüsterte: „Der ist so doof, der glaubt das sowieso nicht!“ Damit hatte sie den Nagel auf den Kopf getroffen.
„So ein Schwachsinn!“, brüllte Schnösel aufgebracht. „Macht, dass ihr rauskommt! Aber dalli! Sonst rufe ich die Polizei!“
„Sanne? Bist du bereit?“, fragte Tommy leise und nickte ihr aufmunternd zu. Sanne ballte die Faust mit den Kugeln in Richtung Schnösel.
„Und ob! Was soll ich ... ?“
Tommy überlegte nicht lange und schaute aus dem Fenster. „Ich finde, der Porsche muss weg. Der ist zu teuer. Aber warte noch einen Moment. Vielleicht überlegt es sich Herr Krauthahn ja noch.“
Der angesprochene Angeber hatte gar nicht richtig zugehört, sondern tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn.
„Ich glaub, du tickst nicht mehr ganz richtig! Den Seefeld wieder einstellen? Der hat doch nur Fehler gemacht! Und faul war der auch! Und jetzt raus! Ich sage es zum letzten Mal: Ich rufe die Polizei!“
„Wollen Sie doch gar nicht“, sagte Tommy immer noch so ruhig wie vorher. „Dann käme vielleicht heraus, dass die Kündigung gar nicht rechtmäßig war und Herrn Seefeld eine große Abfindung zusteht, weil er schon so viele Jahre für die Firma gearbeitet hat.“
Jetzt war Tommy wohl zu weit gegangen. Herrn Krauthahns Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, und er machte wutentbrannt einen Schritt auf Tommy zu.
„Du ... ich schmeiß dich höchstpersönlich raus!“
Tommy wich zurück und sagte hastig zu Sanne: „Jetzt!“
Vorsichtshalber schirmten wir Sanne vor Herrn Krauthahn ab und meine Schwester zögerte keine Sekunde.
„Ich wünsche, dass der Porsche von Herrn Krauthahn eine alte Karre wird!“
Au Mann, was war ich gespannt! Es war höchste Zeit! Dieser blöde Chef hatte Tommy schon am Arm gepackt, als von draußen ein gedämpfter, aber deutlich vernehmbarer spitzer Schrei ertönte. Und dann ging es los wie eine Sirene: „Peeeeter ... !“
Mit Peter war ohne Zweifel Krauthahn junior gemeint. Der machte einen Schritt beiseite, um durch das Fenster sehen zu können. Ihm fielen fast die Augen aus dem Kopf. Tommy machte sich los und wir alle drängten uns vor die Schreibe. Selbst Frau Erdmann stellte sich hinter uns.
Draußen bot sich ein seltsames Bild. Ein uraltes Opa-Auto stand genau an der Stelle, an der eben noch das Porsche-Cabrio geglänzt hatte. Ein Opel in jägergrün! So ein olles Ding hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Und ein Cabrio war es auch nicht mehr. Die Beifahrertür stand offen und Blondie stand neben dem Wagen. In der Hand hielt sie ihren roten Lippenstift, und eine breite rote Spur verlief von ihrem Mund die Wange hinauf. Die musste vielleicht einen Schreck beim Schminken bekommen haben! Da stand sie nun, gaffte auf das Auto und schrie dauernd: „Peeeter!“
Peter rührte sich nicht. Er sagte nur einen Satz. Aber den immer wieder: „Wo ist mein Auto? Wo ist mein Auto ... ?“
Wir fingen an zu lachen. Wir lachten so doll, dass auch Frau Erdmann nicht anders konnte, als mitzulachen. Es hatte funktioniert! Und wie es funktioniert hatte!
Aber dann sah ich Herrn Krauthahns Gesicht, und mir blieb das Lachen im Halse stecken. Wutentbrannt und mit zusammengepressten Lippen starrte er uns an.
„Wer ist noch mit euch gekommen?“, presste er heraus. „Wer hat mein Auto gestohlen? Das werdet ihr mir büßen!“ Und dann fing er an zu brüllen. „Ich werde dafür sorgen, dass ihr alle in ein Heim kommt!“
Tommys Buch glühte dunkelrot, und er fuhr zurück.
„Passt auf“, rief er. „Er will uns verprügeln! Sanne! Mach schnell! Wünsch einen lieben Chef!“
Mit vor Wut knallrotem Gesicht hob Herr Krauthahn die Hand, um Tommy eine Ohrfeige zu verpassen, da fuhr Sanne dazwischen.
„Ich wünsche, dass Herr Krauthahn ein lieber und guter Chef wird“, rief sie laut. „Und dass es der Firma wieder gut geht!“, fügte sie schnell noch hinzu.
Ich konnte nur hoffen, dass das nicht zuviel des Guten war und Sanne nicht übertrieben hatte. Aber dann ...
Mitten in der Bewegung hielt Herr Krauthahn inne. Seine aufgebrachte Miene verwandelte sich in gutmütiges Erstaunen. Langsam ließ er die Hand sinken und blickte uns an, als hätte er uns noch nie zuvor gesehen.
Sanne öffnete ihre verkrampften Finger und feiner weißer Staub rieselte auf das teure Parkett. Jetzt hatte sie nur noch zwei Kugeln! Dann sagte sie etwas, das unsere Spannung endgültig löste.
„Herr Krauthahn, Sie sind jetzt lieb. Und das bleibt so. Basta!“
Der gute Mann stand da und lächelte. Ja, er lächelte! Von draußen hörte ich immer noch dieses penetrante Peeter!, aber niemand kümmerte sich darum. Frau Erdmann stand da und begriff das alles nicht.
„Natürlich bin ich lieb“, sagte ihr Chef und zuckte hilflos die Schultern. „War ich doch immer. Frau Erdmann, warum haben die Kinder nichts zu trinken? Möchtet ihr eine Cola?“
Wir nickten begeistert. Ich konnte es nicht glauben. Wir hatten es geschafft!
„Ich möchte lieber ein Wasser“, sagte Tommy. „Und ... Herr Krauthahn ... “
„Ja?“
„Denken Sie noch an Herrn Seefeld?“
Herr Krauthahn runzelte die Stirn. „Was ist mit ihm?“
„Sie haben ihn entlassen!“
„Ich ihn entlassen? Das kann nicht sein. Er war unser bester Mann. Frau Erdmann, das stimmt doch, oder?“
Frau Erdmann wand sich unbehaglich. Sie verstand die Welt nicht mehr und ich konnte es ihr nicht verdenken. Immer wieder wanderte ihr Blick nervös vom Fenster zu Herrn Krauthahn und zurück.
„Er war der Beste. Aber Sie haben ihn trotzdem entlassen“, sagte sie unsicher.
„Dann stellen wir ihn sofort wieder ein! Verbinden Sie mich mit ihm. Hoffentlich hat ihn uns nicht schon jemand anders weggeschnappt.“
Er wirkte jetzt ehrlich besorgt.
„Warten Sie bitte noch bis halb fünf“, sagte ich schnell. Mir war eingefallen, dass unser Vater ja dann erst nach Hause kam und es großen Ärger geben würde, wenn meine Mutter den Hörer abnahm. Sie wusste ja von nichts.
„Gern. Wenn ihr es so wollt. Kein Problem. Vielleicht sollte ich auch über einen Dienstwagen mit ihm reden, damit er wiederkommt“, fügte er dann noch hinzu.
Glücklich sahen wir uns an. Tommy steckte das Buch der Gaben zurück in seine Hose. Er brauchte es jetzt nicht mehr. Ich war sicher, dieser Herr Krauthahn würde niemals lügen.
Auf einmal klingelte jemand wie wild an der Eingangstür. Frau Erdmann ging hinter ihr Pult und betätigte den Türöffner. Mit einem Knall flog die Tür auf, und herein stürmte eine völlig aufgebrachte wutschnaubende Barbie. Die hatten wir ja völlig vergessen!
„Peter!“, rief sie und dann wieder: „Peter! Ich schreie mir da draußen die Seele aus dem Leib und du kümmerst dich überhaupt nicht um mich! Das kannst du nicht mit mir machen! Ich will jetzt ins Casino. Und danach wolltest du mich zum Kosmetikstudio fahren! Aber eins sag ich dir: Nicht mit dieser alten Karre! Was sollen die denn von mir denken!“
Herr Krauthahn sah äußerst unglücklich aus. Janine beugte sich zu mir rüber und flüsterte mir was ins Ohr: „Ich glaube, Peter könnte eine neue Freundin gebrauchen. Was meinst du?“
Ich nickte. „Wenn die hier bleibt, gibt’s nur Probleme. Mach ruhig!“
Tommy hatte unser Tuscheln bemerkt, schmunzelte und nickte dann aufmunternd. Und dann opferte auch Janine ihre nächste Kugel.
„Ich wünsche, dass Herr Krauthahn eine nette Freundin hat!“, sagte sie leise, aber eindringlich.
„Was hast du gesagt?“, fragte Frau Erdmann freundlich.
„Sie hat gesagt, dass sie sich eine nette Freundin wünscht“, kam es an ihrer Stelle von unserer Barbie. „Aber die hast du doch schon“, fügte sie lächelnd hinzu und schaute auf Sanne. „Ich glaube, dass die Kinder hier alle richtig in Ordnung sind. Bleiben Sie ruhig hier, Frau Erdmann. Ich werde den Kindern was zu trinken holen!“
„Drei Cola und ein Wasser“, murmelte Frau Erdmann.
Wir Vier nickten grinsend. Frau Erdmann war jetzt völlig verdattert. Wie gern hätte ich in diesem Moment Tommys Buch gehabt, um ihre Gedanken lesen zu können! Es würde sicher eine Weile dauern, bis Frau Erdmann diesem neuen Chef und der völlig veränderten Freundin trauen würde! Der lammfromme Herr Krauthahn sah seine neue Freundin glücklich an. So gefiel sie ihm!
Na, und uns gefiel die neue Ausgabe von Blondie natürlich auch viel besser. Aber viel wichtiger war ja, dass Schnösel nun ein ganz neuer Mensch war. Herr Krauthahn und seine Freundin und natürlich auch Frau Erdmann wollten uns jetzt richtig bemuttern und brachten jede Menge Getränke und sogar etwas zum Knabbern. Doch so langsam lief uns die Zeit davon. Wir wollten unbedingt vor halb fünf wieder zu Hause sein, um zu verhindern, dass Mutter ans Telefon ging, wenn der Anruf für meinen Vater kam. Wir saßen wie auf Kohlen, und so nett die drei jetzt auch waren, um zehn vor vier mussten wir uns losreißen, um rechtzeitig nach Hause zu kommen.
Als wir uns verabschiedeten, konnten wir uns gar nicht mehr vorstellen, wie gemein Herr Krauthahn noch vor einer Stunde gewesen war.
Vor der Tür sahen wir das klapprige Opa-Auto mit der Klo-Rolle auf der Hutablage auf dem Parkplatz stehen. Ganz unauffällig gingen wir daran vorbei und drehten uns nicht ein einziges Mal um. Ein ganz kleines schlechtes Gewissen hatten wir ja denn doch. Aber wirklich nur ein ganz, ganz kleines.
Jessie
Es war ganz schön knapp, als wir nach Hause kamen. Kurz nach halb fünf. Mein Vater war schon da und bastelte an einer Lampe im Wohnzimmer herum. Natürlich hatte er sicherheitshalber den Strom abgestellt, und so konnte ich immer noch nicht ins Internet, um nach der Mondphase zu suchen. Aber das hatte ja auch noch Zeit. Erstmal warteten wir auf den Anruf von Herrn Krauthahn. In der Zwischenzeit holte ich eine riesige Schüssel für die Chips, vier Gläser und genügend Mineralwasser aus der Küche. Dummerweise klingelte genau in dem Moment das Telefon, in dem wir die Sachen in meinem Zimmer abstellen wollten. Da mein Vater auf der Leiter stand, ging meine Mutter ans Telefon. Genau das hatten wir verhindern wollen!
„Ja bitte? Hier ist Seefeld.“ Wir erstarrten.
Meine Mutter sagte eine Zeit lang gar nichts, sondern lauschte nur der Stimme des Anrufers. Dann kam nur ein: „Helmut! Dein Chef! Komm mal bitte!“ Sie legte den Hörer auf die kleine Anrichte in der Diele. Gott sei Dank!
Aber die Spannung war noch nicht vorbei, denn Mutter blieb neugierig stehen, als unser Vater mit verlegenem Gesicht den Hörer aufnahm.
„Ja?“, fragte er leise und räusperte sich. „Herr Krauthahn? Sie sind es? Aber was ... ? Ich verstehe nicht ... “
Meine Mutter verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Vati. Wir hatten so eine Ahnung, dass er wohl nicht drum herumkommen würde, Mutti die Wahrheit zu gestehen. Tommy zog mich am Arm und ich verstand. Wenn sich die beiden gleich streiten würden, dann sollten wir uns besser zurückziehen. Leise gingen wir in mein Zimmer und zogen die Tür behutsam hinter uns zu.
Sanne guckte ganz unglücklich.
„Jetzt kommt alles raus“, sagte sie und schaute zur Tür.
„Na, besser, euer Vater beichtet jetzt alles, als wenn das Ganze dann hinterher rauskommt, wenn der Krauthahn zum Beispiel später nochmal anruft oder eure Mutter ihn auf der Straße trifft“, meinte Tommy. „Dann wäre sie nämlich erst recht sauer!“
Da hatte er wohl Recht. Wie sagte Vati immer: Lügen haben kurze Beine ...
Also machten wir es uns auf dem Teppich in meinem Zimmer bequem. Ich riss die erste extra große Chipstüte auf und schüttete ihren Inhalt in die Schüssel. Janine goss jedem von uns Wasser ein, und dann hatten wir endlich alles, was wir brauchten. Dachte ich jedenfalls, aber als ich die Augen von Jever und Lazy sah, musste ich doch noch mal hoch, schlich mich an meinen Eltern vorbei, die sich wohl inzwischen zur Aussprache in der Küche verschanzt hatten, und besorgte aus der Kammer zwei Kauknochen. Als wir alle sechs etwas zum Futtern hatten, konnten wir endlich mit unserer wichtigen Diskussion beginnen.
„Ich meine“, begann Tommy, „wir sollten jetzt sehr vorsichtig mit den restlichen Wunschkugeln umgehen, damit nicht noch was passiert. Lasst sie uns hier vor uns in die Mitte legen. Ich glaube, die Wunschkugeln gehen nur, wenn man sie bei sich trägt.“
Sanne schüttelte den Kopf.
„Du hast heute Morgen auch Gedankenlesen gekonnt, obwohl das Buch der Gaben auf dem Küchentisch lag.“
„Ja“, musste Tommy zugeben, „da hast du Recht. Trotzdem. Ich denke, wir sollten lieber vorsichtig sein.“
Also holten Sanne und Janine ihre Wunschkugeln hervor und legten sie neben das Buch, das Tommy gleich am Anfang zwischen uns abgelegt hatte. Meine Holografie drückte sowieso beim Sitzen. Ich nahm sie aus der Tasche und ließ sie langsam zu den anderen Sachen rollen. Wäre jetzt jemand hereingekommen, dann hätten diese eigentlich nach Nichts aussehenden Sachen garantiert kein Aufsehen erregt.
„Meint ihr, dass wir die Gaben bekommen haben, um unserem Vater zu helfen?“, fragte ich. Niemand wusste darauf eine Antwort.
„Vielleicht“, antwortete Sanne schließlich. „Ich weiß nur, dass wir die Sachen nur bis zum Ende einer Mondphase behalten dürfen“, „Wir müssen endlich wissen, wie lange die noch dauert.“
Sanne hatte Recht. Irgendwie hatte ich auch schon Hummeln im Bauch. Wenn wir wüssten, wie lange wir Zeit hätten, dann konnten wir sicher wesentlich ruhiger an die Sache herangehen. Oder auch nicht. Eine Weile hörte man nur die Geräusche, die die Chips beim Kauen machten und das Herumnagen unserer beiden Hunde, die genauso genüsslich an ihren Büffelhautknochen kauten.
„Die Grübelei bringt uns auch nicht weiter“, sagte ich und wollte die andern aufheitern. „Vielleicht sollten wir es einfach auf uns zukommen lassen, und bis dahin verwünscht sich Sanne noch ein paar Mal.“
Tommy lachte. „Bloß nicht, nachher zählt jemand nach, wenn wir das Buch zurücklegen müssen! Außerdem haben wir nicht mehr viele Wunschkugeln.“
Auf einmal leuchtete die Deckenlampe wie von Geisterhand auf, und wir sahen überrascht nach oben.
„Ah, mein Vater hat es doch endlich geschafft, die Lampe anzubringen. Dann haben sie sich ja nicht lange gestritten. Der Strom ist wieder da! Jetzt kann ich endlich an den Computer“, sagte ich und machte Anstalten, aufzustehen. Doch Janine hielt mich zurück.
„Warte noch einen Moment. Tommy ... “, sagte sie eindringlich, „ ... wenn du nicht gleich an Gedankenlesen gedacht hättest, welche Gabe hättest du dann gewählt?“
Tommy sah sie überrascht an. „Keine Ahnung. Darüber wollten wir doch gemeinsam nachdenken und entscheiden.“
„Trotzdem“, drängte Janine, „Sag schon. Welche?“
Wir sahen Tommy seinen Zwiespalt an. Er wich unseren Blicken aus und senkte schließlich die Augen.
„Du hättest gar keine andere gewählt, stimmt’s?“, sagte Janine leise.
Tommy nickte. Ein, zwei Minuten sagte niemand etwas. Tommy setzte ein paar Mal zum Reden an, stockte aber immer wieder. Und dann, ganz plötzlich, fiel mir der Augenblick in der Kammer des Wissens ein. Der Moment, in dem ich ihn gefragt hatte, warum er ausgerechnet Gedankenlesen gewählt hatte.
„Ist es wegen Jessie?“, fragte ich vorsichtig.
Tommy sah mich an, aber er schien durch mich hindurchzusehen.
„Ja“, sagte er, und auf einmal wurde es im Zimmer vollkommen still. Selbst Jever und Lazy hörten mit dem Kauen auf und schauten Tommy an. Sie spürten sofort, dass er traurig wurde. Doch jetzt straffte sich Jevers Herrchen und gab ihm einen Klaps.
„Ich habe letzte Nacht noch lange wach gelegen und genau über diese Frage nachgedacht. Was hätte ich sonst gewählt? Ich weiß es nicht. Aber jetzt konnten wir das Gedankenlesen ja gut gebrauchen.“
„Stimmt schon“, sagte Janine. „Aber eigentlich wolltest du sie für was anderes, stimmt’s?“
Tommy schaute sie fragend an.
„Du wolltest gar nicht darüber nachdenken. Du möchtest Gedankenlesen können und nichts anderes. Wegen Jessie.“
Ich sah, dass Tommy sichtlich mit sich kämpfte. Seine Augen schimmerten feucht. Ich dachte unwillkürlich an den Augenblick, als wir beide an der Klippe gestanden hatten und er sich das erste Mal ein Stück von seinem Vater gelöst hatte. Den zweiten Teil seines Problems hatte er noch vor sich.
„Geh hoch und frag ihn. Oder nimm das Buch mit und lies seine Gedanken“, sagte ich ungeduldig. „Hauptsache, du hast es hinter dir.“
„Und wenn ich dann überhaupt keinen Vater mehr habe?“, fragte Tommy traurig.
Wir brauchten einen Moment, bis wir verstanden, was Tommy damit sagen wollte. Sanne strich ihm zärtlich über den Arm.
„Dann hast du immer noch uns.“
Ich konnte die Stimmung irgendwie nicht mehr ertragen und sprang auf.
„Ich geh jetzt ins Internet und schau mir den Mond an!“
Das löste die traurige Atmosphäre, und voll Spannung rappelten sich auch die anderen auf, um mir über die Schulter zu blicken. Als ich den Computer anmachte, sah ich auf dem spiegelnden Monitor, dass Janine sich noch einmal bückte und etwas aufhob. Als ich mich umblickte, war sie schon bei der Tür.
„Wartet nicht auf mich, ich muss noch mal!“
Diesmal ging es völlig problemlos. Ich tippte mein Passwort ein, die Verbindung baute sich auf, und ich gab einfach den Suchbegriff „Mond“ ein.
„Hoppla!“, rief ich, als das Ergebnis erschien. „Das sind ja ein paar tausend Websites mit Mond!“
Sannes Zeigefinger zeigte gleich auf die erste Adresse, die in der Liste ganz oben stand.
„Nimm doch die hier: Mond.de.“
Ich klickte auf den Link, und die Seite baute sich auf. Ein wunderschönes Bild vom Weltraum mit dem Mond genau in der Mitte erschien. Auf der Seite waren jede Menge Verweise auf Dinge, die mit dem Mond zu tun hatten.
„Bingo!”, rief Tommy. „Da ist auch etwas zum Thema Mondphasen!“
Im selben Moment entdeckte ich die Zeile und klickte sie an. Staunend lasen wir die Erläuterungen. Sanne war so fasziniert, dass sie den Text leise vor sich hinmurmelte.
„Es gibt eine siderische Periode und eine synodische Periode. Die siderische ist die Zeit, die der Mond braucht, um bezüglich eines Fixsterns wieder die gleiche Position einzunehmen und dauert 27,3217 Tage. Die synodische Periode ist die Zeit zwischen zwei gleichen Mondphasen, zum Beispiel zwischen Neumond und wieder Neumond. Sie beträgt 29,53 Tage.“
„Aha“, machte ich. „Ist ja toll. Ich dachte immer, eine Mondphase dauert 28 Tage.“
„Hm“, machte Tommy. „Und so, wie das hier steht, ist eine Mondphase eigentlich kein Zeitraum, sondern ein Zustand, wie zum Beispiel Neumond.“ Er schüttelte zweifelnd den Kopf. „Aber das kann nicht sein. Das macht keinen Sinn. Dann hätten wir ja so gut wie gar keine Zeit für die Gabe.“
Das konnte ich mir auch nicht vorstellen.
„Lass uns noch ein paar andere Seiten ausprobieren“, sagte ich und begann damit, eine nach der anderen aufzurufen. Aber mit den Hinweisen, die wir auf den anderen Seiten fanden, kamen wir auch nicht weiter. Ich lehnte mich zurück und war ratlos.
„Joe“, sagte Sanne hinter meinem Rücken, „du hast doch vorhin auf Mondphase gedrückt, und dann erschienen die siderische und die synodische Periode. Meint ihr nicht, dass Periode und Phase das gleiche bedeuten?“
„Mensch, Sanne!“, rief Tommy. „Klasse! Natürlich! Du hast Recht. Ganz bestimmt sogar.“
„Aber es gibt zwei!“, wandte ich ein. „Und welche ist nun die richtige?“
Das war ein neues Problem. Angestrengt dachten wir darüber nach. Doch so sehr ich auch grübelte, ich konnte mich nicht entscheiden, welche die Phase sein sollte, von der das Buch gesprochen hatte. Aber wozu hatten wir Tommy!
„Ich glaube, ich weiß es“, sagte er bedächtig. „Wir sind hier auf der Erde, und seit Menschengedenken hat der Mensch den Mond in Phasen eingeteilt. Und zwar in Vollmond, Halbmond und Neumond. Warum sollte man für uns eine Phase wählen, die die Position eines Fixsterns zum Ausgangspunkt hat? Nein, ich wette, es ist die synodische Periode. Und zwar von Neumond zu Neumond.“
„Wieso nicht von Vollmond zu Vollmond?“, fragte ich neugierig.
„Weil man bei Neumond den Beginn setzt. Du weißt doch: Mit dem Z für zunehmenden Mond. Der Vollmond ist zwischen der Phase die Hälfte.“
Ich konnte nicht anders, ich musste Tommy bewundern. Er hatte sicher Recht. Alles andere machte entweder weniger oder gar keinen Sinn. Die Phase eines Mondes musste mit dem Neumond beginnen und wieder enden.
„Tommy“, sagte ich anerkennend, „du bist Spitze! Bleibt aber immer noch ein letztes Problem.“
„Ich weiß“, nickte er, „an welchem Punkt der Phase sind wir heute? Und wieviel Zeit haben wir noch mit unseren Gaben?“
„Genau.“ Ich lehnte mich zurück. „Und wie kriegen wir das jetzt raus?“
„Geh noch mal auf die Seite mit den Mondphasen!“, sagte Sanne. „Da waren noch mehr Links.“
Ich klickte mich zurück zu der Seite, und gespannt suchten wir den Bildschirm ab.
„Da!“, schrie Sanne mir ins Ohr, und ich zuckte zusammen. „Da steht Mondphase am ... , geh da mal drauf!“
Als sich die Seite aufbaute, wussten wir sofort, dass wir einen Treffer gelandet hatten. Hier gab es einen Kalender, und alles, was man tun musste, um den gewünschten Stand der Mondphase zu erfahren war, das Datum einzugeben.
„Welchen haben wir heute?“, fragte ich und ließ meine Hand über der Tastatur schweben.
„Den zwanzigsten“, sagte Tommy wie aus der Pistole geschossen.
„Okay“, murmelte ich und tippte das Datum ein: 20.07.01
Als das Ergebnis kam, trauten wir unseren Augen kaum.
„Neumond ... “, flüsterte Sanne, „ ... am zwanzigsten Juli um neunzehn Uhr vierundvierzig ... “
„Heute Abend!“, rief ich und konnte es nicht fassen.
„Heute Abend“, bestätigte Tommy ruhig. „Druck das mal aus, damit Janine uns auch glaubt.“
Ich klickte auf Drucken und klinkte mich dann aus dem Internet aus. Jetzt hatten wir alles, was wir brauchten. Doch was nun? Ich nahm das Blatt aus dem Drucker und schaltete den Computer ab. Dann stand ich vom Stuhl auf, und wir Drei setzten uns wieder auf den Teppich.
Tommy sah auf die Uhr.
„Gleich fünf. Wir haben nicht einmal mehr drei Stunden. Wenn wir mit der Phase Recht haben“, fügte er hinzu.
„Dann weiß ich absolut nicht, was wir in der kurzen Zeit noch damit anfangen sollen“, sagte Sanne ratlos.
„Vielleicht war es nur ein Test“, meinte ich nachdenklich.
„Auf jeden Fall sollten wir nicht zu spät losgehen“, sagte Tommy. „Denkt daran, was passiert, wenn wir zu spät kommen!“
„Dann wird die Gabe alle beseelen ... “ Sanne bekam es mit der Angst zu tun. „Und was würde dann passieren?“
Tommy nahm sich gedankenverloren ein paar Chips. „Dann würde jeder auf der Welt Gedankenlesen können. Das wäre furchtbar. Es gäbe keine Geheimnisse mehr. Jeder wüsste, was der andere denkt. So kann man eigentlich gar nicht zusammenleben. Vielleicht würde es sogar Kriege geben.“
Betroffen starrten wir ihn an. Niemals hätte ich gedacht, dass man mit Gedankenlesen so etwas anrichten konnte. Aber je mehr Tommys Worte auf mich einwirkten, desto klarer wurde mir, dass er Recht hatte.
Gerade als ich Tommy sagen wollte, dass wir besser sofort aufbrechen sollten, ging die Tür auf und Janine kam herein. Ohne ein Wort zu sagen, setzte sie sich zu uns.
„Du warst geschlagene zwanzig Minuten auf dem Klo!“, sagte Sanne und schüttelte den Kopf. „Wie kannst du jetzt ans Schminken denken?“
„Ich brauch halt ein bisschen länger ... “, druckste Janine und schaute zu Boden.
Irgendetwas an ihr war anders. Ich wusste einfach nicht, was. Aber irgendwie kam es mir so vor, als sähe sie anders aus als vorher. Außerdem schien sie ein schlechtes Gewissen zu haben. Und sie verhielt sich auch so. Auch Tommy und Sanne war das aufgefallen.
„Hast du was angestellt?“, fragte Tommy sie direkt.
Janine senkte den Kopf, sagte aber nichts. Tommy sah mich an, aber ich zuckte nur die Schultern. Ich hatte auch keine Ahnung, was mit ihr los war. Auf einmal blickte Janine trotzig auf, und dann gestand sie es uns.
„Ich hab mir was gewünscht!“
„Du hast was?“, entfuhr es uns allen fast gleichzeitig.
„Ich habe mir etwas gewünscht“, wiederholte sie leise. Und dann zeigte sie stumm auf die Wunschkugeln, die immer noch in unserer Mitte lagen. Ich konnte es nicht glauben. Es waren nur noch vier!
„Du hast einfach eine genommen und dir was gewünscht, ohne uns was zu sagen?“, fragte Sanne fassungslos.
„Ja“, gab sie zu. „Bitte seid mir nicht böse. Ich wollte doch nur diesen hässlichen Fleck weg haben.“
„Welchen Fleck?“, fragte ich verblüfft.
„Na, den blöden Leberfleck am Hals. Du hast doch selber immer da drauf gestarrt!“
Jetzt fiel bei mir der Groschen! Natürlich! Das war es also, was anders an Janine war! Der große Leberfleck war verschwunden! Ich starrte auf ihren Hals und konnte tatsächlich nicht mehr das Geringste von dem Fleck entdecken.
„Aber“, sagte ich zu Janine und konnte es nicht glauben, „der hat doch niemanden gestört. Ich mag dich doch nicht ohne Fleck mehr als mit!“
„Wirklich?“
„Nein“, sagte ich entschieden. „Und wenn du hundert solche Flecken gehabt hättest, du bist trotzdem unsere Janine.“
„Danke, dass du das sagst“, lächelte Janine, „aber ich wollte ihn weg haben. Ich habe ihn gehasst.“
„Na“, sagte Tommy, „jetzt hat jeder von euch vier Kugeln verbraucht. Ich meine aber, dass wir den Rest nachher mit zurücklegen sollten.“
„Nachher?“, fragte Janine erstaunt.