Kitabı oku: «Das Buch der Vergeltung», sayfa 6

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Zu unserer Reisegesellschaft gesellte sich, ganz zu meiner Freude, der ehrwürdige Benedictinerpater Pilegrinus von Batavis aus dem Kloster Altahens, welches am schönen Bodamer See liegt. Ein frommer Mann mit einem guten Namen unter den Unsrigen, zumal er sich hervorragend auf das Kopieren von Urkunden und Abschriften von Büchern verstand, die drohten, in Verlust zu geraten durch die Feuchte in den Kellerwänden, unter der das Pergament noch mehr zu leiden hatte, als dem immerwährenden Nagen hungriger Ratten.

Bruder Pilegrinus von Batavis war ein kleiner alter Mann mit schönen Zähnen, wie es heutzutage durchaus selten ist, und einem wachen Verstand. Er trug eine Vielzahl Schriften und Urkunden mit sich – zusammengerollt so dick wie ein Baumstamm und zum Schutze vor dem Wetter in weiches Kalbsleder gewickelt. Voller Stolz und Sorge zugleich zeigte er mir seine letzten Arbeiten, die, wie ich zugeben muss, durchweg mit hoher Kunst gestochen und gezeichnet waren. Leider gelang ihm in letzter Zeit, wie er mir traurig berichtete, weniger als noch vor einem Jahr, weil ihm die nachlassende Sehkraft inzwischen sehr zu schaffen machte. Er behalf sich mit einem recht verdorbenen Augenglase, welches ich sogleich selbst in Augenschein nahm und allein wegen der vielen kleinen Risse für wenig brauchbar ansah. Weil der Pilegrinus an sich ein sehr frommer und gutartiger Mensch war, der sich jeglicher Gnade und Barmherzigkeit würdig erwies, und ich ihm eine Freude damit machen konnte, schenkte ich ihm eines meiner Augengläser, von denen ich stets zwei mit mir herumtrug, eines zum Ersatze für den Verlust des jeweils anderen. So ich ihm nun das Glas schenkte, ward er wieder glücklich und probierte es noch in derselben Stunde aus, als das Schiff eine ruhigere Lage in der Mitte des Stromes erreicht hatte.

Auch die burgundischen Kaufleute interessierten sich für seine Arbeiten, als sie ihn so inmitten des Schiffes auf dem Boden sitzen sahen, um sich herum die ausgebreiteten Urkunden und Schriftrollen. Sie staunten über die Kunstfertigkeit und lobten die schöne Ausführung. Bruder Pilegrinus, von so viel Einfühlsamkeit und Kunstverstand angenehm berührt, blühte förmlich auf und gab mit Freude jegliche Auskunft, um die man ihn bat. Sodann erwähnte er voller Stolz, dass er sich auf dem Wege zum Heiligen Kaiser befände und seine Abschriften Auftragswerke der kaiserlichen Kanzleistube wären, die er nun abzuliefern bereit sei. Als ich dies hörte, hüpfte mein Herz vor Freude noch ein Stück weiter in die Höhe, wusste ich doch, dass wir nun einen weiteren Begleiter mit eben demselben Ziele gefunden hatten und dass nun die Zeit bei angenehmen Gesprächen wie im Schlafe vergehen würde.

Nur allzu gern hätte ich diesen ehrenwerten und gebildeten Herren auch eines meiner Werke vorgeführt, da ich es ja auch in diesem Moment bei mir trug. Ihr wohlgefälliges Urteil und die Anerkennung der hohen Aufgabe hätten meine Seele ganz sicher erfreut. Leider ließ aber der Stand der Dinge etwas Derartiges nicht zu. In meinen Augen hatte allein der Höchste und Heilige Kaiser ein gemäßes Anrecht darauf, das Werk als erster zu sehen. Und es wäre mir als seinem loyalen Diener unbotmäßig und auf gewisse Weise auch verräterisch erschienen, anderen den Vorzug in dieser Angelegenheit zu geben. Und so beließ ich es, wo es war, sicher verwahrt und vor fremden Blicken geschützt.

Doch dann wandelte sich plötzlich das Bild. Die Kaufleute zogen sich schweigend auf die eine Seite des Schiffes zurück, Bruder Pilegrinus auf die andere. In einem ruhigen Augenblick nahm mich Pilegrinus beiseite und bedeutete mir, dass ihm die Gegenwart der Kaufleute auf dem Schiffe seelische Schmerzen bereitete.

Ich fragte ihn, was ihn denn so sehr bedrücke.

„Sie sind keine ehrbaren Männer!“, sagte er beschwörend.

„Warum denn nicht, mein lieber Pilegrinus?“

„Sie sind nicht Gottes Wille! Und sie gehören keinem ehrbaren Stande an.“

„Aber es sind gute Kaufleute und auch sehr verständig. Warum zweifelt Ihr an ihnen?“

Bruder Pilegrinus stöhnte auf.

„Das ist es ja eben! Sie gehören nicht zu den Betenden und nicht zu den Kämpfenden. Aber zu den Arbeitenden kann man sie auch nicht zählen. Was sie tun, ist sich an den Dingen der anderen schamlos zu bereichern. Sie nehmen dem einen das Korn und verkaufen es dem anderen, mit Gewinn, aber ohne das Korn zu mahlen oder zu backen. Und einem anderen nehmen sie das Tuch, um es andernorts auf dem Markte feilzubieten. Aber es ist immer noch dasselbe Tuch, keinen Mantel oder Rock haben sie daraus gemacht! Das ist wider des Herrn Gebot. Oder wie denkt Ihr darüber, Bruder Liutprand?“

„Ich sehe wohl, was Ihr meint, Bruder Pilegrinus. Ihr denkt an den Wucher, der wahrhaft eine schmähliche Sünde ist?“

„Nein, nein, ehrwürdiger Liutprand, nicht der Wucher macht mir Sorge. Das Vergehen besteht schon allein darin, dass hier Zeit verkauft wird. Zeit! Versteht Ihr?“

Beschwörend blickte er mich an, während seine Hand nach der meinen griff.

„Aber ruht nicht die Zeit allein in Gottes Hand?“, fuhr er fort. „Und hat nicht auch schon Jesus, unser Herr, die Kaufleute aus dem Tempel vertrieben?“

Ich sah ihn aufmerksam an. Möglicherweise hatte er recht mit dem, was er sagte.

Ohne auf meine Erwiderung zu warten, hob Pilegrinus die freie Hand zum Himmel und rief: „Das ist ein deutliches Vorzeichen für das böse Schicksal, welches sie beim Jüngsten Gericht erwartet, Liutprand! Die Hölle ist ihnen sicher, wenn der Herr ihnen nicht die Gnade gewähren sollte, stattdessen ewiglich im Fegefeuer zu schmoren.“

Nun war es für mich doch an der Zeit, ihm zu antworten, wenn ich mir nicht sein Missfallen für den Rest der Reisegesellschaft zuziehen wollte.

„Ach, lieber Pilegrinus“, sagte ich also zum Trost, „zürnt ihretwegen nicht so sehr. Wir werden ihre Anwesenheit wohl nicht lang ertragen müssen. Im nächsten Hafen gehen sie sicher wieder an Land und Ihr müsst Euch nicht weiter um ihr Seelenheil sorgen. Ich bin sicher, der allmächtige Herrgott wird es für uns richten.“

Damit war Bruder Pilegrinus fürs Erste zufriedengestellt und auch ich begann, mich wieder den schönen Dingen zu widmen.

Zunächst kamen wir wegen eines widrigen Windes nur schlecht voran und als wir die große hölzerne Brücke südlich von Wormatia erreichten, sahen wir wieder die Reiter, wie sie in strengem Galoppe auf die Brücke zuhielten. Doch wir hatten Glück, der Herrgott hielt seine schützende Hand über uns und wir fuhren wohlbehalten darunter hindurch, bevor sie die Stelle über uns erreichen konnten. Bis zu diesem Moment wussten weder ich noch jemand anderes auf dem Schiff, was die Männer so erzürnt hatte, dass sie uns verfolgten, was ja nun offenbar wurde. Als sie feststellten, dass wir ihnen entwischt waren, schossen sie uns zwei Pfeile hinterher, bis der Anführer den beiden Bogenschützen eine schallende Ohrfeige versetzte und diese enttäuscht ihre Bögen sinken ließen. Insgesamt zählte ich an die fünf Männer, wobei einer von ihnen am Ausgang der Brücke zurückgeblieben war. Franco spuckte nach ihnen aus und sagte etwas, das ich hier unmöglich wiedergeben kann, weil es mich schämen müsste. Auch die beiden burgundischen Kaufleute schimpften in ihrer fremden Sprache, und so dachte ich nicht weiter darüber nach.

Mir selbst ging es nicht sehr gut um diese Zeit. Ein böser Zahnschmerz bedrückte mein Gemüt, die rechte Backe war dick angeschwollen und ich konnte weder essen noch in den Schlaf kommen. Missmutig kauerte ich in einer Ecke des Schiffes und wartete sehnsüchtig darauf, dass der Schmerz nachlassen würde. Der gute Franco versuchte mich zu trösten und betete für mich, aber es half nichts. Ich kannte nicht viele Mittel, die wir hier in der Fremde dagegen verwenden konnten.

Als Bruder Pilegrinus mich so bemerkte, setzte er sich zu uns und sagte: „Mein lieber Liutprand, wohl sehe ich, dass Euch etwas peinigt, doch weiß ich nicht, wie Euch zu helfen sein wird. Ist es ein Backenzahn?“

Ich blickte ihn an, nickte kurz und versank erneut in Betrübnis.

„Mir hat in früheren Jahren oft geholfen“, fuhr er fort, „jeden Morgen nach dem ersten Gebet einem grünen Teichfrosche ins Maul zu spucken und ihm mit den Worten ‚Nimm das Übel mit!’ allen Schmerz zu übertragen. Dieses war dreimal zu wiederholen und dann jeden Tag weiter, solange die Schmerzen nicht fort sind. Und es hat immer gute Wirkung getan.“

So riet er mir, ebenfalls in diesem Sinne zu verfahren, und ich hoffte und betete, dass er recht haben möge. Und wenn es half, die Last des Schmerzes etwas leichter zu ertragen, wollte ich schon zufrieden sein, auch wenn grüne Teichfrösche in dieser Gegend vielleicht nicht eben leicht zu beschaffen waren. Wir würden die gemeinen Bauern in einem nahegelegenen Dorfe danach fragen müssen.

Eine Stunde, bevor die Dunkelheit hereinbrach, hieß uns der Schiffsmeister an Land gehen, weil er sein vorbestimmtes Ziel erreicht hatte. Die Stelle zum Anlanden bestand aus nicht viel mehr als einem kleinen Steg, der wie ein Dorn in den Fluss ragte und einen gar gebrechlichen Eindruck machte. Der Steg lag auf der linken Seite des Ufers, etwas weiter voraus auf der rechten Seite erblickte ich eine Feste, die auf einem felsigen Vorsprunge erbaut war und den Fluss zwang, einen großen Bogen drum herum zu machen. Sie wirkte recht bedrohlich, ganz aus grauem Stein erbaut, und es lagen mindestens siebzig Ellen Fels zwischen dem Fluss und dem ersten gehauenen Stein. Auf einer der oberen Zinnen des wehrhaften Turmes entdeckte Franco zwei Wachen mit Helmen, für meine schwächer werdenden Augen waren sie bereits viel zu klein geworden. Aus diesem Grunde war ich ganz froh, dass die Feste auf der anderen Seite lag. Wir würden es dem Fluss gleichtun und einen großen Bogen um sie herummachen.

Der Schiffsmeister wollte seinem Gehilfen an Land gerade eine Leine für den Steg zuwerfen, als plötzlich die fünf Reiter mit ihren kleinwüchsigen Pferden und lautem Gebrüll um die Ecke geritten kamen, als hätten sie nur darauf gewartet, dass wir uns dem diesseitigen Ufer näherten. Dem Schiffsmeister fuhr der Schreck in die Glieder, und nicht nur ihm, sondern auch mir, als ich die gespannten Bögen bei zweien von ihnen sah. Der Gehilfe wurde von einem krummen Pfeil ins Bein getroffen und stürzte sogleich ins Wasser. Ich weiß nicht, ob er es absichtlich tat, um sein Leben zu retten, oder unabsichtlich, weshalb er dann wohl untergegangen und dem Tode geweiht wäre. Da ich nun aber viel zu sehr mit mir selbst und meinem eigenen Überleben beschäftigt war, konnte ich sein Schicksal nicht weiterverfolgen.

Der Schiffsmeister scherte sich ebenfalls nicht um den Gehilfen. Er drehte schleunigst ab und brachte schnell zwei Bootslängen zwischen uns und das Ufer. Die berittenen Männer schossen unterdessen immer weitere Pfeile auf uns ab, vor denen wir uns hinter dem niedrigen Schanzkleide des Schiffes zu verbergen suchten. Einer der burgundischen Kaufleute fiel plötzlich vornüber auf den hölzernen Boden und erstarb, von einem Pfeil mitten durch den Hals getroffen, vor unseren Augen. Oh, war dies ein schrecklicher Augenblick, mit ansehen zu müssen, wie jemand unschuldig und von solch boshafter Tücke getroffen dahinschied! Die Männer auf ihren Pferden jubelten, als sie bemerkten, dass sie einen der Unsrigen voll erwischt hatten.

Aber es kam noch schlimmer, als sie begannen, uns mit brennenden Pfeilen zu beschießen. Schon die ersten beiden Pfeile setzten das Segel in Brand. Die von diesem sogleich herunterfallenden Fetzen entzündeten wie eine Fackel wiederum das Pechwerg, mit welchem das Schiff gegen das Wasser abgedichtet war. Bald stand das halbe Boot in lodernden Flammen und die Maultiere im Heck wurden sehr unruhig. Eines der Tiere schlug wild um sich und drohte, die anderen zu verletzen, während es vergeblich versuchte, sich von der Last auf seinem Rücken zu befreien. Franco stürzte, umhagelt von brennenden Pfeilen, auf die Tiere zu und befreite sie, eines nach dem anderen, von ihren Taschen, um sie sodann mit kräftigem Anschube ins Wasser zu stoßen. Zunächst erschrak ich gehörig, aber dann gefiel mir sein Plan, denn wir konnten in guter Hoffnung davon ausgehen, dass einige der Tiere es schwimmend zum Ufer schaffen würden und wir sie dann wieder einfangen könnten.

Die Tasche, in welcher sich mein Buch und die restlichen Aufzeichnungen befanden, lag mit zerschnittenen Riemen in der Nähe. Ich hatte nicht viel Mühe, sie zu mir heranzuziehen. Sodann band ich sie fest um meinen Körper, um sie nur ja nicht zu verlieren, sollte ich mich schwimmend aus meiner jetzigen Lage befreien müssen.

Pilegrinus von Batavis saß jämmerlich und mit eingezogenem Kopfe in einer Ecke, aber auf der falschen Seite des Schanzkleides, nämlich der, in welcher beständig grobe Pfeile einschlugen.

Ich rief ihn zu mir herüber und als er, auf allen Vieren kriechend und seine Pergamente vor sich herschiebend, bei mir ankam, gestand er mir, dass er nicht schwimmen könne und entsetzliche Angst hätte. Nun, ich versprach auf mein Ehrenwort, ihn wenn nötig zu retten und bei Gesundheit an Land zu bringen, was ihn aber erstaunlicherweise weniger zu beruhigen vermochte, als ich gehofft hatte. Nunmehr klammerte er sich umso fester an mich, auf dass ich mein Versprechen an ihm einlöse.

Es dauerte nicht lange, dann war es so weit. Der Schiffsmeister lag von einem Pfeil schwer getroffen auf dem Boden. Unser Schiff bekam gehörige Schlagseite, weil sich nun alle diesseits hinter dem schützenden Schanzkleide versteckten und das Gegengewicht von den Maultieren auf der anderen Seite fehlte. Es sank immer tiefer ein und so blieb uns bald nicht viel mehr, als für ein gutes Ende zu Gott zu beten und uns ins Wasser fallen zu lassen. Pilegrinus, der noch fester als zuvor an mir festhielt, plumpste im selben Augenblick ins Wasser und begann sofort, wild mit den Armen zu rudern, was ihn für einen kurzen Moment von mir loslöste. Er schrie und bettelte um Hilfe. Auch seine Pergamente hatte er in Todesangst fallengelassen. Ich befahl ihm, ruhig zu sein und auf die Rollen achtzugeben. Doch er konnte sie schon nicht mehr erreichen. Kaum, dass er versuchte, den Arm nach ihnen auszustrecken, machte er angstvoll kehrt zu mir zurück und ließ mich fortan nicht mehr los.

Ich schwamm, so gut es mir möglich war, in Richtung Ufer davon, aber der gute Pilegrinus war ein zu schwerer Klotz an meinem Schoße. In aller Eile unterwies ich ihn, wie er das Schwimmen mit den Beinen vollziehen konnte, und als er sich daran gewöhnt hatte, hieß ich ihn, mit den Armen ebenso zu verfahren. Ich weiß nicht, wie lange wir auf diese Weise mit recht geringem Erfolge hin und her ruderten, aber wir erreichten irgendwann wohlbehalten das Ufer der rechten Seite, die uns im Angesicht der brutalen und gottlosen Räuber am anderen Ufer als die sicherere Seite erschien. Wir keuchten und bebten wie ein Blasebalg, aber wir waren am Leben. Franco, der bereits zwei der Maultiere eingefangen und eine unserer Taschen gerettet hatte, erwartete uns und half mir und dem Bruder Pilegrinus an Land.

Ich blickte an mir hinunter und fand, Gott sei Dank, die Tasche mit meinen Dokumenten unversehrt gegurtet. Was hätte ich nur ohne sie tun sollen? Vom anderen Ufer klangen entsetzliche Geräusche zu uns hinüber. Die Räuber stürzten sich auf den burgundischen Kaufmann, der sich völlig erschöpft an den Steg klammerte und um Gnade winselte. Sie zerrten ihn aus dem Wasser, prügelten ihn mit den Fäusten und versuchten, ihm seinen Geldbeutel zu entreißen. Als er sich trotzig weigerte, ihn herauszugeben, schlugen sie ihm unversehens die Hand ab, die den Beutel hielt. Voller Grauen wandten wir uns ab, Bruder Pilegrinus verkrampfte sich ängstlich in meinem Reiseumhang und betete inständig.

„Was werden sie erst mit uns tun?“, jammerte er fortwährend, und es nutzte auch nichts, wenn ich ihm erklärte, dass zwischen uns ein großer Strom lag, den zu überqueren die Räuber ohne Weiteres nicht in der Lage waren.

Lediglich Franco wandte sich nicht ab, sondern beobachtete aufmerksam das grausige Geschehen auf der anderen Flussseite. So sah er, wie sie dem Kaufmann seine sämtlichen Kleider entrissen, ihm seinen Schmuck abnahmen und so lange und so grob auf ihn einschlugen, dass er sich nicht mehr wehren konnte und nur noch still am Boden lag. Sodann stießen sie ihn ins Wasser und machten sich johlend und jauchzend über ihre Beute her, welche sie sogleich unter sich aufteilten. Den völlig durchnässten schwarzen Seidenmantel warf sich der Anführer über die Schulter. Dann schwangen sich die Räuber, immer noch laut johlend, auf ihre Reittiere und galoppierten, wie vom Teufel selbst befohlen, nach Südwesten davon.

Franco sah ihnen hinterher, bis sie zwischen den Hügeln verschwanden.

Dann wandte er sich wieder mir und meinem Begleiter zu.

„Wo sind die kaiserlichen Urkunden, verehrter Meister Pilegrinus?“, fragte er unsicher, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sie nicht mit angelandet worden waren.

Pilegrinus entschuldigte sich wortreich, dass er sie habe fahren lassen müssen, aber Franco hatte schon keine Zeit mehr, seinen umständlichen Erklärungen zu folgen. Ohne ein weiteres Wort rannte er fort, eine halbe Meile flussabwärts, und stürzte sich ganz in der Nähe der bedrohlichen Feste furchtlos in die dunklen Fluten des Stromes. Ich rief ihm nach, war mir aber bewusst, kaum, dass ich seinen Namen dem Wind übergeben hatte, dass es zu nichts nutzen würde. Franco war offenbar wild entschlossen, die Pergamente aus dem Wasser zu retten, und er würde sich gewiss nicht von einem alten und viel zu zögerlichen Manne wie mir davon abhalten lassen.

Was ich kaum gehofft und der gute Pilegrinus für unmöglich gehalten hatte, trat tatsächlich ein. Franco kehrte, obwohl sich schon die Dämmerung um uns herum senkte, mit dem Kalbsleder im Arm zurück. Bruder Pilegrinus und ich gingen ihm auf halbem Wege entgegen. Ach, wie herzlich ihm der Pilegrinus dafür dankte, kann und will ich nicht beschreiben, denn es gäbe keine guten Worte für so viel Glück und Freude, die aus tiefstem Herzen emporquollen und die er ihm darbrachte, auf den Knien liegend und weinend vor unendlicher Seligkeit über den glücklichen Ausgang.

Aber ehe wir uns versahen, waren wir der finsteren Burg immer nähergekommen, so dass unsere langen Schatten bereits ihren Sockel berührten. Mir war zutiefst unwohl zumute.

Wilde Geschichten hatten wir seinerzeit gehört, von garstigen Kreaturen, die an verlassenen Orten hausten und dabei teuflische Dinge trieben. Sie konnten Feuer anzünden, wo vorher keines war und die Stimmen Verstorbener aus dem Nichts erschallen lassen, sodass es jedem gottesfürchtigen Manne eine elende Qual sein musste.

Ich war beunruhigt. Die Nacht stand uns bevor und wir hatten noch kein Quartier für uns gefunden. Als ich meine Sorge den anderen beiden mitteilte, ergriff Bruder Pilegrinus ängstlich meine Hand. Er zitterte am ganzen Körper und es war mir nicht ersichtlich, ob dies nun wegen der nassen Kleider oder der zu befürchtenden Scheußlichkeiten geschah.

„Kommt herauf, Ihr braven Leute. Ihr müsst Euch nicht ängstigen!“, rief plötzlich eine feste Stimme von oben herab, gerade als Pilegrinus zu einer Erklärung ansetzen wollte. Wir sahen hinauf und entdeckten einen Mann der Wache, der eine Fackel hielt und uns gar freundlich zuwinkte.

„Wer ist Euer Herr?“, fragte ich zurück, aber die Antwort ließ ungewöhnlich lange auf sich warten.

„Ihr seid in des Kaisers Schutz“, rief eine zweite Stimme. „Habt keine Furcht! Hier gibt es gutes Essen und ein sicheres Nachtlager für Euch. Dort unten ist es nicht sicher genug für ehrbare Männer wie Euch. Kommt nur herauf!“

Einer solch freundlich gesprochenen Einladung konnten und wollten weder Bruder Pilegrinus noch ich bei aller gebotenen Vorsicht widerstehen, erst recht nicht, nachdem wir mit Gottes Hilfe unser nacktes Leben gerade noch eben aus dem Wasser ziehen konnten. So beschlossen wir dann, die Einladung anzunehmen. Wir sammelten die Maultiere und die wenigen übrigen Sachen zusammen und ich dankte meinem lieben Schüler für seine Kühnheit und Entschlossenheit. Allerdings war zu meinem größten Leide durch den Verlust unserer weiteren Taschen offenbar geworden, dass ich nun mit leeren Händen dastünde, wenn der Heilige Kaiser uns empfangen wollte, weil die einzige verbliebene Tasche nur einen Rest an Proviant enthielt. Alle Geschenke, die wertvollen goldenen und silbernen Kannen, die ich eigens für den Kaiser und seine holde Gemahlin ausgesucht hatte, die kunstvollen Schwerter der Sarazenen, die kostbaren Gewänder und Tuche trieben im Flusse dahin und waren wohl unrettbar verloren.

Franco erwiderte meinen sorgenvollen Blick.

„Wer hat Dich das Schwimmen im Wasser gelehrt, mein guter Junge?“, fragte ich ihn mit nicht geringer Verwunderung und Anerkennung in der Stimme, als wir den steilen und wie ein Wurm gewundenen Weg zur Feste hinaufstiegen.

„Niemand, Meister Liuzo. Ich habe es mich selbst gelehrt.“

Er muss mir meine Verblüffung angesehen haben, denn sogleich fügte er zu seiner Erklärung hinzu: „Vor nicht langer Zeit habe ich beobachtet, wie einer der Händler aus Arabien, die wir in Pavia allerorten gesehen haben, aus freien Stücken in den Fluss Eridanus gestiegen ist und wie er nicht unter den Wellen verschwand. Ich sah, wie er vom Ufer forttrieb und wenig später wieder zurückfand, wobei er mit den Armen und Beinen ruderte wie eine Ente. Es war aber gar nicht schwer, seine Bewegungen zu lernen und nachdem der Mann fort war, machte ich es ihm sogleich nach.“

Ich fand es durchaus bemerkenswert, wie mein braver Schüler die Dinge selbst in die Hand nahm und seine Ausbildung aus eigenem Antriebe heraus in einer überaus nützlichen Weise ergänzte. Keiner meiner früheren Schüler hatte dergleichen je getan, was mir aufs Neue ein Fingerzeig war, dass der Franco ein von Gott begnadetes Geschöpf war.

„Du hättest ertrinken können bei dem Versuche“, merkte ich dennoch an.

„Nun, verehrter Meister Liuzo, wie Ihr seht, lebe ich aber noch. Ab und an müssen wir die Dinge selbst in die Hand nehmen, damit sie so werden, wie wir sie wollen.“

Ich sah zu ihm hinüber. Aus seiner Stimme klang eine zuvor nie gehörte Festigkeit heraus, die mir tief im Inneren meiner Seele Sorge bereitete.

„Vergiss nicht“, ermahnte ich deshalb in väterlichem Tone, „dass allein Gott, unser Herr im Himmel und auf Erden, bestimmt, wie die Dinge sein sollen. Wenn er es geschehen lässt, wird es geschehen. So steht es in der Heiligen Schrift, mein lieber Junge.“

Franco schüttelte den Kopf. „Nun, ich denke, mitunter überlässt es Gott uns Menschen, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.“

„Wir Menschen sind nur Geschöpfe des Herrn, seine untauglichen Diener! Niemals dürfen wir uns in seinem Angesichte zum Richter aufschwingen!“

„Ja, aber glaubt Ihr denn, verehrter Bischof, dass Gott gar selbst die Pergamente aus dem Wasser gezogen hätte oder dass der Herr das widerspenstige Maultier den Felsen hinabgeworfen hat?“

Ich blieb stehen.

„Was redest Du da nur, Junge?“

Mir fiel es schwer zu glauben, was sich meinen Ohren soeben offenbarte. Andererseits hatte ich wohl kaum genügend Grund, an den Worten meines Schülers zu zweifeln. Hatte er das Maultier den Felsen hinabgestoßen? Hatte er wirklich für den unglücklichen Bruder Eco Rache an dem armen Tiere genommen und es dann vor mir wie einen Unfall aussehen lassen? Ich mochte es nicht glauben, aber Francos hochmütig lächelnder Ausdruck, der die Gewissheit ausstrahlte, etwas Gottgefälliges und überaus Gerechtes getan zu haben, schauderte mich, wie ich es selten zuvor erlebt hatte. Musste denn auch ich mich vor ihm fürchten, wenn ich eines Tages fehlging und jemand durch mein Versehen zu Schaden käme, so fragte ich mich.

Bruder Pilegrinus sah mich nachdenklich an. Natürlich konnte er nicht wissen, worüber wir gerade sprachen, aber er ahnte es doch und bemerkte die plötzliche Veränderung in meiner Miene. Abwechselnd blickte ich den braven Pilegrinus und meinen Schüler Franco de Ferrucius an. Was war er nur für ein Mensch? War er nicht, wie ich auch, ein Mann Gottes? Hatte er nicht einen heiligen Eid auf den Herrn geleistet? Warum tat er einerseits Dinge, die so unverständlich und gottesfern waren, dass ich sie mir nicht einmal vorstellen mochte? Und andererseits rettete er unser aller Leben und Wohlergehen, ohne dabei auch nur im Entferntesten an sein eigenes zu denken.

Die Feste Vossberg am ebenso schönen wie gefährlichen Flusse Rhenus wurde vom frommen Grafen Meik verwaltet, der dem sächsischen Herrscherhause treu ergeben und darüber hinaus verwandtschaftlich durch seine Nichte verbunden war, die wiederum den ältesten Sohn des Herzogs Heinrich heiratete und somit dessen Schwiegertochter wurde. Dem heiligsten Kaiserpaar stand der Graf Meik auch persönlich sehr nahe und ward während der großen Italienreise mit dem Schutze und der Ausbildung des noch minderjährigen Sohnes Otto betraut. Der Meik selbst musste einer der glücklichsten Menschen in Gottes Erdenkreis gewesen sein, so ihm sein Eheweib zwölf gute Kinder, elf stramme Jungs und ein Mädchen, zur Nachfolge geschenkt hatte – und ein Ende noch nicht abzusehen war.

Der älteste Sohn, mit Namen Henk, stand der Burgwache als Hauptmann vor, so wie auch die anderen alle, ihrem jeweiligen Alter folgend, wichtige Aufgaben am Hofe übertragen bekamen. Jegliches Wohlergehen und die Zerstreuung der vielfältigen Gäste des Grafen und seiner holden Frau Gemahlin, zu denen auch regelmäßig hohe weltliche und geistliche Herren gehörten, oblag dem zweitältesten Sohne Lucius, dem man schon früh ein besonderes Geschick in gesellschaftlichen Dingen zusprach. Dem Abel und dem Howus ward die Aufsicht über das Handwerk, welches hier gar vielfältig war, gegeben, die Zwillinge David und Norbert verwalteten den Markt und den Burgschatz, der Barbara ward die Herrschaft über die Küche und die Vorräte übertragen, während der brave Sven sich um den gut gefüllten Weinkeller bekümmerte. Die grafschaftliche Kanzlei und Schreibstube leitete der Jorg und der drittjüngste unter den Söhnen, den alle Dennes nannten, machte die verschiedensten Botengänge für ihn.

Der in technischen Dingen sehr begabte Nikolaus, sein Zweitjüngster, besorgte die Bauarbeiten und Reparaturen an den umfangreichen Mauern der Feste. Einzig Danilus war noch zu jung, um eine eigene Aufgabe zu übernehmen. Er war der liebste Spielgefährte des jungen König Otto, wenn dieser sich in der Feste aufhielt, so sie auch gleichen Alters waren.

Nun, die Aufsicht über die vielen übrigen Bediensteten, die Kammerfrauen und Kammerdiener, und alle, die sonst noch am Hofe Dienst taten, führte der Meik selbst aus, wie es ihm Spaß bereitete.

Wir wurden gar freundlich aufgenommen und reichlich mit Speis und Trank versorgt, sodass wir uns nach den vielen Tagen des Umherreisens nun in völliger Ruhe und Sicherheit betten konnten. Zur Mittagszeit des zweiten Tages lud uns der hoch zu lobende Graf Meik, der ein sehr aufmerksamer und fürsorglicher Gastgeber war, an seine Tafel im großen Rittersaale ein. Mit uns gemeinsam zu Tische saßen der ehrwürdige Bischof Simon von Berenthal und die Gebrüder Koopman, drei reiche lotharingische Tuchhändler, die mit dem Grafen verschwägert waren über dessen Gemahlin, die holde Gräfin Felicia.

Auch Franco ward hinzugerufen, aber er fehlte immer noch, als schon der zweite und dritte Gang aufgetischt wurde. Während mir köstlichste Speisen und ein wohlgelungener Wein aus der hervorragenden Kellerei präsentiert wurden, begann ich, mir Sorgen um ihn zu machen. Als die Gräfin mein Unwohlsein bemerkte, gestand ich ihr meine Angst und sie schickte sofort vier der besten Wachleute unter dem Befehl ihres ältesten Sohnes Henk los, auf dass sie die ganze Burg vom Keller bis zur Turmhaube nach dem Jungen absuchen und nicht eher wiederkommen mögen, bevor sie ihn aufgefunden hätten. So war ich denn etwas besser beruhigt und aß und trank weiter mit den edlen Herren und Damen, derer viele sich bei Tisch versammelt hatten.

Kaum, dass der Nachtisch, ein köstlicher Sud aus süßen Beeren, aufgetischt war, stürmte Hauptmann Henk eilends herein und wandte sich seiner Mutter zu. Ich hörte zwar aus seinem Flüstern den Namen Franco wohl heraus, aber ich verstand ihn nicht besonders gut. Graf Meik, der an ihrer Seite saß und ebenfalls zugehört hatte, winkte mich zu sich heran.

„Gute Nachricht, verehrter Bischof. Euer Schüler ist soeben auf dem Weg zum Tore gesichtet worden. Er wird sicher gleich hier sein.“

„Und geht es ihm gut?“, fragte ich besorgt.

„Er scheint wohlauf zu sein. Doch fragt ihn besser selbst. Ich lasse ihn zu Euch in die Kammer bringen, wenn Ihr wollt.“

„Nein, nein. Das wird nicht erforderlich sein. Er wird Hunger haben und durstig sein. Lasst ihn hierherbringen, zu uns an die Tafel, wenn es Euch beliebt, verehrter Graf und verehrte Gräfin.“

Der Graf gab dem Henk einen Wink, wie er zu tun hatte, und kaum, dass dieser zur Türe hinaus war, kam er mit dem Franco am Arme auch schon wieder herein.

Franco war völlig durchnässt, wie er den festlichen Saal betrat. Er kam seltsam krumm daher und wurde auf einer Seite vom braven Henk gestützt. Als er mich sah, huschte ein Lächeln über sein Gesicht. Er löste sich von Henk und humpelte auf mich zu. Da erst sah ich, was er in der Hand hielt, und ich kann sagen, dass man in seinem ganzen Leben kaum mehr Grund haben kann, überrascht zu sein und an seinem Verstande zu zweifeln, als ich es in diesem Augenblick tat.

„Verzeiht, Meister Liuzo, wenn ich nicht vor Euch auf die Knie falle, wozu ich allen Grund hätte, um Euch meine Dankbarkeit und Wertschätzung zum Ausdruck zu bringen. Als Zeichen meiner hohen Achtung möchte ich Euch diesen Mantel zu Füßen legen und Euch bitten, ihn als Geschenk und als Dank anzunehmen.“

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