Kitabı oku: «Halt», sayfa 3

Yazı tipi:

»Tapfer, diese Eier so schnell anzupacken, Mary.«

»Nicht tapfer. Blöd.«

Belinda ließ das Wasser im Topf brodeln und führte Mary, immer noch an den Handgelenken, zum Wasserhahn, um ihre Finger sicherheitshalber unter den kühlen Strahl zu halten. Am Spülbecken blickten die Mädchen unverwandt auf die geschlossenen Jalousien, hinter denen jetzt der Abendhimmel glühte. Tropfen rannen über die gekachelte Rückwand und Marys Hände fingen artig das Wasser auf. So verharrten beide viel länger, als nötig gewesen wäre.

SOMMER

4
London – August 2002

Von oben kam eine freundliche Ansage in einer anderen Sprache. Dann wieder in einer anderen. Und noch einer anderen.

Ein lautes Kind wurde mit einem Bonbon beruhigt, das beim Auswickeln knisterte.

Neonbeleuchtung, schwarze Pfeile auf gelbem Grund, Flure mit gleitenden Böden.

Ein verängstigter Mann zog eine L-förmige Plastikröhre aus seiner Tasche, saugte kräftig daran und bekam wieder Farbe ins Gesicht.

Schlangestehen.

Neonbeleuchtung, schwarze Pfeile auf gelbem Grund, Flure mit gleitenden Böden.

Eine herrische Frau – wahrscheinlich Nigerianerin, so, wie Hals, Ohren und Nase behängt waren – hatte den Pass verloren, oh! Den Pass verloren, oh! Ja, diesen ihren Paaaaaass verloren, oh-ho!

Erst von einer weißen Frau mit Männerschlips gemustert, dann von einem schwarzen Auge am Stiel.

Bloß nicht blinzeln. Stempel.

Neonbeleuchtung, Schlangestehen, Flure mit gleitenden Böden.

Dieses Piepen.

Und als Nächstes: auf zur Menge, die sich dort versammelte, wo die Bänder einen großen Kreis bildeten. Bucklige alte Frauen standen neben besorgten Männern. Gelangweilte Kleinkinder zerrten an den Gliedern ihrer Teddys. Viele blickten unentwegt auf die Uhr, schnalzten verärgert und seufzten, als die ersten Koffer aus der schlaffen Öffnung hervorquollen. Belinda schleifte ihr Gepäck zu einem Kofferkuli. Sie ließ sich von den Menschenmassen zu einem der Ausgänge leiten. Wie beruhigend, sich an den Kuligriff klammern zu können.

Jenseits einer langen silbernen Schranke warteten geschäftige Läden und Familien. Wo war Nana, in einem dieser bunten, wallenden Kleider, die Belinda so gut gefielen, ganz anders als alles, was Aunty anziehen würde? Kleider, die Belinda während des zweiwöchigen Aufenthalts von Nana und Dr. Otuo in Daban mit Papageien, Pfauen und Tukanen vertraut gemacht hatten.

Angespanntes Lächeln, feuchte Augen und verschränkte Hände, die sich plötzlich lösten. Man umarmte sich lange. Wie sollte sie Nana begrüßen? Vielleicht mit einem Kuss auf die Wange – linke und rechte, nicht zu kurz und nicht zu lang –, wie die Frauen, die sie in Auntys Lieblingsserie Reich und Schön gesehen hatte. So könnte sie zeigen, wie erwachsen sie sich verhalten würde. Belindas Augen brannten.

»Hierher! Liam, hierher! Ohgottohgottohgott.«

Wieder suchte Belinda die Umgebung ab, bemüht, sich nicht ablenken zu lassen vom Geschrei, vom Zeitungsladen, vom Body Shop. Sie stellte sich neben die gewundene Schlange der Fluggäste und holte die Notfallnummern hervor, die in Auntys Abschiedsgeschenk gekritzelt waren, ein Notizbuch mit Ledereinband. Sie sah sich nach einem Ort um, an dem sie vielleicht telefonieren könnte. Da fiel ihr Blick auf das Schild.

So hatte sie ihren Namen noch nie geschrieben gesehen. Die sieben Buchstaben waren aus einer ungewöhnlichen Sorte Papier ausgeschnitten, mit glitzerndem Rand, wie der Saum von teuren Taufkleidern. Hinter dem kitschig hübschen Schild verbarg sich ein Gesicht. Das Mädchen, das es hochhielt, hatte einen Wust struppiger, beschleifter Zöpfe auf dem Kopf. Würfel mit krakeligen Umrissen in Lila und Schwarz zierten ihr Oberteil, passend zu den Farben ihrer Zöpfe. Wie spaßig es sein musste, ein solches Muster zu waschen. Mary hätte große Augen gemacht. Belinda trat auf sie zu und sah, dass die Fingernägel, die das B und das a zum Teil verdeckten, ebenfalls lilaschwarz lackiert waren. Schwarze Schnörkel – Buchstaben? – zogen sich über die Handgelenke.

»Soll das … mein Name sein? Bist du Amma?«

Ihr Name verschwand. Die Haut des Mädchens war von einem so satten Braun wie Supermalt, sogar noch dunkler als die von Dr. Otuo. Ihre Augen waren zwar verquollen, aber unverkennbar lebhaft. Belinda fiel auf, dass ihr Atem so schal und bitter roch wie Uncles Atem, wenn er spätabends aus der Stadt kam. Amma wies ihr die Richtung, und so standen sie sich bald gegenüber wie zwei alte Feinde, die zur Versöhnung bereit waren. Belinda überlegte, ob sie sich zu ihr neigen sollte. Auch wenn Mutter es ihr nie vorgemacht hatte, konnte sie das mit dem Umarmen inzwischen besser. Seit Kurzem lockerte sie dabei die Schultern und genoss schon fast dieses Gefühl, von der Wärme eines anderen Menschen durchdrungen zu werden. Nach einem Räuspern beugte sie sich vor, und Amma erwiderte die Umarmung auf ebenso mechanische Weise. Und dann ergriff sie beherzt Belindas Reisetasche.

»Das hätten wir. Und um es gleich zu sagen: Ja, meine Frisur ist eine Katastrophe. Ich weiß. Aber mir gefällt sie, so unbegreiflich das vielleicht klingt. Los.« – Belinda starrte sie an. »Gehen wir.«

Während sie dem Mädchen hinterherstolperte, hätte sie Amma gern gesagt, wie gut sie doch aussah, schöne Größe, schöne Wangen, schöner Po – alles um Klassen besser als bei Belinda. Aber da runzelte Amma die Stirn, hielt sich den Bauch und blieb vor Boots stehen. Nach einer Pause ging sie weiter, versuchte zu lächeln, murmelte: »Tschuldigung.« Belinda hätte sie gern beruhigt und gesagt, sie müsse sich für nichts entschuldigen, aber schon ging die Schiebetür auf, standen sie beide draußen und schnellte Ammas Hand hoch, um ein Taxi heranzuwinken.

Im Taxi tat Amma nichts, um Belindas Angst zu zerstreuen, London könnte bloß eine riesige, dunkle Straße voller Fahrzeuge sein. Mit der Zeit mündete die Autobahn in immer schmalere Straßen, mit Geschäften, die reihenweise Plastikleiber verkauften – manche nackt, andere bekleidet, mitten im Tanz erstarrt. Die Leute karrten Kinderwagen umher und hantierten mit ihren Handys. Ein paar Kinder trugen Kapuzen über dem Kopf und ein paar Männer saßen bettelnd unter Wandkästen, vor denen andere Schlange standen. Warum die vielen Schlangen, wenn hier angeblich alles so modern und funktionstüchtig war? Die Autos fuhren langsamer, in diesem Teil von London, der keine Schnellstraße mehr war, und blieben zu lange an Ampeln stehen. Amma schlief, den Kopf hin und wieder an Belindas Schulter gelehnt, um ihn gleich wieder hochzureißen; anstatt Belindas Blick zu begegnen, strich sie lieber über den Sicherheitsgurt oder widmete sich dem Dreck unter ihren Fingernägeln.

Belinda konzentrierte sich auf den Zähler, der blinkend von 33 auf 34 übersprang. Dann sausten sie eine Brücke über trägem Wasser entlang und schließlich zu einem Ort, der den Schildern nach Clapham Junction hieß. Clapham, dort hatten die Otuos vor Kurzem ein zusätzliches Haus gekauft, fiel Belinda zu ihrer Freude ein, zwar nicht, um darin zu wohnen, was sie eher sinnlos fand, aber Nana hatte sich offenbar sehr darüber gefreut. Auf der rechten Seite tauchte eine grüne Wiese auf. Dort zeigte ein Mann mit Sonnenbrille auf eine rosa Stoffraute, die am Himmel schwebte. Andere spielten sich gegenseitig Bälle zu. Wieder andere schliefen auf Decken wie die verfilzten Stadtstreicher in Adum. Manche bedienten sich häppchenweise aus Essenskörben. Unter den jungen Mädchen schienen viele nur halb angekleidet aus dem Haus gegangen zu sein, in bunten Höschen und Büstenhaltern, sodass Belinda unwillkürlich die Arme über der Brust verschränkte. War das etwa der Brockwell Park, von dem Nana ihr erzählt hatte?

»Wir sind fast da, oder?«

»Yep.« Amma hielt inne, erneut gebannt vom Sicherheitsgurt. »Fast.«

»Hier … hier ist bestimmt schön. Zum Spielen. Entspannen. Und Glück für dich, das so zu haben. Bei uns in Kumasi gibt’s sowas nicht.«

Der Fahrer bog ab und die beiden Mädchen stießen zusammen. Belinda spürte, wie Amma sich versteifte.

5

Eine eigenartige weiße Blume blühte an der Decke des vorderen Zimmers, in dem sie wartete. Unter ihren Füßen ein Holzboden – breite Dielen, übersät mit blassen Narben. Zu ihrer Linken befand sich hinter einer Faltschiebewand das Esszimmer, eine dunkle, blutrote Höhle mit einem langen Tisch, der bereits gedeckt war, als kämen bald Gäste.

Belinda hatte sich ihr neues Heim so prachtvoll ausgemalt. Es überraschte sie nicht, dass die Wirklichkeit nichts mit ihren Vorstellungen gemein hatte. Das Haus von Aunty und Uncle war so viel geräumiger; das galt auch für die Häuser aller anderen bogahs in Daban, Finanzberater, Steuerberater, Anwälte, die aus dem Ausland heimgekehrt waren, überall Zimmer, Zimmer, die keinem besonderen Zweck dienten, Badezimmer für Gäste, für niemanden, hinten und an den Seiten noch Anbauten und Kammern für die Dienstboten. Hier mussten Nana und Dr. Otuo sich doch eingezwängt oder ganz klein fühlen. Warum fuhren die Autos direkt am Haus vorbei? Wo war die Schutzmauer? Wo der Pool?

Im Gegensatz zu Belinda, die sich nun unablässig in die eigenen Finger zwickte, bis sie die Hände schließlich auseinanderriss, hatte Mutter die Ruhe bewahrt, als es zur größten Umwälzung kam. Am letzten Tag der Osterferien hätte Mutter eigentlich mit dem gelben Beleg der Western Union aus dem Comm Centre im Herzen Adurubaas zurückkommen und ihn zu den anderen Belegen in die verbeulte Blechdose stecken sollen. Tat sie aber nicht. Als sie an diesem Nachmittag in ihr gemeinsames Zimmer zurückgekehrt war, hatte das etwas Gespenstisches an sich. Schlüsselklimpern lenkte Belinda von der Jollofpfanne auf dem Herd ab. Mutter blieb einen Moment im Türrahmen stehen, völlig reglos, starr. Mutters Mähne, die vom vielen Sitzen in der Sonne allmählich einen bräunlichen Ton annahm, wirkte noch wilder als sonst. Sie ließ sich auf das Bett fallen und richtete ihren Blick auf die blasige Wand.

»Dich betrifft das auch«, hatte Mutter tonlos gesagt.

Belinda stellte die Flamme kleiner und warf sich das Geschirrtuch über die Schulter. Das Papier, das Mutter lose hielt, war blau und die erste Kostprobe der väterlichen Handschrift, die Belinda zu sehen bekam. Der erste handfeste Beweis, dass ihr Vater wirklich existierte. In seinem Luftpostbrief wirkten die Wörter, die er niedergeschrieben hatte, mädchenhafter als ihre Schrift. Die fein säuberlichen Zeichen ließen die Botschaft umso brutaler erscheinen. So knapp sie auch war, musste sie mehrmals gelesen werden. Der Krach der Akuapem-Kinder von nebenan, wenn sie ihr blödes Klatschspiel spielten, wie immer so laut, als wären sie im selben Zimmer. Mutter hatte gestöhnt und gestöhnt und wieder gestöhnt und war dann aufgestanden, um am Pfannenboden zu kratzen, wahrscheinlich wollte sie sichergehen, dass der Reis leicht angebrannt war, um diesen rauchigen Geschmack zu erzeugen. Der Brief endete, ohne dass ihr Vater auch nur versucht hätte, sich dafür zu entschuldigen, dass er die Schulgebühren nicht länger bezahlen konnte. Mutter stellte die Flamme noch kleiner, sodass sie flackerte. Mit hochgezogenen Augenbrauen und angespannter Miene hatte sie sich umgedreht und zum Schluss gesagt: »Das war’s also. Wir werden dir eine andere Beschäftigung suchen.«

Jetzt, unter der riesigen weißen Rose, presste Belinda die Knie zusammen, um nicht mehr daran zu denken. Sie nahm die Fernbedienung in die Hand und legte sie wieder hin. Nana war schon viel zu lange im Bad zugange. Belindas Blick blieb auf dem Couchtisch an einem klebrigen braunen Ring hängen. Die Sonne offenbarte auf sämtlichen Oberflächen einen grauen Schleier.

»Nana? Amma?«

Belinda ging zum Kamin, streckte den Finger aus und fuhr über ein Regalbrett, hinterließ dabei eine tiefe und vollkommen gerade Linie. Staub ballte sich. Natürlich wäre das ein Eingriff, wäre unhöflich, aber sich einfach wieder aufs Sofa zu setzen? Wäre Faulheit. Sie trat aus dem Zimmer und geriet in einen Flur, der am anderen Ende von unten beleuchtet wurde. Die Stufen knarrten unter ihren Fersen und führten sie in eine luftige Küche hinab, wo alles in einem klinischen Weiß erstrahlte, das sich im staubigen Kumasi nicht herstellen ließe. So viel Weiß: Tassen, Teller, der Boden. Nur eine unverputzte, bröckelnde Wand fiel aus dem Rahmen. Vielleicht doch keine Klinik, eher eine Art Fabrik: Das blankpolierte Metall der Schränke, der Herd, der umgedrehte Rauchfang darüber, der Kühlschrank, die Behälter, die Uhr an dieser unfertigen Wand kamen ihr vor wie grausame Maschinen. In dieser Küche fehlte Holz, fehlten Töpferwaren – alles Heimelige. Unter der Spüle standen sorgfältig aufgereiht Sprays, die beruhigend vertraut rochen. Mr Muscle war genau der Richtige. Belinda schnappte ihn sich.

Wieder oben, hätte sie am liebsten geklatscht, als sich Schaumblasen über die Tischflecken ergossen und der bohrende Schmerz in ihrem Kreuz verschwand. Aus unbestimmter Richtung hörte sie einen erstickten Schrei, dann schlug eine Tür zu. Belinda räumte schnell Tuch und Spraydose weg. Der verräterische Mr Muscle rollte unter dem Tisch hervor und grinste sie an.

»Tut mir leid! Ich wollte nur –«

»Mir tut’s leid. Ich habe sie oben erwischt und … dann haben wir geredet.« Nana ließ sich auf das Sofa sinken. Belinda tat es ihr nach.

»Schon gut.«

»Warum kann sie nicht einmal stillsitzen? Du, du hast doch gesehen, wie sie aus dem Taxi gestürmt ist, als wären Bitte und Danke und Hallo ganz aus der Mode gekommen?« Nana hielt inne, die winzigen Fältchen an ihren Augen dehnten sich, flehentlich hob sie die Hände. »Sie lässt sich bei dir entschuldigen und muss sich gleich hinlegen, weil sie letzte Nacht so spät heimgekommen ist. Was macht das nur für einen Eindruck?«

»Macht nichts. Unterwegs, im Taxi, war sie so nett zu mir, so hilfsbereit.«

»Gestern gab es die Prüfungsergebnisse, und das musste sie eben mit ihren Freunden feiern. Nur Bestnoten. Das hat sie mir noch zugerufen, schon war sie wieder aus dem Haus, und ich durfte ihren Erfolg an so einem Streifen Papier ablesen. Nur Bestnoten.« Belinda gefiel Nanas leises Lachen. »Am liebsten würde ich sie hierhin setzen, damit wir ihr sagen können, wie sehr wir uns freuen, wie dankbar wir sind – aber das fällt ihr ja im Traum nicht ein, sich wie wir jetzt hinzusetzen und zu reden.« Nana zog die rote Strickjacke fester über ihre weiße Bluse.

»Sie –«

»Dein erster Auftrag wäre vielleicht, für mich herausfinden, was sie in den letzten vierundzwanzig Stunden getrieben hat, ja? Ich bin … ich bin sicher, sie hat nichts getan … nichts Schlimmes? Aber ich muss … ich muss Bescheid wissen.«

»Auftrag klingt so groß für eine – eine so kleine Person wie mich.«

»Sa? Für mich klingt Auftrag genau richtig.«

»Ich –«

»Gott sei Dank, dass deine Aunty dich dafür freigegeben hat – obwohl sie dich und deine tolle Arbeit gern für sich behalten hätte. Aber das ist eben wahrer Anstand, meine Liebe. Wenn man sich bei Bedarf füreinander opfert, verstehst du? Manchmal muss es eben sein.«

»Aane

Nana zupfte am winzigen Schwanz ihrer Eidechsenbrosche, die nun noch erhabener an ihrer linken Brust prangte. »Wir waren unzertrennlich. Vom ersten Tag an, dem Tag unserer Konfirmation.« Nanas Ohrringe tanzten. »Es war so schön mit uns. So besonders.«

»Bestimmt.«

Belinda kaute an ihrer Wange. Nana rückte den Eidechsenschwanz wieder an die ursprüngliche Stelle.

»Und du … du könntest Ammas beste Freundin sein. Ja? Sei ihr ein gutes Vorbild. Reiß sie von dem los, was sie gerade so überreagieren lässt. Schluss mit diesen Anfällen. Diesem Schweigen. Diesem Weinen.«

Belinda blickte auf ihre Handflächen, als würde sie selbst nichts preisgeben, solange sie die Linien musterte. Dann setzte sie sich darauf.

Ein gutes Vorbild? So gut, so vorbildlich war sie also, dass ihre eigene Mutter, die sie zum Vorbild gemacht hatte, sie ohne jedes Zögern wegschickte. So vorbildlich, dass ihr Vater das Weite gesucht hatte, ohne abzuwarten, wie gut die Frucht seiner Lenden gedieh. Hatte sie denn selbst daheim Güte erfahren, als sie heranwuchs? Sie und Mutter hatten im Dorf eigentlich nichts dergleichen erlebt. Das Dorf war ein Ort der kalten Schultern und verdrehten Augen, voller Verdächtigungen und Verächtlichkeit. Ein gutes Vorbild. Um sich dem auch nur zu nähern, würde sie ein Leben lang ringen müssen, so viel war Belinda klar. Aber das würde sie Nana niemals verraten. Nana wollte das gar nicht wissen. Belinda presste sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihre Hände.

»Adjei! Habe ich’s schon wieder übertrieben? Bloß kein Ü-ber-fall – das haben sie beide gesagt, deine Aunty und mein Otuo. Ü-ber-fall, so haben sie’s ausgedrückt, und ich meinte, aber nein, ich geh’s ganz gelassen an, ich bleibe cool. Bin aber nicht cool, stimmt’s? Und dir wird schon richtig heiß, was?«

Mr Muscle rollte ihr vor die Füße, praktisch als Ansporn, aber Belinda war das alles zu viel, zu schnell, um sich eine Antwort zu überlegen.

»Hör zu! Vor lauter Aufregung bin ich ja ganz durcheinander.« Nana klopfte sich mit den Knöcheln gegen die Stirn und zog zwei makellose Augenbrauen hoch. »Eigentlich wollte ich ja damit anfangen, mit meinem großen Plan. Sieh’s mir nach, ja? Böse Nana. Kannst du gern sagen. Kannst gern mit mir schimpfen. Jedenfalls gibt es in ein paar Wochen diese wunderbare Gelegenheit, dich hier in unsere Gemeinschaft einzuführen, in einem schönen Rahmen. Amma beschwert sich zwar, dass ich zu viel verlange und sie nicht genug Zeit hat, aber vielleicht kannst du sie fragen, oder ihr einfach sagen, du möchtest dir gern das Ghanafoɔ ansehen. Das ist unser –«

Belinda war froh über das Klacken der Tür, das Rauschen von Wind und Verkehr, über die Schritte, die Dr. Otuo hereinbrachten. Er murmelte, er sei in der Tube stecken geblieben, klagte über ihren Zustand. Belinda atmete tief ein und hatte das Gefühl, ihre Brust würde sich ins Unermessliche weiten.

»Meine prachtvolle Gefährtin!« Dr. Otuo verbeugte sich vor seiner Gattin und sie revanchierte sich mit einem Knicks. »Unsere neue Tochter? Akwaaba. Wir heißen dich auf das Herzlichste willkommen.«

Er wirkte dünner als bei ihrem Besuch in Daban, müder. Als er Belinda den Rücken tätschelte, fühlte sich seine kräftige Männerhand für sie an wie ein Peitschenhieb. Sie sprang auf, nahm ihm seine Aktentasche und die Jacke ab, die er über den Arm gelegt hatte.

»Haben wir etwas für ihn zubereitet, Madam

»Es ist noch Fisch mit Okraschoten übrig –«

»Nicht, dass sein Magen leer bleibt, nicht wahr, Ma

Belinda sauste davon, hängte die Sachen des Doktors an die Garderobenhaken und polterte in die Küche hinunter. Die Waschmaschine lief und brachte den ganzen Raum zum Beben.

»Belinda!«, schrie Nana.

Belinda duckte sich unter den vibrierenden Töpfen, riss die Kühlschranktür auf und schob die Büchsen mit den aufgerollten Deckeln beiseite, das welke Gemüse und die braunen Soßen in Tupperdosen. Da, tatsächlich, ein orange leuchtender Eintopf. Schon vor dem Kosten wusste sie, dass er nach Maggi und sämtlichen anderen Gewürzen verlangte.

»Belinda?«

Die nahenden Schritte von Doktor und Nana riefen in ihr ein Gefühl wach. Sie stöberte Cayennepfeffer, Muskatnuss und etwas Ingwer auf. Drei Prisen dies, drei Prisen das. Das Gefühl schoss ihr zwischen Nieren und Leber, schaffte es nicht, durch den Bauchnabel zu entweichen, obwohl es einen Vorstoß unternahm.

Doktor schüttelte den Kopf. »Nicht so hektisch, mein Kind. Beruhige dich.«

Sie kratzte den Topf aus, um an die köstlichen Brocken am Grund heranzukommen, schöpfte eine ordentliche Portion auf den Teller und holte den Reis. In diesem Eintopf gab es nicht genug Sardinen, bei Weitem nicht. Paff, Peng: Reis in die Mikrowelle, am Zeitschalter drehen, schon kreiste die Schale und Mary hätte es jetzt auch getan, wäre immer wieder herumgewirbelt und schließlich kichernd hingefallen.

»Belinda? Du bist ja der reinste Derwisch, junge Dame. Ich hatte hier schon mit einem Saustall gerechnet, bei dem Lärm.«

»Sie arbeiten so hart, Sir. Uncle hat es mir daheim erzählt. Richtig eingehämmert: Nie würde ich Sie in Ihrem eigenen Haus zu sehen bekommen, weil Sie immer riesige Geldprobleme lösen müssen, und wenn nicht, sitzen Sie bis tief in die Nacht mit irgendwelchen Büchern in Ihrem Arbeitszimmer und lesen noch mehr von diesen Steuergesetzen. Er hat mir außerdem gesagt, ich soll Sie so gut behandeln, wie ich ihn behandelt habe. Und ich werde mich daran halten, weil Sie so gut zu mir sind. Dass ich hier wohnen darf. Stimmt doch?«

Das Gefühl hüpfte hoch und landete auf dem Rücken, seine Beine kitzelten Belindas Zwerchfell, als Dr. Otuo brummte und ihr ein Handy und dann eine Broschüre über den Tisch zuschob. Auf der Titelseite war eine junge Frau mit einer überdimensionierten Brille zu sehen. Die Brille war randlos. Die junge Frau betrachtete einen Zylinder. Eine Metallkerze. Verkehrt herum entzifferte Belinda Abacus Educational Centre. Daneben in ähnlicher Schrift, aber mit kleineren Lettern: Um auch die kühnsten Zukunftsträume zu ermöglichen.

»Du sollst hier lernen, Belinda. Nicht kochen-putzen-bügelnkochen. Wir wollen, dass du etwas lernst, ja? Jaha.«

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