Kitabı oku: «Das Buch der Gaben», sayfa 8
„Lasst uns die Lösung nicht vor dem Rätsel suchen“, sagte ich und staunte über meine eigenen Worte.
Tommy hob die Brauen. „Ein Philosoph ist unter uns! Aber Joe hat Recht. Erstmal sehen, was da kommt. Uns ist noch immer eine Lösung eingefallen.“
Und nur eine Minute später sahen wir hinter dem Grau des Felsbodens das Blau eines Ozeans in der Ferne auftauchen. Schon roch es nach Salz und Tang, und wenn ich auch Angst vor dem Wasser hatte, einen Sandstrand liebte ich dennoch über alles. Aufgeregt beschleunigten wir unsere Schritte.
Janine erkannte es zuerst.
„Nicht schon wieder!“, stöhnte sie. Und dann sahen auch wir, was uns erwartete. Ein neuer Abgrund tat sich auf. Wir liefen geradewegs auf eine Klippe zu, die sich über das Meer erhob. Soweit das Auge reichte, schien eine Steilküste den Weg zu versperren. Den Sandstrand konnte ich wohl erstmal abhaken.
Bis auf fünfzig Meter näherten wir uns dem Klippenrand. Dann auf einmal stockte Tommy. Als wir sein Gesicht sahen, erschraken wir. Er war bleich geworden, und seine Augen zeigten Erschrecken. Nervös schauten wir nach vorne, um zu erforschen, was Tommy so mitgenommen hatte. Doch nichts deutete auf eine Gefahr hin.
„Was hast du?“, fragte Janine. „Sag doch, was siehst du?“
„Ich kenne diese Stelle“, flüsterte Tommy, und wir hatten Mühe, ihn bei dem Lärm, den die unter uns an die Felsen donnernden Wellen machten, zu verstehen.
„Was, du kennst diese Stelle?“ Sanne war sprachlos. „Aber woher? Hier ist doch alles fremd!“
Tommy antwortete nicht, und das machte uns jetzt richtig Sorgen. Was war nur mit ihm? Woher kannte er diesen Ort? Und warum machte er ihm Angst? Dann, mit einem merkwürdigen Glanz in den Augen, begann er, weiter auf den Rand der Klippe zuzugehen. Janine wollte ihn am Arm zurückhalten, aber ich schüttelte stumm den Kopf. Ich hatte auf einmal das Gefühl, dass auch mir diese Stelle bekannt vorkam. Aber verflixt, ich konnte mich nicht erinnern, jemals auf einer Klippe wie dieser gestanden zu haben.
„Bleibt bitte hier“, sagte ich zu Janine. „Ich glaube, das geht nur Tommy und mich etwas an.“
Ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Aber Janine nickte und verständigte sich mit Sanne. Die beiden hielten Jever zurück, weil es wieder mal eine gefährliche Stelle für einen Wirbelwind war. Mein Hund würde sowieso nicht eher loslaufen, als unbedingt nötig.
Als ich Tommy folgte, rutschte mir das Herz in die Hose. Er stand direkt am Rand der Klippe und schaute hinunter. Nicht einmal einen halben Meter trennten seine Füße vom Abgrund. Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, näherte ich mich ihm von der Seite. Ich wollte möglichst nahe bei ihm sein, um ihn notfalls zurückzureißen. Aber andererseits war es mir ganz und gar nicht geheuer, so dicht an den Rand zu gehen. Dann stand ich neben ihm und schaute vorsichtig nach unten. Und auf einmal schoss mir ein Bild in den Kopf. Ein Bild von diesem Ort!
Ja, ich kannte diese Stelle. Aber ich selbst war wirklich noch nie hier gewesen. Nein, ich hatte diese Klippe auf Fotos gesehen! Auf Fotos, die Tommy mir gezeigt hatte. Jetzt wusste ich, wo wir hier standen. Es war die Stelle, von der aus sein Vater immer von der Klippe gesprungen war. Die Stelle, an der Tommy bestimmt schon tausend Male in Gedanken gewesen war und die den Mut seines Vaters verkörperte.
Was sollte ich jetzt tun? Was konnte ich tun oder sagen, dass Tommy weitergeholfen hätte? Ich wusste es nicht. Doch ich musste irgendetwas sagen.
„Von hier aus ist dein Vater immer gesprungen, stimmt’s?“
Tommy nickte nur. Ich hatte das Gefühl, ich müsste unbedingt weiterreden.
„Hör’ mal, Tommy, das hier ist nicht Teneriffa. Dies ist eine fremde Welt! Tommy! Du brauchst uns gar nicht zu beweisen, wie mutig du bist! Das wissen wir doch alle! Bitte!“
Je mehr ich sagte, desto unsicherer wurde ich. Ich wollte unbedingt, dass Tommy vom Rand zurückging und redete mir dabei den Mund fusselig. Ich wusste ja noch nicht mal, ob ich nicht vielleicht genau das Gegenteil erreichte. Tommy sah mich nicht an. Ich war mir nicht mal sicher, ob er mich überhaupt hörte.
„Tommy, bitte spring nicht! Bitte!“, flehte ich.
Ich warf einen hilflosen Blick zurück zu den Mädchen. Sie konnten nicht verstehen, was hier vor sich ging. Als ich mich wieder umblickte, hatte Tommy die Augen geschlossen. Ich sah, wie es in seinem Gesicht arbeitete. Was mochte er jetzt denken? Seine Arme hingen schlaff an den Seiten herunter, und die Füße standen bereit wie zum Absprung. Ich hatte eiskalte Hände. Und ich war hilflos. Würde ich ihn jetzt wegreißen, wäre damit nichts gewonnen. Er ganz allein hatte dies hier zu bestehen.
Lange standen wir so da, und ich ließ Tommy in Ruhe. Doch dann endlich schlug er die Augen auf. Sein Blick war klar, und sein Mund verzog sich zu einem unsicheren Lächeln. Mir fiel ein unglaublich großer Stein vom Herzen.
„Ich werde nicht springen“, sagte er mit fester Stimme. „Nicht, bevor ich nicht weiß, was da unten im Wasser liegt. Ach Joe ... “
„Ja?“ Ich war gespannt, was jetzt kam.
„Hast du mal ’n Taschentuch?“
Wir brachen in ein befreiendes Gelächter aus, und dann machten wir erstmal ein paar Schritte vom Rand weg. Ich kramte mein letztes Papiertaschentuch raus und reichte es ihm.
„Ich hätte dich festgehalten!“, sagte ich.
„Ich weiß“, antwortete Tommy. Und als wir uns jetzt in die Augen sahen, wussten wir beide, dass unsere Freundschaft für immer dauern würde. Ich hatte keine Ahnung, was aus meinem Leben einmal werden würde, aber jetzt war ich mir sicher, dass ich immer einen Freund an meiner Seite hatte.
„Lass uns zu Janine und Sanne zurückgehen“, sagte Tommy. „Wenn der Weg für uns hier zu Ende ist, dann ist er es eben.“
„Wir werden schon noch einen Hinweis finden“, ermutigte ich ihn.
Die Mädchen warteten schon ungeduldig auf uns. Tommy schämte sich seiner Tränen nicht. Sanne und Janine nahmen ihn in den Arm und drückten ihn. Ich stand dabei und fühlte eine Woge der Erleichterung durch mich hindurchfließen. Wenn Tommy gesprungen wäre ...
Ich schaute hinaus aufs Meer. Was konnten wir jetzt noch tun? Es schien, als wäre diese Stelle eine Art Prüfung für Tommy gewesen. Sie war vorbei. Doch hatte er sie bestanden?
Das Buch der Gaben
Janine und Sanne hatten nicht das Geringste von dem Konflikt geahnt, der da in Tommy vor sich ging. Denn an dem Tag, an dem er mir von seinem Vater erzählt hatte, waren wir ja allein in meinem Zimmer gewesen. Ich hatte damals das Gefühl gehabt, dass Tommy all dies auch noch nicht vielen Menschen erzählt hatte, ja vielleicht sogar mir als Erstem. Als wir jetzt da über dem Meer standen und uns glücklich anschauten, kam mir dieser Nachmittag wieder in den Sinn. Ich hatte ihn nach seinem Nachnamen gefragt und nicht gewusst, was ich damit auslöste.
Jetzt brauchten wir ihn nicht zu fragen. Wir setzten uns in großem Abstand zu den Klippen auf den felsigen Boden und ließen ihn einfach reden. Keiner von uns unterbrach ihn, als er noch einmal die Dinge erzählte, die mir schon bekannt waren. Die Mädchen waren bestürzt von dem Schicksal seines Vaters, und mit jedem Satz, den Tommy mit leiser Stimme vortrug, wirkten sie betroffener. Schließlich verstummte er, und wir wussten nicht, wohin wir schauen sollten. Nach einer halben Ewigkeit brach Janine den Bann.
„Wenn du gesprungen wärst, wärst du vielleicht auch gestorben.“
Tommy blickte sie ernst an.
„Als ich da vorne stand, habe ich so stark an meinen Vater gedacht wie noch nie zuvor. Ich hatte das Gefühl, dass er neben mir steht. Und ich dachte, er hätte gewollt, dass ich aus seinem Fehler gelernt habe.“
„Würdest du springen, wenn ich runtergehe und nachschaue, ob das Meer tief genug ist?“, fragte ich.
„Na klar“, grinste Tommy. „Aber ich trau dir nicht, du gehst bestimmt nicht so weit rein!“
Da endlich löste sich die beklemmende Stimmung, und wir lachten ausgelassen. Ich war froh, dass ich es geschafft hatte, uns wieder fröhlich zu bekommen. Ich zog Lazy an den Ohren.
„Such!“, rief ich. „Such uns einen Weg hier raus, du Faulpelz!“
Zu unserer größten Überraschung machte sich Lazy von mir frei und begann, davonzutapsen. Völlig überrumpelt starrte ich auf das sich entfernende Hinterteil meines Hundes. Plötzlich traf mich ein Schrei.
„Da ist ein Hügel!“ Sanne schlug mir auf die Schulter. „Siehst du nicht? Da vorn! Lazy muss ihn entdeckt haben!“
„Das kann nicht sein“, grummelte ich. „Da war vorhin weit und breit kein Hügel, und selbst wenn, Lazy würde freiwillig nirgendwo hin gehen.“
Und doch erhob sich jetzt in gar nicht allzu weiter Entfernung ein grasbewachsener Hügel, der sich wie ein Buckel aus dem Felsboden wölbte.
„Bassets sind doch eigentlich Jagdhunde, oder?“, fragte Tommy.
Ich nickte. „Und verfressene noch dazu.“
„Na, dann hat er vielleicht was zum Futtern gewittert. Da fällt mir ein, ich hab so einen Kohldampf, ich könnte jetzt sogar Spinat essen!“
„Was hält uns hier noch?“, fragte Janine und sprang auf. „Wenn sogar Lazy das Jagdfieber packt!“
Mit neuem Mut und neugierig auf diesen Hügel, der aus dem Nichts entstanden zu sein schien, folgten wir Lazy. Wieder einmal erlebten wir das Phänomen, das wir schon kannten. Je näher wir kamen, desto mehr schien sich der Hügel zu verändern. Er nahm an Größe und Höhe zu, und als wir schließlich an seinem Fuß angelangt waren, war sein Gipfel sicher fünfzig Meter hoch. Er schien eine ovale Form zu besitzen, und seine Hänge waren tatsächlich mit Gras bewachsen, nur durchsetzt mit kleinen Büschen, die mich entfernt an Hagebutten erinnerten.
„Nicht besonders aufregend“, meinte Janine.
„Willst du wetten?“, fragte Sanne provozierend.
„Lieber nicht.“
Es dauerte nicht lange, da wussten wir, was auf uns zukam.
„Siehst du das?“, fragte Tommy.
Kurze Zeit später standen wir aufgeregt vor einem etwa drei Meter hohen und etwa gleich breiten Steintor und starrten in den dunklen Eingang.
„Sieht nicht gerade aus wie ein Ausgang nach zu Hause“, murmelte Janine. Und auch ich hätte mir einen einfacheren Weg gewünscht, diese Welt weiter zu erkunden.
„Die Steinblöcke sind mindestens zwei Meter dick“, sagte Tommy. Er hatte Recht. Die beiden seitlichen Pfeiler waren bestimmt mehrere Meter dick. Und auch der oben aufliegende Abschlussblock war solch ein schwerer Klotz. Es sah nicht aus, als hätte jemand dieses Tor in den Hügel gebaut, sondern als wäre der Berg auf das Tor gesetzt worden. Es gab keine Tür, sondern es war einfach nur ein Eingang. Doch wohin? Je länger wir in das schwarz vor uns gähnende Loch schauten, desto mehr gewöhnten sich unsere Augen an die Lichtverhältnisse.
„Ich kann in den Gang sehen!“, rief Tommy plötzlich. Tatsächlich waren jetzt bereits die Konturen der Wände und des Gangbodens zu erkennen.
„Er ist viereckig!“, sagte Sanne überrascht. Und das war tatsächlich ungewöhnlich. Denn alle Tunnels, die ich kannte, hatten eine runde Form. Mit Ausnahme des Bodens natürlich. Als ich noch darüber nachdachte, konnte ich bereits immer weiter in den Gang hineinsehen. Ein warmes Dämmerlicht in hellem Braun erfüllte den Eingangsbereich und die ersten Meter des dahinter sich anschließenden Ganges.
„Na, wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist!“, sagte Tommy und machte eine einladende Geste. „Nach euch!“
Keiner von uns hatte besondere Lust, als Erster da hineinzugehen. Aber das war auch gar nicht nötig, denn der Gang war fast drei Meter breit. Während wir noch einen Moment zögerten, schickte Tommy wieder mal Jever vor, das Terrain zu erkunden. Der hatte nur darauf gewartet und rannte mit einem fröhlichen Kläffen hinein in den Berg, als wenn es nirgendwo auf der Welt eine Gefahr geben könnte.
„Tja“, machte Tommy. „Ihr kennt ihn ja jetzt. Wenn er so bellt, lauert da niemand auf uns.“
Wir hatten zwar nicht ganz so großes Vertrauen in Jever wie in Tommy, aber allemal genug, um die letzten Zweifel abzuschütteln und unserem kleinen Freund in den Gang zu folgen.
Staunend tasteten wir uns langsam in den Bauch dieses Hügels hinein. Der Gang war tatsächlich beinahe perfekt viereckig aus dem Fels gehauen. Boden, Decke und Wände besaßen eine hellbraune Farbe und schienen leicht aufgeraut. Es ging direkt geradeaus. Ein Ende des Ganges war von hier aus nicht zu erkennen. Allerdings konnte man auch nicht allzu weit sehen bei dem schummrigen Licht. Ich konnte nirgends eine Lichtquelle entdecken. Das Licht entstand einfach aus dem Fels. Das Gestein schien zu glimmen. Trotzdem war ich froh, dass wir immer noch die Taschenlampe hatten, falls wir auf einmal im Dunkeln stehen würden.
Jever rannte voraus, und wir hörten an seinem Bellen, dass er schon ganz schön weit von uns entfernt sein musste. Lazy fühlte sich hier gar nicht so wohl, und ich musste ihn ab und zu aufmuntern, weiterzugehen.
„Wieso geht der Gang so weit rein?“, fragte Sanne. „Das ist doch nur ein Hügel.“
„Nicht viel ist hier so, wie es scheint“, sagte Tommy. „Das haben wir ja nun schon oft genug erlebt. Schade nur, dass es hier keinen Supermarkt gibt. Ich könnte jetzt drei Tüten Chips auf einmal aufessen!“
Wir mussten lachen, und das klang doch etwas schaurig in dem langen Gang.
„Wenn wir wieder raus sind, kaufe ich dir eine ganze Palette!“ Mir lief selbst schon das Wasser im Mund zusammen bei dem Gedanken an die knusprigen Dinger. Ich mochte gar nicht daran denken, wie weit es noch bis zu irgendeinem Ausgang war. Und sagen wollte ich das schon gar nicht. Angst machen wollte ich den anderen auf keinen Fall. Schließlich hatten wir davon schon genug gehabt.
Mit einem Mal meinte ich, dass Jevers Bellen wieder näher kam. Tommy kannte seinen Hund besser, und gleich darauf bestätigte er meine Gedanken.
„Ich glaube, Jever hat was gefunden“, sagte er. „Jedenfalls scheint er nicht mehr weiterzurennen.“
Immer noch klang das Bellen recht weit entfernt und je weiter wir gingen, desto mehr hatte ich das Gefühl, es geht aufwärts.
„Findet ihr nicht, dass wir bergauf gehen?“
Wir hielten kurz an und sahen zurück. Da wir keine Vergleichspunkte hatten, war es schwierig zu sagen, ob der Gang nach oben führte. Aber ich war mir ziemlich sicher, denn es war anstrengender geworden, die Füße voreinander zu setzen.
„Ja, das Gefühl hatte ich auch“, sagte Tommy. „Ich bin schon außer Puste. Es geht eindeutig nach oben. Obwohl ... man sieht ja hier drin nicht, ob’s schräg ist.“
Und dann kam ihm ein Einfall. Er hob den Zeigefinger wie ein Lehrer.
„Lieber Joe, wozu habe ich die Wasserwaage stundenlang mit mir rumgeschleppt? Hol sie doch mal raus!“
Er drehte mir den Rücken zu, und ich fummelte die kleine Waage aus den Tiefen des Rucksacks hervor. Dann legte ich sie einfach auf den Boden, und gespannt blickten wir auf die kleine Luftblase in der Mitte. Das Ergebnis war eindeutig.
„Holla, das ist ja noch steiler als ich dachte!“, entfuhr es Tommy. „Wir hätten längst aus dem Berg wieder oben rausgucken müssen!“
„Na, egal, wo’s rausgeht“, sagte ich und packte die Waage wieder zurück. „Hauptsache, es geht überhaupt raus.“
Nun wussten wir zwar, dass wir die ganze Zeit über bergauf gelaufen waren, aber das brachte uns auch nicht weiter. Wir beschleunigten unsere Schritte, um endlich zu sehen, was Jever da ankläffte. Doch es dauerte immer noch fünf Minuten, ehe wir ihn entdeckten.
Und dann stand es fest: Der Gang war zu Ende!
Jever stand vor einem massiven Felsblock, der den Gang fast hermetisch abschloss, und bellte den Klotz trotzig an. Tommy sagte nur „Ruhig!“ und Jever verstummte. Ratlos standen wir vor dem gigantischen Block aus Fels. Zwei schwarze, mit einem dunkelgrün schimmernden Überzug versehene Metallstücke ragten etwas oberhalb der Mitte aus ihm hervor.
Tommy machte einen Schritt nach vorn und berührte die Oberfläche.
„Der muss Tonnen wiegen“, murmelte er.
„Eine Holografie wäre nicht schlecht“, sagte Janine. „Die könnte uns den Weg frei machen.“
Ich musste an den Beginn unseres Abenteurers denken.
„Die Holografie hat uns nur einen Hinweis gegeben. Aber dass wir nur durch die Wand gehen brauchen, hat sie uns nicht gesagt. Du bist schließlich einfach reingefallen.“ Ich deutete auf den Felsblock. „Wie ist es, hau doch einfach mal dagegen, vielleicht klappt es ja nochmal!“
Tommy hatte die ganze Zeit schon dagegen gedrückt, aber nichts war geschehen.
„Nein“, sagte er, „selbst Janine mit ihrem Dickkopf kommt da nicht durch.“ Er lachte sie an, als sie aufbrausen wollte. „Nimm’s nicht so ernst, das war ein Kompliment! Du hast uns ja erst hier reingebracht.“
Er trat ein paar Schritte zurück und musterte den Block, der uns den Weg versperrte, nachdenklich.
„Irgendwie erinnert mich das Ding an ein Bild, das ich mal gesehen habe. Ich meine, so einen ähnlichen Stein schon mal beim Zahnarzt gesehen zu haben.“
„Beim Zahnarzt?“, fragte Sanne ungläubig.
„Ja. Da liegen doch immer so viele Zeitschriften rum. Und in einer habe ich so einen Stein gesehen. Aber verdammt, worum ging es da?“
Er schloss die Augen und konzentrierte sich.
Janine wollte ihn nicht stören, aber still sein konnte sie auch nicht.
„Vielleicht so ein Ratgeber oder ein Reiseführer“, murmelte sie. „So was hat mein Zahnarzt auch im Wartezimmer.“
„Das ist es!“, rief Tommy und riss die Augen auf. „Es war ein Reiseführer! Janine, du bist Gold wert! Da war ein Bericht über Ägypten drin. Ich konnte gar nicht mehr aufhören mit Lesen und war richtig sauer, als ich auf den Stuhl musste.“
„Nun sag schon, was stand drin?“, drängten wir.
„Es ging um die Cheops-Pyramide. Das ist die größte der Pyramiden von Gizeh bei Kairo. Hunderte von Wissenschaftlern haben über viele Jahre dieses Weltwunder erforscht, aber es ist noch keinem gelungen, all seine Geheimnisse zu lüften. Das Alter der Pyramiden schätzt man auf über viereinhalbtausend Jahre, und erst vor ein paar Jahren hat man ein neues Geheimnis entdeckt, das bis heute ungelöst ist.“
Atemlos lauschten wir Tommy Worten. Das war wieder der alte Tommy!
„Und? Was für ein Geheimnis? Nun sag schon!“ Ich zappelte beinahe vor Ungeduld.
„Man hat in der Königinkammer vier Gänge entdeckt, die schräg nach oben führten.“
„Schräg nach oben ... “, flüsterte Sanne.
Tommy nickte. „Genau wie hier. Erst hat man gedacht, es handelt sich um Lüftungsschächte, aber genau wusste man es nicht. Niemand konnte in diese Schächte hinein und sie erkunden, weil die Wände glatt waren und für einen Menschen zu eng.“
Tommy blickte noch einmal den Gang hinunter. „Der hier allerdings ist dagegen riesig. Aber wie auch immer, man baute einen kleinen Roboter und ließ ihn die Schächte hinauffahren. Und ratet mal, was sich am Ende des einen Schachtes befand!“
Verwirrt starrten wir ihn an.
„Ein Schatz?“, fragte Janine.
„Nein“, lachte Tommy. „Ein Verschlussstein! Wie eine Art Tür! Und jetzt ratet nochmal, wie der Verschlussstein wohl ausgesehen hat ... “
Ungläubig betrachteten wir den riesenhaften Klotz, der uns den Weg versperrte.
„Doch nicht wie der hier?“, fragte ich vorsichtig.
„Aber ganz genau wie der hier! Der Roboter hatte ein Foto gemacht, und da waren genau dieselben Metallbolzen drauf zu sehen wie auf diesem Felsstück hier. Seht ihr? Der eine ist noch ganz, aber bei dem anderen scheint ein Stück herausgebrochen. Das ist ganz genau der gleiche Stein, nur dass dieser hier größer ist.“
Tommy war fertig, und wir versuchten, das Gesagte zu verarbeiten. Lag dort hinten ein Geheimnis verborgen, dass viereinhalbtausend Jahre darauf gewartet hatte, entdeckt zu werden? Und wenn ja, warum hatte es auf uns gewartet? Mein Mund wurde trocken. Und das lag nicht nur an der Luft in diesem Gang.
„Man glaubt, dass die Metallbolzen aus Kupfer sind. Natürlich ist es im Laufe der vielen Jahre verrottet. Daher ist auch einer der Bolzen kürzer als der andere. Vermutlich ist ein Stück abgebrochen.“
„Und dann?“, fragte Janine, „Hat man herausbekommen, was hinter dem Stein ist?“
„Nein, jedenfalls nicht ganz. Man hat ihn durchbohrt, aber dahinter ging der Gang weiter und endete wieder an einem solchen Stein. Dann hat die ägyptische Regierung verboten, weiter zu forschen. Man will nicht, dass etwas zerstört wird. Bis heute ist der Raum hinter dem nächsten Stein ein Rätsel geblieben. Viele Forscher haben aber eine Vermutung, was sich dort hinter verbergen könnte.“
„Was denn? Nun sag schon!“
Tommy wartete einen Moment, um die Spannung zu erhöhen.
„Die Kammer des Wissens.“
„Die Kammer des Wissens ... “, flüsterte Sanne. „Wenigstens nicht die Kammer des Schreckens! Und was bedeutet das, die Kammer des Wissens?“
„Keine Ahnung“, gab Tommy ehrlich zu. „Und wie wir diesen Klotz da wegbekommen sollen, weiß ich auch nicht.“
Mir kam ein ganz spontaner Gedanke.
„Na, indem wir die Bolzen rausziehen!“
Tommy starrte mich an wie eine Erscheinung.
„Natürlich! Die Bolzen!“ Aber dann kamen ihm Bedenken. „Die Dinger sind uralt und vergammelt. Wenn wir sie rausziehen, brechen sie uns vielleicht ab.“
„Egal“, sagte ich, „Oder siehst du hier irgendwo noch was anderes, das wir ausprobieren könnten?“
Tommy schüttelte den Kopf. Es gab keine andere Möglichkeit. Der Gang bestand von oben bis unten aus mehr oder weniger glattem Felsgestein, und nichts, aber auch gar nichts war an den Wänden zu entdecken. Wenigstens hatten wir nicht die Qual der Wahl.
„Nimm du den rechten. Ich nehme den abgebrochenen“, sagte Tommy und wandte sich dann an die Mädchen. „Und ihr geht besser ein paar Schritte zurück, falls das Ding in unsere Richtung rutscht.“
Ganz geheuer war mir nicht, als ich mich dann an den Felsblock stellte und darauf wartete, dass Tommy soweit war. Schließlich konnte das schwere Ding tatsächlich ins Rutschen kommen. Dann hätten wir aber verdammt schlechte Karten gehabt, rechtzeitig wieder aus dem Gang zu rennen!
„Auf drei!“, sagte Tommy und gab mir ein Zeichen.
„Gut.“ Ich umfasste das uralte, mit Grünspan überzogene Metallstück und fühlte ein wenig Ehrfurcht vor der Vergangenheit. Und da war noch ein verdammt flaues Gefühl und nagte an mir.
Doch bei „drei!“ zögerte ich keine Sekunde und zog mit aller Kraft an dem schweren Bolzen. Der zeigte überhaupt keinen Widerstand, und völlig überrascht zog ich das Ding mit Schwung heraus und landete auf dem Hintern. Und einen Augenblick später landete Tommy neben mir, den anderen Bolzen in der Hand.
Während wir verblüfft die Metallstücke in unseren Händen anstarrten und den Schreck verdauten, hörten wir einen Atemzug später einen unterdrückten Aufschrei.
„Er bewegt sich!“, rief Janine. „Passt auf!“
Wie der Blitz waren wir wieder auf den Beinen, bereit, sofort loszurennen. Der Fels fing tatsächlich an, sich zu bewegen. Aber er bewegte sich aufwärts! Stumm vor Überraschung und Anspannung sahen wir, wie dieser tonnenschwere Klotz nach oben gezogen wurde, wodurch auch immer, und dabei deutliche Schleifspuren an den Wänden hinterließ. Zentimeter für Zentimeter kroch der Koloss den Gang hinauf. Das Geräusch aneinanderreibenden Gesteins verursachte mir eine Gänsehaut.
Dann hatte der Block etwa drei Meter zurückgelegt, und auf einmal zog ein Luftzug durch den Gang. Im gleichen Moment schwang der Stein langsam nach rechts und ein Spalt entstand.
„Eine Öffnung!“, rief Janine aufgeregt.
Unendlich vermodert riechende Luft strömte uns aus dem sich öffnenden Spalt entgegen, und ich hielt den Atem an. Immer weiter und völlig ohne zu rucken drehte sich der Steinblock nach rechts, bis er schließlich mit einem spürbaren Aufprall an der Wand des freigegebenen Raumes zum Stehen kam.
Dahinter herrschte völlige Dunkelheit. Jever sah sein Herrchen mit schiefem Kopf an, doch Tommy sagte „Bleib!“
Wir Vier standen vor dem schwarzen, viereckigen Loch und spürten trotz der gefährlichen Situation eine seltsame Verbundenheit. Für Sekunden hielten auch die anderen die Luft an, da der Geruch nicht gerade angenehm war.
Plötzlich erlebten wir eine Überraschung. Die Luftströmung hatte sich gedreht! Mit einem Mal kam sie aus der anderen Richtung vom Eingang des Hügels her und brachte angenehme Kühlung mit sich.
Tommy schaltete als Erster.
„Ein zweiter Ausgang muss sich geöffnet haben. Oder ein Lüftungsschacht, so wie in der Pyramide.“
Aus dem Innern des Raumes drang ein leises Zischen, das aber bald darauf wieder abebbte. Und dann ließ auch der Luftzug nach. Nur ein feiner, stetiger Strom frischer Luft wehte noch an uns vorbei.
Auf einmal flackerte es vor uns auf, und wir zuckten zusammen. Ein offenes Feuer entzündete sich im Innern des Raumes, und Schatten tanzten plötzlich über seine Wände. Und jetzt konnten wir auch sehen, was hinter dem Eingang lag.
„Die Kammer des Wissens ... “, flüsterte Janine.
Wie angewurzelt standen wir da und beobachteten, wie an der gegenüberliegenden Wand ein weiteres Feuer aufflammte. Unser erster Schrecken ließ jetzt nach, denn wir konnten sehen, dass der riesige Felsblock einen recht kleinen Raum verschlossen hatte. Eine Kammer des Wissens hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt.
Jetzt brannten zwei kleine Feuer im Raum, und als sich unsere Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannten wir, dass es eine Fackel war, die das flackernde Licht in unseren Gang warf. Es musste noch eine zweite geben, und diese musste auf der uns nicht einsehbaren Seite rechts von uns sein, die die Tür aus Fels verbarg.
Vorsichtig gingen wir vor bis an die Schwelle und spähten hinein. Im gleichen Augenblick entzündeten sich zwei weitere Fackeln. Eine an der Wand links vom Eingang und eine genau über unseren Köpfen. Jetzt war dieser kleine Raum vollständig ausgeleuchtet.
„Wo ist denn das Wissen?“, fragte Sanne, und wir mussten lachen.
„Vielleicht wird es uns eingegeben, wenn wir drin sind!“, sagte Tommy. Aber man sah ihm an, dass er daran auch nicht so richtig glaubte.
„Gehen wir rein?“, fragte ich.
„Hm“, machte Tommy. Wir hatten ihm die ganze Zeit über, seit wir in diese Welt eingedrungen waren, unbewusst die Führung überlassen. Und niemand von uns zweifelte daran, dass er der Richtige für diese Aufgabe war. Also ging er voran.
Der Raum war etwa sechs mal sechs Meter groß. Sein Boden bestand aus dunkelrotem Felsgestein, ähnlich der Farbe von Ahornblättern im Herbst. Und als wir dann in der Mitte standen und staunend in die Runde schauten, bemerkten wir, dass die Wände rund um uns herum über und über mit Schriftzeichen und Zeichnungen bedeckt waren.
„Hieroglyphen!“, entfuhr es Tommy.
„Hieroglyphen?“, fragte Sanne. „Sind die nicht auch aus Ägypten?“
„Ganz genau. Und damit können wir eigentlich sicher sein, dass der Gang und der Verschlussstein tatsächlich Hinweise auf Ägypten waren.“
Fasziniert betrachteten wir die unzähligen Schriftzeichen und Bilder, die sich im Licht der flackernden Fackeln zu bewegen schienen. Es gab Federn, Vögel, Halbkreise, etwas, das aussah wie eine Tasse, und ich entdeckte auch einen Löwen. Manche Zeichen waren mir völlig unverständlich. Dann sah ich zur Decke und entdeckte eine Öffnung.
„Der Lüftungsschacht!“, rief ich. Die anderen folgten meinem Blick, und Tommy nickte.
„Das wird er sein. Er dürfte vorhin aufgegangen sein, als wir den Mechanismus der Tür in Gang gesetzt haben. Daher der Luftzug.“
Die Hieroglyphen schimmerten in den schönsten Farben. Rot, Orange, Gold und ein mattes Schwarz ließen die Zeichen beinahe plastisch hervortreten. Doch all dies blieb für mich völlig rätselhaft.
Dann passierte etwas, mit dem wir nicht gerechnet hatten. Ein kratzendes Geräusch ertönte, und wir fuhren herum. Der Verschlussstein fing an, sich zu bewegen!
„Er geht wieder zu!“, rief Sanne panikerfüllt. „Wir müssen raus!“
Schon wollte sie losstürzen, als Tommy sie am Arm festhielt.
„Nein. Wir bleiben. Wir müssen bleiben.“
„Aber wenn wir hier bleiben, kommen wir vielleicht nie wieder raus und ersticken!“ Sanne hatte jetzt wirklich Angst. Und der Stein rückte unaufhörlich weiter herum.
„Wenn wir zurückgehen, war alles umsonst.“ Tommy war wie immer ruhig, aber diesmal fiel es uns schwer, selbst diese Ruhe zu bewahren.
Mit einem knirschenden, endgültig klingenden Geräusch fügte sich der Klotz wieder in seinen Rahmen, und die Kammer war hermetisch verschlossen. Langsam atmete ich die Luft aus, die ich die ganze Zeit über angehalten hatte.
„Und was tun wir jetzt?“, fragte Janine.
„Das, was wir immer getan haben“, meinte Tommy ruhig. „All unsere Sinne gebrauchen. Seht euch um, ob euch irgendetwas auffällt. Vielleicht helfen uns die Hieroglyphen weiter.“
Mit allen Sinnen versuchten wir, den Raum und vor allem die Schriftzeichen zu erforschen. Jeder von uns nahm sich eine Wand vor. Ich stand vor diesen uralten Hieroglyphen und hatte nicht die geringste Ahnung, was sie wohl bedeuten konnten. Es waren Zeichnungen und Symbole. Für mich schienen sie völlig ungeordnet, und es gab unzählige Reihen von oben nach unten oder von rechts nach links. Nicht einmal da war ich sicher. Bild für Bild tastete ich mich an der Wand entlang, ob ich nicht vielleicht doch etwas bemerkte, das aus der Reihe fiel. Und dann entdeckte ich tatsächlich etwas.
„Hey!“, rief ich. „Hier ist ein Falke, der glimmt!“
Fast in der gleichen Sekunde kam Sannes Stimme von der anderen Seite der Kammer.
„Hier leuchtet auch einer! Seht nur!“
„Da! Und der auch!“, rief Janine. Tommy stand nur dabei und schaute von einem der Symbole zum anderen. Wir warteten noch eine Minute, dann stand es fest.