Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 4
Leo selbst war zu diesem Tage, es war in den achten Nonen des Dezembers im Jahre 963 nach Christi Geburt, nicht in der Synode, da er als oberster Kanzler der Heiligen Römischen Kirche, wie es seine Aufgabe war, den Herrn Papst während seiner Abwesenheit oder Krankheit zu vertreten hatte. Mit der Zustimmung des Kaisers zogen die Bischöfe, die Priester, die Diakone und die übrige Geistlichkeit und das ganze römische Volk gemäß der Tradition unter dem Gesang des Laudes feierlich zum Lateranensischen Palast, um den eben genannten Leo zu holen. Zur festgelegten Zeit brachten sie ihn in die Kirche des Heiligen Petrus und erhoben ihn durch die heiligen Worte zur höchsten Priesterwürde und schworen ihm den Eid der Treue.
Als das dem sogenannten Papste Johannes bekannt wurde, schickte er Boten nach Rom, aber nicht zu den adligen Familien, sondern zum gemeinen Volke, welches sich auf den Straßen und Plätzen, in den Wirtsstuben und Badehäusern zusammenfand. Er wusste sehr wohl, wie leicht der Sinn der Römer durch Geld zu verführen war, hatte er dies doch schon allzu oft erlebt und zu seinem Gewinn genutzt. Er versprach ihnen reichen Lohn und den Schatz des Heiligen Petrus und sämtlicher anderer Kirchen, wenn sie über den gütigen Kaiser und den neuen Papst Leo herfallen und sie alsbald ums Leben bringen wollten.
Da das kaiserliche Heer nur noch in geringer Zahl die Stadt belagerte, fühlten sie sich durch dieses Ansinnen ermutigt und betört zugleich. Auf ein Signal hin sammelten sie sich mit ihren Wagen auf einer Brücke über den Fluss Tevere und griffen den Kaiser an. Dieser hatte jedoch keine Mühe, mit seinen kampferprobten und tapferen Soldaten dem Frevel ein Ende zu machen. Sie trieben die Aufständischen wie Hasen durch die Straßen und es hätten noch viele Römer weniger den ungleichen Kampf überlebt, wenn sich nicht der ehrwürdige Papst Leo selbst vor sie gestellt hätte und den frommen Kaiser auf den Knien um Gnade und Barmherzigkeit angefleht hätte. Der Heilige Kaiser berief seine blutdürstigen Krieger ab und gewährte den Römern gegen Stellung von Geiseln den Frieden. Als Leo ihn schließlich noch bat, auch die soeben erst gestellten römischen Geiseln zurückzugeben, war des hohen Kaisers Herz so weit und sein Verstand so mächtig, ihm auch dies zu gewähren, auf dass es seiner Wertschätzung und Auszeichnung bei den Römern zu Hilfe kommen möge.
Nun lag Rom dem neuen Papste dankbar und glücklich zu Füßen.
Franco und ich verließen die Synode in der sicheren Gewissheit, nunmehr den würdigsten und gerechtesten unter den heiligen Männern zum Höchsten und Allgemeinen Papste gewählt zu haben, und ich bin ebenso sicher, dass viele meiner Brüder gerade so wie ich dachten. Zufrieden kehrten wir zu unserer Herberge zurück und genossen im Hause der untadeligen Brüder Imiza einige der schönsten Abende bei edlem Wein und Speisen, bevor wir im Februar nach Cremona abreisten, wohin mich längst liegengebliebene Pflichten riefen und zudem die ehrenvollen Aufgaben eines Bischofs erwarteten.
Für meinen braven Schüler konnte ich einen guten Lehrer gewinnen, der ihn, so oft es ging, an meiner statt in der höheren Kunst der Arithmetik und auch der Geometrie unterrichtete, wo es über die einfachen und gewöhnlichen Dinge hinausging. Zugegeben, diese beiden Meisterschaften, die zusammen mit der Astronomie und der Musik das Quadrivium bildeten, und denen ich nicht in gleichem Maße stark und gewachsen war wie der Grammatik, der Rhetorik und der Dialektik, brachten mich immer öfter in Verlegenheiten. Letztere Künste, auch das Trivium10) genannt, waren mir weitaus besser bekannt, wie der geneigte Leser sich leicht vorzustellen vermag.
Franco, der ein sehr gelehrsamer und heller Schüler war, hatte es wohl verdient, von den besten Lehrmeistern seines Faches unterwiesen zu werden, und so ließ ich mir seine Ausbildung einiges an Silber kosten, was mich aber nicht reute.
Die Nachricht vom plötzlichen Tode des abgesetzten Papstes Johannes erreichte mich in der Vesperstunde mit einem berittenen Boten, der von Papst Leo zu mir nach Cremona ausgesandt worden war. Ich war gerade im Gebete vertieft, als einer meiner Diener den Besucher ankündigte, der mir eilig einen Brief aushändigte und dann ohne Verweil weiterritt. Ich hätte gern noch das eine oder andere Wort mit dem Boten gewechselt, weil an unbeschädigte Neuigkeiten aus Rom heranzukommen nicht eben immer leicht war. Seit unserer Abreise von dort waren zwei volle Monde vergangen und mich dürstete nach Informationen zum Stand der Dinge vor Ort. Ich sehnte das Ende des Krieges in Italien herbei und hatte allerlei Fragen zu dem unwürdigen Gerangel um den Stuhl des Apostelfürsten. Mir war durchaus bekannt, dass der abgesetzte Papst Johannes bis zu seinem Ende immer noch Ansprüche auf den Heiligen Stuhl geltend machen wollte und dass dieses Verlangen vom höchsten römischen Adel, dem er ja auch entstammte, gestützt wurde.
Im Februar hielt er sogar eine Synode ab, die die Beschlüsse der vorhergehenden Synode für ungültig erklärte. Ein gottloses und unwürdiges Spektakel reihte sich an das andere. Nur die gnadenvolle Anwesenheit des Kaisers vermochte den Johannes ein ums andere Mal in die Schranken zu verweisen und zeitweilig aus Rom zu vertreiben. Doch kaum hatte sich der Kaiser ein Stück weit entfernt, kam der Johannes wieder zum Vorschein, sammelte neue Truppen um sich und bedrängte den legitimen Papst Leo auf seinem Stuhle. Man stelle sich nur diese Hinterhältigkeit vor, den Verrat am frommen Kaiser Otto und seinem Sohne König Otto, den der Adel und große Teile des römischen Klerus auf ganz offene Weise begingen. Hatten sie nicht zuvor mit ihm gemeinsam und in größtem Einvernehmen den Leo auf den höchsten Bischofsstuhl gehoben?
Als der gütige Kaiser, dem Wunsche seiner ebenso klugen wie Erhabenen Gattin und Mitkaiserin Adelheid folgend und, um die Stadt und das Volk Roms vor zu großen Lasten zu beschützen, im Frühjahr einen weiteren Teil seines Heeres zur Heimkehr entsandte, kam es erneut zu einem offenen Aufstande der römischen Adligen und ihrer Milizen, welcher aber auch mit minderer Stärke leicht von Otto niedergeschlagen werden konnte. So war ich also sehr gespannt darauf, zu erfahren, was die letzten Tage und Wochen an Neuem gebracht hatten.
Der päpstliche Bote versprach, mich auf dem Rückweg, soweit er es einrichten konnte, noch einmal zu besuchen und Zeit für ein Gespräch mitzubringen. Der Todesfall des Johannes hatte sich schon in den zweiten Nonen des Mai ereignet, wie ich aus dem Brief erfuhr, und man redete insgeheim davon, dass er von einem gehörnten Ehemanne beim Verkehr überrascht und hernach erschlagen worden sei11). So endete dann also der Sohn des einst ruhmvollen römischen Princeps Alberich und Enkel der selbsternannten Senatrix Marozia als Opfer seiner eigenen Zügellosigkeit. Aber nicht nur das, er war wohl auch das Opfer des Widerspruchs, in welchem er sich als Erbfürst von Rom und gleichzeitig als Römischer Papst befand. Seine unreife Jugend, seine edle Abkunft von jenem großen Römergeschlecht und sein tragischer innerer Zwiespalt könnten ihm leisen Anspruch auf ein milderndes Urteil vor dem Allmächtigen Herrn gegeben haben.
Ich ließ die Nachricht vom Tode des Johannes von einem Diener sogleich an Franco überbringen, obwohl ich gern selbst gesehen hätte, wie er es aufnimmt. Diesen indirekten Weg wählte ich nur aus dem einen Grunde, um nicht alte Wunden in ihm wieder aufzureißen. Franco und ich hatten seit dem Ende unserer kurzen Kerkerhaft nicht mehr über die erschrecklichen Vorgänge im Lateranensischen Palast gesprochen. Auch war ich mir nicht sicher, welches Gefühl er dem Johannes gegenüber damals noch hegte.
Sei es, wie es sei, sagte ich mir und dankte dem Herrn im Gebet für seine unendliche Weisheit und Gnade und dafür, dass er dem unheiligen Treiben dieses Halunken ein so versöhnliches Ende gesetzt und ihn aus der Welt geschafft hatte.
Ich für meinen Teil hoffte, der Johannes möge in der Hölle schmoren.
Nun, da sich der Mai dem Ende zuneigte, setzte ich einen Brief an meinen Freund Leo auf, der nunmehr ganz unbestritten der Oberste Bischof Roms und Allgemeiner Papst war. Ich dankte ihm in herzlichen Worten für seine stets interessanten und höchst erfreulichen Neuigkeiten, auch um ihn anzuspornen, davon noch mehr zu tun. Mit diesem Briefe in der Hand wollte ich warten, bis der päpstliche Bote sein gegebenes Versprechen einlöste und auf dem Rückweg bei mir einkehrte.
Es ergab sich aber anders.
In den dritten Iden des Junis klopfte erneut ein päpstlicher Bote an meine Pforte. Er brachte neue Kunde aus Rom, diesmal nicht in einem Briefe, sondern als Botschaft, die er aus dem freien Gedächtnis heraus vortrug. Was ich nun hören musste, beunruhigte mich zutiefst: Die Römer hatten sich ein weiteres Mal gegen die kaiserliche Hoheit aufgelehnt und den rechtmäßigen und ehrwürdigen Papst Leo, den sie nun doch nicht mehr haben wollten, vertrieben. Dass sie ihn überhaupt am Leben ließen und mit einer Handvoll Gefolgsleute die Flucht zum Kaiser nach Pavia ermöglichten, verdankte er wohl nur seinem zuvor untadeligen und selbstlosen Auftreten, mit welchem er die römischen Geiseln aus der Hand des gerechten Kaisers, der sie ohne Not hergab, befreit hatte. Einige Römer erinnerten sich in ergebener Dankbarkeit daran und sprachen sich vor dem versammelten Volke für ihn aus.
Da nun der Apostolische Stuhl vakant war, hatten sie einen ihrer Getreuen auserwählt, um ihn zum Obersten Bischof und Allgemeinen Papste zu weihen. Der, den sie für würdig hielten, war noch wenige Monate zuvor ein treuer Diener und Gefolgsmann des Kaisers und des wahren Papstes Leo. Es war der Kardinaldiakon Benedictus, den sie zwar in Furcht vor der Ankunft des Kaisers, aber keineswegs eingedenk ihres geleisteten Eides ordinierten und auf den Stuhl des Apostelfürsten Petrus setzten. Es war der gleiche Benedictus, der inmitten der Heiligen Synode mit seinem klugen und gewissenhaften Benehmen für Bewunderung und Aufsehen gesorgt hatte und der sich in den barbarischen Wirren Roms den seltenen Titel eines Grammaticus erworben hatte.
Die in mehrere Fraktionen zerstrittenen Römer warteten damit nur ganze sieben Tage lang, kaum lang genug, um die vorgeschriebene Einwilligung einzuholen, was sie aber auch gar nicht vorhatten. Als aber der Kaiser davon hörte, rückte er, erbost von so viel ehrloser Tücke, mit seinem Heer nach Rom und sperrte es von allen Seiten ab, damit auch kein Ausweg offenbliebe. Der oben genannte Benedictus, zwar ehrenwert im Geiste, doch fälschlich Papst genannt, wandte sich nun ganz und gar vom Kaiser ab. Er ermunterte das Volk von Rom, noch lange durchzuhalten, er bedrohte den Kaiser und stellte sich gar selbst mit großem Hochmut auf die Mauer, wie es zuvor der Johannes getan hatte und wie es sich für einen heiligen Mann so hohen Ranges nicht geziemt.
Ich dankte dem Boten für seinen ausführlichen Bericht, wenngleich ich unschlüssig war, wie weit ich ihm Vertrauen und Glauben schenken konnte. War er nicht auch ein Mann des Benedictus, der sich vielleicht nur im gerechten Glauben ein eigenes Urteil gebildet hatte? War er nicht vom falschen Papste in die Reise geschickt worden, um die hohen und heiligen Männer des Reiches über den Machtwechsel in Rom zu unterrichten und von ihnen Wohlwollen und Vernunft zu erwerben oder gar einzufordern?
Nachdem er fortgeritten war, ging ich zu Franco, um ihm die Neuigkeiten mitzuteilen und ihn auf unsere bevorstehende Abreise nach Rom vorzubereiten.
Franco, der gerade in der schönen Kunst der Himmelsgeometrie unterwiesen wurde, nahm die Entwicklungen in Rom mit Gelassenheit und ohne jede äußere Rührung auf, viel weniger, als ich erwartet hatte. Er interessierte sich gar nicht für den ehrwürdigen Leo, sondern nur noch für den Benedictus, und wollte wissen, welcher Freunde und Unterstützer sich dieser bediente. Da mir nun auf diese Weise deutlich gemacht wurde, dass ich weder das eine noch das andere zu beantworten wusste, betrübte es mich umso mehr und ich hatte es eilig, ohne Verweil selbst nach Rom zu fahren, um mich mit den besten Auskünften und Berichten zu versorgen.
Jedoch brachte mich Franco auf einen Gedanken, der mir angesichts der schwierigen Lage in Rom nicht übel erschien. Warum, so fragte er mich, wollten wir uns selbst den nicht unerheblichen Gefahren einer Reise und einer ungewissen Aufnahme in Rom aussetzen, wo es doch so viel einfacher wäre, einen klugen und vorsichtigen Manne dorthin zu entsenden und ihn die fraglichen Nachforschungen in unserem Sinne anstellen zu lassen. In der Tat war es so, dass wir nicht wussten, was den Benedictus und den römischen Adel zu dieser Stunde umtrieb, warum sie sich nun schon wieder gegen den Kaiser auflehnten und ihn sogar mit der Absetzung des rechtmäßigen Papstes und der Wahl eines neuen auf die gröbste Art brüskierten.
„Kann sich der Benedictus denn einfach so zum Allgemeinen Papste machen lassen?“, fragte Franco, als wir gemeinsam bei Tische saßen.
„Nun“, sagte ich zögerlich, „das kann er wohl. Er wird gewählt von den Seinen, wenn er würdig ist und erhält hernach die Weihe.“
„Aber wenn er nun keiner ist, der würdig wäre?“
„Ach, mein lieber Franco, das ist wirklich eine gute Frage und ein Dilemma zugleich. Man nennt ihn den Grammaticus, ein Titel, dessen sich noch nicht viele Männer rühmen durften. Jener Benedictus ist in der Tat ein des hohen Amtes würdiger Mann. Denn Gott ließe nicht zu, dass jemand, der nicht würdig ist, auf den Stuhl Petri gelangte.“
„Aber habt Ihr denn nicht der Synode selbst gesagt, dass der Papst Johannes dieses hohen Amtes nicht würdig sei und abgesetzt gehöre?“
Ja, ich wusste, dass er seine Fragen mit einiger Berechtigung stellte. Dennoch, da Gott nicht irrte, musste es eine andere Erklärung geben, die, wie ich leider zugeben muss, ich meinem Schüler nicht geben konnte.
„Manchmal, mein lieber Franco“, erwiderte ich deshalb, „sind die Wege, die der Herr uns gehen lässt, im Nebel verborgen und voller Geheimnisse. Dies allerdings sollte uns jedoch kein noch so niederer Grund sein, an seiner Weisheit und an seinem großen Plane zu zweifeln.“
Eine Weile schwiegen wir. Ich wollte mich gerade erheben, als Franco sich räusperte.
„Meister Liuzo, gestattet Ihr mir noch eine Frage?“
Ich nickte ihm mit freundlicher Aufforderung zu, obwohl ich es vorgezogen hätte, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden.
„Würdet Ihr mich für würdig halten, zum Obersten Bischof und Allgemeinen Papste gewählt zu werden, Meister Liuzo?“
Mir verschlug es für einen kurzen Augenblick die Sprache.
Dennoch war ich kaum noch überrascht, weil ich in meinem tiefsten Innern bereits auf eine solche Frage vorbereitet war. Nur der frühe Zeitpunkt verwunderte mich. Der Junge hatte seine geistliche Ausbildung doch gerade erst begonnen! Und von dem, was zu tun war, lag noch weit mehr vor ihm als hinter ihm.
„Verlangt es Dich denn danach?“
Franco nickte unsicher.
Ich hatte es mir schon gedacht.
„Dein Schicksal liegt nicht in Deinen Händen, mein lieber Franco“, sagte ich in väterlichem Ton und legte meine Hand behutsam auf seinen Arm. „Der Herr allein weist uns unseren Weg und Du tätest gut daran, im Gebete immer wieder zu erforschen, welches Schicksal der Herr Dir offenbart, und weniger Zeit und Muße darauf verschwenden, Deine eigenen Gedanken zu erforschen und zu verfolgen.“
Noch am gleichen Tage sandte ich einen Boten aus, unterwies ihn in vielerlei Dinge, die unterwegs und am Ziele zu beachten waren, hieß ihn, die schöne Herberge der Brüder Imiza aufzusuchen, und übergab ihm neben den herzlichen Grüßen, die ich in einen Brief diktierte, eine ansehnliche Anzahl schöner und wertvoller Dinge als Gastgeschenke, auf dass er mit einer ähnlich ansehnlichen Menge an Neuigkeiten zurückkommen möge, heil und unversehrt und binnen sieben Tagen.
Mir selbst war um diese Zeit nicht sehr wohl zumute. Eine lästige Entzündung der Gelenke plagte mich auf die schlimmste Art, sodass ich an manchen Tagen nur schwer aufkam. Ich dankte Gott und meinem braven Schüler Franco dafür, dass wir nicht selbst aufgebrochen waren. Auf diese Weise konnten mir meine Diener warme Wickel und heiße Kräuterbäder bereiten und damit meinen beträchtlichen Schmerzen doch etwas Linderung verschaffen. Noch während wir auf die Wiederkehr sowohl unseres als auch des päpstlichen Boten warteten, durchquerte eine große Abteilung des kaiserlichen Heeres die Stadt und mein Bistum. Wie es in schlechten Zeiten üblich war, benahmen sich die Soldaten ungehörig gegenüber jedermann und plünderten, vergewaltigten und nahmen sich, was ihnen vor die Hände fiel.
Franco, der nun bereits in sein vierzehntes Jahr hineinwuchs, war bei mir in sicherer Obhut, konnte ich mich doch bei Bedarf der freundschaftlichen Verbundenheit zu seiner kaiserlichen Majestät, die er mir in seiner unendlichen Gnade mit einem Schutzbrief auswies, rühmen. Ihm drohte keinerlei Gefahr, solange er sich meinen Anweisungen fügte. Es hielt den Jungen jedoch nicht lange hinter dem offenen Fenster meines Palastes, als er sah, wie die Soldaten breitbeinig und lauthals lachend durch die Straßen zogen und den Frauen und Mädchen, die es nicht geschafft hatten, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, an die Röcke gingen. Irgendetwas zog ihn hinaus auf die Straße und lange konnte ich ihn davon nicht abhalten. Vielleicht reizte ihn in seinem jugendlichen Übermut die Gefahr oder die Macht, die eine solch gewaltige Ansammlung starker und vor nichts zurückschreckender Männer und ihrer gefährlich aussehenden Waffen auslöste.
Es fiel mir schwer, ihm aus der Ferne zuzusehen, weil ich um sein Leben und seine Gesundheit fürchtete. Nun, heute weiß ich, dass meine Sorge schon damals völlig unbegründet gewesen war. Franco, mit viel schmaleren Schultern und eher wie ein frommes Mönchlein als wie ein Krieger aussehend, mischte sich unter die Raufbolde, als kämen sie aus demselben Hause. Er scherzte mit den wüsten Männern auf die gemeinste und lauteste Art und übte sich gar mit dem gröbsten und rissigsten unter ihnen im Schwerterkampf, wohl gemerkt nicht mit einem aus weichem Holze, sondern aus Metall. Ich konnte kaum glauben, was sich meinen Augen darbot. Durch ihn erfuhr ich, dass die Soldaten auf dem Weg nach Süden, also nach Rom, waren und dort die rechtmäßigen Belagerer verstärken und aufmuntern sollten. Sie hatten vom Kaiser den heiligen Auftrag angenommen, mit dem ungezogenen Benedictus und den anderen Aufrührern in den Händen zurückzukommen.
Unser Bote, den wir nach Ablauf von sieben Tagen sehnlichst erwarteten, blieb aus. Auch nach weiteren sieben Tagen war noch keine Spur von ihm zu sehen und wir befürchteten das Schlimmste. Bei allem Ungemach, welches wir ihm möglicherweise mit unserer Botschaft bereitet hatten, priesen wir uns andererseits glücklich und weise, nicht selbst nach Rom aufgebrochen zu sein. Nur Gott allein weiß, was aus uns geworden wäre. Auch der Bote des ehrwürdigen Leo ließ lange auf sich warten, bis wir letztlich auch sein Erwarten aufgaben und uns in meine kleine Hauskapelle zurückzogen, um für ihn zu beten. Erst viel später sollten wir herausfinden, dass er wohlauf war und nur durch unglückliche Umstände gezwungen war, einen anderen Rückweg zu wählen, als von mir erhofft. Der Herr in seiner unendlichen Gnade meinte es ganz offenbar gut mit ihm, als er ihn beschützte und auf den rechten Weg leitete, auch wenn dieser nicht durch meine schöne lombardische Heimat führte. Als wir ihn im Herbst am Königshofe in Pavia wiedertrafen, entschuldigte er sich mit größter Liebenswürdigkeit und Aufrichtigkeit und bot an, während wir zusammen speisten und guten spanischen Wein genossen, alles Ungesagte nachzuholen, dessen wir allerdings wegen vieler anderer freudvoller Ereignisse nicht mehr bedurften, wie ich nun zu erzählen habe.
Was wir bis dahin erfahren hatten, lautete wie folgt: Als die Römer nach vier Wochen durch den Hunger und die Belagerung immer weiter in die Enge getrieben wurden, ergaben sie sich dem frommen Kaiser in größter Demut am Abend vor dem Fest des Täufers12). Mit gebührender Ehrerbietung übergaben die Römer den Gotteslästerer und meineidigen Benedictus seiner kaiserlichen Hoheit. Alsdann wurde der rechtmäßige und Höchst ehrwürdige Papst Leo wieder in sein Amt gesetzt, dem Benedictus aber nahm man alle Insignien ab, Leo selbst schnitt das Pallium entzwei, sein Stab ward zerbrochen, seine übrigen Kleider zerrissen. Es hätte nicht viel gefehlt und Benedictus wäre sofort an Ort und Stelle zum Tode verurteilt oder einfach so dahingemeuchelt worden. Mein päpstlicher Freund, der altehrwürdige Leo, war so außer sich vor Zorn, dass er beinahe allem zugestimmt hätte, was die wankelmütigen Römer an Ideen zur Wiedergutmachung und Strafung forderten.
Nur dem persönlichen Einspruch des Kaisers ist es zu verdanken, dass ihm ein Rest Würde und sein ganzes Leben gelassen wurde. Otto verfügte, dass dem Benedictus alle kirchlichen Weihen abgenommen würden, bis auf die eines Diakons. Weiter verfügte er, dass Benedictus nunmehr auf ewig in die entlegenste Provinz des Reiches in die Verbannung gehen solle. Alsbald darauf erklärte sich der fromme Adaldag, Erzbischof von Hammaburg am nördlichen Meer, bereit, ihn mitzunehmen und bis an das Ende seiner Tage dort zu behalten. Dem Vorschlag Adaldags stimmte der Kaiser zu.
Nachdem nun die italischen Verhältnisse weitgehend geordnet waren und die Anzahl der Boten aus Franken und Sachsen sich mehrte, die anfragten, wann denn das Heilige Kaiserpaar beabsichtige, wieder in sein Reich nördlich der Alpen zurückzukehren, beschlossen die kaiserlichen Hoheiten, noch die Weihnachtstage am Hofe in Pavia zu verbringen und sodann mit ihrem gesamten weltlichen und geistlichen Gefolge und den Gefangenen die Rückreise anzutreten. So fügte es sich glücklich, dass des Kaisers Zug nach Norden auch durch Cremona führte, was mir Gelegenheit gab, ihn mit seiner Erhabenen Gattin Adelheid und seinen engsten Vertrauten in meinen bischöflichen Palast einzuladen, während sein Heer und der ganze übrige Hofstaat vor den Toren der Stadt ein gewaltiges Zeltlager aufschlugen.
Sofort ließ ich eintausend Scheffel gutes Korn zu Brot backen, zehn Ochsen, zwanzig Fässer Wein und ebenso viel Bier nach draußen bringen, um den braven Soldaten einen angenehmen Aufenthalt zu wünschen und auch, um sie von Plünderungen wie beim ersten Durchzuge nach Rom abzuhalten. Den hohen Herren, die nicht zum Kreise meiner Gäste zählten und draußen bleiben mussten, übergab ich selbst wertvolle Festkleider, die sie, da sie in der Fremde wohl nicht so oft beschenkt worden waren, mit größter Dankbarkeit und weinenden Augen annahmen. Auch entsandte ich einige Dirnen aus der Stadt hinaus, damit sie sich ein Geschäft machen konnten, was sie auch taten, aber dies sei von mir nur am Rande erwähnt, und ich tat es nur der frommen und lieblichen Kaiserin zuliebe, die mich gleich nach ihrer Ankunft mit einem entsprechenden Ansinnen ersuchte.
Wir speisten in gar festlicher Runde. Ich ließ auftafeln und herrichten, was der Keller und das Lager hergaben, hatte meine Wenigkeit, dies sei in aller Bescheidenheit gesagt, doch selten die Gelegenheit, so hochherrschaftliche, glorreiche und erhabene Besucher zu bewirten und zu unterhalten. Um den Geist und das Auge meiner Gäste zusätzlich zu erfreuen, ließ ich Spiele und vielerlei Vertreib vorführen. Eines derselben möchte ich kurz erwähnen, weil es der frommen Kaiserin anscheinend besonderes Vergnügen bereitete und mich auf wunderbare Weise ihrer und somit auch der Gunst ihres Gatten versicherte. Es trat ein Mann auf, der auf seiner Stirn ohne Beihilfe der Hände eine hölzerne Stange trug, die an die sechs oder sieben Ellen lang gewesen sein mochte und an welcher eine weitere Stange quer angebracht war. Es wurden danach zwei Knaben hereingeführt, die an der Stange hinaufkletterten und oben allerlei Kunststücke vollführten. Dann kamen sie, die Köpfe nach unten gekehrt, wieder hinab, wobei die Stange sich so wenig bewegte, als wäre sie in der Erde verwurzelt. Zuletzt war nur noch einer der Knaben allein auf der Stange, was mich doch sehr verwunderte. Denn solange beide an der Stange kletterten, schien es mir durchaus möglich, ihre Kunst durch ihr gleiches Gewicht auf jeder Seite vorzuführen. Dass aber ein Knabe allein sein Gleichgewicht derart zu beobachten wusste, dass er nicht herabstürzte, versetzte die Kaiserin und mich selbst so in Erstaunen, dass es auch dem Kaiser nicht entging. Er lachte herzlich darüber und wir sprachen bei Tische und zu anderer Gelegenheit noch lange über dieses wunderbare Spiel.
Nach dem überaus reichlichen Mahl zogen wir uns in den großen Gesellschaftsraum zurück, den ich eigens für das Kaiserpaar mit einigen seltenen afrikanischen Tieren, darunter bunt befiederte Papageien und ein junges Nashorn, allesamt gestopft mit feinem Stroh und gar wundervoll hergerichtet, hatte ausstatten lassen. Als der Kaiser zur Seite hin meinen Schüler Franco erblickte, schien er sich sogleich an ihn zu erinnern. Er sagte zu mir, während Franco zuhörte, dass er noch gut wisse, wie aufmerksam, verständig und scharfsichtig der Knabe die Heilige Synode zu Rom verfolgt hatte, und dass ihm auch nicht entgangen sei, welch festen und fortwährenden Blick der Junge auf ihn geheftet hatte. Er fühlte sich dadurch geehrt und gestärkt, sprach er weiter, während Franco an beiden Ohren heftig errötete.
Als es an die Entlohnung des Mannes und seiner beiden kunstfertigen Knaben ging, ließ ich meinen Beutel aus goldbesticktem Kalbsleder bringen und überreichte in Gegenwart des Kaiserpaares und unter vielen lobenden Worten, die ich getreu übersetzte, jedem seinen Anteil daraus. Durch mein eigenes Ungeschick fielen mir eine große Anzahl Silberdenares und ein goldener Solidus hinunter. Franco stürzte sofort hinzu, sammelte die Münzen für mich ein und war gerade im Begriff, sie mir zurückzugeben. Dabei stutzte er über das Porträt, welches den Solidus auf dem Avers zierte und in dem er unzweifelhaft, nicht nur wegen der Heiligen Insignien, den Kaiser Otto erkannte, denselben, der nun im gleichen Raume saß und uns, den Unwürdigen, die Gnade seiner glorreichen Anwesenheit erwies. Er drehte die goldene Münze aufmerksam zwischen seinen Fingern, seine Augen wanderten von dort direkt zum Kaiser, wo sich ihre Blicke unvermittelt trafen. Sofort senkte er seinen Blick auf den Boden, verneigte sich tief und verharrte, wie er war.
„Du hast mich erkannt, Knabe?“, fragte der Kaiser plötzlich, ohne den Jungen aus den Augen zu lassen.
Franco nickte gehorsam und verbeugte sich tiefer und demutsvoller vor dem hohen Kaiser und seiner Gemahlin.
„Es war nicht schwer, Eure Majestät“, sagte er leise und sah wieder zu ihm auf, was mir ungebührlich erschien. „Es ist Euch durchaus ähnlich, wenn auch die Jahre schon vergangen scheinen, in denen die Jugend Euer kaiserliches Antlitz zierte.“
Der Kaiser verstand die Worte auch ohne meine Übersetzung.
Einen Augenblick lang herrschte vollkommene Stille in dem Raume. Die drei Künstler wagten nicht, sich zu bewegen, obwohl sie ihren Rückweg zur Tür bereits angetreten hatten. Die göttliche Kaiserin, als Einzige, wandte ihren Blick abwechselnd mit leichtem Schmunzeln ihrem Gemahl und dann meiner Wenigkeit zu.
„Oh, mein Gott! Junge!“, entfuhr es mir in diesem unglaublichen Augenblick, als Panik und Ohnmacht mich befielen. „Was Du nur redest …!“
Die Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Ich rutschte von meinem plötzlich unbequemen Sessel und war bereits im Begriff, mich auf das Demütigste und Untertänigste auf den Boden zu werfen, mich für meinen ungehorsamen Schüler zu entschuldigen und das Erhabene Kaiserpaar für diese Ungebührlichkeit um die Güte ihrer Gnade und um Schonung zu bitten. Doch noch bevor ich dasselbe tun konnte, hob der barmherzige Kaiser seine Hand und gebot mir Einhalt.
Ich erstarrte in einer sehr unbequemen Position.
Er richtete seinen Blick auf mich und sagte: „Wie ich höre, verehrter Bischof Liutprand, verbirgt sich in dem Knaben neben einem wachen Auge auch ein scharfer Verstand. Recht ungewöhnlich in diesem Alter, findet Ihr nicht auch? Man darf Euch, Exzellenz, gratulieren, über eine so vortreffliche Hand bei der Auswahl Eurer Schüler zu verfügen.“
Mir verschlug es fast die Sprache, was, wie ich gern zugeben will, bisher gottlob recht selten vorgekommen ist. Zum Glück konnte ich trotz meiner nicht geringen Menschenkenntnis keine Spur von Gram oder Beleidigtsein in seinen Worten und in seinem Ausdrucke erkennen.
Dann, wieder zu Franco gewandt: „Sag, mein guter Junge, Du bist recht geübt im Worte und im Denken. Ich nehme an, Du bist ein gelehrsamer und braver Schüler unseres guten Bischofs und er lehrt Dich nicht nur die sieben freien Künste, sondern darüber hinaus vieles mehr, was Dir von Nutzen sein kann.“
Franco nickte ehrfürchtig, vielleicht auch in banger Erwartung irgendeiner Wendung. Aber der Kaiser meinte es mit seinem Lob ganz offensichtlich ernst.
„Was also hat Dich so verwundert“, fuhr er fort, „als Du den Solidus vom Boden nahmst?“
Franco sah dem Kaiser offen in die Augen, nun beinahe ohne Scheu. Ich war mir nicht sicher, wie dieses Verhalten zu bewerten war, betrachtete es aber in der gegebenen Lage als botmäßig.
„Gnädigste Kaiserin und gnädigster Kaiser“, sagte Franco und drehte die Münze erneut zwischen seinen dünnen und viel zu langen Fingern, „verzeiht mir meine Unwissenheit. Ich habe mich oft gefragt, welchem Vorzuge es dienlich sei, einem kleinen Goldklumpen ein Gesicht und einen Namen einzuprägen, wenn es doch keinen Unterschied macht, was ich auf dem Markte vorher wie nachher damit handeln kann.“