Kitabı oku: «Kässpätzlesexitus», sayfa 4

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9. Postludium

Kaum war das Signalhorn verklungen, wurde der unterbrochene Wettbewerb trotz des Protestes, den Jacqueline Heberle einlegte, fortgesetzt. Die Botschaft des Ersthelfers war eindeutig: Verschluckt, kein Problem, prophylaktisch nach Ravensburg, bevor wir dort sind, ist das wieder rausgehustet, heute Abend isst die wieder Schnitzel mit Soße.

Die Busty Biker Brides verließen ziemlich angebrannt und vorzeitig den Wettbewerb. Nur Flora blieb.

Der guten Stimmung tat dies keinen Abbruch, denn mit dem Abreisen der Brides tauchte der vermisste Damen-Kegelverein GutHolzvorderHütte auf. Die Veringen­städterinnen waren bei bester Laune, was vermutlich auch dem versehentlichen Ausflug in die Bussenregion zuzuschreiben war. Außer Konkurrenz, da sie schon wieder Hunger hatten, durften sie den kurz verwaisten Tisch sechs belegen. Berta Löffler brachte höchstpersönlich unter höflichem Applaus die mit der schwäbischen Spezialität gefüllte Tonschüssel.

Über das Mikrofon begrüßte der Vorstand die weiblichen Neuankömmlinge, bedauerte den Zwischenfall und verkündete, dass die Bodensee-Swingers es doch nicht mehr schaffen würden. Sie würden sich aber schon auf das nächste Jahr freuen.

Wenig später kamen mit dem Schlingmann MLF im üblichen Rot die nach Rauch stinkenden Kässpätzles-Freunde-Friedberg mit ihrem Chef Schnauzi an. Da die tüchtigen Männer der Hoßkircher Freiwilligen Feuerwehr den Fahrzeugbrand schnell unter Kontrolle hatten, beschlossen sie, mit Einsatzgefährt Schlingmann und privaten Fahrzeugen die Havarierten und sich selbst zum Festereignis zu transportieren, um die aufregende Löschaktion abschließend zu einem freundschaftlichen Ereignis werden zu lassen.

Wir saßen noch lange mit den Siegern des Wettbewerbs zusammen, der Jungen Union. Sie wollten partout nicht, dass das Preisgeld gleich in ein Fässchen umgesetzt wurde, um gemeinsam den Sieg der Jung-Politiker zu begießen. Erst als Cäci und Deo ein Mitgliederformular für die JU ausfüllten, wurden die jungen, politischen Christen spendabler. Das Fässchen, auf einem Hocker platziert, wurde stolzes Symbol der Verbrüderung zwischen harten Männern, Outlaws quasi, und smarten Politikern, das Gesetz sind wir, quasi.

Die K’walder Musikanten spielten zum Ausklang einen bunten Nachtgruß. Ein herrliches Medley der schönsten Abendlieder. Von wegen Ausklang, Zugabe, Zugabe, Kässpätzlespolka, Kässpätzlespolka. Und schon grölte es vor der Tenne:

»… Ja, ja, ja, Kässpätzle mag nicht nur der Vater,

nein auch jeder, ob Nonne, oder Pater,

ob mit Zwiebel, mit Speck oder G’müs,

mit Kässpätzle bin ich im Paradüs.

Ja, ja, ja, Kässpätzle soll’s regnen vom Himmel,

ja, ja, ja, Kässpätzle am Abend und am Morgen,

dann hat der Schwab keine Sorgen.

Ja, ja, ja, Kässpätzle die ganze Zeit, mein Spatz,

so bleibst du für immer mein Schatz!«

Während wir versuchten, dem Fässchen auf den Grund zu kommen:

»Sucht ihr nicht auch Mitglieder?«

Der fragende JUler Ralf Rädle hob das Kinn in meine Richtung.

»Äh, nein, warum?«

»Bei euch ist doch einer … ausgeschieden, ich meine … ähm, ihr seid doch jetzt einer weniger. Das war ja in allen Zeitungen zu lesen. Und ich wollte schon immer mal in einem Motorradverein mitfahren.«

Ralf griff fürsorglich nach meinem Bierkrug und füllte nach. Auch die restlichen MIKEBOSSler inklusive Deo wurden mit neuen Schaumkronen bedacht.

Der Kerl schien ganz nett, auch seine Frisur war jetzt nicht als typische JU-Männerfrisur zu bezeichnen. Er trug das blonde, lockige Haar bis zur Schulter. Ich stach meine grauen Augen in seine grünen. Er senkte sofort die Lider. So war’s recht:

»Was machst du?«

»Jurist in Ravensburg.«

»Spezialisiert?«

»In einer Kanzlei, mein Ressort ist Verkehrsrecht.«

»Hört sich gut an, könnten wir gebrauchen. Hobbys?«

»An erster Stelle Motorrad, dann meine Hütte im Ried mit Grillstelle, dann Musik.«

»Was für Musik?«

»Rock, Metal, das Übliche halt.«

»Das hört sich gut an.«

Die MIKEBOSSler nickten zart, auch Deo schien Ralf sympathisch zu finden.

»Aba da Maikbossla sind schon auch harta Keale, da kannsta nicht wie ich mita Quickly komma.«

»Ach ja, was fährst du für eine Harley?«

»Ähm, keine. Ich fahre eine Honda, eine F…«

»Hört sich ganz schlecht an, keine Chance. Schade.«

Ich schüttelte leicht enttäuscht den Kopf, das wäre schon eine Chance gewesen, die Gruppenstärke wieder herzustellen. Ralf schien wirklich zu passen.

»Der, der ähm, ums Leben kam, was ist mit seiner Maschine?«

Deo hob die Hand:

»Bei da letzta Trauagespräch mit da Susi hat die gesagt, sie will da Maschina endlich mal loswerda. Hauptsach weg.«

Ralf wurde nervös:

»Wie teuer? Für meine bekomme ich locker fünf.«

»Ich denke, zwölf musst du ihr schon geben.«

»Mal überlegen, ob ich das hinbekomme. Kannst du mir die Adresse und Telefonnummer dieser Susi geben?«

Ich schrieb auf einen Bierdeckel und schoss ihn mit einem Fingerschnipser über den Biertisch zielgenau zu Ralf.

»Danke. Apropos Telefonnummer, meint ihr nicht, wir sollten mal in Ravensburg anrufen, wie es der Schanti geht?«

Der gut aussehende Ralf war wirklich ein sympathischer Kerl und mit so viel Empathie ausgestattet.

»Kennst du die?«

»Ja, von früher.«

Ich übernahm den Anruf. Die Klinik erteilte keinerlei Auskünfte. Auch nicht, als ich mich als Schantis Vater ausgab. Der stand nämlich gerade neben der diensthabenden Oberschwester in Ravensburg, mit der ich telefonierte.

10. Montagsblues

Die »Schwäbische« titelte: »Kässpätzleswettessen endet tödlich.« Der »Südkurier«, etwas blumiger: »Exitus bei Wettessen – Kässpätzle waren schuld.« Die »BILD« präg­nant: »Kässpätzlesexitus!!«

Schon am Sonntag hatten es die Dorftrommeln verkündet, eine von den Zwillingen sei an einem Kässpätzle erstickt.

Cäci war gerade dabei, eine Kondolenzkarte für die beiden verbliebenen Heberles zu schreiben.

»Was soll ich denn da reinschreiben, bei so einem tragischen Tod … Die arme Chantal. Du hast doch Theologie studiert, dir muss doch ein guter, passender Spruch einfallen! Du kannst ruhig auch einmal etwas tun!«

»Ich passe gerade auf Korbi auf!«, rief ich zur stubensitzenden Gattin.

»Aufpassen, ha aufpassen, du sitzt mit dem Fernglas rum und guckst wahrscheinlich zu Hilde! Liegt die schon wieder ohne da?«

»Nein, mit.«

»Aber Korbi hat viel Spaß in der Gartenwirtschaft. Er schaukelt, Oxana schubst ihn an.«

»Viele Gäste?«

»Es geht, die werden gegen Abend alles belagern.«

»Weißt du jetzt einen guten Spruch, den man in die Kondolenzkarte schreiben kann? Warum hast du denn Theologie studiert? Irgendetwas, das vielleicht mit den Umständen von Chantals Tod zu tun hat, es muss halt passen! Aber bei dir kommt bestimmt nur wieder irgendein Blödsinn raus. Manchmal denke ich, Korbi ist schon reifer als du.«

Der Vorwurf war gänzlich unberechtigt. Natürlich wusste ich einen der tragischen Thematik angemessenen Bibelvers. Levitikus, bei dem ging es oft ums Essen. Levitikus 11, eine bessere Stelle für dieses tragische Unglück gab es nicht:

›Und der Herr redete zu Mose und zu Aaron und sprach zu ihnen: Redet zu den Söhnen Israel: Dies sind die Tiere, die ihr von allen Tieren, die auf der Erde sind, essen dürft! Alles, was gespaltene Hufe hat, und zwar wirklich aufgespaltene Hufe, und was wiederkäut unter den Tieren, das dürft ihr essen. Nur diese von den wiederkäuenden und von denen, die gespaltene Hufe haben, dürft ihr nicht essen: das Kamel, denn es käut wieder, aber gespaltene Hufe hat es nicht: unrein soll es euch sein; den Klippdachs, denn er käut wieder, aber er hat keine gespaltenen Hufe: unrein soll er euch sein; den Hasen, denn er käut wieder, aber er hat keine gespaltenen Hufe: unrein soll er euch sein; das Schwein, denn es hat gespaltene Hufe, und zwar wirklich aufgespaltene Hufe, aber es käut nicht wieder: unrein soll es euch sein. Von ihrem Fleisch dürft ihr nicht essen und ihr Aas nicht berühren; unrein sollen sie euch sein.‹

»Denkst du, das passt? Mein Papa hat ab und zu mit seinen Jägern Dachsschinken gegessen. Und jetzt steht in der Bibel, dass man das nicht darf!«

Cäci schien ein bisschen verwirrt ob des gut ausgewählten Textes. Ich unterschrieb die Kondolenzkarte für Schanti. Schrecklich, wie in kürzester Zeit die renommiertesten Motorradvereine in ihrer Mitgliederstärke geschwächt wurden. Arme Schanti.

Ich klärte Cäci auf:

»Den Klippdachs durften die Israeliten, also die Juden nicht essen. Das ist hier Altes Testament. Jesus hat sich bestimmt immer wieder mal ein Klippdachsgeschnetzeltes mit Spätzle reingezogen. Ein Klippdachs ist kein Dachs in unserem Sinne, es ist der syrische Schliefer, der wird ungefähr so groß wie ein Kaninchen. Das Vieh hat die eigenartige Gewohnheit, dauernd die Zähne überein­ander zu reiben, vermutlich um sie zu schärfen. Es lebt zwischen Felsen und ist extrem schwierig zu fangen; eines von diesen Tieren hält immer Wache, sie sind unglaublich vorsichtig und schnell. Wenn ein Feind sich nähert, gibt das Wächtertier ein Signal, und sofort verschwinden alle Tiere. In Sprüche, ich meine irgendwo in Sprüche 30 wird das komische Tier deshalb als ›mit Weisheit wohl versehen‹ geschildert. Der Schliefer, also dieser biblische Klippdachs, ist interessanterweise mit den Elefanten und Seekühen verwandt.«

»Du kannst dir nur Dinge merken, die nicht wichtig sind!«

Aber ein bisschen stolz schien Cäci schon auf mich zu sein.

»Dein Vater hat tatsächlich Dachs gegessen?«

»Nicht nur mein Vater, Mama hat den Dachsschinken auf speziellen Wunsch angeboten. Sie hat das Rezept bestimmt noch.«

»Ruf sie an, das muss ich wissen, dann gibt’s beim nächsten Bikertreffen Dachsschinken.«

Ich notierte stichwortartig, während Cäci diktierte:

»Das ist noch handschriftlich von Papa, schreib mit: Keulen vom jungen Dachs. 30 bis 50 Gramm Pökelsalz, gut pökeln. Gewürzmischung herstellen mit: Pfeffer, Wacholderbeeren, Lorbeerblatt, kräftig Knoblauch. Nach Belieben: Piment, Nelken, Senfkörner, rohe Zwiebeln.

Im Kühlschrank zwei bis drei Wochen pökeln. Nach der Pökelzeit fünf Stunden gut wässern. Danach wieder drei Tage in die Kühlung hängen. Dann bis zu 30 Stunden in die Räucherkammer, Kaltrauch, Temperatur nicht über 27 Grad. Rauchphasen unterbrechen, Schinken zwei-, dreimal ohne Rauch einen Tag hängen lassen. Nach dem Räuchern den Schinken noch drei Wochen reifen lassen.«

»Danke, Mama … Dani spinnt mal wieder!«

11. Der Kurs

Noch fast eine Woche später war Schantis Essunfall das Tagesgespräch in und um Riedhagen. Auch meine 14 Kursteilnehmerinnen hatten nur dieses eine Thema, und so dauerte es doch eine gewisse Zeit, bis ich mich meinem eigentlichen Sujet, das ich im Rahmen der Volkshochschule anbot, widmen konnte: ›Jungbäuerinnen – Lebenshilfe in einer Globalisierten Welt. Synapsen zwischen Homo Rusticus und Homo Globalis. Differenzen erkennen – Homogenitäten stärken. Eine alte Vision im Jetzt neu gestalten.‹

Für den heutigen Abendkursus waren meine 14 Jungbäuerinnen beauftragt, kleine Gegenstände mitzubringen, die die Diskrepanz zwischen Homo Rusticus und Homo Globalis verdeutlichten. Die Gruppe wurde zweigeteilt. Im Riedhagener Dorfgemeinschaftshaus hatte ich dazu ein Tischchen inmitten des üblichen Stuhlkreises platziert, musste jedoch feststellen, dass gerade die Homo Rusticus-Objekte mehr Platz benötigten, als ich gedacht hatte. Doch zunächst war die Homo Globalis-Gruppe an der Reihe, ungeduldig warteten sie mit ihren Objekten. Auf den Tisch mit dem Kärtchen Homo Globalis legten Sabine ihr iPhone, Petra 1 einen Lippenstift, Hedwig eine Schildmütze mit den Buchstaben NY, Petra 2 ein Fläschchen Nagellack, Leopoldine einen Donut, Karla ein Bild von Miley Cyrus, auf dem selbige nackt auf einer Abrisskugel saß, abschließend stellte die kreative Bella ein wassergefülltes Longdrinkglas mit Zitrone, Glaseiswürfeln und Schirmchen getunt auf den Tisch.

Wie gesagt, die Homo Rusticus-Gruppe war da etwas grobschlächtiger an das Thema herangegangen und hatten meine Aussage kleine Gegenstände freier interpretiert: Lätitia hatte eine kindsbadewannengroße Teigschüssel, in der sie ansonsten den Hefeteig gehen ließ, mitgebracht. Josefine eine vierzinkige Mistgabel, deren Einsatzgebiet man nicht erläutern brauchte, Franziska eine Spätzlespresse, Petra 3 ein Bügelbrett, Magda eine Trockenhaube, Barbara einen Sicomatic-Kochtopf. Carmen schleppte einen Das-Letzte-Abendmahl-Teppich unter dem Arm herein, den sie in einer spirituellen Phase selbst geknüpft hatte. Auf dem Tisch mit der Beschriftung Homo Rusticus fand er aber keinen Platz mehr. All die Gegenstände drapierten wir auf dem Boden oder rollten sie dort aus.

Wir setzten uns nun alle stuhlkreisig, außer Carmen, sie bevorzugte aus emotional-spiritueller Motivation heraus ihren Das-Letzte-Abendmahl-Teppich, um einen wollenen und wertvolleren Untergrund zu haben.

Über Carmen wurde im Ort viel gemunkelt, man sagte, sie hätte das Gesicht. Schon als Kind hätte sie Dinge wahrgenommen, die nicht für alle Menschen erfahrbar waren. Einige bewunderten sie und holten bei ungeklärten Fragen ihren Rat ein, andere nannten sie eine esoterische Spinnerin.

Es lief dann so ab wie jedes Mal. Ich gab einen Einstiegsimpuls, indem ich zunächst auf einen goldenen Gong mit einem ganz speziellen Stab schlug, an dessen Ende sich eine weiche Kugel befand. Das hatte ich mir aus Cäcis Psycho-Praxis geliehen, die hatte genug von diesem Esoterik-Geraffel herumstehen, und die Damen standen darauf. Ich persönlich sehe das differenzierter. Nachdem der Gong in den unendlichen Weiten der neuen Riedhagener Dorfgemeinschaftshalle verklungen war, formulierte ich mein unerreichbares Ziel:

»Können wir uns jetzt in Phase eins mit den Gegenständen beschäftigen und jede ein ganz kurzes Statement abgeben, warum sie gerade diesen Gegenstand ausgesucht hat? In Phase zwei interpretiert jede einen anderen Gegenstand, der vor uns liegt, äh und steht. Nur einen, bitte! In der letzten Phase drei diskutieren wir 20 Minuten, welche Vor- und Nachteile die Lebenswelten von Homo Rusticus und Homo Globalis aufweisen. Vielleicht ergibt sich ja auch eine Synthese. Gibt es Fragen? Nein. Dann beginnt jetzt bitte jemand aus der Homo Globalis-Gruppe.«

Magda aus der Homo Rusticus Gruppe meldete sich:

»Darf ich anfangen?«

Ich nickte sanft.

»Die Stativ-Trockenhaube habe ich mitgebracht, weil sie für mich ein Symbol des Landlebens und der Unterdrückung ist. Wir Jungbäuerinnen wissen, was es heißt, unter die Haube zu kommen. Und selten können wir auf Saulgau oder Ravensburg oder Altshausen fahren, um zum Friseur zugehen.«

»Friseurin!«

»Sorry, klar Friseurin!«

Ich schaute auffordernd in die Runde. Bis jetzt lief alles noch super. Meist waren wir nach den ersten zwei Silben schon bei einem völlig anderen Thema gelandet.

»Na, die nächste bitte«, moderierte ich gefällig in die illustre Runde.

Franziska erhob sich, griff zur Spätzlespresse.

»Für mich ist gerade diese Spätzlespresse ein positiv besetztes Symbol für mein Leben als Homo Rusticus. Schon meine Uroma hat mit ihr hier in Riedhagen Spätzle gepresst, und ich werde diese Spätzlespresse auch an meine Tochter weitergeben. Und vielleicht wird einmal meine Tochter diese Spätzlespresse an ihre Tochter weitergeben, und so weiter und so weiter.«

Carmen auf dem Das-Letzte-Abendmahl-Teppich schien dem ganzen Treiben eher beiläufig zu folgen. Auch als der Kurs inhaltlich vom vorgegebenen Thema abwich, saß sie ruhig im Yogasitz da und strich mit einer Hand zart über den Teppich:

Barbara aus Wilhelmsdorf hatte mit ihrer spontanen Frage die Diskussion zu verantworten.

»Wie hieß denn die, die an dem Kässpätzle erstickt ist? Die von den zwei Zwillingen!«

»Wie, waren das vier?«

»Nein, die zwei Zwillinge von dem Hof da draußen.«

»Ja, aber zwei Zwillinge sind doch vier!«

»Ja, schwätz auch raus, der hat doch nur zwei Töchter!«

»Sag ich doch, die beiden Zwillinge!«

»Das Zwillingspaar!«

»Die waren gewiss kein Paar! Die waren doch untereinander verstritten!«

»Und mit dem Tod, da stimmt doch auch was nicht. Hab ich läuten gehört!«

»Ja, was?«

»Ich möchte keine Gerüchte verbreiten, aber die Leute sagen, dass da irgendetwas nicht stimmt!«

»Ja, was denn, wer A sagt, muss auch B sagen.«

»Die eine von den Zwillingen, die Aufgetakelte, die mit dem kleinen Motorrad, die hätte doch ihrer Schwester Gift geben können, das weiß doch jeder im Dorf.«

»Ach Quatsch, gerade andersrum, die, die nur in der Stube rumhockt, war doch eifersüchtig auf die Taxifahrerin!«

»Ach, die fährt Taxi. Das wusste ich gar nicht, ich dachte, die sei arbeitslos.«

»Nein, die andere, die Chantal, die tut nichts. Was meinst du, wie das den Vater fuchst. Die hockt dem nur auf dem Geldbeutel rum, die Jacqueline arbeitet wenigstens. Wenn der die Schmarotzerin los hat, geht’s dem finanziell viel besser.«

»Der hat eine Erbschaft gemacht, sonst könnte er die Chantal und den Suff gar nicht finanzieren!«

»Und seine Frau, weiß die von der Erbschaft?«

»Keine Ahnung, die ist bei Tübingen oder Hechingen mit ihrem neuen Liebhaber! Ich weiß auch nicht, ob die Mädchen Kontakt zu ihr haben.«

»Also ich habe gehört, der Kontakt sei komplett abgebrochen, und der Neue hätte richtig Geld.«

»Die wäre bestimmt beim Sepp geblieben, wenn sie gewusst hätte, dass er so bald erben würde.«

»Ach, dem ist das Weib doch nur abgehauen, weil er so säuft, Kohle hin, Kohle her. Mit einem Alkoholiker zusammenzuleben ist kein Spaß, ich weiß, wovon ich rede.«

»So kann man das aber nicht stehen lassen, das ist unfair dem Sepp gegenüber. Der hat nur zu trinken angefangen, weil seine Frau schon lange mit dem anderen etwas hatte. Sonst wäre der heute trocken. Und seine Töchter liebt der abgöttisch, auch wenn ihm der Lebenswandel von der Jacqueline nicht gefällt. Das ist alles sensationslüsternes Gerede! Wer will aus welchen Gründen auch immer der Chantal etwas antun? So ein Geschwätz ist typisch für den Homo Rusticus.«

Carmen, die bis jetzt schweigend zugehört hatte, erhob sich plötzlich von ihrem Das-Letzte-Abendmahl-Teppich. Die kleine rundliche Frau aus Wilhelmsdorf wischte sich aufgeregt mit beiden Händen übers Gesicht:

»Hört auf mit eurem Getratsche, mit der Sache stimmt etwas nicht, das war kein Unfall!«

Schlagartig war es ruhig im Raum. Eine der Damen flüsterte:

»Seid ruhig, sie hat das Gesicht, vielleicht sagt sie noch mehr!«

Carmen schüttelte mit resigniertem Gesichtsausdruck den Kopf und meinte mit leiser Stimme:

»Da kann ich nichts dafür, das kommt einfach so, ich sehe die Dinge meist ganz klar vor mir, hier ist es aber noch sehr verschwommen. Ich weiß nicht, warum es gerade jetzt ist, vielleicht liegt es an der Personenkonstellation. Auf jeden Fall ist das, was da in Königseggwald mit diesem Mädchen passiert ist, nicht nur ein trauriger Unfall, da steckt mehr dahinter.«

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, als sie fortfuhr:

»Und Herr Bönle, Sie müssen aufpassen. Sie müssen aufpassen vor der Hitze!«

Sie artikulierte ihre Worte weder unheimlich noch angsteinflößend, sie sprach leise mit ihrem schwäbischen Akzent, und trotzdem bekam ich eine Gänsehaut.

»Entschuldigung!«

»Carmen, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen!«

Sie rollte schnell ihren Teppich zusammen und verschwand Richtung Ausgang.

»Halt Carmen, bleiben Sie doch hier! Erzählen Sie doch mehr! Vielleicht können Sie noch mehr erkennen?«

»Nein, das geht jetzt nicht! Ich kann das nicht vor so vielen!«

»Was war denn das?«

Einige der Damen schauten sich ratlos an.

»Die ist doch sonst ganz normal.«

»Die hat das Gesicht, das zweite Gesicht, zu der kommen Leute aus der ganzen Region.«

»Ach was, die will sich doch nur wichtigmachen!«

»Die hat bestimmt Komplexe!«

»Bitte fair bleiben, meine Damen!«

»Das finde ich auch, die hat nämlich das zweite Gesicht, darüber macht man sich nicht lustig! Da kommen wirklich Leute von weit her und holen sich bei ihr Rat.«

»Herr Bönle, können Sie erklären, was das zweite Gesicht ist?«

»Äh, schon, aber eigentlich ist das nicht unser Thema, wir wollten doch die Diskrepanz zwischen Homo Rusticus und …«

»Bitte Herr Bönle, nur ganz kurz. Ich habe noch nie davon gehört, von diesem zweiten Gesicht.«

»Das ist eigentlich mehr der Themenbereich meiner Frau, also der Psychologie. Die Theologie betrachtet so etwas schon auch. Aber solche paranormalen Fähigkeiten sind ein sehr komplexer …«

»Jetzt erklären Sie schon, aber in normalem Deutsch!«

»Aber ich weiß da wirklich nicht so viel, der Begriff kommt nicht von Gesicht, sondern von dem mittelhochdeutschen Gesichte und bedeutet dort so viel wie Erscheinungen. Und das ist eigentlich auch schon die beste Definition. Den Betroffenen erscheinen Bilder.«

»Was für Bilder?«

»Das können Bilder sein, die ganz plötzlich auftauchen, auch vor geschlossenen Augen, glaube ich. Die sind halt plötzlich da und so intensiv, dass der Betroffene merkt, dass es nicht nur irgendeine Spinnerei oder ein verrückter Tagtraum ist.«

»Kann so etwas jeder bekommen?«

»Das weiß ich nicht, da müsste ich meine Frau fragen.«

»Also ist das wie Hellseherei?«

»Ja, das kann man so sagen, die Hellseher betreiben das aber professionell, die nutzen ihre Gabe. Menschen, die das zweite Gesicht haben, schätzen ihre Gabe meist selbst nicht. Für viele ist es eine Belastung … Aber all das, was ich Ihnen gesagt habe, nur mit Vorbehalt. Ich muss da meine Frau fragen.«

»Was sehen die dann für Dinge? Können die mir dann auch sagen, wie meine Hochzeit wird oder ob ich ein Mädchen oder einen Jungen bekomme?«

»Hmmm, das ist eben das Komische am zweiten Gesicht, fast immer sehen sie unangenehme Dinge wie Todes- oder Unglücksfälle voraus.«

»Glauben Sie daran?«

»Ich weiß es nicht!«

»Warum wissen Sie nicht, ob Sie an etwas glauben oder nicht?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob es so etwas wie das zweite Gesicht überhaupt gibt.«

»Bei Ihnen in der Motorradgruppe nennen Sie doch auch einen Gesicht, hat er auch das zweite Gesicht, warum nennen Sie den so?«

Ich musste lachen und erwiderte der gut informierten Dame:

»Den nennen wir so, weil er immer so dumm guckt. Seine Mutter hatte früher immer zu ihm gesagt: Was machst du auch für ein Gesicht? Der Spitzname ist ihm geblieben.«

Der Volkshochschul-Kurs ›Jungbäuerinnen – Lebenshilfe in einer globalisierten Welt. Synapsen zwischen Homo Rusticus und Homo Globalis. Differenzen erkennen – Homogenitäten stärken. Eine alte Vision im Jetzt neu gestalten‹ endete dann, ohne das heutige Thema auch nur annähernd gestreift zu haben. Der nächste Kurs fiel auf den Donnerstag, den 29. Mai, Christi Himmelfahrt, in der Region vor allem als Vatertag bekannt. Ich kam der Bitte der Kursteilnehmerinnen nach, den Termin deshalb auf Dienstag, den 27. Mai vorzuverlegen.

Im ›Goldenen Ochsen‹ bei Frieda fand der Kurs traditionell seinen gesprächigen Ausklang. Nur Carmen fehlte.

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Litres'teki yayın tarihi:
25 mayıs 2021
Hacim:
243 s. 6 illüstrasyon
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9783839246009
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