Kitabı oku: «Halt», sayfa 2

Yazı tipi:

»Meine Damen und Keine-Herren, darf ich vorstellen … Reginald!«

Mary klatschte, aber kurz darauf sah Belinda, wie sich ihr Gesicht verzerrte, als klar wurde, dass der Applaus ungehört verhallt war. Sie saß im Schneidersitz auf dem feuchten Boden, als Priscilla sich zu ihr gesellte, und sagte: »Reginald gefällt mir nicht, als Name für ein Krokodil. Sag mir, seinen Namen von hier. An – an welchem Tag ist er geboren?«

»Er ist vor ungefähr drei Jahren hier angekommen. Starke Männer haben ihn mit einem Laster aus Bolgatanga den ganzen weiten Weg hierhergebracht.«

»An. Welchem. Tag. Bitte?«

»Ich glaube, die Lieferung kam an einem Dienstag, dann –«

»Dann nehmen wir das. Lasst uns nach Kwabena rufen. Los.« Belinda arbeitete sich zu ihnen vor, verfluchte ihre Schuhe, setzte sich wie die beiden anderen auf den Boden und klatschte in Richtung Wasser. »Kwabena?! Aba! He? Zierst du dich etwa? Adɛn

Nichts. Nichts außer Stille.

»Ähm, wir haben auch Taranteln, die ich dir zeigen könnte. Wie wär’s damit?«

»Ich hasse Spinnen. Und die hab ich sowieso, bei mir zu Hause, bei Aunty und Uncle zu Hause, wo ich putze, wo wir putzen, ino be so, Belinda? Die, die kommen ins Bad. Vor Kakerlaken haben sie keine Angst. Wir auch nicht.« Mary blickte vage zwischen Belinda und Priscilla hin und her, dann wurde sie sehr bestimmt. »Sie sind übrigens nicht unsere richtige Tante und richtiger Onkel. Aber Sie wissen ja, Tradition und Respekt gebieten, die Älteren so anzureden, und ich bin ein hundertprozentig respektvolles Kind.«

Belinda fragte sich, welche Art von Gefährtin sie für sich selbst ausgesucht hätte, wenn sie sich eine hätte aussuchen dürfen. Als der Fahrer sie vor sechs Monaten aus Adurubaa und von Mutter weggeholt und dann diesen unerwarteten Zwischenhalt in der Nähe von Baniekrom eingelegt hatte – wie wäre wohl alles gekommen, wenn irgendein anderes Mädchen ins Auto gestiegen wäre und sich freundlich vorgestellt hätte?

Das Wasser teilte sich. Sie wichen alle drei zurück. Diamanten sprühten und spritzten, als Kwabena vorpreschte. Er schnappte nach dem Zaun und Belinda schluckte. Seine unsteten Augen waren massige, dunkle Planeten. Sein dicker, höckriger Schwanz peitschte hin und her und wirbelte wieder Wasser auf, als Mary schrie. Das lange Maul klappte krachend zu, es klang nach einstürzenden Ziegelsteinen oder Glas, das zu Bruch geht. Er kroch zurück.

»Ich konnte nicht mal ein Foto machen, kein einziges«, maulte Mary und richtete die Kamera auf die Kräuselwellen, die Kwabena hinterlassen hatte. Belinda hielt die Luft an. Er war riesig. Noch war er nicht aus dem Wasser herausgeschossen, aber sie wusste, dass er hoch genug springen konnte, um die Bäume zu streifen und auf sie selbst, auf sie alle draufzufallen. Dann wären sie zermalmt. Zerdrückt unter seinem rauen Bauch.

»Siehst du diesen Eimer da drüben? Siehst du ihn?« Belinda hörte, wie Priscilla nachgiebiger wurde. Mary, die ihre Tränen nicht länger zurückhalten konnte, schluchzte. »Pass auf: In diesem Eimer sind Fleischbrocken – hol sie dir. Ich wollte zwar nichts vergeuden, aber …«

Belinda sagte kein Wort, als Mary zu einer nah gelegenen Hütte rannte und mit einem blutigen Brocken zurückkam.

»Braves Mädchen! Sieh dir deine Freundin an: Sie ist nicht so kühn und mutig wie du. Als wäre sie einem Geist begegnet oder wollte sich gleich übergeben.« Belinda versuchte, das witzig zu finden. »Wenn er zurückkommt, wirfst du ihm den Brocken hin, okay? Okay. Dann mal los. Kwabena, Kwabena –«

Priscilla hielt inne, tippte Belinda auf die Schulter. »Helfen Sie mir, Madam? Madam?«

Belinda fiel in die Rufe ein, mit einem Zittern in der Stimme, das sie irritierte und das nicht aufhören wollte. Binnen Sekunden tauchte wieder ein Wirbel aus Grau, Braun, Rosa und Grün auf, der sich diesmal sogar noch wilder gebärdete.

»Wirf es ihm hin, wirf!«

Mit einem Bellen schleuderte Mary das Fleisch in die Luft. Es traf Kwabenas Schnauze, der sofort daran riss, bevor er und der rote Würfel blubbernd verschwanden. Belinda rang nach Luft.

»Das. Das. Das. War das Allertollste!«

Belinda mussterte Marys Wangen. Sie waren verschmiert von Tränen, Rotz, Schweiß, Wasser und Blut.

Die Zoo-Kantine war ein langer, schmaler Raum mit bräunlich-grünem Anstrich, in dem reihenweise Holztische standen. Jeder Tisch war mit einer Würzgarnitur, verbogenem Besteck und einer ghanaischen Mini-Flagge gedeckt. Rostige Deckenventilatoren ließen Staub auf die Gäste rieseln, die darunter saßen. Niemand beschwerte sich. Eine rundliche Mitarbeiterin mit fleckiger Schürze saß an der Kasse, über ihr hing ein Kalender, der für den Monat April einen lichtumflorten Jesus zeigte. Im Mundwinkel der Frau hing ein Kaustäbchen. Zu ihren Füßen lag eine dürre Katze. Weiter hinten krächzte ein Radio dämliche Jingles im öligen Dunst.

Unter dem Tisch kreuzte Belinda die Knöchel und hoffte, so würde ihr Oberschenkel aufhören zu zittern. Der Plan ging auf, bis sie stattdessen mit dem Deckel der Ketchupflasche spielte. Sie klapperte mit der Coladose und beobachtete, wie Mary ihr Red Red auf dem Teller hin und her schob.

»Iss schön alles auf, Mary, du willst doch groß und stark werden.«

»Du weißt, dass ich für Red Red immer besonders viel Zeit brauche, weil – «

»Mary – du sollst essen, nicht reden, wa te

Mary rutschte von ihrem Stuhl. Sie ließ den Ball hüpfen, den sie auf Drängen Priscillas im Souvenirladen gekauft hatten, zusammen mit den Bechern, Radiergummis, T-Shirts, Postern, Armbändern, Broschüren und Sonnenhüten, die nun aus den schweren Tüten zu ihren Füßen herausquollen.

Boing. Fang. Boing. Fang. Boing. Fang.

Belinda überlegte, ob sie ihr den Ball wegnehmen sollte, auch wenn die Kellnerin, die gerade Serviettennachschub brachte, sich nicht an Marys Spiel zu stören schien. Nun warf Mary den Ball auf den freien Tisch gegenüber. Er warf einen Salzstreuer um. Mary rannte hin und richtete den Streuer wieder auf, dann warf sie den Ball auf einen freien Stuhl.

Boing. Fang. Boing. Fang. Boing. Fang. Mary strahlte vor Vergnügen.

»Hast du keinen Hunger, Mary?«

Boing. Fang. Boing. Fang.

»Mary?«

Rechts von Belinda saßen zwei alte Männer, kräftig der eine, schmächtig der andere, beide in eine Partie Oware vertieft. Behutsam nahmen sie die grauen Spielsteine auf und verteilten sie. Jeder Zug des kräftigen Mannes wurde mit einem Lachen eröffnet. Sein Gegner beugte sich vor und summte. Belinda bemerkte die Häufchen Pesewa-Münzen zwischen ihnen. Eine Gruppe weißer Touristen zeigte auf das Spiel. Sie waren zu fünft, möglicherweise Studenten, und naschten gekochte Erdnüsse von einer großen Karte. Belinda hörte sie darüber reden, wie freundlich die »Einheimischen« seien. Mary nahm ein bisschen Tempo raus, als sie den Ball an die Decke warf, im Slalom um die Ventilatoren herum.

Boing. Fang. Boing. Fang. Boing. Fang.

Belinda schaufelte sich dampfenden Reis in den Mund und sah den schmaleren der beiden Spieler aufstehen und um den Tisch herumgehen, um seine Position aus verschiedenen Blickwinkeln zu begutachten.

Boing. Fang. Boing.

Mary hatte inzwischen den Tresen erreicht und brachte die Katze zum Kreischen. Die Kellnerin summte. Belinda ließ zwei Fingerknöchel knacken. Mary brachte einen der weißen Touristen dazu, aufzuspringen. Sein blondes Haar wehte, als Mary den Ball warf und er ihm hinterherjagte.

Ta. Ta. Tapp. Boing. Fang. Boing. Fang.

»Als deine Mutter dich rausgepresst hat, hast du einen Dachschaden abgekriegt – Druck macht das Hirn weich«, hörte Belinda. »Und ich bekomm diesen Sieg geschenkt.«

Der schmalere Spieler zappelte hin und her, während sein dicker Gegner die Nasenflügel blähte.

Boing. Fang. Boing. Fa –

Jetzt tat der Student einen Satz nach vorne, sein Batik-T-Shirt bauschte sich, als er Mary hochhob und sie in die Luft schleuderte. Der Ball rollte nach draußen. Die durchgedrehte Katze folgte ihm.

»Mary!«

Mary landete auf dem Boden. Alle erstarrten. Der Weiße rührte sich nicht vom Fleck. Die alten Männer vergaßen ihr Spiel.

Hitze wallte in Belinda auf. »Komm. Her. Und. Iss.«

Mary entschuldigte sich beim Studenten, der wurde rot und schüttelte ihr die Hand.

»Wo ist der Ball hin?«, fragte Mary und setzte sich.

»Wir können ja einen neuen besorgen. Jetzt isst du erst mal.«

»Okay, okay. Keine Ahnung, warum du so schroff zu mir bist.«

»Tut mir leid. Das wollte ich nicht. Wirklich nicht.«

»Hmm.«

»Und das, mein Freund, nenne ich einen Sieg!«, röhrte der Dicke.

»Ist Oware sowas wie unser Vier gewinnt, nur anders? Gibt es bei Aunty und Uncle irgendwo ein Oware, das sie uns borgen würden? Mein Vater hat früher –«

»Mary, jetzt bist du doch fast erwachsen, nicht wahr? Bald wirst du zwölf«, sagte Belinda mit gespielter Heiterkeit.

»Ich kann’s mit jedem aufnehmen, der sich überhaupt an mich herantraut. Sogar dich mit deinen siebzehn Jahren könnt ich im Kampf schlagen. Meinst du das?«

»Unter anderem.«

»Und was sonst?«

Belinda zerdrückte den Reis auf ihrem Teller. »Erwachsen sein bedeutet, dass man mit immer weniger auskommt. Mit der Zeit werden einem Dinge weggenommen. Aber man findet sich damit ab. Mit dem Verlust, weil man ihn – weil man in der Lage ist, ihn selbst irgendwie auszugleichen. Man kann für sich selbst sorgen. Der Teddybär ist weg. Mama und Papa sind weg. Und man kommt damit klar.«

»Ich versteh nicht so richtig, was du meinst, Belinda. Und wenn ich seh, was du für ein Gesicht machst, glaube ich, du verstehst es auch nicht.« Mary wischte sich orangerotes Fett aus dem Mundwinkel. »Können wir noch einen Ball kaufen gehen?«

»Nein. Können wir nicht.«

»Aber Belinda –«

»Du bekommst nicht immer, was du willst. Als Erwachsene wirst du nicht immer bekommen, was du willst. Wa te

»Im Gegenteil. Erwachsene haben –«

»Wenn du manchmal enttäuscht wirst, macht dich das nur stärker. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.«

»Was?«

»Es ist nur zu deinem Besten.« Mit jeder Faser ihres Körpers wollte Belinda aus der Kantine stürmen. Sie stemmte sich gegen den Impuls. »Diese Nana, die seit ein paar Wochen im Haus wohnt?«

»Was ist mit ihr? Wie ich dir schon gesagt hab: Von zehn Punkten würd ich ihr so fünfeinhalb geben. Sie ist okay, und mir gefallen die vielen hübschen Kleider, die sie trägt, und dass sie so ein hübsches helles Gesicht hat, aber sie ist auch ein bisschen seltsam. Eine richtige Ghanaerin, ich weiß, aber die vielen Jahre Arbeit im Großen Britannien, so wie Uncle und Aunty, haben sie irgendwie irre gemacht. Sie guckt mich immer so komisch an, sogar wenn ich ihr nur Supermalt nachschenken will. Vielleicht wird sie auch bloß alt und deswegen etwas plemplem.«

»Sie und der Ehemann haben gesagt, ich soll hier weg. Sie nehmen mich dann mit zu sich nach London. Ist dir klar, was das heißt? Aunty und Uncle haben Ja gesagt. Sie wissen, was das bedeutet. Ich komme nicht zurück. Du. Du wirst mich nicht wiedersehen. Das ist für uns alle das Beste.« Es war nur angemessen, dass sie die Wörter so langsam herausbrachte.

»Morgen? Du fährst also schon morgen?«

»Nein. Wir warten noch auf Papiere – sie müssen jemanden in der Botschaft bezahlen oder sowas in der Art.«

»Ich … Ich wusste, wir würden nicht für immer zusammen bleiben. Ich wusste, eines Tages würde sowas passieren, aber.«

»Aane

Mary fischte zunächst Eiswürfel aus ihrer Cola und hob dann den Kopf. »Du? Du … Du bist ein MISTSTÜCK, klar?« Mary stand auf und zeigte mit dem Finger auf sie. »So … so ein MISTSTÜCK! Und ja, stimmt, ich brauch dich nicht. Nicht nur, weil ich erwachsen bin. Weil ich nämlich besser bin als du.«

»Mary –«

»Geh doch nach London, du blöde Kuh. Mach ruhig, ist mir egal. Dir weine ich keine Träne nach, keine einzige.«

Der Weiße kam zu ihrem Tisch. »Alles in Ordnung?« Er nestelte an den Holzperlen, die er um den Hals trug.

»Alles bestens, danke. Und auf Wiedersehen.«

»Ich wollte ja nur …« Er schlurfte zu seinen tuschelnden Freunden zurück.

»Bin vielleicht nicht schlau genug für London, eh? Hab’s nicht so mit Buchstaben und Zahlen wie du, eh? Nicht hübsch genug? Mein Haar nicht fein genug für London?« Mary riss sich die Perlen vom Kopf, schleuderte sie auf den Boden, löste die beiden Haarstränge. »Tut mir echt leid, dass Aunty und Uncle mir keinen Besuch beim Friseur spendiert haben, um mir so schöne Zöpfe machen zu lassen wie du und dann bei Nana und dem Ehemann mächtig Eindruck zu machen. Tut mir leid, dass niemand mir so ein goldenes Kleid gibt, mit dem ich glänzen kann!«

Belinda streckte die Hand nach ihr aus.

»Rühr mich nicht an.«

»Wir –«

»Ich sagte RÜHR MICH JA NICHT AN.«

Die Weißen sammelten ihre Rucksäcke ein. Das Radio war aus.

»Hast mich also die ganze Zeit belogen? Von wegen, du und ich, wir halten zusammen, wir arbeiten zusammen, dacht ich jedenfalls. Und jetzt wird mir klar, du bist eine beschissene Lügnerin. Du dachtest, ich bin nichts wert, ist doch so? Hast mit Nana gelacht. Hast die Tage gezählt, bis sich sowas ergibt, ja?«

Marys heftiges Nicken erschreckte Belinda – als wäre dieses Elektrisierende, das manchmal durch ihren eigenen Körper strömte, auf die Kleine übergegangen.

»Was mit mir passiert, interessiert dich nicht die Bohne, eh? Du fliegst schön nach London, sie finden für dich einen Ehemann und einen Palast. Und ich? Mich schicken sie zurück.« Mary ging auf und ab. »Du verfluchte –«

»Fluchen? Wer hat dir das denn beigebracht?«

»FUCK. FUCK. Aus meinem Heimatdorf kommt mich niemand besuchen, nie, FUCK. Papa nicht. Grandma nicht. Und jetzt sagst du mir, dass Uncle und Aunty mich nach Hause zurückjagen werden, dass sie mich einfach vor die Tür setzen? Genau das wird nämlich passieren, Belinda. Weil sie nicht mich allein wollen. Wir sind zu zweit gekommen. Zu zweit.« Sie plumpste auf den Boden wie eine billige Puppe.

Belinda kauerte sich hin.

»Ich –«

»FUCK. Und außerdem SCHEISSE. Du. Dein Kleid ist scheußlich und ich kann deine blöden Schuhe nicht leiden!« Mary schlug um sich, schubste die schwankende Belinda auf den Boden und rannte durch die bunten Plastikstreifen am Eingang hindurch. Auf dem Linoleum ausgestreckt, wollte Belinda ihrer Freundin hinterherrufen. Es kam aber kein Ton heraus.

Belinda, mit den Tüten beladen, entdeckte Mary am Zoo-Ausgang auf einem der hohen Hocker, die für die Wachleute bestimmt waren.

»Wenn du dich daneben benimmst, werden sie dich vielleicht schlagen«, schnaufte Belinda. Unter ihren Füßen knirschte der Kies. »Das sage ich nur, weil mir dein Wohlergehen am Herzen liegt.«

Belinda hielt inne, holte Luft und wappnete sich gegen Marys nächste Beleidigung. Die Kleine sprang aber nur vom Schemel, rannte zum Tor und strich über die Gitterstäbe. Sie versuchte, den Kopf durch eine Schlaufe im rostigen Ornament zu stecken. Belinda wusste, dass dieser Versuch zum Scheitern verurteilt war, fand es jedoch klüger, sie gewähren zu lassen.

»Mary, du brauchst –«

Mary kehrte zum Hocker zurück, hievte sich hoch und schwang die Beine hin und her. Keine von beiden war in solchen Kämpfen erprobt. Mary hatte einen guten Start hingelegt, wusste jetzt aber nicht weiter. Sie hatte es ja selbst gesagt: Mary war nicht schlau genug. Sie war unfähig einen Plan auszuhecken, der alles beim Alten belassen würde.

»Du brauchst meine Sachen nicht zu tragen. Sind meine Sachen. Ich trage sie.« Belinda sah Mary abermals vom Hocker springen und auf sie zukommen, um ihr die Einkäufe abzunehmen. «Wir müssen los.«

Mary ging weiter, von der volleren Tüte zur Seite geneigt und hinkend unter der Last. »Falls wir zu spät sind und Aunty wissen will, wem sie die Schuld geben soll, lässt du mich da schön raus. Ich beeil mich schon die ganze Zeit und du willst immer warten und spielen. Jetzt haben wir keine Zeit mehr für deine Tagträumereien.«

Von einer hochgewachsenen Frau mit Klemmbrett angeführt, marschierte eine lockere Reihe lärmender Schulkinder an ihnen vorbei, paarweise, in makellosem Blau-Weiß und mit Sonnenhüten aus Stroh – nicht das übliche Braun-Gelb, das die meisten Schulkinder trugen und auf das Belinda in Adurubaa selbst so stolz gewesen war. Blau und Weiß wies auf eine teure Schule hin. Die reinlichen Gesichter und sauberen Füße in den farblich abgestimmten blauen Sandalen bestätigten ihre Vermutung. Belinda beobachtete, wie Mary zur Seite humpelte, um ihnen Platz zu machen. Dann blickte die krumme Gestalt gedankenverloren zum Himmel auf, zu den spektakulären Schwalben im Sturzflug.

3

Abends, als sie wieder bei Aunty und Uncle waren und Belinda den Hahn kräftig aufdrehte, staunte sie wieder über die Reinheit des Wassers, das sich so stark vom sandigen Getröpfel aus der dörflichen Gemeinschaftspumpe unterschied. Sie nahm ihre asanka aus Terrakotta, deren aufwendiges Muster aus ineinander verschlungenen Rauten zum Dekor der eleganten grauen Küchenfliesen passte, und hielt die Mörserschale unter den Wasserstrahl, kippte sie so, dass flache Wellen über die Rillen schwappten.

Als sie auf der Heimfahrt vom Zoo im Tro-tro saßen, hatte Belinda sich nach Kräften bemüht, Marys mürrisches Schweigen zu genießen. Ihr Verstummen hätte eigentlich beiden Gelegenheit geben müssen, sich zu beruhigen, während sie durch Bekwai und Melcom fuhren, Belinda hätte die Muße gehabt zu begreifen, dass ihr nichts Bedrohliches mehr bevorstand. Sie hatte Mary gesagt, dass sie gehen würde, das Schlimmste war also vorbei. Marys Schweigen war jedoch alles andere als beruhigend gewesen. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt, der Kiefer verkrampft, der Mund verzerrt.

Als sie wieder in Daban waren und in ihren vertrauten Alltag eintauchten, wirkte Mary eine Spur weniger unnahbar. In ihrem Zimmer packte sie die Tüten aus und stellte alles, was sie gekauft hatten, in Reihen auf ihrem Nachtschränkchen auf. Belinda zählte auf, was alles zu tun war, um das Abendessen zuzubereiten, Mary hörte zu und bestätigte jede Anweisung. Sie schlüpften beide aus ihren Kleidern und legten gleichzeitig ihre Uniform an.

Belinda spülte die asanka aus, Mary scheuerte Pfannen und Töpfe an der Kochinsel und der Abfluss gluckerte, als ein Schrei diese Rhythmen unterbrach. Darauf folgte noch ein Schrei, und Belinda spähte durch die Jalousie. Uncle stand am Pool, im flammenden Licht des Sonnenuntergangs, und warf mit einem Tilapia nach Aunty. Sie schrie und drückte sich etwas an die Brust. Uncle schüttelte den Kopf, strich sich über den kahlen Schädel und warf einen Fisch auf den Grill, dann gab er Aunty so lange Zeichen, bis sie das, was sie festhielt, herausrückte. Die Stimme, die kurz danach aus den Lautsprechern ertönte, erkannte Belinda als die von Sarah Vaughan, weil Aunty und Uncle diese CD so oft abspielten. Die Stimme breitete sich aus, glitt weg, breitete sich noch weiter aus.

»Aba! Immer machen sie diesen Krach, wenn wir uns konzentrieren müssen.« Mary hieb mit der Faust auf die Arbeitsplatte. »Wissen sie denn nicht, dass wir gern unsere Ruhe haben, wenn wir ihnen eto machen?«

Seit ihrer Ankunft in Daban hatte Uncle Belinda oft gesagt, dass er aus seinem Ruhestand das Beste machen wollte, und dabei so volltönend gelacht, wie er nur konnte. »Das Beste« bedeutete anscheinend essen, dem Trompetenmann Miles Davis oder der Singlady Sarah Vaughan lauschen, tagsüber schlafen, trinken und Schabernack treiben wie eben mit dem Fisch. Mary scheuerte weiter, Uncle nötigte die widerstrebende Aunty, mit ihm zu tanzen, und Belinda fiel es wieder einmal schwer sich vorzustellen, dass dieser Mann in London mit solch riesigen Summen hantiert haben sollte, wie es immer hieß. Bestimmt hatte er sich inzwischen stark verändert. Während sie die dicke grüne Schale von vier Kochbananen abzog, überlegte sie, ob sie sich im Lauf ihres Lebens wohl auch so stark verändern könnte. Sie warf die Schalen in den Müll und schloss aus einem Impuls heraus die Jalousie. Die blassen Kochbananen bettete sie Seite an Seite auf das Schneidebrett, wie müde Säuglinge, und zerteilte sie schnell.

»Setz schon mal das Wasser auf, me pa wo kyew

»Mach ich, Belinda.«

Belinda wandte sich den Scotch Bonnets zu, schabte mit ihrem Messer die Körner aus den Chilischoten, aber nicht alle, um den feurigen Geschmack zu erhalten, den Aunty und Uncle mochten. Sie hörte zu ihrer Freude, wie Mary vor Anstrengung ächzte, als sie den schweren Topf zum Herd trug, hörte den Kessel klicken, das Scheppern, als die Kleine den Topf auf das Kochfeld stellte, das Zischen, als sie das Streichholz entzündete, das Murmeln von kochendem Wasser und Salz, das Ploppen, als sie die Eier hineingab.

»Gib mir jetzt bitte die Kochbananen, Belinda.«

Belinda nickte und reichte ihr das Gewünschte. Sie sah zu, wie Mary die Scheiben ins Wasser gab.

»Kennst du die Geschichte?«, fragte Belinda und riss zwei Zwiebeln die Wurzeln ab.

»Wo se sɛn

»Wofür dieses eto steht.«

»Erzähl’s mir.«

»Es geht vor allem um das Ei. Das ist das Wesentliche.«

»Warum?« Mary stellte sich auf die Zehenspitzen, um an das Regal mit den Würzmitteln und großen Flaschen heranzukommen. Sie schnappte sich das tiefrote Palmöl und stellte es beiseite.

»Am Hochzeitstag wird dieses Gericht der Braut serviert, morgens vielleicht, das weiß ich nicht so genau. Und man serviert es ihr so, wie wir es Uncle und Aunty servieren. Ganz zum Schluss, wenn alles zubereitet ist – die Mischung aus zerstampften Kochbananen, gebratenen Zwiebeln, Nüssen und so weiter –, kommt ein gekochtes Ei obendrauf. Und dann beobachten die Ältesten und alle anderen die Braut. Weil sie das ganze Ei auf einmal hinunterschlucken muss. Ohne zu beißen oder zu kauen. Das Ei als Ganzes.«

»Adɛn?«

»Die Regel der Ältesten besagt: Wenn du das Ei als Ganzes zu dir nimmst, wirst du viele, viele Kinder bekommen. Aber wenn du auch nur das allerkleinste Stück abbeißt, ist es so, als würdest du von deinem ungeborenen Kind etwas abbeißen, und danach wirst du kein einziges Kind bekommen, niemals. Sagen die Ältesten.«

»Sa

»Aane. Das haben sie von jeher gesagt. Und jetzt holst du bitte die gerösteten Erdnüsse.«

Mary bückte sich zum Ofen, wedelte die Hitze weg und zog das Blech heraus. Die Erdnüsse knisterten auf der Alufolie. Belinda hackte die Zwiebeln klein und wischte sich mit der Handkante heiße Tränen ab.

»Über das, was du gerade erzählt hast, hätte ich einiges zu sagen, Miss Belinda.«

»Klar. Das würde ich gern hören.«

»Danke sehr. Zunächst mal glaube ich nicht, dass die Geschichte stimmt. Ein gekochtes Ei soll aussagen, wie viele Babys es später gibt? Nein, das finde ich unwahrscheinlich. Außerdem ist das doch grausam für eine junge Dame an ihrem Hochzeitstag, wenn sie sowieso schon mit den Nerven am Ende ist und vor allem Möglichen Angst hast. Adjei! Wozu von einer jungen Frau verlangen, dass sie vor den Augen ihres Publikums würgt und sich dann deswegen schämt? Und was, wenn sie so sehr würgen muss, dass ihr das Ei wieder hochkommt und sich auf ihrem prächtigen Kleid verteilt? Stell dir das mal vor. Wo habe ich das Salz hingetan?«

»Dein Hirn ist ein Sieb. Dort steht es. Dort, neben der Pfanne.«

»Du hast recht. Hier steht es. Und so ist es immer: Belinda weiß Bescheid; Belinda irrt sich nie.«

Die Schärfe von Marys Bemerkung hing in der Luft. Belinda hantierte mit dem Stößel, setzte ihr Körpergewicht ein, um die glitschigen Zwiebeln und Chilischoten zu zerreiben und zu vermischen. Sie hielt inne.

»Ja, mir kommt es auch komisch vor. Ich würde es wohl nicht schaffen. Mein Mund ist zu klein und eignet sich nicht für sowas. Guck mal.«

Belinda drehte sich um und riss den Mund so weit auf, wie es nur ging, Lippen und Hals taten weh, und ihr brannten die Wangen vor lauter Peinlichkeit. Mary lachte. Belinda freute sich und das Brennen ließ nach.

»Du bist so albern, Belinda.«

»Nur manchmal.«

»Stimmt. Nur manchmal.«

Mary unterbrach Belinda beim Zerstoßen, um eine Prise Salz auf die würzige Paste zu streuen, die gerade entstand. Die Kleine wischte sich die Finger ab, hustete, wie Uncle es tat, bevor er eine Anweisung erteilte, und ließ die Schultern hängen. »Ich muss mich wohl entschuldigen.«

»Nein.«

»Doch.«

»Wofür denn? Ich bin nicht böse. Wirklich nicht.« Belinda ging zum Teakschrank, um die Bratpfanne zu holen, und stellte sie auf das Kochfeld neben dem siedenden Wasser.

»Bist du wohl, Belinda. Du bist böse. Ich glaube, du hasst es, wenn man so ein großes Geschrei veranstaltet wie ich im Zoo. Das bist du nicht gewohnt. Also muss ich dich um Entschuldigung bitten. Weil ich weiß, dass du sowas hasst.«

»Ich hasse gar nichts, Mary. Hass ist sehr, sehr schlimm. Darum verletzt es mich auch so, wenn du mich mit diesem Wort in Verbindung bringst. Als du gesagt hast, du würdest mich hassen. Adɛn

»Aber so habe ich es damals empfunden. Jetzt empfinde ich es anders. Damals war ich nur ehrlich. Wär’s dir lieber, dass ich lüge wie Pinocchio? Hätte ich so tun sollen, als wäre ich richtig glücklich?«

»Nein, aber –«

»Wär’s dir lieber, wenn ich gar nicht mehr rede? Das würde mir aber schwerfallen.«

Belinda lächelte in sich hinein und hielt die flache Hand dicht über die Pfanne, um zu spüren, ob sie schon heiß genug war. Sie gab Palmöl hinein, dann prüfte sie die Konsistenz der Kochbananen und Eier im siedenden Wasser und stellte fest, dass beides noch etwas garen musste. »Im tro-tro schien es dir sehr leicht zu fallen, das Nicht-Reden, me boa

»Gar nicht.«

»Wo se sɛn

»Im Kopf habe ich lange mit dir geredet. Sehr lange.«

»Sa?« Belinda schüttete den Inhalt der asanka in die Pfanne und trat einen großen Schritt zurück, als das Öl zischte.

»Das Gespräch lief überhaupt nicht gut. Du – du hast die ganze Zeit versucht, mich irgendwie zu trösten. Das ärgerte mich. Irgendwann hatte ich es satt und holte das Eiswasser aus deiner Tasche und goss es dir über den Kopf. Auch dafür bitte ich um Entschuldigung.«

Mary verneigte sich leicht und Belinda schlug mehrmals mit einem Geschirrtuch nach ihr. Die Kleine tat so, als hätte sie einer der Schläge verletzt. Sie zog eine Schnute, blinzelte und wandte sich wieder den hohen Regalen zu, um Teller, Wassergläser, Tischsets zusammenzusuchen.

Belinda nahm die Pfanne vom Herd und kippte die frisch gebratenen Zutaten in die asanka, später würden die Kochbananen hinzukommen. Bevor sie erneut zum Stößel griff, blickte sie sich nach Mary um, die das Geschirr inspizierte, so, wie Aunty es ihnen am ersten Morgen nach ihrer Ankunft gezeigt hatte.

An diesem Morgen hatten sie sich so vieles merken müssen, als Aunty sie wie eine Königin durch Haus und Grundstück führte und dabei ihr kunstvoll geschlungenes Kopftuch tätschelte, während sie durch hallende weiße Flure, herrschaftliche Bögen und vollendete Gärten schritten, Chaiselongues, Kronleuchter und Tische mit funkelnden Glasplatten passierten. So viele Zimmer, die Mutters Neid geweckt hätten, Belinda jedoch ein flaues Gefühl im Magen bescherten. Sie erinnerte sich daran, dass Mary während der ganzen Führung auf die unmerklichen Spuren gestarrt hatte, die sie mit ihren Flipflops auf dem knarrenden Boden hinterließ, während sie selbst ständig nickte und sich Auntys Wortschwall über Bleichmittelmarken und Essenszeiten einprägte, um ihn Mary später noch einmal vorzubeten, in der Geborgenheit ihres neuen Schlafzimmers, wo die Kleine hoffentlich weniger verängstigt wäre. Als Mary nun das Silberbesteck polierte, wollte Belinda sie dafür loben und preisen. Ein tüchtiges Mädchen. Das war von großer Wichtigkeit und verdiente Anerkennung. Belinda lächelte und wollte gerade den Mund öffnen, als Mary eine Gabel fallen ließ. Die Kleine rührte sich nicht. Stattdessen blickte sie auf die Küchenschränke mit den makellosen Bronzegriffen und fing an zu reden.

»In meiner Heimatstadt, in einer Nachbarsiedlung, hatte ein Junge namens Akwesi an der Sonntagsschule mal eine Prüfung bestanden. Vielleicht war es auch ein Wettbewerb, den er gewonnen hatte. Jedenfalls bekam er einen Preis überreicht. Da lernte ich erst das dämliche Wort für das Ding, das er als Preis kriegte. Es hieß Hula-Hoop. Hu hu hu. Ich fand’s lustig. Der Junge dachte aber nur an sich. Wenn von uns Nachbarskindern jemand fragte, ob er mit dem Ding spielen darf, sagte Akwesi immer Nein.« Mary hob die Gabel auf und wischte sie sauber. »Hübsch war dieser Hula, Belinda. Sie hatten ihn aus allen Farben des Regenbogens gebastelt und sogar mit ein paar Schleifchen geschmückt. Aber es machte mir nicht so viel aus, dass ich nicht damit spielen durfte, weil ich Akwesi zugucken konnte. Er stand mitten im Hof und alle anderen Kinder klatschten und klatschten. Dann drehte er sich so schnell, dass die Farben alle hin und her wirbelten. Und wenn er sich so drehte, schlug mein Herz höher und immer höher, und ich musste wirklich lächeln. Weil – es war so schön. Wa te? Und ich dachte, nichts könnte mich froher oder glücklicher machen, als Akwesi beim Hulaspiel zuzugucken. Aber dann. Dann habe ich dich kennengelernt. Tja.«

Mary holte einen Schaumlöffel, tauchte ihn ins Wasser und nahm die zwei Eier in beide Hände. Bei der brennenden Berührung jaulte sie auf. Blies sich auf die Handflächen und hüpfte herum. Sie tippte die Eier zaghaft mit den Fingerspitzen an, um sie zu schälen. Vergeblich. Stöhnend ließ sie die Eier auf die schwarze Arbeitsplatte rollen. Draußen hielt Sarah Vaughan lange einen tiefen Ton und verklang.

Belinda straffte den Rücken, krümmte sich, streckte sich wieder. Sie nahm beide Eier behutsam mit einem zusammengeballten Küchentuch auf und drückte sie an die Arbeitsplatte, bis die Schalen Risse zeigten. Geduldig zupfte sie am ersten Ei, bis sie die ganze Schale mit einer schnellen Bewegung ablösen konnte. Mit dem zweiten Ei verfuhr sie genauso.

In der Hoffnung, dass es reichen würde, weil sie nichts anderes hatte und nichts anderes tun konnte, ging Belinda auf Mary zu und umfing sanft ihre Handgelenke, spürte die zarten Knöchelchen, auch die Insektenstiche, die sich die Kleine jüngst eingefangen hatte. Als sie Marys Handflächen umdrehte, war sie erleichtert, keine Verbrühungen zu sehen, nur ein, zwei vereinzelte Rötungen.

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