Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 2
Ich blickte wohl gar zu ungläubig, so dass mein Gegenüber sich genötigt sah, diesen letzten Satz und einige weitere zum Beweis heranzuführen. Der gute Franco, der neben mir auf einem weniger bequemen Kissen hockte, schien sich indes für das Gerede der Erwachsenen nicht allzu sehr zu interessieren. Er wickelte unablässig eine dünne goldene Schnur um seine Finger, um sie kurz darauf wieder abzuspulen. Seine Blicke galten mehr den Jungfrauen und ihrem manchmal frivolen Gebaren, so dass ich ihn mit strengem Gebot ermahnen musste, sich in seinem Interesse ein wenig zurückzunehmen. Ich ließ ihm einen Teller mit Obst und einen Krug Bier bringen, damit er sich auf diese Art etwas amüsieren und ein wenig Zerstreuung finden konnte.
Sodann fuhr Stephanus fort: „Wie man zuletzt hörte, war Johannes für die junge Witwe eines Dienstmannes, den er zuvor aus ganz nichtigen Gründen ermorden ließ, in blinder Leidenschaft entbrannt. Er verfolgte die arme Frau über viele Städte hinweg und ließ ihr goldene Kreuze und Kelche, welche doch eigentlich dem unantastbaren Schatze des Heiligen Petrus zugehören, als Geschenk zukommen. Und noch etwas: Die Frau Stephana, seine Geliebte, verlor bei der Abtreibung einer von ihm empfangenen Leibesfrucht vor kurzem das Leben! Bedenkt nur, edle Bischöfe: Der Lateranensische Palast, einst der Wohnort heiliger Männer, ist jetzt der Tummelplatz unzüchtiger Weiber! Denn dort haust als sein Weib die unzüchtige Schwester einer anderen Beischläferin, genannt Stephania.“
Erneut wandte ich mich zu meinem Schüler um, der sich bei der Erwähnung der Weiber im Lateranensischen Palast wohl ebenso an unseren kürzlichen Besuch erinnert gefühlt haben dürfte wie ich. Unsere Blicke kreuzten sich für einen Moment vielsagend. Stephanus brachte noch weitere Beispiele der Verrufenheit und Lasterhaftigkeit, denen sich der Papst mit jedem neuen Jahr seiner Amtszeit immer offener und verschwenderischer hingab. Er berichtete ebenso von grauenhaften Taten, die der Papst noch vor wenigen Tagen an Ehefrauen und Witwen vollbringen ließ, deren Männern er auf die eine oder andere Art Gewalt und Tod angetan hatte, um sie gefügig zu machen. Mich erschauerte das Gehörte derart, dass ich nicht einmal in der Lage war, es mir in meinem inneren Bilde vorzustellen.
„Der Tod herrscht in den Kirchen!“, fuhr er in Eifer entbrannt fort. „Allerorten stürzen ihre Dächer ein. Uns ängstigt das morsche Gebälk, wie es knarrt und knirscht. Das Regenwasser kommt nicht etwa tropfenweise, sondern wie ein Platzregen auf die geheiligten Altäre hernieder! Er behindert uns, die wir viel zu bitten haben in diesen Zeiten und zwingt uns, das Haus des Herrn so schnell wie möglich wieder zu verlassen.“
Stephanus hatte sich mit der Zeit und dem Wein so in Rage geredet, dass es ihm schwerfiel, einen anderen Sinn zu finden. Er hatte es denn auch verstanden, mir einen guten Eindruck zu vermitteln, warum zwischen dem Herrn Papste und dem Heiligen Kaiser eine solche Feindschaft herrschte wie in der Natur zwischen Wolf und Lamm. Noch am Ostertag des Jahres 962 hatte der Papst Johannes XII. in schönster Einhelligkeit mit dem Kaiser dessen Krönung vollzogen. Die beiden Männer waren trotz des großen Altersunterschiedes von beinahe dreißig Jahren durch eine enge Freundschaft verbunden. Sie war aber nur von kurzer Dauer. Ich verstand, dass der ungeheure Machthunger des Kaisers Otto und seine immer wieder aufflammenden Herrschaftsansprüche in der Provinz Capua und im Benevent6), welche jedoch dem oströmischen Reiche des mächtigen Kaisers Nikephoros untertan waren, den Papst verdrießlich machten und ihn nun umso mehr um seine eigene Position fürchten ließen. Um sich die Feindschaft des Kaisers ungestraft erlauben zu können, machte er sich den mächtigen Berengar von Ivrea und dessen gierigen Sohn Adalbert zum Vormund, zum Beschützer und Verbündeten.
Kaiser Otto, der von dem unerwarteten Kurswechsel des noch jungen Papstes zunächst überrascht war, brachte schon kurz darauf väterliches Verständnis für ihn auf: Er sei noch ein Kind, sagte er zu mir, er werde leicht durch das Beispiel guter Männer zu bessern sein. Und er hoffe noch, fügte er hinzu, dass jener sich durch einen Tadel in Ehren und freimütige Ermahnung mühelos von diesen argen Dingen freimacht.
Doch schon bald waren die Prioritäten für den Kaiser anders gesetzt. Vor der Hand forderte die Reihenfolge, den untreuen Berengar aus den Bergen zu vertreiben, da er sich noch in der Feste San Leo hielt, dann erst wollte er dem Herrn Papste mit väterlicher Ermahnung zureden. Wenn nicht aus freien Stücken, so fügte er dem Gesagten hinzu, so wird der Papst doch aus Scham sich in einen vollkommenen Mann verwandeln. Und wenn er so vielleicht gezwungenermaßen bessere Sitten annimmt, so wird er sich schämen, sie wieder abzulegen. Ich stimmte dem Erhabenen Kaiser zu und machte mich, wie oben beschrieben, mit dem Bischof Landward und den anderen auf den Weg nach Rom, um zu sehen, was wir für ihn ausrichten konnten.
Als die Stunde des nächsten Tages nahte, in der wir erneut vor den Papst treten sollten, um unsere Gesandtschaft zu erfüllen, wurden wir vom Diener Salek direkt vor der Herberge in Empfang genommen. Der Guten-Morgen-Gruß, den er uns etwas mürrisch entbot, war überhaupt das erste Wort, welches er an mich richtete. Nun gut, er mochte uns offenbar nicht, wir ihn aber auch nicht. So taten wir uns wenigstens nichts, da wir das nun voneinander wussten.
Zu meiner und auch Bischof Landwards allgemeiner Überraschung war der Herr Papst auch bei diesem Empfang nicht allein anwesend. Aber weniger dieser Umstand, als vielmehr die erstaunliche Tatsache, um wen es sich bei seinem Besucher handelte, vermochte uns wahrhaftig zu verwundern. Kein anderer als Adalbert von Ivrea, Sohn des Berengar und der Willa, saß seitlings des in goldenem Samte glänzenden Papstthrones auf einem bequemen Stuhle, welcher aber nicht dem Papste, sondern uns zugewandt war, so als wäre er nicht Gast, sondern Gastgeber in diesem Hause.
So kam es, dass wir unsere Ehrerbietung gegenüber dem Herrn Papste in gewisser Weise auch an ihn richten mussten, denn wie es sich gehört, verneigten wir uns tief und lange vor dem obersten Bischofe. Adalbert nahm es mit sichtbarer Genugtuung und Freude auf, worunter ich sehr litt. Dem braven Franco jedoch machte dies nichts aus – er lächelte einfach zurück.
Johannes XII. forderte sodann Bischof Landward auf, des Kaisers Anliegen nun vorzutragen. Der brave Bischof begann etwas umständlich mit der Einleitung, bevor er ein Schriftstück entrollte und daraus des Kaisers Botschaft verlas:
Dass der Papst sich zu bessern und sein Betragen zu ändern verspricht, dafür sage ich ihm meinen Dank. Wenn er mich aber beschuldigt, mein Versprechen nicht gehalten zu haben, so urteilt selbst, ob das wahr ist. Wir versprachen ihm das ganze Gebiet des Heiligen Petrus7), welches in unsere Gewalt kommen würde, zurückzugeben. Und das ist der Grund, weshalb wir uns jetzt darum bemühen, den Berengar mit seinem Anhang aus dieser Festung zu vertreiben. Denn wie sonst können wir ihm dieses Gebiet zurückgeben, wenn wir es nicht vorher den Händen der Räuber entreißen und in unsere Gewalt bringen? An der Festnahme des Zachäus in Capua trifft uns ebenso wenig eine Schuld. Wir wissen aber auch, dass der Herr Zachäus, obwohl er ein verworfener Mensch ist, der göttliche und menschliche Schriften nicht kennt, vom Herrn Papste erst kürzlich zum Bischof geweiht wurde, jetzt aber zu den Ungarn abgesandt ist, um ihnen zu predigen, dass sie über uns herfallen sollten. Dass der Herr Papst solches getan hat, würden wir nicht glauben, wenn es nicht durch einen Brief mit seiner Bleibulle und seinem Namenszuge bestätigt würde.
Als wir dies der Ordnung gemäß vorgetragen und beeidet hatten, sahen wir weder Einsicht bei dem Herrn Papste noch beim Herrn Adalbert. Schon bei der Erwähnung des Berengars sah ich in den Zügen Adalberts eine verabscheuungswürdige Grimasse, die der Papst mit einer ebenso entsetzlichen Geste beantwortete. Ich konnte dem Adalbert dies nicht verdenken, denn schließlich hört niemand gern Unbilliges über seine engsten Verwandten. Aber dem Herrn Papste verüble ich dies sehr wohl!
Johannes XII. schickte uns hinaus, um sich mit seinen Getreuen und seinem neuen Kumpan zu beraten. Auch dies war ein sehr ungebührliches Verhalten, wie mir Bischof Landward, der ebenfalls sehr kundig und geübt in gesandtschaftlichen Angelegenheiten war, bestätigte. Als wir ohne jede Form durch die verschlossenen Türen wieder hereingerufen wurden, standen neben Adalbert auch der Camerlengo Salek und zwei Männer des römischen Klerus beim Herrn Papste, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Ich suchte den Raum nach dem Kanzler Leo ab, konnte ihn aber nirgends entdecken.
Der Herr Adalbert teilte uns mit, dass er dem heiligen Kaiser seine Versprechungen und Eide nicht glauben werde und dass er aus sicherer Quelle wisse, dass der Kaiser auf Rom marschieren werde, kaum, dass er den von Gottes Gnaden einzigen und gerechten König von Italien, wie er seinen Vater Berengar benannte, verjagt oder, was der Herr verhindern möge, gar Schlimmeres angetan hätte. Die anwesenden Kleriker nickten stumm und auch der Papst stimmte dem ohne ein weiteres Wort zu, womit klar war, dass unsere Gesandtschaft an diesem Punkte gescheitert war. Landward und ich sahen uns einige Augenblick lang unschlüssig an, aber genau genommen war er ebenso überzeugt davon, hier nichts mehr ausrichten zu können. Was uns blieb, war nur der Rückzug.
2. Kapitel
In den folgenden Tagen, wir waren inzwischen eiligst und unversehrt zum Kaiser zurückgekehrt, regten sich das Herz und der Verstand des römischen Adels. Sie verabscheuten den jungen Papst und tadelten seinen Lebenswandel aus tiefster Seele. Zunächst aber suchte eine drückende, ganz außergewöhnliche Hitze die Stadt heim und der Gestank in den Vorstädten muss zu dieser Zeit noch unerträglicher gewesen sein. Für zwei Wochen verfiel alles in eine schlafende Starre. Als die Wiederkehr des Gestirns der Jungfrau die Hitze wohltätig linderte, erwachte der Lebensgeist der Stadt wieder. Die adligen Römer bemächtigten sich des Kastells Sankt Paulus und sandten dem geheiligten Kaiser ganz offen und sogar unter Stellung von Geiseln eine höfliche Einladung. Der Kaiser sammelte hierauf sein Heer und bezog am dritten Iden des November8) sein Lager vor der Stadt Rom.
Kaum, dass er angekommen war, entflohen miteinander der Herr Papst und der Herr Adalbert. Die adeligen Herren von Rom aber nahmen noch am gleichen Tage den geheiligten Kaiser und sein ganzes Heer in der Stadt auf, erneuerten ihr Treuegelöbnis und schworen überdies einen feierlichen Eid, dass sie niemals einen Papst wählen noch weihen lassen wollten ohne die Zustimmung und Bestätigung des gerechten und erhabenen Kaisers Otto und seines Sohnes, König Otto.
Franco und ich kehrten in Ottos Gefolge nach Rom zurück. Wir bezogen die gleiche Herberge wie schon zuvor und wurden vom edlen Herrn Stephanus de Imiza und seinem Bruder Rikhardus erneut auf das Herzlichste begrüßt, was mich persönlich sehr erfreute, weil es mir die Verheißung auf viele weitere gelehrte und ausgezeichnete Gespräche bei gutem Essen, Wein und Tanz brachte.
Zur Mittagszeit des darauffolgenden Tages klopfte Salek, der Kammerdiener des Herrn Papstes, unerwartet an das Tor unserer Herberge. Rikhardus öffnete ihm und geleitete ihn eine Treppe hinauf, wohin Franco und ich einquartiert worden waren. Ich hatte seine Ankunft bereits bemerkt.
Der Salek war ein gedrungener Bursche, kaum dreißig Jahre alt, so schätzte ich. Von seiner Größe her lag er zwischen der Francos und der meinigen, aber er bewegte sich ständig mit nach vorn geneigtem Kopfe, als trüge er schwer an der Last seiner Gedanken. Sein kurzes und zotteliges Kraushaar war sicher voller Ungeziefer, weshalb ich wohl gut daran tat, mich von ihm ein wenig fernzuhalten. Auch seine Kleidung zeugte nicht von erlesenem Geschmack. Ich fürchtete fast, ihm läge nicht viel daran, nach außen hin eine gute Erscheinung abzugeben, wie es sich für einen Mann seines Amtes gebührte. Als er so die Treppe hinaufkam, blickte ich ihm für einen kurzen Moment in die finsteren Augen. Sogleich wich er mir aus und verlangsamte seinen Schritt, um ihn dann, wiederum mit gesenktem Kopfe, umso schneller fortzusetzen. Mir fiel auf, dass er entsetzlich nach Knoblauch und schlechtem Schweiße stank.
„Der Papst verlangt nach dem Knaben“, sagte er ohne Umschweife und ohne eine Form von Höflichkeit.
„Das kann er nicht“, erwiderte ich etwas unbedacht, denn ich wusste, dass er dies sehr wohl tun konnte, wann immer ihm danach gelüstete. Um meinem Ausspruche zumindest ein wenig mehr Legalität zu verleihen, fügte ich hinzu: „Der Junge ist Teil unserer kaiserlichen Gesandtschaft, er kann nur mit mir oder dem Bischof Landward gemeinsam vor den Heiligen Vater treten.“
Salek sah mich aus seinen dunklen Augen mit erkennbarer Verachtung an. „Ich tue, was mir gesagt wird. Schickt den Knaben heute zur vierten Abendstunde gewaschen und in festlichem Aufzuge vor das Tor. Ich werde ihn hier abholen. Tut Ihr das nicht, wird er geholt werden.“
Daraufhin händigte er mir ein reich besticktes orangegelbes Festgewand aus, welches wohl für den Jungen gedacht war, drehte sich auf dem Absatze und stapfte finster die Treppe hinab, ohne noch ein weiteres Wort oder einen Gruß an mich oder einen der Umstehenden zu richten.
„Sagt, Herr Salek“, rief ich ihm hinterher, „wie kann der Papst nach dem Jungen verlangen, wenn er doch gar nicht mehr in der Stadt ist? Ist sein überstürzter Ausflug ins Umland denn so schnell beendet?“
Der Salek verlangsamte seine Schritte, drehte sich um und funkelte böse hinüber. „Ihr solltet mehr Bedacht auf die Wahl Eurer Informanten legen, Bischof! Manch einer hat in diesen Zeiten schon für weniger seine Zunge verloren.“
Es bedurfte nicht einmal der darauffolgenden abfälligen Geste, um zu wissen, wen er damit meinte.
„Ich hasse ihn“, flüsterte ich.
„Ja, er ist schon ein gemeiner Dreckskerl“, sagte Rikhardus, als Salek kaum das Tor passiert hatte, aber so laut, dass nicht nur ich es hören konnte.
Natürlich wusste ich sofort, was diese Einladung des Papstes zu bedeuten hatte. Mir war während unserer Audienz nicht verborgen geblieben, welche begehrlichen Blicke er auf meinen jungen Schüler richtete. Und ich gestehe auch, dass dies kein Gedanke war, der mich in irgendeiner Weise beruhigen konnte. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, dass Franco hinter mir im Türrahmen stand.
„Meister?“, fragte er mit sanfter Miene, nachdem ich die Tür geschlossen hatte. „Ihr seht sehr besorgt aus. Was hat der Camerlengo von Euch gewollt?“
Mit einer Geste gebot ich ihm, Platz zu nehmen und versuchte indes, meine Gedanken zu ordnen. Franco war ein guter Junge. Er tat, wie ihm geheißen und wartete geduldig, was ich zu sagen hätte. Aus den Augenwinkeln musterte ich ihn aufmerksam und fragte mich, wie viel von dem kurzen Gespräch er wohl mitbekommen hatte. Sollte ich ihn zu seinem Schutze belügen, ihn gar verstecken? Konnte ich ihn denn überhaupt beschützen? Vor dem Papste? Vor meinem obersten und heiligsten Dienstherrn? Nein. So entschloss ich mich, nichts dergleichen zu tun. Stattdessen wollte ich ihm reinen Wein einschenken und setzte mich behutsam zu ihm.
„Der Heilige Vater will Dich sehen, Franco. Heute Abend schon“, sagte ich mit einiger Betrübnis und beobachtete, wie er es aufnehmen würde.
Franco jedoch sah keineswegs unglücklich aus.
„Aber ist das denn kein Grund zum Jubel, Meister? Der Papst ist doch sehr mächtig und stark. Ist es denn nicht gut, wenn wir ihn zu unserem Freunde haben können?“
„Nun ja, mein guter Franco. Das wäre wohl durchaus ein guter Grund zum Jubel. Nur leider glaube ich nicht, dass wir aus dieser Beziehung, wie ich es einmal nennen möchte, irgendeinen Vorteil werden ziehen können. Meine Erfahrung sagt mir, dass er Dich nicht eingeladen hat, um Dich nach Deiner Meinung oder einem besonders schwierigen Ratschluss zu fragen, wie es unter Freunden recht schicklich wäre.“
„Meister, Ihr sprecht davon, als wolltet Ihr mich nicht begleiten?“
„Ja, Du hast recht gehört, Franco. Der Papst hat seine Einladung nur an Dich gerichtet. Weder ich noch der Landward werden Dich dorthin begleiten können.“
„Wünscht er denn nicht, Euren Rat zu hören?“
„Oh, nein. Nicht dieser Papst! Für das, was er vorhat, wäre mein Ratschluss nur hinderlich.“
„Das verstehe ich nicht, Meister.“
Ich stöhnte leise, wusste aber keine passende Erwiderung.
Franco lief ein paar Schritte in der Kammer auf und ab. Seine Miene hellte sich plötzlich auf. Er schien nun ob dieser Nachrichten recht freudig erregt zu sein und einer ehrenvollen Aufgabe entgegenzusehen.
„Ich kann sicherlich nicht so gut argumentieren und disputieren wie Ihr, verehrter Bischof Liutprand“, sagte er, „aber ich will gern meinen Teil, so gut ich kann, leisten, wenn Ihr es wünscht.“
Er hatte wirklich keine Ahnung.
Ich forderte ihn auf, sich wieder zu mir zu setzen und legte meine Hand behutsam auf seine Schulter. „Und Du hast keine Vorstellung, weshalb der Herr Papst nach Dir geschickt haben könnte?“, vergewisserte ich mich.
Franco verneinte arglos, was die Aufgabe für mich nicht eben leichter werden ließ.
„Wie Du sicherlich vernommen hast“, begann ich, „ist er den weltlichen Dingen weit weniger abgeneigt, als er sollte. Er betreibt die Hurerei und allerlei sündigen Frevel in den Gemächern des Lateranensischen Palastes. Seine Begierden sind manchmal wider die Natur, musst Du wissen. Man sagt, er treibt es nach Art der Hunde und hat ungehörigen Verkehr.“
„Wie meint Ihr das, Meister?“
Ich zögerte gewiss etwas zulange und es war mir eine abscheuliche Qual, dem armen Jungen all dies in den Einzelheiten beschreiben zu müssen, glaubte aber, in diesem Falle keine andere Wahl zu haben, damit er wisse, worauf er sich einließ, wenn er der Einladung des Papstes Folge leistete. Und dass er genau dies tun musste, stand außer Zweifel.
„Wir Männer des Glaubens“, erklärte ich deshalb umständlich, „haben die Enthaltsamkeit und die Zügelung unserer Begierden und Lüste zu unserem hohen Ideal erhoben. Wie Du weißt, steht für uns die Liebe zu Gott und die völlige Hingabe im Glauben an ihn weit höher als die profane Befriedigung von Lustgefühl und Triebhaftigkeit. Deshalb haben wir der gemeinen Fleischeslust und auch dem Institut der Ehe abgeschworen. Aus gutem Grund also. Denn wir verstehen die Fleischeslust als Folge des Verlustes der paradiesischen Unschuld. Überdies steht in der Bibel geschrieben, dass der Beischlaf mit dem Weibe allein der Zeugung dienen solle. ‚Seid fruchtbar und vermehret euch!’ steht dort, womit gemeint ist, dass der Beischlaf mit dem Weibe ohne eine Ehe wider die Natur ist und ein Zeichen von Triebhaftigkeit und Gottlosigkeit. Verstehst Du das?“
Franco nickte verständnisvoll, so als könne er spüren, welche Nöte mir dieses Gespräch innerlich bereitete.
„Nun hat der Herr Papst, wie es offensichtlich ist, eine andere Meinung. Er schert sich nicht um sein Seelenheil, versündigt sich gegen den Herrn und gegen das Fleisch. Er schart lasterhafte Weiber um sich, treibt Sodomie und schlimmere Dinge, von denen ich hier nicht sprechen kann.“
„Aber dann droht doch mir keinerlei Gefahr, Meister Liuzo! Ich bin kein Weib!“
„Oh, mein armer Junge“, klagte ich. „Wie kann ich Dir nur begreiflich machen, welches Schicksal Dich erwartet, wo Du doch selbst von den einfachsten Dingen nichts weißt?“
Franco jedoch schien immer noch ohne jede Sorge. Anstatt sich selbst in höchstem Maße zu beunruhigen, versuchte er, mir die Furcht zu nehmen.
„Ängstigt Euch nicht um mich, Meister Liuzo“, sagte er. „Ich werde sorgsam darauf achten, nicht der Sünde, wie Ihr sie mir beschrieben habt, zu verfallen.“
Ohnmächtig stöhnte ich auf. Was konnte ich nur tun, um das kommende Unheil abzuwenden? Die Stunde nahte, zu der Franco sich bereithalten sollte, und ich wusste keinen Weg, wie ich es hätte verhindern können noch wie ich ihm die Gefahr, in die er sich offenen Herzens begab, hätte verständlich machen können.
In der vierten Abendstunde stand der Salek, wie angekündigt, vor dem großen Tore und erwartete den Jungen, der in jenes orangefarbene Gewand gehüllt war. Immer noch hatte ich den Eindruck, dass der gute Franco nicht wusste, was ihn im Lateranensischen Palast erwartete. Ein beinahe glücklich zu nennendes Lächeln lag auf seinem Gesicht, als er sich zu mir umdrehte und mir zudem aufmunternd zuwinkte. Ich indes machte mir die größten Sorgen. Ich konnte und wollte nicht zulassen, dass er in seinen jungen Jahren schon zur Verderbtheit, zur Triebhaftigkeit und zu Schlimmerem hingerissen wurde. Meine Aufgabe, die ich seinem Vater feierlich in die Hand versprochen hatte, war, ihn zu beschützen, auf sein Seelenheil Acht zu geben und ihn nach besten Möglichkeiten auszubilden. Keinesfalls wollte ich auch nur eines davon auf eine so schändliche und unwerte Art preisgeben. Ich war fest entschlossen zu verhindern, was zu verhindern war.
Als Salek und Franco außer Sichtweite waren, schlüpfte ich in meine besten Sandalen und folgte ihnen. Ich musste sie nicht sehen, um zu wissen, welchen Weg sie nahmen. Salek wählte immer den kürzesten und direkten Weg, denjenigen, der ohne Umschweife zum Ziele führte. Ich entschied mich deshalb für einen anderen, der zwar mit einiger Verzögerung, aber ebenso sicher zum Palast führte. Auf die Verspätung mochte es in diesem Falle nicht ankommen, dessen war ich gewiss, weil der erste Teil dieser unheiligen Gesellschaft ganz sicher ein ausgiebiges Mahl bei Wein und Tanz sein würde. Und dieses beneficium sollte Franco ruhig und in Freuden genießen können.
Als ich den päpstlichen Palast erreichte, war bereits die Dämmerung über die Stadt hereingebrochen. Aus einer seitlichen Gasse kommend, nahm ich die breite Straße zum großen Portale und wurde zu meinem beträchtlichen Erstaunen von der Palastwache schroff abgewiesen, noch bevor ich etwas zu meinem Begehr sagen konnte. Beinahe schien es mir, als sei mein heimlicher Besuch bereits erwartet worden. Ich stellte mich den Männern sodann als Abgesandter des Kaisers Otto vor und verlangte, noch in dieser Stunde in dringender gesandtschaftlicher Angelegenheit zum Papste vorgelassen zu werden.
„Wir haben den Befehl, Euch nicht hereinzulassen, Bischof Liutprand“, sagte eine der Wachen. Ich war darüber sehr beunruhigt und begann, auf die bewaffneten Männer einzureden, als würde ich sie damit überzeugen können, ihrem Befehl abtrünnig zu werden. Alle Reden halfen nichts, ich fiel auf die Knie, bat und flehte, allein die Männer blieben stur und verwehrten mir den Weg, ebenso die Wachen am seitlichen Portale, wo ich einen weiteren Versuch wagte, in den Palast zu gelangen. In mir machten sich Verzweiflung und Verdruss breit. Wie sollte ich Franco aus den Händen dieses Ungeheuers retten, wenn es mir nicht einmal gelang, in seine Nähe zu kommen?
Die Türen dieses Hauses waren offenbar ausdrücklich für mich verschlossen worden.
In meiner Verzweiflung umrundete ich den Palast, demütig betend und still hoffend auf einen anderen Weg hinein. Vielleicht gab es ja eine versteckte Tür oder einen geheimen Kellergang? Alles, was ich fand, war eine kleine Pforte, die wohl zur Küche führen mochte. Sie war kaum groß genug, einen Korb mit Gemüse hindurchzureichen, für einen gut gebauten Mann wie mich indes viel zu klein bemessen. Die Pforte war nicht bewacht und mein Klopfen verhallte ungehört. Es war wohl auch niemand dahinter, der mir hätte aufmachen können. Ich warf mich mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften dagegen, aber zu allem Übel war sie stark genug, meinem Begehren standzuhalten.
Da ich nun keinen weiteren Weg mehr wusste, wie mir und ihm zu helfen war, machte ich mich gesenkten Hauptes auf den Weg zurück zur Herberge. Schreckliche Vorwürfe ob meines Versagens quälten mich und ich schalt mich wegen meiner Naivität. Natürlich hatten der Papst und sein unsäglicher Diener Salek für den Fall vorgesorgt, dass ich meinen jungen Schüler begleiten wollte.
Ich hätte es wissen müssen.
Gerade als ich in die dunkle Gasse abbiegen wollte, aus der ich gekommen war, begegnete mir der gute Leo, der Kanzler des Herrn Papstes. Ganz plötzlich und wie von Gott selbst gerufen stand er vor mir und schien ebenso überrascht zu sein wie ich von unserem Aufeinandertreffen an diesem ungewöhnlichen Orte. Ich pries ihn und den Herrgott in seiner unendlichen Gnade und Weisheit und dankte ihnen beiden, was Leo mit einigem Unverständnis annahm. Für lange Erklärungen war jedoch nun keine Zeit mehr. Ich bat ihn, mich auf einem geheimen Wege in den Palast zu führen, da ich mit den Wachen nicht gut rechnen konnte. Auch erklärte ich ihm, dass ich eine wichtige Mission zu erfüllen hätte und meinen braven Schüler Franco aus den Händen des päpstlichen Ungeheuers erretten musste. Leo zog die Augenbrauen hoch, weil meine Erklärungen in seinen Ohren doch etwas verwirrt geklungen haben mochten, aber ich drängte ihn zur Eile und er folgte meinem Wunsche in altem Vertrauen, dass ich gewiss nichts Unrechtes vorhatte. Für dieses Vertrauen bin ich ihm, meinem guten Freund Leo, noch heute außerordentlich dankbar. Es hat mir in vielen schweren Stunden der Angst und der Verzweiflung neuen Mut und neue Hoffnung gegeben.
Leo öffnete mir die hintere Pforte, die tatsächlich zur Küche führte, welche aber um diese Zeit leer und kalt war. Ich dankte ihm auf das Herzlichste und verabschiedete mich hier von ihm, da ich nicht befürchten musste, dass die restlichen Wachen ebensolche Instruktionen erhalten hatten. Im oberen Stockwerk fand ich die unbewachte Tür zu den päpstlichen Gemächern. Vorsichtig öffnete ich einen der mit schwerer Bronze beschlagenen Flügel und trat ein, so leise und demutsvoll ich es vermochte. Aus dem hinteren Raume hörte ich die vertrauten Stimmen des Papstes und meines Schülers. Sie unterhielten sich angeregt, wobei ich sie aber nicht sehen konnte. Es roch nach Entenbraten und Knoblauch, gar lieblich zog der Duft in meine Nase. Jedoch, konnte ich sicher sein, dass sie den ersten Teil der Gesellschaft schon hinter sich hatten und zum zweiten übergegangen waren? Ich musste Gewissheit haben und mir einen besseren Platz verschaffen.
Einen Moment lauschte ich in den Raum hinein nach weiteren Stimmen. Ich hörte das Kichern der Mädchen, es mochten drei junge und eine ältere sein, den hellen und dunkleren Stimmchen nach. Ich hatte also recht gehabt. Nun musste ich noch herausfinden, wo der Salek war, ob er auch inmitten dieser unheiligen und triebhaftigen Gesellschaft herumlungerte oder ob ich jederzeit damit rechnen musste, dass er mich von hinten überraschte und mir, Gott behüte, eins mit dem Kaminschuber überzog. Nur sagte dieser krumme Hund nie etwas. Ich konnte weder seine finstere Stimme noch seinen Geruch ausmachen, weil der Bratenduft und der Knoblauch alles andere an ihm überdeckten.
Also tastete ich mich langsam voran, Deckung hinter den Säulen und Figuren aus weißem und rotem Marmor suchend und darauf bedacht, nicht zu viel Geräusch zu machen. Hinter dem vierten Pfeiler konnte ich einen vollständigen Blick auf die Szenerie erhaschen. Der Salek war nicht dabei, aber drei der vier Mädchen lagen bereits völlig unbekleidet auf dem Diwan, während sie sich gegenseitig mit Trauben und Wein befütterten und dabei genierlich kicherten. Der Papst Johannes, sein Gewand nur lose über die Schulter geworfen, und ein schmaler graubärtiger Mann, den ich schon während der Audienzen hier gesehen hatte, wandten mir den Rücken zu. Zu ihren Füßen lag ein nacktes Mädchen, wobei ich mir nicht vorzustellen vermochte, in welchen unschicklichen und gottlosen Schweinereien sie sich dort vor den Augen der anderen ergab. Mein braver Schüler saß etwas abseits, keusch und noch genauso gewandet, wie ich ihn verabschiedet hatte. Ich konnte ihn gut von der Seite sehen, sein Gesicht war gerötet und sein Atem ging flach und schnell. Es war wohl an der höchsten Zeit, dass ich einschritt und dem unseligen, wenn nicht gar teuflischen Treiben ein Ende bereitete.
Eine Stimme, die ich keinem der Männer zuzuordnen vermochte, machte sich bemerkbar. Eine sehr tiefe Stimme, nicht die des Saleks. Er sprach mit Franco und dieser antwortete ihm. Nur leider konnte ich weder des Einen noch des Anderen Worte verstehen. Offenbar war also noch ein weiterer anwesend, womit ich, wenn ich sie zählte, auf vier Männer und vier Weiber kam. Nun, Franco konnte ich schlecht der Seite der Herren zurechnen, seiner Rolle nach sollte er wohl eher eine weitere Dirne geben, womit das Kräfteverhältnis sich zu meinen Gunsten auf drei zu fünf wandelte. Ich beschloss, mich noch weiter heranzuwagen, um im entscheidenden Moment aus meinem Verstecke springen zu können und ihnen den Franco aus ihren Klauen zu entreißen, wenn es nötig sein sollte.
Nun stand der bisher unsichtbare Mann aus der Mitte auf und stellte sich mit aufgerichtetem Schwanze vor meinen braven Schüler. Franco erhob sich und ich konnte sehen, wie er am ganzen Körper zitterte. Sein festliches Gewand wurde ihm von den Schultern gestreift, womit auch er völlig nackt dastand.
Ich brach aus meiner Deckung hervor. „Beim Heiligen Benedictus! Verflucht sollt Ihr sein, Ihr Hornochsen und Ziegenböcke“, brüllte ich aus ganzer Leibeskraft und stürmte voran, wobei ich der Statue, die mir am nächsten stand, den Speer entriss und ihn wie eine Lanze vor mich hertrug. Die überraschten Männer zuckten zusammen, die Weiber kreischten, Franco schrie.